William Shakespeare
Der Sturm

[596] Personen

Alonso, König von Neapel

Sebastian, sein Bruder

Prospero, der rechtmäßige Herzog von Mailand

Antonio, sein Bruder, der unrechtmäßige Herzog von Mailand

Ferdinand, Sohn des Königs von Neapel

Gonzalo, ein ehrlicher alter Rat des Königs

Adrian

Francisco,, Herren vom Hofe

Caliban, ein wilder und mißgestalter Sklav'

Trinculo, ein Spaßmacher

Stephano, ein betrunkener Kellner

Ein Schiffepatron, Bootsmann und Matrosen

Miranda, Tochter des Prospero

Ariel, ein Luftgeist

Iris

Ceres

Juno

Nymphen

Schnitter, Geister

Andre dem Prospero dienende Geister


Die Szene ist anfänglich die See mit einem Schiffe, nachher eine unbewohnte Insel

[596]

Erster Aufzug

Erste Szene
In einem Schiffe auf der See. Ein Ungewitter mit Donner und Blitz.

Ein Schiffspatron und ein Bootsmann.

SCHIFFSPATRON.
Bootsmann –
BOOTSMANN.
Hier, Patron! Was gibt's?
SCHIFFSPATRON.

Gut! Sprecht mit den Matrosen! Greift frisch an, oder wir treiben auf den Strand. Rührt euch! rührt euch! Ab.

Matrosen kommen.
BOOTSMANN.

Heisa, Kinder! Lustig, lustig, Kinder! Frisch daran! Zieht das Bramsegel ein! Paßt auf des Patrons Pfeife! – Ei so blase, daß du bersten möchtest, wenn Platz genug da ist!


Alonso, Sebastian, Antonio, Ferdinand, Gonzalo und andre kommen.
ALONSO.
Guter Bootsmann, trage Sorge! Wo ist der Patron? Haltet euch brav!
BOOTSMANN.
Ich bitte Euch, bleibt unten!
ANTONIO.
Wo ist der Patron, Bootsmann?
BOOTSMANN.
Hört Ihr ihn nicht? Ihr seid uns im Wege; bleibt in der Kajüte! Ihr steht dem Sturme bei!
GONZALO.
Freund, seid doch ruhig!
BOOTSMANN.

Wenn's die See ist. Fort! Was fragen die Brausewinde nach dem Namen König? In die Kajüte! Still! Stört uns nicht!

GONZALO.
Gut, aber bedenk', wen du am Bord hast!
BOOTSMANN.

Niemand, den ich lieber habe als mich selbst. Ihr seid Rat; könnt Ihr diesen Elementen Stillschweigen gebieten und auf der Stelle Frieden stiften, so wollen wir kein [597] Tau mehr anrühren: gebraucht nur Euer Ansehen! Wo nicht, so dankt Gott, daß Ihr so lange gelebt habt, und bereitet Euch in der Kajüte auf Euer Stündlein, wenn es schlagen sollte. – Lustig, liebe Kinder! – Aus dem Wege, sag' ich! Ab.

GONZALO.

Der Kerl gereicht mir zu großem Trost; mir deucht, er sieht nicht nach dem Ersaufen aus: er hat ein echtes Galgengesicht. Gutes Schicksal, bestehe drauf, ihn zu hängen! Mach' den Strick seines Verhängnisses zu unserm Ankertau, denn unsres hilft nicht viel. Wenn er nicht zum Hängen geboren ist, so steht es kläglich mit uns.


Alle ab.

Der Bootsmann kommt wieder.
BOOTSMANN.
Herunter mit der Bramstange! Frisch! Tiefer! Tiefer! Versucht mit dem Schönfahrsegel zu treiben!

Ein Geschrei drinnen.

Hol' der Henker das Heulen! Sie überschreien das Ungewitter und unsre Verrichtungen. –

Sebastian, Antonio und Gonzalo kommen zurück.

Doch wieder da? Was wollt ihr hier? Sollen wir's aufgeben und ersaufen? Habt ihr Lust, zu sinken?
SEBASTIAN.
Die Pest fahr' Euch in den Hals, bellender, gotteslästerlicher ‹,unchristlicher› Hund, der Ihr seid!
BOOTSMANN.
Arbeitet Ihr denn!
ANTONIO.

An den Galgen, du Hund! Du hundsföttischer, unverschämter Lärmer, wir fürchten uns weniger zu ersaufen als du.

GONZALO.

Ich stehe ihm fürs Ersaufen, wenn das Schiff auch so dünne wie eine Nußschale wäre und so leck wie eine lockre Dirne.

BOOTSMANN.
Legt das Schiff hart an den Wind! Setzt zwei Segel auf! Wieder in See! Legt ein!

Matrosen mit durchnäßten Kleidern kommen.
MATROSEN.
Wir sind verloren! Betet! sind verloren!
BOOTSMANN.
Was? Müssen wir ins kalte Bad?
[598] GONZALO.
Der Prinz und König beten: tun wir's auch;
Wir sind in gleichem Fall.
SEBASTIAN.
Ich bin ganz wütend.
ANTONIO.
So prellen Säufer uns um unser Leben.
Der weitgemaulte Schurk'! – Lägst du ersaufend,
Zehn Fluten lang durchweicht!
GONZALO.
Er wird doch hängen,
Schwür' jeder Tropfe Wassers auch dawider
Und gähnt', ihn zu verschlingen!

Ein verworrner Lärm im Schiffsraum; »Gott sei uns gnädig! – Wir scheitern! wir scheitern! – Lebt wohl, Weib und Kinder! – Leb wohl, Bruder! – Wir scheitern! wir scheitern! wir scheitern!«
ANTONIO.
So laßt uns alle mit dem König sinken!Ab.
SEBASTIAN.
Laßt uns Abschied von ihm nehmen!Ab.
GONZALO.

Jetzt gäb' ich tausend Hufen See für einen Morgen dürren Landes: hohe Heide, braune Geniste, was es auch wäre. Der Wille droben geschehe, aber ich stürbe gern eines trocknen Todes!Ab.

Zweite Szene
Die bezauberte Insel, vor Prosperos Zelle.

Prospero und Miranda treten auf.

MIRANDA.
Wenn Eure Kunst, mein liebster Vater, so
Die wilden Wasser toben hieß, so stillt sie!
Der Himmel, scheint es, würde Schwefel regnen,
Wenn nicht die See, zur Stirn der Feste steigend,
Das Feuer löschte. Oh, ich litt mit ihnen,
Die ich so leiden sah: ein wackres Schiff,
Das sicher herrliche Geschöpfe trug,
In Stücke ganz zerschmettert! Oh, der Schrei
Ging mir ans Herz! Die Armen, sie versanken!
Wär' ich ein Gott der Macht gewesen, lieber
Hätt' ich die See versenket in den Grund,
Eh' sie das gute Schiff verschlingen dürfen
Samt allen Seelen drinnen.
PROSPERO.
Fasse dich!
[599]
Nichts mehr von Schreck! Sag deinem weichen Herzen:
Kein Leid geschah.
MIRANDA.
O Tag des Wehs!
PROSPERO.
Kein Leid.
Ich tat nichts als aus Sorge nur für dich,
Für dich, mein Teuerstes, dich, meine Tochter,
Die unbekannt ist mit sich selbst, nicht wissend,
Woher ich bin, und daß ich viel was Höhers
Als Prospero, Herr einer armen Zelle,
Und dein nicht größrer Vater.
MIRANDA.
Mehr zu wissen,
Geriet mir niemals in den Sinn.
PROSPERO.
's ist Zeit,
Dir mehr zu offenbaren. Leih' die Hand
Und nimm den Zaubermantel von mir!

Er legt den Mantel nieder.

So!
Da lieg' nun, meine Kunst! Du, trockne dir
Die Augen; sei getrost! Das grause Schauspiel
Des Schiffbruchs, so des Mitleids ganze Kraft
In dir erregt, hab' ich mit solcher Vorsicht
Durch meine Kunst so sicher angeordnet,
Daß keine Seele – nein, kein Haar gekrümmt
Ist irgendeiner Kreatur im Schiff,
Die schrein du hörtest, die du sinken sahst.
Setz' dich! Du mußt nun mehr erfahren.
MIRANDA.
Öfter
Begannt Ihr mir zu sagen, wer ich bin.
Doch bracht Ihr ab, ließt mich vergebnem Forschen
Und schlosset: Wart'! Noch nicht!
PROSPERO.
Die Stund' ist da,
Ja die Minute fodert dein Gehör.
Gehorch' und merke! Kannst du dich einer Zeit
Erinnern, eh' zu dieser Zell' wir kamen?
Kaum glaub' ich, daß du's kannst: denn damals warst du
Noch nicht drei Jahr alt.
MIRANDA.
Allerdings, ich kann's.
PROSPERO.
Woran? An andern Häusern, andern Menschen?
[600]
Sag mir das Bild von irgendeinem Ding,
Das dir im Sinn geblieben.
MIRANDA.
's ist weit weg,
Und eher wie ein Traum als wie Gewißheit,
Die mein Gedächtnis aussagt. Hatt' ich nicht
Vier bis fünf Frauen einst zu meiner Wartung?
PROSPERO.
Die hatt'st du – mehr, Miranda: doch wie kömmt's,
Daß dies im Geist dir lebt? Was siehst du sonst
Im dunkeln Hintergrund und Schoß der Zeit?
Besinnst du dich auf etwas, eh' du herkamst,
So kannst du, wie du kamst.
MIRANDA.
Das tu' ich aber nicht.
PROSPERO.
Zwölf Jahr, Miranda, sind es her, zwölf Jahre,
Da war dein Vater Mailands Herzog, und
Ein mächt'ger Fürst.
MIRANDA.
Seid Ihr denn nicht mein Vater?
PROSPERO.
Ein Tugendbild war deine Mutter, und
Sie gab dich mir als Tochter, und dein Vater
War Mailands Herzog; seine einz'ge Erbin
Prinzessin, nichts Geringers.
MIRANDA.
Lieber Himmel!
Welch böser Streich, daß wir von dannen mußten.
Wie? Oder war's zum Glücke?
PROSPERO.
Beides, Liebe:
Ein böser Streich verdrängt' uns, wie du sagst,
Doch unser gutes Glück half uns hieher.
MIRANDA.
Oh, wie das Herz mir blutet, wenn ich denke,
Wie viel Beschwer ich damals Euch gemacht,
Wovon ich nichts mehr weiß! Beliebt's Euch, weiter?
PROSPERO.
Mein Bruder und dein Oheim – er hieß Antonio –

Ich bitte dich, gib Achtung! – daß ein Bruder
So treulos sein kann! – er, den ich nächst dir
Vor aller Welt geliebt und ihm die Führung
Des Landes anvertraut, das zu der Zeit
Die Krone aller Herzogtümer war,
Wie Prospero der Fürsten; dafür galt er
Der Würde nach und in den freien Künsten
[601]
Ganz ohnegleichen. Dieser nur beflissen,
Warf ich das Regiment auf meinen Bruder
Und wurde meinem Lande fremd, verzückt
Und hingerissen in geheimes Forschen.
Dein falscher Oheim – aber merkst du auf?
MIRANDA.
Mein Vater, sehr genau.
PROSPERO.
Sobald er ausgelernt, wie man Gesuche
Gewährt, wie abschlägt; wen man muß erhöhn,
Und wen als üpp'gen Schößling fällen: schuf er
Geschöpfe neu, die mir gehörten; tauschte,
Versteh' mich, oder formte neu sie. So
Hatt' er der Diener und des Dienstes Schlüssel
Und stimmte jedes Herz im Staat zur Weise,
Die seinem Ohr gefiel; war nun das Efeu,
Das meinen herzoglichen Stamm versteckt,
Das Grün mir ausgesogen. – Doch du hörst nicht.
MIRANDA.
O lieber Herr, ich tu's.
PROSPERO.
Ich bitte dich, gib Achtung!
Daß nun ich so mein zeitlich Teil versäumte,
Der Still' ergeben, mein Gemüt zu bessern
Bemüht mit dem, was, wär's nicht so geheim,
Des Volkes Schätzung überstieg', – dies weckte
In meinem falschen Bruder bösen Trieb.
Mein Zutraun, wie ein guter Vater, zeugte
Verrat von ihm, so groß im Gegenteil
Als mein Vertraun, das keine Grenzen hatte;
Ein ungemeßner Glaube. Er, nun Herr
Nicht nur von dem, was meine Renten trugen,
Auch allem sonst, was meiner Macht gebührte –

Wie einer, bis zur Wahrheit, durchs Erzählen
Zu solchem Sünder sein Gedächtnis macht,
Daß es der eignen Lüge traut – er glaubte,
Er sei der Herzog selbst, durch seine Stellvertretung
Und freies Walten mit der Hoheit äußerm Schein
Samt jedem Vorrecht; dadurch wuchs sein Ehrgeiz –

Hörst du?
MIRANDA.
Herr, die Geschichte könnte Taubheit heilen.
PROSPERO.
Um keine Scheid'wand zwischen dieser Rolle
[602]
Und dem zu sehn, für welchen er sie spielte,
Nimmt er sich vor, der unumschränkte Mailand
Durchaus zu sein. Mich armen Mann – mein Büchersaal
War Herzogtums genug –, für weltlich Regiment
Hält er mich ungeschickt; verbündet sich
(So lechzt' er nach Gewalt) mit Napels König,
Tribut zu zahlen, Huldigung zu tun,
Den Fürstenhut der Krone zu verpflichten,
Sein freies Herzogtum – ach, armes Mailand! –

Zu schnödem Dienst zu beugen.
MIRANDA.
Guter Himmel!
PROSPERO.
Hör', was er sich bedungen, und den Ausgang:
Dann sag mir, ob das wohl ein Bruder war.
MIRANDA.
Ich sündigte, wenn ich von Eurer Mutter
Nicht würdig dächte: mancher edle Schoß
Trug schlechte Söhne schon.
PROSPERO.
Nun die Bedingung.
Der König Napels, mein geschworner Feind,
Horcht dem Gesuche meines Bruders: nämlich
Er sollte, gegen die versprochnen Punkte
Von Lehnspflicht, und ich weiß nicht wie viel Zins,
Mich und die Meinen gleich vom Herzogtum
Austilgen und zu Lehn das schöne Mailand
Samt allen Würden meinem Bruder geben.
Drauf, als man ein Verräterheer geworben,
In einer Nacht, erkoren zu der Tat,
Schloß nun Antonio Mailands Tore auf,
Und in der mitternächt'gen Stille rissen
Die Diener seines Anschlags uns hinweg,
Mich und dich weinend Kind.
MIRANDA.
Ach, welch ein Jammer!
Ich, die vergessen, wie ich damals weinte,
Bewein' es jetzt aufs neu'; es ist ein Wink,
Der Tränen mir erpreßt.
PROSPERO.
Hör' noch ein wenig,
Dann bring' ich dich auf das Geschäft, das jetzt
Uns vorliegt, ohne welches die Geschichte
Sehr unnütz wär'.
[603] MIRANDA.
Warum nicht brachten sie
Zur Stund' uns um?
PROSPERO.
Ja, Mädchen, gut gefragt!
Das Vor'ge heischt den Zweifel. Kind, sie wagten's nicht
(So treue Liebe trug das Volk zu mir),
Der Tat solch blutig Siegel aufzudrücken,
Und schminkten schöner den verruchten Zweck.
Sie rissen uns an eines Schiffleins Bord,
Dann ein paar Meilen seewärts; nahmen dort
Ein faul Geripp' von Boot, ganz abgetakelt,
Kein Mast noch Segel; selbst die Ratzen hatten's
Aus Furcht geräumt: da laden sie uns aus,
Zu weinen ins Gebrüll der See, zu seufzen
Den Winden, deren Mitleid, wieder seufzend,
Nur liebend weh uns tat.
MIRANDA.
Ach, welche Not
Macht' ich Euch damals!
PROSPERO.
Oh, ein Cherubim
Warst du, der mich erhielt! Du lächeltest,
Beseelt mit Unerschrockenheit vom Himmel,
Wann ich, die See mit salzen Tropfen füllend,
Ächzt' unter meiner Last; und das verlieh
Mir widersteh'nde Kraft, um auszuhalten,
Was auch mir widerführ'.
MIRANDA.
Wie kamen wir an Land?
PROSPERO.
Durch Gottes Lenkung.
Wir hatten etwas Speis' und frisches Wasser,
Das uns ein edler Neapolitaner,
Gonzalo, zum Vollbringer dieses Plans
Ernannt, aus Mitleid gab, nebst reichen Kleidern,
Auch Leinwand, Zeug und allerlei Gerät,
Das viel seitdem genützt: so, aus Leutseligkeit,
Da ihm bekannt, ich liebe meine Bücher,
Gab er mir Bänd' aus meinem Büchersaal,
Mehr wert mir als mein Herzogtum.
MIRANDA.
O könnt' ich
Den Mann je sehen!
PROSPERO.
Jetzt erheb' ich mich.
[604]
Bleib' still und hör' das Ende unsrer Seenot:
Zu diesem Eiland kamen wir, und hier
Hab' ich, dein Meister, weiter dich gebracht,
Als andre Fürsten können, bei mehr Muße
Zu eitler Lust und minder treuen Lehrern.
MIRANDA.
Der Himmel lohn' Euch das! Und nun, ich bitt' Euch
(Denn stets noch tobt mir's im Gemüt): Warum
Erregtet Ihr den Sturm?
PROSPERO.
So viel noch wisse:
Durch seltne Schickung hat das güt'ge Glück,
Jetzt meine werte Herrin, meine Feinde
An diesen Strand gebracht; mir zeigt die Kunde
Der Zukunft an, es hänge mein Zenit
An einem günst'gen Stern: versäum' ich's jetzt
Und buhl' um dessen Einfluß nicht, so richtet
Mein Glück sich nie mehr auf. – Hier laß dein Fragen.
Dich schläfert: diese Müdigkeit ist gut,
Und gib ihr nach! – Ich weiß, du kannst nicht anders.

