362. Erntebräuche.

In Dreizehnlinden (VI. Lied) singt der Dichter Weber:
Auf dem Feld zu Bodingthorpe
War die Sichel längst verklungen,
Um den Rest der Haferwellen
Ward das Weidenband geschlungen.

Hierauf läßt Weber den alten Meier Isenhard zu den Knechten sagen:

Knechte, seid nicht allzu eifrig,
Jedes Hämlein einzuholen,
[125]
Laßt der Flur die letzte Garbe
Für des alten Wodans Fohlen.
Laßt dem Baum den letzten Apfel
Für den alten Wodan selber,
Voller trägt aufs Jahr der Wipfel,
Und der Weizen färbt sich gelber.
Aiga, rümpfe nicht das Näschen,
Löblich ist der Brauch der Alten,
Auf dem Hof zu Bodingthorpe
Soll man ihn in Ehren halten.

»Vor etwa 150-200 Jahren (berichtete ein alter Saterländer aus Scharrel) ließ man, wie mir mein Großonkel erzählte, beim Roggenmähen auf dem letzten Stück ein End stehen. Man mähte um denselben rundherum, sodaß das stehengebliebene Korn eine runde Fläche einnahm. Mitten hinein wurde ein Maibaum gestellt und um den Baum herum sang und jubelte man. Dies war das Erntefest, das wir später im Wirtshause feierten.« In dem alten Amte Löningen (Löningen, Lastrup, Essen, Lindern) herrscht der Brauch, daß beim Schlusse des Roggenmähens auf dem letzten Stücke eine Fläche etwa 1qm groß ungemäht bleibt. Dann holt man einen grünen Strauch, setzt ihn in die Mitte der noch stehenden Halme, flechtet letztere zu Strängen, verbindet diese mit den Enden des Strauches, verziert das Ganze mit Blumen und führt um dasselbe einen Reigen auf, wobei man ruft: Peterbult hoi! Unterdessen ist der Bauer mit einem Trunk gekommen, Schnitter und Binderinnen setzen sich nieder, trinken und jubeln, um nach einer Weile den Tanz um den Peterbult unter dem Rufen: Peterbult hoi! wieder aufzunehmen. Man nennt den mit Ähren und Blumen geschmückten Baum Peterbult und die Feier Peterbultfeier. Man findet diesen Brauch auch auf dem Hümmling. In Vrees bei Lindern stand bislang anstelle des grünen Strauches ein hoher Birkenbaum inmitten der Roggenhalme. Der verstorbene Pastor Dr. Wulf in Lastrup (Mittelpunkt des Peterbults) sah mit andern in der Peterbultfeier eine überlieferte Wodanverehrung. Er schreibt im 5. Heft des Berichtes über die Tätigkeit des Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde (1885): »In Lastrup lassen die Schnitter am Schluß des Mähens auf dem letzten Stück einen Büschel stehen, binden diesen an einen Stock oder Strauch, flechten Blumen hinein und rufen laut: [126] Peterbült he! Peterbült he! Auch schon vor dem Schluß des Mähens erschallt dieser Ruf. Jeder will zuerst die Arbeit beendet haben und so entsteht ein Wetteifer. Es soll auch vorkommen, daß die letzten geneckt werden. An dem Peterbult werden die letzten Bissen von Speis und Trank verzehrt und dabei gesungen (wahrscheinlich): Wode! Wode! Den Schluß des Mähens bezeichnen die Leute mit: ›Wi hebbt den Peterbult.‹ Noch vor etwa 25 Jahren nahm eine Dienstmagd aus Dwergte (Gem. Molbergen, liegt 2 Stunden von Lastrup) aus der ersten aufgenommenen (nicht gebundenen) Garbe eine Hand voll Halme, sie verstreuend sprach sie in feierlichem Tone: ›O Wode! O Wode!‹ Näher befragt war nichts weiter aus ihr herauszubringen, aber es ist später in Dwergte selbst nachgefragt, und da wurde gesagt, daß es dort ehemals Sitte gewesen, beim Beginn des Mähens zu singen:


