Traumland

[185] An die Schönheit

So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder die vom Sonnenleuchten trunken
ein Lächeln um den Mund voll süßem Bangen
und ganz im Strudel goldnen Lichts versunken
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken
kühl schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter die von Dunkel triefen
und ihre Hände tasten voll Verlangen
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel
das hinter roten Wäldern hingegangen – –
ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

[185] Aus der Dämmerung

In Kapellen mit schrägen Gewölben zerfallnen Verließen
und Scheiben flammrot wie Mohn und wie Perlen grün
und Marmoraltären über verwitterten Fliesen
sah ich die Nächte wie goldne Gewässer verblühn:
der schlaffe Rauch zerstäubt aus geschwungnen Fialen
hing noch wie Nebel schwankend in starrender Luft
auf Scharlachgewirken die bernsteinschillernden Schalen
schwammen wie Meergrundwunder im bläulichen Duft.
In dämmrigen Nischen die alten süßen Madonnen
lächelten müd und wonnig aus goldrundem Schein.
Rieselnde Träume hielten mich rankend umsponnen
säuselnde Lieder sangen mich selig ein.
Des wirbelnden Frühlings leise girrendes Locken
der Sommernächte Duftrausch weckte mich nicht:
Blaß aus Fernen läuteten weiße Glocken ...
Grün aus Kuppeln sickerte goldiges Licht ...

[186] Stille Stunde

Schwer glitt der Kahn. Die Silberweiden hingen
schauernd zur Flut. Und bebend glitt der Kahn.
Und deine Worte fremd und klanglos fielen
wie blasse Mandelblüten leicht und leuchtend
zum Fluß aus dessen schwankem Grunde spiegelnd
die hellen Wiesen lockten und der Himmel
und allen Lebens traumhaft Bild indes
vom flirrenden Geäst durchsungner Kronen
der Abend in Rubinenfeuern sprühend
sich golden in die lauen Wolken schwang.
Und deine Worte sanken mit dem Rauschen
erglühter Wasser und dem süßen Takt
tropfender Ruder fremd und schwer zusammen
in eine dunkle Weise hingeschleift
vom matten Licht der Dämmerung die schon feucht
die Wiesen überrann ein Kinderlied
aus Spiel und Traum gefügt das weich wie Flaum
blaßroter Wölkchen durch den bebenden Glanz
der Wasser ging und still im Abend losch.

[187] Abendleuchten

Wie die Hand einer Geliebten ist dein Licht
wenn du über schwanke Brücken schreitest
leicht gewölbt aus bebendem Kristall.
Sprühend schleift des Kleides goldner Saum
über Ackerfurchen über Wälder
webt im Gleiten über wirre
grüne moosumtropfte stille Weiher
zarte Maschen drängt und schäumt
über alle dunklen Dolden
alle großen weißen Glocken
schwanken bis zum Rand gefüllt im roten Duft.
Und die zitternden gleitenden Weiden hängen
schwer im Glanz und durch die Lindenkronen
sickert flirrend dünner güldner Regen.
Wie die Hand einer Geliebten ist dein Licht
wenn die Gassen seltsam stehn und schauern
zwischen Glut und Schatten. In den Fenstern
schwebt dein irrer Schein. Aus Kuppeln
alter Kirchen strömt er nieder aus dem Singen
enggeschmiegter Mädchen die in Reihen
dämmrig weite Abendstraßen hingehn in den Augen
Märchenleuchten leise singend hingehn
wo im fernen Tal der blasse Strom
wie mit schwerem Gold beladen rinnt und glüht.

[188] Sonnwendabend

Die Sträucher ducken fiebernd sich zusammen
im Rieseln brauner Schleier und im Schwanken
nachtbleicher Falter um erglühte Ranken.
Nun schüren wir das falbe Laub zu Flammen
und feiern wiegend in verlornen Tänzen
und Liedern die im lauen Duft verfluten
den flüchtigen Rausch der sommerlichen Gluten
und Mädchen weich das Haar genetzt mit Kränzen
und strahlend bleich im schwebenden Gefunkel
streun brennend dunklen Mohn und blasse Nelken.
Und bebend fühlen wir den Abend welken.
Und wilder glühn die Feuer in das Dunkel.

[189] Herbstgang

Und strahlend unter goldnem Baldachin
um starre Wipfel funkelnd hingebreitet
und Kronen tragend gehn wir hin
und flüsternd gleitet
dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.
Aus wilden schwanken lachenden Girlanden
rieselt's wie goldner Staub
und webt sich fließend ein in den Gewanden
und heftet wie Juwelen schwer
sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt
in grellen Wirbeln vor uns her
und sinkt aufstiebend in das wirre Meer
kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt
wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...
Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.
Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.
Ein feiner dünner Nebel staut
und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser
und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.
Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser
und atmend steigen wir auf steilen Stufen.
Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.
Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.
Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.
Und dunkel trägt uns schon der große Traum.

[190] Träume

Träume der blassen und umglühten Stunden
sinkt wieder ihr in lindem Abendwehn
aus goldgenetzter Wolken dunklem Schoß
wie Sommerregen duftend auf mein Land?
Ihr locktet früh das Kind zu Zaubergärten
verwunschnen Schlössern stillen grünen Seen
und brauner Wurzel quoll aus trübem Schacht
gehöhlter Felsen unermeßnes Gold.
Dann gingt ihr hin und euer leichtes Bild
zerfloß und zitterte nur traumhaft fern
wie leuchtend durch die Nächte warmer Schein
in dämmerweichen Sommerlüften hängt.
Nun tönt mir eure Stimme süß vertraut
wie einem Kind das sich im Wald verlor
der Glocken Läuten still vom Abendwind
durch welken Glanz der Tale hingeweht.