Miranda schläft.

Herbei, mein Diener! Komm! Ich bin bereit.
Nah' dich, mein Ariel! Komm!

Ariel kommt.
ARIEL.
Heil, großer Meister! Heil dir, weiser Herr!
Ich komme, deinen Winken zu begegnen.
Sei's Fliegen, Schwimmen, in das Feuer tauchen,
Auf krausen Wolken fahren: schalte nur
Durch dein gewaltig Wort mit Ariel
Und allen seinen Kräften.
PROSPERO.
Hast du, Geist,
Genau den Sturm vollbracht, den ich dir auftrug?
ARIEL.
In jedem Punkt. Ich enterte das Schiff
Des Königs; jetzt am Schnabel, jetzt im Bauch,
Auf dem Verdeck, in jeglicher Kajüte
Flammt' ich Entsetzen; bald zerteilt' ich mich
Und brannt' an vielen Stellen; auf dem Mast,
An Stang' und Bugspriet flammt' ich abgesondert,
Floß dann in eins. Zeus' Blitze, die Verkünder
[605]
Des schreckbar'n Donnerschlags, sind schneller nicht
Und Blick-entrinnender; das Feu'r, die Stöße
Von schweflichtem Gekrach, sie stürmten, schien's,
Auf den gewaltigen Neptun und machten
Erbeben seine kühnen Wogen, ja
Den furchtbar'n Dreizack wanken.
PROSPERO.
Mein wackrer Geist! –

Wer war so fest, so standhaft, dem der Aufruhr
Nicht die Vernunft verwirrte?
ARIEL.
Keine Seele,
Die nicht ein Fieber gleich den Tollen fühlte
Und Streiche der Verzweiflung übte. Alle,
Bis auf das Seevolk, sprangen in die schäum'ge Flut
Und flohn das Schiff, jetzt eine Glut durch mich.
Der Sohn des Königs, Ferdinand, sein Haar
Emporgesträubt wie Binsen, nicht wie Haar,
Sprang vor den andern, schrie: »Die Höll' ist ledig,
Und alle Teufel hier!«
PROSPERO.
Ei, lieber Geist!
Dies war doch nah beim Strand?
ARIEL.
Ganz dicht, mein Meister!
PROSPERO.
Sie sind doch unversehrt?
ARIEL.
Kein Haar gekrümmt,
Kein Fleck an den sie tragenden Gewändern,
Die frischer wie zuvor. Wie du mich hießest,
Zerstreut' ich sie in Rotten auf der Insel.
Den Sohn des Königs landet' ich für sich
Und ließ ihn dort, die Luft mit Seufzern kühlend:
In einem öden Winkel sitzt er, schlingt
Betrübt die Arme so.
PROSPERO.
Was machtest du,
Sag, mit dem Schiff des Königs, den Matrosen,
Der Flotte ganzem Rest?
ARIEL.
Still liegt im Hafen
Des Königs Schiff in tiefer Bucht, allwo
Du einst um Mitternacht mich aufriefst, Tau
Zu holen von den stürmischen Bermudas;
Das Seevolk sämtlich in den Raum gepackt,
[606]
Wo ich durch Zauber nebst bestand'ner Müh'
Sie schlafend ließ; der Rest der Flotte endlich,
Den ich zerstreut, hat wieder sich vereint
Und kehrt nun auf der Mittelländ'schen Welle
Voll Trauer heim nach Napel,
Der Meinung, daß sie scheitern sahn das Schiff
Des Königs und sein hohes Haupt versinken.
PROSPERO.
Dein Auftrag, Ariel. ist genau erfüllt,
Doch gibt's noch mehr zu tun. Was ist's am Tage?
ARIEL.
Schon über Mittagszeit.
PROSPERO.
Zwei Stundengläser
Aufs wenigste. Die Zeit von hier bis sechs
Bedürfen wir zum kostbarsten Gebrauch.
ARIEL.
Mehr Arbeit noch? Da du mir Mühe gibst,
So laß mich dich an dein Versprechen mahnen,
Das mir noch nicht erfüllt ist.
PROSPERO.
Seht mir! Mürrisch?
Was kannst du denn verlangen?
ARIEL.
Meine Freiheit.
PROSPERO.
Eh' deine Zeit noch um? Kein Wort!
ARIEL.
O bitte!
Bedenk', ich hab' dir braven Dienst getan;
Ich log dir nie was vor, versah dir nichts,
Und murrt' und schmollte niemals. Du versprachst mir
Ein volles Jahr Erlaß.
PROSPERO.
Vergißt du denn,
Von welcher Qual ich dich befreite?
ARIEL.
Nein.
PROSPERO.
Ja doch, und achtest groß es, zu betreten
Der salzen Tiefe Schlamm,
Zu rennen auf des Nordens scharfem Wind,
Mein Werk zu schaffen in der Erde Adern,
Wann sie von Froste starrt.
ARIEL.
Fürwahr nicht, Herr.
PROSPERO.
Du lügst, boshaftes Ding! Vergaßest du
Die Hexe Sycorax, die Neid und Alter
Gekrümmt in einen Reif? Vergaßt du sie?
ARIEL.
Nein, Herr.
[607]
PROSPERO.
Ja, sag' ich. Sprich, wo war sie her?
ARIEL.
Aus Algier, Herr.
PROSPERO.
Ha, so? Ich muß dir einmal
In jedem Mond vorhalten, was du bist;
Denn du vergißt es. Die verruchte Hexe,
Die Sycorax, ward für unzähl'ge Frevel
Und Zauberei'n, wovor ein menschlich Ohr
Erschrecken muß, von Algier, wie du weißt,
Verbannt; um eines willen, das sie tat,
Verschonten sie ihr Leben. Ist's nicht wahr?
ARIEL.
Ja, Herr.
PROSPERO.
Die Unholdin ward schwanger hergebracht.
Hier ließen sie die Schiffer. Du, mein Sklav'
(So sagst du selbst aus), warst ihr Diener damals.
Allein da du, ein allzuzarter Geist,
Ihr schnödes fleischliches Geheiß zu tun,
Dich ihrem großen Werk entzogst, verschloß sie
Mit ihrer stärkern Diener Hülfe dich,
In ihrer höchsten unbezähmbar'n Wut,
In einer Fichte Spalt; ein Dutzend Jahre
Hielt diese Kluft dich peinlich eingeklemmt.
Sie starb in dieser Zeit und ließ dich da,
Wo du Gestöhn ausstießest, unablässig,
Wie Mühlenräder klappern. Damals zierte
(Bis auf ein scheckig Wechselbalg, den Sohn,
Den sie hier warf) noch menschliche Gestalt
Dies Eiland nicht.
ARIEL.
Ja, Caliban, ihr Sohn.
PROSPERO.
So sag' ich, dummes Ding! Der Caliban,
Der jetzt mir dienstbar ist. Du weißt am besten,
In welcher Marter ich dich fand. Dein Ächzen
Durchdrang der nie gezähmten Bären Brust
Und machte Wölfe heulen; eine Marter
War's für Verdammte, welche Sycorax
Nicht wieder lösen konnte: meine Kunst,
Als ich hieher kam und dich hörte, hieß
Die Fichte gähnen und heraus dich lassen.
ARIEL.
Ich dank' dir, Meister.
[608] PROSPERO.
Wenn du mehr noch murrst,
So will ich einen Eichbaum spalten und
Dich in sein knot'ges Eingeweide keilen,
Bis du zwölf Winter durchgeheult.
ARIEL.
Verzeih'!
Ich will mich ja Befehlen fügen, Herr,
Und ferner zierlich spüken.
PROSPERO.
Tu' das, und in zwei Tagen
Entlass' ich dich.
ARIEL.
Das sprach mein edler Meister.
Was soll ich tun? O sag, was soll ich tun?
PROSPERO.
Geh, werde gleich 'ner Nymphe! Dich erkenne
Nur mein und dein Gesicht: sei unsichtbar
Für jedes Auge sonst. Nimm diese Bildung
Und komm darin zurück. Geh! Fort! mit Eile!

Ariel ab.

Erwach', mein Herz! Erwach'! Hast wohl geschlafen:
Erwach'!
MIRANDA.
Das Wunderbare der Geschichte
Befing mit Schlaf mich.
PROSPERO.
Schüttl' ihn ab! Komm, laß uns
Zu Caliban, dem Sklaven, gehn, der nie
Uns freundlich Antwort gibt.
MIRANDA.
Er ist ein Bösewicht,
Den ich nicht ansehn mag.
PROSPERO.
Doch, wie's nun steht,
Ist er uns nötig; denn er macht uns Feuer,
Holt unser Holz, verrichtet mancherlei,
Das Nutzen schafft. He, Sklave! Caliban!
Du Erdkloß, sprich!
CALIBAN
drinnen.
's ist Holz genug im Hause.
PROSPERO.
Heraus! sag' ich: es gibt noch andre Arbeit.
Schildkröte, komm! Wann wird's?

Ariel kommt zurück in Gestalt einer Wassernymphe.

Ach, schönes Luftbild! Schmucker Ariel,
Hör' insgeheim!
ARIEL.
Mein Fürst, es soll geschehen.

Ab.
[609] PROSPERO.
Du gift'ger Sklav', gezeugt vom Teufel selbst
Mit deiner bösen Mutter! Komm heraus!

Caliban kommt.
CALIBAN.
So böser Tau, als meine Mutter je
Von faulem Moor mit Rabenfedern strich,
Fall' auf euch zwei! Ein Südwest blas' euch an
Und deck' euch ganz mit Schwären!
PROSPERO.
Dafür, verlaß dich drauf, sollst du zu Nacht
In Krämpfen liegen, Seitenstiche haben,
Die dir den Odem hemmen; Igel sollen
Die Nachtzeit durch, wo sie sich rühren dürfen,
An dir sich üben; zwicken soll dich's dicht
Wie Honigzellen, jeder Zwick mehr stechen
Als Bienen, die sie baun.
CALIBAN.
Ich muß zu Mittag essen. Dieses Eiland
Ist mein, von meiner Mutter Sycorax,
Das du mir wegnimmst. Wie du erstlich kamst,
Da streicheltest du mich und hielt'st auf mich,
Gabst Wasser mir mit Beeren drein und lehrtest
Das große Licht mich nennen und das kleine,
Die brennen tags und nachts; da liebt' ich dich
Und wies dir jede Eigenschaft der Insel:
Salzbrunnen, Quellen, fruchtbar Land und dürres.
Fluch, daß ich's tat, mir! Alle Zauberei
Der Sycorax, Molch, Schröter, Fledermaus befall' Euch!
Denn ich bin, was Ihr habt an Untertanen,
Mein eigner König sonst; und stallt mich hier
In diesen harten Fels, derweil Ihr mir
Den Rest des Eilands wehrt.
PROSPERO.
Du lügnerischer Sklav',
Der Schläge fühlt, nicht Güte! Ich verpflegte,
Kot wie du bist, dich menschlich; nahm dich auf
In meiner Zell', bis du versucht zu schänden
Die Ehre meines Kindes.
CALIBAN.
Ho, ho! Ich wollt', es wär' geschehn. Du kamst
Mir nur zuvor, ich hätte sonst die Insel
Mit Calibans bevölkert.
[610] PROSPERO.
Schnöder Sklav',
In welchem keine Spur des Guten haftet,
Zu allem Bösen fähig! Ich erbarmte
Mich deiner, gab mir Müh', zum Sprechen dich
Zu bringen, lehrte jede Stunde dir
Dies oder jenes. Da du, Wilder, selbst
Nicht wußtest, was du wolltest, sondern nur
Höchst viehisch kollertest, versah ich dich
Mit Worten, deine Meinung kund zu tun.
Doch deiner niedern Art, obwohl du lerntest,
Hing etwas an, das edlere Naturen
Nicht um sich leiden konnten: darum wardst du
Verdienterweis' in diesen Fels gesperrt,
Der du noch mehr verdient als ein Gefängnis.
CALIBAN.
Ihr lehrtet Sprache mir, und mein Gewinn
Ist, daß ich weiß zu fluchen. Hol' die Pest Euch
Fürs Lehren Eurer Sprache!
PROSPERO.
Fort, Hexenbrut!
Schaff Holz her, und sei hurtig, rat' ich dir,
Um andres noch zu leisten! Zuckst du, Unhold?
Wenn du versäumest oder ungern tust,
Was ich befehle, foltr' ich dich mit Gichtern,
Füll' dein Gebein mit Schmerzen, mach' dich brüllen,
Daß Bestien zittern vor dem Lärm.
CALIBAN.
Nein, bitte!

Beiseit.

Ich muß gehorchen; seine Kunst bezwänge
Wohl meiner Mutter Gott, den Setebos,
Und macht' ihn zum Vasallen.
PROSPERO.
Fort denn, Sklav'!

Caliban ab.
Ariel kommt unsichtbar, spielend und singend. Ferdinand folgt ihm.
Ariels Lied
ARIEL.
Kommt auf diesen gelben Strand!
Fügt Hand in Hand!
Wann ihr euch geküßt, verneigt
(Die See nun schweigt):
Hier und dort behende springt,
[611]
Und den Chor, ihr Geister, singt!
Horch! Horch!
ZERSTREUTE STIMMEN.
Wau! Wau!
Es bellt der Hund:
ZERSTREUTE STIMMEN.
Wau! Wau!
Horch! Horch!
Der Hahn tut seine Wache kund,
Er kräht: Kikiriki!
FERDINAND.
Wo ist wohl die Musik? In der Luft? Auf Erden? –

Sie spielt nicht mehr: – sie dienet einem Gott
Der Insel sicherlich. Ich saß am Strand
Und weint' aufs neu' den König, meinen Vater:
Da schlich sie zu mir über die Gewässer
Und lindert' ihre Wut und meinen Schmerz
Mit süßer Melodie; dann folgt' ich ihr,
Sie zog vielmehr mich nach. Nun ist sie fort;
Da hebt sie wieder an.
ARIEL
singt.
Fünf Faden tief liegt Vater dein:
Sein Gebein wird zu Korallen;
Perlen sind die Augen sein:
Nichts an ihm, das soll verfallen,
Das nicht wandelt Meereshut
In ein reich und seltnes Gut.
Nymphen läuten stündlich ihm,
Da horch! ihr Glöcklein – Bim! Bim! Bim!
CHOR.
Bim! Bim! Bim!
FERDINAND.
Das Liedlein spricht von meinem toten Vater.
Dies ist kein sterblich Tun; der Ton gehört
Der Erde nicht: jetzt hör' ich droben ihn.
PROSPERO.
Zieh' deiner Augen Fransenvorhang auf
Und sag, was siehst du dort?
MIRANDA.
Was ist's? Ein Geist?
O Himmel, wie's umherschaut! Glaubt mir, Vater,
's ist herrlich von Gestalt; doch ist's ein Geist.
PROSPERO.
Nein, Kind, es ißt und trinkt, hat solche Sinne
Wie wir ganz so. Der Knabe, den du siehst,
War bei dem Schiffbruch, und entstellt' ihn Gram,
Der Schönheit Wurm, nicht, nenntest du mit Recht
[612]
Ihn wohlgebildet. Er verlor die Freunde
Und schweift umher nach ihnen.
MIRANDA.
Nennen möcht' ich
Ein göttlich Ding ihn: nichts Natürliches
Sah ich so edel je.
PROSPERO
beiseit.
Ich seh', es geht
Nach Herzenswunsch. Geist! lieber Geist! Dafür
Wirst in zwei Tagen frei.
FERDINAND.
Gewiß die Göttin,
Der die Musik dient. – Gönnet meinem Wunsch
Zu wissen, ob Ihr wohnt auf dieser Insel;
Wollt Anleitung mir geben, wie ich hier
Mich muß betragen; meiner Bitten erste,
Zuletzt gesagt, ist diese: schönes Wunder,
Seid Ihr ein Mädchen oder nicht?
MIRANDA.
Kein Wunder,
Doch sicherlich ein Mädchen.
FERDINAND.
Meine Sprache! Himmel!
Ich bin der Höchste derer, die sie reden,
Wär' ich, wo man sie spricht.
PROSPERO.
Der Höchste? Wie?
Was wärst du, hörte dich der König Napels?
FERDINAND.
Ein Wesen, wie ich jetzo bin, erstaunt,
Daß du von Napel redest. Er vernimmt mich;
Ich weine, daß er's tut; ich selbst bin Napel
Und sah mit meinen Augen, ohne Ebbe
Seitdem, den König, meinen Vater, sinken.
MIRANDA.
O welch ein Jammer!
FERDINAND.
Ja glaubt es mir, samt allen seinen Edlen,
Der Herzog Mailands und sein guter Sohn
Auch unter dieser Zahl.
PROSPERO.
Der Herzog Mailands
Und seine beßre Tochter könnten leicht
Dich wider legen, wär' es an der Zeit. –

Beiseit.

Beim ersten Anblick tauschten sie die Augen.
Mein zarter Ariel, für diesen Dienst
Entlass' ich dich. – Ein Wort, mein Herr! Ich fürchte,
Ihr habt Euch selbst zu nah getan: ein Wort!
[613] MIRANDA.
Was spricht mein Vater nur so rauh! Dies ist
Der dritte Mann, den ich gesehn; der erste,
Um den ich seufzte. Neig' auf meine Seite
Den Vater Mitleid doch!
FERDINAND.
Oh, wenn ein Mädchen,
Und Eure Neigung frei noch, mach' ich Euch
Zur Königin von Napel.
PROSPERO.
Sanft, Herr ! Noch ein Wort! –

Beiseit.

