[223] [225]Der Kapitän

[225][227]

Das Interregnum
oder

Money is Power

»Bei meiner Seele! ein Meisterstück irischer Schilderung!« brach endlich der oberste Richter aus. »Nicht bald habe ich etwas gehört, das das wild Launige, desperat Humoröse des irischen Nationalcharakters, eine lustige Verzweiflung inmitten des härtesten Druckes, der Todesqual, so springfedrig drollig, tragikomisch gezeichnet hätte. Phelim, wo hast du die Geschichte her? Sie ist köstlich!«

»Die kapitalste Hanfbraut-Trauungsgeschichte, die ich je gehört, Phelim!«

»Kapital! Wirklich kapital!« fiel der General ein.

»Und dann so vollkommen das Gegenstück zu der des Texasers!« meinte Oberst Cracker.

»Cracker! Cracker!« mahnte Oakley, »Ihr springt mit dem Texaser auf eine Weise um, die, besorge ich, Euch ein Naserümpfen zuziehen wird. Was hat er Euch nur getan?«

»Pooh! Getan? Wollte den sehen, der Cracker etwas tun würde! Ist mir verdächtig, sein Gesicht mir fatal.«

»Sein Gesicht fatal?« lachte Bentley kopfschüttelnd. »Es ist das edelste, heiterste, männlichste Gesicht, das Ihr sehen möget, ein wahres Apollogesicht!«

»Der Himmel segne Eure Augen!« lachte Cracker, »Phelims Gesicht ist mir zehnmal lieber.«

»Und seine Geschichte«, fiel Meadow ein, »zwanzigmal.«

»Er hat auf alle Fälle den Sieg davongetragen!« rief ein dritter.

»Er hat, er hat!« fielen mehrere ein.

»Auch im wichtigen Punkte der Moral«, bekräftigte ein kleines Männchen mit gehäbigem Bauche, dicken österreichischen Lippen und [227] salbungsreichen Blicken, »auch im Punkte der Moral«, versicherte er eifrig. »Finde sie sehr exzeptionabel, die Moral des jungen Mannes, unmoralisch diese Texaser Tendenzen!«

»Und was sagt Ihr zu all den Geschichten, Direktor?« fragte, die unmoralischen Tendenzen überhörend, der General seinen Nebenmann, dessen schwimmende Augen kopfschüttelnd das Punschglas betrachteten.

»Hol der Henker Irland und der Teufel Texas! Das sag' ich, General! Wird uns unsern Cottonmarkt ganz verderben, dieses Texas. Sag' Euch, furchtbarer Cotton, dieser Texaser, ominöser Cotton, – wahrer Sea-Islands!«

Und wie der Mann mit dem scharf spekulierenden, aber jetzt etwas schwimmenden Auge blinzelt und den Zeigefinger an die spitze Bostoner Handelsnase legt, werden alle auf einmal so aufmerksam. Offenbar wirkten die Worte.

»Bankdirektor!« riefen sie.

»Furchtbarer Cotton! ominöser!« wiederholte wie schaudernd der Bankdirektor. »Überbietet, sag' ich, den Sea-Islands by a long chalk 1

»Bankdirektor!« riefen sie halb entsetzt.

»Und dann keinen Tarif 2! Denkt nur, keinen Tarif, Allianz mit Frankreich, nächstens mit England. – Schaut euch zu, wo ihr mit eurer Baumwolle bleibt; sag's euch, schaut euch zu!«

»Bankdirektor!« schrien sie nun ganz entsetzt.

»Hol der Henker das ganze Texas!« stöhnte der Bankdirektor.

»Keinen Tarif!« schrien die einen.

»Allianz mit Frankreich!« kreischten die andern.

»Unser Cottonmarkt beim Henker!« stöhnten die dritten.

»Hol der Henker das ganze Texas!« fielen sie im Chorus ein.

Zugleich schaute sich doch wieder einer um den andern nach dem Texaser um. Er war aber seit einer halben Stunde verschwunden.

»Aber wo ist nur unser pretiöser Texaser?« rief, leichter Atem holend, Oberst Cracker.

