William Shakespeare
Coriolanus

[798] Personen

Cajus Marcius Coriolanus, ein edler Römer

Titus Lartius,

Cominius, Anführer gegen die Volsker

Menenius Agrippa, Coriolans Freund

Sicinius Velutus,

Junius Brutus, Volkstribunen.

Marcius, Coriolans Kleiner Sohn

Ein römischer Herold

Tullus Aufidius, Anführer der Volsker

Ein Unterfeldherr des Aufidius

Verschworne

Ein Bürger von Antium

Zwei volskische Wachen

Volumnia, Coriolans Mutter

Virgilia, Coriolans Gemahlin

Valeria, Virgilias Freundin

Dienerinnen der Virgilia


Römer und Volsker. Senatoren, Patrizier, Ädilen, Liktoren, Krieger, Bürger, Boten

[798]

Erster Aufzug

Erste Szene
Es tritt auf ein Haufe aufrührischer Bürger mit Stäben, Knütteln und anderen Waffen.

ERSTER BÜRGER.
Ehe wir irgend weiter gehn, hört mich sprechen!
ZWEITER BÜRGER.
Sprich! sprich! –
ERSTER BÜRGER.
Ihr alle seid entschlossen, lieber zu sterben, als zu verhungern?
ALLE BÜRGER.
Entschlossen! entschlossen! –
ERSTER BÜRGER.
Erstlich wißt ihr: Cajus Marcius ist der Hauptfeind des Volkes.
ALLE BÜRGER.
Wir wissen's! wir wissen's! –
ERSTER BÜRGER.
Laßt uns ihn umbringen, so können wir die Kornpreise selbst machen. Ist das ein Urteilsspruch?
ALLE BÜRGER.
Kein Geschwätz mehr darüber. Wir wollen's tun. Fort! Fort!
ZWEITER BÜRGER.
Noch ein Wort, meine guten Bürger!
ERSTER BÜRGER.

Wir werden für die armen Bürger gehalten, die Patrizier für die guten. Das, wovon der Adel schwelgt, würde uns nähren. Gäben sie uns nur das Überflüssige, ehe es verdirbt, so könnten wir glauben, sie nährten uns auf menschliche Weise; aber sie denken, so viel sind wir nicht wert. Der Hunger, der uns ausmergelt, der Anblick unsers Elends ist gleichsam ein Verzeichnis, in welchem sie ihr Wohlleben lesen. Unser Jammer ist ihnen Genuß. Dies wollen wir mit unsern Spießen rächen, ehe wir selbst Spießgerten werden. Denn das wissen die Götter! ich rede so aus Hunger nach Brot, und nicht aus Durst nach Rache.

[799] ZWEITER BÜRGER.
Wollt ihr besonders auf den Cajus Marcius los gehen?
ALLE.
Auf ihn zuerst, er ist ein wahrer Hund gegen das Volk.
ZWEITER BÜRGER.
Bedenkt ihr auch, welche Dienste er dem Vaterlande getan hat?
ERSTER BÜRGER.

Sehr wohl! und man könnte ihn auch recht gern dafür loben; aber er belohnt sich selbst dadurch, daß er so stolz ist.

ZWEITER BÜRGER.
Nein, rede nicht so boshaft!
ERSTER BÜRGER.

Ich sage euch, was er rühmlich getan hat, tat er nur deshalb: Wenn auch zu gewissenhafte Menschen so billig sind, zu sagen, es war für sein Vaterland, so tat er's doch nur, seiner Mutter Freude zu machen und tüchtig stolz zu sein; denn sein Stolz ist ebenso groß als sein Verdienst.

ZWEITER BÜRGER.

Was er an seiner Natur nicht ändern kann, das rechnet ihr ihm für ein Laster. Das dürft ihr wenigstens nicht sagen, daß er habsüchtig ist.

ERSTER BÜRGER.

Wenn ich das auch nicht darf, werden mir doch die Anklagen nicht ausgehn. Er hat Fehler so überlei, daß die Aufzählung ermüdet.


Geschrei hinter der Szene.

Welch Geschrei ist das? Die andre Seite der Stadt ist in Aufruhr. Was stehn wir hier und schwatzen? Aufs Kapitol!

ALLE.
Kommt! kommt! –
ERSTER BÜRGER.
Still, wer kommt hier?

Menenius Agrippa tritt auf.
ZWEITER BÜRGER.
Der würdige Menenius Agrippa, einer, der das Volk immer geliebt hat.
ERSTER BÜRGER.
Der ist noch ehrlich genug. Wären nur die übrigen alle so!
MENENIUS.

Was habt ihr vor, Landsleute? Wohin geht ihr Mit Stangen, Knütteln? Sprecht, was gibt's? Ich bitt' euch!

ERSTER BÜRGER.

Unsre Sache ist dem Senat nicht unbekannt; sie haben davon munkeln hören seit vierzehn Tagen, was wir vorhaben, und das wollen wir ihnen nun durch Taten [800] zeigen. Sie sagen, arme Klienten haben schlimmen Atem: sie sollen erfahren, daß wir auch schlimme Arme haben.

MENENIUS.
Ei, Leute! gute Freund' und liebe Nachbarn,
Wollt ihr euch selbst zugrunde richten?
ERSTER BÜRGER.
Nicht möglich, wir sind schon zugrund gerichtet.
MENENIUS.
Ich sag' euch, Freund', es sorgt mit wahrer Liebe
Für euch der Adel. Eure Not, betreffend
Die jetz'ge Teurung, könntet ihr so gut
Dem Himmel dräun mit Knütteln, als sie schwingen
Gegen den Staat von Rom, des Lauf sich bricht
So grade Bahn, daß es zehntausend Zügel
Von härtrem Erz zerreißt, als jemals ihm
Nur eure Hemmung bietet. Diese Teurung,
Die Götter machen sie, nicht die Patrizier;
Gebeugte Knie, nicht Arme müssen helfen.
Ach! durch das Elend werdet ihr verlockt,
Dahin, wo größres euch umfängt. Ihr lästert
Roms Lenker, die wie Väter für euch sorgen,
Wenn ihr wie Feinde sie verflucht.
ERSTER BÜRGER.

Für uns sorgen! – Nun, wahrhaftig! – Sie sorgten noch nie für uns. Uns verhungern lassen, und ihre Vorratshäuser sind vollgestopft mit Korn. Verordnungen machen gegen den Wucher, um die Wucherer zu unterstützen. Täglich irgendein heilsames Gesetz gegen die Reichen widerrufen und täglich schärfere Verordnungen ersinnen, die Armen zu fesseln und einzuzwängen. Wenn der Krieg uns nicht auffrißt, tun sie's: das ist ihre ganze Liebe für uns.

MENENIUS.
Entweder müßt ihr selbst
Als ungewöhnlich tückisch euch bekennen,
Sonst schelt' ich euch als töricht. Ich erzähl' euch
Ein hübsches Märchen: möglich, daß ihr's kennt;
Doch, da's hier eben her paßt, will ich wagen,
Es nochmals aufzuwärmen.
ERSTER BÜRGER.

Gut, wir wollen's anhören, Herr. Ihr müßt aber nicht glauben, unser Unglück mit einem Märchen wegfopen zu können; doch, wenn Ihr wollt, her damit!

MENENIUS.
Einstmals geschah's, daß alle Leibesglieder,
[801]
Dem Bauch rebellisch, also ihn verklagten:
Daß er allein nur wie ein Schlund verharre
In Leibes Mitte, arbeitslos und müßig,
Die Speisen stets verschlingend, niemals tätig,
So wie die andern all' –, – wo jene Kräfte
Säh'n, hörten, sprächen, dächten, gingen, fühlten
Und, wechselseitig unterstützt, dem Willen
Und allgemeinen Wohl und Nutzen dienten
Des ganzen Leibs. Der Bauch erwiderte –
ERSTER BÜRGER.
Gut, Herr, was hat der Bauch denn nun erwidert?
MENENIUS.
Ich sag' es gleich. – Mit einer Art von Lächeln,
Das nicht von Herzen ging, nur gleichsam so –
(Denn seht, ich kann den Bauch ja lächeln lassen
So gut als sprechen) gab er höhnisch Antwort
Den mißvergnügten Gliedern, die rebellisch
Die Einkünft' ihm nicht gönnten; ganz so passend
Wie ihr auf unsre Senatoren scheltet,
Weil sie nicht sind wie ihr.
ERSTER BÜRGER.
Des Bauches Antwort? Wie!
Das fürstlich hohe Haupt; das wache Auge;
Das Herz: der kluge Rat; der Arm: der Krieger;
Das Bein: das Roß; die Zunge: der Trompeter;
Nebst andern Ämtern noch und kleinern Hülfen
In diesem unserm Bau, wenn sie –
MENENIUS.
Was denn,
Mein' Treu'! der Mensch da schwatzt! Was denn? was denn?
ERSTER BÜRGER.
So würden eingezwängt vom Fresser Bauch,
Der nur des Leibes Abfluß –
MENENIUS.
Gut, was denn?
ERSTER BÜRGER.
Die andern Kräfte, wenn sie nun so klagte
Der Bauch, was könnt' er sagen?
MENENIUS.
Ihr sollt's hören.
Schenkt ihr ein bißchen, was ihr wenig habt,
Geduld, so sag' ich euch des Bauches Antwort.
ERSTER BÜRGER.
Ihr macht es lang.
MENENIUS.
Jetzt paßt wohl auf, mein Freund!
Eu'r höchst verständ'ger Bauch, er war bedächtig,
[802]
Nicht rasch, gleich den Beschuld'gern, und sprach so:
»Wahr ist's, ihr einverleibten Freunde«, sagt' er,
»Zuerst nehm' ich die ganze Nahrung auf,
Von der ihr alle lebt; und das ist recht,
Weil ich das Vorratshaus, die Werkstatt bin
Des ganzen Körpers. Doch bedenkt es wohl:
Durch eures Blutes Ströme send' ich sie
Bis an den Hof, das Herz – den Thron, das Hirn,
Und durch des Körpers Gäng' und Windungen
Empfängt der stärkste Nerv', die feinste Ader
Von mir den angemeßnen Unterhalt,
Wovon sie leben. Und obwohl ihr alle –
Ihr guten Freund'«, – habt acht, dies sagt der Bauch!
ERSTER BÜRGER.
Gut. Weiter!
MENENIUS.
»Seht ihr auch nicht all' auf eins,
Was jeder einzelne von mir empfängt,
Doch kann ich Rechnung legen, daß ich allen
Das feinste Mehl von allem wieder gebe
Und nur die Klei' mir bleibt.« Wie meint ihr nun?
ERSTER BÜRGER.
Das war 'ne Antwort. Doch wie paßt das hier?
MENENIUS.
Roms Senatoren sind der gute Bauch,
Ihr die empörten Glieder; denn erwägt
Ihr Müh'n, ihr Sorgen; wohl bedenkt, was alles
Des Staates Vorteil heischt: so seht ihr ein,
Kein allgemeines Gut, was ihr empfangt,
Das nicht entsprang und kam zu euch von ihnen,
Durchaus nicht von euch selbst. Was denkt ihr nun?
Du, große Zeh', in dieser Ratsversammlung!
ERSTER BÜRGER.
Ich die große Zehe? warum die große Zehe?
MENENIUS.
Weil du, der Niedrigst', Ärmst', Erbärmlichste
Von dieser weisen Rebellion, vorantrittst:
Du Schwächling ohne Kraft und Ansehn läufst
Voran und führst, dir Vorteil zu erjagen. –
Doch schwenkt nur eure Stäb' und dürren Knüttel,
Rom und sein Rattenvolk zieht aus zur Schlacht,
Der eine Teil muß tot sich fressen.

Cajus Marcius tritt auf.

Heil, edler Marcius!
[803] MARCIUS.
Dank Euch! Was gibt es hier? Rebell'sche Schurken,
Die ihr das Jucken eurer Einsicht kratzt,
Bis ihr zu Aussatz werdet?
ERSTER BÜRGER.
Von Euch bekommen wir doch immer gute Worte.
MARCIUS.
Ein gutes Wort dir geben, hieße schmeicheln
Jenseit des Abscheus. Was verlangt ihr, Hunde?
Die Krieg nicht wollt, noch Frieden; jener schreckt euch,
Und dieser macht euch frech. Wer euch vertraut,
Find't euch als Hasen, wo er Löwen hofft,
Wo Füchse, Gans'. Ihr seid nicht sichrer, nein!
Als glüh'nde Feuerkohlen auf dem Eis,
Schnee in der Sonne. Eure Tugend ist,
Den adeln, den Verbrechen niedertreten,
Dem Recht zu fluchen, das ihn schlägt. Wer Größe
Verdient, verdient auch euern Haß; und eure Liebe
Ist eines Kranken Gier, der heftig wünscht,
Was nur sein Übel mehrt. Wer sich verläßt
Auf eure Gunst, der schwimmt mit blei'rnen Flossen,
Und haut mit Binsen Eichen nieder. Hängt euch!
Euch traun?
Ein Augenblick, so ändert ihr den Sinn,
Und nennt den edel, den ihr ben haßtet,
Den schlecht, der euer Abgott war. Was gibt's?
Daß ihr, auf jedem Platz der Stadt gedrängt,
Schreit gegen den Senat, der doch allein,
Zunächst den Göttern, euch in Furcht erhält;
Ihr fräß't einander sonst. Was wollen sie?
MENENIUS.
Nach eignem Preis das Korn, das, wie sie sagen
Im Überfluß daliegt.
MARCIUS.
Hängt sie! Sie sagen's?
Beim Feuer sitzend wissen sie genau,
Was auf dem Kapitol geschieht; wer steigt,
Wer gilt, wer fällt; da stiften sie Faktionen
Und schließen Ehen; stärken die Partei
Und beugen die, die nicht nach ihrem Sinn,
Noch unter ihre Nägelschuh'. Sie sagen,
[804]
Korn sei genug vorhanden?
Wenn sich der Adel doch der Mild' entschlüge,
Daß ich mein Schwert ziehn dürft'. Ich häufte Berge
Von Leichen der zerhau'nen Sklaven, höher,
Als meine Lanze reicht.
MENENIUS.
Nein, diese sind fast gänzlich schon beruhigt;
Denn, fehlt im Überfluß auch der Verstand,
So sind sie doch ausbündig feig. Doch sagt mir,
Was macht der andre Trupp?
MARCIUS.
Schon ganz zerstreut.
Die Schurken!
Sie hungern, sagten sie, und ächzten Sprüchlein,
Als: »Not bricht Eisen«; »Hunde müssen fressen«;
»Das Brot ist für den Mund«; »die Götter senden
Nicht bloß den Reichen Korn«. Mit solchen Fetzen
Macht sich ihr Klagen Luft; man hört sie gütig,
Bewilligt eine Ford'rung – eine starke –
(Des Adels Herz zu brechen, jede Kraft
Zu töten), und nun schmeißen sie die Mützen,
Als sollten auf des Mondes Horn sie hängen,
Frech laut und lauter jauchzend.
MENENIUS.
Und was ward zugestanden?
MARCIUS.
Fünf Tribunen,
Um ihre Pöbelweisheit zu vertreten,
Aus eigner Wahl: der ein' ist Junius Brutus,
Sicinius und – was weiß ich, – Tod und Pest!
Die Lumpen sollten eh' die Stadt abdecken,
Als mich so weit zu bringen. Nächstens nun
Gewinnen sie noch mehr und fordern Größres
Mit Androhn der Empörung.
MENENIUS.
Das ist seltsam.
MARCIUS.
Geht, fort mit euch, ihr Überbleibsel!

Ein Bote tritt auf.
BOTE.
Ist Cajus Marcius hier?
MARCIUS.
Nun ja! was soll's?
BOTE.
Ich meld' Euch, Herr, die Volsker sind in Waffen.
MARCIUS.
Mich freut's! So werden wir am besten los
[805]
Den Überfluß, der schimmlicht wird. – Seht da,
Die würd'gen Väter!

Es treten auf Cominius, Titus Lartius und andre Senatoren, Junius Brutus und Sicinius Velutus.
ERSTER SENATOR.
Marcius, was Ihr uns sagtet, ist geschehn;
Die Volsker sind in Waffen.
MARCIUS.
Ja, sie führt
Tullus Aufidius, der macht euch zu schaffen.
Ich sünd'ge, seinen Adel ihm zu neiden,
Und wär' ich etwas anders als ich bin,
So wünscht' ich, er zu sein.
COMINIUS.
Ihr fochtet mit einander?
MARCIUS.
Wenn, halb und halb geteilt, die Welt sich zauste,
Und er auf meiner Seit', ich fiele ab,
Nur daß ich ihn bekämpft'. – Er ist ein Löwe,
Den ich zu jagen stolz bin.
ERSTER SENATOR.
Darum, Marcius,
Magst du Cominius folgen in den Krieg.
COMINIUS.
Ihr habt es einst versprochen.
MARCIUS.
Herr, das hab' ich,
Und halte Wort. Du, Titus Lartius, siehst
Noch einmal Tullus mich ins Antlitz schlagen.
Wie – bist du krank? bleibst aus?
TITUS.
Nein, Cajus Marcius.
Ich lehn' auf eine Krück' und schlage mit der andern,
Eh' ich dies Werk versäum'.
MARCIUS.
O edles Blut!
ERSTER SENATOR.
Begleitet uns zum Kapitol, dort harren
Die treusten Freunde unser.
TITUS.
Geht voran –
Cominius, folgt ihm nach, wir folgen Euch,
Ihr seid des Vorrangs würdig.
COMINIUS.
Edler Lartius!
ERSTER SENATOR
zu den Bürgern.
Geht, macht euch fort! – Nach Haus!
MARCIUS.
Nein, laßt sie folgen!
Die Volsker haben Korn; dahin, ihr Ratten,
[806]
Die Scheuren freßt! – Hochadlige Rebellen,
Eu'r Mut schlägt herrlich aus. Ich bitte, folgt!

Senatoren, Cominius, Marcius, Titus Lartius und Menenius gehn ab; die Bürger schleichen sich fort.
SICINIUS.
War je ein Mensch so stolz wie dieser Marcius?
BRUTUS.
Er hat nicht seinesgleichen.
SICINIUS.
Als wir ernannt zu Volkstribunen wurden –
BRUTUS.
Saht Ihr sein Aug', den Mund?
SICINIUS.
Ja, und sein Höhnen.
BRUTUS.
Gereizt schont nicht sein Spott die Götter selbst.
SICINIUS.
Den keuschen Mond auch würd' er lästern.
BRUTUS.
Verschling' ihn dieser Krieg; er ward zu stolz,
So tapfer wie er ist.
SICINIUS.
Solch ein Gemüt,
Gekitzelt noch vom Glück, verschmäht den Schatten,
Auf den er mittags tritt. Doch wundert's mich,
Wie nur sein Hochmut es erträgt, zu stehn
Unter Cominius.
BRUTUS.
Ruhm, nach dem er zielt,
Und der schon reich ihn schmückt, wird besser nicht
Erhalten und erhöht, als auf dem Platz
Zunächst dem Ersten; denn was nun mißlingt,
Das ist des Feldherrn Schuld, tut er auch alles,
Was Menschenkraft vermag; und schwindelnd Urteil
Ruft dann vom Marcius aus: Oh, hätte dieser
Den Krieg geführt!
SICINIUS.
Gewiß, und geht es gut,
So raubt das Vorurteil, am Marcius hängend,
Cominius jegliches Verdienst.
BRUTUS.
Jawohl. –
Cominius' halben Ruhm hat Marcius schon,
Erwarb er ihn auch nicht; und jenes Fehler,
Sie werden Marcius' Ruhm, tat er auch selbst
Nichts Großes mehr.
SICINIUS.
Kommt, laßt uns hin und hören
Die Ausfert'gung, und in was Art und Weise
[807]
Er, außer seiner Einzigkeit, nun geht
In diesen jetz'gen Kampf.
BRUTUS.
So gehn wir denn!

Beide ab.
Zweite Szene
Tullus Aufidius tritt auf mit einigen Senatoren.

ERSTER SENATOR.
So glaubt Ihr wirklich denn, Aufidius,
Daß die von Rom erforschten unsern Plan
Und wissen, was wir tun?
AUFIDIUS.
Glaubt Ihr's denn nicht?
Was ward wohl je gedacht in unserm Staat,
Das nicht, ch's körperliche Tat geworden,
Rom ausgeforscht? Noch sind's vier Tage nicht,
Daß man von dort mir schrieb; so, denk' ich, lautet's –
Ich hab' den Brief wohl hier; – ja, dieser ist's.

Er liest.

»Geworben wird ein Heer; doch niemand weiß,
Ob für den Ost, den West. Groß ist die Teurung,
Das Volk im Aufruhr, und man raunt sich zu,
Cominius, Marcius, Euer alter Feind
(Der mehr in Rom gehaßt wird als von Euch),
Und Titus Lartius, ein sehr tapfrer Römer,
Daß diesen drei'n die Rüstung ward vertraut.
Wohin's auch geht: wahrscheinlich trifft es Euch,
Drum seht Euch vor!«
ERSTER SENATOR.
Im Feld stehn unsre Scharen;
Wir zweifeln nie, daß Rom, uns zu begegnen,
Stets sei bereit.
AUFIDIUS.
Und Ihr habt klug gehandelt,
Zu bergen Euern großen Plan, bis er
Sich zeigen mußte; doch im Brüten schon
Erkannt' ihn Rom, so scheint's; durch die Entdeckung
Wird unser Ziel geschmälert, welches war,
Zu nehmen manche Stadt, eh' selbst die Römer
Bemerkt, daß wir im Gang.
ZWEITER SENATOR.
Edler Aufidius,
[808]
Nehmt Eure Vollmacht, eilt zu Euren Scharen,
Laßt uns zurück, Corioli zu schützen;
Belagern sie uns hier, kommt zum Entsatz
Mit Eurem Heer zurück; doch sollt Ihr sehn,
Die Rüstung gilt nicht uns.
AUFIDIUS.
Oh! zweifelt nicht;
Ich sprech' aus sichrer Nachricht. Ja – noch mehr,
Schon rückten ein'ge Römerhaufen aus,
Und nur hieherwärts. Ich verlass' euch, Väter.
Wenn wir und Cajus Marcius uns begegnen,
So ist geschworen, daß der Kampf nicht endet,
Bis einer fällt.
ALLE SENATOREN.
Die Götter sei'n mit Euch!
AUFIDIUS.
Sie schirmen Eure Ehren!
ERSTER SENATOR.
Lebt wohl!
ZWEITER SENATOR.
Lebt wohl!
AUFIDIUS.
Lebt wohl!

Alle ab.
Dritte Szene
Volumnia und Virgilia sitzen und nähen.

VOLUMNIA.

Ich bitte dich, Tochter, singe, oder sprich wenigstens trostreicher; wenn mein Sohn mein Gemahl wäre, ich würde mich lieber seiner Abwesenheit erfreuen, durch die er Ehre erwirbt, als der Umarmungen seines Bettes, in denen ich seine Liebe erkennte. Da er noch ein zarter Knabe war und das einzige Kind meines Schoßes, da Jugend und Anmut gewaltsam alle Blicke auf ihn zogen, als die tagelangen Bitten eines Königs einer Mutter nicht eine einzige Stunde seines Anblicks abgekauft hätten, schon damals, – wenn ich bedachte, wie Ehre solch ein Wesen zieren würde, und daß es nicht besser sei als ein Gemälde, das an der Wand hängt, wenn Ruhmbegier es nicht belebte –, war ich erfreut, ihn da Gefahren suchen zu sehn, wo er hoffen konnte, Ruhm zu finden. In einen grausamen Krieg sandte ich ihn, aus dem er zurück kehrte, die Stirn mit Eichenlaub umwunden. [809] Glaube mir, Tochter, mein Herz hüpfte nicht mehr vor Freuden, als ich zuerst hörte, es sei ein Knabe, als jetzt, da ich zuerst sah, es sei ein Mann geworden.

VIRGILIA.
Aber wäre er nun in der Schlacht geblieben, teure Mutter, wie dann?
VOLUMNIA.

Dann wäre sein Nachruhm mein Sohn gewesen; in ihm hätte ich mein Geschlecht gesehn. Höre mein offenherziges Bekenntnis: hätte ich zwölf Söhne, jeder meinem Herzen gleich lieb, und keiner mir weniger teuer als dein um mein guter Marcius, ich wollte lieber elf für ihr Vaterland edel sterben sehn, als einen einzigen in wollüstigem Müßiggang schwelgen.


Es tritt eine Dienerin auf.
DIENERIN.
Edle Frau, Valeria wünscht Euch zu sehn.
VIRGILIA.
Ich bitte, erlaubt mir, mich zurück zu ziehn.
VOLUMNIA.
O nein! das sollst du nicht.
Mich dünkt, bis hier tönt deines Gatten Trommel,
Er reißt Aufidius bei den Haaren nieder,
Wie Kinder vor dem Bären fliehn die Volsker:
Mich dünkt, ich seh's! So stampft er und ruft aus:
»Memmen, heran! In Furcht seid ihr gezeugt,
Obwohl in Rom geboren.« Und er trocknet
Die blut'ge Stirn mit eh'rner Hand, und schreitet
So wie ein Schnitter, der sich vorgesetzt,
Alles zu mähn, wo nicht, den Lohn zu missen.
VIRGILIA.
Die blut'ge Stirn! – O Jupiter! kein Blut!
VOLUMNIA.
O schweig', du Törin! Schöner ziert's den Mann
Als Goldtrophä'n. Die Brust der Hekuba
War schöner nicht, da sie den Hektor säugte,
Als Hektors Stirn, die Blut entgegen spritzte
Im Kampf den Griechenschwertern. – Sagt Valerien,
Wir sind bereit, sie zu empfangen.

Dienerin ab.
VIRGILIA.
Himmel!
Schütz' meinen Mann vorm grimmigen Aufidius!
VOLUMNIA.
Er schlägt Aufidius' Haupt sich unters Knie
Und tritt auf seinen Hals.

Valeria tritt auf.
[810] VALERIA.
Ihr edlen Frauen, euch beiden guten Tag!
VOLUMNIA.
Liebe Freundin –
VIRGILIA.
Ich bin erfreut, Euch zu sehn, verehrte Frau.
VALERIA.

Was macht ihr beide? Ihr seid ausgemachte Haushälterinnen. Wie! – Ihr sitzt hier und näht? – Ein artiges Vergnügen, das muß ich gestehn. – Was macht Euer kleiner Sohn?

VIRGILIA.
Ich danke Euch, edle Frau, er ist wohl.
VOLUMNIA.
Er mag lieber Schwerter sehn und die Trommel hören, als auf seinen Schulmeister acht geben.
VALERIA.

Oh! auf mein Wort, ganz der Vater. Ich kann's beschwören, er ist ein allerliebster Knabe. Nein wahrlich, ich beobachtete ihn am Mittwoch eine halbe Stunde ununterbrochen; er hat etwas so Entschloßnes in seinem Benehmen. Ich sah ihn einem glänzenden Schmetterlinge nachlaufen, und als er ihn gefangen hatte, ließ er ihn wieder fliegen, und nun wieder ihm nach, und fiel der Länge nach hin, und wieder aufgesprungen und ihn noch einmal gefangen. Hatte ihn sein Fall böse gemacht, oder was ihm sonst sein mochte, aber er knirschte so mit den Zähnen und zerriß ihn. Oh! ihr könnt nicht glauben, wie er ihn zerfetzte.

VOLUMNIA.
Ganz seines Vaters Art.
VALERIA.
Ei wahrhaftig! er ist ein edles Kind.
VIRGILIA.
Ein kleiner Wildfang, Valeria.
VALERIA.
Kommt, legt Eure Stickerei weg, Ihr müßt heut nachmittag mit mir die müßige Hausfrau machen.
VIRGILIA.
Nein, teure Frau, ich werde nicht ausgehn.
VALERIA.
Nicht ausgehn?
VOLUMNIA.
Sie wird, sie wird.
VIRGILIA.

Nein, gewiß nicht; erlaubt es mir! Ich will nicht über die Schwelle schreiten, eh' mein Gemahl aus dem Kriege heimgekehrt ist.

VALERIA.

Pfui! wollt Ihr so wider alle Vernunft Euch einsperren? Kommt mit, Ihr müßt eine gute Freundin besuchen, die im Kindbette liegt.

VIRGILIA.

Ich will ihr eine schnelle Genesung wünschen und sie mit meinem Gebet besuchen, aber hingehn kann ich nicht.

VOLUMNIA.
Nun, warum denn nicht?
[811] VIRGILIA.
Es ist gewiß nicht Trägheit oder Mangel an Liebe.
VALERIA.

Ihr wäret gern eine zweite Penelope; und doch sagt man, alles Garn, das sie in Ulysses' Abwesenheit spann, füllte Ithaka nur mit Motten. Kommt, ich wollte, Eure Leinwand wäre so empfindlich wie Euer Finger, so würdet Ihr aus Mitleid aufhören, sie zu stechen. Kommt, Ihr müßt mitgehn.

VIRGILIA.
Nein, Liebe, verzeiht mir; im Ernst, ich werde nicht ausgehn.
VALERIA.

