[12] Abschieds-Schreiben an Münchhausen

Nimm meinen Kuß im Geist an deinem Rheine
Und denke bey den Bechern deutscher Weine
An einen deutschen Biedermann,
Den an Neuschottlands westlichem Gestade
Im Labyrinthe menschenleerer Pfade
Einst deine Seele lieb gewann.
Erinnre dich, wie bey dem kleinen Mahle
Wir auf dem Steine lagen, und, die Schale
Des Kieselbaches in der Hand,
Uns über Stolbergs Liede Freundschaft schwuren,
Und wie uns Schauer durch die Seele fuhren
Bey Freundschaft und bey Vaterland.
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Erinnre dich, wie Arm in Arm wir gingen,
Und an dem Blick der Abendsonne hingen,
Die bey Neufundland nieder sank,
Und wie wir dann auf Adlerbergen saßen,
Und in der Dämmrung Klopstocks Herrmann lasen
Auf einer grauen Felsenbank.
Erinnre dich, wie in der wilden Zone
Uns nach der Jagd ein freundlicher Hurone
Mit Edelmuth entgegen kam,
Und uns, in ächter Urbewohner Sitte,
Mit Ungestüm in die berauchte Hütte
Und brüderlich zu Tische nahm.
Kannst du es je, das Patriarchenessen,
Und unsers Wirthes Jubellied vergessen,
Der froh wie Gott uns Gutes gab;
So führe mit dem Gängelband der Mode
Der Parze Hand nach einem Stutzertode
Dich rächend in ein Marmorgrab.
Nein, Freund! gewiß durchirrst du noch im Bilde
Die Berge, wo der gute wackre Wilde
So oft uns auf den Felsen fand,
Wo, trotz den Männern von Minervens Hügel
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Und von dem Kapitol, der Größe Siegel
Auf seiner freyen Stirne stand.
Erinnre dich, wie in des Nordlichts Gluthen
Oft unsre kleine Barke durch die Fluthen
Mit Zittern an das Ufer stieg;
Und wie wir dann, wenn hoch die Wogen drangen,
Ein Lied von Fingal durch die Wogen sangen,
Von Geistern, Harfen, Schlacht und Sieg.
Hier sitz' ich, Freund, in meiner Jugend Haine,
Und schreibe dir auf einem alten Steine
Vielleicht das letzte, letzte Wort:
Zum Zweyten Mahle greif' ich nach dem Stabe,
Und pilgere mit meiner leichten Habe
Nunmehr vielleicht auf ewig fort.
Das Vaterland bedarf nicht meiner Kräfte,
Hat Männer genug für Ämter und Geschäfte,
Und schenkt mir gerne meine Pflicht.
Ich habe von den vielen fetten Gauen
Nicht einen Fuß, mir meinen Kohl zu bauen
Zu einem ländlichen Gericht.
Obgleich auf keinem Acker eine Ähre
Mit ihres Segens schöner goldner Schwere
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Mir dankbar in die Sichel sinkt;
Obgleich von keinem jungen Zöglingsbaume
Mit ihrem Purpur eine Mohrenpflaume
Mir Durstigen zum Brechen winkt:
So sitz' ich doch mit schaurigem Gefühle
Und sehe traurig hier dem Wellenspiele
Am Ufer unsrer Elster zu,
Und wende langsam meine düstern Blicke
Noch Ein Mahl auf die Knabenwelt zurücke
Und ihrer Jahre stille Ruh.
Bald gellt vielleicht mit schwerem Eisentone
Bellona von des Nordens rauher Zone
Auch mir noch einen Schlachtgesang,
Der jüngst vom Felsenfuß der Pyrenäen
Bis an des Samojeden Winterseen
In grellen Noten wiederklang.
Dann, Freund, wenn ich in dem beeisten Norden
Vielleicht mit Schaaren unbekannter Horden
In fremde wilde Kriege zieh,
Und wenn ich am Kaukasischen Gebirge
Mich auf den Tod mit Ghenkis Enkeln würge,
Vergiß des Busenbruders nie.
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Und wenn, von einem Männerarm geschwungen,
Ein Türkenstahl mir durch das Hirn gedrungen,
Und du den Todesbothen hörst:
So setze dich zu einem Trauermahle,
Und singe mir bey unsrer Bundesschale
Ein Lied, mit dem du Helden ehrst.
Jetzt lebe wohl! und höre von dem Freunde,
Als ob er scheidend dir im Arme weinte,
Ein Wort, das seine Seele spricht:
Nicht ob ich deiner Seele Werth verkennte;
Nimm nur mein Herz in meinem Testamente;
Denn Gold und Silber hab' ich nicht.
Sey immer Mann und groß durch eigne Kräfte,
Und nie laß andern Händen die Geschäfte,
Die du noch selbst zu thun vermagst;
Sey Harmonie in Wort und That, und weiche
Kein Haar breit, stark wie eine Königseiche;
Und felsenfest sey, was du sagst.
Sey wie ein Gott im Wohlthun auf der Erde,
Und gib dem Armen froh von deinem Herde,
Und tröste warm des Kummers Sohn:
So wird man mit Entzücken dir begegnen,
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Und dich, wie Kinder ihren Vater, segnen;
Und dieses ist der schönste Lohn.
