William Shakespeare
Der Phönix und die Turteltaube

[859]
Sei der Vogel hellsten Lautes,
Horstend in Arabiens Öde,
Banger Herold und Trommete!
Fromm Geflügel, auf ihn schaut es.

Doch du kreischender Gefährte,
Bösen Feindes Eingeweihter,
Fieber-Endes arger Deuter,
Bleibe fern von dieser Herde!

Sei aus unserm Rat verwiesen
Aller Vogel rauh und arg;
Nur der Aar, des Flugs Monarch,
Müsse dies Begängnis grüßen.

Priester sei, weiß infuliert,
Der die Sterbelieder kann,
Todesprophezeier Schwan,
Wie dem Requiem gebührt.

Und du, Krähe, dreifach alte,
Die ihr schwarz Geschlecht erzielt
Mit Odem, den sie gibt und stiehlt,
Zu dem Trauerzug dich halte!

Hier beginnt der Chor. – Zusammen
Tönet's: Lieb' und Treu ist hin;
Turteltaub' und Phönix fliehn
Aus der Welt in Wechselflammen.

Liebten sich, wie wenn, verdichtet
Lieb' in Zwei'n zu einem Wesen,
Trennungslos geteilt gewesen.
Da hat Liebe Zahl vernichtet.

Herzen nah im Weiten schienen;
Denn nicht Raum war, und doch Ferne
Zwischen Taub' und ihrem Sterne.
Allen Wunder, außer ihnen.

Liebesstrahl durchzuckte so sie,
Daß der Phönix all sein Glück
Flammen sah im Turtelblick;
Jedes jedem ein Potosi.

Eigentum sich so verließ,
Daß im Selbst das Selbst verschwand,
Einzelwesen, zwiebenannt,
Weder zwei noch eines hieß.

Selbst Vernunft, sie schien bedrängt,
Sah Getrenntes sich vereinen,
An sich selbst wie nichts erscheinen:
Schlichtes war so wohl vermengt,

Daß sie rief: wie treugepaart
Hier in Eintracht ein Geschlecht!
Recht hat Liebe nun, nicht Recht,
Wo Entfernung so beharrt.

Und erhub dann diese Klage
Um der Liebe Stern und Helden,
Taub' und Phönix die Entseelten,
Als Choral am Sarkophage:
[860]

Klage


Schönheit, Treu und Seltenheit,
Anmut in Einfältigkeit
Schlummern hier dem Staub geweiht.
Nun versiecht des Phönix Blut;
Täubleins Herz, so fromm und gut,
Für Ewigkeiten fühllos ruht.
Ach der kinderlos Verschwund'nen!
Nicht ohnmächtig drum Erfundnen:
Keuschheit war es der Verbund'nen.
Wahrheit scheint nun, hat nicht Wesen.
Schönheit prahlt nun, ist gewesen.
Wahrheit, Schönheit, sie verwesen.
Alle, die ihr schön und wahr,
Kommt zur Urne, bringet dar
Ein Gebet dem Totenpaar![861]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Poetische Werke. Der Phönix und die Turteltaube. Der Phönix und die Turteltaube. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0D21-E