Ei wahrhaftig! Ihr müßt mitgehn; dann will ich Euch auch herrliche Neuigkeiten von Eurem Gemahl erzählen.

VIRGILIA.
Oh, liebe Valeria! es können noch keine gekommen sein.
VALERIA.
Wahrlich! ich scherze nicht mit Euch; es kam gestern abend Nachricht von ihm.
VIRGILIA.
In der Tat?
VALERIA.

Im Ernst, es ist wahr; ich hörte einen Senator davon erzählen. So war es: – Die Volsker haben ein Heer ausrücken lassen, welchem Cominius, der Feldherr, mit einem Teil der römischen Macht entgegen gegangen ist. Euer Gemahl und Titus Lartius belagern ihre Stadt Corioli; sie zweifeln nicht daran, sie zu erobern und den Krieg bald zu beendigen. Dies ist wahr, bei meiner Ehre! und nun bitte ich Euch, geht mit uns!

VIRGILIA.
Verzeiht mir, gute Valeria, künftig will ich Euch in allem andern gehorchen.
VOLUMNIA.
Ei, laßt sie, Liebe! Wie sie jetzt ist, würde sie nur unser Vergnügen stören.
VALERIA.

Wirklich, das glaube ich auch. So lebt denn wohl! Kommt, liebe, teure Frau! Ich bitte dich, Virgilia, wirf deine Feierlichkeit zur Tür hinaus und geh noch mit!

VIRGILIA.
Nein, auf mein Wort, Valeria. In der Tat, ich darf nicht; ich wünsche Euch viel Vergnügen.
VALERIA.
Gut, so lebt denn wohl!

Alle ab.
[812]
Vierte Szene
Mit Trommeln und Fahnen treten auf Marcius, Titus Lartius, Anführer, Krieger. Zu ihnen ein Bote.

MARCIUS.
Ein Bote kommt. Ich wett', es gab ein Treffen.
TITUS.
Mein Pferd an Eures: Nein!
MARCIUS.
Es gilt.
TITUS.
Es gilt.
MARCIUS.
Sprich du: Traf unser Feldherr auf den Feind?
BOTE.
Sie schaun sich an, doch sprachen sie noch nicht.
TITUS.
Das gute Pferd ist mein.
MARCIUS.
Ich kauf's Euch ab.
TITUS.
Nein, ich verkauf' und geb's nicht; doch Euch borg' ich's
Für funfzig Jahr. – Die Stadt nun fordert auf!
MARCIUS.
Wie weit abstehn die Heere?
BOTE.
Kaum drei Stunden.
MARCIUS.
So hören wir ihr Feldgeschrei, sie unsers. –
Nun, Mars, dir fleh' ich, mach' uns rasch im Werk,
Daß wir mit dampfendem Schwert von hinnen ziehn,
Den kampfgescharten Freunden schnell zu helfen.
Komm, blas' nun deinen Aufruf!

Es wird geblasen, auf den Mauern erscheinen Senatoren und andre.

Tullus Aufidius, ist er in der Stadt?
ERSTER SENATOR.
Nein, doch gleich ihm hält jeder Euch gering,
Und kleiner als das Kleinste. Horcht die Trommeln

Kriegsmusik aus der Ferne.

Von unsrer Jugend Schar! Wir brechen eh' die Mauern.
Als daß sie uns einhemmten. Unsre Tore,
Zum Schein geschlossen, riegeln Binsen nur,
Sie öffnen sich von selbst. Horcht, weit her tönt's.

Kriegsgeschrei.

Das ist Aufidius. Merkt, wie er hantiert
Dort im gespaltnen Heer!
[813] MARCIUS.
Ha! sie sind dran!
TITUS.
Der Lärm sei unsre Weisung. Leitern her!

Die Volsker kommen aus der Stadt.
MARCIUS.
Sie scheun uns nicht; nein, dringen aus der Stadt.
Werft vor das Herz den Schild und kämpft mit Herzen,
Gestählter als die Schild'! Auf, wackrer Titus!
Sie höhnen uns weit mehr, als wir gedacht;
Das macht vor Zorn mich schwitzen. Fort, Kam'raden!
Wenn einer weicht, den halt' ich für 'nen Volsker,
Und fühlen soll er meinen Stahl.

Römer und Volsker gehn kämpfend ab. Die Römer werden zurückgeschlagen. Marcius kommt wieder.
MARCIUS.
Die ganze Pest des Südens fall' auf euch!
Schandflecke Roms ihr! – Schwär' und Beulen zahllos
Vergiften euch, daß ihr ein Abscheu seid,
Eh' noch gesehn, und gegen Windeshauch
Euch ansteckt meilenweit! Ihr Gänseseelen
In menschlicher Gestalt! Vor Sklaven lauft ihr,
Die Affen schlagen würden? Höll' und Pluto!
Wund rücklings, Nacken rot, Gesichter bleich
Vor Furcht und Fieberfrost! Kehrt um! Greift an!
Sonst, bei des Himmels Blitz! lass' ich den Feind
Und stürz' auf euch. Besinnt euch denn, voran!
Steht, und wir schlagen sie zu ihren Weibern,
Wie sie zu unsern Schanzen uns gefolgt!

Ein neuer Angriff, Volsker und Römer kämpfen. Die Volsker flüchten in die Stadt, Marcius verfolgt sie.

Auf geht das Tor: nun zeigt euch wackre Helfer!
Für die Verfolger hat's das Glück geöffnet,
Nicht für die Flücht'gen. Nach! und tut wie ich!

Er stürzt in die Stadt, und das Tor wird hinter ihm geschlossen.
ERSTER SOLDAT.
Tolldreist! Ich nicht –
ZWEITER SOLDAT.
Noch ich.
DRITTER SOLDAT.
Da seht! sie haben
Ihn eingesperrt.
[814] ALLE.
Nun geht er drauf, das glaubt nur.

Titus Lartius tritt auf.
TITUS.
Was ward aus Marcius?
ALLE.
Tot, Herr, ganz gewiß.
ERSTER SOLDAT.
Den Flücht'gen folgt' er auf den Fersen nach,
Und mit hinein; sie augenblicks die Tore
Nun zugesperrt: drin ist er, ganz allein,
Der ganzen Stadt zu trotzen.
TITUS.
Edler Freund!
Du, fühlend kühner als dein fühllos Schwert,
Feststehend, wenn dies beugt, verloren bist du, Marcius!
Der reinste Diamant, so groß wie du,
Wär' nicht ein solch Juwel; du warst ein Krieger
Nach Catos Sinn, nicht wild, und fürchterlich
In Streichen nur; nein, deinem grimmen Blick
Und deiner Stimme donnergleichem Schmettern
Erbebten deine Feind', als ob die Welt
Im Fieber zitterte.

Marcius kommt zurück, blutend, von den Feinden verfolgt.
ERSTER SOLDAT.
Seht, Herr!
TITUS.
Oh! da ist Marcius!
Laßt uns ihn retten, oder mit ihm fallen!

Gefecht. Alle dringen in die Stadt.
Fünfte Szene
Römer kommen mit Beute.

ERSTER RÖMER.
Das will ich mit nach Rom nehmen.
ZWEITER RÖMER.
Und ich dies.
DRITTER RÖMER.
Hol's der Henker! ich hielt das für Silber.

Marcius und Titus treten auf mit einem Trompeter.
MARCIUS.
Seht diese Trödler, die die Stunden schätzen
Nach rost'gen Drachmen. Kissen, bleierne Löffel,
Blechstückchen, Wämser, die der Henker selbst
[815]
Verscharrte mit dem Leichnam, stiehlt die Brut,
Eh' noch die Schlacht zu Ende. – Haut sie nieder! –
Oh, hört des Feldherrn Schlachtruf! Fort zu ihm!
Dort kämpft, den meine Seele haßt, Aufidius,
Und mordet unsre Römer. Drum, mein Titus,
Nimm eine Anzahl Volks, die Stadt zu halten;
Mit denen, die der Mut befeuert, eil' ich,
Cominius beizustehn.
TITUS.
Du blutest, edler Freund!
Die Arbeit war zu schwer, sie zu erneun
In einem zweiten Gang.
MARCIUS.
Herr, rühmt mich nicht!
Dies Werk hat kaum mich warm gemacht. Lebt wohl!
Das Blut, das ich verzapft, ist mehr Arznei
Als mir gefährlich. Vor Aufidius so
Tret' ich zum Kampf.
TITUS.
Fortunas holde Gottheit
Sei jetzt in dich verliebt; ihr starker Zauber
Entwaffne deines Feindes Schwert! O Held!
Dein Knappe sei Glückseligkeit!
MARCIUS.
Dir helfend,
Wie ihrem teu'rsten Liebling! Lebe wohl!

Geht ab.
TITUS.
Ruhmwürd'ger Marcius! –
Geh du, blas' auf dem Marktplatz die Trompete,
Und ruf der Stadt Beamte dort zusammen,
Daß sie vernehmen unsern Willen. Fort!

Ab.
Sechste Szene
Cominius und sein Heer auf dem Rückzuge.

COMINIUS.
Erfrischt euch, Freunde! Gut gekämpft! Wir hielten
Wie Römer uns: nicht tollkühn dreist im Stehn,
Noch feig im Rückzug. Auf mein Wort, ihr Krieger,
Der Angriff wird erneut. Indem wir kämpften,
Erklang, vom Wind geführt, in Zwischenräumen
Der Freunde Schlachtruf. Oh! ihr Götter Roms!
Führt sie zu Ruhm und Sieg, so wie uns selbst,
[816]
Daß unsre Heere, lächelnd sich begegnend,
Euch dankbar Opfer bringen!

Ein Bote tritt auf.

Deine Botschaft?
BOTE.
Die Mannschaft von Corioli brach aus
Und fiel den Marcius und den Lartius an;
Ich sah die Unsern zu den Schanzen fliehn,
Da eilt' ich fort.
COMINIUS.
Mich dünkt, sprichst du auch wahr,
So sprichst du doch nicht gut. Wie lang' ist's her?
BOTE.
Mehr als 'ne Stunde, Herr.
COMINIUS.
's ist keine Meil', wir hörten noch die Trommeln.
Wie – gingst du eine Stund' auf diese Meile?
Und bringst so spät Bericht?
BOTE.
Der Volsker Späher
Verfolgten mich, so lief ich einen Umweg
Von drei, vier Meilen; sonst bekamt Ihr, Herr,
Vor einer halben Stunde schon die Botschaft.

Marcius tritt auf.
COMINIUS.
Doch, wer ist jener,
Der aussieht wie geschunden? Oh! ihr Götter!
Er trägt des Marcius Bildung, und schon sonst
Hab' ich ihn so gesehn.
MARCIUS.
Komm' ich zu spät?
COMINIUS.
Der Schäfer unterscheidet nicht so gut
Schalmei und Donner, wie ich Marcius' Stimme
Von jedem schwächern Laut.
MARCIUS.
Komm' ich zu spät?
COMINIUS.
Ja, wenn du nicht in fremdem Blut gekleidet,
Im eignen kommst.
MARCIUS.
Oh! laßt mich Euch umschlingen
Mit kräft'gen Armen, wie als Bräutigam,
Mit freud'gem Herzen, wie am Hochzeitstag,
Als Kerzen mir zu Bett geleuchtet!
COMINIUS.
Oh!
Mein Kriegesheld, wie geht's dem Titus Lartius?
[817] MARCIUS.
Wie einem, der geschäftig Urteil spricht,
Zum Tode den verdammt, den zur Verbannung,
Den frei läßt, den beklagt, dem andern droht.
Er hält Corioli im Namen Roms,
So wie ein schmeichelnd Windspiel, an der Leine,
Die er nach Willkür löst.
COMINIUS.
Wo ist der Sklav',
Der sprach, sie schlügen Euch zurück ins Lager?
Wo ist er? Ruft ihn her!
MARCIUS.
Nein, laßt ihn nur!
Die Wahrheit sprach er; doch die edlen Herrn,
Das niedre Volk (verdammt! für sie Tribunen), –
Die Maus läuft vor der Katze nicht, wie sie
Vor Schuften rannten, schlechter als sie selbst.
COMINIUS.
Wie aber drangt Ihr durch?
MARCIUS.
Ist zum Erzählen Zeit? Ich denke nicht. –
Wo ist der Feind? Seid Ihr des Feldes Herr?
Wo nicht, was ruht Ihr, bis Ihr's seid?
COMINIUS.
O Marcius!
Wir fochten mit Verlust und zogen uns
Zurück, den Vorteil zu erspähn.
MARCIUS.
Wie steht ihr Heer? Wißt Ihr, auf welcher Seite
Die beste Mannschaft ist?
COMINIUS.
Ich glaube, Marcius,
Im Vordertreffen kämpfen die Antiaten,
Ihr bestes Volk; Aufidius führt sie an,
Der ihrer Hoffnung Seel' und Herz.
MARCIUS.
Ich bitt' dich,
Bei jeder Schlacht, in der vereint wir fochten,
Bei dem vereint vergoßnen Blut, den Schwüren,
Uns ewig treu zu lieben: stell' mich grade
Vor die Antiaten und Aufidius hin;
Und säumt nicht länger! Nein, im Augenblick
Erfülle Speer- und Schwertgetön die Luft,
Und proben wir die Stunde!
COMINIUS.
Wünscht'ich gleich,
Du würdest in ein laues Bad geführt,
Dir Balsam aufgelegt: doch wag' ich nie,
[818]
Dir etwas zu verweigern. Wähl' dir selbst
Für diesen Kampf die Besten!
MARCIUS.
Das sind nur
Die Willigsten. Ist irgendeiner hier
Und Sünde wär's, zu zweifeln), dem die Schminke
Gefällt, mit der er hier mich sieht gemalt,
Der üblen Ruf mehr fürchtet als den Tod,
Und schön zu sterben wählt statt schlechten Lebens,
Sein Vaterland mehr als sich selber liebt:
Wer so gesinnt, ob einer oder viele,
Der schwing' die Hand, um mir sein Ja zu sagen,
Und folge Marcius!

Alle jauchzen, schwingen die Schwerter, drängen sich um ihn und heben ihn auf ihren Armen empor.

Wie? Alle eins? Macht ihr ein Schwert aus mir?
Ist dies kein äußrer Schein, wer von euch allen
Ist nicht vier Volsker wert? Ein jeder kann
Aufidius einen Schild entgegen tragen,
So hart wie seiner. Eine Anzahl nur,
Dank' ich schon allen, wähl' ich: und den andern
Spar' ich die Arbeit für den nächsten Kampf,
Wie er sich bieten mag. Voran, ihr Freunde!
Vier meiner Leute mögen die erwählen,
Die mir am liebsten folgen.
COMINIUS.
Kommt, Gefährten:
Beweist, daß ihr nicht prahltet, und ihr sollt
Uns gleich in allem sein.

Alle ab.
Siebente Szene
Titus Lartius, eine Besatzung in Corioli zurücklassend, geht dem Marcius und Cominius mit Trommeln und Trompeten entgegen; ihm folgt ein Anführer mit Kriegern.

TITUS.
Besetzt die Tore wohl, tut Eure Pflicht,
Wie ich's Euch vorschrieb! Send' ich, schickt zur Hülfe
[819]
Uns die Centurien nach; der Rest genügt
Für kurze Deckung. Geht die Schlacht verloren,
So bleibt die Stadt uns doch nicht.
ANFÜHRER.
Traut auf uns!
TITUS.
Fort! und verschließet hinter uns die Tore!
Du, Bote, komm; führ' uns ins röm'sche Lager!

Alle ab.
Achte Szene
Kriegsgeschrei. Marcius und Aufidius, die einander begegnen.

MARCIUS.
Mit dir nur will ich kämpfen! denn dich hass' ich
Mehr als den Meineid.
AUFIDIUS.
Ja, so hass' ich dich.
Mir ist kein Drache Afrikas so greulich
Und giftig wie dein Ruhm. Setz' deinen Fuß!
MARCIUS.
Wer weicht, soll sterben als des andern Sklave,
Dann richten ihn die Götter!
AUFIDIUS.
Flieh' ich, Marcius,
So hetz' mich gleich dem Hasen!
MARCIUS.
Noch vor drei Stunden, Tullus,
Focht ich allein in eurer Stadt Corioli
Und hauste ganz nach Willkür. Nicht mein Blut
Hat so mich übertüncht; drum spann' die Kraft
Aufs höchste, dich zu rächen!
AUFIDIUS.
Wärst du Hektor,
Die Geißel eurer prahlerischen Ahnen,
Du kämst mir nicht von hier!

Sie fechten; einige Volsker kommen dem Aufidius zu Hülfe.

Dienstwillig, und nicht tapfer! Ihr beschimpft mich
Durch so verhaßten Beistand.

Alle fechtend ab.
[820]
Neunte Szene
Man bläst zum Rückzug; Trompeten. Von einer Seite tritt auf Cominius mit seinem Heer, von der andern Marcius, den Arm in der Binde, und andre Römer.

COMINIUS.
Erzählt' ich dir dein Werk des heut'gen Tages,
Du glaubtest nicht dein Tun; doch will ich's melden,
Wo Senatoren Trän' und Lächeln mischen,
Wo die Patrizier horchen und erbeben,
Zuletzt bewundern; wo sich Frau'n entsetzen
Und, froh erschreckt, mehr hören; wo der plumpe
Tribun, der, dem Plebejer gleich, dich haßt,
Ausruft, dem eignen Groll zum Trotz: »Dank, Götter,
Daß unserm Rom ihr solche Helden schenktet!«
Doch kamst du nur zum Nachtisch dieses Festes,
Vorher schon vollgesättigt.

Titus Lartius kommt mit seinen Kriegern.
TITUS.
O mein Feldherr!
Hier ist das Streitroß, wir sind das Geschirr.
Hätt'st du gesehn –
MARCIUS.
Still, bitt' ich. Meine Mutter,
Die einen Freibrief hat, ihr Blut zu preisen,
Kränkt mich, wenn sie mich rühmt. Ich tat ja nur,
Was ihr: das ist, so viel ich kann, erregt,
Wie ihr es waret, für mein Vaterland.
Wer heut den guten Willen nur erfüllte,
Hat meine Taten überholt.
COMINIUS.
Nicht darfst du
Das Grab sein deines Werts. Rom muß erkennen
Wie köstlich sein Besitz. Es war' ein Hehl,
Ärger als Raub, nicht minder als Verrat,
Zu decken deine Tat, von dem zu schweigen,
Was durch des Preises höchsten Flug erhoben,
Bescheiden noch sich zeigt. Drum bitt' ich dich,
Zum Zeichen, was du bist, und nicht als Lohn
Für all dein Tun, laß vor dem Heer mich reden!
MARCIUS.
Ich hab' so Wunden hier und da, die schmerzt es,
Sich so erwähnt zu hören.
[821] COMINIUS.
Geschäh's nicht,
Der Undank müßte sie zum Schwären bringen
Und bis zum Tod verpesten. Von den Pferden
(Wir fingen viel und treffliche) und allen
Den Schätzen, in der Stadt, im Feld erbeutet,
Sei dir der zehnte Teil, ihn auszusuchen
Noch vor der allgemeinen Teilung, ganz
Nach deiner eignen Wahl.
MARCIUS.
Ich dank' dir, Feldherr;
Doch sträubt mein Herz sich, einen Lohn zu nehmen
Als Zahlung meines Schwerts. Ich schlag' es aus
Und will nur so viel aus gemeiner Teilung
Wie alle, die nur ansahn, was geschah.

Ein langer Trompetenstoß. Alle rufen: »Marcius! Marcius!«, werfen Mützen und Speere in die Höhe.

Daß die Drommeten, die ihr so entweiht,
Nie wieder tönen! Wenn Posaun' und Trommel
Im Lager Schmeichler sind, mag Hof und Stadt
Ganz Lüge sein und Gleisnerei. Wird Stahl
Weich wie Schmarotzerseide, bleibe Erz
Kein Schirm im Kriege mehr! Genug, sag' ich. –
Weil ich die blut'ge Nase mir nicht wusch
Und einen Schwächling niederwarf, was mancher
Hier unbemerkt getan, schreit ihr mich aus
Mit übertriebnem, unverständ'gem Zuruf,
Als säh' ich gern mein kleines Selbst gefüttert
Mit Lob, gewürzt durch Lügen.
COMINIUS.
Zu bescheiden!
Ihr seid mehr grausam eignem Ruhm, als dankbar
Uns, die ihn redlich spenden; drum erlaubt:
Wenn gegen Euch Ihr wütet, legen wir
(Wie einen, der sich schadet) Euch in Fesseln,
Und sprechen sichrer dann. Drum sei es kund,
Wie uns, der ganzen Welt, daß Cajus Marcius
Des Krieges Kranz erwarb. Und des zum Zeichen
Nehm' er mein edles Roß, bekannt dem Lager,
Mit allem Schmuck; und heiß' er von heut an,
[822]
Für das, was vor Corioli er tat,
Mit vollem Beifallsruf des ganzen Heeres:
Cajus Marcius Coriolanus. – Führe
Den zugefügten Namen allezeit edel!

Trompetenstoß.
ALLE.
Cajus Marcius Coriolanus!
CORIOLANUS.
Ich geh', um mich zu waschen;
Und ist mein Antlitz rein, so könnt Ihr sehn,
Ob ich erröte. Wie's auch sei, ich dank' Euch:
Ich denk' Eu'r Pferd zu reiten, und allzeit
Mich wert des edlen Namenschmucks zu zeigen
Nach meiner besten Kraft.
COMINIUS.
Nun zu den Zelten,
Wo, eh' wir noch geruht, wir schreiben wollen
Nach Rom von unserm Glück. Ihr, Titus Lartius,
Müßt nach Corioli. Schickt uns nach Rom
Die Führer, daß wir dort mit ihnen handeln
Um ihr und unser Wohl.
TITUS.
Ich tu' es, Feldherr.
CORIOLANUS.
Die Götter spotten mein. Kaum schlug ich aus
Höchst fürstliche Geschenk', und muß nun betteln
Bei meinem Feldherrn.
COMINIUS.
Was es sei: gewährt!
CORIOLANUS.
Ich wohnt' einmal hier in Corioli
Bei einem armen Mann, er war mir freundlich;
Er rief mich an: ich sah ihn als Gefangnen;
Doch da hatt' ich Aufidius im Gesicht,
Und Wut besiegte Mitleid. Gebt, ich bitte,
Frei meinen armen Wirt!
COMINIUS.
O schöne Bitte!
Wär' er der Schlächter meines Sohns, er sollte
Frei sein, so wie der Wind. Entlaßt ihn, Titus!
TITUS.
Marcius, sein Nam'?
CORIOLANUS.
Bei Jupiter! vergessen!
Ich bin erschöpft. – Ja – mein Gedächtnis schwindet.
Ist hier nicht Wein?
[823] COMINIUS.
Gehn wir zu unsem Zelten!
Das Blut auf Eurem Antlitz trocknet. Schnell
Müßt Ihr verbunden werden. Kommt!

Alle ab.
Zehnte Szene
Trompetenstoß. Tullus Aufidius tritt auf, blutend, zwei Krieger mit ihm.

AUFIDIUS.
Die Stadt ist eingenommen.
ERSTER KRIEGER.
Sie geben auf Bedingung sie zurück.
AUFIDIUS.
Bedingung! –
Ich wollt', ich wär' ein Römer, denn als Volsker
Kann ich nicht sein das, was ich bin. – Bedingung! –
Was für Bedingung kann wohl der erwarten,
Der sich auf Gnad' ergab? Marcius, fünfmal
Focht ich mit dir, so oft auch schlugst du mich,
Und wirst es, denk' ich, treffen wir uns auch,
So oft wir speisen. – Bei den Elementen!
Wenn ich je wieder, Bart an Bart, ihm stehe,
Muß ich ihn ganz, muß er mich ganz vernichten;
Nicht mehr, wie sonst, ist ehrenvoll mein Neid;
Denn, dacht' ich ihn mit gleicher Kraft zu tilgen,
Ehrlich im Kampf, hau' ich ihn jetzt, wie's kommt;
Wut oder List vernicht' ihn!
ERSTER KRIEGER.
Teufel ist er.
AUFIDIUS.
Kühner, doch nicht so schlau. Vergiftet ist
Mein Mut, weil er von ihm den Flecken duldet,
Verleugnet eignen Wert. Nicht Schlaf noch Tempel,
Ob nackt, ob krank; nicht Kapitol noch Altar,
Der Priester Beten, noch des Opfers Stunde,
Vor denen jede Wut sich legt, erheben
Ihr abgenutztes Vorrecht gegen mich
Und meinen Haß auf ihn: Wo ich ihn finde,
Daheim, in meines Bruders Schutz, selbst da,
Dem gastlichen Gebot zuwider, wüsch' ich
Die wilde Hand in seinem Herzblut. Geht, –
[824]
Erforscht, wie man die Stadt bewahrt, und wer
Als Geisel muß nach Rom.
ERSTER KRIEGER.
Wollt Ihr nicht gehn?
AUFIDIUS.
Man wartet meiner im Zypressenwald,
Südwärts der Mühlen; dahin bringt mir Nachricht,
Wie die Welt geht, daß ich nach ihrem Schritt
Ansporne meinen Lauf.
ERSTER KRIEGER.
Das will ich, Herr.

Alle ab.
[825]

Zweiter Aufzug

Erste Szene
Es treten auf Menenius, Sicinius und Brutus.

MENENIUS.
Der Augur sagte mir, wir würden heut Nachricht erhalten.
BRUTUS.
Gute oder schlimme?
MENENIUS.
Nicht nach dem Wunsch des Volks; denn sie lieben den Marcius nicht.
SICINIUS.
Natur lehrt die Tiere selbst ihre Freunde kennen.
MENENIUS.
Sagt mir: Wen liebt der Wolf?
SICINIUS.
Das Lamm.
MENENIUS.
Es zu verschlingen, wie die hungrigen Plebejer den edlen Marcius möchten.
BRUTUS.
Nun, der ist wahrhaftig ein Lamm, das wie ein Bär blökt.
MENENIUS.

Er ist wahrhaftig ein Bär, der wie ein Lamm lebt. – Ihr seid zwei alte Männer: sagt mir nur eins, was ich euch fragen will.

BRUTUS.
Gut, Herr.
MENENIUS.
In welchem Unfug ist Marcius arm, in welchem ihr beide nicht reich seid?
BRUTUS.
Er ist nicht arm an irgendeinem Fehler, sondern mit allen ausgestattet.
SICINIUS.
Vorzüglich mit Stolz.
BRUTUS.
Und im Prahlen übertrifft er jeden andern.
MENENIUS.

Das ist doch seltsam! Wißt ihr beide wohl, wie ihr in der Stadt beurteilt werdet? Ich meine, von uns, aus den höhern Ständen.

BRUTUS.
Nun, wie werden wir denn beurteilt?
[826] MENENIUS.
Weil ihr doch eben vom Stolz sprachet – wollt ihr nicht böse werden?
BRUTUS.
Nur weiter, Herr, weiter!
MENENIUS.

Nun, es ist auch gleichgültig; denn ein sehr kleiner Dieb von Gelegenheit raubt euch wohl einen sehr großen Vorrat von Geduld. Laßt eurer Gemütsart den Zügel schießen und werdet böse, so viel ihr Lust habt; wenigstens, wenn es euch Vergnügen macht, es zu sein. Ihr tadelt Marcius wegen seines Stolzes?

BRUTUS.
Wir tun es nicht allein, Herr.
MENENIUS.

Das weiß ich wohl. Ihr könnt sehr wenig allein tun; denn eurer Helfer sind viele, sonst würden auch eure Taten außerordentlich einfältig heraus kommen; eure Fähigkeiten sind allzu kindermäßig, um vieles allein zu tun. Ihr sprecht von Stolz: Oh! könntet ihr den Sack auf eurem Rücken sehn und eine glückliche Überschau eures eignen edlen Selbst anstellen! – Oh! könntet ihr das! –

BRUTUS.
Und was dann?
MENENIUS.

Ei! dann entdecktet ihr ein Paar so verdienstlose, stolze, gewaltsame, hartköpfige Magistratspersonen (alias Narren), als nur irgendwelche in Rom.

SICINIUS.
Menenius, Ihr seid auch bekannt genug.
MENENIUS.

Ich bin bekannt als ein lustiger Patrizier, und einer, der einen Becher heißen Weins liebt, mit keinem Tropfen Tiberwasser gemischt. Man sagt, ich sei etwas schwach darin, immer den ersten Kläger zu begünstigen; hastig und entzündbar bei zu kleinen Veranlassungen; einer, der mit dem Hinterteil der Nacht mehr Verkehr hat als mit der Stirn des Morgens. Was ich denke, sag' ich, und verbrauche meine Bosheit in meinem Atem. Wenn ich zwei solchen Staatsmännern begegne, wie ihr seid (Lykurgusse kann ich euch nimmermehr nennen), und das Getränk, das ihr mir bietet, meinem Gaumen widerwärtig schmeckt, so mache ich ein krauses Gesicht dazu. Ich kann nicht sagen: Euer Edlen haben die Sache sehr gut vorgetragen, wenn ich den Esel aus jedem eurer Worte herausgucken sehe; und obwohl ich mit denen Geduld haben muß, welche sagen, ihr seid ehrwürdige, stattliche [827] Männer, so lügen doch die ganz abscheulich, welche behaupten, ihr hättet gute Gesichter. Wenn ihr dies auf der Landkarte meines Mikrokosmus entdeckt, folgt daraus, daß ich auch bekannt genug bin? Welch Unheil lesen eure blinden Scharfsichtigkeiten aus diesem Charakter heraus, um sagen zu können, daß ich auch bekannt genug bin?