»Gegangen, um seinem Bob die zweite Leichenpredigt zu halten!« versetzte lachend Meadow.

»Oder für ihn zu beten!« lachte wieder Cracker.

[228] »Querer Bursche auf alle Fälle!« hob wieder der vorige an.

»Sehr quer!« versicherte der kleine Mann, »scheint den Bobs sehr gewogen.«

»Fand das selbst einigermaßen quer!« bemerkte der General, ohne jedoch den kleinen Mann eines Blickes zu würdigen; er war nämlich bloß noch Anfänger mit kaum zwanzig Schwarzen, hatte erst seit kurzem die Kanzel mit der Pflanzers-Cabotte vertauscht. »Fand das auch sehr quer«, bemerkte er, einen Quid nehmend. »Sagt' es ihm auch, – wißt Ihr, sagt' ich ihm, daß ich ganz und gar nichts gegen Eure Geschichte, was den Krieg und so weiter betrifft, einzuwenden habe, aber mit Eurem Bob laßt mich in Ruhe.«

»Nun, was das wieder betrifft«, lachte Oakley, »so habt Ihr, mit Erlaubnis zu sagen, das nicht gerade in so plain English gesagt, General! Auch zweifle ich, daß er es Euch so gutwillig hingenommen hätte, denn versichere Euch, scheint mir nicht der Mann, eine Derbheit geduldig in den Sack zu stecken. Ist auf alle Fälle ein Gentleman!«

»Gentleman! Gentleman!« spottete Cracker. »Weiß nicht, Oakley, was Ihr an dem Burschen so Genteeles findet, ist ein querer Bursche, sage ich Euch.«

»Sehr quer!« versicherte trocken Oberst Bentley, »hat Euch tüchtige Querhiebe versetzt.«

»Dafür will ich ihn bei der Nase zupfen, was gilt die Wette, ich zupfe ihn bei der Nase?« schrie Cracker.

»Kapitaler Bursche, der Cracker!« schrien die einen.

»Hat Spunk! Gibt eine gloriose Frolic!« die anderen.

»Was gilt's?« schrie Cracker. »Tausend gegen hundert!«

»Angenommen, die Wette!« riefen wieder ein halbes Dutzend Stimmen. »Angenommen!«

»Keine Sottise, Gentlemen!« sprachen die Obersten Oakley und Bentley, »keine Sottise! Vergesset nicht, was ihr euch, was ihr einem fremden Gentleman schuldig seid!«

»Fremden Gentleman! fremden Gentleman!« schrien wieder Cracker und Meadow. »Behaupte, er ist kein Gentleman. Kein Gentleman wird sich mit Leuten wie Bob abgeben.«

»Solche abominable, antisoziale, antimoralische Grundsätze hegen und proklamieren!« fiel die geistliche Kleinigkeit ein.

»Verrät auf alle Fälle eine schlechte Schule!« schrie ein dritter.

[229] »Schlechtere Gesellschaft!«, fiel ein vierter ein. »Wundere nur, wer ihn gebracht hat!«

»Wer hat ihn gebracht?« schrie Meadow.

»Wer?« überschrie ihn Cracker.

Und alle schauten sich an.

»Wer hat ihn auf- und eingeführt?« schrie abermals Meadow.

»Weiß nicht!« war die allgemeine Antwort.

»Das ist doch seltsam!« bemerkte mit einigem Kopfschütteln der General. »Weiß keiner, Gentlemen, wer ihn auf- und eingeführt? Er muß doch eingeführt worden sein?«

»Keiner weiß es!« kicherte Meadow.

»Wirklich seltsam!« bemerkte, den Kopf mehr und mehr schüttelnd, der General. »Fällt da mitten unter uns herein, nimmt das Wort, führt es den ganzen Abend hindurch auf eine Weise!«

»Eine recht impertinente Weise!« versicherte Cracker.

»Aber ihr habt ihn ja aufgefordert, Gentlemen, ihn dringend wiederholt aufgefordert!« rief Oakley dazwischen.

»Gewiß!« fielen mehrere bei.

»Aber keiner weiß, wer ihn gebracht hat?« bemerkte wieder der General.

