[348] [358]Elegie

1819.


Sträubend ergreif ich die stumme, verwais'te, die trauerumhüllte
Zwillings-Leyer, die ach, ihre Genossinn verlor!
Ihre hohe Schwester, der nun sich die Irrdische schmachtend
Nachsehnt, lauschend umsonst ihrem vertrauten Getön.
Jüngst noch klangen die Saiten in zauberndem Silbergelispel,
Wallend umsäuselten rings heilige Schauer ihr Spiel;
Stunde der Weihe, du warst es! der himmlischen Weihe, da scholl der
Feier-Hymnus im Schwung, den die Begeistrung gebot,
Sie nicht die Häusliche! Töchter aus Eden hatten gegürtet
Sich mit dem Bogen des Bunds, strahlend die Heitre durchschwebt;
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Ihnen, aus fliegenden Locken, von schimmernden Fittigen, trof der
Heimath balsamischer Thau, hauchte der Lauben Gedüft.
Kundig wallte der Seher entgegen der hohen Entzückung,
Und zu der Sphären Tanz schwang der Gesang sich empor.
Sehnsucht athmeten ein Ihm der Himmlischen weihende Chöre,
Sehnsucht entflammte die Brust, strömte die Saiten hinab.
Anklang des Sions-Halleluja flüsterte fernher,
Und in des Aufflugs Durst sang Er denSchwanengesang,
Seinen Schwanengesang! In Jugendfülle des Geistes,
Fern von der Erde Staub, kreisend in tönendem Flug. –
Ach, es ist uns entschwunden der Herrliche! Flammen der Inbrunst
Hatten das irrdische Band, öffnend den Kerker, verzehrt.
Bruder, Du starbst den Tod des Gerechten! – Dir, eh' erlosch das
Aug', aus der Höh' erschien tagend des Aufganges Glanz;
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Dir gesandt vom Allbarmherzigen, daß zu des Lenzes
Morgen Dir würde die Nacht jenes umschatteten Thals.
Jammernde Klage verstumm'! – Ich liebt', o liebte wie viel mehr
Als mein eigenes Selbst – Bruder, Du weißt es ja! – Dich.
Dennoch thäten sich auf vor meiner Stimme die Gräber,
Wahrlich, ich hielte den Ruf, der Dich erflehte, zurück!
Deines Himmels erfreu' ich mit reiner Liebe mich, Deines –
Heiliger Sehnsucht Lohn! – Schöpfens und Sonnens, o dort,
Dort aus dem Urquell, dort an dem Urstrahl ewiger Liebe,
Deren Abglanz schon hier Odem des Lebens Dir war! –
Ach, Sein Odem! – Nun athmet aus bebender Lipp' er in süßer
Stunde des Wiedersehns, mir an der Wange nicht mehr!
Einsam ist's und öde dem Schmachtenden! – Hüter, o sag' ob
Schier sich neige die Nacht, dämm're die Scheitel des Bergs? –
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Herr, Dein Wille gescheh'! Es leuchte mir früher, mir später,
Jenes Wiedersehns, Deiner Erbarmungen, Tag!
Wenn es genannt darf werden ein Wiedersehn, wenn in Seiner
Herrlichkeit dort ich Ihn staunend erblick' und entzückt.
Mildr', o mildere, Bruder, den Strahl, wenn im Tode mein Auge
Bricht, wenn der Liebe Drang Dich zu dem Sterbenden zieht,
Dann, o Bote des Himmels, den Strahl! daß wiedererkenne
Dich im Erscheinenden, Dich segne mein Erstlings-Gefühl!
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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Christian Graf zu. Gedichte. Gedichte. Elegie [2]. Elegie [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-19F0-A