[191] Vor Sonnenaufgang

Die frühen Stunden wenn die Purpurnebel
der vollen Sternennächte weich verströmen
hinsickern in den goldig matten Schein
der wie ein Meer aufflutet ... rings die Schatten
der Häuser wachsen riesig wie Gespenster
ins graue Licht und alles liegt und lauscht
und zittert. Und die Brunnen rauschen so.
Frühvögel steigen schrill von feuchten Hecken
ins flaumige Gewölk. Und in den Ästen
raschelt der Wind und traumhaft liegt das Land
und wie erstarrt indes der halbe Mond
aus mattem Reigen morgenblasser Sterne
wie eine Fackel durch die Nebel dampft ...
Die großen Stunden wenn die Sehnsucht mir
die vollen Schalen bunter Träume leicht
ausgießt wie einer Gold- und Perlenschmuck
hinschüttet und ich nur die zitternden Hände
im großen Hort verwühle und den Glanz
den ungeheuren Glanz mit heißen Augen
einschlürfe wie in jäher Trunkenheit ...
und weiß: Was da vor mir im blassen Licht
der Frühe seltsam schillert ist ein Schatz
ein ganzes Leben voller dunkler Wunder
glühend wie Sonne lösend wie die Nacht
und schwer und bebend wie die frühen Stunden
so zwischen Nacht und Dämmer Tag und Traum.

[192] Wanderung

(Nach Henri de Régnier)


Der Weg war weit. Hindämmernd sank die Nacht
und blasser wurden meine Morgenträume:
Da hast du mich zum fernen Schloß gebracht
das zaubrisch schläft inmitten dunkler Bäume
im wunderlichen Licht des Monds der einsam trauert
auf alten müden Gärten wo aus Zweigen
von Blütenbüschen glockenglanzumschauert
Pagodenprunk und Vogeltempel steigen.
Die glänzgen Purpurvögel deckt ein tiefer Traum
die goldnen Fische schatten in den Becken kaum
die Brunnen sterben rieselnd in den Finsternissen.
Der Moosgrund schauert wenn dein Kleid darüber fegt
und meine Hände hast in deine süßen Hände du gelegt
die um verborgner Schlösser tiefen Zauber wissen.

[193] Vom Gral

Nun schreiten wir in Abends leisem Leuchten
den Wiesenhang von Blumengold umschüttet
den Schatten zu die von erloschnen Hügeln
hinsinken über das entflammte Tal.
Uns ward die Mär von fernen Tempels Zinnen:
Gold sind die Türme silbern strahlt das Tor
weiß schimmern seine Alabastersäulen
aus schwarzem Lorbeer vor und Rosenbüschen.
Im Glühen und Verrieseln dunkler Dolden
bebt zag der Schritt durch die verwunschnen Beete
der Stufen Glanz von rotem Licht umflattert
wo tief in klingender Gewölbe Schauern
von Purpurnacht der Decken überströmt
auf runder Schale schläft der heilige Kelch.
Schon tropft das Dunkel über uns wie Tau.
Wann rinnt es golden durch umflorte Wipfel?
Wann lockt durch schwüle Stille süßer Ton?

[194] Einem Mädchen

Du über deren Lippen leis in linden
Frühsommernächten trunkne Worte schweben:
Nun will ich deinen jungen Leib umwinden
und deiner Seele süße Last entbinden
und aller Träume wundervolles Weben
in Märchenaugen rätselhaft gespiegelt
wie Lilien sich zu dunklen Wassern neigen –
Schon fühl ich schwankend in gelöstem Reigen
aus Purpurschächten zauberkühn entriegelt
ein Fremdes Ahnungsvolles wirkend steigen –
Schon trägt vom jungen Morgenwind gezogen
das goldne Schiff uns auf geklärten Wellen
zu neuem Meer. Schon sehen wir im hellen
Dunstflor der Fernen weiß vom Gischt umflogen
die blauen Inselkuppen ladend schwellen
gestreift von früher Sonne scheuem Schein
in warmem Kranz die sanften grünen Buchten –
Schon steigen wir durch Tal und feuchte Schluchten
und schauen strahlend über schwarzem Hain
die Wundergärten die wir sehnend suchten –
und betten uns in goldne Blüten ein.

[195] Der gelbe Mond

(Nach Henri de Régnier)


Der lange Tag erlosch im gelben Leuchten
des Monds der weich sich zwischen Pappeln hebt
indes der Hauch des Weihers der im feuchten
Schilfröhricht schläft duftend im Dämmer schwebt.
Ahnten wir wohl als wir im Sonnenbrand
auf heißem Feld und scharfen Stoppeln schritten
als unsrer Füße Spur im dürren Sand
sich purpurn malte wie von blutigen Tritten
ahnten wir als der Liebe Flammen rot
in unsern gramzerwühlten Herzen glühten
ahnten wir als die heiße Glut verloht
daß ihre Asche unsern Abend sollt' behüten
und daß der herbe Tag sterbend in Duft gehüllt
vom Hauch des Weihers der im feuchten
Schilfröhricht schläft hinlösche in das gelbe Leuchten
des Monds der zwischen Pappeln steigt
und still sich füllt?

[196] Dunkle Fahrt

Die alten Brunnen rauschten wie im Traum
durch fernen Hall vertrauter Abendglocken
und flossen weich ins Dunkel das den Duft
nachtschwüler Gärten die ich spät durchwandert
still atmend trug. Nun tut sich dämmernd auf
vom schwanken Frühlicht hingetürmt umwölbt
von Felsenstürzen purpurtiefen Schluchten
der letzten Fahrten letzte Ruhestatt:
Mit schwarzem Strom die goldig dunkle Trift.
Die kalten Eisenstufen schreit ich leicht
die leise klirrenden ins Tal daraus
nicht Rückkehr ist. Nun bette mich
in blauen Schatten blütenloses Land
traumstarre Flut!
Schon rührt dein schwerer Hauch
mich schauernd an. Schon überweht ein Glanz
mich Trunknen hell wie einer Gottheit Bild
aus blitzendem Gewölk. Schon trübt und wirrt
des Lebens Spiegel fern sich wie ein Traum
der flatternd zwischen Tag und Dämmer lischt.