BRUTUS.
Geht, Herr, geht! Wir kennen Euch gut genug.
MENENIUS.

Ihr kennt weder mich, euch selbst, noch irgend etwas. Ihr seid nach der armen Schelmen Mützen und Kratzfüßen ehrgeizig. Ihr bringt einen ganzen, ausgeschlagenen Vormittag damit zu, einen Zank zwischen einem Pomeranzenweibe und einem Kneipschenken abzuhören, und vertagt dann die Streitfrage über drei Pfennig auf den nächsten Gerichtstag. – Wenn ihr das Verhör über irgendeine Angelegenheit zwischen zwei Parteien habt, und es trifft sich, daß ihr von der Kolik gezwickt werdet, so macht ihr Gesichter wie die Possenreißer; steckt die blutige Fahne gegen alle Geduld auf und verlaßt, nach einem Nachttopf brüllend, den Prozeß blutend, nur noch verwickelter durch euer Verhör. Ihr stiftet keinen andern Frieden in dem Handel, als daß ihr beide Parteien Schurken nennt. Ihr seid ein paar seltsame Kreaturen!

BRUTUS.

Geht, geht! man weiß recht gut von Euch, daß Ihr ein beßrer Spaßmacher bei der Tafel seid als ein unentbehrlicher Beisitzer auf dem Kapitol.

MENENIUS.

Selbst unsre Priester müssen Spötter werden, wenn ihnen so lächerliche Geschöpfe aufstoßen wie ihr. Wenn ihr auch am zweckmäßigsten sprecht, so ist es doch das Wackeln eurer Bärte nicht wert; und für eure Bärte wäre es ein zu ehrenvolles Grab, das Kissen eines Flickschneiders zu stopfen oder in eines Esels Packsattel eingesargt zu werden. Und doch müßt ihr sagen: »Marcius ist stolz!« der, billig gerechnet, mehr wert ist als alle eure Vorfahren, seit Deukalion; wenn auch vielleicht einige der Besten von ihnen erbliche Henkersknechte waren. Ich wünsch' Euer Gnaden einen guten Abend; längere Unterhaltung mit euch würde mein Gehirn anstecken, denn ihr seid ja die [828] Hirten des Plebejerviehes. Ich bin so dreist, mich von euch zu beurlauben.


Brutus und Sicinius ziehen sich in den Hintergrund zurück.

Volumnia, Virgilia und Valeria kommen.

Wie geht's, meine eben so schönen als ehrenwerten Damen? Luna selbst, wandelte sie auf Erden, wäre nicht edler. Wohin folgt ihr euren Augen so schnell?

VOLUMNIA.
Ehrenwerter Menenius, mein Sohn Marcius kommt. Um der Juno willen, halt' uns nicht auf!
MENENIUS.
Wie! Marcius kommt zurück?
VOLUMNIA.
Ja, teurer Menenius, und mit der herrlichsten Auszeichnung.
MENENIUS.
Da hast du meine Mütze, Jupiter, und meinen Dank. Ha! Marcius kommt!
BEIDE FRAUEN.
Ja, es ist wahr.
VOLUMNIA.

Seht, hier ist ein Brief von ihm; der Senat hat auch einen, seine Frau einen, und ich glaube, zu Hause ist noch einer für Euch.

MENENIUS.
Mein ganzes Haus muß heut nacht herumtanzen. Ein Brief an mich?
VIRGILIA.
Ja, gewiß, es ist ein Brief für Euch da, ich habe ihn gesehn.
MENENIUS.

Ein Brief an mich! das macht mich für sieben Jahre gesund; in der ganzen Zeit will ich dem Arzt ein Gesicht ziehen. Das herrlichste Rezept im Galen ist dagegen nur Quacksalbsudelei, und gegen dies Bewahrungsmittel nicht besser als ein Pferdetrank. Ist er nicht verwundet? Sonst pflegte er verwundet zurückzukommen.

VIRGILIA.
Oh! nein, nein, nein!
VOLUMNIA.
Oh! er ist verwundet, ich danke den Göttern dafür.
MENENIUS.

Das tue ich auch, wenn es nicht zu arg ist. Bringt er Sieg in der Tasche mit? – Die Wunden stehn ihm gut.

VOLUMNIA.
Auf der Stirn, Menenius. Er kommt zum dritten Mal mit dem Eichenkranz heim.
MENENIUS.
Hat er den Aufidius tüchtig in die Lehre genommen?
[829] VOLUMNIA.
Titus Lartius schrieb: »Sie fochten mit einander, aber Aufidius entkam.«
MENENIUS.

Und es war Zeit für ihn, das kann ich ihm versichern. Hätte er ihm stand gehalten, so hätte ich nicht mögen so gefidiust werden für alle Kisten in Corioli und das Gold, das in ihnen ist. Ist das dem Senat gemeldet?

VOLUMNIA.

Liebe Frauen, laßt uns gehn! – Ja, ja, ja! – Der Senat hat Briefe vom Feldherrn, der meinem Sohn allein den Ruhm dieses Krieges zugesteht. Er hat in diesem Feldzuge alle seine frühern Taten übertroffen.

VALERIA.
Gewiß, es werden wunderbare Dinge von ihm erzählt.
MENENIUS.
Wunderbar? Ja, ich stehe Euch dafür, nicht ohne sein wahres Verdienst.
VIRGILIA.
Geben die Götter, daß sie wahr seien!
VOLUMNIA.
Wahr! Pah!
MENENIUS.
Wahr? Ich schwöre, daß sie wahr sind. – Wo ist er verwundet?

Zu den Tribunen.

Gott tröste Euer liebwertsten Gnaden: Marcius kommt nach Hause, und hat nun noch mehr Ursach', stolz zu sein. – Wo ist er verwundet?

VOLUMNIA.

In der Schulter und am linken Arm. Das wird große Narben geben, sie dem Volk zu zeigen, wenn er um seine Stelle sich bewirbt. Als Tarquin zurück geschlagen wurde, bekam er sieben Wunden an seinem Leib.

MENENIUS.
Eine im Nacken und zwei im Schenkel, es sind neun, so viel ich weiß.
VOLUMNIA.
Vor diesem letzten Feldzuge hatte er fünfundzwanzig Wunden.
MENENIUS.
Nun sind es siebenundzwanzig, und jeder Riß war eines Feindes Grab.

Trompeten und Freudengeschrei.

Hört die Trompeten!
VOLUMNIA.
Sie sind des Marcius Führer! Vor sich trägt er
Gejauchz' der Lust, läßt Tränen hinter sich.
[830]
Der schwarze Tod liegt ihm im nerv'gen Arm;
Erhebt er ihn, so stürzt der Feinde Schwarm.

Trompeten. Es treten auf Cominius und Titus Lartius, zwischen ihnen Coriolanus, mit einem Eichenkranz geschmückt; Anführer, Krieger, ein Herold.
HEROLD.
Kund sei dir, Rom, daß Marcius ganz allein
Focht in Corioli, und mit Ruhm erwarb
Zu Cajus Marcius einen Namen: dieser
Folgt ruhmvoll: Cajus Marcius Coriolanus.
Gegrüßt in Rom, berühmter Coriolanus!

Trompeten.
ALLE.
Gegrüßt in Rom, berühmter Coriolanus!
CORIOLANUS.
Laßt's nun genug sein, denn es kränkt mein Herz.
Genug, ich bitte!
COMINIUS.
Sieh, Freund, deine Mutter!
CORIOLANUS.
Oh!
Ich weiß, zu allen Göttern flehtest du
Für mein Gelingen.

Er kniet vor ihr nieder.
VOLUMNIA.
Nein; auf, mein wackrer Krieger,
Mein edler Marcius, würd'ger Cajus, und
Durch taterkaufte Ehren neu benannt;
Wie war's doch? Coriolan muß ich dich nennen?
Doch sieh, dein Weib!
CORIOLANUS.
Mein lieblich Schweigen, Heil!
Hätt'st du gelacht, kam auf der Bahr' ich heim,
Da weinend meinen Sieg du schaust? Oh, Liebe!
So in Corioli sind der Witwen Augen,
Die Mütter, Söhne klagend.
MENENIUS.
Die Götter krönen dich!
CORIOLANUS.
Ei, lebst du noch?

Zu Valeria.

Oh! edle Frau, verzeiht!
VOLUMNIA.
Wohin nun wend' ich mich? Willkommen heim!
Willkommen, Feldherr! Alle sind willkommen!
MENENIUS.
Willkommen tausendmal! Ich könnte weinen
Und lachen; ich bin leicht und schwer. Willkommen!
Ein Fluch entwurzle eines jeden Herz,
[831]
Der nicht mit Freuden dich erblickt! Euch drei
Muß Rom vergöttern. – Doch, auf Treu' und Glauben,
Holzäpfel, alte, stehn noch hier, die niemals
Durch Pfropfen sich veredeln. Heil euch, Krieger!
Die Nessel nennen wir nur Nessel, und
Der Narren Fehler Narrheit.
COMINIUS.
Stets der Alte!
CORIOLANUS.
Immer Menenius, immer!
HEROLD.
Platz da! Weiter!
CORIOLANUS
zu Frau und Mutter.
Deine Hand, und deine!
Eh' noch mein eignes Haus mein Haupt beschattet,
Besuch' ich erst die trefflichen Patrizier,
Von denen ich nicht Grüße nur empfing,
Auch mannigfache Ehren.
VOLUMNIA.
Ich erlebt' es,
Erfüllt zu sehn den allerhöchsten Wunsch,
Den kühnsten Bau der Einbildung. Nur eins
Fehlt noch, und das, ich zweifle nicht,
Wird unser Rom dir schenken.
CORIOLANUS.
Gute Mutter,
Ich bin auf meinem Weg ihr Sklave lieber,
Als auf dem ihrigen mit ihnen Herrscher.
COMINIUS.
Zum Kapitol!

Trompeten. Hörner.

Sie gehen alle im feierlichen Zuge ab, wie sie kamen. Die Tribunen bleiben.
BRUTUS.
Von ihm spricht jeder Mund; das blöde Auge
Trägt Brillen, ihn zu sehn. Die Amme, schwatzend
In der Verzuckung, läßt den Säugling schrein,
Von ihm herplappernd. Seht, die Küchenmagd
Knüpft um den rauch'gen Hals ihr bestes Leinen,
Die Wand erkletternd, Buden, Bänk' und Fenster
Gefüllt; das Dach besetzt, der First beritten
Mit vielerlei Gestaltung; alle einig
In Gier, nur ihn zu schaun. Es drängen sich
Fast nie gesehne Priester durch den Schwarm
Und stoßen, um beim Pöbel Platz zu finden;
[832]
Verhüllte Frau'n ergeben Weiß und Rot
Auf zartgeschonter Wang' dem wilden Raub
Von Phöbus' Feuerküssen. Solch ein Wirrwarr,
Als wenn ein fremder Gott, der mit ihm ist,
Sich still in seine Menschenart geschlichen
Und ihm der Anmut Zauber mitgeteilt.
SICINIUS.
Im Umsehn, glaub' mir, wird er Konsul sein.
BRUTUS.
Dann schlafe unser Amt, solang' er herrscht!
SICINIUS.
Er kann nicht mäß'gen Schritts die Würden tragen
Vom Anfang bis zum Ziel; er wird vielmehr
Verlieren den Gewinn.
BRUTUS.
Das ist noch Trost.
SICINIUS.
Oh, zweifelt nicht, das Volk, für das wir stehn,
Vergißt, nach angeborner Bosheit, leicht
Auf kleinsten Anlaß diesen neuen Glanz;
Und daß er Anlaß gibt, ist so gewiß,
Als ihn sein Hochmut spornt.
BRUTUS.
Ich hört' ihn schwören,
Würb' er ums Konsulat, so wollt' er nicht
Erscheinen auf dem Marktplatz, noch sich hüllen
Ins abgetrag'ne, schlichte Kleid der Demut;
Noch, wie die Sitt' ist, seine Wunden zeigend
Dem Volk, um ihren übeln Atem betteln.
SICINIUS.
Gut!
BRUTUS.
So war sein Wort. Eh' gibt er's auf, als daß
Er's nimmt, wenn nicht der Adel ganz allein
Es durchsetzt mit den Vätern.
SICINIUS.
Höchst erwünscht!
Bleibt er nur bei dem Vorsatz und erfüllt ihn,
Kommt's zur Entscheidung.
BRUTUS.
Glaubt's, er wird es tun.
SICINIUS.
Dies, so gewiß wie unsre Lieb' zu ihm,
Ist dann sein sichrer Sturz.
BRUTUS.
Der muß erfolgen,
Sonst fallen wir. Zu diesem Endzweck denn
Bereden wir das Volk, daß er sie stets
Gehaßt; und, hätt' er Macht, zu Eseln sie
Umschafft', verstummen hieße ihre Sprecher,
[833]
Und ihre Freiheit bräche, sie so haltend,
In Fähigkeit des Geists und Kraft zu handeln,
Von nicht mehr Seel' und Tatkraft für die Welt,
Als das Kamel im Krieg, das nur sein Futter
Erhält, um Last zu tragen, – herbe Schläge
Wenn's unter ihr erliegt.
SICINIUS.
Dies eingeblasen,
Wenn seine Frechheit einst im höchsten Flug
Das Volk erreicht (woran's nicht fehlen wird,
Bringt man ihn auf, und das ist leichter noch,
Als Hund' auf Schafe hetzen), wird zur Glut,
Ihr dürr Gestrüpp zu zünden, dessen Dampf
Ihn schwärzen wird auf ewig.

Ein Bote tritt auf.
BRUTUS.
Nun, was gibt's?
BOTE.
Ihr seid aufs Kapitol geladen. Sicher
Glaubt man, daß Marcius Konsul wird. Ich sah
Die Stummen drängen, ihn zu sehn, die Blinden,
Ihn zu vernehmen; Frauen warfen Handschuh',
Jungfrau'n und Mädchen Bänder hin und Tücher,
Wo er vorbei ging; die Patrizier neigten
Wie vor des Jovis Bild. Das Volk erregte
Mit Schrei'n und Mützenwerfen Donnerschauer.
So etwas sah ich nie.
BRUTUS.
Zum Kapitol!
Habt Ohr und Auge, wie's die Zeit erheischt,
Und Herz für die Entscheidung! –
SICINIUS.
Nehmt mich mit!

Alle ab.
Zweite Szene
Zwei Ratsdiener, welche Polster legen.

ERSTER RATSDIENER.
Komm, komm! Sie werden gleich hier sein. Wie viele werben um das Konsulat?
ZWEITER RATSDIENER.
Drei, heißt es; aber jedermann glaubt, daß Coriolanus es erhalten wird.
[834] ERSTER RATSDIENER.
Das ist ein wackrer Gesell; aber er ist verzweifelt stolz und liebt das gemeine Volk nicht.
ZWEITER RATSDIENER.

Ei! es hat viel große Männer gegeben, die dem Volk schmeichelten und es doch nicht liebten. Und es gibt manche, die das Volk geliebt hat, ohne zu wissen, warum? Also, wenn sie lieben, so wissen sie nicht, weshalb, und sie hassen aus keinem besseren Grunde; darum, weil es den Coriolanus nicht kümmert, ob sie ihn lieben oder hassen, beweist er die richtige Einsicht, die er von ihrer Gemütsart hat; und seine edle Sorglosigkeit zeigt ihnen dies deutlich.

ERSTER RATSDIENER.

Wenn er sich nicht darum kümmerte, ob sie ihn lieben oder nicht, so würde er sich unparteiisch in der Mitte halten und ihnen weder Gutes noch Böses tun; aber er sucht ihren Haß mit größerm Eifer, als sie es ihm erwidern können, und unterläßt nichts, was ihn vollständig als ihren Gegner zeigt. Nun, sich die Miene geben, daß man nach dem Haß und dem Mißvergnügen des Volkes strebt, ist so schlecht wie das, was er verschmäht: ihnen, um ihrer Liebe willen, zu schmeicheln.

ZWEITER RATSDIENER.

Er hat sich um sein Vaterland sehr verdient gemacht. Und sein Aufsteigen ist nicht auf so bequemen Staffeln, wie jener, welche geschmeidig und höflich gegen das Volk, mit geschwenkten Mützen, ohne weitre Tat, Achtung und Ruhm einfingen. Er aber hat seine Verdienste ihren Augen, und seine Taten ihren Herzen so eingepflanzt, daß, wenn ihre Zungen schweigen wollten und dies nicht eingestehn, es eine Art von undankbarer Beschimpfung sein würde; es zu leugnen, wäre eine Bosheit, die, indem sie sich selbst Lügen strafte, von jedem Ohr, das sie hörte, Vorwurf und Tadel erzwingen müßte.

ERSTER RATSDIENER.
Nichts mehr von ihm, er ist ein würdiger Mann. Mach' Platz, sie kommen!

Trompeten. Es treten auf: der Konsul Cominius, dem die Liktoren vorausgehen, Menenius, Coriolanus, mehrere Senatoren, Sicinuis und Brutus. Senatoren und Tribunen nehmen ihre Plätze.
MENENIUS.
Da ein Beschluß gefaßt, der Volsker wegen,
Und wir den Titus Lartius heimberufen,
[835]
Bleibt noch als Hauptpunkt dieser zweiten Sitzung,
Des Helden edlen Dienst zu lohnen, der
So für sein Vaterland gekämpft. – Geruht dann,
Ehrwürd'ge, ernste Väter, und erlaubt
Ihm, der jetzt Konsul ist, und Feldherr war
In unserm wohlbeschloßnen Krieg, ein wenig
Zu sagen von dem edlen Werk, vollführt
Durch Cajus Marcius Coriolanus, der
Hier mit uns ist, um dankbar ihn zu grüßen
Durch Ehre, seiner wert.
ERSTER SENATOR.
Cominius, sprich!
Laß, als zu lang, nichts aus! Wir glauben eh',
Daß unserm Staat die Macht zu lohnen fehlt,
Als uns der weitste Wille. Volksvertreter,
Wir bitten euer freundlich Ohr, und dann
Eu'r günstig Fürwort beim gemeinen Volk,
Daß gelte, was wir wünschen.
SICINIUS.
Wir sind hier
Auf freundliches Vernehmen; unsre Herzen
Nicht abgeneigt, zu ehren, zu befördern
Ihn, der uns hier versammelt.
BRUTUS.
Um so lieber
Tun wir dies freud'gen Muts, gedenkt er auch
Des Volks mit beßrem Sinn, als er bisher
Es hat geschätzt.
MENENIUS.
Das paßt nicht, paßt hier nicht.
Ihr hättet lieber schweigen soll'n. Gefällt's Euch,
Cominius anzuhören?
BRUTUS.
Herzlich gern.
Doch war mein Warnen besser hier am Platz
Als der Verweis.
MENENIUS.
Er liebt ja Euer Volk;
Doch zwingt ihn nicht, ihr Schlafgesell zu sein!
Edler Cominius, sprich!

Coriolanus steht auf und will gehn.

Nein, bleib' nur sitzen!
ERSTER SENATOR.
Bleib', Coriolanus, schäm' dich nicht, zu hören,
Was edel du getan.
[836] CORIOLANUS.
Verzeiht mir, Väter,
Eh' will ich noch einmal die Wunden heilen,
Als hören, wie ich dazu kam.
BRUTUS.
Ich hoffe,
Mein Wort vertrieb Euch nicht.
CORIOLANUS.
O nein! doch oft
Hielt ich den Streichen stand und floh vor Worten.
Nicht schmeichelt und drum kränkt Ihr nicht. Eu'r Volk,
Das lieb' ich nach Verdienst.
MENENIUS.
Setzt Euch!
CORIOLANUS.
Eh' ließ' ich
Im warmen Sonnenschein den Kopf mir kratzen,
Wenn man zum Angriff bläst, als, müßig sitzend,
Mein Nichts zum Fabelwerk vergrößern hören.

Geht ab.
MENENIUS.
Volksvertreter!
Wie könnt' er eurer scheck'gen Brut wohl schmeicheln, –
Wo einer gut im Tausend, – wenn ihr seht,
Er wagt eh' alle Glieder für den Ruhm,
Als eins von seinen Ohren, ihn zu hören?
Cominius, fahre fort!
COMINIUS.
Mir fehlt's an Stimme. Coriolanus' Taten
Soll man nicht schwach verkünden. Wie man sagt,
Ist Mut die erste Tugend und erhebt
Zumeist den Eigner; ist es so, dann wiegt
Den Mann, von dem ich sprech', in aller Welt
Kein andrer auf. Mit sechzehn Jahren schon,
Da, als Tarquin Rom überzog, da focht er
Voraus den Besten. Der Diktator, hoch
Und groß gepriesen stets, sah seinen Kampf;
Wie mit dem Kinn der Amazon' er jagte
Die bärt'gen Lippen; zog aus dem Gedränge
Den hingestürzten Römer; schlug drei Feinde
Im Angesicht des Konsuls; traf Tarquin
Und stürzt' ihn auf das Knie. An jenem Tag,
Als er ein Weib könnt' auf der Bühne spielen,
Zeigt' er sich ganz als Mann im Kampf; zum Lohn
Ward ihm der Eichenkranz. Sein zartes Alter
Gereift zum Manne, wuchs er, gleich dem Meer,
[837]
Und seit der Zeit, im Sturm von siebzehn Schlachten,
Streift' er den Kranz von jedem Schwert. Sein Letztes,
Erst vor, dann in Corioli, ist so,
Daß jedes Lob verarmt. Die Flieh'nden hemmt' er,
Und durch sein hohes Beispiel ward dem Feigsten
Zum Spiel das Schrecknis. So wie Binsen tauchen
Dem Schiff im Segeln, wichen ihm die Menschen
Und schwanden seinem Streich. Sein Schwert, Todstempel,
Schnitt, wo es fiel, von Haupt zu Füßen nieder.
Vernichtung war er; jeglicher Bewegung
Hallt Sterberöcheln nach. Allein betrat er
Das Todestor der Stadt, das er bemalt
Mit unentrinnbar'm Weh; tritt, keiner half ihm,
Heraus, und schlägt mit plötzlicher Verstärkung
Die Stadt, wie Götterkraft. Sein ist nun alles:
Da plötzlich weckt ihm Schlachtgetöse rufend
Den wachen Sinn, und schnell den Mut verdoppelnd
Belebt sich frisch sein arbeitmüder Leib:
Er stürzt in neuen Kampf, und schreitet nun
Blutdampfend über Menschenleben hin,
Als folg' ihm Mord und Tod. Und bis wir Stadt
Und Schlachtfeld unser nannten ruht' er nicht,
Um Atem nur zu schöpfen.
MENENIUS.
Würd 'ger Mann!
ERSTER SENATOR.
Im vollsten Maß ist er der Ehre wert,
Die seiner harrt.
COMINIUS.
Die Beute stieß er weg.
Kostbare Dinge sah er an, als wär's
Gemeiner Staub und Kehricht; wen'ger nimmt er,
Als selbst der Geiz ihm gäbe. Ihm ist Lohn
Für Großtat, sie zu tun. Zufrieden ist er,
Sein Leben so zu opfern ohne Zweck.
MENENIUS.
Er ist von wahrem Adel. Ruft ihn her!
ERSTER SENATOR.
Ruft Coriolanus!
ERSTER RATSDIENER.
Er tritt schon herein.

Coriolanus kommt zurück.
MENENIUS.
Mit Freud' ernennt dich, Coriolan, zum Konsul
Der sämtliche Senat.
[838] CORIOLANUS.
Stets weih' ich ihm
Mein Leben, meinen Dienst.
MENENIUS.
Jetzt bleibt nur noch,
Daß du das Volk anredest.
CORIOLANUS.
Ich ersuch' euch,
Erlaßt mir diesen Brauch; denn ich kann nicht
Das Kleid antun, entblößt stehn und sie bitten
Um ihre Stimmen, meiner Wunden wegen.
Erlaubt, die Sitte zu umgehn!
SICINIUS.
Das Volk, Herr,
Muß Euer Werben haben, läßt nicht fahren
Den kleinsten Punkt des Herkomm's.
MENENIUS.
Reizt es nicht!
Nein, bitte! fügt Euch dem Gebrauch und nehmt,
Wie es bisher die Konsuln all' getan,
Die Würd' in ihrer Form.
CORIOLANUS.
's ist eine Rolle,
Die ich errötend spiel'; auch wär' es gut,
Dem Volke dies zu nehmen.
BRUTUS.
Hört Ihr das?
CORIOLANUS.
Vor ihnen prahlen: dies tat ich und das;
Geheilte Schmarren zeigen, die ich bergen sollte,
Als hätt' ich sie um ihres Atems Lohn
Allein bekommen! –
MENENIUS.
Nein, du mußt dich fügen.
Ihr Volkstribunen, euch empfehlen wir:
Macht den Entschluß bekannt! Dem edlen Konsul
Sei alle Freud' und Ehre!
SENATOREN.
Den Coriolanus kröne Freud' und Ehre!

Trompeten. Die Senatoren gehn.
BRUTUS.
Ihr seht, wie er das Volk behandeln will.
SICINIUS.
Wenn sie's nur merkten. Er wird sie ersuchen
Als wie zum Hohn, daß er von ihnen bittet,
Was sie gewähren müssen.
BRUTUS.
Doch sogleich
Erfahren sie, was hier geschah. Ich weiß,
Sie warten unser auf dem Markt.

Sie gehn ab.
[839]
Dritte Szene
Mehrere Bürger treten auf.

ERSTER BÜRGER.
Ein für allemal: wenn er unsre Stimmen verlangt, können wir sie ihm nicht abschlagen.
ZWEITER BÜRGER.
Wir können, Freund, wenn wir wollen.
DRITTER BÜRGER.

Wir haben freilich die Gewalt; aber es ist eine Gewalt, die wir nicht Gewalt haben zu gebrauchen. Denn wenn er uns seine Wunden zeigt und seine Taten erzählt, so müssen wir unsre Zungen in diese Wunden legen und für ihn sprechen; ebenso, wenn er uns seine edlen Taten mitteilt, so müssen wir ihm unsre edle Anerkennung derselben mitteilen. Undankbarkeit ist ungeheuer; wenn die Menge nun undankbar wäre, das hieße aus der Menge ein Ungeheuer machen; wir, die wir Glieder derselben sind, würden ja dadurch Ungeheuerglieder werden.

ERSTER BÜRGER.

Und es fehlt wenig, daß wir für nichts besser gehalten werden; denn dazumal, als wir wegen des Korns einen Aufstand machten, scheute er sich nicht, uns die vielköpfige Menge zu nennen.

DRITTER BÜRGER.

So hat uns schon mancher genannt. Nicht, weil von unsern Köpfen einige schwarz, einige scheckig und einige kahl sind, sondern weil unser Witz so vielfarbig ist; und das glaube ich wahrhaftig, auch wenn alle unsre Witze aus einem und demselben Schädel herausgelassen würden, so flögen sie nach Ost, West, Nord und Süd; und wollte jeder seinen graden Weg suchen, so würden sie zugleich auf allen Punkten des Kompasses sein.

ZWEITER BÜRGER.
Glaubst du das? Wohin, denkst du, würde dann mein Witz fliegen?
DRITTER BÜRGER.

Oh! dein Witz kann nicht so schnell heraus als der von andern Leuten; denn er ist zu fest in einen Klotzkopf eingekeilt; aber wenn er seine Freiheit hätte, so würde er gewiß südwärts fliegen.

ZWEITER BÜRGER.
Warum dahin?
DRITTER BÜRGER.

Um sich in einem Nebel zu verlieren; wären nun drei Viertel davon in faulem Dunst weggeschmolzen, so [840] würde der letzte Teil aus Gewissenhaftigkeit zurück kommen, um dir zu einer Frau zu verhelfen.

ZWEITER BÜRGER.
Du hast immer deine Schwänke im Kopf. Schon gut, schon gut!
DRITTER BÜRGER.

Seid ihr alle entschlossen, eure Stimmen zu geben? Aber das macht nichts; die größere Zahl setzt es durch. Ich bleibe dabei: wenn er dem Volke geneigter wäre, so gab es nie einen bessern Mann.


Coriolanus und Menenius treten auf.

Hier kommt er! und zwar in dem Gewand der Demut. Gebt acht auf sein Betragen! – Wir müssen nicht so beisammen bleiben, sondern zu ihm gehn, wo er steht, einzeln oder zu zweien und dreien. Er muß jedem besonders eine Bitte vortragen; dadurch erlangt der einzelne die Ehre, ihm seine eigne Stimme mit seiner eignen Zunge zu geben. Darum folgt mir, und ich will euch anweisen, wie ihr zu ihm gehn sollt.

