[180] Das Opfer 1

Lo, thy country calls!

Glover.

Noch strömte von den Thermopylen
Der Perser Blut herab ins Meer,
Die durch das Schwert der Griechen fielen,
Als Spartas Held sein kleines Heer
Entschlummern hieß, und um die zweyte Wache
Gewaffnet seyn zu heißer Rache.
Die Würger ruhn am Fels im Thale:
Der Herold weckt zur Mitternacht
Zum feyerlichen Todtenmahle.
Sie stehn; das Opfer wird gebracht;
Der König folgt, den Lorber in dem Haare
Und schweigend, ihm zu dem Altare.
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Der Priester schlägt; das heilge Feuer
Erhellt den Berg; Megist besprengt
Mit einem grünen Lorberweiher
Der Kämpfer Haupt, die dich gedrängt
Mit hohem Muth sich um die Flamme reihen,
Zum Tod im Kampf sich einzuweihen.
Leonidas sah, wie Alcide,
Sein Ahnherr, als er Riesen zwang,
Mit Götterblick von Glied zu Gliede
Die Krieger an, und plötzlich drang
Ein Flammenstrahl, als käm' er von dem Gotte,
In jedes Herz der Heldenrotte.
Der König sprach: Gefährten, Brüder,
Eßt jetzt der Freyheit letztes Mahl,
Und trinkt den Wein! denn wenn wir wieder
Zusammenkommen, ists im Thal
Elysiums, wo glühend vor Verlangen
Die Väter stehn, uns zu empfangen.
Denkt an die Männer, die im Streite
Des Vaterlandes starben! Denkt,
Ihr Heldengeist schwebt euch zur Seite,
Und wägt der Enkel Werth, und lenkt
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Des Schwertes Stahl, den östlichen Barbaren
Mit tieferm Druck ins Herz zu fahren
Das Weib mit ihren kleinen Knaben
Beym Abschiedskuß, und jedes Pfand
Der Liebe, und der Freundschaft haben
Sich uns vertraut. Das Vaterland,
Die Freyheit ruft; wir sind der Freyheit Erben!
Brauchts mehr zum Siegen oder Sterben!
Er sprachs und aß: die Krieger zehrten
Das Mahl, auf Schild und Speer gelehnt,
In stiller Feyer auf, und leerten,
Des Hades Göttern ausgesöhnt,
Die Schalen aus bey des Altares Dampfe,
Und stärkten sich zum Todeskampfe.
Der Zug geht, gleich dem Zug der Götter,
Der vom Olymp die Rache trägt,
Und wie vereinte Donnerwetter
Der Erde Brut zu Trümmern schlägt:
So trägt ihr Schwert, der Tyranney zu lohnen,
Den Tod in Xerxes Millionen.
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Tief ist die Nacht; aus Wolken blicket
Selene mit dem jüngsten Strahl,
Und von des Helmes Spitze nicket
Die Feder durch das Felsenthal,
Indeß im Schlaf mit tiefen Athemzügen
Die Sclaven und Despoten liegen.
Durch stumme Nationen schreitet
Der kleine Heldenzug, zum Zelt
Des großen Königs, und bereitet
Verderben für die Morgenwelt,
Schon glaubt im Traum mit taumelndem Vergnügen
Der Stolz sich im Triumph zu wiegen.
Stracks donnert ihn aus den Gefühlen
Der Vorhof wach, wo schon in Blut
Der Herakliden Dolche wühlen,
Wo mit gereitzter Löwen Wuth
Die Griechen hoch dem Unterdrücker fluchen
Und ihn mit Rächerstahle suchen.
Der Droher flieht durch dunkle Gänge
Vor seinem Tod der Griechen Schwert
Frißt hungrig in die reiche Menge
Der goldnen Sclaven, und zerstört
[184]
Den Schmuck des Jochs, dem sich mit krummen Rücken
Die Schmeichler bis zum Staube bücken.
Die Flamme steigt, wie Nebelwolke,
Vom Lager zu dem Himmel auf;
Und Schrecken wälzt von Volk zu Volke
Laut heulend seinen Schlangenlauf,
Die Opfrer mähn die zitternden Barbaren,
Zum Styx hinab bey langen Scharen.
Verwüstung deckt das Feld mit Leichen:
Der Grieche würgt, der Perser dolcht
Den Freund im Irrthum; Heere weichen
Vor wenig Lanzen; Grimm verfolgt
Die Fliehenden und schlachtet ohne Schonen
Des hohen Stolzes Legionen.
Die Gegend raucht, die Kriegswuth brüllet,
Verwirrung herrscht, bis Titans Licht
Die todtenvolle Nacht enthüllet
Und durch den dunkeln Schleyer bricht.
Leonidas ruft nun aus Blut und Flammen
Sein göttergleiches Heer zusammen.
[185]
Des Orients Entflohne schauen
Mit Scham nunmehr ihr Lager an:
Der Anblick füllt mit Furcht und Grauen.
Doch des Tyrannen Busen kann
Das Todtenfeld und ein geheimes Zittern
Noch nicht in seinem Stolz erschüttern.
Die Sparter ruhn in Ötas Grotten,
Mit Herzen, die nach heißer Schlacht
Des nahen Todes kühner spotten,
Als schnell, wie mit Gewittermacht,
Das ganze Heer in Stürmen auf sie dringet
Und sie zum neuen Treffen zwinget.
Das Volk auf Wagen und auf Rossen
Schwoll rund wie Meeresfluth heran:
Die Sparter standen, und beschlossen,
Der Freyheit heilig, Mann für Mann,
Den Todeskampf, im Stolz gerechter Rache,
Für ihres Vaterlandes Sache.
Noch lange hielt der Heraklide,
Leonidas, mit Schwert und Speer,
Gleich einer Felsenpyramide,
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Und gab Verderben um sich her,
Bis Mann auf Mann die Seinen, ohne Wanken,
Mit ihm im Wogenschwall versanken.
Ihr Edlen, leuchtendes Exempel!
Bewundrung jeder Nation,
Und hohes Lob und Ehrentempel
Sind durch Äonen euer Lohn;
Und, was euch mehr als alle Lorber kröne,
Ihr seyd der Freyheit Lieblingssöhne.