[197] Incipit vita nova

Der funkelnden Säle goldig flimmernden Schächte
und Pfeiler und Wände mit rieselnden Steinen behängt
ward ich nun müde. Und der fiebernden Nächte
in klingenden Grotten von lauen Lichten getränkt.
Zu lange lauscht ich in den smaragdenen Grüften
schwebenden Schatten sickernder Tropfen Fall –
Zu lange lag ich umschwankt von betörenden Düften
lüstern gewiegt von schläfernder Geigen Schwall.
Vom Söller den die eisernen Zinnen hüten
sah ich hinab aus dämmringem Traum erwacht:
Glitzernd brannten die Wiesen die Wasser glühten
silbern durch die schwellende Sommernacht.
Süßer als aus Rubin und Demant die Hallen
wiegt mich der funkelnde Himmel das dampfende Ried –
Durch die taumelnden Tannen will ich wallen
weinend lauschen der kleinen Amseln Lied.

[198] [200]Bilder und Gestalten

[200]

Erwachen

Süß quoll von Flöten und von Leiern
geheimer Ruf in trübe Nacht:
Nun lös' ich still aus dunklen Schleiern
den jungen Leib vom Licht umfacht.
Die alten Gärten duften wieder
im Dämmer schläft der alte Saal
leis sehnen die erweckten Glieder
nach Birkenlaub und Frühlingstal.
Die hellen Blumen mir zu Füßen
erschauern warm im zarten Licht
und leise schüttet mich zu grüßen
der Wind mir Blüten ins Gesicht.

[201] Das Mädchen

Für Wilhelm von Scholz


Der dumpfen Nächte fieberwaches Schauen
wob sie dem Teppich ein mit heißen Händen
und sang und spann bis spät ins Abendgrauen.
Nun hing er hingespannt von steilen Wänden
mit breiten Borden silbergrünen Säumen
und Sternen weiß und wirr gleich Opferbränden
goldadrig funkelnd über schwarzen Räumen.
Und Nächte fielen. Und mit heißen Wangen
stand sie und sah mit Augen wie aus Träumen
wie sich in stummem Tanz die Fäden schlangen
seltsam verwirkt zu fließenden Geweben
und jäh und rot vom Fackellicht umfangen.
Und wie aus Brunnen sprang entzaubert Leben.
Und schauernd sah sie aus verrankten Schlingen
im Zwielicht geisternd hohe Schatten schweben
und Spiegelschein von fremden großen Dingen.
Und als im Grund der goldne Flaum verglühte
und Schmelz und Farben welk und blaß zergingen
sank sie und losch wie eine Märzenblüte.

[202] Der Teich

Der stille Teich von dunklem Schilf umflüstert
und alten überwachsnen Stämmen die seltsam rauschen
erglüht im sinkenden Abend. Leise flirrt
sein tiefer brauner Kelch im Nachtwind und umspült
der schlanken Gondel goldgezierten Bug
die schwer mit Tang und trüber Flut gefüllt
auf weichen Ufermoosen schaukelt wo
der schmale Kiesweg grün umwuchert
in fernes Dunkel taucht. Verschlafen gleiten
im Wellenrieseln weiße Wasserrosen
an dünnen schwanken Stengeln hin und strahlen
in blassem Feuer groß aus braunen Schatten die
von breiten Buchenkronen sinken und
der satte Abendhimmel überströmt
von Purpurwolken flimmert durchs Gewirr
der Äste schwer und brennend wie ein Schacht
mit funkelnden Juwelen übersät.

[203] Spiel im Dämmer

René Schickele in alter Treue


Schon sinkt ein schlaffes Licht durch die Rotunde
voll ins Gemach und schwebt um die verblaßten
gestickten Bilde und im flimmernden Grunde
beben rauschen wie Flut die glimmenden Tasten.
Zu weichem Gleiten lächelndem Verschlingen
enttauchen Schatten in umflortem Tanz:
Gekränzter Kinder schwaches Frühlingssingen
in Wellen hingespült vom scheuen Glanz.
Und dunkler flutend: Schwüle Sommernächte ...
In goldnen Gärten weißer Blüten Fall.
Fiebernde Hände wühlen im Geflechte
traumdunkler Haare ... fern ... die Nachtigall.
Und brennender im dämmerschweren Schweigen
wirbeln die Tasten durch den blassen Raum.
Und aller Sehnsucht dunkle Wasser steigen
und alle süßen Quellen Traum um Traum.
Erloschner Bilder tief gebeugte Garben
trunkner Gesichte süß vergilbte Pracht
ein Hauch von Veilchen die im Frührot starben
dämmernd umströmt vom Glanz der lauen Nacht.

[204] Beata Beatrix

D.G.R.


Dämmerläuten schüttet in den veilchenblauen Abend
weiße Blütenflocken. Kleine Flocken
blank wie Muschelperlen rieseln tanzen
schwärmen weich wie dünne blasse Daunen
wirbelnd wölkend. Schwere Blütenbäume
streuen goldne Garben. Wilde Gärten
tragen mich in blaue Wundernächte
große wilde Gärten. Tiefe Beete
schwanken brennend auf wie Traumgewässer
still und spiegelnd. Silberkähne heben
mich von braunen Uferwiesen
in das Leuchten. Über Scharlachfluten
dunklen Mohns der rot in Flammensäulen
züngelt treibt der Nachen. Bleiche Lilien
tropfen schillernd drüberhin wie Wellen.
Düfte aus kristallnen Nächten tauchend
schlingen wirr und hängen sich ins Haar
und sie locken ... leise leise ...
und die grünen klaren Tiefen flimmern ...
Purpurstrahlen schießen ... leise sink ich ...
süß umfängt mich müder Laut von Geigen ...
schwingt sinkt gleitende Paläste
funkeln fern. Licht stürzt
über mich. Weit grün
schwebt ein Glänzen ...