ALLE.
Recht so, recht so! Sie gehn ab.
MENENIUS.
Nein, Freund, Ihr habt nicht recht. Wißt Ihr denn nicht,
Die größten Männer taten's?
CORIOLANUS.
Was nur sag' ich?
»Ich bitte, Herr!« – Verdammt! ich kann die Zunge
In diesen Gang nicht bringen. »Seht die Wunden –
Im Dienst des Vaterlands empfing ich sie,
Als ein'ge eurer Brüder brüllend liefen
Vor unsern eignen Trommeln.«
MENENIUS.
Nein, ihr Götterl
Nicht davon müßt Ihr reden. Nein, sie bitten,
An Euch zu denken.
CORIOLANUS.
An mich denken! Hängt sie!
Vergäßen sie mich lieber, wie die Tugend,
Umsonst von Priestern eingeschärft!
MENENIUS.
Ich bitte!
Verderbt nicht alles, sprecht sie an; doch, bitt' ich,
Anständ'ger Weis'!

Es kommen zwei Bürger.
[841] CORIOLANUS.
Heiß' ihr Gesicht sie waschen
Und ihre Zähne rein'gen! Ach! da kommt so 'n Paar!
Ihr wißt den Grund, weshalb ich hier bin, Freund.
ERSTER BÜRGER.
Jawohl; doch sagt, was Euch dazu gebracht?
CORIOLANUS.
Mein eigner Wert.
ZWEITER BÜRGER.
Euer eigner Wert?
CORIOLANUS.
Ja. Nicht
Mein eigner Wunsch.
ERSTER BÜRGER.
Wie! nicht Euer eigner Wunsch?
CORIOLANUS.
Nein, Freund! Nie war's mein eigner Wunsch, mit Betteln
Den Armen zu beläst'gen.
ERSTER BÜRGER.
Ihr müßt denken,
Wenn wir Euch etwas geben, ist's in Hoffnung,
Durch Euch auch zu gewinnen.
CORIOLANUS.
Gut, sagt mir denn den Preis des Konsulats!
ERSTER BÜRGER.
Der Preis ist: freundlich drum zu bitten.
CORIOLANUS.
Freundlich?
Ich bitte, gönnt mir's! Wunden kann ich zeigen,
Wenn wir allein sind. – Eure Stimme, Herr!
Was sagt Ihr?
ZWEITER BÜRGER.
Würd'ger Mann, Ihr sollt sie haben.
CORIOLANUS.
Geschloßner Kauf!
Zwei edle Stimmen also schon erbettelt.
Eure Pfenn'ge hab' ich! – Geht!
ERSTER BÜRGER.
Doch das ist seltsam.
ZWEITER BÜRGER.
Müßt' ich sie nochmals geben, – doch – mein'thalb.

Sie gehn ab. Zwei andre Bürger kommen.
CORIOLANUS.

Ich bitte euch nun, wenn sich's zu dem Tone eurer Stimmen paßt, daß ich Konsul werde; ich habe hier den üblichen Rock an.

DRITTER BÜRGER.

Ihr habt Euch edel um Euer Vaterland verdient gemacht, und habt Euch auch nicht edel verdient gemacht.

CORIOLANUS.
Euer Rätsel?
DRITTER BÜRGER.

Ihr waret eine Geißel für seine Feinde; Ihr [842] waret eine Rute für seine Freunde. Ihr habt, die Wahrheit zu sagen, das gemeine Volk nicht geliebt.

CORIOLANUS.

Ihr solltet mich für um so tugendhafter halten, da ich meine Liebe nicht gemein gemacht habe. Freund, ich will meinem geschwornen Bruder, dem Volk, schmeicheln, um eine beßre Meinung von ihm zu ernten; es ist ja eine Eigenschaft, die sie hoch anrechnen. Und da der Weisheit ihrer Wahl mein Hut lieber ist als mein Herz, so will ich mich auf die einschmeichelnde Verbeugung üben und mich mit ihnen abfinden auf ganz nachäffende Art. Das heißt, Freund, ich will die Bezauberungskünste irgendeines Volksfreundes nachäffen und den Verlangenden höchst freigebig mitteilen. Deshalb bitt' ich euch: laßt mich Konsul werden!

VIERTER BÜRGER.
Wir hoffen, uns in Euch einen Freund zu erwerben, und geben Euch darum unsre Stimmen herzlich gern.
DRITTER BÜRGER.
Ihr habt auch mehrere Wunden für das Vaterland empfangen.
CORIOLANUS.

Ich will eure Kenntnis nicht dadurch besiegeln, daß ich sie euch zeige. Ich will eure Stimmen sehr hoch schätzen und euch nun nicht länger zur Last fallen.

BEIDE BÜRGER.
Die Götter geben Euch Freude: das wünschen wir aufrichtig.

Die Bürger gehn ab.
CORIOLANUS.
O süße Stimmen!
Lieber verhungert, lieber gleich gestorben,
Als Lohn erbetteln, den wir erst erworben.
Warum soll hier mit Wolfsgeheul ich stehn,
Um Hinz und Kunz und jeden anzuflehn
Um nutzlos Fürwort? Weil's der Brauch verfügt,
Doch wenn sich alles vor Gebräuchen schmiegt,
Wird nie der Staub des Alters abgestreift,
Berghoher Irrtum wird so aufgehäuft,
Daß Wahrheit nie ihn überragt. Eh' zahm
Noch Narr ich bin, sei aller Ehrenkram
Dem, den's gelüstet! – Halb ist's schon geschehn:
Viel überstanden, mag's nun weiter gehn.

Drei andre Bürger kommen.

[843]
Mehr Stimmen noch! –
Eure Stimmen! denn für eure Stimmen focht ich,
Für eure Stimmen wacht' ich, für eure Stimmen
Hab' ich zwei Dutzend Narben; achtzehn Schlachten
Hab' ich gesehn, gehört; für eure Stimmen
Getan sehr vieles, minder, mehr. Eure Stimmen!
Gewiß, gern wär' ich Konsul.
FÜNFTER BÜRGER.
Er hat edel gehandelt, und kein redlicher Mann kann ihm seine Stimme versagen.
SECHSTER BÜRGER.
Darum laßt ihn Konsul werden: Die Götter verleihen ihm Glück und machen ihn zum Freund des Volkes!
ALLE.
Amen, Amen!
Gott schütz' dich, edler Konsul!
CORIOLANUS.
Würd'ge Stimmen!

Die Bürger gehn ab. Menenius, Sicinius und Brutus treten auf.
MENENIUS.
Ihr g'nügtet jetzt der Vorschrift. Die Tribunen
Erhöhen Euch durch Volkes Stimm': es bleibt nur,
Daß im Gewand der Würde Ihr alsbald
Nun den Senat besucht.
CORIOLANUS.
Ist dies nun aus?
SICINIUS.
Genügt habt Ihr dem Brauche des Ersuchens:
Das Volk bestätigt Euch, Ihr seid geladen
Zur Sitzung, um ernannt sogleich zu werden.
CORIOLANUS.
Wo? im Senat?
SICINIUS.
Ja, Coriolanus, dort.
CORIOLANUS.
Darf ich die Kleider wechseln?
SICINIUS.
Ja, Ihr dürft es.
CORIOLANUS.
Das will ich gleich, und kenn' ich selbst mich wieder,
Mich zum Senat verfügen.
MENENIUS.
Ich geh' mit Euch. Wollt ihr uns nicht begleiten?
BRUTUS.
Wir harren hier des Volks.
SICINIUS.
Gehabt Euch wohl!
Coriolan und Menenius gehn ab.

Er hat's nun, und, mich dünkt, sein Blick verriet,
Wie's ihm am Herzen liegt.
[844] BRUTUS.
Mit stolzem Herzen trug er
Der Demut Kleid. Wollt Ihr das Volk entlassen?

Die Bürger kommen zurück.
SICINIUS.
Nun, Freunde, habt ihr diesen Mann erwählt?
ERSTER BÜRGER.
Ja, unsre Stimmen hat er.
BRUTUS.
Die Götter machen wert ihn eurer Liebe!
ZWEITER BÜRGER.
Amen! Nach meiner armen, schwachen Einsicht
Verlacht' er uns, um unsre Stimmen bittend.
DRITTER BÜRGER.
Gewiß, er höhnt' uns gradezu.
ERSTER BÜRGER.
Nein, das ist seine Art; er höhnt' uns nicht.
ZWEITER BÜRGER.
Du bist der einz'ge, welcher sagt, er habe
Uns schmählich nicht behandelt: zeigen sollt' er
Die Ehrenmal', fürs Vaterland die Wunden.
SICINIUS.
Nun, und das tat er doch?
MEHRERE BÜRGER.
Nein, keiner sah sie.
DRITTER BÜRGER.
Er habe Wunden, in geheim zu zeigen,
Sprach er, und so den Hut verächtlich schwenkend:
»Ich möchte Konsul sein; – doch, alter Brauch
Erlaubt es nicht, als nur durch eure Stimmen.
Drum, eure Stimmen!« – Als wir eingewilligt,
Da hieß es: »Dank für eure Stimmen, dank' euch.
O süße Stimmen! Nun ihr gabt die Stimmen,
Stör' ich euch länger nicht.« – War das kein Hohn?
SICINIUS.
Ihr waret blöde, scheint's, dies nicht zu sehn,
Und, saht ihr's, allzu kindisch, freundlich doch
Die Stimmen ihm zu leihn.
BRUTUS.
Was? spracht ihr nicht
Nach Anweisung? Als er noch ohne Macht,
Und nur des Vaterlands geringer Diener,
Da war er euer Feind, sprach stets der Freiheit
Entgegen und den Rechten, die ihr habt
Im Körper unsers Staats; und nun erhoben
Zu mächt'gem Einfluß und Regierung selbst, –
Wenn er auch da mit bösem Sinn verharrt,
Feind der Plebejer, könnten eure Stimmen
Zum Fluch euch werden. Konntet ihr nicht sagen:
Gebühr' auch seinem edlen Tun nichts mindres,
[845]
Als was er suche, mög' er doch mit Huld,
Zum Lohn für eure Stimmen, euer denken,
Verwandelnd seinen Haß für euch in Liebe,
Euch Freund und Gönner sein?
SICINIUS.
Spracht ihr nun so,
Wie man euch riet, so ward sein Geist erregt,
Sein Sinn geprüft; so ward ihm abgelockt
Ein gütiges Versprechen, woran ihr,
Wenn Ursach' sich ergab, ihn mahnen konntet.
Wo nicht, so ward sein trotzig Herz erbittert,
Das keinem Punkt sich leicht bequemt, der irgend
Ihn binden kann; so, wenn in Wut gebracht,
Nahmt ihr den Vorteil seines Zornes wahr,
Und er blieb unerwählt.
BRUTUS.
Bemerktet ihr,
Wie er euch frech verhöhnt', indem er bat,
Da eure Lieb' er brauchte? Wie – und glaubt ihr,
Es wird euch nicht sein Hohn zermalmend treffen,
Wenn ihm die Macht ward? War in all den Körpern
Denn nicht ein Herz? Habt ihr nur deshalb Zungen,
Weisheit, Vernunft zu überschrein?
SICINIUS.
Habt ihr
Nicht Bitten sonst versagt? Und jetzo ihm,
Der euch nicht bat, nein, höhnte, wollt ihr schenken
Die Stimmen, die sonst jeder ehrt?
DRITTER BÜRGER.
Noch ward er nicht ernannt, wir können's weigern.
ZWEITER BÜRGER.
Und wollen's weigern.
Fünfhundert Stimmen schaff ich von dem Klang.
ERSTER BÜRGER.
Ich doppelt das, und ihre Freund' als Zutat.
BRUTUS.
So macht euch eilig fort! Sagt diesen Freunden,
Sie wählten einen Konsul, der der Freiheit
Sie wird berauben und so stimmlos machen
Wie Hunde, die man für ihr Kläffen schlägt
Und doch zum Kläffen hält.
SICINIUS.
Versammelt sie
Und widerruft, nach reiferm Urteil, alle
Die übereilte Wahl! Denkt seines Stolzes,
Wie seines alten Grolls auf euch! Vergeßt nicht,
[846]
Wie er mit Hoffart trug der Demut Kleid,
Wie flehend er euch höhnt'! Nur eure Liebe,
Gedenkend seiner Dienste, hindert' euch,
Zu sehn, wie sein Benehmen jetzt erschien,
Das achtungslos und spöttisch er gestaltet,
Nach eingefleischtem Haß.
BRUTUS.
Legt alle Schuld
Uns, den Tribunen, bei und sprecht: wir drängten
Euch, keines Einwurfs achtend, so, daß ihr
Ihn wählen mußtet.
SICINIUS.
Sagt, ihr stimmtet bei
Mehr, weil wir's euch befohlen, als geleitet
Von eigner, wahrer Lieb'; und eu'r Gemüt
Erfüllt von dem mehr, was ihr solltet tun,
Als was ihr wolltet, gabt ihr eure Stimmen
Ganz gegen euern Sinn. Gebt uns die Schuld!
BRUTUS.
Ja, schont uns nicht; sagt, daß wir euch gepredigt,
Wie jung er schon dem Vaterland gedient,
Wie lang' seitdem; aus welchem Stamm ersproßt,
Dem edlen Haus der Marcier; daher kam
Auch Ancus Marcius, Numas Tochter-Sohn,
Der nach Hostilius hier als König herrschte;
Das Haus gab uns auch Publius und Quintus,
Die uns durch Röhren gutes Wasser schafften;
Auch Censorinus, er, des Volkes Liebling,
Den, zweimal Censor, dieser Name schmückte,
Der war sein großer Ahn.
SICINIUS.
Ein so Entsproßner,
Der außerdem durch eignen Wert verdiente
Den hohen Platz; wir schärften stets euch ein,
Sein zu gedenken; doch da ihr erwägt
(Messend sein jetz'ges Tun mit dem vergangnen),
Er werd' euch ewig Feind sein, widerruft ihr
Den übereilten Schluß.
BRUTUS.
Sagt, nimmer wär's geschehn
(Darauf kommt stets zurück!) ohn' unsern Antrieb:
Und eilt, wenn ihr die Stimmenzahl gezogen,
Aufs Kapitol!
[847] MEHRERE BÜRGER.
Das woll'n wir. Alle fast
Bereun schon ihre Wahl.

Die Bürger gehn ab.
BRUTUS.
So geht's nun fort;
Denn besser ist's, den Aufstand jetzt zu wagen,
Der später noch gefährlicher sich zeigte:
Wann er, nach seiner Art, in Wut gerät
Durch ihr Verweigern, so bemerkt und nützt
Den Vorteil seines Zorns!
SICINIUS.
Zum Kapitol!
Kommt, laßt uns dort sein vor dem Strom des Volks;
Dies soll, wie's gleichsam ist, ihr Wille scheinen,
Was unser Treiben war.
Sie gehn ab.
[848]

Dritter Aufzug

Erste Szene
Hörner. Es treten auf Coriolanus, Menenius, Cominius, Titus Lartius, Senatoren und Patrizier.

CORIOLANUS.
Tullus Aufidius drohte denn von neuem?
TITUS.
Er tat's; und das war auch die Ursach', schneller
Den Frieden abzuschließen.
CORIOLANUS.
So stehn die Volsker, wie sie früher standen:
Bereit, wenn sich der Anlaß beut, uns wieder
Zu überziehn.
COMINIUS.
Sie sind so matt, o Konsul,
Daß wir wohl kaum in unserm Lebensalter
Ihr Banner fliegen sehn.
CORIOLANUS.
Saht Ihr Aufidius?
TITUS.
Ich gab ihm Sicherheit; er kam und fluchte
Ergrimmt den Volskern, die so niederträchtig
Die Stadt geräumt. Er lebt in Antium jetzt.
CORIOLANUS.
Sprach er von mir?
TITUS.
Das tat er, Freund.
CORIOLANUS.
Wie? Was?
TITUS.
Wie oft er, Schwert an Schwert, Euch angerannt;
Daß er von allen Dingen auf der Welt
Euch hass' zumeist; sein Gut woll' er verpfänden
Ohn' Hoffnung des Ersatzes, könn' er nur
Eu'r Sieger heißen.
CORIOLANUS.
Dort in Antium lebt er?
TITUS.
In Antium.
CORIOLANUS.
Oh! hätt' ich Ursach', dort ihn aufzusuchen,
Zu trotzen seinem Haß! Willkommen hier!

Sicinius und Brutus treten auf.

[849]
Ha! seht, das da sind unsre Volkstribunen,
Zungen des großen Mundes; mir verächtlich,
Weil sie mit ihrer Amtsgewalt sich brüsten,
Mehr, als der Adel dulden kann.
SICINIUS.
Nicht weiter!
CORIOLANUS.
Ha! was ist das?
BRUTUS.
Es ist gefährlich, geht Ihr –
Zurück!
CORIOLANUS.
Woher der Wechsel?
MENENIUS.
Was geschah?
COMENIUS.
Ward er vom Adel nicht und Volk bestätigt?
BRUTUS.
Cominius, nein!
CORIOLANUS.
Hatt' ich von Kindern Stimmen?
ERSTER SENATOR.
Macht Platz, Tribunen, er soll auf den Markt.
BRUTUS.
Das Volk ist gegen ihn empört.
SICINIUS.
Halt' ein!
Sonst Unheil überall!
CORIOLANUS.
Dies eure Herde?
Die müssen Stimmen haben, jetzt zum Ja
Und gleich zum Nein? – Und ihr, was schafft denn ihr?
Seid ihr das Maul, regiert nicht ihre Zähne?
Habt ihr sie nicht gehetzt?
MENENIUS.
Seid ruhig, ruhig!
CORIOLANUS.
Das ist nur ein Komplott und abgekartet,
Um die Gewalt des Adels zu zerbrechen.
Dludet's – und lebt mit Volk, das nicht kann herrschen,
Und nicht beherrscht sein.
BRUTUS.
Nennt es nicht Komplott:
Das Volk schreit, Ihr verhöhntet es, und damals,
Als Korn umsonst verteilt ward, murrtet Ihr,
Schmähtet die Volkesfreunde, schaltet sie
Des Adels Feinde, Schmeichler, Zeitendiener.
CORIOLANUS.
Nun, dies war längst bekannt.
BRUTUS.
Allein nicht allen.
CORIOLANUS.
Gabt Ihr die Weisung ihnen jetzt?
BRUTUS.
Ich, Weisung?
CORIOLANUS.
Solch Tun sieht Euch schon ähnlich.
[850] BRUTUS.
Nicht unähnlich,
Und jedenfalls doch besser als das Eure.
CORIOLANUS.
Warum denn ward ich Konsul? Ha! beim Himmel!
Nichtswürdig will ich sein wie ihr, dann macht mich
Zu euerm Mittribun!
SICINIUS.
Zu viel schon tut Ihr
Zur Aufreizung des Volks. Wollt Ihr die Bahn,
Die Ihr begannt, vollenden, sucht den Weg,
Den Ihr verloren habt, mit sanfterm Geist!
Sonst könnt Ihr nimmermehr als Konsul herrschen,
Noch als Tribun zur Seit' ihm stehn.
MENENIUS.
Seid ruhig!
COMINIUS.
Das Volk ward aufgehetzt. Fort! – Solche Falschheit
Ziemt Römern nicht. Verdient hat Coriolan
Nicht, daß man ehrlos diesen Stein ihm lege
In seine Ehrenbahn.
CORIOLANUS.
Vom Korn mir sprechen?
Dies war mein Wort, und ich will's wiederholen.
MENENIUS.
Nicht jetzt, nicht jetzt!
ERSTER SENATOR.
Nicht jetzt in dieser Hitze!
CORIOLANUS.
Bei meinem Leben! Jetzt laßt mich gewähren
Ihr Freunde! Ihr vom Adel!
Fest schau' die schmutz'ge, wankelmüt'ge Menge
Mich an, der ich nicht schmeichle, und bespiegle
Sich selbst in mir: Ich sag' es wiederum:
Wir ziehn, sie hätschelnd, gegen den Senat
Unkraut der Rebellion, Frechheit, Empörung,
Wofür wir selbst gepflügt, den Samen streuten,
Da wir mit uns, der edlern Zahl, sie mengten,
Die keine andre Macht und Tugend missen,
Als die sie selbst an Bettler weggeschenkt!
MENENIUS.
Nun gut, nichts mehr!
ERSTER SENATOR.
Kein Wort mehr, laßt Euch bitten!
CORIOLANUS.
Wie! nicht mehr?
Hab' ich mein Blut fürs Vaterland vergossen,
Furchtlos dem fremden Dräun, so soll die Brust
Laut schelten, bis sie bricht, Aussätz'ge schmähend,
[851]
Vor deren Pest uns graut, und streben doch,
Von ihnen angesteckt zu sein.
BRUTUS.
Ihr sprecht vom Volk,
Als wäret Ihr ein Gott, gesandt zu strafen,
Und nicht ein Mensch, so schwach wie sie.
SICINIUS.
Gut wär' es,
Wir sagten dies dem Volk.
MENENIUS.
Wie! seinen Zorn?
CORIOLANUS.
Zorn!
Wär' ich so sanft wie mitternächt'ger Schlaf,
Beim Jupiter! dies wäre meine Meinung.
SICINIUS.
Und diese Meinung
Soll bleiben in sich selbst verschloßnes Gift.
Nicht andre mehr vergiften noch.
CORIOLANUS.
Soll bleiben?
Hört ihr der Gründlinge Triton? Bemerkt ihr
Sein herrschend »Soll«?
COMINIUS.
's war ungesetzlich.
CORIOLANUS.
»Soll«!
Du guter, aber höchst unkluger Adel!
Ehrbare, doch achtlose Senatoren!
Wie gebt ihr so der Hydra nach, zu wählen
Den Diener, der mit eigenmächt'gem »Soll«
(Er nur Trompet' und Klang der Ungeheuer)
Frech euern Strom in sumpf'gen Teich will leiten,
Und eure Macht auf sich. – Hat er Gewalt,
Neigt euch als blödgesinnt; wenn keine, weckt
Die Langmut, die Gefahr bringt! Seid ihr weise,
Gleicht nicht gemeinen Toren; seid ihr's nicht,
Legt ihnen Polster hin! – Ihr seid Plebejer,
Wenn Senatoren sie; sie sind nichts Mindres,
Wenn durch der Stimmen Mischung nur nach ihnen
Das Ganze schmeckt. Sie wählten sich Beamte, –
Und diesen, der sein »Soll« entgegen setzt,
Sein pöbelhaftes »Soll«, weit würd'germ Rat,
Als Griechenland nur je verehrt. Beim Zeus!
Beschimpft wird so der Konsul, und mein Herz weint,
Zu sehn, wie, wenn zwei Mächte sich erheben,
[852]
Und keine herrscht, Verderben, ungesäumt,
Dringt in die Lücke zwischen beid' und stürzt
Die eine durch die andre.
COMINIUS.
Gut, zum Marktplatz!
CORIOLANUS.
Wer immer riet, das Korn der Vorratshäuser
Zu geben unentgeltlich, wie's gebräuchlich
Manchmal in Griechenland –
MENENIUS.
Genug! nicht weiter!
CORIOLANUS.
(Obgleich das Volk dort frei're Macht besaß),
Der, sag' ich, nährt Empörung, führt herbei
Den Untergang des Staats.
BRUTUS.
Wie kann das Volk
Dem seine Stimme geben, der so spricht?
CORIOLANUS.
Ich geb' euch Gründe,
Mehr wert als ihre Stimmen: Korn, sie wissen's,
War nicht von uns ein Dank; sie waren sicher,
Sie taten nichts dafür; zum Krieg geworben,
Als selbst des Vaterlandes Herz erkrankte,
Da wollte keiner aus dem Tor: der Eifer
Verdient nicht Korn umsonst; hernach im Krieg
Ihr Meutern und Empören, ihres Mutes
Erhabne Proben, sprachen schlecht ihr Lob. –
Die Klage,
Womit sie oftmals den Senat beschuldigt,
Aus ungebornem Grund, kann nie erzeugen
Ein Recht auf freie Schenkung. Nun – was weiter?
Wie mag so vielgeteilter Schlund verdaun
Die Güte des Senats? Die Taten sprechen,
Was Worte sagen möchten: »Wir verlangten's,
Wir sind der größre Hauf'; und sie, recht furchtsam,
Sie gaben, was wir heischten.« – So erniedern
Wir unser hohes Amt, sind schuld, daß Pöbel
Furcht unsre Sorgfalt schilt. Dies bricht dereinst
Die Schranken des Senats, und läßt die Krähen
Hinein, daß sie die Adler hacken.
MENENIUS.
Kommt! Genug!
BRUTUS.
Genug im Übermaß!
CORIOLANUS.
Nein! nehmt noch mehr:
[853]
Was nur den Schwur, sei's göttlich, menschlich, heiligt,
Besiegle meinen Schluß! Die Doppelherrschaft,
Wo dieser Teil mit Grund verachtet, jener
Den andern grundlos schmäht, wo Adel, Macht und Weisheit
Nichts tun kann ohne jenes Ja und Nein
Des großen Unverstands, – dies muß verdrängen,
Was wahrhaft nötig ist, um Raum zu geben
Unhaltbar Schlechtem: – Recht, so abgesperrt,
Folgt nun, es kann nichts Richtiges geschehn. –
Darum beschwör' ich euch!
Ihr, die ihr wen'ger zaghaft seid als weise,
Die ihr mehr liebt des Staates feste Gründung,
Als Änd'rung scheut, die höher stets geachtet
Ein edles Leben als ein langes, die
Nicht fürchten, durch gewagte Kur zu retten
Den Leib vom sichern Tod, – mit eins reißt aus
Die vielgespaltne Zung', laßt sie nicht lecken
Dies Süß, was ihnen Gift ist! Eur' Entehrung
Verstümmelt Weisheit, Recht, und raubt dem Staat
Die Lauterkeit, die ihn verklären sollte;
So daß ihm Macht fehlt, Gutes, das er möchte,
Zu tun, weil ihn das Böse stets verhindert.
BRUTUS.
Er sprach genug.
SICINIUS.
Er sprach als Hochverräter,
Und soll es büßen, wie's Verrätern ziemt.
CORIOLANUS.
Elender du! Schmach sei dein Grab! Was soll das Volk,
Was soll's mit den kahlköpfigen Tribunen?
Anhangend ihnen weigert's den Gehorsam
Der höhern Obrigkeit. In einem Aufruhr,
Da nicht das Recht, nein, da die Not Gesetz war,
Da wurden sie gewählt: – Zu beßrer Zeit
Sagt von dem Recht nun kühn: Dies ist das Recht,
Und schleudert in den Staub hin ihre Macht!
BRUTUS.
Offner Verrat!
SICINIUS.
Der da ein Konsul? Nein!
BRUTUS.
He! die Ädilen her! Laßt ihn verhaften!
SICINIUS.
Geht, ruft das Volk!

Brutus geht ab.

[854]
Ich selbst, in seinem Namen,
Ergreife dich als Neu'rer und Empörer
Und Feind des Staats. – Folg', ich befehl' es dir,
Um Rechenschaft zu stehn!
CORIOLANUS.
Fort, alter Bock!
SENATOREN UND PATRIZIER.
Wir schützen ihn.
MENENIUS.
Die Hand weg, alter Mann!
CORIOLANUS.
Fort, morsches Ding, sonst schüttl' ich deine Knochen
Dir aus den Kleidern.
SICINIUS.
Helft! ihr Bürger, helft!

Brutus kommt zurück mit den Ädilen und einer Schar Bürger.
MENENIUS.
Mehr Achtung beiderseits!
SICINIUS.
Hier ist er, welcher euch
Ganz machtlos machen will.
BRUTUS.
Greift ihn, Ädilen!
DIE BÜRGER.
Nieder mit ihm! zu Boden!

Geschrei von allen Seiten.

Waffen! Waffen!