Eins ist des andern ganz: den schnellen Handel
Muß ich erschweren, daß nicht leichter Sieg
Den Preis verringre. – Noch ein Wort! Ich sag' dir,
Begleite mich! Du maßest einen Namen
Dir an, der dein nicht ist; und hast die Insel
Betreten als Spion, mir, ihrem Herrn,
Sie zu entwenden.
FERDINAND.
Nein, bei meiner Ehre!
MIRANDA.
Nichts Böses kann in solchem Tempel wohnen.
Hat ein so schönes Haus der böse Geist,
So werden gute Wesen neben ihm
Zu wohnen trachten.
PROSPERO.
Folge mir! – Du, sprich
Nicht mehr für ihn, 's ist ein Verräter. – Komm,
Ich will dir Hals und Fuß zusammen schließen;
Seewasser soll dein Trank sein, deine Nahrung
Bachmuscheln, welke Wurzeln, Hülsen, die
Der Eichel Wiege sind. Komm, folge!
FERDINAND.
Nein!
Ich widerstehe der Begegnung, bis
Mein Feind mich übermannt.

Er zieht.
MIRANDA.
O lieber Vater,
Versucht ihn nicht zu rasch! Er ist ja sanft
Und nicht gefährlich.
PROSPERO.
Seht doch! will das Ei
Die Henne meistern? Weg dein Schwert, Verräter!
Du drohst, doch wagst du keinen Streich, weil Schuld
Dir das Gewissen drückt. Steh nicht zur Wehr!
Ich kann dich hier mit diesem Stab entwaffnen,
Daß dir das Schwert entsinkt.
[614]
MIRANDA.
Ich bitt' Euch, Vater!
PROSPERO.
Fort! Häng' dich nicht an meinen Rock!
MIRANDA.
Habt Mitleid!
Ich sage gut für ihn.
PROSPERO.
Schweig'! Noch ein Wort,
Und schelten müßt' ich dich, ja hassen. Was?
Wortführerin für den Betrüger? Still!
Du denkst, sonst gäb' es der Gestalten keine,
Weil du nur ihn und Caliban gesehn.
Du töricht Mädchen! Mit den meisten Männern
Verglichen, ist er nur ein Caliban,
Sie Engel gegen ihn.
MIRANDA.
So hat in Demut
Mein Herz gewählt; ich hege keinen Ehrgeiz,
Einen schönern Mann zu sehn.
PROSPERO
zu Ferdinand.
Komm mit! Gehorch'!
Denn deine Sehnen sind im Stand der Kindheit
Und haben keine Kraft.
FERDINAND.
Das sind sie auch:
Die Lebensgeister sind mir wie im Traum
Gefesselt. Meines Vaters Tod, die Schwäche,
So ich empfinde, aller meiner Freunde
Verderben, oder dieses Mannes Drohn,
In dessen Hand ich bin, ertrüg' ich leicht,
Dürft' ich nur einmal tags aus meinem Kerker
Dies Mädchen sehn! Mag Freiheit alle Winkel
Der Erde sonst gebrauchen: Raum genug
Hab' ich in solchem Kerker.
PROSPERO.
Es wirkt. – Komm mit!

Zu Ariel.

Das hast du gut gemacht, mein Ariel! –
Folgt mir!

Zu Ferdinand und Miranda.

Zu Ariel.

Vernimm, was sonst zu tun ist!

Spricht heimlich mit ihm.
MIRANDA.
Seid getrost!
Mein Vater, Herr, ist besserer Natur,
Als seine Red' ihn zeigt; was er jetzt tat,
Ist ungewohnt von ihm.
[615]
PROSPERO.
Frei sollst du sein.
Wie Wind' auf Bergen: tu' nur Wort für Wort,
Was ich dir aufgetragen!
ARIEL.
Jede Silbe.
PROSPERO.
Kommt, folgt mir! – Sprich du nicht für ihn!

Alle ab.
[616]

Zweiter Aufzug

Erste Szene
Eine andre Gegend der Insel.

Alonso, Sebastian, Antonio, Gonzalo, Adrian, Francisco und andre treten auf.

GONZALO.
Ich bitt' Euch, Herr, seid fröhlich: Ihr habt Grund
Zur Freude, wie wir alle. Unsre Rettung
Ist mehr als der Verlust; denn unser Fug
Zur Klage ist gemein: an jedem Tage
Hat ein Matrosenweib, der Schiffspatron
Von einem Kaufmann, und der Kaufmann selbst
Zu gleicher Klage Stoff; allein das Wunder,
Ich meine unsre Rettung, aus Millionen
Geschah's nur uns. Drum, lieber Herr, wägt weislich
Leid gegen Trost.
ALONSO.
Ich bitte dich, sei still!
SEBASTIAN.
Der Trost geht ihm ein wie kalte Suppe.
ANTONIO.
Der Krankenbesucher läßt ihn so noch nicht fahren.
SEBASTIAN.
Seht, jetzt windet er die Uhr seines Witzes auf; gleich wird sie schlagen.
GONZALO.
Herr –
SEBASTIAN.
Eins – zählt doch!
GONZALO.
Wenn jeder Gram gepflegt wird, der uns vorkommt,
So wird dafür dem Pfleger –
SEBASTIAN.
Die Zehrung.
GONZALO.
Ganz recht, denn er zehrt sich ab; Ihr habt richtiger gesprochen, als Eure Absicht war.
SEBASTIAN.
Und Ihr habt es gescheiter genommen, als ich dachte.
GONZALO.
Also, gnädiger Herr –
[617] ANTONIO.
Pfui doch! Welch ein Verschwender ist er mit seiner Zunge!
ALONSO.
Ich bitte dich, laß.
GONZALO.
Gut, ich bin fertig, aber doch –
SEBASTIAN.
Muß er reden.
ANTONIO.
Was gilt die Wette, ob er oder Adrian zuerst anfangen wird zu krähen?
SEBASTIAN.
Ich sage, der alte Hahn.
ANTONIO.
Nein, das Hähnlein.
SEBASTIAN.
Gut: was wetten wir?
ANTONIO.
Ein Gelächter.
SEBASTIAN.
Topp!
ADRIAN.
Scheint diese Insel gleich wüst –
SEBASTIAN.
Ha ha ha!
ANTONIO.
Nun, Ihr habt bezahlt.
ADRIAN.
Unbewohnbar und beinah' unzugänglich –
SEBASTIAN.
Dennoch –
ADRIAN.
Dennoch –
ANTONIO.
Es konnte nicht fehlen.
ADRIAN.
Muß ihr Himmelsstrich von der sanftesten und angenehmsten Milde sein.
ANTONIO.
Milde ist eine angenehme Dirne.
SEBASTIAN.
Ja, und sanft obendrein, wie er sehr gelahrt zu vernehmen gegeben.
ADRIAN.
Die Luft haucht uns hier recht lieblich an.
SEBASTIAN.
Als hätte sie 'ne Lunge, und zwar 'ne verfaulte.
ANTONIO.
Oder als wäre sie aus einem Sumpfe gewürzt.
GONZALO.
Hier ist alles zum Leben Dienliche vorhanden.
ANTONIO.
Richtig, ausgenommen Lebensmittel.
SEBASTIAN.
Die gibt's hier wenig oder gar nicht.
GONZALO.
Wie frisch und lustig das Gras aussieht! wie grün!
ANTONIO.
Wirklich, der Boden ist fahl.
SEBASTIAN.
Mit einer kleinen Schattierung von Grün darin.
ANTONIO.
Er trifft nicht weit vom Ziel.
SEBASTIAN.
Nein, er verfehlt das Rechte nur ganz und gar.
GONZALO.
Aber die Seltenheit dabei ist – was in der Tat beinah' allen Glauben übersteigt –
[618] SEBASTIAN.
Wie manche beteuerte Seltenheiten!
GONZALO.

Daß unsre Kleider, so durchweicht in der See wie sie waren, dennoch ihre Frische und ihren Glanz behalten haben; so daß sie eher neu gefärbt, als von Seewasser befleckt sind.

ANTONIO.
Wenn nur eine von seinen Taschen sprechen könnte, würde sie ihn nicht Lügen strafen?
SEBASTIAN.
Ja, oder seine Aussage heuchlerischer Weise einstecken.
GONZALO.

Mir deucht, unsre Kleider sind jetzt so frisch, als da wir sie zuerst in Afrika, bei der Heirat der schönen Tochter des Königs, Claribella, mit dem König von Tunis, anlegten.

SEBASTIAN.
Es war eine schöne Heirat, und wir haben viel Segen bei unsrer Rückreise.
ADRIAN.
Tunis war noch nie vorher mit solch einem Ausbunde von einer Königin beglückt.
GONZALO.
Seit den Zeiten der Witwe Dido nicht.
ANTONIO.
Witwe? Hol's der Henker! Was hat die Witwe hier zu tun? Witwe Dido?
SEBASTIAN.
Wie, wenn er auch Witwer Äneas gesagt hätte? Lieber Himmel, wie Ihr gleich auffahrt!
ADRIAN.
Witwe Dido, sagt Ihr ? Ihr gebt mir da was zu denken: sie war ja von Karthago, nicht von Tunis.
GONZALO.
Dies Tunis, Herr, war Karthago.
ADRIAN.
Karthago?
GONZALO.
Ich versichre Euch, Karthago.
ANTONIO.
Sein Wort vermag mehr als die wundertätige Harfe.
SEBASTIAN.
Er hat die Mauer aufgebaut und Häuser dazu.
ANTONIO.
Welch eine Unmöglichkeit wird er zunächst zustande bringen?
SEBASTIAN.

Ich denke, er trägt die Insel in der Tasche nach Haus und bringt sie seinem Sohn als einen Apfel mit.

ANTONIO.
Und säet die Kerne davon in die See, um mehr Inseln zu ziehn.
GONZALO.
Wie?
ANTONIO.
Nun, weiter nichts.
[619] GONZALO.

Herr, wir sprachen davon, daß unsre Kleider jetzt noch so frisch aussehn, als da wir in Tunis bei der Vermählung Eurer Tochter waren, die nun Königin ist.

ANTONIO.
Und zwar die herrlichste, die je dahin kam.
SEBASTIAN.
Mit Erlaubnis, bis auf Witwe Dido.
ANTONIO.
Oh, Witwe Dido! Ja, Witwe Dido.
GONZALO.

Ist mein Wams nicht so frisch, Herr, als den ersten Tag, da ich es trug? Ich will sagen, auf gewisse Weise.

ANTONIO.
Die Weise hat er zu rechter Zeit aufgefischt.
GONZALO.
Da ich es bei der Vermählung Eurer Tochter trug?
ALONSO.
Ihr stopft mir diese Wort' ins Ohr, ganz wider
Die Neigung meines Sinns. Hätt' ich doch nie
Die Tochter dort vermählt! Denn auf der Heimkehr
Verlor ich meinen Sohn; in meinen Augen
Auch sie, die so entfernt ist, daß ich nie
Sie werde wieder sehn. O du, mein Erbe
Von Napel und von Mailand, welcher Meerfisch
Hat dich verschlungen?
FRANCISCO.
Herr, er lebt vielleicht.
Ich sah ihn unter sich die Wellen schlagen,
Auf ihrem Rücken reiten; er beschritt
Das Wasser, dessen Anfall von sich schleudernd,
Und bot die Brust der hochgeschwoll'nen Woge,
Die ihm entgegen kam. Das kühne Haupt
Hielt aus den streitbar'n Fluten er empor
Und ruderte sich selbst mit wackern Armen
In frischem Schlag ans Ufer, das zu ihm
Sich über seinen unterhöhlten Grund
Hinneigt', als wollt' es helfen: ohne Zweifel
Kam er gesund ans Land.
ALONSO.
Nein, er ist hin.
SEBASTIAN.
Herr, dankt Euch selber nur für den Verlust:
Ihr gönntet nicht Europa Eure Tochter,
Verlort sie an den Afrikaner lieber,
Wo sie verbannt doch lebt von Eurem Auge,
Das diesen Gram zu netzen Ursach' hat.
ALONSO.
O still doch!
SEBASTIAN.
Wir alle knieten und bestürmten Euch
[620]
Vielfältig, und die holde Seele selbst
Wog, zwischen Abscheu und Gehorsam, wo
Die Schale sinken sollte. Euern Sohn
Verloren wir für immer, wie ich fürchte.
Mailand und Napel hat der Witwen mehr,
Die dieser Handel machte, als wir Männer,
Um sie zu trösten, bringen; und die Schuld
Ist Euer.
ALONSO.
Auch das Schwerste des Verlustes.
GONZALO.
Mein Prinz Sebastian,
Der Wahrheit, die Ihr sagt, fehlt etwas Milde
Und die gelegne Zeit: Ihr reibt den Schaden,
Statt Pflaster aufzulegen.
SEBASTIAN.
Gut gesagt!
ANTONIO.
Und sehr feldscherermäßig.
GONZALO.
Es ist schlecht Wetter bei uns allen, Herr,
Wenn Ihr betrübt seid.
SEBASTIAN.
Schlecht Wetter?
ANTONIO.
Sehr schlecht.
GONZALO.
Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel –
ANTONIO.
Er säte Nesseln drauf.
SEBASTIAN.
Oder Kletten, oder Malven.
GONZALO.
Und wäre König hier: was würd' ich tun?
SEBASTIAN.
Dem Trunk entgehn, weil er keinen Wein hätte.
GONZALO.
Ich wirkte im gemeinen Wesen alles
Durchs Gegenteil; denn keine Art von Handel
Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts;
Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichtum,
Dienst, Armut gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft,
Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts;
Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Öl, Metall,
Kein Handwerk; alle Männer müßig, alle;
Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos;
Kein Regiment –
SEBASTIAN.
Und doch wollte er König sein!
ANTONIO.
Das Ende seines gemeinen Wesens vergißt den Anfang.
GONZALO.
In der gemeinsamen Natur sollt' alles
[621]
Frucht bringen ohne Müh' und Schweiß; Verrat, Betrug,
Schwert, Speer, Geschütz, Notwendigkeit der Waffen
Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur
Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle,
Mein schuldlos Volk zu nähren.
SEBASTIAN.
Keine Heiraten zwischen seinen Untertanen?
ANTONIO.
Nichts dergleichen, Freund: alle los und ledig, Huren und Taugenichtse.
GONZALO.
So ungemein wollt' ich regieren, Herr,
Daß es die goldne Zeit verdunkeln sollte.
SEBASTIAN.
Gott erhalte Seine Majestät!
ANTONIO.
Lang' lebe Gonzalo!
GONZALO.
Und, – Ihr versteht mich, Herr?
ALONSO.
Ich bitt' dich, schweig'! Du sprichst von Nichts zu mir.
GONZALO.

Das glaube ich Eurer Hoheit gern; und ich tat es, um diesen Herrn Gelegenheit zu machen, die so reizbare, bewegliche Lungen haben, daß sie immer über nichts zu lachen pflegen.

ANTONIO.
Wir lachten über Euch.
GONZALO.

Der ich in dieser Art von lustigen Possen gegen Euch nichts bin; Ihr mögt daher fortfahren und ferner über nichts lachen.

ANTONIO.
Was ward da für ein Streich versetzt!
SEBASTIAN.
Ja, wenn er nicht flach gefallen wäre.
GONZALO.

Ihr seid Kavaliere von herzhaftem Gemüt: Ihr würdet den Mond aus seiner Sphäre heben, wenn er fünf Wochen darin bleiben wollte, ohne zu wechseln.


Ariel kommt, unsichtbar, und spielt eine feierliche Melodie.
SEBASTIAN.
Ja, das würden wir, und dann mit ihm ein Klopfjagen bei Nacht anstellen.
ANTONIO.
Lieber Herr, seid nicht ungehalten!
GONZALO.

Nein, verlaßt Euch drauf, ich werde meine Vernunft nicht so leichtsinnig dran wagen. Wollt Ihr mich in Schlaf lachen, denn ich bin sehr müde?

ANTONIO.
Geht schlafen und hört uns zu!

Alle schlafen ein, außer Alonso, Sebastian und Antonio.
[622] ALONSO.
Wie? All' im Schlaf? O schlössen meine Augen
Mit sich auch die Gedanken zu! Ich fühle,
Sie sind dazu geneigt.
SEBASTIAN.
Beliebt's Euch, Herr,
Versäumet nicht die müde Einladung.
Sie naht dem Kummer selten: wann sie's tut,
So bringt sie Trost.
ANTONIO.
Wir beide wollen Euch
Behüten, gnäd'ger Herr, indes Ihr ruht,
Und Wache halten.
ALONSO.
Dank Euch! Seltsam müde –

Alonso schläft ein.

