[64] August Stramm
Tropfblut
Gedichte aus dem Krieg

[65] [67]Wecken

Die Nacht
Seufzt
Um die schlafen Schläfen
Küsse.
Eisen klirrt zerfahlen.
Haß reckt hoch
Und
Schlurrt den Traum durch Furchen.
Wiehern stampft
Schatten lanzt der Wald.
Ins Auge tränen
Sterne
Und
Ertrinken.

[67] Schlachtfeld

Schollenmürbe schläfert ein das Eisen
Blute filzen Sickerflecke
Roste krumen
Fleische schleimen
Saugen brünstet um Zerfallen.
Mordesmorde
Blinzen
Kinderblicke.
[68]

Wunde

Die Erde blutet unterm Helmkopf
Sterne fallen
Der Weltraum tastet.
Schauder brausen
Wirbeln
Einsamkeiten.
Nebel
Weinen
Ferne
Deinen Blick.

[69] Vernichtung

Die Himmel wehen
Blut marschiert
Marschiert
Auf
Tausend Füßen
Die Himmel wehen
Blut zerstürmt
Zerstürmt
Auf
Tausend Schneiden.
Die Himmel wehen
Blut zerrinnt
Zerrinnt
In
Tausend Fäden
Die Himmel wehen
Blut zersiegt
Zersiegt
In
Tausend Scharten.
Die Himmel wehen
Blut zerschläft
Zerschläft
Zu
Tausend Toden
Die Himmel wehen
Tod zerwebt
Zerwebt
Zu
Tausend Füßen.
[70]

Werttod

Fluchen hüllt die Erde
Wehe schellt den Stab
Morde keimen Werde
Liebe klaffen Grab
Niemals bären Ende
Immer zeugen Jetzt
Wahnsinn wäscht die Hände
Ewig
Unverletzt.
[71]

Signal

Die Trommel stapft
Das Horn wächst auf
Und
Sterben stemmt
Das Haupt durch flattre Sterben
Sträubt
Gehen Gehen
Sträuben
Geht
Und geht und geht
Und geht und geht
Und geht und geht und geht und geht
Geht
Stapft
Geht.
[72]

Sturmangriff

Aus allen Winkeln gellen Fürchte Wollen
Kreisch
Peitscht
Das Leben
Vor
Sich
Her
Den keuchen Tod
Die Himmel fetzen.
Blinde schlächtert wildum das Entsetzen.
[73]

Abend

Müde webt
Stumpfen dämmert
Beten lastet
Sonne wundet
Schmeichelt
Du.
[74]

Gefallen

Der Himmel flaumt das Auge
Die Erde krallt die Hand
Die Lüfte sumsen
Weinen
Und
Schnüren
Frauenklage
Durch
Das strähne Haar.
[75]

Frostfeuer

Die Zehen sterben
Atem schmilzt zu Blei
In den Fingern sielen heiße Nadeln.
Der Rücken schneckt
Die Ohren summen Tee
Das Feuer
Klotzt
Und
Hoch vom Himmel
Schlürft
Dein kochig Herz
Verschrumplig
Knistrig
Wohlig
Sieden Schlaf.
[76]

Schlacht

Ächzen ringt
Und
Stampfet in die Erde
Packen würgt
Und
Windet wühlt und stemmt
Die Lüfte stehn
Und
Klammern krampfzerrissen
Zerfetzen kracht
Und
Schellet gell zu Boden
Das Wissen stockt
Die Hoffnung bebt und starrt
Die Ahnung blutet
Schreien wächst empor
Das Leben
Flammt
Die letzten Brände
Sprühen
Wild
Krallt
Das Sterben
Auf
Zum Himmel.
Das Taglicht stickt
Die Nacht
Flort um
Das Grabtuch
Die Erde hüllt
Und
Liebe spreizt den Schoß
Die Sterne zittern
Strahlen brücket über
[77]
Die Zeit klimmt an
Und
Lächeln sammelt Tropfen
Und
Sammeln Lächeln
Lächeln Sammeln Schreiten
Und
Sammeln schreitet
Lächeln Schreiten Schwinden
Und
Schreiten schwindet
Schwinden Lächeln Schreiten
Und
Schwinden schreitet nach
Dem sturen Raum.
[78]

Wacht

Die Nacht wiegt auf den Lidern
Müdigkeit flackt und neckt
Der Feind verschmiegt
Die Pfeife schmurgt
Verloren
Und
Alle Räume
Frösteln
Schrumpfig
Klein.
[79]

Krieg

Wehe wühlt
Harren starrt entsetzt
Kreißen schüttert
Bären spannt die Glieder
Die Stunde blutet
Frage hebt das Auge
Die Zeit gebärt
Erschöpfung
Jüngt
Der
Tod.
[80]

Schrapnell

Der Himmel wirft Wolken
Und knattert zu Rauch.
Spitzen blitzen.
Füße wippen stiebig Kiesel.
Augen kichern in die Wirre
Und
Zergehren.
[81]

