113.

Die Fähigkeit, verborgene Dinge an das Licht zu ziehen, ist teils eine Kunst, welche nur von besonders Eingeweihten gekannt und geübt wird, teils beruht sie auf der Anwendung allgemein verbreiteter oder doch eine besondere Kunst nicht bedingender Mittel. Die kunstmäßige Erforschung des Verborgenen befaßt hauptsächlich das Vorhersagen der Zukunft und die Nachweisung gestohlener Gegenstände. Jenes heißtwicken und wird meist von Frauen, Wickerschen, betrieben, die zum Teil weither und von Leuten aufgesucht werden, denen man dergleichen nicht zutrauen sollte. Ihre Mittel sind hauptsächlich das Kartenschlagen und das Deuten des Kaffeesatzes. Die Regeln, wie Karten und Kaffeesatz auszulegen sind, werden vermutlich wechseln und großenteils willkürlich sein, da die Wickersche selbst an ihre Kunst wohl nur in den seltensten Fällen glaubt. Neben diesen Wickerschen schreibt man namentlich den Zigeunern, welche die Zukunft in den Sternen und in der Hand lesen, die Kunst des Wahrsagens zu, doch ist dies gegenwärtig mehr ein theoretischer Satz, da die Zigeuner selten geworden sind und kaum noch in ihrer früheren Eigentümlichkeit auftreten. Die Wahrsagungen der Wickerschen und Zigeuner sind in den Augen der Gläubigen untrüglich, und keine irdische Macht ist im Stande, dem wirklichen Gange der Dinge eine andere Richtung zu geben.

Fast überall gilt der Satz: Wahrsagen sollen nur »ungeborene« Mädchen können, d.h. Mädchen, die durch Operation vorzeitig auf die Welt gekommen sind.

1608 wird aus Waddens berichtet, daß »etliche Wickerinnen ohne Ehren bestattet worden«; 1609 aus Stollhamm, »die große Hannet habe des Wickens gebraucht.« 1637 klagt man in Zetel: »daß man hiesigen Orts teils aus Aberglauben, teils Rachgier oder sonst böser Begierde, entweder um Wissenschaft [99] künftiger und verlorener Dinge oder wegen zugefügten Schaden sich zum Wicker, Wahrsager und Krystallenseher dazu in fremdes Gebiet verfügt usw.« – Aus Waddens lief man 1644 zu einem Wahrsager in Tungeln und fragte (1662) einen Teufelskenner wegen gestohlenen Geldes. In Bardenfleth gab es 1645 Wicker, ebenso 1655 und 1662 in Schwei. (Schauenburg a.a.O. IV. 123 ff.) Auch im Münsterlande treten zu der Zeit Wickers und Wickersche auf.

Das Nachweisen gestohlener Gegenstände wird von Männern und Frauen geübt, die meist nur diese eine Kunst zu treiben pflegen, und Nawisers und Nawiserschen, Befinder, Befinderinnen genannt werden. Über die Mittel kann ein wenig angegeben werden. Die Diebe werden nie bei Namen genannt, sondern stets durch Umschreibungen und Vergleichungen bezeichnet; die Furcht vor einer Verleumdungsklage wird diese Vorsicht erfunden haben. Zuweilen zeigt die Nawisersche das Bild des Diebes in einem Eimer mit Wasser. Mitunter wird jede Auskunft verweigert, weil die gestohlene Sache sich schon in der dritten Hand befinde, womit die Kunst zu Ende sei.

Vielleicht ist es ein Splitter von der Lehre über den tierischen Magnetismus, wenn es in Holle heißt, einem schlafenden Menschen könne man alles abfragen, wenn man ihm ein Stück Geld, z.B. einen Groschen, auf die Herzgrube lege.

a.