[205] Mittag

Der Sommermittag lastet auf den weißen
Terrassen und den schlanken Marmortreppen
die Gitter und die goldnen Kuppeln gleißen
leis knirscht der Kies. Vom müden Garten schleppen
sich Rosendüfte her wo längs der Hecken
der schlaffe Wind entschlief in roten Matten
und geisternd strahlen zwischen Laubverstecken
die Götterbilder über laue Schatten.
Die Efeulauben flimmern. Schwäne wiegen
und spiegeln sich in grundlos grünen Weihern
und große fremde Sonnenfalter fliegen
traumhaft und schillernd zwischen Düfteschleiern.

[206] Schloss im Herbst

Herbert z.e.


Durch düstre Turmkronen wo vom Gemäuer
Sand hinstiebt und große schwarze Vögel
gespenstisch rauschend durch morsche Luken flattern
läuft der Sturm in Nächten wenn der rote Vollmond
funkelnd zwischen grauen Wolken liegt
stöhnt und läuft durch weite öde Säle
wo aus verwitterten Wänden dunkle Bilder
trüb herschimmern in vergilbten goldnen Rahmen
über dämmrig schauernde lange Korridore
bleiche Gänge steile Stufen
in den Park der wie smaragdene Brandung
an die Mauern drängt purpurumraschelt
vom Prunkgewand des Herbstes und der rote Mond
webt seltsam um das glühe Laub der Eschen und
der Schlinggewächse die die alten tiefen Brunnen
umsponnen halten deren Rauschen
lange starb in einer schwülen Sommernacht.

[207] Im Treibhaus

Gefleckte Moose bunte Flechten schwanken
um hoher Palmen fächerstarre Fahnen
und zwischen glatten Taxusstauden ranken
sich bleich und lüstern zitternde Lianen.
Gleich seltnen Faltern schaukeln Orchideen
und krause Farren ringeln ihr Gefieder
glitzernd von überwachsnen Wänden wehn
in Flocken wilde Blütenbüschel nieder.
Und kranke Triebe züngeln auf und leuchten
aus jäh gespaltner Kelche wirrem Meer
und langsam trägt die laue Luft den feuchten
traumschlaffen Duft der Palmen drüberher.
Und schattenhaft beglänzt im weichen
gedämpften Feuer strahlt der Raum
und ahnend dämmern Bild und Zeichen
für seltne Wollust frevlen Traum.

[208] Ausblick

Der Abend dampft in den gefüllten Schalen
und schwillt aus Glocken blauumkränzter Weiten
die Brunnen glühn wie Ketten von Opalen.
Aus strahlend offnen Toren lächelnd schreiten
in langen Zügen blasse ferne Frauen:
die schlanken Krüge lässig wiegend gleiten
sie in den warmen Sommerglanz der Auen
und schwimmen hin im Duft verlorner Lieder ...
Und aus dem süß gewellten Haar der grauen
Zypressen rieseln schon die Schatten nieder.

[209] Der Harfenspieler

Die morsche Harfe blitzt auf seinen Knien
die blassen Hände lösen von der Saiten
verglühtem Golde welke Melodien
die fremd und schwer wie Perlenketten gleiten
indes sein Blick traumvoll und halb erhellt
durch aufgeworfner Decken Samtgehänge
hintaumelt über mondberonnen Feld:
Daß er sich mit den zarten Wolken schwänge
die lind die Nacht zu goldnen Inseln trägt
verzaubert glitte auf beglänzten Flügeln
zum Meer das fern an weiße Küsten schlägt
und süßem Strom und blassen Rebenhügeln.

[210] Das Mädchen spricht

Georges Ritleng herzlichst gew.


