85. Winterlied

1786.


Da laurt er hinter
Dem Boreas,
Der alte Winter,
Und dörrt das Gras;
Hat mir verhunzet
Des Gartens Zier,
Und knurrt und grunzet
Vor meiner Thür.
Er steht und rüttelt
Bei Nacht und Tag
Am Baum, und schüttelt
Die Eulen wach.
[152]
Da grinzt und schnaubet
Das Ungetüm
Im Wald, und raubet
Mit Ungestüm.
Die Füchse gellen
Vor seinem Zorn;
Bis zu den Quellen
Erstarrt der Vorn.
Er treibt die Rinder
Mir in den Stall,
Und kneipt die Kinder,
Wie Rübezahl.
Er thut nicht fremde
Vor Mann und Frau;
Im weißen Hemde
Steht er zur Schau:
Er steht, und rupfet
Am weichen Saum
Der Wolk', und zupfet
Den weißen Flaum;
Und bettet frühe
Wohl ohne Zelt,
Und sonder Mühe,
Auf hartem Feld;
Auch schnarcht und stöhnet
Er manche Nacht
Im See, und dehnet
Sich, daß es kracht.
Er äfft possierlich
Dem Frühling nach,
Und kritzelt zierlich,
Im Schlafgemach,
Vor meinem Fenster,
So Blum' als Wald;
Doch wie Gespenster
Zerrinnt es bald.
[153]
Auch an den Bäumen
Weiß er gar fein
Mit Reis zu säumen
Die Zweigelein.
Er übt am Himmel
Auch seine Kunst;
Malt Schlachtgewimmel
Aus hellem Dunst.
Und Schwerter zischen
In heller Nacht;
Und Riesen mischen
Sich in der Schlacht.
Der Landmann zittert
Beim Ebentheu'r;
Der Küster wittert
Des Krieges Feu'r.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu. Gedichte. Gedichte. 85. Winterlied. 85. Winterlied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1A22-3