[81] Ben-Halem und Thirza

Der Abendröthe letzter Glanz verblich,
Die Sonne tauchte golden ihre Stralen
Mit feierlichem Ernst in Thetis Schooss,
Dort wo der Nil die reichen Fluren wässert;
Auf seidnen Abendlüften wiegten sich
Die dunkelrothen Blüthen der Granaten,
Des langen heisen Tages Glut verschwamm
Im blauen Nebel, der um Tamarinthen
Und trauernder Zypressen Hügel flog.
Da sank in der Umlaubung dunkle Schatten,
So lieblich-feierlich, wie schönen Seelen
Die Phantasie die Lauben Edens malt,
Ben-Halem zwischen goldner Lotus Kelche,
Die dort der Flur voll Lilienduft entblühn,
Er kühlte sich nach heiser Tages-Schwüle
Die Stirne, göttlicher Gedanken Tempel.
Ben-Halem war ein Mann von seltnem Geist,
Im schönsten Blüthenalter seiner Tage;
Die edle Stirne frei und hochgewölbt,
Von dunkler Lockenfülle überschattet
Das seelenvolle Aug' voll Himmelsruh'
Und leuchtend von dem hohen innern Leben;
Um seine Lippen schwebte anmuthsvoll
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Bald Ernst und Scherz und bald Verstand und Güte;
An heil'ger Quelle, wo die Wahrheit strömt,
Die ewig treu das Göttliche begründet,
Die nur geweihten höhern Seelen quillt,
Trank seine Seele früh mit durst'gen Zügen.
Das Glück, das Sterbliche so selten krönt,
Das die Unsterblichen im Busen tragen,
Gab ihm verschwenderisch des Reichthums Macht,
Vertraute seinen Händen Gold die Fülle.
In eigner Grösse hohem Selbstgefühl
Verlacht er gross des äussern Glückes Schimmer;
Die Thräne, die geschützter Unschuld Dank,
Dem blassen Gram entrissne Arme weinten,
Wob schön're Perlen in sein Diadem,
Als dort des Reichen Turban stralend zieren,
Ihm gab sein Herz, Natur und Saitenspiel
Des Lebens edelste und höchste Wonnen.
Jetzt lag er, nach vollbrachtem Tagewerk,
In stiller Ruhe seligen Gefühlen,
In seiner Welt, die äussre sank dahin,
Wie vor der Moregenröthe Nebel fliehen.
Da schwebte leis' auf goldnem Abendstral,
Sanft angehaucht von Iris holden Farben,
Der Träume seligster auf ihn herab,
Und trug ihn in den höhern Lebensäther,
Wo sich der Wahrheit und der Schönheit Quell,
Verklärt vom Uranus und vom Saturn,
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Harmonisch durch der Sphären Kreise wälzt.
Er hörte Orpheus Melodie'n erklingen,
Bald sanft, wie Aeols Geisterharfe tönt,
Dann laut, wie die Harmonika sie jauchzet;
Er sah die Früchte jeder guten That
An ewig grünen Lebensbäumen prangen,
Und seine holde Thirza, jung und schön,
Auf einer Sommerabendwolke schlummern.
Dort, wo der edlen Liebe Heirmath ist,
Wo die verwandten Seelen sich begegnen,
Da trug sein Engel ihn im Traume hin,
Da sah er sich in der Geliebten Arme.
Jetzt zielte rauschend durch die Abendluft
Ein Pfeil, in Gift getaucht, nach Halems Herzen,
Mit Thirza's Namen auf den Lippen schloss
Sein Auge sich zu ew'gem Todesschlummer.
So unbesorgt eilt des Gerechten Geist
Aus süssen Träumen in die Nacht des Todes!
O Würde eines ruhigen Gewissens,
Triumph der Tugend, schon im Prüfungsthal!