Dann glitt in leisem Schmuck geblümter Wiesen
der Frühling übers Land rieselnd von Sonne
und schwer vom Sehnen früher Sternennächte.
Ein Abend kam gehüllt in weiches Licht
beperlter Büsche. Matter Frühlingsregen
war sanft verronnen in den braunen Dämmer
der hinter den Zypressenstämmen aufglomm.
Ich stand an dem Magnolienstrauch und sog
den starken Duft und schmiegte meine Lippen
tief in den warmen feuchten Flaum der Blüten.
Er kam von hinten. Faßte mich am Arm. Ich schrak
zusammen. Doch er war so schön
wie er so dastand mit den hellen Augen
und ganz bestrahlt von Lust und Glanz der Blüten.
Wir gingen durch die leise laue Nacht.
Und wie der fernen Brunnen Silberton
fast nur aufbebte wie ein dunkler Zweig
vom liebetrunknen Nachtwind angerührt
und hie und da ein schwacher Laut der Lust
die Nacht durchwehte starben unsre Worte
und schweigend gingen wir und lauschten nur
gedämpftem Knirschen der zerknickten Halme
und wie vom buschigen Geäst gescheucht
ein großer Vogel rauschend uns umstrich
und gingen hin und fanden nicht ein Wort
zu sagen was in dieser Nacht erwuchs
und heller strahlte als der heiße Glanz
der von erglühten Rosenbüschen fließt.
[211]
Das ist nun alles lang vorbei. Und war
so süß doch. Wenn von dunklem Sims ich leicht
mich niederschwang und atmend stand und dann
so hinlief und die warme Nachtluft mich
zitternd umspülte an gefüllten Beeten
vorbei und goldnen Brunnen durch den Glanz
der hellen Wiese zum Granatbaum der
mit Purpurarmen uns umgitterte –
Leuchtend wie schwere goldne Ampeln hingen
die Äpfel. Und in seiner Krone sangen
zwei Nachtigallen. Leise zog ihr Lied
durch fernster Gärten atemloses Dunkel
und wie verzaubert. Wenn ich so allein
unter den Ästen stand dann sickerte
wie Blütentau der Wohllaut auf mich nieder
und kürzte mir die langen heißen Stunden
denn manchmal kam er spät. Und durch die Büsche
wehte ein fremder Schauer der mich schreckte.
Und einmal als die Sommernacht wie Gold
zwischen den Zweigen hing und alle Blumen
wie Flammen in den roten Vollmond glühten
hob er mich auf und trug mich hin ich schlang
den Arm um seinen Nacken wie im Rausch
den schmalen Heckenweg der wie aus Silber
gesponnen glitzerte die kühlen Stufen
hinab zum Brunnenbecken. Seltsam blitzte
die blanke Flut und dunkle Zweige hingen
wie ein Geriesel weicher wirrer Strähnen
zum feuchten Spiegel. Schauernd überrannen
[212]
die blassen Wellen meine Brüste und
das selige Zittern seiner heißen Hände.
Und plötzlich riß er mich empor. Wild jauchzend
trug er mich fort. Taumelnd vor Schreck und Glück
lag ich in seinem Arm. Die kühlen Tropfen
funkelten noch wie flimmerndes Geschmeide
um meinen Leib. Und zwischen Rosen
trug er mich bebend hin und zwischen Rosen
ertrank ich und versank im Duft der Nacht. –

[213] Semiramis

An Hals und Knöcheln klirren güldne Spangen
die Spiegel funkeln grell vom Glanz umflossen.
Auf Teppichen drin Ambraduft gefangen
liegt ihres Leibes weißer Kelch ergossen
von dunklem Haar in losem Kranz umschlungen
die Augen wie zu schwerem Schlaf geschlossen
träumen in leichtem Rausch von eines jungen
goldblonden Griechenknaben weichen Brüsten.
Fern ist das Lied der Sklavinnen verklungen
die Lippen zucken schlaff als ob sie küßten
und draußen wo die finstern Wachen kreisen
lehnt bleich der Henker an den Marmorbüsten.
Rot tanzt die Sonne auf dem nackten Eisen.

[214] Der Pavillon

(Nach Henri de Régnier)


Der Korb die Schäfertasche und das Band
das an dem Stab die Hirtenflöte hält
das Medaillon das rund mit schmalem Rand
ein graues Antlitz trägt auf weißem Feld –
Die Stutzuhr flink der Pendel säumig singend
drauf Stund um Stunde tändelnd nach sich hinkt
des Spiegels Glas das feucht wie Wasser blinkt
das Tor halb offen und im Wind der Vorhang
schwingend:
Ein lässig Gehen und ein lässig Kommen
Gedächtnis und Erinnerung verglommen
zögernder Schritte Lauf der seltsam klingt –
ein Fenster das den Duft ins Zimmer trägt
von Buchs und Rosen. Und der Wind bewegt
den Leuchter der am blanken Estrich blinkt.

[215] Erfüllung

Im Dämmer glommen die gemalten Wände.
Ich sah dich an vom großen Schweigen trunken:
Und bebend fühlt ich deine weichen Hände
und stammelnd sind wir uns ans Herz gesunken.
Wie Kinder die in weißen Frühlingskleidern
hinlaufen durch die knospenhellen Hecken
und zwischen Büscheln lichtumschäumter Weiden
und braunen Halmen spielend sich verstecken
in Baches Silber wundernd sich beschauen
und jubelnd folgen bunter Falter Glänzen
und Knospen brechen von besternten Auen
und singend sich mit Blütenkronen kränzen
bis glühend sie in seligem Ermatten
zur Quelle steigen leichten Spiels vergessen
und zitternd unter schwanker Birken Schatten
die zarten Lippen ineinander pressen.

[216] Marsyas

(Nach Henri de Régniers »Le Sang de Marsyas«)


Marsyas sang.
Erst war es nur ein flüchtig Lied
wie Windeshauch der weich das Laub durchzieht
wie Tropfenrieseln
wie ein Bach der unter Kräutern rinnt
wie Regen dann und Wolkenbruch und Wind
dann wie der Sturm dann wie das wilde Meer –
dann Schweigen ... heller wieder schwebt daher
zu unserm Ohr zitternd der Flöte Klang
wie Fichtensäuseln wie ein Immensang ...
Und wie er träumend in den Abend bläst sein Lied
erlischt die Sonne hinter Moor und Ried.
Starr stand Apollo und das Licht zerging
um seinen Leib und düstrer Schatten hing
sich um ihn tief. Und plötzlich schien er ganz
von Nacht umronnen.
Doch Marsyas vom letzten Glast umsponnen
der Sonne die sein Antlitz purpurn überfloß
und heiß sein Vließ mit Flammen übergoß
bläst immer noch berauscht vom Glanz der Stunde
das Flötenrohr erglüht wie gleißend Gold
an seinem Munde.
Und alles lauschte auf des Satyrs trunknes Lied
und alle offnen Mundes harrten auf den Spott
Apolls hingen an seinen Zügen. Doch der Gott
stand starr wie Erz schweigend regte kein Glied.
[217]
Da bog die Augen tief in seine senkend
jäh das Flötenspiel
Marsyas übers Knie und klirrend brach's und fiel.
Ein Schreien
Hohngelächter Füßestampfen taumelnd toll –
dann jähes Schweigen: denn Apoll
glühend vor Zorn und Scham aus Lärm und Hohn
wandte sich schweigend ab und schritt davon ...