O Wode! o Wode!
Hoal dinen Parden Foder,
Nu Distel und Dorn,
Ton andern Jaohr bäter Korn.«

Pastor Wulf glaubt deshalb, daß Peterbult aus Pär-Pärdebult entstanden, Peterbult also ein Bult (Haufen) Halme für die Pferde des Wodan bedeute. – Der Volksmund weiß zu erzählen: Als Jesus einst durch ein Ährenfeld ging, wollte er eine Ähre pflücken. Er faßte zufällig einen Halm mit tauben Ähren (damals trugen die Halme auch Ähren an den Knoten). Unwillig wollte der Heiland die Ähre von unten nach oben abstreifen. Da legte Petrus Fürbitte ein, der Herr möge die obere Ähre schonen. Jesus willfahrte der Bitte, und seitdem wird Petrus zu Dank und Ehre Peterbult gefeiert. – Es ist Sitte, daß dort, wo die Peterbultfeier herrscht, der Peterbult später mit untergepflügt wird. – Aus der friesischen Wede wird berichtet, wie es dort Sitte sei, die letzten Äpfel auf dem Baume beim Pflücken sitzen zu lassen (44), so habe früher der Brauch bestanden, die letzten Garben oder den letzten Hocken von Roggen, Hafer, Gerste auf dem Acker stehen zu lassen. Wären sie nicht bis zum Beginn des Pflügens vom Winde zerstreut worden oder sonst verkommen, so habe man sie mit untergepflügt. Jetzt bestehe der Brauch nicht mehr. In Märschendorf bei Lohne macht man beim Schluß des Roggenmähens eine dicke Garbe, setzt sie aufrecht hin, steckt oben einen Birken- oder Erlenbusch hinein und nennt das eine »Arnenmauer« [127] (Erntemoder, Roggenmoor oder -moder) setten. In Talge bei Badbergen an der oldenb. Grenze war es vor einigen Jahren noch Brauch, die letzte Garbe als »Erntemoor« zu bezeichnen. Die Binderin band diese Garbe so dick, daß sie allein stehen konnte, dabei mußte sie so gebunden werden, daß sie alle andern Garben überragte. Um diese Garbe setzten sich Erntearbeiter und tranken und sangen. Noch wissen alte Leute zu erzählen, daß auf dem Hümmling beim Schluß des Mähens die letzte Garbe verbrannt wurde, wobei man um die brennende Garbe tanzte. – In Bokelesch legt man auf dem letzten Ende des letzten zu mähenden Stückes eine Flasche in den Roggen. Mähend dort angelangt, mäht man rund herum und man sagt, man wolle denHasen aus dem Roggen jagen. Dieser Hase spielt mehrerenorts bei der Ernte eine nicht unwichtige Rolle. Im Amte Wildeshausen (Großenkneten) Amt Oldenburg usw. sagen die Schnitter zu ihrem jüngsten Kollegen, wenn die letzten Schnitte gemacht werden: »Junge, stell di hen un paß up, wenn de Hase herutkummt.« Im Kreise Berssenbrück hörte man früher beim Schneiden der letzten Halme eines Roggenstückes häufig sagen: »Kiek tau, woar he henlopt.« Ebenso gibt man im Kreise Lingen dem jungen Volke auf, acht zugeben, ob es aus dem Reste des Kornes etwa einen Hasen (Hahn, Bock) entweichen sehe, und mähet diesen Rest zu einer unförmlich dicken Garbe zusammen. Diese wird getrennt von den andern aufgestellt und mit grünen Zweigen geziert. Sie heißt »Beßmoor«, »Ole Wief«, »Träodelmooi«, Stoppelhahn (386). Hier wie im Kreise Berssenbrück ist der Hase die entweichende Roggenmoor (260) nach dem herrschenden Volksglauben. – Das Ammerland kennt keine bemerkenswerte Erntebräuche, auch die Marsch nicht. In Butjadingen, wo eine Ernte wie auf der Geest unbekannt ist, wird der letzte Erntewagen mit geschmückten Pferden nach Hause gebracht. Alle Schnitter und Binderinnen setzen sich oben auf die Frucht und singen während der Fahrt. Zu Hause gibts einen Trunk, und bei