250.

Oftmals kommt zu den schlafenden Menschen ein geisterhaftes Wesen, meist in Gestalt eines rauh behaarten Tieres, legt sich ihm auf die Brust und drückt ihn so, daß er sich nicht regen und kaum noch atmen kann. Es kriecht dem Schlafenden von unten herauf auf den Leib. Zuerst fühlt man seine Last auf den Füßen, dann auf dem Bauch und endlich auf der Brust; und dann kann man kein Glied mehr rühren und stöhnt und ächzt in großer, fast unerträglicher Beklemmung. Die Erscheinung gleicht bald einem Pudel, bald einer Katze, bald irgend einem fremdartigen, überaus häßlichen Tiere; ihre Farbe ist meist schwarz, aber auch braun oder weiß. Nicht selten fühlt man aber den Druck, ohne die Gestalt zu sehen. Mitunter auch sind es Wesen menschlicher Bildung, Mädchengestalten, bekannte oder unbekannte, welche sich zu dem Schläfer gesellen. Der Name dieser Wesen ist Walrider, Walriderske, oder, wie man meist ohne Bewußtsein der vollständigeren Form ausspricht, Walriesche, Walrüsche, im Saterlande Weilriderske, in Wangerooge Bockhexe, Ridimär oder Wolrider (Ehrentraut, Fries. Arch. II., S. 16), in Butjadingen Nachtmär. Auch sagt man von einem, den sie plagen: »Dat Undeert ritt em.« Sie sind einzeln männlichen Geschlechts, vorherrschend weiblichen. – Eine alte Frau aus Schweiburg sagte, in jeder Tiergestalt dürfe die Walriderske auftreten, nur nicht in der Gestalt der Taube, des Schafes und der Biene.


(vgl. 220).

a.

Eine Frau aus dem Ksp. Holle schildert die Plage wie folgt. Ich habe eigens deswegen als junges Mädchen meinen Dienst bei Meyers verlassen, weil ich zwei Jahre hindurch in ihrem Hause von der Walriderske geplagt wurde. Nur wenn es draußen stark wehete und regnete, hatte ich Ruhe vor ihr. Als ich wegzog, sagte die Frau zu mir, die Walriderske würde mir auch in meinen neuen Dienst folgen; dies geschah auch, doch wurde ich hier nur einige mal von ihr beunruhigt; der Weg war ihr nun wohl zu weit. Ich habe die Walriderske immer deutlich kommen hören, dieselbe indeß nie gesehen. Wenn sie kam, verspürte ich erst ein Sausen und Brausen in den Ohren, dann wurde ein paar Male auf meine Bettdecke gestoßen, und zum dritten Male hatte sie mich. Dann konnte ich durchaus kein Glied rühren; ich konnte keinen [463] Laut von mir geben, höchstens ein wenig wimmern; die Luft wollte mir ausgehen, und ich geriet in eine schreckliche Angst, so daß ich über und über schwitzte. Von der Brust bis zu den Knien fühlte ich den Druck, und ich war ganz benaut. Ich habe oft darüber geweint. Die Walriderske kommt nicht bloß bei Abend oder Nacht, selbst am Tage hat sie mich, schlafend oder wachend, im Bette oder außer dem Bette, überfallen. Als ich eines abends in der Stube saß und meinen Kopf auf eine Wiege stützte, krigte sie mich auch unter. Die mit mir in der Stube waren, bemerkten es, und ich selbst konnte hören, wie sie unter einander sagten: »De Walriderske hett se woll wedder unner.« Ein andermal hatte sie mich, als ich im Sommer auf freiem Felde schlief; ich verspürte, daß sie mich fortschleppen wollte – uppen Dobben wull se mi henhebben. Wenn ich auf dem Rücken schlief, wurde ich viel schlimmer geplagt, als wenn ich auf der Seite lag.

b.

Ein junger Mann aus dem Münsterlande erzählt: Als ich mich eines Abends zu Bette gelegt hatte und der Mond hell in mein Zimmer schien, daß ich alles deutlich erkennen konnte, sah ich, daß im Bette zu meinen Füßen ein kleines Kind stand. Ich sah es, da fiel es auf meine Brust und blies in meinen Mund; ich konnte kein Glied bewegen und beinahe nicht Atem holen. Als es mich eine Zeit lang gequält hatte, sauste es weg. Ich griff nach ihm und faßte es bei den Haaren, da war es eine schöne Jungfer.

c.

Als einst ein Knecht in Rechterfeld, Ksp. Visbek, welcher viel von Walridersken zu leiden hatte, an einem Mittage in einem Heuschuppen schlief, kam sein Mitknecht zu ihm; aber sowie dieser die Tür öffnete, sah er vier bunte Katzen bei dem Schlafenden sitzen. Er sprang zurück, um einen Stock zu ergreifen, aber inzwischen waren sie verschwunden.

d.

Wir waren unser drei Knechte bei einem Bauern und schliefen in einer Kammer; ich als der jüngste schlief mit dem Zweitknecht zusammen, der älteste schlief allein in dem Bett. Dieser letztere wurde nächtlich von einer Walriderske geplagt. Sie legte sich auf ihn, nahm ihm den Atem, so daß er durch sein Ächzen und Stöhnen mich im Schlafe störte. War die Not zu Ende, lag er im Schweiße gebadet da. Mein Bettgenosse verfügte über einen festen Schlaf, und wenn ich am andern Morgen erzählte, wie das Würgen unseres Nachbarn mir wieder peinlich und unangenehm geworden, so stellte er [464] sich recht ungläubig und wollte von Gespenstern nichts wissen. Zuletzt wurde er neugierig und bat mich, ihn zu wecken, wenn die Hexe wieder an der Arbeit sei. In der folgenden Nacht wachte ich auf und hörte den Großknecht in der bekannten Weise röcheln und stöhnen. Sofort weckte ich meinen Bettgenossen. Dieser fährt in die Höhe, reibt sich die Augen und ruft im selben Augenblicke: »Da fliegt ein Katzenschwanz durch das Schlüsselloch.« Die Walriderske hatte sich, vielleicht erschreckt durch das etwas laute Erwachen meines Mitknechtes, eiligst davongemacht (Goldenstedt).


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 250. [Oftmals kommt zu den schlafenden Menschen ein geisterhaftes Wesen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-37A0-E