[218] Der Zug ins Leben

Johannes Leonardus mit herzl. Dank für die Widmung der »Heißen Nacht«


Und einmal dann: In einer Sommersternennacht
wenn alles Leben wie gelöst
in sammetweiche Schwermut liegt
und überm Forst noch der sprühende Goldschein hängt
zitternd wie blaß aufglimmernde Gewebe
und zart wie Flaum: Dann wird ein langer Ruf
aus Traum und Schlummer ladend uns erlösen.
Dann ziehen wir indes der Feuerschein
sich dichter um uns schließt in dunklen Haufen
die Stirn mit Laub gegürtet über Schollen
sprossender Äcker in das sinkende Licht.
Uns reißt des wilden Lebens jähe süße
betörend lockende Zigeunerweise
in Nacht und Duft. Schon glänzt aus letzter Glut
die über der erloschnen Haide funkelt
das große Ziel. Schon schlingen sich die Reihn
vom Takt gefügt. Schon stürmen jauchzend
die Vordersten in losgelassnem Tanz
und eine Kette wirrer heißer Stimmen wälzt
der Jubel schwer sich durch die Massen. Fackeln spritzen
flackernde Flecken auf die schwarze Wand der Äste.
Auftaumelnd stürzen Schatten. Mädchen schwenken
flitternde Birkenbüschel Frauen lösen
die raschelnden Gewande tanzen nackt
vom Diadem der Haare überströmt
ins Licht und ihre heißen Augen schillern
unstät wie Feuerglanz auf Abendlachen.
[219]
Und wilder gleißt das tolle süße Lied.
Und wilder rast und stürmt der heiße Tanz.
Und Wunder steigen auf wie Herbstnachtnebel.
Schon rollt das große Leben wie ein Meer
das gischtend gegen nackte Felsen bäumt
von bräunlich goldner Dämmerung umloht.
Schon reißt's uns über schaumgezackte Kämme
zu Inseln weiß mit Goldglanz übersprengt
Altäre wachsen blendend aus Girlanden
Festglocken dröhnen Farben schießen auf
und trunken betend sinken wir ins Licht.

[220] Freundinnen. Ein Spiel

(1903)


Für Hugo von Hofmannsthal


Toutes deux regardaient s'enfuir les hirondelles:
L'une pâle aux cheveux de jais, et l'autre blonde
Et rose, et leur peignoirs légers de vieille blonde
Vaguement serpentaient, nuages, autour d'elles.
Et toutes deux, avec des langueurs d'asphodèles,
Tandis qu'au ciel montait la lune molle et ronde
Savouraient à longs traits l'émotion profonde
Du soir et le bonheur triste des cœurs fidèles.
Telles, leur bras pressant, moites, leurs tailles souples
Couple étrange qui prend pitié des autres couples,
Telles, sur le balcon, rêvaient les jeunes femmes.
Derrière elles, au fond du retrait riche et sombre,
Emphatique comme un trône de mélodrame
Et plein d'odeurs, le Lit, défait, s'ouvrait dans l'ombre.

Paul Verlaine


[221] (Ein großes Zimmer reich ausgestattet. Von den Wänden sehen alte dunkle Gemälde von Männern und Frauen in altmodischer italienischer Tracht. Im dämmrigen Hintergrunde ein großes strahlend weißes Bett. Etwa in der Mitte von der Decke herab eine achteckige rote Ampel aus geschliffenem Glas. Rechts führen große Glasfenster die weit geöffnet sind auf eine efeuumwachsene Veranda von der Stufen hinab in den Park zu denken sind. Vom Park her flutet ununterbrochen ein breiter milchweißer Strahl glitzernden Mondlichts ins Gemach. Auf einem mit weißen Fellen überworfenen Ruhebett im Vordergrunde gegen die Veranda zu liegt lässig hingegossen Silvia. Sie ist im losen Nachtgewand das sie in licht rosenfarbnen Tönen umflutet. Ihr langes goldblondes Haar rieselt in dichten Strähnen über ihr Gewand. Sie liegt regungslos und scheint mit weitgeöffneten Augen ins Leere zu schauen. Es ist kurz vor Mitternacht. Vom Park her klingen zuweilen gedämpft die süßen Stimmen der Nacht.

Kurz nach Beginn der Szene gleitet Bianca leise von der Tür links auf Silvia zu. Sie ist gehüllt in ein langes schneeweißes Nachtgewand über das ihr dunkelbraunes Haar fällt.)

[222]

Silvia

(mit der fast ausdruckslosen Sprache einer Nachtwandlerin)


Und da die Nacht aus goldnen Wolken sank
und grün der Mond sich hob von dunklen Bäumen
fuhr jäh sie auf aus dumpfer Rast und Träumen –
und ging indes ihr Auge gierig trank
den süßen Duft des Mondes in das Dunkel
und ließ der Kindheit Spiel und Glück und Lieder
und ging ...
bis fern des Schlosses Lichtgefunkel
erlosch: da warf sie tief ins Gras sich nieder
und lauschte zitternd wie mit seliger Macht
die Blätter rauschten und die Quellen sangen
und brünstig schluchzend fern in dunklen Hainen
auf Marmorbecken stille Brunnen sprangen
und ihren Leib durchschauerte ein Weinen ...
und eine Sehnsucht war in ihr erwacht ...
Und tiefer glitt von Zweig zu Zweig die Nacht.
Des Laubes Flüstern klang im Nachtwind kaum.
Vom Beet her stieg das Atmen der Violen:
Das war wie Liebesstammeln – heiß verstohlen
und hüllte alles tief in schwere Pracht
und müder Sehnsucht dämmrig süßen Traum ...