Ariel ab.
SEBASTIAN.
Welch eine fremde Schläfrigkeit befällt sie?
ANTONIO.
Es ist die Art des Himmelstrichs.
SEBASTIAN.
Warum
Drückt sie denn unsre Augenlider nicht?
Ich fühl' in mir zum Schlafen keinen Trieb.
ANTONIO.
Auch ich nicht, meine Sinne sind ganz munter.
Sie fielen alle wie auf einen Wink,
Sie sanken, wie vom Blitz gerührt. Was könnte –

Würd'ger Sebastian? – Oh, was könnte? – Still! –

Und doch ist mir, ich säh' auf deiner Stirn,
Was du verdienst; der Anlaß ruft, und meine
Lebend'ge Einbildung sieht eine Krone
Sich senken auf dein Haupt.
SEBASTIAN.
Wie? Bist du wach?
ANTONIO.
Hörst du mich denn nicht reden?
SEBASTIAN.
Ja, und wahrlich,
's ist eine Träumersprache, und du sprichst
Aus deinem Schlaf. Was war es, das du sagtest?
Dies ist 'ne wunderbare Ruh', zu schlafen
Mit offnen Augen, stehend, sprechend, gehend,
Und doch so tief im Schlaf.
ANTONIO.
Edler Sebastian,
Du läßt dein Glück entschlafen, sterben; taumelst,
Indessen du doch wachst.
[623] SEBASTIAN.
Du schnarchst verständlich;
Dein Schnarchen hat Bedeutung.
ANTONIO.
Ja, ich bin ernster, als ich pflege, Ihr
Müßt's auch sein, wenn Ihr mich begreift; und das
Verdreifacht dich.
SEBASTIAN.
Wohl, ich bin steh'ndes Wasser.
ANTONIO.
Ich will Euch fluten lehren.
SEBASTIAN.
Tut das doch:
Denn ebben heißt mich angeerbte Trägheit.
ANTONIO.
Oh, wüßtet Ihr, wie Ihr den Anschlag hegt,
Da Ihr ihn höhnt, wie, da Ihr ihn entblößt,
Ihr mehr ihn schmückt! Denn freilich, wer da ebbt,
Muß häufig auf den Grund beinah' geraten
Durch eigne Furcht und Trägheit.
SEBASTIAN.
Fahre fort,
Ich bitte dich: dein Blick und deine Wange
Verkünden etwas; die Geburt, fürwahr,
Macht große Wehen dir.
ANTONIO.
So hört! Obschon
Der an Erinn'rung schwache Herr da, dieser,
Der auch nicht stärker im Gedächtnis sein wird,
Wenn er beerdigt ist, den König hier
Fast überredet hat – er ist ein Geist
Der Überredung, gibt mit nichts sich ab
Als überreden – , daß sein Sohn noch lebe:
's ist so unmöglich, daß er nicht ertrank,
Als daß der schwimme, der hier schläft.
SEBASTIAN.
Ich bin
Ganz ohne Hoffnung, daß er nicht ertrank.
ANTONIO.
Aus diesem ohne Hoffnung, oh, was geht Euch
Für große Hoffnung auf! Hier ohne Hoffnung, ist
Auf andre Art so hohe Hoffnung, daß
Der Blick der Ehrsucht selbst nicht jenseits dringt
Und, was er dort entdeckt, bezweifeln muß.
Gebt Ihr mir zu, daß Ferdinand ertrunken?
SEBASTIAN.
Ja, er ist hin.
ANTONIO.
So sagt mir, wer ist denn
Der nächste Erbe Napels?
[624] SEBASTIAN.
Claribella.
ANTONIO.
Sie, Königin von Tunis? Die am Ende
Der Welt wohnt? Die von Napel keine Zeitung
Erhalten kann, wofern die Sonne nicht
Als Bote liefe (denn zu langsam ist
Der Mann im Mond), bis neugeborne Kinne
Bebartet sind? Von der uns alle kommend
Die See verschlang, doch ein'ge wieder auswarf;
Und dadurch sie ersehn zu einer Handlung,
Wovon, was jetzt geschah, ein Vorspiel ist,
Doch uns das Künft'ge obliegt.
SEBASTIAN.
Was für Zeug ist dies?
Was sagt Ihr? – Wahr ist's, meines Bruders Tochter
Ist Königin von Tunis, ebenfalls
Von Napel Erbin, zwischen welchen Ländern
Ein wenig Raum ist.
ANTONIO.
Ja, ein Raum, wovon
Ein jeder Fußbreit auszurufen scheint:
»Wie soll die Claribella uns zurück
Nach Napel messen?« – Bleibe sie in Tunis,
Sebastian wach'! – Setzt, dies wär' der Tod,
Was jetzt sie überfallen: nun, sie wären
Nicht schlimmer dran als jetzt. Es gibt der Leute,
Die Napel wohl so gut, als der hier schläft,
Regieren würden; Herrn, die schwatzen können,
So weit ausholend und so unersprießlich
Wie der Gonzalo hier; ich könnte selbst
So elsterhaft wohl plaudern. Hättet Ihr
Doch meinen Sinn! Was für ein Schlaf wär' dies
Für Eure Standserhöhung! Ihr versteht mich?
SEBASTIAN.
Mich dünket, ja.
ANTONIO.
Und wie hegt Euer Beifall
Eu'r eignes gutes Glück?
SEBASTIAN.
Es fällt mir bei,
Ihr stürztet Euern Bruder Prospero.
ANTONIO.
Wahr!
Und seht, wie wohl mir meine Kleider sitzen,
Weit saubrer wie zuvor. Des Bruders Diener,
[625]
Die damals meine Kameraden waren,
Sind meine Leute jetzt.
SEBASTIAN.
Doch Eu'r Gewissen?
ANTONIO.
Ei, Herr, wo sitzt das? Wär's der Frost im Fuß,
Müßt' ich in Socken gehn; allein ich fühle
Die Gottheit nicht im Busen. Zehn Gewissen,
Die zwischen mir und Mailand stehn, sie möchten
Gefroren sein und auftaun, eh' sie mir
Beschwerlich fielen. Hier liegt Euer Bruder, –

Nicht besser als die Erd', auf der er liegt,
Wär' er, was jetzt er scheinet, nämlich tot,
Den ich mit diesem will'gen Stahl, drei Zoll davon,
Zu Bett auf immer legen kann; indes Ihr gleichfalls
Die alte Ware da, den Meister Klug,
In Ruh'stand setztet, der uns weiter nichts
Vorrücken sollte. All die andern nehmen
Eingebung an, wie Milch die Katze schleckt;
Sie zählen uns zu jedem Werk die Stunde,
Wozu wir sagen, es sei Zeit.
SEBASTIAN.
Mein Freund,
Dein Fall zeigt mir den Weg: wie du zu Mailand,
Komm' ich zu Napel. Zieh dein Schwert! Ein Streich
Löst vom Tribut dich, den du zahlst; und ich,
Der König, will dir hold sein.
ANTONIO.
Zieht mit mir,
Und heb' ich meine Hand, tut Ihr desgleichen,
Und nieder auf Gonzalo!
SEBASTIAN.
Halt, noch ein Wort!

Sie unterreden sich leise.

Musik. Ariel kommt unsichtbar.
ARIEL.
Mein Herr sieht die Gefahr durch seine Kunst,
Worin Ihr schwebt, sein Freund; und schickt mich aus,
Weil sein Entwurf sonst stirbt, die hier zu retten.

Er singt in Gonzalos Ohr.

Weil Ihr schnarchet, nimmt zur Tat
Offnen Auges der Verrat
Die Zeit in acht.
[626]
Ist Euch Leben lieb und Blut:
Rüttelt Euch, seid auf der Hut!
Erwacht! Erwacht!
ANTONIO.
So laßt uns beide schnell sein!
GONZALO.
Ihr guten Engel, steht dem König bei!

Sie erwachen sämtlich.
ALONSO.
Wie? Was? He! wach? Wozu mit bloßem Degen?
Warum die stieren Blicke?
GONZALO.
Nun, was gibt's?
SEBASTIAN.
Da wir hier standen, Eure Ruh' bewachend,
Jetzt eben brach ein hohles Brüllen aus,
Als wie von Bullen oder Löwen gar.
Weckt' es Euch nicht? Es traf mein Ohr entsetzlich.
ALONSO.
Ich hörte nichts.
ANTONIO.
Oh, ein Getös', um Ungeheu'r zu schrecken,
Erdbeben zu erregen! Das Gebrüll
Von ganzen Herden Löwen!
ALONSO.
Hörtet Ihr's, Gonzalo?
GONZALO.
Auf meine Ehre, Herr, ich hört' ein Summen,
Und zwar ein sonderbares, das mich weckte;
Ich schüttelt' Euch und rief: als ich die Augen auftat,
Sah ich die Degenbloß. Ein Lärm war da,
Das ist gewiß: wir sollten auf der Hut sein
Und diesen Platz verlassen. Zieht die Degen!
ALONSO.
Gehn wir von hier, und laßt uns weiter suchen
Nach meinem armen Sohn!
GONZALO.
Behüt ihn Gott
Vor diesen wilden Tieren! denn er ist
Gewißlich auf der Insel.
ALONSO.
Laßt uns gehn!
ARIEL
für sich.
Ich will, was ich getan, dem Meister offenbaren.
Geh, König, such' den Sohn, nun sicher vor Gefahren!

Alle ab.
[627]
Zweite Szene
Eine andre Gegend der Insel.

Caliban kommt mit einer Tracht Holz. Man hört in der Entfernung donnern.

CALIBAN.
Daß aller Giftqualm, den die Sonn' aufsaugt
Aus Sumpf, Moor, Pfuhl, auf Prosper fall' und mach' ihn
Siech durch und durch! Mich hören seine Geister.
Und muß doch fluchen. Zwar sie kneifen nicht,
Erschrecken mich als Igel, stecken mich
In Kot, noch führen sie wie Bränd' im Dunkeln
Mich irre, wenn er's nicht geheißen; aber
Für jeden Bettel hetzt er sie auf mich;
Wie Affen bald, die Mäuler ziehn und plärren
Und dann mich beißen; bald wie Stachelschweine,
Die, wo ich barfuß geh', sich wälzen und
Die Borsten sträuben, wenn mein Fuß auftritt;
Manchmal bin ich von Nattern ganz umwunden,
Die mit gespaltnen Zungen toll mich zischen.

Trinculo kommt.

Seht! jetzt! Hu, hu! Da kommt ein Geist von ihm,
Um mich zu plagen, weil ich's Holz nicht bringe;
Platt fall' ich hin, so merkt er wohl mich nicht.
TRINCULO.

Hier ist weder Busch noch Strauch, einen nur ein bißchen vor dem Wetter zu schützen, und schon munkelt ein neues Ungewitter. Ich hör's im Winde pfeifen: die schwarze Wolke da, die große, sieht wie ein alter Schlauch aus, der sein Getränk verschütten will. Wenn es wieder so donnert wie vorher, so weiß ich nicht, wo ich unterducken soll; die Wolke da muß schlechterdings mit Mulden gießen. – Was gibt's hier? Ein Mensch oder ein Fisch? Tot oder lebendig? Ein Fisch: er riecht wie ein Fisch; 's ist ein recht ranziger und fischichter Geruch; so 'ne Art Laberdan, nicht von dem frischesten. Ein seltsamer Fisch! Wenn ich nun in England wäre, wie ich einmal gewesen bin, und hätte den Fisch nur gemalt, jeder Pfingstnarr gäbe mir dort ein Stück Silber. Da wäre ich mit dem Ungeheuer ein gemachter Mann; jedes [628] fremde Tier macht dort seinen Mann; wenn sie keinen Deut geben wollen, einem lahmen Bettler zu helfen, so wenden sie zehn dran, einen toten Indianer zu sehn. – Beine wie ein Mensch! Seine Floßfedern wie Arme! Warm, mein' Seel'! Ich lasse jetzt meine Meinung fahren und behaupte sie nicht länger: es ist kein Fisch, sondern einer von der Insel, den ein Donnerkeil eben erschlagen hat. Donner. O weh! das Ungewitter ist wieder heraufgekommen: das beste ist, ich krieche unter seinen Mantel, es gibt hier herum kein andres Obdach. Die Not bringt einen zu seltsamen Schlafgesellen; ich will mich hier einwickeln, bis die Grundsuppe des Gewitters vorüber ist.


Stephano kommt singend, eine Flasche in der Hand.
STEPHANO.
Ich geh' nicht mehr zur See, zur See,
Hier sterb' ich auf dem Land. –

Das ist eine lausige Melodie, gut bei einer Beerdigung zu singen: aber hier ist mein Trost. Trinkt.
Der Meister, der Bootsmann, der Konstabel und ich,
Wir halten's mit artigen Mädchen,
Mit Lieschen und Gretchen und Hedewig;
Doch keiner fragt was nach Käthchen.
Denn sie macht ein beständig Gekeifel;
Kommt ein Seemann, da heißt's: geh zum Teufel!
Den Pech- und den Teergeruch haßt sie aufs Blut;
Doch ein Schneider, der juckt sie, wo's nötig ihr tut,
Auf die See, Kerls, und hol' sie der Teufel!
Das ist auch eine lausige Melodie; aber hier ist mein Trost.
Trinkt.
CALIBAN.
Plage mich nicht! Oh!
STEPHANO.

Was heißt das? Gibt's hier Teufel! Habt ihr uns zum besten mit Wilden und indianischen Männern? Ha! Dazu bin ich nicht nahe am Ersaufen gewesen, um mich jetzt vor deinen vier Beinen zu fürchten; denn es heißt von ihm: so 'n wackrer Kerl, als jemals auf vier Beinen gegangen ist, kann ihn nicht zum Weichen bringen; und es soll auch ferner so heißen, solange Stephano einen lebendigen Odem in seiner Nase hat.

[629] CALIBAN.
Der Geist plagt mich – Oh! –
STEPHANO.

Dies ist ein Ungeheuer aus der Insel mit vier Beinen, der meines Bedünkens das Fieber gekriegt hat. Wo Henker mag er unsre Sprache gelernt haben? Ich will ihm was zur Stärkung geben, wär's nur deswegen: kann ich ihn wieder zurecht bringen und ihn zahm machen, und nach Neapel mit ihm kommen, so ist er ein Präsent für den besten Kaiser, der je auf Rindsleder getreten ist.

CALIBAN.
Plag' mich nicht, bitte! Ich will mein Holz geschwinder zu Haus bringen.
STEPHANO.

Er hat jetzt seinen Anfall und redet nicht zum gescheitesten. Er soll aus meiner Flasche kosten; wenn er noch niemals Wein getrunken hat, so kann es ihm leicht das Fieber vertreiben. Kann ich ihn wieder zurecht bringen und ihn zahm ma chen, so will ich nicht zu viel für ihn nehmen: wer ihn kriegt, soll für ihn bezahlen, und das tüchtig.

CALIBAN.

Noch tust du mir nicht viel zu Leid; du wirst es bald, ich merk's an deinem Zittern. Jetzt treibt dich Prospero.

STEPHANO.

Laß das gut sein! Mach' das Maul auf! Hier ist was, das dich zur Vernunft bringen soll, Katze: mach' das Maul auf! Dies wird dein Schütteln schütteln, sag' ich dir, und das tüchtig. Niemand weiß, wer sein Freund ist. Tu' die Kinnbacken wieder auf!

TRINCULO.

Ich sollte die Stimme kennen; das wäre ja wohl – aber er ist ertrunken, und dies sind Teufel. Oh, behüte mich!

STEPHANO.

Vier Beine und zwei Stimmen: ein allerliebstes Ungeheuer! Seine Vorderstimme wird nun Gutes von seinem Freunde reden; seine Hinterstimme wird böse Reden ausstoßen und verleumden. Reicht der Wein in meiner Flasche hin, ihn zurecht zu bringen, so will ich sein Fieber kurieren. Komm! – Amen! Ich will dir was in deinen andern Mund gießen.

TRINCULO.
Stephano –
STEPHANO.

Ruft mich dein andrer Mund bei Namen? Behüte! Behüte! Dies ist der Teufel und kein Ungeheuer. Ich will keine Suppe mit ihm essen, ich habe keinen langen Löffel.

[630]
TRINCULO.

Stephano! – Wenn du Stephano bist, rühr' mich an und sprich mit mir, denn ich bin Trinculo – fürchte dich nicht! – dein guter Freund Trinculo.

STEPHANO.

Wenn du Trinculo bist, so komm heraus! Ich will dich bei den dünneren Beinen ziehen: wenn hier welche Trinculos Beine sind, so sind's diese. – Du bist wirklich ganz und gar Trinculo. Wie kamst du dazu, der Abgang dieses Mondkalbes zu sein? Kann er Trinculos von sich geben?

TRINCULO.

Ich dachte, er wäre vom Blitz erschlagen. – Bist du denn nicht ertrunken, Stephano? Ich will hoffen, du bist nicht ertrunken. Ist das Ungewitter vorüber? Ich steckte mich unter des toten Mondkalbes Mantel, weil ich vor dem Ungewitter bange war. Du bist also am Leben, Stephano? O Stephano, zwei Neapolitaner davon gekommen!

STEPHANO.
Ich bitte dich, dreh' mich nicht so herum, mein Magen ist nicht recht standfest.
CALIBAN.
Gar schöne Dinger, wo's nicht Geister sind!
Das ist ein wackrer Gott, hat Himmelstrank:
Will vor ihm knien.
STEPHANO.

Wie kamst du davon? Wie kamst du hieher? Schwöre bei dieser Flasche, wie du herkamst. Ich habe mich auf einem Fasse Sekt gerettet, das die Matrosen über Bord warfen: bei dieser Flasche, die ich aus Baumrinden mit meinen eignen Händen gemacht habe, seit ich ans Land getrieben bin!

CALIBAN.
Bei der Flasche will ich schwören, dein treuer Knecht zu sein, denn das ist kein irdisches Getränk.
STEPHANO.
Hier schwöre nun: wie kamst du ans Land?
TRINCULO.
Ans Land geschwommen, Kerl, wie 'ne Ente; ich kann schwimmen wie 'ne Ente, das schwör' ich dir.
STEPHANO.

Hier küsse das Buch! Kannst du schon schwimmen wie 'ne Ente, so bist du doch natürlich wie eine Gans.

