253.

Der Volksglaube befaßt sich auch mit der Verwandlung von Menschen in Wölfe. Darin finden sich Züge der Sage vom altheidnischen Werwolf (Fenrir). Zauberer und Hexen, die sich in Werwölfe verwandeln, bedienen sich dazu eine Gürtels, den sie vom Teufel erhalten haben. Der Werwolf unterscheidet sich vom natürlichen Wolf durch eine plumpe breite Gestalt. Oft erscheint er auch in der Gestalt eines Hammels. Er hat gewöhnlich ein bestimmtes Revier (enge Gassen, einsame Wege) und kann über eine bestimmte Grenze z.B. Kreuzweg nicht hinaus. Der Werwolf springt den Leuten auf den Rücken, schlingt seine Pfoten um ihren Hals; die Angefallenen sehen beim Zurseiteblicken seinen Kopf, fühlen seinen Atem. Sie laufen erschreckt davon, aber die Last auf dem Rücken wird mit jedem Schritte schwerer, bis sie schließlich zusammenbrechen oder an einem Kreuzweg der Unhold von ihnen abläßt. In Schweiß gebadet kommen die Menschen zu Hause an. In der Eifel sagt man, wer beherzt den Wolf verwunde, so daß Blut fließe, löse den Bann, der dem Menschen durch Anlegung des Teufelsgürtels die Wolfsgestalt gab, und das entzauberte Messer läge vor ihm. In der Wetterau muß der Angefallene ein Messer, auf dem drei Kreuze eingeritzt sind, über den Kopf werfen und beten: Das Blut Jesu Christi macht uns rein von Sünden, und sofort ist der Spuk vorbei. Der Werwolf stielt auch gern den Leuten, die draußen arbeiten, das Essen, nimmts ihnen auch wohl mit Gewalt ab. Andere stellen ihn als ein Ungetüm hin, das alles zerreißt und frißt, was ihm in den Weg kommt. Unter sieben Söhnen eines Ehepaares, heißt es im Jeverland, befindet sich stets ein Werwolf, wie unter sieben Töchtern eine Walriderske. Im Saterlande gebraucht man den Werwolf zum Einschüchtern der Kinder, namentlich, um sie von Roggenfeldern abzuhalten. Hier vertritt der Werwolf die Stelle der Roggemoor oder Roggenmoder (mutter). Vgl. 260.

Ein Schäfer hütete in Beeken Heidkamp in Bösel die Schafe. Plötzlich springt ihm was auf den Rücken. Er blickt [480] zur Seite und sieht, wie ein gehörntes schwarzes Untier ihm über die Schultern schaut. Das Wesen ist so schwer, daß er von demselben fast zu Boden gedrückt wird, und ihm der Atem ausgeht. Er fängt an zu beten und ihm wird wieder leicht, der Spuk ist verschwunden. Als er später nach Hause kommt, ist er naß von Schweiß infolge der ausgestandenen Angst und Aufregung. – Hier haben wir das gewöhnliche Auftreten des Werwolfs. Von Schafböcken weiß man, daß sie in der Brunftzeit Menschen anfallen, auf sie zuspringen. Geschieht dies im Finstern oder in Augenblicken, in welchen jemand arglos seines Weges dahin wandert, dann ist leicht eine Werwolfgeschichte erfunden.

a.

Einst waren in einem Bauernhause nicht weit von Vechta zwei Handwerksburschen eingekehrt. Die Bauernfrau sagte ihnen, sie wolle sie gern aufnehmen, aber ihr Mann sei ein Werwolf; wenn der nach Hause komme, werde er sie beide auffressen. Die Handwerksburschen meinten aber, darauf wollten sie's wohl ankommen lassen, und ließen sich kaum bewegen, sich wenigstens zu verstecken und unter eine Bettstelle zu kriechen. Als nun der Mann nach Hause kam, sprach er, indem er mit der Nase schnüffelte: »Ich riech, ich rieche.« »Was riechst du denn?« fragte die Frau. »Ich riech, ich rieche Menschenfleisch«, erwiederte er. »Ach was«, sagte die Frau und suchte es ihrem Manne auszureden. Aber der Mann schnüffelte und schnüffelte, und es dauerte nicht lange, so fand er die beiden Handwerksburschen und fraß sie auf.

b.

Drei junge Männer waren in Ostfriesland beim Mähen beschäftigt. Während der Zeit der Mittagsruhe legte der eine sich hin und schlief, der zweite tat, als ob er schlafe, und der dritte, als er seine Kameraden schlafend glaubte, legte einen Gürtel um, wurde ein Wolf, fraß in der benachbarten Weide ein Füllen auf und kehrte dann, nachdem er seinen Gürtel abgelegt, als Mensch zurück. Als sie nun abends zusammen nach Hause gingen, klagte der Werwolf über großen Hunger. »Was?« sagte der Begleiter, der ihn um Mittag beobachtet hatte, »du hast erst ein ganzes Füllen gefressen, und bist schon wieder hungrig?« »Das hättest du mir eher sagen sollen,« erwiderte der Werwolf, »dann hätte ich es dir grade so gemacht.« (Saterld.)

c.