Bianca

(die während der letzten Worte ganz nahe an Silvia herangetreten ist und ihr leise mit der Hand übers Haar streicht)


Ich hörte dunkler Geigen wehen Klang
in späten Nächten wenn auf allen Wegen
die Blätter starben in versprühtem Regen –
[223]
wie leises Weinen bebte tief ihr Sang ...

Silvia

Bianca du? Was ist's? Kam schon der Tag?
Bianca

Du träumst Geliebte! Purpurrauschend weht
der schwüle Hauch der Nacht von Beet zu Beet.
Silvia

Wie schwer und süß der leise Sommerwind
den Duft des Gartens in das Zimmer spült:
Ein dunkles Sehnen hat mich wachgewühlt –
als ob ein groß Geschick die Nacht mir brächte
ein ziellos fremdes heißes dunkles Sehnen –
Bianca

Du kennst noch nicht den Zauber unsrer Nächte:
Sie sind wie Lieder lockender Sirenen
duftend wie Wein aus schweren Südlandsreben
der purpurn schäumt in blassen Goldpokalen
wie jähe Flammen in kristallnen Schalen
die an Altären rot im Nachtwind beben.
Silvia

Ich lag betäubt die Lider halb geschlossen.
Des Mondes weiße warme Wellen flossen
voll ins Gemach das düftetrunken schlief
vom roten Ampellicht seltsam umgossen
und aus des Parkes Schattengründen tief
stieg ein Gewirr von heißen scheuen Stimmen
das weich in schweren Rhythmen mich umspann.
Huschende Lichter sah ich schwebend glimmen
und klingend löschen. Jäh durchrann
ein seltsam Feuer mich als ob im Wiegen
[224]
der dunklen Stimmen die im Nachtwind glitten
aus morschen Grüften weiße Leiber stiegen
und tönend leuchtend füllte das Gemach
sich rings mit leisen unsichtbaren Tritten
daraus es wie ein Locken zu mir sprach –
Da riß mich's auf: Und bebend trat ich nah
und sah im Wind des roten Laubes Spiel
und atmete den Duft der Nacht. Und sah
die Beete rings von silberglänzgem Schaum
betaut. Und schauerte und schluchzte auf und fiel.
Und meine Seele sank in tiefen Traum.

Bianca
(hat Silvia leise, mit den Händen stützend, gegen die Veranda geführt)

Sieh wie aus flaumig-feuchtem Glanz die schlanken
Zypressenreihn gleich blauen Schemen tauchen
mit blassen Stämmen licht wie Frühlingsranken
durchsichtig zart als wollten sie im matten
nebligen Duft sich lösen und verrauchen –
Silvia

Dämmernde Stimmen steigen aus den Schatten.
Ist es die Nacht die tief im Traum erbebt
ist es ein Tanz der fern auf Wiesen schwebt
von weißen Nymphen und behaarten Faunen?
Bianca

Das ist der alten Marmorbrunnen Raunen
das seltsam hinter dunklen Büschen webt.
Es rinnt ein Hauch von wilden grenzenlosen
Sehnsüchten durch den Einklang dieser Lieder
und ringsum strömt und glüht der weiße Flieder
[225]
und mischt betäubend sich dem Duft der Rosen.
Wenn weit die grauen Stämme dampfend gluten
wie rotgeschweißtes Erz scharlachumronnen
und alle Brunnen funkenübersponnen
in heißen Güssen schluchzend sich verbluten –
in schwülen Nächten wenn der Mond den feuchten
flaumweichen Leib schauernd im Wasser kühlt
und bunt vom Wellenflirren aufgespült
Millionen Tropfen perlenschillernd leuchten –
dann tönt so wund und weh ihr dunkles Rauschen
wie Regen der auf welke Blätter rinnt
wie eine Seele die im Finstern sinnt ...
dann könnt ich Stunden ihrem Singen lauschen.
Silvia

Wie seltsam! Will des Mondes Dampf mich trügen?
Durch schwarzer Büsche laubverrankte Ritzen
züngelt ein Glanz glimmert ein fahles Blitzen
aus Nacht und Duft schält leuchtend sich ein Leib –
ein weißes nacktes wundervolles Weib –
grün liegt das Mondlicht auf den starren Zügen ...
Bianca

Ein stiller Gruß aus uralt goldnen Tagen:
Ein Venusbild im Chor dunkler Zypressen
efeuumwuchert morsch vom Tau zerfressen
zerwühlt von Rissen die der Blitz geschlagen.
Silvia

Wie weiß die Mondesstreifen sie umsäumen!
Und in der Nelkendüfte nacktem Schweben
durchfröstelt ihren Leib ein brünstig Beben:
Die Sommernacht küßt sie aus langen Träumen.
[226]
Sieh wie im blassen Licht ihr Auge blinkt
wie ihre Arme weich und warm sich biegen
und wie die Lippen leis ein Lächeln wiegen
und wie sie grüßend nickt und winkt
und wie der Mund sich zitternd öffnet – spricht –
wie Glockenläuten – siehst du's hörst du's nicht?
Bianca