Bochorus war sein Mörder und sein Feind;
Durch der Verwandtschaft Bande ihm genähert,
Verbarg er schlau und falsch in seiner Brust
Den Hass, den Eifersucht und Neid erregten;
Wie leicht umschlingt mit fein gewebtem Netz
Die Bosheit nicht den unbesorgten Guten!
Erfahrung schützt weit leichter vor dem Fall –
Wie Tugend, wenn die Unschuld sie begleitet;
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Der edle Halem sah die Schlange nicht,
Die giftig unter seinen Rosen lauschte.
So sinkt mit Lieb' und mit Vertrauen hin
Der Gute leicht an eines Heuchlers Busen,
Und seiner Menschenliebe schönste Frucht
Geht mit dem Glauben an die Menschheit unter. –
Bochorus hatte sich um Thirza's Gunst
Schon längst bemüht; er hasste den Beglückten.
Auch ohne ihn wär' sie dem rauhen Mann
Auf ewig fremd und ungerührt geblieben.
Nie kann des Herzens zarte Sympathie
Und nie das Edle sich dem Laster einen,
Um jenes Glück, das reine Liebe giebt,
Von längst entweihten Händen zu empfangen;
Die Liebe giebt der Liebe nur sich hin,
Das wahre Schöne huldigt nur dem Schönen;
Auch kann auf wenig Augenblicke nur
Des Himmels offnen Glanz der Sünder tragen.
Bochorus liebte Thirza's Seele nicht,
Mit wilder Glut verschlang er ihre Reize,
Ernst senkte sie das lebenvolle Aug'
Von Grazien mit holder Scham beschattet,
Und höher hob sich die beklommne Brust,
Wenn er sich ihr mit frechen Blicken nahte,
Und seiner heissen Liebe Gegengunst
Mit schlecht verhaltner wilder Glut erflehte.
Heut' hatte sie ihm ernst und fest erklärt,
Dass sie Ben-Halem ewig angehöre;
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Da schuf die Rache jenen gift'gen Pfeil,
Und ihr zum Opfer fiel der Heissgeliebte!
Der edlen Liebe eines Halem werth
War des Kalifen hochgesinnte Tochter;
Ihr hatte die Natur den höchsten Reiz,
Die Götter jene Lieblichkeit verliehen,
Die nur aus schönen Augen schöner stralt,
Vom Zauber sanfter Grazie umflossen.
Ihr Geist für jede Tändelei zu gross,
Erhob sich früh zu edleren Genüssen;
Die zarte Blüthe der Bescheidenheit
Verwelkte nie an ihrem reinen Herzen;
Mit einer Liebe, ewig treu und warm,
Wie sie die edlern Seelen nur empfinden,
Lag sie an ihres Halems treuer Brust
Und sog aus seinem Blick des Himmels Wonne!
Wer malet ihr Erschrecken, ihren Schmerz,
Als sie die Trauerbotschaft nun erreichte!
Acht Tage schwebte zwischen Seyn und Tod
Ihr Leben hin; dann nahte sich ihr Engel
Und trug sie sanft, wie ihre Seele war,
In Lichtgefilde zu dem Tiefbeweinten.
Bochorus blieb die Geisel seiner Welt,
Der Unschuld Mörder, Schöpfer eigner Quaalen,
Und ward erst spät der Eumeniden Raub. –
Dort wird sich einst das grosse Räthsel lösen,
Warum hier hoffnungsvolle Blüthe welkt?
Warum in seinem thatenvollsten Wirken
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Dem edlen Mann die ernste Stunde naht,
Geschaffen, Millionen zu beglücken,
In ihrer Wonne selbst ein Gott zu seyn? –
Warum der Böse bis zu grauen Haaren,
Vom Glück gepflegt, den bessern Mensch zertritt,
Und überall nur Thränensaaten streuet?
Warum mit kühnem Frevel er darf frei
Die Geisel über seine Brüder schwingen,
Und seiner Herrschsucht Hekatomben weihn? –

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TextGrid Repository (2012). Sommer, Elise. Ben-Halem und Thirza. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0FE5-6