440. Hochzeitsgebräuche.

Verläßt eine Braut am Hochzeitsmorgen das Elternhaus, um in das Haus ihres Mannes zu ziehen, so fassen die Angehörigen sie bei den [193] Armen und führen sie rücklings über die Tenne ins Freie. Vorher muß sie einen Blick in alle Gemächer, Stallungen usw. werfen, wobei der Vater, bezw. der Hausvorstand ihr die Worte zuruft: Kiek hier, kiek da, kiek immer man wär. Das Rücklingshinausführen soll bedeuten, die Tochter solle nicht fortan dem Hause den Rücken zuwenden, sondern nur oft wieder vorsprechen. Hat die Braut das Haus verlassen, so darf sie beim Fortgehen sich nicht umsehen; sieht sie sich um, so glaubt man, die Heirat werde nicht günstig ausfallen. Ebenfalls darf die Braut die Kleider nicht aufnehmen, mag der Weg auch noch so schlecht sein. Nimmt sie die Kleider auf, so schadet sie dadurch ihrem guten Rufe, sie verliert das Ansehen einer achtbaren Braut (Lindern). – Wird der Weg zur Kirche mit dem Wagen gemacht, einerlei ob Braut oder Bräutigam oder beide den Wagen benutzen, so darf der Wagen unterwegs nicht wenden. Erst dann, wenn die Brautleute bei der Kirche abgesetzt sind, darf er wenden. Bricht auf der Fahrt etwas am Wagen oder Geschirr, so daß das Gefährt halten muß, so ist das von übler Vorbedeutung. Vorgänge bei der Trauung: 15, 18, 51.

Im katholischen Münsterlande sind Haustrauungen unbekannt. Die Heirat erfolgt meist in der Frühe in der Kirche. Nur Leute aus dem Kirchdorf suchen bald nach der kirchlichen Feier das Hochzeitshaus auf, die entfernt wohnenden bleiben bis 12 Uhr bei Bekannten (wo sie Sonntags aus- und eingehen), damit die Köchinnen mit Muße die Tafel vorbereiten können. Zu Hause angekommen, geht das 116 und 118 Gesagte vor sich. (Ehedem wurde dem Paare von zwei Nachbarn, die sie vor der Einfahrtstüre empfangen hatten, eine eherne Schüssel überreicht (Amt Cloppenburg), die es über den Kopf hinter sich werfen mußte. Die Schüssel mußte kaput gehen beim Werfen, geschah dies nicht, so wurde das Zerbrechen von den Schützen oder Trauzeugen besorgt.) Nach diesen Zeremonien geht das Paar in das Haus und zum Herdfeuer, wo die Eltern sie erwarten, der jungen Frau den hölzernen Schleif (Schöpflöffel) übergeben und darauf die Getrauten dreimal um das Feuer geleiten. Sind die Eltern tot und eine Köchin besorgt das Hauswesen, dann übergibt diese den zuweilen mit einer roten Schleife versehenen Schleif der jungen Frau, wofür diese einen Taler Trinkgeld spendet. Nach dem Rundgang setzen sich die Brautleute im Hochzeitsanzuge vor das Feuer, [194] ein Glas Wein wird ihnen gereicht, und danach beginnt die Tafel. Diese besteht nach altem Herkommen in der Hauptsache aus Hühnersuppe, dickem Reis und dicken Erbsen mit gekochtem Schinken. Die Hühner sind nicht zerlegt, sondern in jeder Suppenkumme schwimmt ein ganzes Huhn, das von einem der Gäste geteilt werden muß. Das Huhn vor dem jungen Paare ist mit einer Hochzeitsblume geschmückt. Der Bräutigam zerschneidet es, teilt seiner Braut davon mit und läßt darauf die ihm zunächst Sitzenden zugreifen. Kommt das Erbsengericht auf den Tisch, dann prangt vor dem Brautpaare ein ganzer Schinken mit einer Blume. Dieser Schinken darf nicht angeschnitten werden, er bleibt unverletzt auf dem Tische zum Zeichen, daß die Neugetrauten ihr Leben lang Schinken essen sollen. Um 4 Uhr nachmittags ist Kaffee, vor Bräutigam und Braut steht die mit einer Blume gezierte Hochzeitsbutter. Auch diese darf nicht angeschnitten werden. Später kommt der Tanz, damit wird der Tag beschlossen. Beim Essen und Tanz muß außerhalb des Hauses fleißiges Schießen den Lärm der Lustbarkeiten erhöhen (Amt Cloppenburg). – Überall wird am Tage vor der Hochzeit die Mitgift an Möbeln, Hausgeräten usw. per Wagen abgeholt und dahin gebracht, wo das Paar wohnen wird. Vor Zeiten war es Brauch, daß zwei Nachbarn des Hauses, woraus die Mitgift kam, sich auf den Hochzeitswagen stellten und laut fragten: »Was willst du deinem Sohne (oder deiner Tochter) mitgeben?« Die Antwort lautete: »Alles was ihr wollet.« Darauf ging das Fordern los: Her mit Bett, worauf kann schlafen Mann und Frau, Weib und Kind! Her mit Weil, damit sie können tragen Socken und Strümpfe! Her mit Gaffeln, damit sie den Wiemen plündern können! Her mit Besen, damit sie die Bösen aus dem Hause fegen! Endlich: Her mit dem Faß Schnaps, damit sie verjagen können Kummer und Durst. War alles verpackt, dann wurden die Pferde mit Blumen und Bändern geschmückt, der Kutscher erhielt eine weiße Mütze und ein Taschentuch. Die Mädchen nahmen auf dem Wagen Platz und unter dem Gesang »So leben wir usw.« ging die Fahrt vor sich. Am Ziele angekommen flog der Wagen durch die geöffnete Einfahrtstüre ins Haus bis vor das Feuer. O weh! wenn unterwegs etwas verloren gegangen war, namentlich ein Kissen oder ein Stück vom Spinnrocken, das war von übler Vorbedeutung (Amt Cloppenburg). – Wohl überall im Lande treibt man bei Hochzeiten [195] das Schatten. Fährt der Hochzeitswagen mit dem jungen Paare nach Hause, so kann er zu öftern Malen den Weg durch ein Seil versperrt finden, das junge Leute oder solche, die am Wege wohnen, über die Straße gespannt haben. Die Weiterfahrt wird erst gestattet, wenn an die Schatter ein Trinkgeld verabreicht ist. Die Sitte ist uralt. 1703 wird für Bakum verordnet: »Das schatten ist gäntzlich abzuschaffen, sonst sollen sie am Pfahl oder im Ambthause zu Vechta vel citadella comedere panem et aquam, oder qui schattet, soll 25 Pfund, qui aliquid dat schattegeld, 12 Pfund Wachs geben.« Das Volk nennt die Staatssteuer Schatt (»Schatt betalen«) = Schatzung. Sollte daher das Wort Schatten kommen, da es sich um die Erhebung eines Trinkgeldes handelt?

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Zweiter Band. Zweites Buch. Fünfter Abschnitt. B. Das Leben des Menschen. 440. Hochzeitsgebräuche. 440. Hochzeitsgebräuche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-23F5-D