Alle drängen sich um Coriolanus.
ZWEITER SENATOR.
Tribunen! Edle! Bürger! Haltet! Ha!
Sicinius! Brutus! Coriolanus! Bürger!
DIE BÜRGER.
Den Frieden haltet! Frieden! Haltet alle!
MENENIUS.
Was wird draus werden? Ich bin außer Atem,
Es droht uns Untergang! Ich kann nicht: sprecht,
Tribunen, ihr zum Volk! Coriolanus, ruhig!
Sprich, Freund Sicinius!
SICINIUS.
Hört mich, Bürger! Ruhig!
DIE BÜRGER.
Hört den Tribun! Still! Rede, rede, rede!
SICINIUS.
Ihr seid daran, die Freiheit zu verlieren.
Marcius will alles von euch nehmen, Marcius,
Den eben ihr zum Konsul wähltet.
MENENIUS.
Pfui!
Dies ist der Weg, zu zünden, nicht zu löschen.
ERSTER SENATOR.
Die Stadt zu schleifen, alles zu zerstören.
SICINIUS.
Was ist die Stadt wohl, als das Volk?
DIE BÜRGER.
Ganz recht!
Das Volk nur ist die Stadt.
[855] BRUTUS.
Durch aller Einstimmung sind wir erwählt
Als Obrigkeit des Volks.
DIE BÜRGER.
Und sollt es bleiben!
MENENIUS.
Ja, so sieht's aus.
COMINIUS.
Dies ist der Weg, um alles zu zerstören,
Das Dach zu stürzen auf das Fundament,
Und zu begraben jede Rangordnung
In Trümmerhaufen! –
SICINIUS.
Dies verdient den Tod!
BRUTUS.
Jetzt gilt's, daß unser Ansehn wir behaupten,
Oder verlieren. Wir erklären hier
Im Namen dieses Volks, durch dessen Macht
Wir sind erwählt für sie: Marcius verdient
Sogleich den Tod.
SICINIUS.
Deshalb legt Hand an ihn,
Bringt zum Tarpej'schen Felsen und von dort'
Stürzt in Vernichtung ihn!
BRUTUS.
Ädilen, greift ihn!
DIE BÜRGER.
Ergib dich, Marcius!
MENENIUS.
Hört ein einzig Wort!
Tribunen, hört! ich bitt' euch, nur ein Wort!
ÄDILEN.
Still, still!
MENENIUS.
Seid, was ihr scheint, Freunde des Vaterlands:
Ergreift mit weiser Mäß'gung, was gewaltsam
Ihr herzustellen strebt!
BRUTUS.
Die kalten Mittel,
Sie scheinen kluge Hülf' und sind nur Gift,
Wenn so die Krankheit rast. Legt Hand an ihn!
Und schleppt ihn auf den Fels!
CORIOLANUS.
Nein, gleich hier sterb' ich.

Er zieht sein Schwert.

Es sah wohl mancher unter euch mich kämpfen;
Kommt, und versucht nun selbst, was ihr nur saht!
MENENIUS.
Fort mit dem Schwert! Tribunen, steht zurück!
BRUTUS.
Legt Hand an ihn!
MENENIUS.
Helft! helft dem Marcius! helft!
Ihr hier vom Adel, helft ihm, jung und alt!
[856] DIE BÜRGER.
Nieder mit ihm! Nieder mit ihm!

Handgemenge; die Tribunen, die Ädilen und das Volk werden hinausgetrieben.
MENENIUS.
Geh! fort, nach deinem Haus! Enteile schnell!
Zugrund' geht alles sonst.
ZWEITER SENATOR.
Fort!
CORIOLANUS.
Haltet stand!
Wir haben ebenso viel Freund' als Feinde.
MENENIUS.
Soll's dahin kommen?
ERSTER SENATOR.
Das verhütet, Götter!
Mein edler Freund, ich bitte, geh nach Haus:
Laß uns den Schaden heilen!
MENENIUS.
Du kannst nicht
Die eigne Wunde prüfen. Fort, ich bitte!
COMINIUS.
Freund, geh hinweg mit uns!
MENENIUS.
Oh! wären sie Barbaren! (und sie sind's,
Obwohl Roms Brut) nicht Römer! (und sie sind's nicht,
Obwohl geworfen vor dem Kapitol) –
Komm!
Nimm deinen edlen Zorn nicht auf die Zunge;
Einst kommt uns beßre Zeit.
CORIOLANUS.
Auf ebnem Boden
Schlüg' ich wohl ihrer vierzig.
MENENIUS.
Ich auch nehm' es
Mit zwei der Besten auf, ja, den Tribunen.
COMINIUS.
Doch hier ist Übermacht nicht zu berechnen;
Und Mannheit wird zur Torheit, stemmt sie sich
Entgegen stürzendem Gebäu. Entfernt Euch,
Eh' dieser Schwarm zurückkehrt, dessen Wut
Rast, wie gehemmter Strom, und übersteigt,
Was sonst ihn niederhielt.
MENENIUS.
Ich bitte, geh!
So seh' ich, ob mein alter Witz noch anschlägt
Bei Leuten, die nur wenig haben. Flicken
Muß man den Riß mit Lappen jeder Farbe.
CORIOLANUS.
Nun komm!

Coriolanus, Cominius und andere gehn ab.
[857] ERSTER PATRIZIER.
Der Mann hat ganz sein Glück zerstört.
MENENIUS.
Sein Sinn ist viel zu edel für die Welt.
Er kann Neptun nicht um den Dreizack schmeicheln,
Nicht Zeus um seine Donner: Mund und Herz ist eins.
Was seine Brust nur schafft, kommt auf die Zunge,
Und ist er zornig, so vergißt er gleich,
Daß man den Tod je nannte.

Geräusch hinter der Szene.

Ein schöner Lärm!
ZWEITER PATRIZIER.
Oh! wären sie im Bett!
MENENIUS.
Wären sie in der Tiber! Was zum Henker,
Konnt' er nicht freundlich sprechen?

Brutus, Sicinius, Bürger kommen zurück.
SICINIUS.
Wo ist die Viper,
Die unsre Stadt entvölkern möcht', um alles
In allem drin zu sein?
MENENIUS.
Würd'ge Tribunen –
SICINIUS.
Wir stürzen ihn von dem Tarpej'schen Fels
Mit strenger Hand: er trotzet dem Gesetz,
Drum weigert das Gesetz ihm das Verhör;
Die Macht der bürgerlichen Strenge fühl' er,
Die ihm so nichtig dünkt.
ERSTER BÜRGER.
Er soll erfahren,
Des Volkes edler Mund sind die Tribunen,
Wir seine Hand.
MEHRERE BÜRGER.
Er soll! er soll!
MENENIUS.
Freund –
SICINIUS.
Still!
MENENIUS.
Schreit nicht Vertilgung, wo ein mäß'ges Jagen
Zum Ziel euch führen mag!
SICINIUS.
Wie kommt's, daß Ihr
Ihm halft, sich fort zu machen?
MENENIUS.
Hört mich an:
Wie ich den Wert des Konsuls kenne, kann ich
Auch seine Fehler nennen.
SICINIUS.
Konsul? welcher Konsul?
[858] MENENIUS.
Der Konsul Coriolan.
BRUTUS.
Er Konsul?
DIE BÜRGER.
Nein, nein, nein, nein, nein!
MENENIUS.
Vergönnt, ihr gutes Volk; und ihr, Tribunen,
Gehör, so möcht' ich ein, zwei Worte sagen,
Die euch kein weitres Opfer kosten sollen
Als diese kurze Zeit.
SICINIUS.
So faßt Euch kurz:
Denn wir sind fest entschlossen, abzutun
Den gift'gen Staatsverräter; ihn verbannen,
Läßt die Gefahr bestehn; ihn hier behalten,
Ist sichrer Tod. Drum wird ihm zuerkannt:
Er stirbt noch heut.
MENENIUS.
Verhüten das die Götter!
Soll unser hohes Rom, des Dankbarkeit
Für die verdienten Kinder steht verzeichnet
In Jovis Buch, entmenscht, verworfne Mutter,
Den eignen Sohn verschlingen?
SICINIUS.
Ein Schad' ist er, muß ausgeschnitten werden.
MENENIUS.
Ein Glied ist er, das einen Schaden hat,
Es abzuschneiden tödlich, leicht zu heilen.
Was tat er Rom, wofür er Tod verdiente?
Weil er die Feind' erschlug? Sein Blut, vergossen
(Und das, ich schwör's, ist mehr, als er noch hat,
Um manchen Tropfen), floß nur für sein Land; –
Wird, was ihm bleibt, vergossen durch sein Land,
Das wär' uns allen, die es tun und dulden,
Ein ew'ges Brandmal.
SICINIUS.
Das ist nur Gewäsch.
BRUTUS.
Gänzlich verkehrt! Als er sein Land geliebt,
Ehrt' es ihn auch.
MENENIUS.
Hat uns der Fuß gedient
Und wird vom Krebs geschädigt, denken wir
Nicht mehr der vor'gen Dienste?
BRUTUS.
Schweigt nur still!
Zu seinem Hause hin! Reißt ihn heraus,
Damit die Ansteckung von gift'ger Art
Nicht weiter fort sich zünde!
[859] MENENIUS.
Nur ein Wort!
So tigerfüß'ge Wut, sieht sie das Elend
Der ungehemmten Eile, legt zu spät
Blei an die Sohlen. – Drum verfahrt nach Recht,
Daß nicht, da es beliebt, Partei'n sich rotten,
Und unser hohes Rom durch Römer falle!
BRUTUS.
Wenn das geschah' –
SICINIUS.
Was schwatzt Ihr da?
Wie er Gesetz verhöhnte, sahn wir ja.
Ädilen schlagen! Trotz uns bieten! Kommt!
MENENIUS.
Erwägt nur dies: er ist im Krieg erwachsen;
Seit er ein Schwert mocht' heben, lernt' er fein
Gesiebte Sprache nicht, wirft Mehl und Kleie
Nun im Gemengsel aus. Bewilligt mir,
Ich geh' zu ihm und bring' ihn friedlich her,
Wo nach der Form des Rechts er Rede steht
Auf seine äußerste Gefahr.
ERSTER SENATOR.
Tribunen,
Die Weis' ist menschlich: allzu blutig würde
Der andre Weg, und im Beginnen nicht
Der Ausgang zu erkennen.
SICINIUS.
Edler Menenius,
So handelt Ihr denn als des Volks Beamter; –
Ihr Leute, legt die Waffen ab!
BRUTUS.
Geht nicht nach Haus!
SICINIUS.
Hin auf den Markt, dort treffen wir Euch wieder,
Und bringt Ihr Marcius nicht, so gehn wir weiter
Auf unserm ersten Weg.

Ab.
MENENIUS.
Ich bring' ihn euch.

Zu den Senatoren.

Geht mit mir, ich ersuch' euch! Er muß kommen,
Sonst folgt das Schlimmste.
ERSTER SENATOR.
Laßt uns zu ihm gehn!

Alle ab.
[860]
Zweite Szene
Coriolanus tritt auf mit einigen Patriziern.

CORIOLANUS.
Laßt sie mir um die Ohren alles werfen;
Mir drohn mit Tod durch Rad, durch wilde Rosse;
Zehn Berg' auf den Tarpej'schen Felsentürmen,
Daß sich der Absturz tiefer reißt, als je
Das Auge sieht, – doch bleib' ich ihnen stets
Also gesinnt.
ERSTER PATRIZIER.
Ihr handelt um so edler.

Volumnia tritt auf.
CORIOLANUS.
Mich wundert, wie die Mutter
Mein Tun nicht billigt, die doch lump'ge Sklaven
Sie stets genannt; Geschöpfe, nur gemacht,
Daß sie mit Pfenn'gen schachern; barhaupt stehn
In der Versammlung, gähnen, staunen, schweigen,
Wenn einer meines Ranges sich erhebt,
Redend von Fried' und Krieg.

Zu Volumnia.

Ich sprach von Euch.
Weshalb wünscht Ihr mich milder? Soll ich falsch sein
Der eignen Seele? Lieber sagt, ich spiele
Den Mann nur, der ich bin!
VOLUMNIA.
Oh! Sohn, Sohn, Sohn!
Hätt'st deine Macht du doch erst angelegt,
Eh' du sie abgenutzt!
CORIOLANUS.
Sie fahre hin!
VOLUMNIA.
Du konntest mehr der Mann sein, der du bist,
Wenn du es wen'ger zeigtest; schwächer waren
Sie deinem Sinn entgegen, hehltest du
Nur etwas mehr, wie du gesinnt, bis ihnen
Die Macht gebrach, um dich zu kreuzen.
CORIOLANUS.
Hängt sie!
VOLUMNIA.
Ja, und verbrennt sie!

Menenius kommt mit Senatoren.
MENENIUS.
Kommt, kommt! Ihr wart zu rauh, etwas zu rauh.
Ihr müßt zurück, es bessern.
[861] ERSTER SENATOR.
Da hilft nichts.
Denn tut Ihr dieses nicht, reißt auseinander
Die Stadt und geht zugrund'.
VOLUMNIA.
Oh! laß dir raten:
Ich hab' ein Herz, unbeugsam, wie das deine,
Doch auch ein Hirn, das meines Zornes Ausbruch
Zu besserm Vorteil lenkt.
MENENIUS.
Recht, edle Frau!
Denn sollt' er so sein Herz zerdrücken, wenn's nicht
Die Fieberwut der Zeit als Mittel heischte
Dem ganzen Staat, schnallt' ich die Rüstung um,
Die ich kaum tragen kann.
CORIOLANUS.
Was muß ich tun?
MENENIUS.
Zu den Tribunen kehren.
CORIOLANUS.
Was weiter denn?
MENENIUS.
Bereun, was Ihr gesprochen.
CORIOLANUS.
Um ihretwillen?
Nicht kann ich's um der Götter willen tun;
Muß ich's denn ihretwillen tun?
VOLUMNIA.
Du bist zu herrisch.
Magst du auch hierin nie zu edel sein,
Gebietet Not doch auch. – Du selbst oft sagtest:
Wie Ehr' und Politik als treue Freunde
Im Krieg zusammen gehn. Ist dies, so sprich,
Wie sie im Frieden wohl sich schaden können,
Daß sie in ihm sich trennen?
CORIOLANUS.
Pah!
MENENIUS.
Gut gefragt!
VOLUMNIA.
Bringt es im Krieg dir Ehre, der zu scheinen,
Der du nicht bist (und großer Zwecke halb
Gebraucht Ihr dieser Politik), entehrt's nun,
Daß sie im Frieden soll Gemeinschaft halten
Mit Ehre, wie im Krieg, da sie doch beiden
Gleich unentbehrlich ist?
CORIOLANUS.
Was drängst du so?
VOLUMNIA.
Weil jetzt dir obliegt, zu dem Volk zu reden,
Nicht nach des eignen Sinnes Unterweisung,
Noch in der Art, wie dir dein Herz befiehlt, –
[862]
Mit Worten nur, die auf der Zunge wachsen,
Bastardgeburten, Lauten nur und Silben,
Die nicht des Herzens Wahrheit sind verpflichtet.
Dies, wahrlich, kann so wenig dich entehren,
Als eine Stadt durch sanftes Wort erobern,
Wo sonst dein Glück entscheiden müßt' und Wagnis
Von vielem Blutvergießen. –
Ich wollte meine Art und Weise bergen,
Wenn Freund' und Glück es in Gefahr verlangten,
Und blieb' in Ehr'. – Ich steh' hier auf dem Spiel,
Dein Weib, dein Sohn, die Edlen, der Senat,
Und du willst lieber unserm Pöbel zeigen,
Wie du kannst finster sehn, als einmal lächeln,
Um ihre Gunst zu erben und zu schützen,
Was ohne sie zugrund' geht.
MENENIUS.
Edle Frau!
Kommt, geht mit uns, sprecht freundlich und errettet
Nicht nur, was jetzt gefährlich, nein, was schon
Verloren war!
VOLUMNIA.
Ich bitte dich, mein Sohn,
Geh hin, mit dieser Mutz' in deiner Hand;
So streck' sie aus, tritt nah an sie heran,
Dein Knie berühr' die Stein'; in solchem Tun ist
Gebärd' ein Redner, und der Einfalt Auge
Gelehrter als ihr Ohr. Den Kopf so wiegend
Und oft auch so dein stolzes Herz bestrafend,
Sei sanft, so wie die Maulbeer' überreif,
Die jedem Drucke weicht. Dann sprich zu ihnen:
Du seist ihr Krieger, im Gelärm erwachsen,
Hab'st nicht die sanfte Art, die, wie du einsäh'st,
Dir nötig sei, die sie begehren dürften,
Wärb'st du um ihre Gunst; doch wollt'st du sicher
Dich künftig wandeln zu dem Ihrigen,
So weit Natur und Kraft in dir nur reichten.
MENENIUS.
Das nur getan,
So wie sie sagt, sind alle Herzen dein,
Denn sie verzeihn so leicht, wenn du sie bittest,
Als sonst sie müßig schwatzen.
[863] VOLUMNIA.
Oh! gib nach!
Laß dir nur diesmal raten, – weiß ich schon,
Du spräng'st eh' mit dem Feind in Feuerschlünde,
Als daß du ihm in Blumenlauben schmeichelst.
Hier ist Cominius.

Cominius tritt auf.
COMINIUS.
Vom Marktplatz komm' ich, Freund, und dringend scheint,
Daß Ihr Euch sehr verstärkt, sonst hilft Euch nur
Flucht oder Sanftmut: Alles ist in Wut.
MENENIUS.
Nur gutes Wort!
COMINIUS.
Das, glaub' ich, dient am besten,
Zwingt er sein Herz dazu.
VOLUMNIA.
Er muß und will.
Laß dich erbitten; sag: »Ich will« und geh!
CORIOLANUS.
Muß ich mit bloßem Kopf mich zeigen? Muß ich
Mit niedrer Zunge Lügen strafen so
Mein edles Herz, das hier verstummt? Nun gut, ich tu's.
Doch käm's nur auf das einz'ge Stück hier an,
Den Marcius, sollten sie zu Staub ihn stampfen
Und in den Wind ihn streun. – Zum Marktplatz nun!
Ihr zwingt mir eine Rolle auf, die ich nie
Natürlich spiele.
COMINIUS.
Kommt, wir helfen Euch.
VOLUMNIA.
Oh! hör' mich, holder Sohn! Du sagtest oft,,
Daß dich mein Lob zum Krieger erst gemacht:
So spiel', mein Lob zu ernten, eine Rolle,
Die du noch nie geübt.
CORIOLANUS.
Ich muß es tun.
Fort, meine Sinnesart! Komm über mich,
Geist einer Metze! Mein Kriegsschrei sei verwandelt,
Der in die Trommeln rief, jetzt in ein Pfeifchen,
Dünn wie des Hämlings, wie des Mädchens Stimme,
Die Kinder einlullt; eines Buben Lächeln
Wohn' auf der Wange mir; Schulknabentränen
Verdunkeln mir den Blick; des Bettlers Zunge
Reg' in dem Mund sich; mein bepanzert Knie,
Das nur im Bügel krumm war, beuge sich
[864]
Wie des, der Pfenn'ge fleht! – Ich will's nicht tun,
Nicht so der eignen Wahrheit Ehre schlachten
Und durch des Leibs Gebärdung meinen Sinn
Zu ew'ger Schand' abrichten.
VOLUMNIA.
Wie du willst.
Von dir zu betteln ist mir größre Schmach,
Als dir von ihnen. Fall' alles denn in Trümmer!
Mag lieber deinen Stolz die Mutter fühlen,
Als stets Gefahr von deinem Starrsinn fürchten!
Den Tod verlach' ich, großgeherzt wie du.
Mein ist dein Mut, ja, den sogst du von mir:
Dein Stolz gehört dir selbst.
CORIOLANUS.
Sei ruhig, Mutter,
Ich bitte dich! – Ich gehe auf den Markt;
Schilt mich nicht mehr! Als Taschenspieler nun
Stehl' ich jetzt ihre Herzen, kehre heim,
Von jeder Zunft geliebt. Siehst du, ich gehe.
Grüß' meine Frau! Ich kehr' als Konsul wieder;
Sonst glaube nie, daß meine Zung' es weit
Im Weg des Schmeichelns bringt!
VOLUMNIA.
Tu', was du willst!

Sie geht ab.
COMINIUS.
Fort, die Tribunen warten. Rüstet Euch
Mit milder Antwort; denn sie sind bereit,
Hör' ich, mit härtern Klagen, als die jetzt
Schon auf Euch lasten.
CORIOLANUS.
»Mild« ist die Losung. Bitte, laßt uns gehn:
Laßt sie mit Falschheit mich beschuld'gen, ich
Antworte ehrenvoll.
MENENIUS.
Nur aber milde!
CORIOLANUS.
Gut, milde sei's denn, milde!

Alle ab.
Dritte Szene
Sicinius und Brutus treten auf.

BRUTUS.
Das muß der Hauptpunkt sein: daß er erstrebt
Tyrannische Gewalt; entschlüpft er da,
[865]
Treibt ihn mit seinem Volkshaß in die Enge,
Und daß er nie verteilen ließ die Beute,
Die den Antiaten abgenommen ward.

Ein Ädil tritt auf.

Nun, kommt er?
ÄDIL.
Er kommt.
BRUTUS.
Und wer begleitet ihn?
ÄDIL.
Der alte
Menenius und die Senatoren, die
Ihn stets begünstigt.
BRUTUS.
Habt Ihr ein Verzeichnis
Von allen Stimmen, die wir uns verschafft,
Geschrieben nach der Ordnung?
ÄDIL.
Ja, hier ist's.
BRUTUS.
Habt Ihr nach Tribus sie gesammelt?
ÄDIL.
Ja.
SICINIUS.
So ruft nun ungesäumt das Volk hieher,
Und hören sie mich sagen: »So soll's sein,
Nach der Gemeinen Fug und Recht«, sei's nun
Tod, Geldbuß' oder Bann: so laß sie schnell
»Tod« rufen; sag' ich »Tod!« »Geldbuße«, sag' ich »Buße«,
Auf ihrem alten Vorrecht so bestehn
Und auf der Kraft in der gerechten Sache.
ÄDIL.
Ich will sie unterweisen.
BRUTUS.
Und haben sie zu schreien erst begonnen,
Nicht aufgehört! nein, dieser wilde Lärm
Muß die Vollstreckung augenblicks erzwingen
Der Strafe, die wir rufen.
ÄDIL.
Wohl, ich gehe.
SICINIUS.
Und mach' sie stark und unserm Wink bereit,
Wann wir ihn immer geben!
BRUTUS.
Macht Euch dran!

Der Ädil geht ab.

Reizt ihn sogleich zum Zorn; er ist gewohnt
Zu siegen, und ihm gilt als höchster Ruhm
Der Widerspruch. Einmal in Wut, nie lenkt er
Zur Mäßigung zurück; dann spricht er aus,
[866]
Was er im Herzen hat; genug ist dort,
Was uns von selbst hilft, ihm den Hals zu brechen.

Es treten auf Coriolanus, Menenius, Cominius, Senatoren und Patrizier.
SICINIUS.
Nun seht, hier kommt er!
MERENIUS.
Sanft, das bitt' ich dich!
CORIOLANUS.
Ja, wie ein Stallknecht, der für lump'gen Heller
Den Schurken zehnfach einsteckt. – Hohe Götter!
Gebt Rom den Frieden, und den Richterstühlen
Biedere Männer! Pflanzet Lieb' uns ein!
Füllt dicht mit Friedensprunk die Tempelhallen,
Und nicht mit Krieg die Straßen!
ERSTER SENATOR.
Amen! Amen!
MERENIUS.
Ein edler Wunsch!
SICINIUS.
Ihr Bürger, tretet naher!

Der Ädil kommt mit den Bürgern.
ÄDIL.
Auf die Tribunen merkt! Gebt acht! Still! still!
CORIOLANUS.
Erst hört mich reden!
BEIDE TRIBUNEN.
Gut, sprecht – ruhig denn!
CORIOLANUS.
Werd' ich nicht weiter angeklagt, als hier?
Wird alles jetzt gleich ausgemacht?
SICINIUS.
Ich frage:
Ob Ihr des Volkes Stimm' Euch unterwerft,
Die Sprecher anerkennt, und willig tragt
Die Strafe des Gesetzes für die Fehler,
Die man Euch dartun wird?
CORIOLANUS.
Ich trage sie.
MENENIUS.
Oh, Bürger, seht! er sagt, er will sie tragen:
Der Kriegesdienste, die er tat, gedenkt;
Seht an die Wunden, die sein Körper hat:
Sie gleichen Gräbern auf geweihtem Boden.
CORIOLANUS.
Geritzt von Dornen, Schrammen, nur zum Lachen.
MENENIUS.
Erwägt noch ferner:
Daß, hört ihr ihn nicht gleich dem Bürger sprechen,
Den Krieger findet ihr in ihm. Nehmt nicht
Den rauhen Klang für bös gemeintes Wort;
[867]
Nein, wie gesagt, so wie's dem Krieger ziemt,
Nicht feindlich euch.
COMINIUS.
Gut, gut, nichts mehr!
CORIOLANUS.
Wie kommt's
Daß ich, einstimmig anerkannt als Konsul,
Nun so entehrt bin, daß zur selben Stunde
Ihr mir die Würde nehmt?
SICINIUS.
Antwortet uns!
CORIOLANUS.
Sprecht denn: 's ist wahr, so sollt' ich ja.
SICINIUS.
Wir zeihn dich, daß du hast gestrebt, zu stürzen
Recht und Verfassung Roms, und so dich selbst
Tyrannisch aller Herrschaft anzumaßen,
Und darum stehst du hier als Volksverräter.
CORIOLANUS.
Verräter! –
MENENIUS.
Still nur, mäßig, dein Versprechen!
CORIOLANUS.
Der tiefsten Hölle Glut verschling' das Volk!
Verräter ich! du lästernder Tribun!
Und säßen tausend Tod' in deinem Auge,
Und packten Millionen deine Fäuste,
Wär'n doppelt die auf deiner Lügnerzunge:
Ich, ich sag' dennoch dir, du lügst! – die Brust
So frei, als wenn ich zu den Göttern bete.
SICINIUS.
Hörst du dies, Volk?
DIE BÜRGER.
Zum Fels mit ihm! zum Fels mit ihm!
SICINIUS.
Seid ruhig!
Wir brauchen neuer Fehl' ihn nicht zu zeihn;
Was ihr ihn tun saht, reden hörtet,
Wie er euch fluchte, eure Diener schlug,
Streiche dem Recht erwidernd, denen trotzte,
Die, machtbegabt, ihn richten sollten: dies
So frevelhaft, so hochverräterisch,
Verdient den härt'sten Tod.
BRUTUS.
Doch, da er Dienste
Dem Staat getan –
CORIOLANUS.
Was schwatzt Ihr noch von Diensten
BRUTUS.
Ich sag' es, der ich's weiß.
CORIOLANUS.
Ihr?
[868] MENENIUS.
Ist es dies,
Was Eurer Mutter Ihr verspracht?
COMINIUS.
O hört!
Ich bitt' Euch.
CORIOLANUS.
Nein, ich will nichts weiter hören.
Las sie ausrufen: Tod vom steilen Fels,
Landflücht'ges Elend, Schinden, eingekerkert
Zu schmachten, tags mit einem Korn, – doch kauft' ich
Nicht für ein gutes Wort mir ihre Gnade,
Nicht zähmt' ich mich, für was sie schenken können,
Bekäm' ich's für 'nen »guten Morgen« schon.
SICINIUS.
Weil er, so viel er konnt', von Zeit zu Zeit,
Aus Haß zum Volke Mittel hat gesucht,
Ihm seine Macht zu rauben, und auch jetzt
Als Feind sich wehrt, nicht nur in Gegenwart
Erhabnen Rechts, nein, gegen die Beamten,
Die es verwalten: in des Volkes Namen,
Und unsrer, der Tribunen Macht, verbannen
Wir augenblicklich ihn aus unsrer Stadt.
Bei Strafe, vom Tarpej'schen Fels gestürzt
Zu sein, betret' er nie die Tore Roms!
In's Volkes Namen sag' ich: So soll's sein!
DIE BÜRGER.
So soll es sein! So soll's sein! Fort mit ihm!
Er ist verbannt, und also soll es sein!
COMINIUS.
Hört mich, ihr Männer, Freunde hier im Volk!
SICINIUS.
Er ist verurteilt. Nichts mehr!
COMINIUS.
Laßt mich sprechen!
Ich war eu'r Konsul, und Rom kann an mir
Die Spuren seiner Feinde sehn. Ich liebe
Des Vaterlandes Wohl mit zartrer Ehrfurcht,
Heiliger und tiefer als mein eignes Leben,
Mehr als mein Weib und ihres Leibes Kinder,
Die Schätze meines Bluts. Wollt' ich nun sagen –
SICINIUS.
Wir wissen, was Ihr wollt. Was könnt Ihr sagen?
BRUTUS.
Zu sagen ist nichts mehr. Er ist verbannt
Als Feind des Volks und seines Vaterlands.
So soll's sein!
DIE BÜRGER.
So soll's sein! So soll es sein!
[869]
CORIOLANUS.
Du schlechtes Hundepack! des Hauch ich hasse,
Wie fauler Sümpfe Dunst; des Gunst mir teuer,
Wie unbegrabner Männer totes Aas,
Das mir die Luft vergift't. – Ich banne dich!
Bleibt hier zurück mit euerm Unbestand,
Der schwächste Lärm mach' euer Herz erbeben,
Eu'r Feind mit seines Helmbuschs Nicken fächle
Euch in Verzweiflung; die Gewalt habt immer,
Zu bannen eure Schützer, – bis zuletzt
Eu'r stumpfer Sinn, der glaubt, erst wenn er fühlt,
Der nicht einmal euch selbst erhalten kann,
Stets Feind euch selbst, euch endlich unterwerfe,
Als höchst verworfne Sklaven, einem Volk,
Das ohne Schwertstreich euch gewann. – So schmähend
Euch, eure Stadt, – wend' ich so meinen Rücken –
Noch anderswo gibt's eine Welt.