Musik und Tanz wird der Rest des Tages verbracht. Damit in der drocken Jahreszeit die Arbeit nicht unterbrochen wird, wählt man zum Einholen des letzten Erntewagens mit Vorliebe den Sonntag. Das Aufladen geschieht dann tags vorher und das Abladen tags nachher. Früher sollen auch hier besondere Erntegebräuche bestanden haben. – Fast überall im Lande besteht die Sitte, daß [128] beim Mähen des Roggens dem Bauer, wenn er zum ersten Mal bei den Schnittern erscheint, die Füße geputzt werden. In Campe (Altenoythe) und Umgend bindet man ihm mit einem Strohseil die Füße zusammen, die erst wieder gelöset werden, wenn er ein Geldstück zu einem Trunk ausgeworfen hat. – Im Amte Vechta und Amt Friesoythe betreiben die Erntearbeiter das »Hänsen«. Dem Knecht oder der Magd, die die Ernte auf dem Hofe noch nicht mitgemacht haben, also neueingetreten sind zu Allerheiligen oder Mai, wird bei Beginn im geheimen ein Kranz an die Sense bezw. Mattharke gebunden. Dieser Schmuck darf nicht entfernt werden. Beide müssen damit mähen oder binden, bis er von selbst herunterfällt. Die also Geehrten haben die Pflicht, die übrigen Schnitter und Binderinnen zu bewirten. In Steinfeld trifft das Hänsen auch die jüngsten Heuerleute. Die Binderinnen flechten einen Kranz, setzen denselben dem Neuling aufs Haupt und lassen ihn hochleben. Der Bekränzte läßt Bier, Schnaps, Likör holen, dann wird getrunken und auf das Wohl des Gekrönten angestoßen. Gewöhnlich geht die Feier vor sich am Abende nach Schluß der Tagesarbeit. In Campe bei Altenoythe setzen die Schnitter und Binderinnen mehrere Garben zu einem Haufen zusammen, dann fassen sich alle an die Hand und gehen im Kreise singend um den Garbenhaufen, zuletzt wird die jüngste Magd des Hofes, die nach der letzten Ernte eingetreten ist, von den Schnittern bei den Armen genommen und dreimal über den Garbenhausen gehoben. Für diese Ehrung muß sie die ganze Gesellschaft traktieren, und unter Gesang wird der dargebotene Trank verzehrt. Neuerdings soll das Hänsen auch im Saterlande aufgekommen sein, wo, wie schon zu Anfang bemerkt ist, die alte Peterbultfeier seit langem verschwunden ist. – Auf der Delmenhorster Geest kommt der Bauer mit seiner Frau an einem der Erntetage zum Lande. Dann muß er einmal herum mähen. Ist er fertig, werden der Frau mit einem Strohwisch die Füße geputzt, dann wird sie von zwei Arbeitern dreimal in die Höhe gehoben (»gehögt«), danach entfernt sich das Ehepaar, nachdem es ein Trinkgeld zurückgelassen, das noch selbigen Tages auf dem Acker vertrunken wird. (Der Baum, welcher beim Einfahren die Garben auf dem Wagen festhält, wird in der Marsch, Ammerland und Jeverland Bindelbom, Punterbom, auf der Delmenhorster Geest Winnelbom, im Amte Vechta Pullerbom, im Amte[129] Friesoythe und Fries. Wehde Pummelbom und im alten Amte Löningen Wäse- oder Wäselbom genannt. Wäsebom heißt es auch im Mecklenburgischen.) – Der Brauch, den Rest von Halmfrüchten bei der Ernte stehen zu lassen, zeigt sich auch bei der Obsternte. Nie darf man die Obstbäume ganz leeren, man muß einige Apfel oder Birnen sitzen lassen, sonst gibts im nächsten Jahre eine Mißernte (Vechta, Zetel, Ammerland)


Vgl. 44.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Zweiter Band. Zweites Buch. Vierter Abschnitt. B. Das Pflanzenreich. 362. Erntebräuche. 362. Erntebräuche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-23F8-7