TRINCULO.
O Stephano, hast mehr davon?
STEPHANO.

Das ganze Faß, Kerl; mein Keller ist in einem Felsen an der See, da habe ich meinen Wein versteckt. Nun, Mondkalb? was macht dein Fieber?

CALIBAN.
Bist du nicht vom Himmel gefallen?
[631] STEPHANO.
Ja, aus dem Monde, glaub's mir: ich war zu seiner Zeit der Mann im Monde.
CALIBAN.

Ich habe dich drin gesehn und bete dich an. Meine Gebieterin zeigte dich mir und deinen Hund und deinen Busch.

STEPHANO.
Komm, schwöre hierauf! Küsse das Buch! Ich will es gleich mit neuem Inhalt anfüllen! Schwöre!
TRINCULO.

Beim Firmament, das ist ein recht einfältiges Ungeheuer. – Ich mich vor ihm fürchten? – Ein recht betrübtes Ungeheuer! Der Mann im Monde? – Ein armes leichtgläubiges Ungeheuer! – Gut ausgedacht, Ungeheuer, meiner Treu!

CALIBAN.
Ich zeig' dir jeden fruchtbar'n Fleck der Insel
Und will den Fuß dir küssen: bitte, sei mein Gott!
TRINCULO.

Beim Firmament, ein recht hinterlistiges betrunknes Ungeheuer! Wenn sein Gott schläft, wird es ihm die Flasche stehlen.

CALIBAN.
Ich will den Fuß dir küssen, will mich schwören
Zu deinem Knecht.
STEPHANO.
So komm denn: nieder, und schwöre!
TRINCULO.

Ich lache mich zu Tode über dies mopsköpfige Ungeheuer. Ein lausiges Ungeheuer! Ich könnte über mich gewinnen, es zu prügeln. –

STEPHANO.
Komm! küß!
TRINCULO.
Wenn das arme Ungeheuer nicht besoffen wäre. – Ein abscheuliches Ungeheuer!
CALIBAN.
Will dir die Quellen zeigen, Beeren pflücken,
Will fischen und dir Holz genugsam schaffen.
Pest dem Tyrannen, dem ich dienen muß!
Ich trag' ihm keine Klötze mehr; ich folge
Dir nach, du Wundermann.
TRINCULO.
Ein lächerliches Ungeheuer, aus einem armen Trunkenbolde ein Wunder zu machen.
CALIBAN.
Laß mich dir weisen, wo die Holzbirn' wächst;
Mit meinen langen Nägeln grab' ich Trüffeln,
Zeig' dir des Hähers Nest; ich lehre dich,
Die hurt'ge Meerkatz' fangen; bringe dich
Zum vollen Haselbusch und hol' dir manchmal
Vom Felsen junge Möwen. Willst du mitgehn?
[632] STEPHANO.

Ich bitte dich, geh voran, ohne weiter zu schwatzen. – Trinculo, da der König und unsre ganze Mannschaft ertrunken ist, so wollen wir hier Besitz nehmen. – Hier, trag' meine Flasche! – Kamerad Trinculo, wir wollen sie gleich wieder füllen.

CALIBAN
singt im betrunknen Mute.
Leb wohl, mein Meister! Leb wohl! leb wohl!
TRINCULO.
Ein heulendes Ungeheuer! ein besoffenes Ungeheuer!
CALIBAN.
Will nicht mehr Fischfänger sein,
Noch Feu'rung holen,
Wie's befohlen;
Noch die Teller scheuern rein:
Ban, ban, Ca – Caliban
Hat zum Herrn einen andern Mann:
Schaff einen neuen Diener dir an!
Freiheit, heisa! heisa, Freiheit! Freiheit, heisa! Freiheit!
STEPHANO.
O tapfres Ungeheuer, zeig' uns den Weg!

Alle ab.
[633]

Dritter Aufzug

Erste Szene
Vor Prosperos Zelle.

Ferdinand, ein Scheit Holz tragend.

FERDINAND.
Es gibt müh'volle Spiele, und die Arbeit
Erhöht die Lust dran; mancher schnöde Dienst
Wird rühmlich übernommen, und das Ärmste
Führt zu dem reichsten Ziel. Dies niedre Tagwerk
Wär' so beschwerlich als verhaßt mir; doch
Die Herrin, der ich dien', erweckt das Tote
Und macht die Müh'n zu Freuden. Oh, sie ist
Zehnfach so freundlich als ihr Vater rauh,
Und er besteht aus Härte. Schleppen muß ich
Und schichten ein paar tausend dieser Klötze,
Bei schwerer Strafe: meine süße Herrin
Weint, wenn sie's sieht, und sagt, so knecht'scher Dienst
Fand nimmer solchen Täter. Ich vergesse;
Doch diese lieblichen Gedanken laben
Die Arbeit selbst; ich bin am müßigsten,
Wann ich sie tue.
Miranda kommt. Prospero in einiger Entfernung.
MIRANDA.
Ach, ich bitte, plagt
Euch nicht so sehr! Ich wollte, daß der Blitz
Das Holz verbrannt, das Ihr zu schichten habt.
Legt ab und ruht Euch aus! Wenn dies hier brennt,
Wird's weinen, daß es Euch beschwert. Mein Vater
Steckt tief in Büchern: Bitte, ruht Euch aus!
Ihr seid vor ihm jetzt auf drei Stunden sicher.
FERDINAND.
O teuerste Gebieterin! die Sonne
[634]
Wird untergehn, eh' ich vollbringen kann,
Was ich doch muß.
MIRANDA.
Wenn Ihr Euch setzen wollt,
Trag' ich indes die Klötze. Gebt mir den!
Ich bring' ihn hin.
FERDINAND.
Nein, köstliches Geschöpf!
Eh' sprengt' ich meine Sehnen, bräch' den Rücken,
Als daß Ihr solcher Schmach Euch unterzögt,
Und ich säh' träge zu.
MIRANDA.
Es stände mir
So gut wie Euch, und ich verrichtet' es
Weit leichter, denn mich treibt mein guter Wille,
Und Euerm ist's zuwider.
PROSPERO.
Armer Wurm,
Du bist gefangen! Dein Besuch verrät's.
MIRANDA.
Ihr seht ermüdet aus.
FERDINAND.
Nein, edle Herrin,
Bei mir ist's früher Morgen, wenn Ihr mir
Am Abend nah seid. Ich ersuche Euch
(Hauptsächlich, um Euch im Gebet zu nennen),
Wie heißet Ihr?
MIRANDA.
Miranda. – O mein Vater!
Ich hab' Eu'r Wort gebrochen, da ich's sagte.
FERDINAND.
Bewunderte Miranda! In der Tat
Der Gipfel der Bewund'rung; was die Welt
Am höchsten achtet, wert! Gar manches Fräulein
Betrachtet' ich mit Fleiß, und manches Mal
Bracht' ihrer Zungen Harmonie in Knechtschaft
Mein allzu emsig Ohr; um andre Gaben
Gefielen andre Frau'n mir; keine je
So ganz von Herzen, daß ein Fehl in ihr
Nicht haderte mit ihrem schönsten Reiz
Und überwältigt' ihn: doch Ihr, oh, Ihr,
So ohnegleichen, so vollkommen, seid
Vom besten jegliches Geschöpfs erschaffen.
MIRANDA.
Vom eigenen Geschlechte kenn' ich niemand,
Erinn're mir kein weibliches Gesicht,
Als meines nur im Spiegel; und ich sah
[635]
Nicht mehre, die ich Männer nennen könnte,
Als Euch, mein Guter, und den teuern Vater.
Was für Gesichter anderswo es gibt,
Ist unbewußt mir; doch bei meiner Sittsamkeit,
Dem Kleinod meiner Mitgift! wünsch' ich keinen
Mir zum Gefährten in der Welt als Euch,
Noch kann die Einbildung ein Wesen schaffen,
Das ihr gefiele, außer Euch. Allein
Ich plaudre gar zu wild und achte darin
Des Vaters Vorschrift nicht.
FERDINAND.
Ich bin nach meinem Stand
Ein Prinz, Miranda, ja ich denk', ein König –

(Wär' ich's doch nicht!), – und trüg' so wenig wohl
Hier diese hölzerne Leibeigenschaft,
Als ich von einer Fliege mir den Mund
Zerstechen ließ'. – Hört meine Seele reden!
Den Augenblick, da ich Euch sahe, flog
Mein Herz in Euern Dienst; da wohnt es nun,
Um mich zum Knecht zu machen: Euretwegen
Bin ich ein so geduld'ger Tagelöhner.
MIRANDA.
Liebt Ihr mich?
FERDINAND.
O Erd', o Himmel! zeuget diesem Laut
Und krönt mit günst'gem Glück, was ich beteure,
Red' ich die Wahrheit; red' ich falsch, so kehrt
Die beste Vorbedeutung mir in Unglück!
Weit über alles, was die Welt sonst hat,
Lieb' ich und acht' und ehr' Euch.
MIRANDA.
Ich bin töricht,
Zu weinen über etwas, das mich freut.
PROSPERO.
Ein schön Begegnen zwei erwählter Herzen!
Der Himmel regne Huld auf das herab,
Was zwischen ihnen aufkeimt!
FERDINAND.
Warum weint Ihr?
MIRANDA.
Um meinen Unwert, daß ich nicht darf bieten,
Was ich zu geben wünsche; noch viel minder,
Wonach ich tot mich sehnen werde, nehmen.
Doch das heißt Tändeln, und je mehr es sucht
Sich zu verbergen, um so mehr erscheint's
[636]
In seiner ganzen Macht. Fort, blöde Schlauheit!
Führ' du das Wort mir, schlichte, heil'ge Unschuld!
Ich bin Eu'r Weib, wenn Ihr mich haben wollt,
Sonst sterb' ich Eure Magd; Ihr könnt mir's weigern,
Gefährtin Euch zu sein, doch Dienerin
Will ich Euch sein: Ihr wollet oder nicht.
FBRDINAND.
Geliebte, Herrin, und auf immer ich
So untertänig!
MIRANDA.
Mein Gatte denn?
FERDINAND.
Ja, mit so will'gem Herzen,
Als Dienstbarkeit sich je zur Freiheit wandte.
Hier habt Ihr meine Hand!
MIRANDA.
Und Ihr die meine,
Mit meinem Herzen drin; und nun lebt wohl
Auf eine halbe Stunde!
FBRDINAND.
Tausend, tausendmal!

Beide ab.
PROSPERO.
So froh wie sie kann ich nicht drüber sein,
Die alles überrascht; doch größre Freude
Gewährt mir nichts.
Ich will zu meinem Buch,
Denn vor der Abendmahlzeit hab' ich noch
Viel Nöt'ges zu verrichten.
Ab.
Zweite Szene
Eine andere Gegend der Insel.

Stephano und Trinculo kommen. Caliban folgt mit einer Flasche.

STEPHANO.

Sagt mir da nicht von! Wenn das Faß leer ist, wollen wir Wasser trinken. Vorher keinen Tropfen! Also haltet Euch frisch und stecht sie an. Diener-Ungeheuer, tu' mir Bescheid!

TRINCULO.

Diener-Ungeheuer? Ein tolles Stück von Insel! Sie sagen, es wären nur fünfe auf dieser Insel: wir sind drei davon; wenn die andern beiden so gehirnt sind wie wir, so wackelt der Staat.

[637] STEPHANO.
Trink, Diener-Ungeheuer, wenn ich dir's heiße. Die Augen stecken dir fast ganz im Kopfe drinnen.
TRINCULO.

Wo sollten sie sonst stecken? Er wäre wahrlich ein prächtiges Ungeheuer, wenn sie ihm im Schweife steckten.

STEPHANO.

Mein Kerl-Ungeheuer hat seine Zunge in Sekt ersäuft. Was mich betrifft, mich kann das Meer nicht ersäufen. Ich schwamm, eh' ich wieder ans Land kommen konnte, fünfunddreißig Meilen, ab und zu: beim Element! – Du sollst mein Lieutenant sein, Ungeheuer, oder mein Fähndrich.

TRINCULO.
Euer Lieutenant, wenn's Euch beliebt: er kann die Fahne nicht halten.
STEPHANO.
Wir werden nicht laufen, Musje Ungeheuer.
TRINCULO.
Gehn auch nicht; Ihr werdet liegen wie Hunde und den Mund nicht auftun.
STEPHANO.
Mondkalb, sprich einmal in deinem Leben, wenn du ein gutes Mondkalb bist.
CALIBAN.

Wie geht's deiner Gnaden? Laß mich deine Schuh' lecken. Ihm will ich nicht dienen, er ist nicht herzhaft.

TRINCULO.

Du lügst, unwissendes Ungeheuer. Ich bin imstande, einem Bettelvogt die Spitze zu bieten. Ei, du liederlicher Fisch du, war jemals einer eine Memme, der so viel Sekt getrunken hat als ich heute? Willst du eine ungeheure Lüge sagen, da du nur halb ein Fisch und halb ein Ungeheuer bist?

CALIBAN.
Sieh, wie er mich zum besten hat: willst du das zugeben, mein Fürst?
TRINCULO.
Fürst, sagt er? – Daß ein Ungeheuer solch ein Einfaltspinsel sein kann!
CALIBAN.
Sieh, sieh! schon wieder! Bitte, beiß' ihn tot!
STEPHANO.

Trinculo, kein loses Maul! Wenn Ihr aufrührisch werdet, soll der nächste Baum – das arme Ungeheuer ist mein Untertan, und ihm soll nicht unwürdig begegnet werden.

CALIBAN.

Ich danke meinem gnädigen Herrn. Willst du geruhn, nochmals auf mein Gesuch zu hören, das ich dir vorbrachte?

STEPHANO.
Ei freilich will ich: knie' und wiederhol' es! Ich will stehn, und das soll Trinculo auch.

Ariel kommt, unsichtbar.
[638] CALIBAN.

Wie ich dir vorher sagte, ich bin einem Tyrannen untertan, (einem Zauberer,) der mich durch seine List um die Insel betrogen hat.

ARIEL.
Du lügst.
CALIBAN.
Du lügst, du possenhafter Affe, du!
Daß dich mein tapfrer Herr verderben möchte!
Ich lüge nicht.
STEPHANO.

Trinculo, wenn Ihr ihn in seiner Erzählung noch irgend stört, bei dieser Faust! ich schlag' Euch ein paar Zähne ein.

TRINCULO.
Nun, ich sagte ja nichts.
STEPHANO.
St also, und nichts weiter! – Fahre fort!
CALIBAN.
Durch Zauberei gewann er diese Insel,
Gewann von mir sie. Wenn nun deine Hoheit
Ihn strafen will – ich weiß, du hast das Herz,
Doch dies Ding hier hat keins –
STEPHANO.
Das ist gewiß.
CALIBAN.
So sollst du Herr drauf sein, ich will dir dienen.
STEPHANO.
Aber wie kommen wir damit zustande? Kannst du mir zu dem Handel Anweisung geben?
CALIBAN.
Ja, ja, mein Fürst! Ich liefr' ihn dir im Schlaf,
Wo du ihm seinen Kopf durchnageln kannst.
ARIEL.
Du lügst, du kannst nicht.
CALIBAN.
Der scheckige Hanswurst! Du lump'ger Narr! –

Ich bitte deine Hoheit, gib ihm Schläge,
Und nimm ihm seine Flasche; ist die fort,
So mag er Lake trinken, denn ich zeig' ihm
Die frischen Quellen nicht.
STEPHANO.

Trinculo, stürze dich in keine weitere Gefahr: Unterbrich das Ungeheuer noch mit einem Worte, und, bei dieser Faust, ich gebe meiner Barmherzigkeit den Abschied und mache einen Stockfisch aus dir.

TRINCULO.
Wie? Was hab' ich getan? Ich habe nichts getan, ich will weiter weggehn.
STEPHANO.
Sagtest du nicht, er löge?
ARIEL.
Du lügst.
STEPHANO.
Lüg' ich? Da hast du was. Schlägt ihn. Wenn du das gern hast, straf mich ein andermal Lügen.
[639] TRINCULO.

Ich strafte Euch nicht Lügen. – Seid Ihr um Euern Verstand gekommen, und ums Gehör auch? Zum Henker Eure Flasche! So weit kann Sekt und Trinken einen bringen. – Daß die Pestilenz Euer Ungeheuer, und hol' der Teufel Eure Finger!

CALIBAN.
Ha ha ha!
STEPHANO.
Nun weiter in der Erzählung. – Ich bitte dich, steh beiseite.
CALIBAN.
Schlag' ihn nur tüchtig! Nach 'nem kleinen Weilchen
Schlag' ich ihn auch.
STEPHANO.
Weiter weg! – Komm, fahre fort!
CALIBAN.
Nun, wie ich sagte, 's ist bei ihm die Sitte,
Des Nachmittags zu ruhn; du kannst ihn würgen,
Hast du erst seine Bücher: mit 'nem Klotz
Den Schädel ihm zerschlagen, oder ihn
Mit einem Pfahl ausweiden, oder auch
Mit deinem Messer ihm die Kehl' abschneiden.
Denk' dran, dich erst der Bücher zu bemeistern,
Denn ohne sie ist er nur so ein Dummkopf,
Wie ich bin, und es steht kein einz'ger Geist
Ihm zu Gebot. Sie hassen alle ihn
So eingefleischt wie ich. Verbrenn' ihm nur
Die Bücher! Er hat schön Gerät (so nennt er's).
Sein Haus, wenn er eins kriegt, damit zu putzen.
Und was vor allem zu betrachten, ist
Die Schönheit seiner Tochter; nennt er selbst
Sie ohnegleichen doch. Ich sah noch nie ein Weib
Als meine Mutter Sycorax und sie:
Doch sie ist so weit über Sycorax,
Wie 's Größte übers Kleinste.
STEPHANO.
Ist es so 'ne schmucke Dirne?
CALIBAN.
Ja, Herr, sie wird wohl anstehn deinem Bett,
Das schwör' ich dir, und wackre Brut dir bringen.
STEPHANO.

