[258] Das mystische Backwerk

– Si quid lusimus.


Lauschend stand ich und horchte dem leisen Flüstern der Mädchen,
Wie sie die lieblichen Näschen in tiefer geheimer Berathung
Ämsig zusammen stießen, und mit den Händen die Züge
Eines großen Versuchs in Labyrinthen sich zeigten.
Aber ich armer Profaner vermochte den Sinn nicht zu fassen,
Den die Mystagoginn die schönen Geweiheten lehrte.
Schnell wie das schnurrende Rädchen sich drehet, zerstreute der Chor sich
Pythagorisch umher, und brachte in zierlichen Vasen,
Immer geheimnißvoller, sehr viel verdeckte Substanzen.
Schloß sich dichter zusammen, und goß Gerüche der Stauden,
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Immer geheimnißvoller, durchs magisch erleuchtete Zimmer.
Weitzen so däuchte mich, wurde geschüttet, und Wasser gegossen
Und das Flüstern ward leiser und immer dichter der Zirkel;
Und ich spähte mit Augen und Ohren des werdenden Werkes,
Sahe die Paste sich ändern in immer neue Gestalten
Unter den niedlichen Händen; wie einst der weise Prometheus
Über dem Stoffe mit Liebe hing, und Schöpfungen dachte.
Schüchtern und furchtsam schlich ich dem heiligen Adyton näher,
Als der Jüngerinnen behendeste zürnend hervorbrach,
Mit Mänadengesicht, und mich im Sturme zurückwarf.
Weiche, Verwegner, von hier, rief gottbegeistert die Thyas,
Daß der Zorn der Geweihten dir nicht Verderben bereite,
Dich nicht das Schicksal ergreife des alten thrazischen Sängers,
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Dich ihm ähnlich zu machen im Tode, im Leben nur Stiefsohn –
Wie des Richters Stimme, die ewig zur Nacht verdammet,
Stürzte sich schrecklich das Drohn mir durch die tiefsten Gebeine,
Und ich wankte von den Furchtbarn stille mit Angst fort.
Aber die Gier zu wissen, was aus den Geschenken der Ceres
Und dem Strom der Najade und den Gewürzen des Indus
Mystisch die Nymphen bereiteten, faßte mit eiserner Macht mich,
Trieb mich mit Unruh hinauf und herab, hinaus und herein, trieb
Mich durch die Wandelgänge des tiefen schattigen Haines,
Durch die Gewinde der Thäler am Ufer des rieselnden Baches;
Trieb mich in Abenddämmrung zurück, zu den Hallen der Themis,
Wo mit Hefen bemahlt und mit Mennig die fröhliche Bande
Eines Thespis zum Lethe der Sorgen ihr lärmendes Spiel gab.
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Aber der Wastel tyrolte umsonst; ich sahe die Schwestern
Mit dem geweiheten Werk im heiligen Rathe beschäftigt:
Des paradiesischen Schikaneders erhabener Geist ging
Bey mir Undankbaren in der Pastete verloren;
Und in den Träumen umgoß mein Gehirn der zaubernde Morpheus
Reichlich mit Kanephoren und eleusinischen Dingen.
Schon zwey Stunden hatte mit Rosenblicken der Morgen
Meine Lagerstätte vergoldet und weckte den Träumer.
Rüstig entsprang ich den Federn der Nacht und bethete leise
Zu Aglajens Schwestern und ihr, mir gnädig zu werden.
Sinnig durchzählt' ich mit Fleiß nun alle Familienfeste,
Alle Kalender der häuslichen Nahmen und jeden Geburtstag,
Welche die Mädchen so gern mit Überraschung begrüßen:
Und ich konnte keinen der festlich gefeyerten finden.
Höher stieg nun der Vorwitz, und drohte zu bersten, und führte
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Hierher und dorthin den Späher; da sah ich, da klopfte das Herz mir,
Unansehnlich wie stilles Verdienst, die bräunlichen Kuchen
Auf den Tischchen der Ecke in wahrer Bescheidenheit liegen.
Ha, das sind die Mysterien selbst, von denen der Zorn mich
Der eleusinischen Schwestern, mich den Profanen, zurückwies.
Einsam beschaut' ich das Heiligthum, und schauerte tief auf
Vor der Kühnheit es mit unheiliger Hand zu beruhren.
Ambra umduftete mich, und mächtig riß mich der Geist hin,
Zu der verwegenen That; da nahm ich das mystische Schaubrot,
Meinem Schicksal entgegen mich stürzend, und brach es begierig,
Siehe da ward das Auge mir hell, da quollen die Locken
Lieblich athmend hervor aus dem geöffneten Kerker;
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Zierliche Locken, in süße Rede der Muse geschlagen,
Daß die Grazien sie die zaubernden Wallungen lehrten.
Rüstig zerstört' ich mit stürmender Faust ein Felsengefängniß
Nach dem andern; da lagen vor mir die braunen und blonden
Rhythmisch geschlungenen Ringel und wichen dem Finger elastisch.
Als ich so blickt' und wühlt' und sakrilegisch mich freute,
Hört' ich, mein Blut stand, plötzlich von fern das schreckliche Sistrum
Der Geweiheten klirren, und kaum ermannt' ich zur Flucht mich.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Das mystische Backwerk. Das mystische Backwerk. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A51-9