Coriolanus, Cominius, Menenius, Senatoren und Patrizier gehn ab.
ÄDILEN.
Des Volkes Feind ist fort! ist fort! ist fort!
DIE BÜRGER.
Verbannt ist unser Feind! ist fort! Ho! Ho!

Sie jauchzen und werfen ihre Mützen.
SICINIUS.
Geht, seht ihm nach zum Tor hinaus, und folgt ihm,
Wie er euch sonst mit bitterm Schmähn verfolgte;
Kränkt ihn, wie er's verdient! – Laßt eine Wache
Uns durch die Stadt begleiten!
DIE BÜRGER.
Kommt, kommt! ihm nach! zum Tor hinaus, so kommt!
Edle Tribunen, euch der Götter Schutz!

Alle ab.
Vierte Szene
Es treten auf Coriolanus, Volumnia, Virgilia, Menenius, Cominius und mehrere junge Patrizier.

CORIOLANUS.
Nein, weint nicht mehr! Ein kurz Lebwohl! Das Tier
Mit vielen Köpfen stößt mich weg. Ei. Mutter!
Wo ist dein alter Mut? Du sagtest oft:
Es sei das Unglück Prüfstein der Gemüter,
[870]
Gemeine Not trag' ein gemeiner Mensch.
Es segl' auf stiller See mit gleicher Kunst
Ein jedes Boot; doch tiefe Todeswunden,
Die Glück in guter Sache schlägt, verlangten
Den höchsten Sinn. – Du ludest oft mir auf
Belehrungen, die unbezwinglich machten
Die Herzen, die sie ganz durchdrangen.
VIRGILIA.
O Himmel! Himmel!
CORIOLANUS.
Nein, ich bitte, Frau –
VOLUMNIA.
Die Pestilenz treff alle Zünfte Roms,
Und die Gewerke Tod!
CORIOLANUS.
Was, was! Ich werde
Geliebt sein, wenn ich bin gemißt. Nun, Mutter,
Wo ist der Geist, der sonst dich sagen machte,
Wärst du das Weib des Herkules gewesen,
Sechs seiner Taten hättest du getan,
Und deinem Mann so vielen Schweiß erspart?
Cominius!
Frisch auf! Gott schütz' Euch! – Lebt wohl, Frau und Mutter!
Mir geht's noch gut. – Menenius, alter, treuer,
Salz'ger als jüngern Manns sind deine Tränen,
Und giftig deinem Aug'. Mein weiland Feldherr,
Ich sah dich finster, und oft schautest du
Herzhärtend Schauspiel; sag den bangen Frauen:
Beweinen Unvermeidliches sei Torheit
Sowohl, als drüber lachen. – Weißt du, Mutter,
Mein Wagnis war dein Trost ja immer! Und,
Das glaube fest, geh' ich auch jetzt allein,
So wie ein Drache einsam, den die Höhle
Gefürchtet macht, besprochen mehr, weil nicht gesehn, –
Dein Sohn ragt über dem Gemeinen stets,
Wo nicht, fällt er durch Tück' und niedre List.
VOLUMNIA.
Mein großer Sohn!
Wo willst du hin? Nimm für die erste Zeit
Cominius mit: bestimme dir den Lauf,
Statt wild dich jedem Zufall preis zu geben,
Der auf dem Weg dich anfällt.
CORIOLANUS.
O ihr Götter!
[871] COMINIUS.
Den Monat bleib' ich bei dir; wir bedenken,
Wo du verweilen magst, von uns zu hören,
Und wir von dir: daß, wenn die Zeit den Anlaß
Für deine Rückberufung reift, wir nicht
Nach einem Mann die Welt durchsuchen müssen,
Die Gunst verlierend, welche stets erkaltet,
Ist jener fern, der sie bedarf.
CORIOLANUS.
Leb wohl!
Du trägst der Jahre viel, hast übersatt
Kriegsschwelgerei, mit einem umzutreiben,
Des Gier noch frisch. Bringt mich nur aus dem Tor;
Komm, süßes Weib, geliebte Mutter, und
Ihr wohlerprobten Freunde! – Bin ich draußen,
Sagt: »Lebe wohl!« und lächelt! Bitte, kommt –
Solang' ich überm Boden bin, sollt ihr
Stets von mir hören, und nie etwas andres,
Als was dem frühem Marcius gleicht.
MENENIUS.
So würdig,
Wie man nur hören kann. Laßt uns nicht weinen!
Könnt' ich nur sieben Jahr herunterschütteln
Von diesen alten Gliedern, – bei den Göttern!
Ich wollt' auf jedem Schritt dir folgen.
CORIOLANUS.
Kommt!
Deine Hand!

Alle ab.
Fünfte Szene
Sicinius, Brutus und ein Ädil treten auf.

SICINIUS.
Schickt sie nach Hause, er ist fort. Nicht weiter!
Geschwächt sind die Patrizier, die, wir sehen's,
In seinem Handel sich beseitigt.
BRUTUS.
Zeigten
Wir unsre Macht, laßt uns demüt'ger scheinen,
Nun es geschehn, als da's im Werden!
SICINIUS.
Schickt sie heim!
Sagt ihnen, fort sei nun ihr großer Feind,
Und neu befestigt ihre Macht.
[872] BRUTUS.
Entlaßt sie!
Hier kommt die Mutter.

Volumnia, Virgilia und Menenius treten auf.
SICINIUS.
Laßt uns fort!
BRUTUS.
Weshalb?
SICINIUS.
Man sagt, sie sei verrückt.
BRUTUS.
Sie sah uns schon.
Weicht ihr nicht aus!
VOLUMNIA.
Ha, wohlgetroffen!
Der Götter aufgehäufte Strafen lohnen
Euch eure Liebe!
MERENIUS.
Still, seid nicht so laut!
VOLUMNIA.
Könnt' ich vor Tränen nur, ihr solltet hören –
Doch sollt ihr etwas hören. Wollt Ihr gehn?
VIRGILIA.
Auch Ihr sollt bleiben. Hätt' ich doch die Macht,
Das meinem Mann zu sagen!
SICINIUS.
Seid Ihr männisch?
VOLUMNIA.
Ja, Narr. Ist das 'ne Schande? Seht den Narren!
War nicht ein Mann ihr Vater? Warst du fuchsisch,
Zu bannen ihn, der Wunden schlug für Rom,
Mehr als du Worte sprachst?
SICINIUS.
O güt'ger Himmel!
VOLUMNIA.
Mehr edle Wunden als du kluge Worte,
Und zu Roms Heil. Eins sag' ich dir – doch geh!
Nein, bleiben sollst du! Wäre nur mein Sohn,
Sein gutes Schwert in Händen, in Arabien,
Und dort vor ihm dein Stamm!
SICINIUS.
Was dann?
VIRGILIA.
Was dann?
Er würde dort dein ganz Geschlecht vertilgen.
VOLUMNIA.
Bastard' und alles.
O Wackrer! du trägst Wunden viel für Rom.
MENENIUS.
Kommt, kommt! Seid ruhig!
SICINIUS.
Ich wollt', er wär' dem Vaterland geblieben,
Was er ihm war, statt selbst den edlen Knoten
Zu lösen, den er schlang.
[873] BRUTUS.
So wünscht' ich auch.
VOLUMNIA.
»So wünscht' ich auch?« Ihr hetztet auf den Pöbel,
Katzen, die seinen Wert begreifen können,
Wie die Mysterien ich, die nicht der Himmel
Der Erd' enthüllen will.
BRUTUS.
Kommt, laßt uns gehn!
VOLUMNIA.
Nun ja, ich bitt' euch! geht!
Ihr tatet wackre Tat. – Hört dies noch erst:
So weit das Kapitol hoch überragt
Das kleinste Haus in Rom, so weit mein Sohn,
Der Gatte dieser Frau, hier dieser, seht ihr?
Den ihr verbanntet, überragt euch alle.
BRUTUS.
Genug. Wir gehn.
SICINIUS.
Was bleiben wir, gehetzt
Von einer, der die Sinne fehlen?
VOLUMNIA.
Nehmt
Noch mein Gebet mit euch!

Die Tribunen gehn ab.

Oh! hätten doch die Götter nichts zu tun,
Als meine Flüch' erfüllen! Träf ich sie
Nur einmal tags, erleichtern würd's mein Herz
Von schwerer Last.
MENENIUS.
Ihr gabt es ihnen derb,
Und habt auch Grund. Speist Ihr mit mir zu Nacht?
VOLUMNIA.
Zorn ist mein Nachtmahl; so mich selbst verzehrend,
Verschmacht' ich an der Nahrung. Laßt uns gehn!
Laßt dieses schwache Wimmern, klagt wie ich,
Der Juno gleich im Zorn! – Kommt, kommt!
MENENIUS.
Pfui, pfui!

Sie gehn ab.
[874]

Vierter Aufzug

Erste Szene
Landstraße zwischen Rom und Antium. Ein Römer und ein Volsker, die sich begegnen.

RÖMER.
Ich kenne Euch recht gut, Freund, und Ihr kennt mich auch. Ich denke. Ihr heißt Adrian?
VOLSKER.
Ganz recht. Wahrhaftig, ich hatte Euch vergessen.
RÖMER.
Ich bin ein Römer, und tue jetzt wie Ihr Dienste gegen Rom. Kennt Ihr mich nun?
VOLSKER.
Nikanor? nicht?
RÖMER.
Ganz recht.
VOLSKER.

Ihr hattet mehr Bart, als ich Euch zuletzt sah; aber Euer Gesicht wird mir durch Eure Zunge kenntlich. – Was gibt es Neues in Rom? Ich habe einen Auftrag vom Staat der Volsker, Euch dort auszukundschaften, und Ihr habt mir eine Tagereise

erspart.

RÖMER.
In Rom hat es einen seltsamen Aufstand gegeben: das Volk gegen die Senatoren, Patrizier und Edeln.
VOLSKER.

Hat es gegeben? Ist es denn nun vorbei? Unser Staat denkt nicht so; sie machen die stärksten Rüstungen und hoffen, sie in der Hitze der Entzweiung zu überfallen.

RÖMER.

Der große Brand ist gelöscht; aber eine geringe Veranlassung würde ihn wieder in Flammen setzen; denn den Edeln geht die Verbannung des würdigen Coriolan so zu Herzen, daß sie ganz in der Stimmung sind, dem Volk alle Gewalt zu nehmen und ihnen ihre Tribunen auf immer zu entreißen. Dies glimmt unter der Asche, das kann ich Euch versichern, und ist fast reif zum heftigsten Ausbruch.

VOLSKER.
Coriolan verbannt?
[875] RÖMER.
Ja, verbannt.
VOLSKER.
Mit der Nachricht werdet Ihr willkommen sein, Nikanor.
RÖMER.

Das Wetter ist jetzt gut für euch. Man pflegt zu sagen, die beste Zeit, eine Frau zu verführen, sei, wenn sie sich mit ihrem Manne überworfen hat. Euer edler Tullus Aufidius kann sich in diesem Kriege hervortun, da sein großer Gegner Coriolanus jetzt für sein Vaterland nichts tut.

VOLSKER.

Das kann ihm nicht fehlen. Wie glücklich war ich, Euch so unvermutet zu begegnen! Ihr habt meinem Geschäft ein Ende gemacht, und ich will Euch nun freudig nach Hause begleiten.

RÖMER.

Ich kann Euch vor dem Abendessen noch höchst sonderbare Dinge von Rom erzählen, die ihren Feinden sämtlich zum Vorteil gereichen. Habt ihr ein Heer bereit? Wie?

VOLSKER.

Ja, und ein wahrhaft königliches. Die Centurionen und ihre Mannschaft sind schon förmlich verteilt und stehn im Sold, so daß sie jede Stunde aufbrechen können.

RÖMER.

Es freut mich, daß sie so marschfertig sind, und ich denke, ich bin der Mann, der sie sogleich in Bewegung setzen wird. Also herzlich willkommen, und höchst vergnügt durch Eure Gesellschaft!

VOLSKER.

Ihr nehmt mir die Worte aus dem Munde; ich habe die meiste Ursach', mich dieser Zusammenkunft zu freuen.

RÖMER.
Gut, laßt uns gehn!

Sie gehn ab.
Zweite Szene
Antium. Vor Aufidius' Haus. Coriolanus tritt auf in geringem Anzuge, verkleidet und verhüllt.

CORIOLANUS.
Dies Antium ist ein hübscher Ort. O Stadt!
Ich schuf dir deine Witwen. Manchen Erben
Der schönen Häuser hört' ich in der Schlacht
Stöhnen und sterben. – Kenne mich drum nicht,
[876]
Sonst morden mich mit Bratspieß' deine Weiber,
In kind'scher Schlacht mit Steinen deine Knaben.

Es kommt ein Bürger,

Gott grüß' Euch, Herr!
DER BÜRGER.
Und Euch!
CORIOLANUS.
Zeigt mir, ich bitte.
Wo Held Aufidius wohnt. Ist er in Antium?
BÜRGER.
Ja, und bewirtet heut in seinem Haus
Die Ersten unsrer Stadt.
CORIOLANUS.
Wo ist sein Haus?
BÜRGER.
Dies ist's, Ihr steht davor.
CORIOLANUS.
Lebt wohl! Ich dank' Euch.

Der Bürger geht ab.

O Welt! du rollend Rad! Geschworne Freunde,
Die in zwei Busen nur ein Herz getragen,
Die Zeit und Bett und Mahl und Arbeit teilten,
Vereinigt stets, als wie ein Zwillingspaar,
In ungetrennter Liebe, brechen aus
Urplötzlich durch den Hader um ein Nichts
In bittern Haß. – So auch erboste Feinde,
Die Haß und Grimm nicht schlafen ließ vor Planen,
Einander zu vertilgen, durch 'nen Zufall,
Ein Ding, kein Ei wert, werden Herzensfreunde,
Und Doppelgatten ihre Kinder. So auch ich.
Ich hasse den Geburtsort, liebe hier
Die Feindesstadt. – Hinein! Erschlägt er mich,
So übt er gutes Recht; nimmt er mich auf,
So dien' ich seinem Land.

Geht ab.
Dritte Szene
Man hört Musik von innen; es kommt ein Diener.

ERSTER DIENER.
Wein, Wein! Was ist das für Aufwartung?
– Ich glaube, die Bursche sind alle im Schlaf.

Geht ab.

Ein zweiter Diener kommt.
[877] ZWEITER DIENER.
Wo ist Cotus? Der Herr ruft ihn. Cotus!

Geht ab.

Coriolanus tritt auf.
CORIOLANUS.
Ein hübsches Haus; das Mahl riecht gut. Doch ich Seh' keinem Gaste gleich.

Der erste Diener kommt wieder.
ERSTER DIENER.
Was wollt Ihr, Freund? Woher kommt Ihr?
Hier ist kein Platz für Euch. Bitte, macht Euch fort!
CORIOLANUS.
Ich habe bessern Willkomm nicht verdient,
Wenn Coriolan ich bin.
Der weite Diener kommt.
ZWEITER DIENER.

Wo kommst du her, Freund? Hat der Pförtner keine Augen im Kopf, daß er solche Gesellen herein läßt? Bitte, mach' dich fort!

CORIOLANUS.
Hinweg!
ZWEITER DIENER.
Hinweg? Geh du hinweg!
CORIOLANUS.
Du bist mir lästig.
ZWEITER DIENER.
Bist du so trotzig? Man wird schon mit dir sprechen.

Der dritte Diener kommt.
DRITTER DIENER.
Was ist das für ein Mensch?
ERSTER DIENER.

Ein so wunderlicher, wie ich noch keinen sah. Ich kann ihn nicht aus dem Hause kriegen. Ich bitte, ruf doch mal den Herrn her!

DRITTER DIENER.
Was habt Ihr hier zu suchen, Mensch? Bitte, scher' dich aus dem Haus!
CORIOLANUS.
Laßt mich hier stehn, nicht schad' ich Euerm Herd.
DRITTER DIENER.
Wer seid Ihr?
CORIOLANUS.
Ein Mann von Stande.
DRITTER DIENER.
Ein verwünscht armer.
CORIOLANUS.
Gewiß, das bin ich.
DRITTER DIENER.

Ich bitte Euch, armer Mann von Stande, sucht Euch ein andres Quartier; hier ist kein Platz für Euch. – Ich bitte Euch, packt Euch fort!

CORIOLANUS.
Euerm Berufe folgt! Hinweg! Stopft Euch mit kalten Bissen.

Stößt den Diener weg.
[878] DRITTER DIENER.
Was, Ihr wollt nicht? Bitte, sage doch meinem Herrn, was er hier für einen seltsamen Gast hat.
ZWEITER DIENER.
Das will ich. Geht ab.
DRITTER DIENER.
Wo wohnst du?
CORIOLANUS.
Unter dem Firmament.
DRITTER DIENER.
Unter dem Firmament?
CORIOLANUS.
Ja.
DRITTER DIENER.
Wo ist das?
CORIOLANUS.
In der Stadt der Geier und Krähen.
DRITTER DIENER.
In der Stadt der Geier und Krähen? Was das für ein Esel ist! So wohnst du auch wohl bei den Dohlen?
CORIOLANUS.
Nein, ich diene nicht deinem Herrn.
ERSTER DIENER.
Kerl! was hast du mit meinem Herrn zu schaffen?
CORIOLANUS.

Nun, das ist doch schicklicher, als wenn ich mit deiner Frau zu schaffen hätte. Du schwatzest und schwatzest. – Trag' deine Teller weg! Marsch! Er schlägt ihn hinaus.


Aufidius tritt auf.
AUFIDIUS.
Wo ist der Mensch?
ZWEITER DIENER.

Hier, Herr. Ich hätte ihn wie einen Hund hinausgeprügelt, ich wollte nur die Herren drinnen nicht stören.

AUFIDIUS.

Woher kommst du? Was willst du? Dein Name? Weshalb antwortest du nicht? Sprich, Mensch, wie heißest du?

CORIOLANUS
schlägt den Mantel auseinander.
Wenn, Tullus,
Du doch nicht mich erkennst, und, mich beschauend,
Nicht findest, wer ich bin, zwingt mich die Not,
Mich selbst zu nennen.
AUFIDIUS.
Und wie ist dein Name?
CORIOLANUS.
Ein Name, schneidend für der Volsker Ohr,
Und rauhen Klangs für dich.
AUFIDIUS.
Wie ist dein Name?
Du hast 'nen wüsten Schein' und deine Mien' ist
Gebieterisch. Ist auch zerfetzt dein Tauwerk,
Zeigst du als wackres Schiff dich. Wie dein Name?
[879] CORIOLANUS.
Zieh' deine Stirn in Falten! Kennst mich jetzt?
AUFIDIUS.
Nicht kenn' ich dich. Dein Name?
CORIOLANUS.
Mein Nam' ist Cajus Marcius, der dich selbst
Vorerst und alle deine Landsgenossen
Sehr schwerverletzt' und elend machte; zeuge
Mein dritter Name Coriolan. Die Kriegsmüh'n.
Die Todsgefahr und all die Tropfen Bluts,
Vergossen für das undankbare Rom,
Das alles wird bezahlt mit diesem Namen,
Er, starkes Mahnwort und Anreiz zu Haß
Und Feindschaft, die du mir mußt hegen.
Nur Der Name bleibt. Die Grausamkeit des Volks,
Ihr Neid, gestattet von dem feigen Adel,
Die alle mich verließen, schlang das andre.
Sie duldeten's, mich durch der Sklaven Stimmen
Aus Rom gezischt zu sehn. – Diese Verruchtheit
Bringt mich an deinen Herd; die Hoffnung nicht,
Versteh' mich recht, mein Leben zu erhalten;
Denn fürchtet' ich den Tod, so mied' ich wohl
Von allen Menschen dich zumeist; – nein, Haß, Ganz
meinen Neidern alles wett zu machen,
Bringt mich hieher. – Wenn du nun in dir trägst
Ein Herz des Grimms, das Rache heischt für alles,
Was dich als Mann gekränkt, und die Verstümm'lung
Und Schmach in deinem ganzen Land will strafen,
Mach' dich gleich dran, daß dir mein Elend nütze,
Daß dir mein Rachedienst zur Wohltat werde;
Denn ich bekämpfe
Mein gifterfülltes Land mit aller Wut
Der Höllengeister. Doch fügt es sich so:
Du wagst es nicht und bist ermüdet, höher
Dein Glück zu steigern, dann, mit einem Wort,
Bin ich des Lebens auch höchst überdrüssig,
Dann biet' ich dir und deinem alten Haß
Hier meine Gurgel. – Schneidest du sie nicht,
So würdest du nur als ein Tor dich zeigen;
Denn immer hab' ich dich mit Grimm verfolgt
Und Tonnen Blutes deinem Land entzapft.
[880]
Ich kann nur leben dir zum Hohn, es sei denn,
Um Dienste dir zu tun.
AUFIDIUS.
O Marcius, Marcius!
Ein jedes Wort von dir hat eine Wurzel
Des alten Neids mir aus der Brust gejätet.
Wenn Jupiter
Von jener Wolk' uns als Orakel riefe:
»Wahr ist's!« – nicht mehr als dir würd' ich ihm glauben.
Ganz edler Marcius! oh! laß mich umwinden
Den Leib mit meinen Armen, gegen den
Mein fester Speer wohl hundertmal zerbrach,
Und schlug den Mond mit Splittern. Hier umfang' ich
Den Amboß meines Schwerts, und ringe nun
So edel und so heiß mit deiner Liebe,
Als je mein eifersücht'ger Mut gerungen
Mit deiner Tapferkeit. Laß mich bekennen:
Ich liebte meine Braut, nie seufzt' ein Mann
Mit treu'rer Seele; doch, dich hier zu sehn,
Du hoher Geist! dem springt mein Herz noch freud'ger,
Als da mein neuvermähltes Weib zuerst
Mein Haus betrat. Du Mars, ich sage dir,
Ganz fertig steht ein Kriegsheer, und ich wollte
Noch einmal dir den Schild vom Arme hauen,
Wo nicht den Arm verlieren. Zwölfmal hast du
Mich ausgeklopft, und jede Nacht seitdem
Träumt' ich vom Balgen zwischen dir und mir.
Wir waren beid' in meinem Schlaf am Boden,
Die Helme reißend, bei der Kehl' uns packend;
Halbtot vom Nichts erwacht' ich. – Würd'ger Marcius!
Hätt' ich nicht andern Streit mit Rom, als nur,
Daß du von dort verbannt, ich böte auf
Von zwölf zu siebzig alles Volk, um Krieg
Ins Herz des undankbaren Roms zu gießen,
Mit überschwell'nder Flut. – O komm! tritt ein,
Und nimm die Freundeshand der Senatoren,
Die jetzt hier sind, mir Lebewohl zu sagen,
Der eure Länderei'n angreifen wollte,
Wenn auch nicht Rom selbst.
[881]
CORIOLANUS.
Götter, seid gepriesen!
AUFIDIUS.
Willst du nun selbst als unumschränkter Herr
Dein eigner Rächer sein, so übernimm
Die Hälfte meiner Macht, bestimme du,
Wie dir gefällt, da du am besten kennst
Des Landes Kraft und Schwäche, deinen Weg, –
Sei's, anzuklopfen an die Tore Roms,
Sei's, sie an fernen Grenzen heimzusuchen,
Erst schreckend, dann vernichtend. Doch tritt ein,
Und sei empfohlen jenen, daß sie ja
Zu deinen Wünschen sprechen. – Tausend Willkomm!
Und mehr mein Freund als du je Feind gewesen,
Und, Marcius, das ist viel. Komm, deine Hand!

Coriolanus und Aufidius gehn ab.
ERSTER DIENER.
Das ist eine wunderliche Veränderung.
ZWEITER DIENER.

Bei meiner Hand, ich dachte ihn mit eine Prügel hinaus zu schlagen, und doch ahnete mir, seine Kleider machten von ihm eine falsche Aussage.

ERSTER DIENER.

Was hat er für einen Arm! Er schwenkte mich herum mit seinem Daum und Finger, wie man einen Kreisel tanzen läßt.

ZWEITER DIENER.

Nun, ich sah gleich an seinem Gesicht, daß was Besonderes in ihm steckte. Er hatte dir eine Art von Gesicht, sag' ich – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll.

ERSTER DIENER.

Das hatte er. Er sah aus, gleichsam – ich will mich hängen lassen, wenn ich nicht dachte, es wäre mehr in ihm, als ich denken konnte.

ZWEITER DIENER.
Das dachte ich auch, mein' Seel'. Er ist gradezu der herrlichste Mann in der Welt.
ERSTER DIENER.
Das glaube ich auch. Aber einen besseren Krieger als erkennest du doch wohl.
ZWEITER DIENER.
Wer? mein Herr?
ERSTER DIENER.
Ja, das ist keine Frage.
ZWEITER DIENER.
Der wiegt sechs solche auf.
ERSTER DIENER.
Nein, das nun auch nicht; doch ich halte ihn für einen bessern Krieger.
ZWEITER DIENER.
Mein' Treu'! sieh, man kann nicht sagen, was
[882]
man davon denken soll; was die Verteidigung einer Stadt betrifft, da ist unser Feldherr vorzüglich.
ERSTER DIENER.
Ja, und auch für den Angriff.

Der dritte Diener kommt zurück.
DRITTER DIENER.
Oh, Bursche, ich kann euch Neuigkeiten erzählen, Neuigkeiten, ihr Flegel!
DIE BEIDEN ANDERN.
Was? was? was? Laß hören!
DRITTER DIENER.
Ich wollte kein Römer sein, lieber alles in der Welt, lieber wäre ich ein verurteilter Mensch.
ERSTER UND ZWEITER DIENER.
Warum? warum?
DRITTER DIENER.
Nun, der ist da, der unsern Feldherrn immer zwackte, der Cajus Marcius.
ERSTER DIENER.
Warum sagtest du, »unsern Feldherrn zwacken«?
DRITTER DIENER.
Ich sage just nicht, »unsern Feldherrn zwacken«; aber er war ihm doch immer gewachsen.
ZWEITER DIENER.

Kommt, wir sind Freunde und Kameraden. Er war ihm immer zu mächtig, das habe ich ihn selbst sagen hören.

ERSTER DIENER.
Er war ihm, kurz und gut, zu mächtig. Vor Corioli hackte und zackte er ihn wie eine Karbonade.
ZWEITER DIENER.
Und hätte er was von einem Kannibalen gehabt, so hätte er ihn wohlgebraten und aufgegessen dazu.
ERSTER DIENER.
Aber dein andres Neues?
DRITTER DIENER.

Nun, da drinnen machen sie so viel Aufhebens von ihm, als wenn er der Sohn und Erbe des Mars wäre. Obenan gesetzt bei Tische, von keinem der Senatoren gefragt, der sich nicht barhäuptig vor ihn hinstellt. Unser Feldherr selbst tut, als wenn er seine Geliebte wäre, segnet sich mit Berührung seiner Hand, und dreht das Weiße in den Augen heraus, wenn er spricht. Aber der Grund und Boden meiner Neuigkeit ist: unser Feldherr ist mitten durchgeschnitten, und nur noch die Hälfte von dem, was er gestern war; denn der andre hat die Hälfte durch Ansuchen und Genehmigung der ganzen Tafel. Er sagt, er will gehn und den Pförtner von Rom bei den Ohren im Kot sühlen, [883] er will alles vor sich niedermähen und sich glatten Weg machen.

ZWEITER DIENER.
Und er ist der Mann danach, es zu tun, mehr als irgend jemand, den ich kenne.
DRITTER DIENER.

Es zu tun? Freilich wird er's tun! Denn versteht, Leute, er hat ebenso viel Freunde als Feinde; und diese Freunde, Leute, wagten gleichsam nicht, versteht mich, Leute, sich als seine Freunde, wie man zu sagen pflegt, zu zeigen, solange er in Mißkreditierung war.

ERSTER DIENER.
In Mißkreditierung? was ist das?
DRITTER DIENER.

Aber Leute, wenn sie seinen Helmbusch wieder hoch sehen werden, und den Mann in seiner Kraft, so werden sie aus ihren Höhlen kriechen wie Kaninchen nach dem Regen, und ihm alle nachlaufen.

ERSTER DIENER.
Aber wann geht das los?
DRITTER DIENER.

Morgen, heute, sogleich. Ihr werdet die Trommel heut nachmittag schlagen hören, es ist gleichsam noch eine Schüssel zu ihrem Fest, die verzehrt werden muß, ehe sie sich den Mund abwischen.

ZWEITER DIENER.

Nun, so kriegen wir doch wieder eine muntre Welt. Der Friede ist zu nichts gut, als Eisen zu rosten Schneider zu vermehren und Bänkelsänger zu schaffen.

ERSTER DIENER.

Ich bin für den Krieg, sage ich, er übertrifft den Frieden, wie der Tag die Nacht; er ist lustig, wachsam, gesprächig, immer was Neues; Friede ist Stumpfheit, Schlafsucht, dick, faul, taub, unempfindlich, und bringt mehr Bastarde hervor, als der Krieg Menschen erwürgt.

ZWEITER DIENER.

Richtig; und wie man auf gewisse Weise den Krieg Notzucht nennen kann, so macht, ohne Widerrede, der Friede viele Hahnrei.