Ungeheuer, ich will den Mann umbringen; seine Tochter und ich, wir wollen König und Königin sein (es lebe unsre Hoheit!), und Trinculo und du, ihr sollt Vizekönige werden. – Gefällt dir der Handel, Trinculo?

TRINCULO.
Vortrefflich!
[640] STEPHANO.

Gib mir deine Hand! Es tut mir leid, daß ich dich schlug: aber hüte dich dein Lebelang vor losen Reden!

CALIBAN.
In einer halben Stund' ist er im Schlaf:
Willst du ihn dann vertilgen?
STEPHANO.
Ja, auf meine Ehre!
ARIEL
beiseit.
Dies meld' ich meinem Herrn.
CALIBAN.
Du machst mich lustig, ich bin voller Freude:
So laßt uns jubeln! Wollt Ihr' s Liedlein trallern,
Das Ihr mich erst gelehrt?
STEPHANO.

Auf dein Begehren, Ungeheuer, will ich mich dazu verstehn, mich zu allem verstehn. Wohlan, Trinculo, laß uns singen!

Neckt sie und zeckt sie, und zeckt sie und neckt sie!

Gedanken sind frei!

CALIBAN.
Das ist die Weise nicht.

Ariel spielt die Melodie mit Trommel und Pfeife.
STEPHANO.
Was bedeutet das?
TRINCULO.
Es ist die Weise unsers Liedes, vom Herrn Niemand aufgespielt.
STEPHANO.

Wo du ein Mensch bist, zeige dich in deiner wahren Gestalt; bist du ein Teufel, so tu', was du willst!

TRINCULO.
O vergib mir meine Sünden!
STEPHANO.
Wer da stirbt, zahlt alle Schulden. Ich trotze dir. – Gott sei uns gnädig!
CALIBAN.
Bist du in Angst?
STEPHANO.
Nein, Ungeheuer, das nicht.
CALIBAN.
Sei nicht in Angst! Die Insel ist voll Lärm,
Voll Tön' und süßer Lieder, die ergötzen
Und niemand Schaden tun. Mir klimpern manchmal
Viel tausend helle Instrument' ums Ohr,
Und manchmal Stimmen, die mich, wenn ich auch
Nach langem Schlaf erst eben aufgewacht,
Zum Schlafen wieder bringen: dann im Traume
War mir, als täten sich die Wolken auf
Und zeigten Schätze, die auf mich herab
Sich schütten wollten, daß ich beim Erwachen
Aufs neu' zu träumen heulte.
[641] STEPHANO.
Dies wird mir ein tüchtiges Königreich werden, wo ich meine Musik umsonst habe.
CALIBAN.
Wenn Prospero vertilgt ist.
STEPHANO.
Das soll bald geschehn: ich habe die Geschichte noch im Kopf.
TRINCULO.
Der Klang ist im Abzuge. Laßt uns ihm folgen und dann unser Geschäft verrichten!
STEPHANO.

Geh voran, Ungeheuer, wir wollen folgen. – Ich wollte, ich könnte diesen Trommelschläger sehn; er hält sich gut.

TRINCULO.
Willst kommen? Ich folge, Stephano.

Alle ab.
Dritte Szene
Eine andre Gegend der Insel.

Alonso, Sebastian, Antonio, Gonzalo, Adrian, Francisco und andre.

GONZALO.
Bei unsrer Frauen, Herr, ich kann nicht weiter.
Die alten Knochenschmerzen mir; das heiß' ich
Ein Labyrinth durchwandern, grade aus
Und in geschlungnen Wegen! Mit Erlaubnis,
Ich muß notwendig ausruhn.
ALONSO.
Alter Herr,
Ich kann dich drum nicht tadeln, da ich selbst
Von Müdigkeit ergriffen bin, die ganz
Die Sinne mir betäubt: setz' dich und ruh'!
Hier tu' ich mich der Hoffnung ab und halte
Nicht länger sie als meine Schmeichlerin.
Er ist ertrunken, den zu finden so
Wir irre gehn, und des vergebnen Suchens
Zu Lande lacht die See. Wohl, fahr' er hin!
ANTONIO
beiseit zu Sebastian.
Mich freut's, daß er so ohne Hoffnung ist.
Gebt eines Fehlstreichs wegen nicht den Anschlag,
Den Ihr beschlossen, auf!
SEBASTIAN.
Den nächsten Vorteil
Laßt ja uns recht ersehn!
[642] ANTONIO.
Es sei zu Nacht.
Denn nun, bedrückt von der Ermüdung, werden
Und können sie sich nicht so wachsam halten
Als wie bei frischer Kraft.
SEBASTIAN.
Zu Nacht, sag' ich: nichts weiter!

Feierliche und seltsame Musik, und Prospero in der Höhe, unsichtbar.
ALONSO.
Welch eine Harmonie? Horcht, gute Freunde!
GONZALO.
Wundersam liebliche Musik!

Verschiedne seltsame Gestalten kommen und bringen eine besetzte Tafel. Sie tanzen mit freundlichen Gebärden der Begrüßung um dieselbe herum, und indem sie den König und die übrigen einladen zu essen, verschwinden sie.
ALONSO.
Verleih' uns gute Wirte, Gott! Was war das?
SEBASTIAN.
Ein lebend Puppenspiel. Nun will ich glauben,
Daß es Einhörner gibt, daß in Arabien
Ein Baum des Phönix Thron ist und ein Phönix
Zur Stunde dort regiert.
ANTONIO.
Ich glaube beides;
Und was man sonst bezweifelt, komme her,
Ich schwöre drauf, 's ist wahr. Nie logen Reisende,
Schilt gleich zu Haus der Tor sie.
GONZALO.
Meldet' ich
Dies nun in Napel, würden sie mir's glauben?
Sagt' ich, daß ich Eiländer hier gesehen
(Denn sicher sind dies Leute von der Insel),
Die, ungeheu'r gestaltet, dennoch, seht,
Von sanftern, mildern Sitten sind, als unter
Dem menschlichen Geschlecht ihr viele, ja
Kaum einen finden werdet.
PROSPERO
beiseit.
Wackrer Mann,
Du hast wohl recht! Denn manche dort von euch
Sind mehr als Teufel.
ALONSO.
Ich kann nicht satt mich wundern:
Gestalten solcher Art, Gebärde, Klang,
Die, fehlt gleich der Gebrauch der Zunge, trefflich
Ein Stumm Gespräch aufführen.
PROSPERO
beiseit.
Lobt beim Ausgang!
[643] FRANCISCO.
Sie schwanden seltsam.
SEBASTIAN.
Tut nichts, da sie uns
Die Mahlzeit ließen, denn wir haben Mägen. –

Beliebt's zu kosten, was hier steht?
ALONSO.
Mir nicht.
GONZALO.
Herr, hegt nur keine Furcht. In unsrer Jugend,
Wer glaubte wohl, es gebe Bergbewohner
Mit Wammen so wie Stier', an deren Hals
Ein Fleischsack hing? Es gebe Leute, denen
Der Kopf im Busen säße? als wovon
Jetzt jeder, der sein Schifflein läßt versichern,
Uns gute Kundschaft bringt.
ALONSO.
Ich gehe dran und esse,
Wär's auch mein letztes. Mag es! fühl' ich doch,
Das Beste sei vorüber. – Bruder, Herzog,
Geht dran und tut wie wir!

Donner und Blitz. Ariel kommt in Gestalt einer Harpye, schlägt mit seinen Flügeln auf die Tafel,
und vermittelst einer zierlichen Erfindung verschwindet die Mahlzeit.
ARIEL.
Ihr seid drei Sündenmänner, die das Schicksal
(Das diese niedre Welt, und was darinnen,
Als Werkzeug braucht) der nimmersatten See
Geboten auszuspein; und an dies Eiland,
Von Menschen unbewohnt, weil unter Menschen
Zu leben ihr nicht taugt. Ich macht' euch toll,

Alonso, Sebastian und die übrigen ziehn ihre Degen.

Und grad in solchem Mut ersäufen, hängen
Sich Menschen selbst. Ihr Toren! ich und meine Brüder
Sind Diener des Geschicks; die Elemente,
Die eure Degen härten, könnten wohl
So gut den lauten Wind verwunden, oder
Die stets sich schließenden Gewässer töten
Mit eitlen Streichen, als am Fittig mir
Ein Fläumchen kränken. Meine Mitgesandten sind
Gleich unverwundbar: könntet ihr auch schaden,
Zu schwer sind jetzt für eure Kraft die Degen
[644]
Und lassen sich nicht heben. Doch bedenkt
(Denn das ist meine Botschaft), daß ihr drei
Den guten Prospero verstießt von Mailand,
Der See ihn preisgabt, – die es nun vergolten, –

Ihn und sein harmlos Kind; für welche Untat
Die Mächte, zögernd, nicht vergessend, jetzt
Die See, den Strand, ja alle Kreaturen
Empöret gegen euern Frieden. Dich,
Alonso, haben sie des Sohns beraubt,
Verkünden dir durch mich: ein schleichend Unheil,
Viel schlimmer als ein Tod, der einmal trifft,
Soll Schritt vor Schritt auf jedem Weg dir folgen.
Um euch zu schirmen vor derselben Grimm,
Der sonst in diesem gänzlich öden Eiland
Aufs Haupt euch fällt, hilft nichts als Herzensleid
Und reines Leben künftig.

Er verschwindet unter Donnern; dann kommen die Gestalten bei einer sanften Musik wieder, tanzen mit allerlei Fratzengesichtern und tragen die Tafel weg.
PROSPERO
beiseit.
Gar trefflich hast du der Harpye Bildung
Vollführt, mein Ariel; ein Anstand war's, verschlingend!
Von meiner Vorschrift hast du nichts versäumt,
Was du zu sagen hattest; und so haben
Mit guter Art und seltsamen Gebräuchen
Auch meine untern Diener jeglicher
Sein Amt gespielt. Mein hoher Zauber wirkt,
Und diese meine Feinde sind gebunden
In ihrem Wahnsinn; sie sind in meiner Hand.
Ich lass' in diesem Anfall sie und gehe
Zum jungen Ferdinand, den tot sie glauben,
Und sein- und meinem Liebling.

Er verschwindet.
GONZALO.
In heil'ger Dinge Namen, Herr, was steht Ihr
So seltsam starrend?
ALONSO.
Oh, es ist gräßlich! gräßlich!
Mir schien, die Wellen riefen mir es zu,
Die Winde sangen mir es, und der Donner,
Die tiefe grause Orgelpfeife, sprach
[645]
Den Namen Prospero, sie rollte meinen Frevel.
Drum liegt mein Sohn im Schlamm gebettet, und
Ich will ihn suchen, wo kein Senkblei forschte.
Und mit verschlämmt da liegen.

Ab.
SEBASTIAN.
Gebt mir nur einen Teufel auf einmal,
So fecht' ich ihre Legionen durch!
ANTONIO.
Ich steh' dir bei.

Sebastian und Antonio ab.
GONZALO.
Sie alle drei verzweifeln; ihre große Schuld,
Wie Gift, das lang' nachher erst wirken soll,
Beginnt sie jetzt zu nagen. Ich ersuch' euch,
Die ihr gelenker seid, folgt ihnen nach
Und hindert sie an dem, wozu der Wahnsinn
Sie etwa treiben könnte.
ADRIAN.
Folgt, ich bitt' euch!

Alle ab.
[646]

Vierter Aufzug
Erste Szene

Vor Prosperos Zelle.

Prospero, Ferdinand und Miranda treten auf.

PROSPERO.
Hab' ich zu strenge Buß' Euch auferlegt,
So macht es die Vergeltung gut: ich gab
Euch einen Faden meines eignen Lebens,
Ja das, wofür ich lebe; noch einmal
Biet' ich sie deiner Hand. All deine Plage
War nur die Prüfung deiner Lieb', und du
Hast deine Probe wunderbar bestanden.
Hier vor des Himmels Angesicht bestät'ge
Ich dies mein reich Geschenk. O Ferdinand!
Lächl' über mich nicht, daß ich mit ihr prahle:
Denn du wirst finden, daß sie allem Lob
Zuvoreilt und ihr nach es hinken läßt.
FERDINAND.
Ich glaub' es auch, selbst gegen ein Orakel.
PROSPERO.
Als Gabe dann und selbsterworbnes Gut,
Würdig erkauft, nimm meine Tochter! Doch
Zerreißt du ihr den jungfräulichen Gürtel,
Bevor der heil'gen Feierlichkeiten jede
Nach hehrem Brauch verwaltet werden kann,
So wird der Himmel keinen Segenstau
Auf dieses Bündnis sprengen: dürrer Haß,
Scheeläugiger Verdruß und Zwist bestreut
Das Bett, das euch vereint, mit eklem Unkraut,
Daß ihr es beide haßt. Drum hütet euch,
So Hymens Kerz' euch leuchten soll!
FERDINAND.
So wahr
Ich stille Tag', ein blühendes Geschlecht
[647]
Und langes Leben hoff' in solcher Liebe
Als jetzo: nicht die dämmerigste Höhle,
Nicht der bequemste Platz, die stärkste Lockung
So unser böser Genius vermag,
Soll meine Ehre je in Wollust schmelzen,
Um abzustumpfen jenes Tages Feier,
Wann Phöbus' Zug gelähmt mir dünken wird,
Die Nacht gefesselt drunten.
PROSPERO.
Wohl gesprochen!
Sitz' denn und rede mit ihr, sie ist dein. –

He, Ariel, mein geflißner Diener Ariel!

Ariel kommt.
ARIEL.
Was will mein großer Meister? Ich bin da.
PROSPERO.
Vollbracht hast du mit den geringern Brüdern
Den letzten Dienst geziemend; und ich brauch' Euch
Aufs neu' zu so 'nem Streich. Geh, bring' hieher
Den Pöbel, über den ich Macht dir leihe.
Laß sie behend sich regen, denn ich muß
Die Augen dieses jungen Paares weiden
Mit Blendwerk meiner Kunst; ich hab's versprochen,
Und sie erwarten es von mir.
ARIEL.
Sogleich?
PROSPERO.
Jawohl, in einem Wink.
ARIEL.
Eh' du kannst sagen: komm und geh.
Atem holst und rufst: he he,
Mach' ich, wie ich geh' und steh',
Daß hier jeder auf der Zeh'
Sich mit Hokuspokus dreh'!
Liebst du mich, mein Meister? – Ne.
PROSPERO.
Herzlich, mein guter Ariel! Bleib' entfernt,
Bis du mich rufen hörst.
ARIEL.
Gut, ich verstehe.

Ab.
PROSPERO.
Sieh zu, daß du dein Wort hältst! Laß dem Tändeln
Den Zügel nicht zu sehr: die stärksten Schwüre
Sind Stroh dem Feu'r im Blut. Enthalt' dich mehr.
Sonst: gute Nacht, Gelübd'!
FERDINAND.
Herr, seid versichert,
[648]
Der weiße, kalte, jungfräuliche Schnee
An meiner Brust kühlt meines Blutes Hitze.
PROSPERO.
Gut!
Nun komm, mein Ariel! Bring' ein Übrig's lieber,
Als daß ein Geist uns fehlt; erschein', und artig! –

Kein Mund! Ganz Auge! Schweigt!

Sanfte Musik.

Iris tritt auf.
IRIS.
Ceres, du milde Frau! Dein reiches Feld
Voll Weizen, Roggen, Haber, Gerst' und Spelt;
Die Hügel, wo die Schaf' ihr Futter rauben
Und Wiesen, wo sie ruhn, bedeckt von Schauben;
Die Bäche mit betulptem, buntem Bord,
Vom wäss'rigen April verzieret auf dein Wort,
Zu keuscher Nymphen Kränzen; dein Gesträuch,
Wo der verstoßne Jüngling, liebebleich,
Sein Leid klagt; deine pfahlgestützten Reben;
Die Küsten, die sich felsig dürr erheben,
Wo du dich sonnst: des Himmels Königin,
Der Wasserbogen ich und Botin bin,
Heißt dich die alle lassen und, geladen
Auf diesen Rasenplatz, mit ihrer Gnaden
Ein Fest begehn. – Schon fliegt ihr Pfauenpaar:
Komm, reiche Ceres, stelle dich ihr dar!

Ceres tritt auf.
CERES.
Heil dir, vielfärb'ge Botin, die du sorgst,
Wie du der Gattin Jovis stets gehorchst;
Die du von Safranschwingen süßen Tau
Herab mir schüttest auf die Blumenau,
Und krönst mit deinem blauen Bogen schön
Die offnen Flächen und bebüschten Höh'n,
Ein Gürtel meiner stolzen Erde! Sprich:
Warum entbietet deine Herrin mich
Auf diesen kurzbegrasten Plan durch dich?
IRIS.
Ein Bündnis treuer Liebe hier zu feiern
Und eine Gabe willig beizusteuern
Zum Heil des Paares.
[649] CERES.
Sag mir, Himmelsbogen,
Du weißt's ja, kommt auch Venus hergezogen
Mit ihrem Sohn? Seit ihre List ersann,
Wodurch der düstre Dis mein Kind gewann,
Verschwor ich ihre samt des kleinen Blinden
Verrufene Gesellschaft.
IRIS.
Sie zu finden
Sei sorglos: ihre Gottheit traf ich schon,
Wie sie nach Paphos hin, mit ihrem Sohn,
Die Wolken teilt in ihrem Taubenwagen.
Sie dachten hier den Sieg davon zu tragen
Durch üpp'gen Zauber über diesen Mann
Und diese Jungfrau, so den Schwur getan,
Nicht zu vollziehn des Bettes heil'ge Pflichten,
Bis Hymens Fackel brennt. Allein mit nichten!
Mars' heiße Buhle machte sich davon,
Zerbrochen hat die Pfeil' ihr wilder Sohn:
Der Trotzkopf schwört, er will nicht weiter zielen,
Ganz Junge sein und nur mit Spatzen spielen.
CERES.
Da kommt der Juno höchste Majestät:
Ich kenne sie, wie stolz einher sie geht.

