[115] Meinem theuern Lehrer, dem Rektor Korbinsky in Borna

Lieber, guter, alter, verehrungswürdiger Graubart,
Nimm den Dank hier meines Herzens in dieser Epistel,
Den nur ein reines Gefühl, und nicht schön klingende Phrasen,
Freudig dir bringt für so viel mannigfaltige Wohlthat:
Mehr als Dank kann dir der ehrliche Krieger nicht geben;
Und ein Herz, wie das deinige, ist mit dem Zolle zufrieden.
Jetzt noch schweben auf lustigen Schwingen die goldenen Tage,
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Bey dir einst so heiter verlebt, mir im Geiste vorüber:
Wie ich am Eintritt in deine patriarchalische Hütte,
Hochaufblickend der neuen fremden Erscheinungen, da stand;
Wie du dann väterlich traulich den wilden trotzigen Krauskopf
Rechts, links, vorwärts und rückwärts in der Bibel herum führtst,
Und ob meiner kernigen Exegese den Kopf nicktst.
Da war mir Grammatik so fremd wie böhmische Dörfer;
Und von Sprachen verstand ich nur die Epistel von Pfingsten,
Parther und Meder und Elamiter und Judengenossen,
Kreter und Araber, und wie die Leute der Reihe nach hießen.
Da fing ich an denn Amo mit ziemlichem Fleiße zu lernen,
Und ich hab' es seitdem, wie ich glaub', auch ziemlich begriffen:
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Vapulo hat mich das labyrinthische Schicksal gelehret,
Und mich oft in das Passivum von Typto geschlagen.
Himmel, mit welcher Begier ergriff ich den ledernen Nepos,
Und zerzauste das Non dubito fore grausam erbärmlich,
Wie im Herbst ein ehrlicher Märker die Teltauer Rüben.
War es doch eine erfreuliche Zeit in der russigen Klasse,
Wenn wir so die Verba in Mi im Paläphatus peitschten,
Daß in der ganzen Grammatik nicht ein einziges Blatt war,
Das nicht der bleyerne Finger zum lieblichen Ohre gebogen;
Und im neuen Testamente mit brennenden Angstschweiß
Jeder sein Verschen grammatikaliter auswurzelte.
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Und dann, wenn wir saßen beym zentnerschweren Atlas,
Und im Sprunge vom Kattegat setzten bis in die Levante,
Und von Stambul stracks mit einem Fuße nach Japan
Und mit dem andern hinüber ins eisige Feuerland traten.
Der Großmogul war uns ein Ungeheuer von Reichthum,
Und vor ihm die Britten mit allen Guineen nur Bettler.
Du weißt noch, wie ich mit dem Spaten den Garten duchwühlte,
Wetternd auf Maulwurf und Kröte, die Kohl mir und Gurken verdarben;
Wie ich dann ominös mit wahrem Kosakengeschmacke
Rüstig die Zwiebeln bemähte, und am Geruche der Diebstahl
Und der Thäter sich bald mit schönen Grotesken entdeckte,
Und wie man laut dann die herrliche Marodierung belachte.
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Festlich war uns der Tag, wo der erste junge Kohlrabi
Duftend auf dem Tisch und der erste Gurkensalat stand,
Und du Gottlobs und mein Lob mit gar freundlichem Nicken
Bey dem Essen mit Appetite zu spenden geruhtest.
Fröhlicher ward es und lauter, wenn du die graue Pikesche,
Deinen Prorostrishut und vom langen Perukengestapel
Zwischen dem Klassenhüter und Festputz die mittlere wegnahmst:
Dann schrittst du Dux Gregis am großen perlmutternen Rohrstock
Unter unserm Gesummse hinaus in blühende Fluren,
Über den Roßberg, und waldeinwärts in dunkle Gebüsche.
Und dann mußt' uns Vater Holberg aus seiner Synopse
Manches verkündigen; und wir zogen dann Parallelen
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Zwischen dem Consul in Rom und dem Bürgermeister in Borna,
Zwischen Hannibal, Scanderbeg und dem König von Preußen;
Und so wie wir bestimmten, stand die herrliche Norm da.
Da, da wurden Kornelius Nepos, Eutropius, Mela,
Und Melanchthon und Luther, und Hildebrand, Salomo, Sirach
Und Till Eulenspiegel durch einander geknetet:
Und wenn du mit Döderlein und Michaelis im Kopfe
Seitwärts tief ruminiertest, brannte das Feuer der Buben
In der Adern hochloderndem Flammenschlag jugendlich jach auf,
Und electrisch wälzte des Daseyns Taumel die Bande
Ungestüm fröhlich dahin im nebelrauchenden Grase,
Wie die überwinterten Füllen mit hohem Behagen
Durch die buschige Au die elastischen Sehnen versuchen.
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Rüstig und rasch gings, wie Trojaner und Griechen sich baxten,
Rechts, links, hoch, tief, aufwärts und abwärts und lauter und lauter;
Bis ein tobendes volles Conzert Procumbit humi bos,
Und dein alter, ernster, stark sonorischer Zuruf
Phryx emendatur plagis die Streitenden stillte,
Hingeschwunden sind sie die Rosenfarben der Jugend,
Schön und sanft und mild; nur im Hintergrunde der Scene
Zittern sie schwach noch in der holden Erinnerung Spiegel.
Oft hat mich ihr Bild zu den Irokesen begleitet,
Ist oft zu dem Gestade der Düna mir einsam gefolget;
Und mit jeder Freude flog dir ein Segen von mir zu.
Sicher hat ihn der Himmel gehört; er höret die Guten;
Und er gießet lohnend in dein ehrwürdiges Alter
Schöne ruhige stille zufriedene Tage des Weisen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Dem Rektor Korbinsky. Dem Rektor Korbinsky. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A83-A