ERSTER DIENER.
Ja, und er macht, daß die Menschen einander hassen.
DRITTER DIENER.

Und warum? Weil sie dann einander weniger nötig haben. Der Krieg ist mein Mann. – Ich hoffe, Römer sollen noch eben so wohlfeil werden als Volsker. Sie stehn auf, sie stehn auf!

ALLE.
Hinein! hinein!

Alle ab.
[884]
Vierte Szene
Rom. Ein öffentlicher Platz.

Sicinius und Brutus treten auf.

SICINIUS.
Man hört von ihm nichts, hat ihn nicht zu fürchten.
Was ihn gestärkt, ist zahm; der Friede jetzt
Und Ruh' im Volke, welches sonst empört
Und wild. Wir machen seine Freund' erröten,
Daß alles blieb im ruh'gen Gleis. Sie sähen
Viel lieber, ob sie selbst auch drunter litten,
Aufrührerhaufen unsre Straßen stürmen,
Als daß der Handwerksmann im Laden singt
Und alle freudig an die Arbeit gehn.

Menenius tritt auf.
BRUTUS.
Wir griffen glücklich durch. Ist das Menenius?
SICINIUS.
Er ist es. Oh! er wurde sehr geschmeidig
Seit kurzem. – Seid gegrüßt!
MENENIUS.
Ich grüß' euch beide.
SICINIUS.
Euer Coriolanus wird nicht sehr vermißt.
Als von den Freunden nur; die Stadt besteht,
Und würde stehn, wenn er sie mehr noch haßte.
MENENIUS.
Gut ist's, und könnte noch weit besser sein,
Hätt' er sich nur gefügt.
SICINIUS.
Wo ist er? Wißt Ihr's? –
MENENIUS.
Ich hörte nichts; auch seine Frau und Mutter
Vernehmen nichts von ihm.

Es kommen mehrere Bürger.
DIE BÜRGER.
Der Himmel schütz' euch!
SICINIUS.
Guten Abend, Nachbarn!
BRUTUS.
Guten Abend allen! Allen guten Abend!
ERSTER BÜRGER.
Wir, unsre Frau'n und Kinder sind verpflichtet,
Auf Knie'n für euch zu beten.
SICINIUS.
Geh's euch wohl!
BRUTUS.
Lebt wohl, ihr Nachbarn! Hätte Coriolanus
Euch so geliebt, wie wir!
DIE BÜRGER.
Der Himmel segn' euch!
[885] DIE TRIBUNEN.
Lebt wohl! Lebt wohl!

Die Bürger gehn ab.
SICINIUS.
Dies ist beglücktre wohl und liebre Zeit,
Als da die Burschen durch die Straßen liefen,
Zerstörung brüllend.
BRUTUS.
Cajus Marcius war
Im Krieg ein würd'ger Held, doch unverschämt,
Von Stolz gebläht, ehrgeizig übers Maß,
Selbstsüchtig –
SICINIUS.
Unumschränkte Macht erstrebend
Ohn' andern Beistand.
MENENIUS.
Nein, das glaub' ich nicht.
SICINIUS.
Das hätten wir, so daß wir's all' beweinten,
Empfunden, wär' er Konsul nur geblieben.
BRUTUS.
Die Götter wandten's gnädig ab, und Rom
Ist frei und sicher ohne ihn.

Ein Ädil kommt.
ÄDIL.
Tribunen!
Da ist ein Sklave, den wir festgesetzt,
Der sagt: Es brach mit zwei verschiednen Heeren
Der Volsker Macht ins römische Gebiet,
Und mit des Krieges fürchterlichster Wut
Verwüsten sie das Land.
MENENIUS.
Das ist Aufidius,
Der, da er unsers Marcius Bann gehört,
Die Hörner wieder ausstreckt in die Welt,
Die er einzog, als Marcius stand für Rom,
Und nicht ein Blickchen wagte.
SICINIUS.
Ei, was schwatzt Ihr
Von Marcius da?
BRUTUS.
Peitscht diesen Lügner aus! Es kann nicht sein.
Die Volsker wagen nicht den Bruch.
MENENIUS.
Es kann nicht sein?
Wohl sagt uns die Erinn'rung, daß es sein kann;
Dreimal bezeugt es uns dasselbe Beispiel,
In meiner Zeit. – Sprecht doch mit dem Gesellen,
[886]
Eh' ihr ihn straft, fragt ihn, wo er's gehört;
Ihr möchtet sonst wohl eure Warnung peitschen,
Den Boten schlagen, der euch wahren will
Vor dem, was zu befürchten.
SICINIUS.
Sprecht nicht so!
Ich weiß, es kann nicht sein.
BRUTUS.
Es ist unmöglich.

Ein Bote kommt.
BOTE.
In größter Eil' versammelt der Senat
Sich auf dem Kapitol. – Sie hörten Botschaft,
Die ihr Gesicht entfärbt.
SICINIUS.
Das macht der Sklave.
Laßt vor dem Volk ihn peitschen: sein Verhetzen –
Nichts als ein Märchen!
BOTE.
Nicht doch, teurer Mann!
Des Sklaven Wort bestätigt sich, und weit,
Weit schlimmer, als er aussagt.
SICINIUS.
Wie, weit schlimmer?
BOTE.
Es wird von vielen Zungen frei gesprochen, –
Ob glaublich, weiß ich nicht, – es führe Marcius,
Aufidius zugesellt, ein Heer auf Rom;
So weite Rache schwörend, wie der Anfang
Der Dinge weit vom Jetzt ist.
SICINIUS.
Oh! höchst glaublich!
BRUTUS.
Nur ausgestreut, damit der schwächre Teil
Den guten Marcius heim soll wünschen.
SICINIUS.
Freilich
Ist das der Kniff.
MENENIUS.
Nein, dies ist unwahrscheinlich.
Nicht mehr kann mit Aufidius er sich einen,
Als was am heftigsten sich widerspricht.

Es kommt ein zweiter Bote.
BOTE.
Man läßt in Eil' aufs Kapitol euch fodern:
Ein furchtbar Heer, geführt von Cajus Marcius,
Aufidius zugesellt, verwüstet rings
Die ganze Landschaft, und betritt den Weg
[887]
Hieher, durch Feu'r gebahnt, zerstörend alles,
Was ihrer Wut begegnet.

Cominius tritt auf.
COMINIUS.
Oh! ihr habt Hübsches angerichtet!
MENENIUS.
Nun, was gibt's?
COMINIUS.
Die eignen Töchter helft ihr schänden, und
Der Dächer Blei auf eure Schädel schmelzen,
Die Weiber sehn entehren euch vor Augen.
MENENIUS.
Was gibt es denn? was gibt's denn?
COMINIUS.
Verbrennen eure Tempel bis zum Grund,
Und eure Recht', auf die ihr pocht, verjagen
Bis in ein Mäuseloch.
MENENIUS.
Ich bitt' Euch – sprecht!
– Ich fürcht', ihr habt es schön gemacht. – O sprecht!
Wenn Marcius sich verband den Volskern –
COMINIUS.
Wenn?
Er ist ihr All', er führt sie als ein Wesen,
Das nicht Natur erschuf, nein, eine Gottheit.
Die höher ihn begabt. Sie folgen ihm
Hergegen uns Gezücht, so ruhig, sicher,
Wie Knaben bunte Schmetterlinge jagen,
Und Schlächter Fliegen töten.
MENENIUS.
Ihr habt's schön gemacht,
Ihr, eure Schürzfellmänner, die so fest
Auf ihre Handwerksstimmen hielten und
Der Knoblauchfresser Atem.
COMINIUS.
Schütteln wird er
Euch um die Ohren Rom.
MENENIUS.
Wie Herkules
Die reife Frucht abschüttelt. Schöne Arbeit!
BRUTUS.
So ist es wahr?
COMINIUS.
Ja, und ihr sollt erbleichen,
Bevor ihr's anders findet. Jede Stadt
Fällt lachend ab, und wer sich widersetzt,
Den höhnt man nur als tapfre Dummheit aus,
Der stirbt als treuer Narr. Wer kann ihn tadeln?
Die Feind' ihm sind, sehn jetzo, was er ist.
[888] MENENIUS.
Wir alle sind verloren, wenn der Edle
Nicht Gnade übt.
COMINIUS.
Wer soll ihn darum bitten?
Aus Schande können's die Tribunen nicht;
Das Volk verdient von ihm Erbarmen, wie
Der Wolf vom Schäfer. – Seine besten Freunde,
Sagten sie: »Schone Rom!«, – sie kränkten ihn
Gleich jenen, welche seinen Haß verdient,
Und zeigten sich als Feinde.
MENENIUS.
Das ist wahr.
Wenn er den Brand an meine Schwelle legte,
Mich zu verzehren, hätt' ich nicht die Stirn,
Zu sagen: »Bitte, laß!« – Ihr treibt es schön,
Ihr und das Handwerk! Herrlich Werk der Hand!
COMINIUS.
Ihr brachtet
Solch Zittern über Rom, daß sich's noch nie
So hülflos fand.
DIE TRIBUNEN.
Sagt nicht, daß wir es brachten!
MENENIUS.
So? Waren wir's? Wir liebten ihn, doch tierisch
Und knechtisch feig, nicht adlig, wichen wir;
Dem Pack, das aus der Stadt ihn zischte.
COMINIUS.
Ich fürchte,
Sie brüllen wieder ihn herein. Aufidius,
Der Männer zweiter, folgt nun seinem Wink,
Als dient' er unter ihm. Verzweiflung nur
Kann Rom ihm nun statt Kriegskunst und Verteid'gung
Und Macht entgegen stellen.

Es kommt ein Haufen Bürger.
MENENIUS.
Hier kommt das Pack.
Und ist Aufidius mit ihm? Ja, ihr seid's,
Die unsre Luft verpestet, als ihr warft
Die schweiß'gen Mützen in die Höh' und schrie't;
»Verbannt sei Coriolan!« – Nun kommt er wieder,
Und jedes Haar auf seiner Krieger Haupt
Wird euch zur Geißel. – So viel Narrenköpfe,
Als Mützen flogen, wird er niederstrecken
Zum Lohn für eure Stimmen. – Nun, was tut's?
[889]
Und wenn er all' uns brennt in eine Kohle,
Geschieht uns recht.
DIE BÜRGER.
Wir hörten böse Zeitung.
ERSTER BÜRGER.
Was mich betrifft, als ich gesagt: »Verbannt ihn!«
Da sagt' ich: »Schade drum!«
ZWEITER BÜRGER.
Das tat ich auch.
DRITTER BÜRGER.

Das tat ich auch; und, die Wahrheit zu sagen, das taten viele von uns. Was wir taten, das taten wir zum allgemeinen Besten; und obgleich wir freiwillig in seine Verbannung einwilligten, so war es doch gegen unsern Willen.

COMINIUS.
Ihr seid ein schönes Volk, ihr Stimmen!
MENENIUS.
Ihr machtet's herrlich, ihr und euer Packt!
Gehn wir aufs Kapitol?
COMINIUS.
Jawohl. Was sonst?

Cominius und Menenius gehn ab.
SICINIUS.
Geht, Freunde, geht nach Haus, seid nicht entmutigt!
Dies ist sein Anhang, der das wünscht bestätigt,
Was er zu fürchten vorgibt. Geht nach Haus!
Seid ohne Furcht!
ERSTER BÜRGER.

Die Götter seien uns gnädig! Kommt, Nachbarn, laßt uns nach Hause gehn! Ich sagte immer: Wir taten Unrecht, als wir ihn verbannten.

ZWEITER BÜRGER.
Das taten wir alle. Kommt, laßt uns nach Hause gehn!

Die Bürger gehn ab.
BRUTUS.
Die Neuigkeit gefällt mir nicht.
SICINIUS.
Mir auch nicht.
BRUTUS.
Aufs Kapitol! Mein halb Vermögen gab' ich,
Könnt' ich als Lüge diese Nachricht kaufen.
SICINIUS.
Kommt, laßt uns gehn!

Gehn ab.
[890]
Fünfte Szene
Aufidius und ein Hauptmann treten auf.

AUFIDIUS.
Noch immer laufen sie dem Römer zu?
HAPTMANN.
Ich weiß nicht, welche Zauberkraft er hat;
Doch dient zum Tischgebet er Euren Kriegern,
Wie zum Gespräch beim Mahl und Dank am Schluß.
Ihr seid in diesem Krieg verdunkelt, Herr,
Selbst von den Eignen.
AUFIDIUS.
Jetzt kann ich's nicht ändern,
Als nur durch Mittel, die die Kräfte lähmten
Von unsrer Absicht. Er beträgt sich stolzer,
Selbst gegen mich, als ich es je erwartet,
Da ich zuerst ihn aufnahm. Doch sein Wesen
Bleibt darin sich getreu. Ich muß entschuld'gen,
Was nicht zu bessern ist.
HAUPTMANN.
Doch wünscht' ich, Herr,
Zu Eurem eignen Heil, Ihr hättet nie
Mit ihm geteilt Eu'r Ansehn, nein, entweder
Die Führung selbst behalten, oder ihm
Allein sie überlassen.
AUFIDIUS.
Wohl weiß ich, was du meinst; und, sei versichert,
Wenn's zur Erklärung kommt, so denkt er nicht,
Wes ich ihn kann beschuld'gen. Scheint es gleich,
Und glaubt er selbst, und überzeugt sich auch
Das Volk, daß er in allem redlich handelt
Und guten Haushalt für die Volsker führt,
Ficht, gleich dem Drachen, siegt, sobald er nur
Das Schwert gezückt: doch blieb noch ungetan,
Was so den Hals ihm bricht, oder den meinen
Gefährdet, wenn wir miteinander rechnen.
HAUPTMANN.
Herr, glaubt Ihr, daß er Roms sich wird bemeistern?
AUFIDIUS.
Jedwede Stadt ist sein, eh' er belagert,
Und ihm ergeben ist der Adel Roms;
Patrizier lieben ihn und Senatoren.
Den Krieg versteht nicht der Tribun. Das Volk
Wird schnell zurück ihn rufen, wie's ihn eilig
[891]
Von dort verstieß. Ich glaub', er ist für Rom,
Was für den Fisch der Meeraar, der ihn fängt
Durch angeborne Macht. Erst war er ihnen
Ein edler Diener; doch er konnte nicht
Die Würden mäßig tragen. Sei's nun Stolz,
Der immer, bleibt das Glück unwandelbar,
Den Held befleckt; sei's Mangel an Verstand,
Wodurch er nicht den Zufall klug beherrscht,
Der ihn begünstigt; oder sei's Natur,
Die ihn aus einem Stück schuf, – stets derselbe
Im Helme wie im Rat, herrscht' er im Frieden
Mit unbeugsamer Streng' und finsterm Ernst,
Wie er dem Krieg gebot. Schon eins von diesen
(Von jedem hat er etwas, keines ganz,
So weit sprech' ich ihn frei) macht' ihn gefürchtet,
Gehaßt, verbannt. – Doch so ist sein Verdienst,
Daß es im Übermaß erstirbt. So fällt
Stets unser Wert der Zeiten Deutung heim;
Und Macht, die an sich selbst zu loben ist,
Hat kein so unverkennbar Grab, als wenn
Von Rednerbühnen wir ihr Tun gepriesen.
Der Nagel treibt den Nagel, Brand den Brand,
Kraft sinkt durch Kraft, durch Recht wird Recht verkannt.
Kommt, laßt uns gehn! Ist, Cajus, Rom erst dein,
Dann bist der Ärmste du, dann bist du mein.

Sie gehn ab.
[892]

Fünfter Aufzug

Erste Szene
Es treten auf Menenius, Cominius, Sicinius, Brutus und andere.

MENENIUS.
Nein, ich geh' nicht. – Ihr hört, was dem er sagte,
Der einst sein Feldherr war; der ihn geliebt
Aufs allerzärtlichste. Mich nannt' er Vater:
Doch was tut das? – Geht ihr, die ihn verbannt,
'ne Meile schon vor seinem Zelt fallt nieder,
Und schleicht so knie'nd in seine Gnade! – Nein:
Wollt' er nichts von Cominius hören bleib ich
Zu Haus.
COMINIUS.
Er tat, als kennte er mich nicht.
MENENIUS.
Hört ihr's?
COMINIUS.
Doch einmal nannt' er mich bei meinem Namen:
Die alte Freundschaft macht' ich geltend, Blut,
Gemeinsam sonst vergossen. Coriolan
Wollt' er nicht sein, verbat sich jeden Namen:
Er sei ein Nichts, ein ungenanntes Wesen,
Bis er sich einen Namen neu geschmiedet
Im Brande Roms.
MENENIUS.
Ah, so! Ihr machtet's gut!
Ein Paar Tribunen, welche Rom verdarben,
Wohlfeil zu machen Kohlen! – Edler Ruhm!
COMINIUS.
Ich mahnt' ihn, wie so königlich Verzeihung,
Je minder sie erwartet sei. Er sprach,
Das sei vom Staat ein kahles Wort an ihn,
Den selbst der Staat bestraft.
MENENIUS.
Das war ganz recht.
Was konnt' er anders sagen?
COMINIUS.
Ich suchte dann sein Mitleid zu erwecken
[893]
Für die besondern Freund'. Er gab zur Antwort:
Nicht lesen könn' er sie aus einem Haufen
Verdorbner, schlechter Spreu; auch sei es Torheit,
Um ein, zwei arme Körner stinken lassen
Den Unrat unverbrannt.
MENENIUS.
Um ein paar Körner?
Davon bin ich eins, seine Frau und Mutter,
Sein Kind, der wackre Freund, wir sind die Körner:
Ihr seid die dumpfe Spreu, und eu'r Gestank
Dringt bis zum Mond; wir müssen für euch brennen.
SICINIUS.
Seid milde doch, wenn Ihr zu helfen weigert
In so ratloser Zeit! Verhöhnt uns mind'stens
Mit unserm Elend nicht; denn sprächet Ihr
Für Euer Vaterland, – Eu'r gutes Wort,
Mehr als ein eilig aufgerafftes Heer,
Hemmt' unsern Landsmann.
MENENIUS.
Nein, ich bleib' davon.
SICINIUS.
Ich bitt' Euch, geht zu ihm!
MENENIUS.
Was soll es nutzen?
BRUTUS.
Versuchen nur, was Eure Liebe kann
Für Rom bei Marcius,
MENENIUS.
Und gesetzt, daß Marcius
Zurück mich schickt, wie er Cominius tat,
Ganz ungehört: – Die Folge?
Noch ein gekränkter Freund, von Gram durchbohrt
Durch seine Härte. Nun?
SICINIUS.
Euern Willen
Erkennt Rom dankbar nach dem Maß, wie Ihr
Die gute Meinung zeigt.
MENENIUS.
Ich will's versuchen –
Kann sein, er hört mich; doch, die Lippe beißen
Und grollen mit Cominius schwächt mein Herz.
Man traf die Stunde nicht, vor Tische war's.
Und sind die Adern leer, ist kalt das Blut
Dann schmollen wir dem Morgen, sind unwillig
Zu geben und vergeben; doch gefüllt
Die Röhren und Kanäle unsers Bluts
Mit Wein und Nahrung, macht die Seele schmeid'ger
[894]
Als priesterliches Fasten. – Drum erpass' ich,
Bis er für mein Gesuch in Tafellaune,
Und dann mach' ich mich an ihn.
BRUTUS.
Ihr kennt den wahren Pfad zu seiner Güte
Und könnt des Wegs nicht fehlen.
MENENIUS.
Gut, ich prüf ihn.
Geh's, wie es will, bald werd' ich selber wissen,
Ob's mir gelang.

Geht ab.
COMINIUS.
Er hört ihn nimmer.
SICINIUS.
Nicht?
COMINIUS.
Glaubt mir, er sitzt im Gold, sein Blick so feurig,
Als wollt' er Rom verbrennen; und sein Zorn
Ist Wächter seiner Gnad'. – Ich kniete nieder,
Nur leise sprach er: »Auf!« – entließ mich – so –
Mit seiner stummen Hand. Was er tun würde,
Schickt' er mir schriftlich nach; was er nicht könne,
Zwäng' ihn ein Eid sich selbst nicht nachzugeben.
So daß uns keine Hoffnung bleibt –
Wenn's seine edle Mutter nicht und Gattin –;
Die, hör' ich, sind gewillt, ihn anzuflehn
Um Gnade für die Stadt; drum gehn wir hin,
Daß unser bestes Wort sie noch mehr treibe!

Gehn ab.
Zweite Szene
Zwei Wachen der Volsker, zu ihnen kommt Menenius.

ERSTE WACHE.
Halt! – Woher kommt Ihr?
ZWEITE WACHE.
Halt, und geht zurück!
MENENIUS.
Ihr wacht wie Männer. Gut; doch mit Vergunst,
Ich bin ein Staatsbeamter, und gekommen,
Mit Coriolan zu sprechen.
ERSTE WACHE.
Von wo?
MENENIUS.
Von Rom.
ERSTE WACHE.
Ihr kommt nicht durch, Ihr müßt zurück. – Der Feldherr
Will nichts von dort mehr hören.
[895] ZWEITE WACHE.
Ihr sollt Eu'r Rom in Flammen sehn, bevor
Mit Coriolan Ihr sprecht.
MENENIUS.
Ihr guten Freunde,
Habt ihr gehört von Rom den Feldherrn sprechen
Und seinen Freunden dort? Zehn gegen eins,
So traf mein Nam' eu'r Ohr: er heißt Menenius.
ERSTE WACHE.
Mag sein. Zurück! denn Eures Namens Würde
Bringt Euch nicht durch.
MENENIUS.
Ich sage dir, mein Freund,
Dein Feldherr liebt mich: denn ich war die Chronik
Des Guten, das er tat, und wo sein Ruhm
Als gleichlos stand, wohl etwas übertrieben.
Stets sagt' ich Wahrheit aus von meinen Freunden
(Von denen er der Liebste), ganz und groß
Wie sich's nur breiten läßt. Zuweilen wohl,
So wie die Kugel auf ganz sanftem Grund,
Sprang ich was jenseits, machte fast im Loben
Ein wenig Wind. – Drum, Kerl, muß ich auch durch.
ERSTE WACHE.

Mein' Treu', Herr, wenn Ihr auch so viele Lügen für ihn, als jetzt Worte für Euch, gesprochen habt, so sollt Ihr doch nicht durch. Nein, – und wenn auch das Lügen so verdienstlich wäre, wie ein keusches Leben. Darum zurück!

MENENIUS.

Ich bitte dich, Mensch, erinnere dich, daß ich Meneniusheiße, der immer die Partei deines Feldherrn hielt.

ZWEITE WACHE.

Wenn Ihr auch sein Lügner gewesen seid, wie Ihr vorgebt, so bin ich einer, der in seinem Dienst die Wahrheit spricht, und Euch sagt, daß Ihr hier nicht hinein dürft. Darum, zurück!

MENENIUS.

Hat er zu Mittag gegessen? Weißt du's nicht? Denn ich wollte nicht gern eher mit ihm reden, als nach der Mahlzeit.

ERSTE WACHE.
Nicht wahr, Ihr seid ein Römer?
MENENIUS.
Ich bin, was dein Feldherr ist.
ERSTE WACHE.

Dann solltet Ihr auch Rom hassen, so wie er. Könnt ihr, nachdem ihr euern Verteidiger zu euren Toren hinaus gestoßen und in eurer blödsinnigen Volkswut euerm Feind euern eignen Schild gegeben habt, noch glauben, [896] seine Rache ließe sich durch die schwächlichen Seufzer alter Frauen abwenden, durch das jungfräuliche Händefalten eurer Töchter, oder durch gichtlahme Gebärdung eines so welken, kindischen Mannes, wie Ihr zu sein scheint? Könnt Ihr glauben, das Feuer, das eure Stadt entflammen soll, mit so schwachem Atem auszublasen? Nein, Ihr irrt Euch, – darum, zurück nach Rom, und bereitet Euch zu Eurer Hinrichtung! Ihr seid verurteilt ohne Widerrede und Verzeihung, das hat der General geschworen.

MENENIUS.
Bursche, wenn dein Feldherr wüßte, daß ich hier bin, so würde er mich mit Achtung behandeln.
ERSTE WACHE.
Geht, unser Anführer kennt Euch nicht.
MENENIUS.
Ich meine den Feldherrn.
ERSTE WACHE.

Der Feldherr fragt nichts nach Euch. – Zurück, ich sag' es Euch, geht, sonst zapfe ich noch Eure halbe Unze Blut ab – zurück! denn mehr könnt Ihr nicht haben. Fort!

MENENIUS.
Nein, aber, Mensch! Mensch!

Coriolanus und Aufidius treten auf.
CORIOLANUS.
Was gibt's?
MENENIUS.

Jetzt, Geselle, will ich dir etwas einbrocken – du sollst nun sehn, daß ich in Achtung stehe. Du sollst gewahr werden, daß solch ein Hans Schilderhaus mich nicht von meinem Sohn Coriolan wegtreiben kann. Sieh an der Art, wie er mit mir sprechen wird, ob du nicht reif für den Galgen bist, oder für eine Todesart von längerer Aussicht und größerer Qual. Sieh nun her und falle sogleich in Ohnmacht, wegen dessen, was dir bevorsteht. – Die glorreichen Götter mögen stündliche Ratsversammlung halten, wegen deiner besondern Glückseligkeit, und dich nicht weniger lieben, als dein alter Vater Menenius. Oh! mein Sohn! mein Sohn! Du bereitest uns Feuer? Sieh, hier ist Wasser, um es zu löschen. Ich war schwer zu bewegen, zu dir zu gehn; aber weil ich überzeugt in, daß keiner besser als ich dich bewegen kann, so bin ich mit Seufzern aus den Toren dort hinausgeblasen worden, und beschwöre dich nun, Rom und deinen fleh'nden Landsleuten zu verzeihn. Die gütigen Götter mögen deinen Zorn [897] sänftigen und die Hefen davon hier auf diesen Schurken leiten, auf diesen, der mir, wie ein Klotz, den Eintritt zu dir versagte.

CORIOLANUS.
Hinweg!
MENENIUS.
Wie, hinweg?
CORIOLANUS.
Weib, Mutter, Kind, nicht kenn' ich sie. – Mein Tun
Ist andern dienstbar. Eignet mir die Rache
Auch gänzlich, kann doch von den Volskern nur
Verzeihung kommen. Daß wir einst vertraut,
Vergifte lieber undankbar Vergessen,
Als Mitleid sich, wie sehr, erinnre! Fort denn!
Mein Ohr ist fester Euerm Flehn verschlossen,
Als Eure Tore meiner Kraft. Doch nimm dies,
Weil ich dich liebt', ich schrieb's um deinetwillen,
Und wollt' es senden. Kein Wort mehr, Menenius,
Verstatt' ich dir. Der Mann, Aufidius,
War mir sehr lieb in Rom; und dennoch siehst du –
AUFIDIUS.
Du bleibst dir immer gleich.

Coriolanus und Aufidius gehn ab.
ERSTE WACHE.
Nun, Herr, ist Euer Name Menenius?
ZWEITE WACHE.
Ihr seht, er ist ein Zauber von großer Kraft. Ihr wißt nun den Weg nach Hause.
ERSTE WACHE.
Habt Ihr gehört, wie wir ausgescholten sind weil wir Eure Hoheit nicht einließen?
ZWEITE WACHE.
Warum doch, denkt Ihr, soll ich nun in Ohnmacht fallen?
MENENIUS.

Ich frage weder nach der Welt noch nach euerm Feldherrn. Was solche Kreaturen betrifft wie ihr, so weiß ich kaum, ob sie da sind, so unbedeutend seid ihr. – Wer den Entschluß fassen kann, von eigner Hand zu sterben, fürchtet es von keiner andern. Mag euer Feldherr das Ärgste tun; und, was euch betrifft, bleibt, was ihr seid, lange, und eure Erbärmlichkeit wachse mit eurem Alter! Ich sage euch das, was mir gesagt wurde: Hinweg! –


Er geht ab.
ERSTE WACHE.
Ein edler Mann, das muß ich sagen.
[898] ZWEITE WACHE.
Der würdigste Mann ist unser Feldherr: er ist n Fels, eine Eiche, die kein Sturm erschüttert.

Sie gehn ab.
Dritte Szene
Es treten auf Coriolanus, Aufidius und andere.

CORIOLANUS.
So ziehn wir morgen denn mit unserm Heer
Vor Rom. Ihr, mein Genoß in diesem Krieg,
Tut Euren Senatoren kund, wie redlich
Ich alles ausgeführt.
AUFIDIUS.
Nur ihren Vorteil
Habt Ihr beachtet; Euer Ohr verstopft
Roms allgemeinem Flehn; nie zugelassen
Geheimes Flüstern; nein, selbst nicht von Freunden,
Die ganz auf Euch vertraut.
CORIOLANUS.
Der alte Mann,
Den ich nach Rom gebrochnen Herzens sende,
Er liebte mehr mich als mit Vaterliebe,
Ja, machte mich zum Gott. – Die letzte Zuflucht
War, ihn zu senden; um des Greises Liebe,
Blickt' ich schon finster, tat ich noch einmal
Den ersten Antrag, den sie abgeschlagen
Und jetzt nicht nehmen können; ihn zu ehren,
Der mehr zu wirken hoffte, gab ich nach
Sehr wenig nur. Doch neuer Sendung, Bitte,
Sei's nun vom Staat, von Freunden, leih' ich nun
Mein Ohr nicht mehr. – Ha! welch ein Lärm ist das?