Juno tritt auf.
JUNO.
Wie geht es, güt'ge Schwester? Kommt herbei,
Dies Paar zu segnen, daß es glücklich sei
Und Ruhm erleb' an Kindern!

Lied

JUNO.
Ehre, Reichtum, Eh'bescherung,
Lange Dauer und Vermehrung!
Stündlich werde Lust zu teil euch!
Juno singt ihr hohes Heil euch.
CERES.
Hüll' und Füll', Gedeihen immer,
Scheun' und Boden ledig nimmer;
Reben, hoch voll Trauben rankend;
Pflanzen, von der Bürde wankend;
Frühling werd' euch schon erneuert,
Wann der Herbst kaum eingescheuert!
[650]
Dürftigkeit und Mangel meid' euch!
Ceres' Segen so geleit' euch!
FERDINAND.
Dies ist ein majestätisch Schauspiel, und
Harmonisch zum Bezaubern. Darf ich diese
Für Geister halten?
PROSPERO.
Geister, die mein Wissen
Aus ihren Schranken rief, um vorzustellen,
Was mir gefällt.
FERDINAND.
Hier laßt mich immer leben:
So wunderherrlich Vater und Gemahl
Macht mir den Ort zum Paradies.

Juno und Ceres sprechen leise, und senden Iris auf eine Botschaft.
PROSPERO.
Still, Lieber!
Juno und Ceres flüstern ernstiglich:
Es gibt noch was zu tun. St! und seid stumm,
Sonst ist der Zauber hin. –
IRIS.
Ihr Nymphen von den Bächen, die sich schlängeln,
Mit mildem Blick, im Kranz von Binsenstengeln!
Verlaßt die krummen Betten: auf dem Plan
Allhier erscheinet: Juno sagt's euch an.
Auf, keusche Nymphen, helft uns einen Bund
Der treuen Liebe feiern: kommt zur Stund!

Verschiedene Nymphen kommen.

Ihr braunen Schnitter, müde vom August!
Kommt aus den Furchen her zu einer Lust:
Macht Feiertag, schirmt euch mit Sommerhüten,
Den frischen Nymphen hier die Hand zu bieten
Zum Erntetanz!

Verschiedene Schnitter kommen, sauber gekleidet, die sich mit den Nymphen zu einem anmutigen Tanze vereinigen. Gegen das Ende desselben fährt Prospero plötzlich auf und spricht, worauf sie unter einem seltsamen, dumpfen und verworfnen Getöse langsam verschwinden.
PROSPERO
beiseit.
Vergessen hatt' ich ganz den schnöden Anschlag
Des Viehes Caliban und seiner Mitverschwornen,
[651]
Mich umzubringen; und der Ausführung
Minute naht. –

Zu den Geistern.

Schon gut! Brecht auf! Nichts mehr!
FERDINAND.
Seltsam! Eu'r Vater ist in Leidenschaft,
Die stark ihn angreift.
MIRANDA.
Nie bis diesen Tag
Sah ich ihn so von heft'gem Zorn bewegt.
PROSPERO.
Mein Sohn, Ihr blickt ja auf verstörte Weise,
Als wäret Ihr bestürzt: seid gutes Muts!
Das Fest ist jetzt zu Ende; unsre Spieler,
Wie ich Euch sagte, waren Geister, und
Sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft.
Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden
Die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur Teil hat, untergehn
Und, wie dies leere Schaugepräng' erblaßt,
Spurlos verschwinden. Wir sind solcher Zeug
Wie der zu Träumen, und dies kleine Leben
Umfaßt ein Schlaf. – Ich bin gereizt, Herr: habt
Geduld mit mir; mein alter Kopf ist schwindlicht.
Seid wegen meiner Schwachheit nicht besorgt.
Wenn's dir gefällt, begib dich in die Zelle
Und ruh' da; ich will auf und ab hier gehn,
Um mein Gemüt zu stillen.
FERDINAND UND MIRANDA.
Findet Frieden!

Beide ab.
PROSPERO.
Komm wie ein Wind! – Ich dank' dir. – Ariel, komm!

Ariel kommt.
ARIEL.
An deinen Winken häng' ich. Was beliebt dir?
PROSPERO.
Geist,
Wir müssen gegen Caliban uns rüsten.
ARIEL.
Ja, mein Gebieter; als ich die Ceres spielte,
Wollt' ich dir's sagen, doch ich war besorgt,
Ich möchte dich erzürnen.
PROSPERO.
Sag noch einmal, wo ließest du die Buben?
[652] ARIEL.
Ich sagt' Euch, Herr, sie glühten ganz vom Trinken,
Voll Mutes, daß sie hieben in den Wind,
Weil er sie angehaucht; den Boden schlugen,
Der ihren Fuß geküßt; doch stets erpicht
Auf ihren Plan. Da rührt' ich meine Trommel;
Wie wilde Füllen spitzten sie das Ohr
Und machten Augen, hoben ihre Nasen,
Als röchen sie Musik. Ihr Ohr betört' ich so,
Daß sie wie Kälber meinem Brüllen folgten
Durch scharfe Disteln, Stechginst, Strauch und Dorn,
Die ihre Beine ritzten; endlich ließ ich
Im grünen Pfuhl sie, jenseit Eurer Zelle,
Bis an den Hals drin watend, daß die Lache
Die Füße überstank.
PROSPERO.
Gut so, mein Vogel!
Behalt' die unsichtbare Bildung noch!
Den Trödelkram in meinem Hause, geh,
Bring' ihn hieher, dies Diebsvolk anzukörnen!
ARIEL.
Ich geh'! Ich geh'!

Ab.
PROSPERO.
Ein Teufel, ein geborner Teufel ist's,
An dessen Art die Pflege nimmer haftet,
An dem die Mühe, die ich menschlich nahm,
Ganz, ganz verloren ist, durchaus verloren;
Und wie sein Leib durchs Alter garst'ger wird,
Verstocktsein Sinn sich. Alle will ich plagen,
Bis zum Gebrüll.

Ariel kommt zurück mit glänzenden Kleidungsstücken.

Komm, häng's an diese Schnur!

Prospero und Ariel bleiben, unsichtbar. Caliban, Stephano und Trinculo kommen ganz durchnäßt.
CALIBAN.
Ich bitt' euch, tretet sacht! Der blinde Maulwurf
Hör' unsern Fuß nicht fallen; wir sind jetzt
Der Zelle nah.
STEPHANO.

Ungeheuer, dein Elfe, von dem du sagst, er sei ein harmloser Elfe, hat eben nichts Bessers getan, als uns zum Narren gehabt.

[653] TRINCULO.
Ungeheuer, ich rieche lauter Pferdeharn, worüber meine Nase höchlich entrüstet ist.
STEPHANO.
Meine auch. Hörst du, Ungeheuer? Sollt' ich ein Mißfallen auf dich werfen, siehst du –
TRINCULO.
Du wärst ein geliefertes Ungeheuer.
CALIBAN.
Mein bester Fürst, bewahr' mir deine Gunst;
Sei ruhig, denn der Preis, den ich dir schaffe,
Verdunkelt diesen Unfall: drum sprich leise,
's ist alles still wie Nacht.
TRINCULO.
Ja, aber unsre Flaschen in dem Pfuhl zu verlieren!
STEPHANO.
Das ist nicht nur eine Schmach und Beschimpfung, Ungeheuer, sondern ein unermeßlicher Verlust.
TRINCULO.
Daran liegt mir mehr als an meinem Naßwerden; und das ist nun dein harmloser Elfe, Ungeheuer!
STEPHANO.
Ich will meine Flasche herausholen, käm' ich auch für die Mühe bis über die Ohren hinein.
CALIBAN.
Bitt' dich, sei still, mein König! Siehst du hier
Der Zelle Mündung: ohne Lärm hinein,
Und tu' den guten Streich, wodurch dies Eiland
Auf immer dein, und ich dein Caliban,
Dein Füßelecker werde.
STEPHANO.
Gib mir die Hand: ich fange an, blutige Gedanken zu haben.
TRINCULO.
O König Stephano! O Herr! O würd'ger Stephano!
Sieh, welch eine Garderobe hier für dich ist!
CALIBAN.
Laß es doch liegen, Narr; es ist nur Plunder.
TRINCULO.
O ho, Ungeheuer! Wir wissen, was auf den Trödel gehört. – O König Stephano!
STEPHANO.
Nimm den Mantel herunter, Trinculo; bei meiner Faust! ich will den Mantel!
TRINCULO.
Deine Hoheit soll ihn haben.
CALIBAN.
Die Wassersucht ersäuf den Narr'n! Was denkt ihr,
Vergafft zu sein in solche Lumpen? Laßt,
Und tut den Mord erst; wacht er auf, er zwickt
Vom Wirbel bis zum Zeh' die Haut uns voll,
Macht seltsam Zeug aus uns.
STEPHANO.

Halt' dich ruhig, Ungeheuer! Madame Linie, ist nicht dies mein Wams? Nun ist das Wams unter der Linie; [654] nun, Wams, wird dir wohl das Haar ausgehn, und du wirst ein kahles Wams werden.

TRINCULO.
Nur zu! nur zu! Wir stehlen recht nach der Schnur, mit Eurer Hoheit Erlaubnis.
STEPHANO.

Ich danke dir für den Spaß, da hast einen Rock dafür. Witz soll nicht unbelohnt bleiben, solang' ich König in diesem Lande bin. »Nach der Schnur stehlen«, ist ein kapitaler Einfall. Da hast du noch einen Rock dafür.

TRINCULO.
Komm, Ungeheuer, schmiere deine Finger, und fort mit dem Übrigen!
CALIBAN.
Ich will's nicht: wir verlieren unsre Zeit
Und werden all' in Baumgäns' oder Affen
Mit schändlich kleiner Stirn verwandelt werden.
STEPHANO.

Ungeheuer, tüchtig angepackt! Hilf mir dies hintragen, wo mein Oxhoft Wein ist, oder ich jage dich zu meinem Königreich hinaus. Frisch! trage dies!

TRINCULO.
Dies auch.
STEPHANO.
Ja, und dies auch.

Ein Getöse von Jägern wird gehört.

Es kommen mehr Geister in Gestalt von Hunden, und jagen sie umher. Prospero und Ariel hetzen diese an.
PROSPERO.
Sasa, Waldmann, sasa!
ARIEL.
Tiger! da läuft's, Tiger!
PROSPERO.
Packani Packan! Da, Sultan, da! Faß! faß!
Caliban, Stephane und Trinculo werden hinausgetrieben.

Geh, heiß' die Kobold' ihr Gebein zermalmen
Mit starren Zuckungen, die Sehnen straff
Zusammenkrampfen und sie fleck'ger zwicken
Als wilde Katz' und Panther.
ARIEL.
Horch, sie brüllen!
PROSPERO.
Laß brav herum sie hetzen! Diese Stunde
Gibt alle meine Feind' in meine Hand;
In kurzem enden meine Müh'n, und du
Sollst frei die Luft genießen: auf ein Weilchen
Folg' noch und tu' mir Dienst!

Ab.
[655]

Fünfter Aufzug
Erste Szene

Vor Prosperos Zelle.

Prospero in seiner Zaubertracht und Ariel treten auf.

PROSPERO.
Jetzt naht sich der Vollendung mein Entwurf,
Mein Zauber reißt nicht, meine Geister folgen,
Die Zeit geht aufrecht unter ihrer Last.
Was ist's am Tag?
ARIEL.
Die sechste Stunde, Herr,
Um welche Zeit Ihr sagtet, daß das Werk
Ein Ende nehmen solle.
PROSPERO.
Ja, ich sagt' es,
Als ich den Sturm erregte. Sag, mein Geist,
Was macht der König jetzt und sein Gefolg'?
ARIEL.
Gebannt zusammen auf dieselbe Weise,
Wie Ihr mir auftrugt; ganz wie Ihr sie ließt;
Gefangen alle, Herr, im Lindenwäldchen.
Das Eure Zelle schirmt: sie können sich
Nicht rippeln, bis Ihr sie erlöst. Der König,
Sein Bruder, Eurer, alle drei im Wahnsinn.
Die andern trauren um sie, übervoll
Von Gram und Schreck; vor allen er, den Ihr
»Den guten alten Herrn Gonzalo« nanntet.
Die Tränen rinnen ihm am Bart hinab,
Wie Wintertropfen an der Trauf' aus Rohr.
Eu'r Zauber greift sie so gewaltig an,
Daß, wenn Ihr jetzt sie sähet, Eu'r Gemüt
Erweichte sich.
PROSPERO.
Glaubst du das wirklich, Geist?
ARIEL.
Meins würd' es, wär' ich Mensch.
[656] PROSPERO.
Auch meines soll's.
Hast du, der Luft nur ist, Gefühl und Regung
Von ihrer Not? und sollte nicht ich selbst,
Ein Wesen ihrer Art, gleich scharf empfindend,
Leidend wie sie, mich milder rühren lassen?
Obschon ihr Frevel tief ins Herz mir drang,
Doch nehm' ich gegen meine Wut Partei
Mit meinem edlern Sinn: der Tugend Übung
Ist höher als der Rache; da sie reuig sind,
Erstreckt sich meines Anschlags ein'ger Zweck
Kein Stirnerunzeln weiter: geh, befrei' sie!
Ich will den Zauber brechen, ihre Sinne
Herstellen, und sie sollen nun sie selbst sein.
ARIEL.
Ich will sie holen, Herr.

Ab.
PROSPERO.
Ihr Elfen von den Hügeln, Bächen, Hainen;
Und ihr, die ihr am Strand, spurloses Fußes,
Den ebbenden Neptunus jagt und flieht,
Wann er zurückkehrt; halbe Zwerge, die ihr
Bei Mondschein grüne saure Ringlein macht,
Wovon das Schaf nicht frißt; die ihr zur Kurzweil
Die nächt'gen Pilze macht; die ihr am Klang
Der Abendglock' euch freut; mit deren Hülfe
(Seid ihr gleich schwache Fäntchen) ich am Mittag
Die Sonn' umhüllt, aufrühr'sche Wind' entboten,
Die grüne See mit der azurnen Wölbung
In lauten Kampf gesetzt, den furchtbar'n Donner
Mit Feu'r bewehrt, und Jovis' Baum gespalten
Mit seinem eignen Keil, des Vorgebirgs
Grundfest' erschüttert, ausgerauft am Knorren
Die Ficht' und Zeder; Grüft', auf mein Geheiß,
Erweckten ihre Toten, sprangen auf
Und ließen sie heraus, durch meiner Kunst
Gewalt'gen Zwang: doch dieses grause Zaubern
Schwör' ich hier ab; und hab' ich erst, wie jetzt
Ich's tue, himmlische Musik gefodert,
Zu wandeln ihre Sinne, wie die luft'ge
Magie vermag: so brech' ich meinen Stab,
Begrab' ihn manche Klafter in die Erde,
[657]
Und tiefer, als ein Senkblei je geforscht,
Will ich mein Buch ertränken.

Feierliche Musik.

Ariel kommt zurück; Alonso folgt ihm mit rasender Gebärde, begleitet von Gonzalo; Sebastian und Antonio ebenso, von Adrian und Francisco begleitet: sie treten alle in den Kreis, den Prospero gezogen hat, und stehn bezaubert da. Prospero bemerkt es und spricht.

Ein feierliches Lied, der beste Tröster
Zur Heilung irrer Phantasie! – Dein Hirn,
Jetzt nutzlos, kocht im Schädel dir: da steht!
Denn ihr seid festgebannt. –

Heil'ger Gonzalo! ehrenwerter Mann!
Mein Auge läßt, befreundet mit dem Tun
Des deinen, brüderliche Tropfen fallen.
Allmählich löst sich die Bezaub'rung auf,
Und wie die Nacht der Morgen überschleicht,
Das Dunkel schmelzend, fangen ihre Sinnen
Erwachend an, den blöden Dunst zu scheuchen,
Der noch die hellere Vernunft umhüllt:
O wackerer Gonzalo! mein Erretter,
Und redlicher Vasall dem, so du folgst!
Ich will dein Wohltun reichlich lohnen, beides
Mit Wort und Tat. – Höchst grausam gingst du um
Mit mir, Alonso, und mit meiner Tochter;
Dein Bruder war ein Förderer der Tat –

Das nagt dich nun, Sebastian! – Fleisch und Blut,
Mein Bruder du, der Ehrgeiz hegte, austrieb
Gewissen und Natur; der mit Sebastian
(Des inn're Pein deshalb die stärkste) hier
Den König wollte morden! Ich verzeih' dir,
Bist du schon unnatürlich. – Ihr Verstand
Beginnt zu schwellen, und die nah'nde Flut
Wird der Vernunft Gestad' in kurzem füllen,
Das daliegt, schwarz und schlammig. – Nicht einer drunter,
Der schon mich ansäh' oder kennte. – Ariel,
Hol' mir den Hut und Degen aus der Zelle,

Ariel ab.