»Vielleicht ist er bei Käp'tän Murky eingeführt?«

»So frage man Käp'tän Murky!« rief sehr positiv der General. »Konveniert uns ganz und gar nicht, in seinem Dings von Hause da mit Subjekten zusammenzutreffen, von denen man nicht weiß –«

»Woher sie kommen«, fiel wieder Cracker ein.

»Oder wohin sie gehen«, fügte Meadow hinzu.

»Und die solch abominable, antisoziale, antimoralische Grundsätze zutage fördern!« seufzte salbungsvoll der kleine Prediger-Pflanzer.

»Gentlemen!« nahm Oakley das Wort, »ich bin der Meinung, daß ihr zu rasch vorgeht, daß ihr besser einem Komitee das Ganze zur Untersuchung überlaßt. Ich schlage ein Komitee vor. Vergeßt nicht, daß wir im Hause eines unserer geachtetsten, wackersten Nachbarn, Käp'tän Murkys, sind, daß ihr, die ihr seine Gastfreundschaft genießet, nicht das Recht habt –«

»Der Meinung bin ich auch, wir haben nicht das Recht, Gäste, die wir in seinem Hause vorfinden, nach Coventry zu senden«, bemerkte Bentley.

[230] »Selbst dann nicht, Oberst Bentley«, schrie Cracker, »wenn mehr als Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß wir einen sogenannten Sporting-Gentleman unter uns haben?«

»Was meint Ihr damit?« riefen alle.

»Nichts weiter«, versetzte Cracker, »als daß der Mann, der sich hier für den Obersten Morse ausgibt, weder auf- noch eingeführt ist, daß er am St. Catharine zu uns stieß, auf eine Weise zu uns stieß, die wohl Verdacht erregen kann, daß er auf einem Pacer Parkers – in der größten Verwirrung kam, sich auf allen Seiten umschaute, bald vorwärts, bald rückwärts ritt, wie etwas suchend, offenbar in Angst.«

»Sehr verdächtig das!« versicherte der General. »Auf einem Mietpferde!« fügte er kopfschüttelnd hinzu.

»Sehr verdächtig!« fiel Meadow ein. »Der Mann kam mir gleich verdächtig vor und ganz wie einer, mit dem es nicht ganz richtig, denn er schloß sich im Pell Mell uns an; – ich weiß bestimmt, daß er Käp'tän Murky nicht aufgeführt worden.«

»Und ich sage es euch nochmals, er ist ein Gentleman; nur ein Gentleman, ein Mann von hoher Bildung kann sprechen, wie er spricht!« rief wieder Bentley.

»Pooh! ein Mann von Bildung!« spottete Cracker. »Unsere Sporting-Gentlemen sind auch Männer von Bildung. Findet auf jedem unserer Dampfschiffe ein paar Gentlemen solcher Bildung. Gefällt mir der Gentleman nicht, der mit einem Bob sympathisieren kann.«

»Horribel das!« stöhnte der kleine Prediger-Pflanzer.

»Gefällt mir auch nicht«, versicherte mit portenteuser Stimme der General. »Gefällt mir auf alle Fälle nicht. Glaube, wir sind uns sowohl als unserem Freunde Murky schuldig, der Sache auf den Grund zu kommen.«

»Bin derselben Meinung!« fiel Oberst Cracker bei.

»Auch ich stimme bei!« schrie Meadow.

»Und ich gleichfalls!« krächzte der Prediger-Pflanzer. »Kam, wißt ihr, vorgestern von Louisville herab, sag' euch, waren da auf unserm Dampfer vier Bursche, hättet sie vom ersten Buck und Beau Broadways nicht unterscheiden können, so artig, galant, zuvorkommend taten sie, wußten sie euch ihre Worte zu setzen. Wer waren sie? Sporting-Gentlemen!«

[231] »Aber daß nur die Kapitäne der Dampfschiffe diese heillosen Wüstlinge zulassen!«

»Das zu verhüten ist unmöglich, General!« versicherte der Prediger-Pflanzer, »denn nie findet sich dieselbe Sporting-Gentry ein zweites Mal auf demselben Dampfschiffe ein, – wechseln immer, was sie leicht können, da sie der Dampfschiffe drei- bis vierhundert auf dem Mississippi haben. Und viele der Kapitäne sind auch einverstanden mit ihnen.«

»Eine furchtbare Bande!« riefen alle.