Geschrei hinter der Szene.

Werd' ich versucht, zu brechen meinen Schwur,
Indem ich ihn getan? Ich werd' es nicht.

Es treten auf Virgilia, Volumnia, die den jungen Marcius an der Hand führt, Valeria mit Gefolge. Alle in Trauer.

Mein Weib voran, dann die ehrwürd'ge Form,
Die meinen Leib erschuf, an ihrer Hand
[899]
Der Enkel ihres Bluts. – Fort, Sympathie!
Brecht, all ihr Band' und Rechte der Natur!
Sei's tugendhaft, in Starrsinn fest zu bleiben!
Was gilt dies Beugen mir? dies Taubenauge,
Das Götter lockt zum Meineid? – Ich zerschmelze!
Und bin nicht festre Erd' als andre Menschen. –
Ha! meine Mutter beugt sich –
Als wenn Olympus sich vor kleinem Hügel
Mit Flehen neigte; und mein junger Sohn
Hat einen Blick der Bitt', aus dem allmächtig
Natur schreit: »Weigre's nicht!« – Nein, pflüge auf
Der Volsker Rom, verheer' Italien! – Nimmer
Soll, wie unflügge Brut, Instinkt mich führen;
Ich steh', als wär' der Mensch sein eigner Schöpfer
Und kennte keinen Ursprung.
VIRGILIA.
Herr und Gatte!
CORIOLANUS.
Mein Auge schaut nicht mehr wie sonst in Rom.
VIRGILIA.
Der Gram, der uns verwandelt hat, macht dich
So denken.
CORIOLANUS.
Wie ein schlechter Spieler jetzt
Vergaß ich meine Roll' und bin verwirrt,
Bis zur Verhöhnung selbst. – Blut meines Herzens!
Vergib mir meine Tyrannei; doch sage
Drum nicht: »Vergib den Römern!« – Oh! ein Kuß,
Lang wie mein Bann und süß wie meine Rache!
Nun, bei der Juno Eifersucht, den Kuß
Nahm ich, Geliebte, mit, und meine Lippe
Hat ihn seitdem jungfräulich treu bewahrt.
Ihr Götter! wie? ich huld'ge?
Und aller Mütter edelste der Welt
Blieb unbegrüßt? – Mein Knie, sink' in die Erde,
Drück' tiefer deine Pflicht dem Boden ein,
Als jeder andre Sohn!

Er kniet nieder.
VOLUMNIA.
Steh auf gesegnet!
Daß, auf nicht weicherm Kissen als der Stein,
Ich vor dir knie' und Huld'gung neuer Art
Dir weihe, die bisher ganz falsch verteilt
War zwischen Kind und Eltern.

Sie kniet.
[900] CORIOLANUS.
Was ist das?
Ihr vor mir knien? vor dem bestraften Sohn?
Dann mögen Kiesel von der sand'gen Bucht
Frech an die Sterne springen; rebell'sche Winde
Die Feuersonn' mit stolzen Zedern peitschen,
Mordend Unmöglichkeit, zum Kinderspiel
Zu machen das, was ewig nie kann sein.
VOLUMNIA.
Du bist mein Krieger,
Ich hoffe fügsam. Kennst du diese Frau?
CORIOLANUS.
Die edle Schwester des Publicola.
Die Luna Roms, keusch, wie die Zacken Eis,
Die aus dem reinsten Schnee der Frost geformt
Am Heiligtum Dianens. Seid gegrüßt, Valeria!
VOLUMNIA.
Dies ein kleiner Auszug von dir selbst,
Der durch die Auslegung erfüllter Jahre
Ganz werden kann wie du.
CORIOLANUS.
Der Gott der Krieger,
Mit Beistimmung des höchsten Zeus, erziehe
Zum, Adel deinen Sinn, daß du dich stählst,
Der Schande unverwundbar, und im Krieg
Ein groß Seezeichen stehst, die Winde höhnend,
Die rettend, die dir nachsehn!
VOLUMNIA.
Knie' nieder, Bursch!
CORIOLANUS.
Das ist mein wackrer Sohn.
VOLUMNIA.
Er und dein Weib, die Frau hier und ich selbst
Sind Flehende vor dir.
CORIOLANUS.
Ich bitt' Euch, still!
Wo nicht, bedenket dies, bevor Ihr sprecht:
Was zu gewähren ich verschwor, das nehmt nicht
Als Euch verweigert; heißt mich nicht entlassen
Mein Heer; nicht, wieder unterhandeln mit
Den Handarbeitern Roms; nicht sprecht mir vor,
Worin ich unnatürlich scheine; denkt nicht
Zu sänft'gen meine Wut und meine Rache
Mit Euren kältern Gründen!
VOLUMNIA.
Oh! nicht mehr! nicht mehr!
Du hast erklärt, du willst uns nichts gewähren;
Denn nichts zu wünschen haben wir, als das,
[901]
Was du schon abschlugst; dennoch will ich wünschen,
Daß, weichst du unsern Bitten aus, der Tadel
Nur deine Härte treffen mag. Drum hör' uns!
CORIOLANUS.
Aufidius und ihr Volsker, merkt, wir hören
Nichts in geheim von Rom. Nun, Eure Bitte?
VOLUMNIA.
Wenn wir auch schwiegen, sagte doch dies Kleid
Und unser bleiches Antlitz, welch ein Leben
Seit deinem Bann wir führten. Denke selbst,
Wie wir, unsel'ger als je Frau'n auf Erden,
Dir nahn! Dein Anblick, der mit Freudentränen
Die Augen füllen soll, das Herz mit Wonne,
Netzt sie mit Leid, die Brust erbebt vor Furcht,
Da Mutter, Weib und Kind es sehen müssen,
Wie Sohn, Gemahl und Vater grausam wühlt
In seines Landes Busen. – Weh uns Armen!
Uns trifft am härt'sten deine Wut: du wehrst uns
Die Götter anzuflehn, ein Trost, den alle,
Nur wir nicht, teilen: denn wie könnten wir's?
Wie können für das Vaterland wir beten,
Was unsre Pflicht? und auch für deinen Sieg,
Was unsre Pflicht? – Ach! unsre teure Amme,
Das Vaterland, geht unter, oder du,
Du Trost im Vaterland. Wir finden immer
Ein unabwendbar Elend, wird uns auch
Ein Wunsch gewährt, – wer auch gewinnen mag:
Entweder führt man dich, Abtrünn'gen, Fremden,
In Ketten durch die Straßen; oder du
Trittst im Triumph des Vaterlandes Schutt,
Und trägst die Palme, weil du kühn vergossest
Der Frau, des Kindes Blut; denn ich, mein Sohn,
Ich will das Schicksal nicht erwarten, noch
Des Krieges Schluß. Kann ich dich nicht bewegen,
Daß lieber jedem Teil du Huld gewährst,
Als einen stürzest, – traun, du sollst nicht eher
Dein Vaterland bestürmen, bis du tratst,
(Glaub mir, du sollst nicht!) auf der Mutter Leib,
Der dich zur Welt gebar.
VIRGILIA.
Ja, auch auf meinen,
[902]
Der diesen Sohn dir gab, auf daß dein Name
Der Nachwelt blüh'.
DER KLEINE MARCIUS.
Auf mich soll er nicht treten.
Fortlauf ich, bis ich größer bin, dann fecht' ich.
CORIOLANUS.
Wer nicht will Wehmut fühlen, gleich den Frauen,
Der muß nicht Frau noch Kindes Antlitz schauen.
Zu lange saß ich.

Er steht auf.
VOLUMNIA.
Nein, so geh nicht fort!
Zielt' unsre Bitte nur dahin, die Römer
Zu retten durch den Untergang der Volsker,
Die deine Herrn, so möcht'st du uns verdammen
Als Mörder deiner Ehre. – Nein, wir bitten,
Daß beide du versöhnst; dann sagen einst
Die Volsker: »Diese Gnad' erwiesen wir«, –
Die Römer: »Wir empfingen sie«; und jeder
Gibt dir den Preis und ruft: »Gesegnet sei
Für diesen Frieden!« – Großer Sohn, du weißt,
Des Krieges Glück ist ungewiß; gewiß
Ist dies, daß, wenn du Rom besiegst, der Lohn,
Den du dir erntest, solch ein Name bleibt,
Dem, wie er nun genannt wird, Flüche folgen.
Dann schreibt die Chronik einst: »Der Mann war edel,
Doch seine letzte Tat löscht' alles aus,
Verstört' sein Vaterland; drum bleibt sein Name
Ein Abscheu künft'gen Zeiten.« – Sprich zu mir!
Der Ehre zart'ste Fod'rung war dein Streben,
In ihrer Hoheit Göttern gleich zu sein:
Den Luftraum mit dem Donner zu erschüttern,
Und dann den Blitz mit einem Keil zu tauschen,
Der nur den Eichbaum spaltet. Wie? nicht sprichst du? –
Hältst du es würdig eines edlen Mannes,
Sich stets der Kränkung zu erinnern? – Tochter,
Sprich du: er achtet auf dein Weinen nicht. –
Sprich du, mein Kind: –
Vielleicht bewegt dein Kindsgeschwätz ihn mehr,
Als unsre Rede mag. – Kein Mann auf Erden
Verdankt der Mutter mehr; doch hier läßt er
[903]
Mich schwatzen, wie ein Weib am Pranger. – Nie
Im ganzen Leben gabst der lieben Mutter
Du freundlich nach, wenn sie, die arme Henne,
Nicht andrer Brut erfreut, zum Krieg dich gluckte,
Und sicher heim, mit Ehren stets beladen. –
Heiß' ungerecht mein Flehn, und stoß' mich weg;
Doch ist das nicht, so bist nicht edel du,
Und strafen werden dich die Götter, daß
Du mir die Pflicht entziehst, die Müttern ziemt.
Er kehrt sich ab! –
Kniet nieder, Frau'n: beschäm' ihn unser Knien!
Dem Namen Coriolanus ziemt Verehrung,
Nicht Mitleid unserm Flehn. – Kniet, sei's das Letzte!
Nun ist es aus – wir kehren heim nach Rom,
Und sterben mit den Unsern. – Nein, sieh her!
Dies Kind, nicht kann es sagen, was es meint;
Doch kniet es, hebt die Händ' empor mit uns,
Spricht so der Bitte Recht mit größrer Kraft,
Als du zu weigern hast. – Kommt, laßt uns gehn:
Der Mensch hat eine Volskerin zur Mutter,
Sein Weib ist in Corioli, dies Kind
Gleicht ihm durch Zufall. – So sind wir entlassen!
Still bin ich, bis die Stadt in Flammen steht,
Dann sag' ich etwas noch.
CORIOLANUS.
Oh! Mutter! – Mutter!

Er faßt die beiden Hände der Mutter. Pause.

Was tust du? Sieh, die Himmel öffnen sich,
Die Götter schaun herab; den Auftritt unnatürlich
Belachen sie. – Oh! meine Mutter! Mutter! Oh!
Für Rom hast du heilsamen Sieg gewonnen;
Doch deinen Sohn – o glaub' es, glaub' es mir, –
Ihm höchst gefahrvoll hast du den bezwungen,
Wohl tödlich selbst. Doch mag es nur geschehn! –
Aufidius, kann ich Krieg nicht redlich führen,
Schließ' ich heilsamen Frieden. Sprich, Aufidius,
Wärst du an meiner Statt, hätt'st du die Mutter
Wen'ger gehört? ihr wen'ger zugestanden?
[904] AUFIDIUS.
Ich war bewegt.
CORIOLANUS.
Ich schwöre drauf, du warst es:
Und nichts Geringes ist es, wenn mein Auge
Von Mitleid träuft. Doch rate mir, mein Freund!
Was für Bedingung machst du? Denn nicht geh' ich
Nach Rom, ich kehre mit Euch um, und bitt' Euch,
Seid hierin mir gewogen! – O Mutter! Frau!
AUFIDIUS
für sich.
Froh bin ich, daß dein Mitleid, deine Ehre,
Dich so entzwein; hieraus denn schaff ich mir
Mein ehemal'ges Glück.

Die Frauen wollen sich entfernen.
CORIOLANUS.
Oh! jetzt noch nicht!
Erst trinken wir, dann tragt ein beßres Zeugnis
Als bloßes Wort nach Rom, das gegenseitig
Auf billige Bedingung wir besiegeln.
Kommt, tretet mit uns ein! Ihr Frau'n verdient,
Daß man euch Tempel baut; denn alle Schwerter
Italiens und aller Bundsgenossen,
Sie hätten diesen Frieden nicht erkämpft.

Alle ab.
Vierte Szene
Rom. Ein öffentlicher Platz. Menenius und Sicinius treten auf.

MENENIUS.
Seht Ihr dort jenen Vorsprung am Kapitol? jenen Eckstein?
SICINIUS.
Warum? Was soll er?
MENENIUS.

Wenn es möglich ist, daß Ihr ihn mit Euerm kleinen Finger von der Stelle bewegt, dann ist einige Hoffnung, daß die römischen Frauen, besonders seine Mutter, etwas bei ihm ausrichten können. – Aber ich sage, es ist keine Hoffnung: unsre Kehlen sind verurteilt und warten auf den Henker.

SICINIUS.
Ist es möglich, daß eine so kurze Zeit die Gemütsart eines Menschen so verändert?
[905] MENENIUS.

Es ist ein Unterschied zwischen einer Raupe und einem Schmetterling; und doch war der Schmetterling eine Raupe. Dieser Marcius ist aus einem Menschen ein Drache geworden, die Schwingen sind ihm gewachsen, er ist mehr als ein kriechendes Geschöpf.

SICINIUS.
Er liebte seine Mutter von Herzen.
MENENIUS.

Mich auch. Aber er kennt jetzt seine Mutter so wenig als ein achtjähriges Roß. Die Herbigkeit seines Angesichts macht reife Trauben sauer. Wenn er wandelt, so bewegt er sich wie ein Turm, und der Boden schrumpft vor seinem Tritt zusammen. Er ist imstande, einen Harnisch mit seinem Blick zu durchbohren; er spricht wie eine Glocke, und sein Hm ist eine Batterie. Er sitzt da in seiner Herrlichkeit, wie ein Abbild Alexanders. Was er befiehlt, das geschehen soll, das ist schon vollendet, indem er es befiehlt. Ihm fehlt zu einem Gotte nichts als Ewigkeit und ein Himmel, darin zu thronen.

SICINIUS.
Doch, Gnade, wenn Ihr ihn richtig beschreibt.
MENENIUS.

Ich male ihn nach dem Leben. Gebt nur acht, was für Gnade seine Mutter mitbringen wird. Es ist nicht mehr Gnade in ihm, als Milch in einem männlichen Tiger; das wird unsre arme Stadt empfinden. – Und alles dies haben wir Euch zu danken.

SICINIUS.
Die Götter mögen sich unser erbarmen!
MENENIUS.

Nein, bei dieser Gelegenheit werden sich die Götter unser nicht erbarmen. Als wir ihn verbannten, achteten wir nicht auf sie, und da er nun zurück kommt, um uns den Hals zu brechen, achten sie nicht auf uns.


Ein Bote tritt auf.
BOTE.
Wollt Ihr das Leben retten, flieht nach Hause:
Das Volk hat Euern Mittribun ergriffen
Und schleift ihn durch die Straßen. Alle schwören,
Er soll, wenn keinen Trost die Frauen bringen,
Den Tod zollweis' empfinden.

Ein zweiter Bote kommt.
SICINIUS.
Was für Nachricht?
[906] BOTE.
Heil! Heil! Die Frauen haben obgesiegt,
Es ziehn die Volsker ab, und Marcius geht.
Ein froh'rer Tag hat nimmer Rom begrüßt,
Nicht seit Tarquins Vertreibung.
SICINIUS.
Freund, sag an,
Ist's denn auch wirklich wahr? weißt du's gewiß?
BOTE.
Ja, so gewiß die Sonne Feuer ist.
Wo stecktet Ihr, daß Ihr noch zweifeln könnt?
Geschwollne Flut stürzt so nicht durch den Bogen,
Wie die Beglückten durch die Tore. Horcht!

Man hört Trompeten, Hoboen, Trommeln und Freudengeschrei.

Posaunen, Flöten, Trommeln und Drommeten,
Cymbeln und Pauken und der Römer Jauchzen,
Es macht die Sonne tanzen.

Freudengeschrei.
MENENIUS.
Gute Zeitung!
Ich geh' den Frau'n entgegen. Die Volumnia
Ist von Patriziern, Konsuln, Senatoren
Wert eine Stadt voll, solcher Volkstribunen
Ein Meer und Land voll. – Ihr habt gut gebetet,
Für hunderttausend eurer Kehlen gab ich
Heut früh nicht einen Pfennig. Hört die Freude!

Musik und Freudengeschrei.
SICINIUS.
Erst für die Botschaft segnen Euch die Götter,
Und dann nehmt meinen Dank!
BOTE.
Wir haben alle
Viel Grund zu vielem Dank.
SICINIUS.
Sind sie schon nah?
BOTE.
Fast schon am Tor.
SICINIUS.
Laßt uns entgegen gehn
Und ihren Jubel mehren!


Die Frauen treten auf, von Senatoren, Patriziern und Volk begleitet. Sie gehn über die Bühne.
ERSTER SENATOR.
Seht unsre Schutzgöttin, das Leben Roms!
Ruft alles Volk zusammen, preist die Götter,
[907]
Macht Freudenfeuer, streut den Weg mit Blumen,
Und übertönt den Schrei, der Marcius bannte,
Ruft ihn zurück im Willkomm seiner Mutter!
Willkommen! Ruft den Frau'n »Willkommen« zu!
ALLE.
Willkommen! edle Frauen! Seid willkommen!

Trommeln und Trompeten. Alle ab.
Fünfte Szene
Antium. Ein öffentlicher Platz. Aufidius tritt auf mit Begleitern.

AUFIDIUS.
Geht, sagt den Senatoren, ich sei hier,
Gebt ihnen dies Papier, und wenn sie's lasen,
Heißt sie zum Marktplatz kommen, wo ich selbst
Vor ihrem und des ganzen Volkes Ohr
Bekräft'ge, was hier steht. Der Angeklagte
Zog eben in die Stadt, und ist gewillt,
Sich vor das Volk zu stellen, in der Hoffnung,
Durch Worte sich zu rein'gen. Geht!

Die Begleiter gehn ab, Drei oder vier Verschworne treten auf.

Willkommen!
ERSTER VERSCHWORNER.
Wie steht's mit unserm Feldherrn?
AUFIDIUS.
Grade so,
Wie dem, der durch sein Wohltun wird vergiftet,
Den sein Erbarmen mordet.
ZWEITER VERSCHWORNER.
Edler Herr,
Wenn bei derselben Absicht Ihr verharrt,
Zu der Ihr unsern Beitritt wünscht, erretten
Wir Euch von der Gefahr.
AUFIDIUS.
Ich weiß noch nicht.
Wir müssen handeln nach des Volkes Stimmung.
DRITTER VERSCHWORNER.
Das Volk bleibt ungewiß, solang' es noch
Kann wählen zwischen euch. Der Fall des einen
Macht, daß der andre alles erbt.
[908] AUFIDIUS.
Ich weiß es.
Auch wird der Vorwand, ihm eins beizubringen,
Beschönigt. Ich erhob ihn, gab mein Wort
Für seine Treu'. Er, so emporgestiegen,
Begoß mit Schmeicheltau die neuen Pflanzen,
Die Freunde mir verführend; zu dem Zweck
Bog er sein Wesen, das man nur vorher
Als rauh, unlenksam und freimütig kannte.
DRITTER VERSCHWORNER.
Jawohl, sein Starrsinn, als er einst die Würde
Des Konsuls suchte, die er nur verlor,
Weil er nicht nachgab –
AUFIDIUS.
Davon wollt' ich reden:
Deshalb verbannt, kam er an meinen Herd,
Bot seinen Hals dem Dolch. Ich nahm ihn auf,
Macht' ihn zu meinesgleichen, gab ihm Raum
Nach seinem eignen Wunsch, ja, ließ ihn wählen
Aus meinem Heer, zu seines Plans Gelingen,
Die besten, kühnsten Leute. Selbst auch dient' ich
Für seinen Plan, half ernten Ruhm und Ehre,
Die er ganz nahm als eigen. Selbst mir Unrecht
Zu tun, war ich fast stolz. Bis ich am Ende
Sein Söldner schien, nicht Mitregent, den er
Mit Gunst bezahlt und Beifall; als wär' ich
Für Lohn in seinem Dienste.
ERSTER VERSCHWORNER.
Ja, das tat er:
Das Heer erstaunte drob. Und dann zuletzt,
Als Rom sein war, und wir nicht wen'ger Ruhm
Als Beut' erwarten –
AUFIDIUS.
Dieses ist der Punkt,
Wo meine ganze Kraft ihm widerstrebt.
Für wen'ge Tropfen Weibertränen, wohlfeil
Wie Lügen, könnt' er Schweiß und Blutverkaufen
Der großen Unternehmung. Darum sterb' er,
Und ich ersteh' in seinem Fall. – Doch, horcht! –

Trommeln und Trompeten, Freudengeschrei des Volks.
ERSTER VERSCHWORNER.
Ihr kamt zur Vaterstadt, gleich einem Boten,
Und wurdet nicht begrüßt; bei seiner Rückkehr
Zerreißt ihr Schrei'n die Luft.
[909] ZWEITER VERSCHWORNER.
Ihr blöden Toren!
Die Kinder schlug er euch: ihr sprengt die Kehlen,
Ihm Glück zu wünschen.
DRITTER VERSCHWORNER.
Drum zu Euerm Vorteil,
Eh' er noch sprechen kann, das Volk zu stimmen
Durch seine Rede, fühl' er Euer Schwert:
Wir unterstützen Euch, daß, wenn er liegt,
Auf Eure Art sein Wort gedeutet wird,
Mit ihm sein Recht begraben.
AUFIDIUS.
Sprich nicht mehr:
Hier kommt schon der Senat.

Die Senatoren treten auf.
DIE SENATOREN.
Ihr seid daheim willkommen!
AUFIDIUS.
Das hab' ich nicht verdient; doch, würd'ge Herrn,
Last ihr bedächtig durch, was ich euch schrieb?
DIE SENATOREN.
Wir taten's.
ERSTER SENATOR.
Und mit Kummer, dies zu hören.
Was früher er gefehlt, das, glaub' ich, war
Nur leichter Strafe wert; doch da zu enden,
Wo er beginnen sollte, wegzuschenken
Den Vorteil unsers Kriegs, uns zu bezahlen
Mit unsern Kosten, und Vergleich zu schließen,
Statt der Erob'rung, – das ist unverzeihlich.
AUFIDIUS.
Er naht, ihr sollt ihn hören.

Coriolanus tritt ein mit Trommeln und Fahnen, Bürger mit ihm.
CORIOLANUS.
Heil, edle Herrn! Heim kehr' ich, euer Krieger,
Unangesteckt von Vaterlandsgefühlen,
So wie ich auszog. Euerm hohen Willen
Bleib' ich stets untertan. – Nun sollt ihr wissen,
Daß uns der herrlichste Erfolg gekrönt:
Auf blut'gem Pfade führt' ich euern Krieg
Bis vor die Tore Roms. Wir bringen Beute,
Die mehr als um ein Dritteil überwiegt
Die Kosten dieses Kriegs. Wir machten Frieden,
Mit minderm Ruhm nicht für die Antiaten
Als Schmach für Rom, und überliefern hier,
[910]
Von Konsuln und Patriziern unterschrieben,
Und mit dem Siegel des Senats versehn,
Euch den Vergleich.
AUFIDIUS.
Lest ihn nicht, edle Herrn!
Sagt dem Verräter, daß er eure Macht
Im höchsten Grad gemißbraucht
CORIOLANUS.
Was? Verräter?
AUFIDIUS.
Ja, du Verräter, Marcius!
CORIOLANUS.
Marcius?
AUFIDIUS.
Ja, Marcius, Cajus Marcius! Denkst du etwa,
Daß ich mit deinem Raub dich schmücke, deinem
Gestohlnen Namen Coriolan?
Ihr Herrn und Häupter dieses Staats, meineidig
Verriet er eure Sach', und schenkte weg,
Für ein'ge salz'ge Tropfen euer Rom,
Ja, eure Stadt, an seine Frau und Mutter,
Den heil'gen Eid zerreißend, wie den Faden
Verfaulter Seide, niemals Kriegesrat
Berufend. Nein, bei seiner Amme Tränen
Weint' er und heulte euern Sieg hinweg,
Daß Pagen sein sich schämten und Soldaten
Sich staunend angesehn.
CORIOLANUS.
Hörst du das, Mars?
AUFIDIUS.
Oh! nenne nicht den Gott, du Knabe der Tränen!
CORIOLANUS.
Ha!
AUFIDIUS.
Nichts mehr!
CORIOLANUS.
Du grenzenloser Lügner! zu groß machst du
Mein Herz für seinen Inhalt. »Knab'«? O Sklave!
Verzeiht mir, Herrn, das ist das erste Mal,
Daß man mich zwingt, zu schimpfen. – Ihr Verehrten,
Straft Lügen diesen Hund; sein eignes Wissen
(Denn meine Striemen sind ihm eingedrückt,
Und diese Zeichen nimmt er mit ins Grab)
Schleudr' ihm zugleich die Lüg' in seinen Hals!
ERSTER SENATOR.
Still, beid', und hört mich an!
CORIOLANUS.
Reißt mich in Stück', ihr Volsker! Männer, Kinder,
Taucht euern Stahl in mich! – »Knab'«? – Falscher Hund,
[911]
Wenn eure Chronik Wahrheit spricht, – da steht's,
Daß, wie im Taubenhaus der Adler, ich
Gescheucht die Volsker in Corioli.
Allein – ich – tat es. »Knabe!«
AUFIDIUS.
Edle Herrn,
So laßt ihr an sein blindes Glück euch mahnen,
Und eure Schmach, durch diesen frechen Prahler
Vor euren eignen Augen?
DIE VERSCHWORNEN.
Dafür sterb' er!
DIE BÜRGER
durcheinander.

Reißt ihn in Stücke, tut es gleich! – Er tötete meinen Sohn – meine Tochter! – Er tötete meinen Vetter Marcus! – Er tötete meinen Vater!

ZWEITER SENATOR.
Still! keine blinde Wut! Seid ruhig! Still!
Der Mann ist edel, und sein Ruhm umschließt
Den weiten Erdkreis. Sein Vergehn an uns
Sei vor Gericht gezogen: Halt, Aufidius!
Und stör' den Frieden nicht!
CORIOLANUS.
Oh! hätt' ich ihn!
Und sechs Aufidius, mehr noch, seinen Stamm,
Mein treues Schwert zu prüfen!
AUFIDIUS.
Frecher Bube!
DIE VERSCHWORNEN.
Durchbohrt! durchbohrt! durchbohrt ihn!

Aufidius und die Verschwornen ziehen und erstechen Coriolanus. Aufidius stellt sich auf ihn.
DIE SENATOREN.
Halt, halt' ein!
AUFIDIUS.
Ihr edlen Herrn! Oh, hört mich an!
ERSTER SENATOR.
O Tullus!
ZWEITER SENATOR.
Du hast getan, was Tugend muß beweinen.
DRITTER SENATOR.
Tritt nicht auf ihn! Seid ruhig, all ihr Männer,
Steckt eure Schwerter ein!
AUFIDIUS.
Ihr Herrn, erkennt ihr (wie in dieser Wut,
Von ihm erregt, nicht möglich) die Gefahren,
Die euch sein Leben droht', erfreut ihr euch,
Daß er so weggeräumt. Beruft mich, Edle,
Gleich in den Rat, so zeig' ich, daß ich bin
[912]
Eu'r treuster Diener, oder ich erdulde
Die schwerste Strafe.
ERSTER SENATOR.
Tragt die Leiche fort,
Und trauert über ihn! Er sei geehrt,
Wie je ein edler Leichnam, dem der Herold
Zum Grab gefolgt!
ZWEITER SENATOR.
Sein eigner Ungestüm
Nimmt von Aufidius einen Teil der Schuld:
So kehrt's zum Besten.
AUFIDIUS.
Meine Wut ist hin,
Mein Herz durchbohrt der Gram. So nehmt ihn auf,
Helft, drei der ersten Krieger, ich der vierte!
Die Trommel rührt, und laßt sie traurig tönen,
Schleppt nach die Speer'! Obwohl in dieser Stadt
Er manche Gatten kinderlos gemacht,
Und nie zu sühnend Leid auf uns gebracht,
So sei doch seiner ehrenvoll gedacht!
Helft mir!

Sie tragen die Leiche Coriolans fort. Trauermarsch.
[913]

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TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Tragödien. Coriolanus. Coriolanus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0BAF-F