[658]
Auf daß ich mich entlarv' und stelle dar
Als Mailand, so wie vormals. – Hurtig, Geist,
Du wirst nun eh'stens frei..

Ariel kommt singend zurück und hilft den Prospero ankleiden.
ARIEL.
Wo die Bien', saug' ich mich ein,
Bette mich in Maiglöcklein,
Lausche da, wenn Eulen schrein,
Fliege mit der Schwalben Reih'n
Lustig hinterm Sommer drein.
Lustiglich, lustiglich leb' ich nun gleich
Unter den Blüten, die hängen am Zweig.
PROSPERO.
Mein Liebling Ariel! Ja, du wirst mir fehlen,
Doch sollst du Freiheit haben. So, so, so!
Unsichtbar, wie du bist, zum Schiff des Königs,
Wo du das Seevolk schlafend finden wirst
Im Raum des Schiffs: den Schiffspatron und Bootsmann,
Sobald sie wach sind, nöt'ge sie hieher;
Und gleich, ich bitte dich.
ARIEL.
Ich trink' im Flug die Luft und bin zurück,
Eh' zweimal Euer Puls schlägt.

Ab.
GONZALO.
Nur Qual, Verwirrung, Wunder und Entsetzen
Wohnt hier: führ' eine himmlische Gewalt uns
Aus diesem furchtbar'n Lande!
PROSPERO.
Seht, Herr König,
Mailands gekränkten Herzog, Prospero:
Und zum Beweis, daß ein lebend'ger Fürst
Jetzt mit dir spricht, umarm' ich deinen Körper
Und heiße dich und dein Gefolge herzlich
Willkommen hier.
ALONSO.
Ob du es bist, ob nicht,
Ob ein bezaubert Spielwerk, mich zu täuschen,
Wie ich noch eben, weiß ich nicht: dein Puls
Schlägt wie von Fleisch und Blut; seit ich dich sah,
Genas die Seelenangst, womit ein Wahnsinn
Mich drückte, wie ich fürchte. Dies erfodert,
Wenn's wirklich ist, die seltsamste Geschichte.
[659]
Dein Herzogtum geb' ich zurück, und bitte,
Vergib mein Unrecht mir! – Doch wie kann Prospero
Am Leben sein und hier?
PROSPERO.
Erst, edler Freund,
Laß mich dein Alter herzen, dessen Ehre
Nicht Maß noch Grenze kennt.
GONZALO.
Ob dies so ist,
Ob nicht, will ich nicht schwören.
PROSPERO.
Ihr erprobt
Kunststücke dieser Insel noch, die Euch
Nicht für gewiß die Dinge halten lassen.
Willkommen, meine Freunde!

Beiseit zu Antonio und Sebastian.

Aber ihr,
Mein Paar von Herren, wär' ich so gesinnt,
Ich könnte seiner Hoheit Zorn euch zuziehn
Und des Verrats euch zeihen: doch ich will
Nicht plaudern jetzt.
SEBASTIAN
beiseit.
Der Teufel spricht aus ihm.
PROSPERO.
Nein. –

Euch, schlechter Herr, den Bruder nur zu nennen
Schon meinen Mund beflecken würd', erlass' ich
Den ärgsten Fehltritt; alle; und verlange
Mein Herzogtum von dir, das du, ich weiß,
Durchaus mußt wiedergeben.
ALONSO.
Bist du Prospero,
Meld' uns das Nähere von deiner Rettung;
Wie du uns trafst, die vor drei Stunden hier
Am Strand gescheitert, wo für mich verloren
(Wie scharf der Stachel der Erinn'rung ist!)
Mein Sohn! mein Ferdinand!
PROSPERO.
Herr, ich beklag's.
ALONSO.
Unheilbar ist der Schad', und die Geduld
Sagt, sie vermag hier nichts.
PROSPERO.
Ich denke eher,
Ihr suchtet ihre Hülfe nicht, durch deren
Sanftmüt'ge Huld bei ähnlichem Verlust
[660]
Ich ihres hohen Beistands teilhaft ward
Und mich zufrieden gab.
ALONSO.
Ihr ähnlichen Verlust?
PROSPERO.
Gleich groß für mich, gleich neu; und ihn erträglich
Zu finden, hab' ich doch weit schwächre Mittel,
Als Ihr zum Trost herbei könnt rufen: ich
Verlor ja meine Tochter.
ALONSO.
Eine Tochter?
O Himmel! wären sie doch beid' in Napel
Am Leben, König dort und Königin!
Wenn sie's nur wären, wünscht' ich selbst versenkt
In jenes schlamm'ge Bett zu sein, wo jetzt
Mein Sohn liegt. Wann verlort Ihr Eure Tochter?
PROSPERO.
Im letzten Sturm. Ich merke, diese Herrn
Sind ob dem Vorfall so verwundert, daß
Sie ihren Witz verschlingen und kaum denken,
Ihr Aug' bediene recht sie, ihre Worte
Sei'n wahrer Odem; doch, wie sehr man euch
Gedrängt aus euren Sinnen, wißt gewiß,
Daß Prospero ich bin, derselbe Herzog,
Von Mailand einst verstoßen; der höchst seltsam
An diesem Strand, wo ihr gescheitert, ankam,
Hier Herr zu sein. Nichts weiter noch hievon!
Denn eine Chronik ist's von Tag zu Tag,
Nicht ein Bericht bei einem Frühstück, noch
Dem ersten Wiedersehen angemessen.
Willkommen, Herr! Die Zell' da ist mein Hof.
Hier hab' ich nur ein klein Gefolg', und auswärts
Nicht einen Untertan: seht doch hinein!
Weil Ihr mein Herzogtum mir wiedergebt,
Will ich's mit eben so was Gutem lohnen,
Ein Wunder mind'stens auftun, daß Euch freue
So sehr als mich mein Herzogtum.

Der Eingang der Zelle öffnet sich, und man sieht Ferdinand und Miranda, die Schach zusammen spielen.
MIRANDA.
Mein Prinz, Ihr spielt mir falsch.
[661] FERDINAND.
Mein teures Leben,
Das tät' ich um die Welt nicht.
MIRANDA.
Ja, um ein Dutzend Königreiche würdet
Ihr hadern, und ich nennt' es ehrlich Spiel.
ALONSO.
Wenn dies nichts weiter ist als ein Gesicht
Der Insel, werd' ich einen teuren Sohn
Zweimal verlieren.
SEBASTIAN.
Ein erstaunlich Wunder!
FERDINAND.
Droht gleich die See, ist sie doch mild: ich habe
Sie ohne Grund verflucht.

Er kniet vor Alonso.
ALONSO.
Nun, aller Segen
Des frohen Vaters fasse rings dich ein!
Steh auf und sag, wie kamst du her?
MIRANDA.
O Wunder!
Was gibt's für herrliche Geschöpfe hier!
Wie schön der Mensch ist! Wackre neue Welt,
Die solche Bürger trägt!
PROSPERO.
Es ist dir neu.
ALONSO.
Wer ist dies Mädchen da, mit dem du spieltest?
Drei Stunden kaum kann die Bekanntschaft alt sein.
Ist sie die Göttin, die uns erst getrennt,
Und so zusammenbringt?
FERDINAND.
Herr, sie ist sterblich,
Doch durch unsterbliches Verhängnis mein.
Ich wählte sie, als ich zu Rat den Vater
Nicht konnte ziehn, noch glaubt', ich habe einen.
Sie ist die Tochter dieses großen Herzogs
Von Mailand, dessen Ruhm ich oft gehört,
Doch nie zuvor ihn sah; von ihm empfing ich
Ein zweites Leben, und zum zweiten Vater
Macht ihn dies Fräulein mir.
ALONSO.
Ich bin der ihre;
Doch oh, wie seltsam klingt's, daß ich mein Kind
Muß um Verzeihung bitten!
PROSPERO.
Haltet, Herr:
Laßt die Erinnerung uns nicht belasten
Mit dem Verdrusse, der vorüber ist.
GONZALO.
Ich habe innerlich geweint, sonst hätt' ich
[662]
Schon längst gesprochen. Schaut herab, ihr Götter,
Senkt eine Segenskron' auf dieses Paar!
Denn ihr seid's, die den Weg uns vorgezeichnet,
Der uns hieher gebracht.
ALONSO.
Ich sage Amen!
GONZALO.
Ward Mailand darum weggebannt von Mailand,
Daß sein Geschlecht gelangt' auf Napels Thron?
O freut mit seltner Freud' euch; grabt's mit Gold
In ew'ge Pfeiler ein: auf einer Reise
Fand Claribella den Gemahl in Tunis,
Und Ferdinand, ihr Bruder, fand ein Weib,
Wo man ihn selbst verloren; Prospero
Sein Herzogtum in einer armen Insel;
Wir all' uns selbst, da niemand sein war.
ALONSO
zu Ferdinand und Miranda.
Gebt
Die Hände mir! Umfasse Gram und Leid
Stets dessen Herz, der euch nicht Freude wünscht!
GONZALO.
So sei es, Amen!

Ariel kommt mit dem Schiffspatron und Bootsmann, die ihm betäubt folgen.

O seht, Herr! seht, Herr! Hier sind unser mehr.
Ich prophezeite, gäb's am Lande Galgen,
So könnte der Geselle nicht ersaufen.
Nun, Lästerung, der du die Gottesfurcht
Vom Bord fluchst, keinen Schwur hier auf dem Trocknen?
Hast keinen Mund zu Land? Was gibt es Neues?
BOOTSMANN.
Das beste Neue ist, daß wir den König
Und die Gesellschaft wohlbehalten sehn;
Das nächste: unser Schiff, das vor drei Stunden
Wir für gescheitert ansahn, ist so dicht,
So fest und brav getakelt, als da erst
In See wir stachen.
ARIEL
beiseit.
Herr, dies alles hab' ich
Besorgt, seitdem ich ging.
PROSPERO
beiseit.
Mein flinker Geist!
ALONSO.
All dies geht nicht natürlich zu: von Wundern
Zu Wundern steigt es. – Sagt, wie kamt Ihr her?
[663] BOOTSMANN.
Herr, wenn ich dächte, ich wär' völlig wach,
Versucht' ich, Euch es kund zu tun. Wir lagen
In Totenschlaf und (wie, das weiß ich nicht)
All' in den Raum gepackt; da wurden wir
Durch wunderbar und mancherlei Getöse
Von Brüllen, Kreischen, Heulen, Kettenklirren
Und mehr Verschiedenheit von Lauten, alle gräßlich,
Jetzt eben aufgeweckt; alsbald in Freiheit;
Wo wir in voller Pracht, gesund und frisch,
Sahn unser königliches, wackres Schiff,
Und der Patron sprang gaffend drum herum:
Als wir im Nu, mit Eurer Gunst, wie träumend
Von ihnen weggerissen und verdutzt
Hier wurden hergebracht.
ARIEL
beiseit.
Macht' ich es gut?
PROSPERO.
Recht schön, mein kleiner Fleiß! Du wirst auch frei.
ALONSO.
Dies ist das wunderbarste Labyrinth,
Das je ein Mensch betrat; in diesem Handel
Ist mehr, als unter Leitung der Natur
Je vorging: ein Orakel muß darein
Uns Einsicht öffnen.
PROSPERO.
Herr, mein Lehenshaupt,
Verstört nicht Eu'r Gemüt durch Grübeln über
Der Seltsamkeit des Handels; wenn wir Muße
Gesammelt, was in kurzem wird geschehn,
Will ich Euch Stück für Stück Erklärung geben,
Die Euch gegründet dünken soll, von jedem
Ereignis, das geschehn: so lang' seid fröhlich
Und denket gut von allem! –
Beiseit.

Geist, komm her!
Mach' Caliban und die Gesellen frei,
Lös' ihren Bann! –

Ariel ab.

Was macht mein gnäd'ger Herr?
Es fehlen vom Gefolg' Euch noch ein paar
Spaßhafte Bursche, die Ihr ganz vergeßt.

Ariel kommt zurück und treibt Caliban, Stephano und Trinculo in ihren gestohlnen Kleidern vor sich her.
[664] STEPHANO.

Jeder mache sich nur für alle übrigen zu schaffen, und keiner sorge für sich selbst, denn alles ist nur Glück. – Courage, Blitzungeheuer, Courage!

TRINCULO.

Wenn dies wahrhafte Kundschafter sind, die ich im Kopfe trage, so gibt es hier was Herrliches zu sehn.

CALIBAN.
O Setebos, das sind mir wackre Geister!
Wie schön mein Meister ist! Ich fürchte mich,
Daß er mich zücht'gen wird.
SEBASTIAN.
Ha, ha!
Was sind das da für Dinger, Prinz Antonio?
Sind sie für Geld zu Kauf?
ANTONIO.
Doch wohl! Der eine
Ist völlig Fisch, und ohne Zweifel marktbar.
PROSPERO.
Bemerkt nur dieser Leute Tracht, ihr Herrn,
Und sagt mir dann, ob sie wohl ehrlich sind.
Der mißgeschaffne Schurke – seine Mutter
War eine Hex', und zwar so stark, daß sie
Den Mond in Zwang hielt, Flut und Ebbe machte
Und außer ihrem Kreis Gebote gab. –

Die drei beraubten mich; und der Halbteufel
(Denn so ein Bastard ist er) war mit ihnen
Verschworen, mich zu morden. Ihr müßt zwei
Von diesen Kerlen kennen als die euren;
Und dies Geschöpf der Finsternis erkenn' ich
Für meines an.
CALIBAN.
Ich werde tot gezwickt!
ALONSO.
Ist dies nicht Stephano, mein trunkner Kellner?
SEBASTIAN.
Er ist jetzt betrunken: wo hat er Wein gekriegt?
ALONSO.
Und Trinculo ist auch zum Torkeln voll:
Wo fanden sie nur diesen Wundertrank,
Der sie verklärt? Wie kamst du in die Brühe?
TRINCULO.

Ich bin so eingepökelt worden, seit ich Euch zuletzt sah, daß ich fürchte, es wird nie wieder aus meinen Knochen herausgehn. Vor den Schmeißfliegen werde ich sicher sein.

SEBASTIAN.
Nun, Stephano, wie geht's?
STEPHANO.
O rührt mich nicht an! Ich bin nicht Stephano, sondern ein Krampf.
[665] PROSPERO.
Ihr wolltet hier auf der Insel König sein, Schurke?
STEPHANO.
Da wär' ich ein geschlagner König gewesen.
ALONSO
auf Caliban zeigend.
Nie sah ich ein so seltsam Ding als dies.
PROSPERO.
Er ist so ungeschlacht in seinen Sitten
Als von Gestalt. – Geh, Schurk', in meine Zelle,
Nimm deine Spießgesellen mit: wo du
Vergebung wünschest, putze nett sie auf!
CALIBAN.
Das will ich, ja; will künftig klüger sein
Und Gnade suchen: welch dreifacher Esel
War ich, den Säufer für 'nen Gott zu halten
Und anzubeten diesen dummen Narr'n!
PROSPERO.
Mach' zu! Hinweg!
ALONSO.
Fort! Legt den Trödel ab, wo ihr ihn fandet!
SEBASTIAN.
Vielmehr, wo sie ihn stahlen.

Caliban, Stephano und Trinculo ab.
PROSPERO.
Ich lade Eure Hoheit nebst Gefolge
In meine arme Zell', um da zu ruhn
Für diese eine Nacht, die ich zum Teil
Mit solchen Reden hinzubringen denke,
Worunter sie, wie ich nicht zweifle, schnell
Wird hingehn: die Geschichte meines Lebens
Und die besondern Fälle, so geschehn,
Seit ich hieher kam; und am Morgen früh
Führ' ich euch hin zum Schiff und so nach Napel.
Dort hab' ich Hoffnung, die Vermählungsfeier
Von diesen Herzgeliebten anzusehn.
Dann zieh' ich in mein Mailand, wo mein dritter
Gedanke soll das Grab sein.
ALONSO.
Mich verlangt
Zu hören die Geschichte Eures Lebens,
Die wunderbar das Ohr bestricken muß.
PROSPERO.
Ich will es alles kund tun, und verspreche
Euch stille See, gewognen Wind, und Segel
So rasch, daß Ihr die königliche Flotte
Weit weg erreichen sollt. –

Beiseit.

Mein Herzens-Ariel,
Dies liegt dir ob; dann in die Elemente!
Sei frei und leb du wohl! – Beliebt's Euch, kommt!
[666]

Epilog

von Prospero gesprochen

Hin sind meine Zauberei'n,

Was von Kraft mir bleibt, ist mein,

Und das ist wenig: nun ist's wahr,

Ich muß hier bleiben immerdar,

Wenn ihr mich nicht nach Napel schickt.

Da ich mein Herzogtum entrückt

Aus des Betrügers Hand, dem ich

Verziehen, so verdammet mich

Nicht durch einen harten Spruch

Zu dieses öden Eilands Fluch.

Macht mich aus des Bannes Schoß

Durch eure will'gen Hände los.

Füllt milder Hauch aus Euerm Mund

Mein Segel nicht, so geht zu Grund

Mein Plan; er ging auf eure Gunst.

Zum Zaubern fehlt mir jetzt die Kunst;

Kein Geist, der mein Gebot erkennt;

Verzweiflung ist mein Lebensend',

Wenn nicht Gebet mir Hülfe bringt,

Welches so zum Himmel dringt,

Daß es Gewalt der Gnade tut

Und macht jedweden Fehltritt gut.


Wo ihr begnadigt wünscht zu sein,

Laßt eure Nachsicht mich befrein.[667]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Komödien. Der Sturm. Der Sturm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0B76-F