Zu Winkel, Ksp. Apen, waren einmal der große und der kleine Knecht in den Wösten, einer Wiesenfläche, beim [481] Grasmähen. Des Mittags bekamen sie nicht ordentlich was zu essen, aber sie legten sich doch hin zu schlafen. Der kleine Knecht konnte nicht recht schlafen, aber er lag ganz ruhig, um den großen nicht zu stören. Als er eine zeitlang gelegen hatte, merkte er, daß der große Knecht aufstand. Er guckte durch die Finger und sah, daß der große Knecht einen Riemen aus der Tasche zog und sich um den Leib schnürte, und nun war er auf einmal ein Werwolf. Er lief nach Wehljes Ihlen (einer Wiese mit einem keinen Busche), fing sich ein Füllen und fraß es auf. Dann kam er zurück und band seinen Gürtel wieder ab. So legte er sich wieder hin und schlief und schnarchte ganz fürchterlich. Der kleine Knecht hatte das alles wohl gesehen, ließ sich aber nichts merken. Nachmittags aber klagte der große Knecht über Leibschmerzen, und da sagte der kleine Knecht: »Das gibt mir kein Wunder; du solltest das Füllen aus dem Leibe gelassen haben.« Als der große Knecht das hörte, zog er schnell seinen Riemen aus der Tasche, schnallte ihn um und lief als Wolf nach dem Ihoester Busche davon, hat sich auch nicht wieder sehen lassen.

d.

Die folgende Erzählung ist zwar anscheinend ein Märchen, beruht aber auf einem Aberglauben, der mit dem Werwolfsglauben verwandt ist: Es war einmal ein wohlhabender Mann, der nahm sich eine Frau. Er war schon ziemlich alt und hoffte von ihr freundliche und aufmerksame Pflege zu genießen; dafür sollte ihr aber auch nichts abgehen, und sie sollte es gut haben bei ihm. Bald aber sah er, daß er sich getäuscht habe, denn seine Frau behandelte ihn nicht mit Liebe, war nicht heiter, und wenn sie beim Essen waren, so hatte sie keinen Appetit, sondern ließ ihn stets allein essen; und das verdroß ihn am meisten, weil er immer gedacht, sie solle es gut bei ihm haben. Endlich bemerkte er, daß sie ihn immer des Nachts verließ, wenn es zwölf Uhr war. Da paßte er einmal auf und schlich ihr nach und sah, wie sie im weißen Gewande über die Mauer des Kirchhofs kletterte und sich bei den Gräbern zu tun machte, und es sah gerade so aus, als wenn sie die Knochen aus den Gräbern benagte. Bestürzt ging der Mann nach Hause, denn er erkannte, daß seine Frau kein gewöhnlicher Mensch sei, legte sich jedoch ruhig zu Bette und erwartete die Rückkehr seiner Frau. Um ein Uhr kam sie nach Hause und legte sich wieder zu Bette, und der Mann stellte sich, als schlafe er. Des andern [482] Tages, als der Mann beim Mittagessen saß, setzte sie sich neben ihn in das Sopha, wollte aber nicht essen. »Liebe Frau,« sagte er, »wie kommt es doch einmal, daß du nicht mit mir essen willst? Schmecken dir denn wirklich die Knochen, die du auf dem Kirchhofe benagst, besser als mein Essen?« Da wurde die Frau sehr böse, nahm die Reitpeitsche ihres Mannes von der Wand, verwandelte ihn in einen Hund und schlug ihn so lange, daß er an den Wänden hinaufsprang und vor Angst nicht wußte, wohin er sollte, bis er endlich aus einer Tür entkam; doch klemmte sie ihn noch mit der Tür den Schwanz ab, so daß er in großen Schmerzen davon lief. Lange irrte er in seiner neuen Gestalt herum, ohne daß er Obdach hatte, bis er endlich von einem Schlächter aufgenommen wurde. Bei dem hatte er es gut, aber der Schlächter merkte auch bald, daß es mehr als ein gewöhnlicher Hund sei, denn dafür war er zu klug; er kannte sogar die Geldmünzen auseinander und zeigte in allen Dingen Menschenverstand. Sein Herr liebte ihn aber sehr.

Einst kam eine alte Frau in den Laden, um Fleisch zu kaufen, und als sie das Geld hingezählt hatte, rief der Schlächter den Hund, damit er es nachsehe. Der fand ein falsches Stück darunter und schob es zur Seite. Da verwunderte sich die Frau und fragte weiter nach, und der Schlächter erzählte ihr, wie er zu dem Hunde gekommen, und wie klug derselbe sei. Die Frau aber sagte, er möge am andern Morgen mit dem Hunde zu ihr kommen; wenn derselbe etwa verwünscht sei, wolle sie ihm seine rechte Gestalt wieder geben. Der Schlächter tat das, und der Mann erhielt seine wahre Menschengestalt wieder. Sobald der Mann sah, daß er entzaubert war, lief er voller Wut nach Hause, um sich an seiner Frau zu rächen, und ließ sie verwünschen in ein Reitpferd. Dann setzte er sich darauf und spornte sie und quälte sie nach seinem Gefallen, daß ihr das Blut vom Leibe rann und sie am ganzen Leibe zitterte. Dies sah ein Bedienter des Königs, und die unmenschliche Behandlung des Pferdes dauerte ihn so, daß er dem Manne nachging bis an sein Haus, um zu sehen, wo er bleibe, und es dann dem König klagte. Dieser ließ den Mann zu sich kommen und tadelte ihn wegen seiner Unbarmherzigkeit, worauf der Mann erzählte, wie es ihm ergangen sei, und daß er sich rächen müsse. Aber der König sagte: »Quäle sie künftig nicht [483] mehr, denn es ist schon Rache genug, wenn sie ihr Leben lang als Pferd herumlaufen muß.«


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 253. [Der Volksglaube befaßt sich auch mit der Verwandlung von Menschen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-236A-5