537. Neuenkirchen.

a.

Als vor einigen Jahrhunderten die Gemeinde zu Neuenkirchen einen neuen Kirchturm baute, stellte sich ein blinder Schimmel eines Bauern (ich glaube des Colonen Bußmann oder Dusse zu Wahlde, man nennt den Mann in Neuenkirchen noch) zum Anfahren der Materialien zum Kirchturm ein. Allein und ohne Fuhrmann schleppte er alle Steine zum Turmbau heran, und als endlich der Turm fertig war, legte das Pferd, von der Arbeit entkräftet, sich nieder und starb. Der Jesuit Jodocus Gerardi, welcher 1651 Vicecuratus, nachher Pastor zu Neuenkirchen war, hat in seinen Annotationen auch diese Sage, welche noch im Volke lebt, als eine schon zu seiner Zeit gängige Sage aufgezeichnet, (Nieberding in Mitth. d. Ver. f. Osnabr. Gesch. III, S. 54.) Pastor Gerardi bemerkt 1651 wörtlich: »Es geht die Sage, zum Turmbau habe ein weißes Pferd ohne Wagen alle Steine herbeigeschafft, worauf es, nachdem der Turm vollendet worden, alsbald gestorben sei.« Aus dieser Sage ist dann die andere entstanden: Als nach Besiegung der Sachsen Karl der Große in Neuenkirchen eine Kirche bauen wollte, konnte man sich über den Platz nicht einigen. Da kam eines Tages ein weißes Pferd mit einem Steine angeschleppt und legte ihn an der Stelle nieder, wo die alte Kirche erbaut wurde. (In den Bergen bei Grapperhausen auf dem Wege nach Colon Bußmann[334] zeigt man noch jetzt die Lehmkuhle, aus welcher der Schimmel die Steine herbeigeschleppt haben soll.)

b.

In Neuenkirchen wird in der Zeit von November bis Lichtmeß des Sonnabend-Abends nach dem Angelusläuten eine Stunde geläutet. Dies Läuten heißt das Piwittläuten. Der Sage nach hat sich vor vielen hundert Jahren ein Bischof Piwitt von Osnabrück auf der Jagd verirrt und nach dem Läuten einer Kirchenglocke wieder zurecht gefunden. Darauf soll er die Verordnung erlassen haben, daß im ganzen Osnabrücker Lande von Allerheiligen bis Lichtmeß jeden Sonnabend-Abend geläutet werde. (In verschiedenen Kirchspielen der jetzigen Diözese Osnabrück – es sind die ältesten katholischen Kirchen des Osnabrücker Landes, nicht die evangelischen und später gegründeten katholischen Kirchen – ferner in verschiedenen Kirchen der alten Diözese Osnabrück, wozu früher das ganze oldenb. Münsterland gehörte, besteht die Sitte, daß von Allerheiligen bis Lichtmeß an den Samstag-Abenden und den Abenden vor Festen im Anschluß an das Angelus-Kleppen mit allen Glocken eine Viertel- oder eine ganze Stunde geläutet oder mit einer Glocke geläutet, mit den übrigen eingeschlagen wird. Außer dieser Zeit erfolgt das Läuten an den Vorabenden der Sonn- und Festtage, das sogenannte Vesperläuten, um 2, 3 oder 4 Uhr nachmittags, und das Angelusläuten geht in gewöhnlicher Weise vor sich ohne Nachläuten. Man nennt das Geläute am Abende von Allerheiligen bis Lichtmeß an einigen Orten im Osnabrückischen und Oldenburgischen wie z.B. Neuenkirchen »Piwitt-Läuten«, an anderen Orten wie z.B. Lohne, Oythe »Nachtsang«. In der katholischen Kirche in Neuenkirchen besteht das Piwittläuten darin, daß von Allerheiligen bis Lichtmeß an den Abenden vor Sonntagen mit der zweitgrößten Glocke geläutet, dagegen an den Abenden vor hohen Festtagen Allerheiligen, Weihnachten, Neujahr, Dreikönigen und Lichtmeß in drei Abschnitten gebeiert, in der letzten Viertelstunde mit allen Glocken geläutet wird. Erkundigt man sich nach der Entstehung dieses Nachtläutens, dann heißt es einmal, ein auf der Jagd verirrter Adliger, der durch Glockengeläute wieder zurechtgeführt sei, habe es gestiftet, ein andermal, ein Osnabrücker Bischof, Wiho II., der von 1092 bis 1101 den Bischofstuhl inne hatte, habe das Geläute angeordnet. Ein Bischof Piwitt hat nie in Osnabrück gelebt. Es liegt nahe, anzunehmen, ein Osnabrücker Bischof habe schon [335] in den frühesten Zeiten das Nachtläuten für die drei schlimmsten Wintermonate eingerichtet, um Kirchgänger, die damals oft schon an den Samstagen zu ihrem Kirchgange aufbrachen, vor Irrfahrten zu bewahren. Sollte das Läuten am Abende überhaupt für Wanderer zu später Stunde eingeführt sein, dann ist nicht einzusehen, warum es nicht für jeden Abend der betreffenden Wintermonate verordnet worden. Möller erinnert in der Vorrede zu seiner Geschichte der Weihbischöfe von Osnabrück (Lingen 1887) an folgende »Überlieferung«: Ein Osnabrücker Weihbischof hat sich einst verirrt und ist durch das Läuten eines Klosterglöckleins gerettet worden. Aus Dankbarkeit verfaßte er ein Lied, das anfängt mit den Worten: Piae vitae, und bestimmte, daß dieses Lied unter Glockengeläute von Allerheiligen bis Lichtmeß in den Klöstern abends gesungen werde. Der Brauch verbreitete sich, und so entstand das Piwittläuten. Möller weiß aus seiner Jugendzeit, daß damals das Piae vitae-Lied gar nicht unbekannt gewesen. In Familien wäre es durchweg Sitte gewesen, während des Piwittläutens für draußen sich aufhaltende Wanderer zu beten. Also das geht aus dem Gesagten hervor, in der Zeit von Allerheiligen bis Lichtmeß werden die Sonn-und Festtage zweimal am Tage vorher eingeläutet – Vesper- und Piwittläuten am Nachmittage und Abend – in den übrigen Monaten einmal – Vesperläuten.) Vgl. Abendläuten in Jever: 588e. – In den ältesten Kirchenrechnungen (17. Jahrh.) von Essen findet sich jährlich ein Posten, wonach am Lichtmeß-und Allerheiligenabend eine Stunde geläutet worden und den Läutern »nach altem Gebrauch« 3 Schillinge für beide Male gewährt sind. Das Piwittläuten findet auch hier noch heutigen Tages statt. In Wellingholzhausen bei Osnabrück geschieht das Piwittläuten in der Zeit von Allerheiligen bis Lichtmeß an allen Donnerstag- und Sonntagabenden. Während des Läutens ziehen die Kinder von Haus zu Haus und singen:


