594. Neuende.

a.

Die Neuender heißen Grantsacken.

b.

Anno 1218 krigede de Grave van Oldenborg mit den Fresen an der Jade und leet den Schlicker Siel dorchsteken. Als nu de Floth quam, und de Jade, so der Tyd noch ein klein Water was, nenen Siel hadde, brack dat Water in, je länger je mehr, bet man nenen Wedderstand doen konnde. Dar vergingen söben Karspelkerken als Dauens, Jadeleh, Olde Eddens, Olde Goedens, Arnegast und andere mehr. It verdrunken ok väle Lüde und Beeste. Men seggt, it si ein Timmermann gewesen, de den Siel gebuwet, de hebbe de holten Nagels man innegesteken und solkes dem Graven van Oldenborg in dem Kriege geapenbaret, de hebbe öhme ein Stucke Geldes gegeven, dat he de Nagels utgetagen hebbe. Als nu de Floth kenen Wedderstand gefunden, si de grote Schade geschehen. It sie ok eine Tyd lank hierna, wenn de Floth angekamen, eine Stemme gehöret wurden, so jammerlik geropen: Dieke, Dieke, Dieke! (Renners Bremer Chronik, Handschr.)

c.

Südlich vom Kirchspiel Neuende lag ehemals das Kirchspiel Bant, das in der großen Wasserflut von 1511 von der Jade verschlungen ward. Der Kirchhof ist noch vorhanden und gehört mit zu dem Außengroden, der mit der südöstlichen Ecke des Kirchspiels Heppens an die Krone Preußen übergegangen ist. Bis vor nicht langer Zeit konnten Wanderer noch manchmal gespenstische Gestalten, so einen Mann mit einem Totenkopfe, auf dem Kirchhofe sitzen sehen. Als die große Flut den Kirchturm zu Bant umriß, versank eine der Glocken in den Kirchhof, und ihretwegen hat bis jetzt der Kirchhof den Angriffen der Sturmfluten widerstehen können. In der Christnacht, wenn alle Glocken die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus begrüßen, fängt auch die Glocke im Banter Kirchhof mit an zu läuten, und man kann sie an ihrem dumpfen hohlen Tone gleich von den anderen unterscheiden. Als das Banter Kirchspiel [401] eingegangen war, wurden die überlebenden Einwohner nach dem Kirchspiel Neuende eingepfarrt, und um für diesen Zuwachs Raum zu gewinnen, mußte der Kirche zu Neuende im Osten ein neues Ende angebaut werden. Daher haben auch Dorf und Kirchspiel Neuende, die bis dahin Insmerhave hießen, ihren jetzigen Namen empfangen. Andere sagen, das Dorf Insmerhave, von welchem das Kirchspiel ehedem seinen Namen trug, sei ein anderes gewesen als das jetzige Dorf Neuende und in der Wasserflut mit untergegangen. So habe denn das Kirchspiel keinen passenden Namen mehr gehabt. Weil nun aber das bisher südlichste Kirchspiel Bant mit untergegangen und so Neuende das südlichste, das Ende des Festlandes geworden sei, habe man es neues Ende genannt. – Von dem Untergange der sieben Kirchspiele Bordum, Oldebrügge, Havermönniken, Dauens, Bant, Seedyk und Ahne erzählt man dieselbe Veranlassung wie von dem Untergange der Herren vom Hohenweg: 34c.

d.

Im Kirchspiel Neuende war früher ein Bauernhaus, das alte Kreuzelwerk genannt. Vor einigen Jahren ist es weggerissen. In diesem Hause regierte der Teufel. Kein Gesinde, nicht der Bauer selbst oder seine Frau, getrauten sich, bei Nacht allein in die Scheune zu gehen. Bald wurde ein fürchterliches Kettengerassel gehört, bald ein starkes Gelaufe, ein Rumpeln von Wagen, mitunter sah man einen großen schwarzen Hund mit großen glühenden Augen, auch hat es zuweilen gewimmert und gestöhnt. Das Haus ist immer von Pächtern bewohnt gewesen, und die Furcht von einem auf den anderen übergegangen. An dem Hause vorbei ging ein Fußweg über einen sogenannten langen Warf mit großen Gräben an beiden Seiten und ebenfalls zwei Reihen sehr hoher alter Bäume an jeder Seite. Dieser Warf war früher sehr verrufen. Viele Leute wagten bei Nacht nicht hinüberzugehen und machten lieber einen weiten Umweg, denn es war dort voll von großen schwarzen Katzen, das sollten Hexen sein. Ein Schuhmacher ist mal des Nachts daher gekommen, der hat sich nicht helfen können, die Katzen, erzählte er, hätten rund um ihn herumgetanzt, daß er nicht aus der Stelle gekonnt. Er hat mit seinem Stocke dazwischen geschlagen, da hat er rechts und links eins an die Ohren gekrigt, daß er nicht hat hören und sehen können. Ein Knecht kommt mal des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr von seinem Mädchen und geht diesen Weg, da hat er sich [402] auch nicht helfen können vor den Katzen und schlägt darnach, da wird er bei den Ohren hoch aufgehoben in die Luft und etwa eine Viertelstunde davon niedergesetzt: da ist er des Morgens gefunden. – Einem Arbeiter ists noch schlimmer gegangen. Er war ein rechter Herkules, der sich vor nichts fürchtete, der hat erzählt und beteuert, er habe dasselbe zweimal durchmachen müssen. »Das erste Mal,« erzählte er, »wars nicht so arg. Es waren wohl zwanzig Katzen da und wollten mich nicht durchlassen, ich kam aber doch noch gut davon. Das zweite Mal aber waren wohl fünfzig da, es war ganz schwarz von Katzen, und mitunter lachten sie ganz wie Menschen, mir wurde angst und bange dabei. Ich hatte es schon oftmals gehört, daß es hier nicht richtig sei, aber ich habs nicht glauben wollen; nun sah ich es selbst. Zuletzt dachte ich: ›Du bist noch nie bange gewesen, du willst's auch jetzt nicht sein,‹ und machte vorwärts, hatte aber noch keine fünf Schritte tun können, da waren sie alle um mich herum. Ich schlug mit meinem Stock dazwischen, traf aber keine. Die Katzen aber sprangen mir mit einem furchtbaren Geschrei ins Gesicht und auf den Rücken und zerschlugen mich jämmerlich; Katzen können so nicht schlagen, das konnte ich wohl fühlen, das waren Hände. Und so oft ich auch schlug, ich traf keine. Endlich fing ich an erbärmlich zu rufen und zuletzt zu beten, da waren sie mit einem Male weg. Gesicht und Rücken waren mir aber grün und blau. Nicht um mein Leben geh ich da bei Nacht wieder hin.«

Die Wiederherstellung des Mariensiels nach der Flut von 1717: 151.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 594. Neuende. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2D44-9