Sey Freund von allen; aber lange sichte
Und prüfe scharf und faß' in jedem Lichte,
Und blicke tief bis auf den Grund
Dem Manne, dem du in die Arme sinkest;
Denn wisse, wenn du Gift statt Heilung trinkest,
So bleibt dein Herz auf ewig wund.
Trau nicht dem Menschen; dicker Firniß decket
Die wahre Farbe, welche sich verstecket
Und in der Leidenschaft nur zeigt:
Verachte stolz den stolzen goldnen Thoren,
Doch mehr noch jenen, der mit leisen Ohren
Sich bis zum Gürtel schmeichelnd beugt.
Stets handle fest nach männlichen Gesetzen,
Die du dir schriebst, und Eines zu verletzen
Sey Hochverrath an der Vernunft:
Trägst du Zufriedenheit in deiner Seele,
So hast du Glück für dich genug, so quäle
Dich nicht um Beyfall einer Zunft.
Mißtraue jedem Lobe, jedem Tadel,
Und prüfe strenge jeder Handlung Adel,
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Für die man ein Diplom begehrt;
Doch wag' es nie, mit alten Ketzerflammen
Den Mann, den man verdammet, zu verdammen;
Denn Gott nur kennet seinen Werth.
Durchwandle froh mit deinem Freund die Auen;
Nur wag' es nicht, auf ihn dein Glück zu bauen:
Wer ist der Mensch, für den du bürgst?
Steh selbst, und suche die Vernunft zu rächen,
Damit du nicht, wenn fremde Säulen brechen,
Des Lebens Ruh auf immer würgst.
Flieh vor dem Weibe, Freund; in ihren Netzen
Ist erst Berauschung und sodann Entsetzen;
Und in der ganzen Schöpfung blickt
Kein Wesen, das mit allen Engelgaben,
An denen sich die blinden Opfer laben,
Am Ende schrecklicher berückt.
Und wenn ein Weib dir mit verklärten Blicken
Ein hohes paradiesisches Entzücken
In deine trunkne Seele bebt;
Und wenn sie dich aus deiner Erdenhülle
Mit ihres Zaubers ganzer Nectarfülle
Zur Wonne des Olymps erhebt;
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Freund, wehe dir, wenn du im Hochgenusse
Der Schönheit blind zu einem Götterkusse
Dich in des Engels Arme wirfst,
Und tief, gleich Libers schwer berauschten Zechern,
Der Wollust Taumel aus gekrönten Bechern
Zum himmlischen Geheimniß schlürfst.
Das Feuer, das dein Wesen heute nähret,
Wird morgen Gluth, und wüthet, und verzehret
Die kleine Stütze deines Glücks;
Es quält dich Angst, und jagt dich auf und nieder;
Du siehst Verrath in jedem deiner Brüder
Und in der Richtung jedes Blicks.
Du irrest nicht: des Mädchens Flamme währet,
Bis Lunens Hochlicht zwey Mahl wiederkehret;
Dann sucht sie neuen Zeitvertreib,
Und kann mit deinen heiligsten Gefühlen,
Mit deinem Leben wie mit Würfeln spielen.
Gebrechlichkeit, dein Nahm' ist Weib!
Verzeih mir, Freund, wenn ich mit bittrer Klage
Der Schöpfung Meisterstück zu richten wage:
Gib nie, gib nie dein ganzes Herz;
Laß nie es kühn in lauter Liebe weben,
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Versuche nie zum Gott dich zu erheben,
Und du entgehst der Folter Schmerz.
Freund, hoffe nichts und fürchte nichts auf Erden
Mit Leidenschaft, und du wirst glücklich werden.
So glücklich als der Mensch es kann:
Denn Glück, unwandelbar und ungestöret,
Das selbst der Neid mit stummer Achtung ehret,
Erwirbt sich auf der Welt kein Mann.
Durchblicke kühn die alte graue Decke
Der Vorurtheile; rufe laut und wecke
Den Nebenwandler aus dem Traum:
Doch störtest du ihm seine gute Reise,
Und rücktest ihn gewaltsam aus dem Gleise,
So gib der alten Weise Raum.
Durchstöre nicht der Schulen alte Kriege
Um aufgeblähter Weisheit Federsiege,
Die schnell die Skepse dir verwischt:
Erforsche nur, um gut und froh zu leben,
Und deiner Muße Geist und Salz zu geben;
Und lache, wenn der Tadler zischt.
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Freund, lebe wohl! und ruf' in deine Seele
Oft See und Fluß und Wald und Felsenhöhle
Zurück, durch die wir Arm in Arm
Oft zu dem freundlichen Huronen schlichen;
Und ist das schöne Bild von dir gewichen,
So strafe dich der Thoren Schwarm.
Freund, hoffe, daß des Weltenhalters Wage
Uns noch am Abend unsern Rest der Tage
In Einer Hütte wägen wird;
Daß noch der Schatten Eines Baums uns decken,
Noch ein Gesang der Nachtigall wird wecken,
Wenn wir genug umher geirrt.
Nimm meinen Kuß im Geist an deinem Rheine,
Und denke bey den Bechern deutscher Weine
An einen deutschen Biedermann,
Den an Neuschottlands westlichem Gestade
Im Labyrinthe menschenleerer Pfade
Einst deine Seele lieb gewann.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Abschieds-Schreiben an Münchhausen. Abschieds-Schreiben an Münchhausen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A47-1