Nachtsang, Nachtsang,
Aule Lüe to Berre gaun,
Junge Lüe uppstauhn.

c.

Ein Vorfahr der Steinhauer zum Stickteiche war schwedischer Dragoner-Korporal und lag mit 20 Mann auf dem Stickteiche. Eines Tages kam die Nachricht, daß von Vechta her eine ganze Schwadron Münsterscher im Anzuge sei. [336] Er rief seine Leute zusammen und fragte sie, ob sie mit ihm tapfer gegen die Übermacht kämpfen oder sich ergeben wollten. Sie antworteten, sie wollten ihrem Korporal folgen, wohin er sie führe, und lieber ihr Leben teuer verkaufen, als sich schimpflich gefangen nehmen lassen. Der Korporal stellte sich mit seinen Leuten beim Wittenberge hinter einem Hügel auf, so daß er von den sorglos heranziehenden Feinden nicht gesehen werden konnte, und befahl den Trompetern, dort halten zu bleiben, aber sobald er sich auf die Feinde werfe, aus Leibeskräften in die Trompeten zu stoßen. Als die Münsterschen nun nahe genug gekommen waren, stürzte er mit seinen wenigen Leuten auf sie los. Die Feinde stutzten, da aber zu gleicher Zeit die Trompeter hinter dem Hügel aus Leibeskräften bliesen, erschraken sie und meinten, die Hauptmacht der Schweden sei noch im Anzuge, und gaben sich sämtlich gefangen, dreihundert an der Zahl. Als sie ihren Irrtum erkannten, gereute es sie, aber es war zu spät.

d.

In Schwieterings Hause zu Bieste sieht man beim Herdraum einen geschnitzten menschlichen Arm in der Wand über einer Türe stecken. Dieser Arm ist immer im Hause gewesen, man hat versucht, ihn wegzubringen, am andern Morgen hat er wieder an der alten Stelle gesessen. Am Palmsonntag wird der geweihte Palmstock dahinter befestigt und bleibt hier bis zum nächsten Palmsonntage.

e.

Wahlde war ursprünglich ein adeliges Gut. Drei Brüder teilten dasselbe unter sich: Hermann, der den größten Teil (Hardinghausen) erhielt, Georg (Jürgens) und Johann (Jan). Nach und nach starben die Nachkommen aus, zuletzt lebten noch zwei Brüder von dem alten Geschlechte. Diese waren ledig geblieben und dienten im 30jährigen Kriege unter Wallenstein. Eines Abends gehen sie arglos nach Grambke hinunter. Hier liegen schwedische Truppen. Die Brüder bekommen Streit mit denselben und beide werden erschlagen.

f.

Nicht weit von Neuenkirchen liegt Lage, in dessen Kirche ein wundertätiges Kreuz aufbewahrt wird, zu dem am Johannistage viele Leute besonders aus Neuenkirchen wallfahrten. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts kam ein Mönch in jene Gegend, setzte sich müde von der Wanderung unter einen Baum und schlief ein. Im Traum sah er ein Kreuz in den Lüften schweben und eine Stimme rief: Ein Kreuz wie dieses sollst du anfertigen, daß es im Gotteshause prange und [337] Betern und Büßern zum Segen gereiche. Als der Schläfer erwachte, machte er sich alsbald auf, um den Auftrag auszuführen. Nach langem Suchen fand er einen passenden Baum, den der Besitzer mit Widerwillen hergab. Aber vier und schließlich acht Pferde brachten ihn nicht von der Stelle, bis der bisherige Eigentümer herankam und sagte, er wolle seine Pferde einmal vorspannen und richtig, seine zwei Pferde zogen den Baum mit Leichtigkeit nach seinem Bestimmungsort. Der Geizige hatte der Schenkung anfangs nicht voll und ganz zugestimmt, daher die Schwierigkeit; seitdem er ganz mit der Weggabe einverstanden war, ging der Transport glatt vor sich. Gott sieht nur auf Opfer, die freiwillig gespendet werden.

Woher der »Selige Hof« seinen Namen erhalten: 428a. – Der ewige Jude: 247. – Pastor Wieghaus: 180c. – Spuk beim Meierhof: 186k, zu Neuenkirchen hinter dem Pfarrgarten: 180d, auf dem Trautelberge: 183b, auf dem Zuckselberge: 183h, bei Nellinghof: 180c.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 537. Neuenkirchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2F74-F