Ein längst verstorbener Bürger zu Oldenburg, welcher aus dem Hannoverschen stammte, erzählte: Ich war in meiner Jugend bei einem Verwandten im Hannoverschen. Einst ging ich wegen eines kranken Pferdes zu einer alten Frau, da wir glaubten, dem Pferde sei etwas angetan. Als ich hinkam, saß die Frau beim Kaffeetrinken und schenkte mir auch eine Tasse ein, die ich austrank. Wir sprachen hin und her, endlich guckte die Frau in meine Tasse und fragte, ob uns ein Pferd krank sei. Ich bejahte dies, und nachdem wir diese Sache beredet hatten, und sie mir zwei Pulver für das Pferd gegeben hatte, fragte die Frau, was ich sonst noch vor hätte. Nun hatte ich die Absicht, nach London zu gehen und dort in einer Zuckerfabrik zu arbeiten, wie viele meiner Landsleute taten, hatte dies aber noch niemanden mitgeteilt. Deshalb sagte ich nein, ich hätte weiter nichts vor. Da fuhr die Frau fort, daß ich noch was vor habe, habe sie aus der Kaffeetasse gesehen, legte [100] dann die Karten und sagte, ich möge doch mein Vorhaben nicht ohne Einwilligung meines Vaters ausführen, ich würde es aber auch nicht tun; dort bei meinen Verwandten würde ich aber auch nicht bleiben, vielmehr in eine Stadt zu dienen kommen, um welche ein Wasser gehe, genauer könne sie dieselbe nicht bezeichnen, dort würde ich mich auch verheiraten und vor einem schwarzen Altar getraut werden. Später kam ich hin nach Oldenburg (das von Wasser umflossen ist) in einen Dienst und verlobte mich hier auch. Der Zeit verstarb aber der Herzog Friedrich August († 1785), eine Landestrauer wurde angeordnet und auch der Altar in der Kirche wurde schwarz behangen. Da erzählte ich meiner Braut jene Prophezeiung und sagte: »Die Frau soll doch nicht recht behalten, wir wollen mit der Trauung warten, bis die Landestrauer vorbei ist.« Wir setzten sie 14 Tage nach dem Ende. Inzwischen starb aber eine Schwester des Herzogs Friedrich August, die Landestrauer wurde verlängert, und da wir die Hochzeit nicht wohl bis zu deren Beendigung aufschieben konnten, wurden wir doch vor einem schwarzen Altar getraut.

b.

Zu Visbek waren einst Zigeuner bei einem Bauer über Nacht, und gerade in dieser Nacht wurde dem Bauer ein Kind geboren. So wie die Zigeuner nun hörten, daß die Zeit da sei, standen sie von ihrem Lager auf, sahen draußen nach den Sternen und riefen dann, sie sollten das Kind noch einige Minuten aufhalten, es sei grade eine schlechte Zeit. Das Kind aber ließ sich nicht halten, es trat ans Licht und war ein gesunder Knabe. Da fragte der Bauer, was denn dem Kinde Unglückliches widerfahren werde. Die Zigeuner antworteten, dieser Knabe werde einst aufgehängt. Die Eltern entsetzten sich vor dieser Prophezeihung und ließen den Knaben, als er aus der Schule war, Theologie studieren, denn, dachten sie, als Geistlicher werde er doch sicher nicht den verkehrten Weg gehen. Und damit er als Geistlicher auch leben könne, stifteten sie die Vikarie St. Annä und begabten sie mit vielen guten Ländereien. Der Sohn verwaltete die Vikarie längere Zeit ohne Tadel; eines morgens aber, als er aus der Kirche kam, wo er die Messe gelesen hatte, stieg er auf den Boden, und als er nicht wieder kam, suchte man nach und fand ihn auf dem Boden in einer Ecke, wo er sich mit einem Stück Garn erhängt hatte. Und so ist aller Vorsicht ungeachtet die Vorhersagung doch in Erfüllung gegangen. Die Vikarie ist 1482 gestiftet. Der [101] Selbstmörder soll noch jetzt zur Nachtzeit ohne Kopf im Pfarrgarten umgehen.

c.

Im Jahre 1878 wurden die Huntloser Mörder Belke und Arnken nach Vechta gebracht, um dort den Rest ihres Lebens im Zuchthause zu verbringen. Belke starb 1884. Einige Zeit darauf besuchte Schreiber dieses den Arnken in seiner Zelle, und die Rede kam auf den Tod Belkes. »Er hats also doch nicht wahr gekriegt,« bemerkte Arnken. »Was wollen Sie damit sagen,« entgegnete ich, und nun erzählte der Genosse Belkes, dieser habe früher, wenn beim Tode Bekannter das Gespräch auf das Sterben gekommen, wiederholt geäußert, er werde 84 Jahre alt werden. Er habe sich mal im Bückeburgischen weissagen lassen, und dabei sei die Äußerung gefallen, er werde »84 sterben«. Dies habe Belke dahin ausgelegt, er werde ein Alter von 84 Jahren erreichen.

d.

Einem Schneider in Bösel war von einer Wahrsagerin ein wichtiges Amt in Aussicht gestellt. Als er später Amtsbotengehilfe wurde, glaubte er fest, daß das Wahrsagen kein Aberglaube sei.

e.

Aus Osternburg melden die Zeitungen vom 12. Dez. 1907: Gestohlen wurde hier vor der Wirtschaft Mohrmann dem Haussohn Dellwisch aus Beverbruch sein neues Fahrrad. Sofort nahm man nach allen Richtungen die Verfolgung des Diebes auf. Leider kehrten alle unverrichteter Sache zurück. Da kam einer auf die glückliche Idee, noch zuguterletzt eine Kartenlegerin zu Rate zu ziehen. Gesagt, getan. Diese wußte gleich den richtigen Weg und verwies die Suchenden an den Mann, der ihnen zuerst begegnet sei. Und richtig, unweit dessen Wohnung fand man das Rad unter der Hecke versteckt.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 113. [Die Fähigkeit, verborgene Dinge an das Licht zu ziehen, ist teils]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-3298-C