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Eine Gräfin von Delmenhorst übergab auf ihrem Sterbebette ihren drei Töchtern zehn Diamanten, davon waren neun ganz gleich, der zehnte aber sehr groß und wie ein Auge gestaltet. Sie bat dabei die Töchter, sich wegen der Steine unter einander zu einigen; sie selbst wolle die Teilung nicht vornehmen, damit es nicht scheine, als wolle sie eine bevorzugen. Die Töchter in ihrem großen Schmerze über den bevorstehenden Verlust ihrer Mutter gelobten, daß die Steine keinen Zwist unter sie bringen sollten, und jede war sogar bereit, sogleich den großen Diamanten den anderen zu überlassen. Die Gräfin starb nun in Frieden. Lange Zeit wurde der Diamant nicht erwähnt. Endlich aber wünschten die Töchter doch, ein Andenken von der Verstorbenen zu besitzen, und gingen an die Teilung. Die neun gleichen Steine waren bald verteilt, aber auf den großen Stein, den früher keine haben wollte, erhob nun jede Anspruch. Die älteste machte ihr Alter geltend, die zweite, sie führe der Mutter Namen, die dritte, sie sei der Mutter Liebling gewesen. Die Schwestern, bisher ein Herz und eine Seele, gerieten in große Uneinigkeit, und alle Bemühungen des Vaters, den Frieden wieder herzustellen, blieben fruchtlos. Da nahm ihnen der Vater den großen Diamanten weg und sagte, daß nun keine denselben besitzen solle. Aber auch hierdurch kam kein Friede, denn jede von ihnen warf nun den anderen vor, daß sie von ihnen um ihr Recht betrogen sei. Seit aber die Töchter ihres Gelübdes [209] der Einigkeit so vergessen hatten, erschien allnächtlich der Geist der Verstorbenen wehklagend unter den Fenstern des Grafen. Der bekümmerte Graf wußte kein Mittel, seinen Töchtern die Eintracht und seiner verstorbenen Gemahlin ihre Ruhe wieder zu geben, bis endlich ein alter Pilger, der bei ihm einkehrte, ihm den Rat gab, den Diamanten in eine Kirche zu vermauern, die Kirche aber da zu bauen, wo ein Gänserich, den er vom Schlosse aus fliegen lasse, sich setzen würde. Der Graf befolgte den Rat und baute die Kirche zu Ganderkesee, welche den Diamanten noch in einer ihrer Mauern birgt. Seitdem war der Streit der Töchter vorbei, und die Mutter konnte ruhig in ihrem Grabe bleiben (Delmenhorst).

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Erster Band. Erstes Buch. Fünfter Abschnitt. 173. [Auch die Sehnsucht nach den zurückgelassenen Verwandten, die Sorge]. k. [Eine Gräfin von Delmenhorst übergab auf ihrem Sterbebette ihren]. k. [Eine Gräfin von Delmenhorst übergab auf ihrem Sterbebette ihren]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-33B1-A