Fußnoten

1 Dieses Gedicht über die Freyheit wurde im Arrest gemacht, in welchen mich meine naturrechtliche Ungeduld durch eine sogenannte militärische Todsünde gebracht hatte. Ich muß es der Menschlichkeit meiner damahligen Richter zum Ruhme nachsagen, daß sie meine Vertheidigung so viel Statt finden ließen, als es nur die strengen willkürlichen Kriegsgesetze erlaubten. Glovers Leonidas, eines meiner Lieblingsbücher, war in dieser Periode mein vorzüglichster Genuß. Man sieht es gegenwärtigem Stück an, daß es durch jenes Gedicht veranlaßt worden ist. Glover, den man vielleicht nicht genug kennt und schätzt, hat gezeigt, was man mit tiefem Wahrheitsgefühl, Kraft und Sprache, ohne Maschinerie von Göttern und Geistern thun könne. Was in dem Gebieth unsrer Erfahrung und in der nahen Berührung unsrer Herzen liegt, wirkt immer am mächtigsten auf unsere Seele, und ist der geschickteste Gegenstand für das Talent. Daher ist Hectors Abschied von Weib und Sohn, Äneas Aufenthalt in Karthag, Oberons Schiffarth und Leben auf der Insel, nach meinem Gefühl, das Schönste, was uns Homer, Virgil und Wieland gegeben haben. Die Kunst mag ihre übrige Größe anstaunen, so lange sie will; hier fühlen wir unser ganzes Wesen congenialisch mit ins Gewebe gezogen. Der nähmliche Fall ist es bey jedem großen Interesse der Menschheit. Die Geisterwelt läßt uns leer, oder gibt uns nicht mehr als ein angenehmes Spielwerk. Eine der lieblichsten und rührendsten Episoden, die ich je gefunden habe, ist in Glovers Gedicht die Geschichte Arianens und ihres Geliebten am Tage der Schlacht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Das Opfer. Das Opfer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A6F-9