95. Die Westhunnen

1793.


Bei meiner Mutter Asche, das duld' ich nicht!
Ihr sollt nicht Franken nennen der Völker und
Der Zeiten Abschaum! nennt Westhunnen,
Dann noch beschönigend, ihre Horden,
[172]
Und ihre Millionen daheim; ich späh'
Umsonst nach Namen ihr Pandämonium
Zu nennen, wo der Frevler Rotte
Herrschet und kreucht, und vor Buben zittert,
Des Ew'gen höhnend! Tief aus des Lasters und
Der Läst'rung Hefen schöpften die Wütenden
Den langgemischten Trank, und reichten
Taumel und Tollheit dem eitlen Volke,
Das reif dem Fluche war! und Europa sah
Es saufen! und – o Schmach! – es gelüstete
Des Tranks auch Deutsche! Seine Düfte
Dunsten umher wie des Sumpfes Pesthauch.
Wer dieses Duftes sog, es erscheinet flugs
Das Schwarze weiß ihm! Tugend, Erbarmen sind
Ihm Namen; Eide, Schaum der Woge;
Lästerung Witz, und nur Unsinn Weisheit.
Des Ernstes Freunden, Freunden der Wahrheit und
Der wahren Freude, war seit Jahrhunderten
Das eitle Volk und seine Babel
Warnender Rüg' und des Mitleids Vorwurf.
Wie hat die zarte Lüstlin sich schamlos nun
Hoch aufgeschürzet! Triefet von Blut! auch noch
Bewundert? Nicht allein der Unzucht,
Feil auch dem Raube, des Mords Gespielin!
Mit trunknem Wahnsinn stimmt sie ein Liedchen an,
Und Millionen stimmen ins Liedchen ein,
Und wo es tönt, da sucht vergebens
Rettung die Unschuld mit wunder Sohle;
Denn Wut hat Flügel! War der Gesalbte nicht
Ihr fast entronnen? Dennoch ergriff auch ihn
Des Frevels Hand! sie, welche Gottes
Priester am Fuß des Altares würgte!
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Dein hätten Kannibalen, o Ludewig,
Geschonet! Dreimal huldigte Frankreich dir;
Dreimal meineidig, löscht es heißen
Durst nach dem Frevel im Blut der Unschuld.
Nun freue deiner Freiheit, du Sklavin, dich!
Wenn dich beim Schlangenhaare der Scherge faßt,
Dann kniee vor der Freiheitsgöttin,
Die dir in Marmor entgegenstarret.
Und wenn die blasse Wut der Verzweifelung
Der ersten Hölle glimmende Asche dir
Im Herzen aufhaucht, wenn des Lebens
Elend auf ewigen Jammer deutet;
Geh zum entweihten Tempel, und stürze dann
In blut'gen Staub – du nanntest Vernunft sie – stürz'
In Staub dich vor der nackten Hure,
Daß sie dir nun und im Tode helfe! –
O Frankreich, ich bin Vater! doch fluch' ich nicht,
Wiewohl du brütest über der Zukunft Pest;
Mein Herr und Gott, Er, den du lästerst,
Lehrete segnen mich, nicht mich fluchen.
Laß siebenfält'gen Jammer dich bändigen,
Und hüll' in Sack und Asche dich! ob vielleicht –
Die Rosse brausen schon und stampfen –
Rückwärts sich wende der Rache Wagen!

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu. Gedichte. Gedichte. 95. Die Westhunnen. 95. Die Westhunnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1AAA-2