[413] Antwort des Autors auf vorige Reime

Auf dieselbe Melodie

1.
Du darfst dein Kreuz nicht heimlich tragen,
Du mußt dein Herz entdecken frei
Und Gott und treuen Freunden sagen,
Wie es mit dir beschaffen sei!
Ein schwerer Mut wird öfters leicht,
Wenn man die Schwermut andern zeigt.
2.
Melancholie, so heißt der Jammer,
Wovon du mir ein Verschen schreibst,
Melancholie, die dunkle Kammer,
Worin du traurig hangen bleibst;
Vielleicht lockt aus dem Trauerhaus
Dich meine Poesie heraus.
3.
Man muß es immer recht entscheiden;
Natur ist noch kein Christentum,
Natur hat Freud', Natur hat Leiden,
Dies macht vor Gott nicht bös' noch fromm.
Laß, wie es will, im Äußern gehn,
Du mußt dich nach dem Grund ansehn!
4.
So bist du, wie du bist inwendig;
Was liebst du, was begehrest du?
Bei diesem Sinn bleib nur beständig,
Bei diesem Grunde bleib in Ruh!
Vernunft mag denken, was sie kann,
Denk du: Was geht Vernunft mich an?
[414] 5.
Laß dich von Jesu blindlings führen,
Verleugne dich und liebe nur,
Hüt dich vor allem Spekulieren,
Ein Kindersinn trifft leicht die Spur;
Und wenn Vernunft dir Zweifel macht,
So gib nicht auf ihr Zweifeln acht!
6.
Sag, würd'st du weinen oder lachen,
Wenn dich ein Blindgeborner gleich
Wollt' an der Sonne zweifeln machen?
So ist Vernunft an Gottes Reich;
Ei, saug die Brust und dich nur nähr
Und forsch nicht, wo die Milch kommt her!
7.
Du mußt von Gott nichts Arges denken,
Er ist ganz Liebe, Güt' und Treu,
Er hat nicht Lust, daß wir uns kränken
Durch Schwermut und ihm bleiben scheu;
Denk, Gott will in dein Herz hinein,
Drum muß es weit und offen sein!
8.
Gott ist ein wonnesames Wesen,
Ganz freundlich, stille, sanft und froh;
Soll deine Krankheit recht genesen,
So muß dein Grund auch werden so.
Ei diene Gott mit Freuden doch,
Zeig, daß sein Dienst ein sanftes Joch!
9.
Mit vielem Forschen durchzudringen,
Bringt größern Schaden, als man glaubt,
[415]
Gott läßt sich mit Gewalt nicht zwingen,
Brich deinen Willen, nicht das Haupt;
Erwart nur in gelassnem Grund
Der ew'gen Weisheit Zeit und Stund'!
10.
Viel besser ist ein Handgeschäfte,
Als traurig sein beim Müßiggang;
Erquicke dann und wann die Kräfte
Durch einen guten Lobgesang,
Vergiß dein Elend und dich freu
In Gottes Herrlichkeit und Treu!
11.
Nimm auf dies Kreuz und alle Leiden
Und trag es Jesu willig nach!
Es folgen wesentliche Freuden
Nach langem, bangem O und Ach;
Der Glaube muß durch Proben gehn
Und glauben lernen ohne Seh'n.
12.
Wohl dem, der ganz in Gott kann sterben
Der Kreatur und Eigenheit!
Der wird ein göttlichs Leben erben,
Von Kummer, Angst und Weh befreit;
Es kann fürwahr nur dieser Tod
Zerbrechen deine Zentnernot.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tersteegen, Gerhard. Gedichte. Geistliches Blumengärtlein. Drittes Büchlein. Antwort des Autors auf vorige Reime. Antwort des Autors auf vorige Reime. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4DA0-A