»Gentlemen! Es muß ausgemittelt werden!« entschied in letzter Instanz und mit wahrhaft diktatorischer Würde der General.

»Es ist von höchster Wichtigkeit, daß ausgemittelt werde – wir sind es uns, wir sind es Käp'tän Murky schuldig, obwohl der gute Käp'tän Murky –«

»Es mit dem gentlemanischen Kode eben nicht so genau zu nehmen scheint«, fügte er etwas weniger laut und mehr herablassend hinzu, »aber wo ist er?«

»Wo ist er?« riefen alle.

»Wo ist er?« schrien sie, als keine Antwort kam.

»Im Paradiese!« jubelte Phelim vom Ende des Saales herüber, »im Paradiese, hinnies 3

»Was sagt der tolle Irländer?«

»Der tolle Irländer? Der tolle Irländer«, gellte Phelim, »sagt, daß Käp'tän Murky im Paradiese ist.«

»Phelim, bist du toll?«

»Sag' euch, onnurs 4 und hinnies! ist im Paradiese, jedes Bein von seiner Mutter Sohn!«

»Im Paradiese!« rief entrüstet der General, »im Paradiese, und läßt uns hier allein mit dem toll benebelten Irländer, und ist im Paradiese?«

»Wer wird nicht ins Paradies, wenn es bloß fünf Meilen weit ist, hinnie?« grinste wieder der tolle Irländer.

»Gentlemen!« rief entschieden der General, »bin der Meinung, daß unseres Bleibens hier nicht länger, daß Selbstachtung gebiete. Finde es im höchsten Grade geringschätzig, beleidigend.«

»Unverzeihlich!« fielen die einen ein.

[232] »Strafwürdig!« die andern.

»Pshaw!« gähnte der Bankdirektor dazwischen, »was findet ihr unverzeihlich, strafwürdig? Daß er euch ein Diner gab, zu dem ihr euch selbst eingeladen – ein fürstliches Diner, Schildkrötenpasteten, Champagner, Lafitte und einen Madeira!«

»Kapitaler Madeira, 'pon my word!« meinte doch wieder der General, »kapitaler! Governor Kirkbys braun gesiegelter löst ihm nicht die Schuhriemen auf, sicher und gewiß nicht! Wißt Ihr, Bankdirektor, ob er ein fünf oder sechs Dutzende ablassen würde?«

»Keinen Korkstöpsel für Geld, General, aber zwanzig für Freunde. Ist nicht der Mann, abzulassen. Querer Kauz, einsilbig, finster, sparsamer mit seinen Worten als seinem Madeira. Habe noch nicht hundert Worte von ihm gehört, wohl aber hundert Bouteillen bei ihm getrunken. Auch sein Lafitte –«

»Sehr quer!« versicherte der General.

»Seid ein Barbar, General, wenn Ihr den quer findet!« versetzte ärgerlich der Bankdirektor, »ein wahrer Barbar! Der beste Lafitte, den Ihr am Mississippi trinkt, kein besserer in la belle France, reell!« beteuerte er mit der Zunge schnalzend.

»Köstlich!«, bekräftigte unwillkürlich nachschnalzend der General. »Aber sagt mir nur, wie steht es eigentlich mit ihm, ist er auch respektabel? Habe mich da ein vier- oder fünfmal bei ihm dinieren lassen, wollte aber doch nicht, wißt Ihr? Sieht gar so quer in seinem Dings hier aus; wahres Ungeheuer von Balken und Brettern, dieses Haus, wie ein alter Vierundsiebziger zusammengezimmert.«

»Nennt es deshalb auch seine Kajüte, wißt Ihr?« warf, an seinem Punschkelche nippend, der Bankdirektor hin.