Dich trügt die Ferne und des Mondes Flirren.
Silvia

Und braust dir nicht durchs Blut dies heiße Schwirren
und fühlst du tausend Flammen nicht sich schaukeln
und Rosenduft bacchantisch dich umgaukeln
und liebeskranker Flöten tolles Girren?
Ein Wunder! Sieh: durch steinern starre Glieder
stürmt eine Röte. Sie erglühen schwellen
wie Firnen überströmt von Morgenwellen.
Blau blitzt die Luft. Der alte Marmor zittert
in leisem Läuten unter seidnen Tritten
die Fernen funkeln sommerglanzumwittert.
Sie ist's. Sie fährt zum Glühen trunkner Geigen
durch nackter Paare laubumstrickten Reigen.
Von purpurüberblühten Rosenhängen
perlt es wie Duft von brausenden Gesängen.
Sie ist's! Du bist's! Du selber selber bist's!
Um deine weiße Stirne funkelnd flicht
sich wirr ein Kranz tauiger Rosenblüten
als Diadem. Heiß aus den Augen bricht
dir ein Geleucht. Und deine Lippen hüten
ein Königinnenlächeln. Unter deinen Füßen
scheint rings der Estrich von Musik zu schwellen
[227]
im feuchten Duft des Mondes der mit hellen
Glanzlichtern dich umgießt. Und deine süßen
flaumweichen Glieder beben noch von Traum
und Dämmer. Heilige! Königin!
Frau Venus! Selige Göttin! Nimm mich hin!
(Sie wirft sich wie ohnmächtig in Biancas Arme)
Bianca

Du Süße! wie du flammst und bebst und glühst
und taumelst wie von duftendem Weine trunken.
Der Stunde Rausch ist über dich gesunken:
Das hat dies Glänzen in dein Aug gelegt
dies durstige Glänzen roter Sommerwiesen
vor Regenschauern. Wie dein Mund sich regt
als wollt im Liebesstammeln er zerfließen.
Geliebte! In den Haaren glimmt ein Leuchten
dir weich wie Irrlichtnebel über feuchten
mondfahlen Teichen. Deine dunklen Lider
haben den Schein von wilden Rosenranken
die rot um weiße Marmorbilder schwanken,
und durch die schlanken heißen jungen Glieder
flutet ein Beben wie in goldnen Strängen
von Wetterharfen die vom Glanz gestreichelt
der Sommernacht in dämmernden Gesängen
aufschauernd weinen silberlichtumschmeichelt ...
Silvia

Sprich weiter weiter! Deine Worte fließen
von Glanz und Duft wie köstlich starke Salben.
Wie rote Rosen sind sie die im falben
Lichtschein des Tages dämmerselig schliefen
und wachend ihres Blutes Glanz versprühen
[228]
wie Falter sind sie die die Nacht umglühen
im weichen Schmelz der Flügel und im Wiegen
des Nachtwinds bunt wie Blütenflocken fliegen ...
O lauschen will ich der Musik die rings aus dir
herniederströmt aus Haar und Mund und Augen
und will ihr perlend Gold tief in mich saugen
wie ein Verdurstender. Denn sieh: Ich war allein –
so einsam daß mich meiner Stimme Klang
erschauern machte wenn's aus schwerem Schlaf mich riß.
Und all mein Wandel war nur Finsternis
und Traum der Nächte heiß von wildem Drang
nach Leben. Und nun bin ich jäh erwacht:
Nun strahlt die Sonne und das Leben lacht!
Bianca

O still – laß tief mich durch die weichen Linnen
die deine jungen Brüste überrinnen
wie laue Flut dampfend von warmem Leben
den Duft des Fleisches atmen und sein zuckend Beben
glühend betasten. Und das heiße dunkle Blut
das in Akkorden stürmisch junger Kraft
durch diese Adern wittert gleich dem Saft
der schäumend klar in Frühlingsbirken ruht –
und diesen Leib so voll und stark und schlank
und weich der sich nach Liebestaumeln sehnt
in wilden Nächten und sich schauernd dehnt
im Rausch von Wonnen die ein Träumen trank –
Silvia

Genug –
Bianca

Der blonden Haare wild Gerank
[229]
fließt von den Schultern dir wie ein Geschmeide
mit dem du deinen nackten Leib geschmückt
zur Brautnacht. Durch den feuchten Glanz der Seide
die wie ein Kranz von Rosen leuchtet zückt
die blanke kühle Haut in mattem Glanz –
Silvia

Genug – du tötest mich –
Bianca

O laß mich ganz
den Leib mit meiner Arme Glut umspinnen
und diese Lippen tief wie scharfen Stahl
in deine Glieder tauchen. Und das blutige Mal
mit meinem Leibe kühlen. Bis der Quell versiegt
und Morgenrot auf matten Gliedern liegt.
Silvia

Genug! Ich sterbe! Ich vergehe! Sieh –
wie sich ein Blütenkelch fröstelnd zur Sonne streckt
die ihn in heißer Küsse Rausch glühend erweckt
und glühend tötet wie ein Falter der
das süße Gift der Blütendolden trinkt
bis taumelnd er im schweren Duft versinkt
wie die Bacchantin die zu roter Fackeln Licht
aufglühend tanzt und tanzt bis zuckend sie zusammenbricht –
stürzt meine Jugend jauchzend dir entgegen
mein glühend Blut in funkelnd heißen Güssen:
Töte mich Wilde! Töte mich mit deinen Küssen!

Bianca
(heiß und heimlich)

O komm! Das Leben bräutlich glühend winkt
uns zu und lockt. Die Fesseln sind zerrissen
[230]
und aus dem rötlich matten Dämmer blinkt
wie Gold das Bett mit glutzerwühlten Kissen.
Hörst du des Windes Wiegen in den Zweigen
und brünstig dunkle Stimmen schwüler Nacht
und Geigenklang? Das ist der Hochzeitsreigen
der uns mit Spiel und Singen heimgebracht.
Fühlst du das Leuchten das am Estrich schaukelt
von spätem Ampelglühen und den Glanz
des weißen Monds? Das ist der Fackeltanz
der unsre Liebesnacht flatternd umgaukelt.
Komm Liebste! Komm! Auf meinen Armen will
ich zitternd dich in süßes Dunkel tragen
und um die Schauer junger Glut soll still
und weich die Nacht die schweren Schleier schlagen.
[231]

Notes
Erstdruck der Sammlung: Straßburg (Josef Singer) 1905.
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TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Praeludien. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1509-1