Feuertaufe

Der Körper schrumpft den weiten Rock
Der Kopf verkriecht die Beine
Erschrecken
Würgt die Flinte
Ängste
Knattern
Knattern schrillen
Knattern hieben
Knattern stolpern
Knattern
Übertaumeln
Gelle
Wut.
Der Blick
Spitzt
Zisch
Die Hände spannen Klaren.
Das Trotzen ladet.
Wollen äugt
Und
Stahler Blick
Schnellt
Streck
Das
Schicksal.
[82]

Angriff

Tücher
Winken
Flattern
Knattern.
Winde klatschen.
Dein Lachen weht.
Greifen Fassen
Balgen Zwingen
Kuß
Umfangen
Sinken
Nichts.
[83]

Triebkrieg

Augen blitzen
Dein Blick knallt auf
Heiß
Läuft das Bluten über mich
Und
Tränket
Rinnen See.
Du blitzst und blitzest.
Lebenskräfte
Lodern
Moder wahnet um
Und
Stickt
Und
Stickt.
[84]

Abend

Zähnen
Plantschet streif das Blut des Himmels
Denken schicksalt
Tode zattern und verklatschen
Sterne dünsten
Scheine schwimmen
Wolken greifen fetz das Haar
Und
Weinen
Mein
Zergehn
Dir
In
Den
Schoß.
[85]

Patrouille

Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
[86]

Urtod

Raum
Zeit
Raum
Wegen
Regen
Richten
Raum
Zeit
Raum
Dehnen
Einen
Mehren
Raum
Zeit
Raum
Kehren
Wehren
Recken
Raum
Zeit
Raum
Ringen
Werfen
Würgen
Raum
Zeit
Raum
Fallen
Sinken
Stürzen
Raum
Zeit
Raum
Wirbeln
[87]
Raum
Zeit
Raum
Wirren
Raum
Zeit
Raum
Flirren
Raum
Zeit
Raum
Irren
Nichts.
[88]

Schrei

Tage sargen
Welten gräbern
Nächte ragen
Blute bäumen
Wehe raumen alle Räume
Würgen
Schwingen
Und
Zerschwingen
Schwingen
Würgen
Und
Zerwürgen
Stürmen
Strömen
Wirbeln
Ballen
Knäueln
Wehe Wehe
Wehe
Wehen
Nichtall.
[89]

Im Feuer

Tode schlurren
Sterben rattert
Einsam
Mauert
Welttiefhohe
Einsamkeiten.
[90]

Haidekampf

Sonne Halde stampfen keuche Bange
Sonne Halde glimmet stumpfe Wut
Sonne Halde sprenkeln irre Stahle
Sonne Halde flirret faches Blut
Blut
Und
Bluten
Blut
Und
Bluten Bluten
Dumpfen tropft
Und
Dumpfen
Siegt und krustet
Sonne Halde flackt und fleckt und flackert
Sonne Halde blumet knosper Tod.
[91]

Frage

Und
Stämme schlanken weiten Himmel
Und
Herzen schwanken brüten Schmerz
Und
Halme hauchen welle Stürme
Und
Schweigen schrickt
Und
Beugt und geht
Und
Gehen Gehen
Wege Ziele Richtung
Und
Gehen Gehen
Lieben Leben Tod
Und
Gehen Gehen
Endlos wellen Stürme
Und
Gehen Gehen
Endlos halmt
Das
Nichts.
[92]

Traumig

Frauen schreiten ab zersehnte Augen
Kinderlachen händelt schmerzes Blut
Fernen nicken
Blüten winken
Kommen sammeln winden
Würgen sticket klamm die tränen Schlund.
[93]

Granaten

Das Wissen stockt
Nur Ahnen webt und trügt
Taube täubet schrecke Wunden
Klappen Tappen Wühlen Kreischen
Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren
Splittern Klatschen Knarren Knirschen
Stumpfen Stampfen
Der Himmel tapft
Die Sterne schlacken
Zeit entgraust
Sture weltet blöden Raum.
[94]

Zagen

Die Himmel hangen
Schatten haschen Wolken
Ängste
Hüpfen
Ducken
Recken
Schaufeln schaufeln
Müde
Stumpf
Versträubt
Die
Gehre
Gruft.
[95]

Kriegsgrab

Stäbe flehen kreuze Arme
Schrift zagt blasses Unbekannt
Blumen frechen
Staube schüchtern.
Flimmer
Tränet
Glast
Vergessen.
[96]

Kampfflur

Glotzenschrecke Augen brocken wühles Feld
Auf und nieder
Nieder auf
Brandet
Sonne
Steinet Sonne
Und
Verbrandet.
[97]

Angststurm

Grausen
Ich und Ich und Ich und Ich
Grausen Brausen Rauschen Grausen
Träumen Splittern Branden Blenden
Sterneblenden Brausen Grausen
Rauschen
Grausen
Ich.
[98]

Wache

Das Turmkreuz schrickt ein Stern
Der Gaul schnappt Rauch
Eisen klirrt verschlafen
Nebel streichen
Schauer
Starren Frösteln
Frösteln
Streicheln
Raunen
Du!

Notes
Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt.
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TextGrid Repository (2012). Stramm, August. Tropfblut. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-3898-9