»Ja, aber wie steht es mit ihm? Soll, hörte ich immer, ein armer Schlucker von Seekapitän gewesen sein. Auf einmal kommt er, entriert Geschäfte, übernimmt eine Pflanzung, die zweimalhunderttausend –«

»Bezahlt vierzigtausend bar, in den darauffolgenden drei Jahren hundertundsechzigtausend«, fügte der Bankdirektor trocken hinzu.

»Aber warum dies alte Ungeheuer von Brettern und Balken, dem bloß die Kanonen und Segel fehlen, um in die See zu stechen?«

»Warum?« meinte gemütlich der Bankdirektor. »Kann nicht sagen, warum; wahrscheinlich darum, weil er ein queres Seeungetüm [233] ist, vielleicht auch, weil die Affäre nicht viel kostete, er das Holz in seinen Wäldern hatte, Baumeister selbst war. Legte aber dafür sein Geld in soliden New Yorker und Ohioer Sixperzents an. Sehr respektabel das wieder!« versicherte der Bankdirektor.

»Ah!« seufzte der General, »war gescheiter als wir in diesem Punkte, die Paläste bauten.«

»Um die nun statt der Edelhirsche – Schweine und Rinder wandeln«, lachte naiv der Bankdirektor. »Hat seine zwei- bis dreimalhunderttausend Dollar in guten, soliden New Yorker und Ohioer Aktien. Groß das!« beteuerte er.

»Sehr groß«, fiel andächtig der General ein. »Aber glaubt Ihr, daß er so viel?«

»Glaube ich? glaube ich? Ei, glaube ich, weil ich's weiß. Gingen ein paarmal hunderttausend durch meine Hand, ehe der verdammte Duncan. – Fing aber noch zur rechten Zeit an, Anno fünfundzwanzig im November. Weiß es, als ob es heute wäre, hatte dann statt sieben – zehn fette Kühe.«

»Jawohl, fette Kühe! – Sind nun mager geworden!« seufzte der General. »Je nun, ich bleibe.«

»Ich auch!« meinte naiv der Bankdirektor.

»Gentlemen!« hob wieder der vortretende General in recht begütigendem Tone an, »ist ein Mißverständnis, wie mir der Bankdirektor hier soeben erklärt, keine Beleidigung von Seite Käp'tän Murkys. Ist zu erhaben über Beleidigung, zu groß, ein zu großer Mann Käp'tän Murky!«

»Zu erhaben! zu groß! großer Mann! Mißverständnis!« rief bitter lachend der Oberst Oakley.

»Zu erhaben über Beleidigung, Bentley! Wir halten es aber für eine Beleidigung, Gäste zu verlassen, ihnen den Rücken zu kehren. Dafür soll er zur Rechenschaft gezogen werden. Wir erklären es für ungentlemanisch.«

»Wir nicht!« versicherte ebenso stolz der General.

»Dann erfreut Ihr Euch eines obtusern Ehrgefühls, als wir in Euch vermuteten, General«, entgegnete wieder gereizt Oakley.

»Sir!« rief drohend der General.

»Sir!« riefen noch drohender die Obersten Oakley und Bentley.

Der ganze Saal war jetzt in Aufruhr.

[234] »Sirs! Sirs! Hotheads! Hotspurs!« schrie plötzlich, halb lachend, halb ärgerlich, eine Stimme, die einem Manne angehörte, der soeben und, wie es schien, in großer Aufregung eingerannt. »Was gibt es wieder mit euch, ihr heillosen Beelzebubs? Was treibt ihr nun schon wieder? Ist denn gar keine Ruhe mit euch, immer nur Hagel und Donner, Blitze und zehntausend Erdbeben? Seid ihr denn gerade des Teufels? Einander schon wieder in den Haaren?«

Der Mann wagte viel, aber seine Popularität war offenbar größer als das Wagnis, denn wie er nun schreiend, zankend, zugleich beweglich zwischen die gegeneinander anrückenden militärischen Würdenträger einsprang, mit ungemeiner Bonhomie eine Hand links, die andere rechts erfaßte, hatte sein Wesen bei aller guten Laune wieder etwas so Imponierendes, – der General rechts und die Obersten links nahmen so freundlich herzlich die dargebotene Rechte und Linke! Der Sturm war mit einem Male vorüber.

»Präsidentchen!« rief der erstere.

»Bankpräsident!« die letzteren.

»Hol der Henker euer Präsidentchen, euren Bankpräsidenten, wenn ihr ihm und euch die Gurgeln abschneidet! Was ist's, Burnslow? Was Bentley, Oakley?«

»Pshaw! was ist's?« versetzte spröde Oakley, »Käp'tän Murky läßt sich herab, uns bei sich dinieren zu lassen, und findet es dann genehm, uns den Rücken zu kehren, und General Burnslow –«

»Wohl, und General Burnslow findet es genehm, es als keine Beleidigung anzusehen«, fügte stolz der General hinzu.

»General Burnslow ist für dieses Mal der Gescheitere, und ihr«, lachte der Präsident, »Querköpfe, ihr würdet es, meiner Seele! für genehm finden, unserm Freunde Murky für sein Diner eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Würdet ihr nicht?«

»Er soll auf alle Fälle Rechenschaft geben!« rief Bentley.

»Pshaw! Pshaw! Bentley, spannt die Saite nicht zu hoch, denn, gebe euch mein Wort, Käp'tän Murky ist nicht der Mann, eure Musik geduldig anzuhören, euch dazu zu tanzen.«

»Er soll es nicht! Er soll es nicht!«, riefen Bentley und Oakley zugleich, »wir hielten ihn immer für einen Ehrenmann – er hat Ehre im Leibe, wird als Gentleman handeln.«

»Nennt das Ehre«, rief lachend der Präsident, »einem Ehrenmanne, den ihr hochachtet, eine Kugel durch den Kopf zu schießen, [235] um von ein paar Narren, die ihr verachtet, Lob einzuernten? Geht zum Henker mit eurem Ehrenkode!«

»Aber Bankpräsidentchen«, schrie bereits zum vierten Male der Bankdirektor und mit ihm ein paar Dutzend andere, »was bringt Euch nur so spät herab? Warum kamt Ihr nicht früher?«

»Ah!« jubelte wieder das Bankpräsidentchen, »ah, was mich herabbringt? Bald hätte ich es vergessen. Was mich herabbringt? – Überraschungen, Boys, bringen mich herab, köstliche Überraschungen.«

»Überraschungen?« riefen alle.

»Die gloriosesten Überraschungen, Boys«, jubelte wieder der Bankpräsident. »Grüß' euch alle, Supreme Judge, Ihr auch da? auch Ihr, geistreicher, oder vielmehr geistlicher Sweety?«

Alle lachten wieder laut.

»Aber was bringt Euch?« riefen sie wieder ungeduldig.

»Was mich bringt? Etwas, das ich euch bringe, eine gloriose Neuigkeit, eine herrliche, erquickende. Dachte schon um drei bei euch am St. Catharine zu sein, aber Überraschungen, Boys, gloriose Überraschungen!«

»Überraschungen?« riefen die einen.

»Präsidentchen!« die andern.

»Überraschungen, die mich überraschten«, frohlockte das Präsidentchen, »gerade wie ich meinen Pacer besteigen wollte. Zwei der herrlichsten Magnolias grandifloras, die je auf Mississippiboden gewurzelt.«

»Präsidentchen! Präsidentchen!« riefen jubelnd alle.

»Die mich überraschten«, schaltete der Präsident ein, sich den Schweiß von der Stirn wischend, ein, »gerade als ich herab zum Wettrennen und dann mit euch zu unserm Freunde Murky wollte.«

»Auf Ehre!« versicherte er, »zwei köstliche Blumen, die einem wohl das Herz hüpfen machen können. Freut euch, Jungens, die ihr nämlich noch Jungens seid, freut euch, zwei Helenen statt einer sind im Paradiese eingekehrt.«

»Im Paradiese?«

»Nun ja, im Paradiese, meiner Villa, wißt ihr, Käp'tän Murkys Tochter, Miß Alexandrine, mit ihrer Freundin.«

»Miß Alexandrine!« seufzte eine Stimme aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

[236] »Da habt ihr bereits einen Liebesseufzer, andere werden wohl nachkommen, bürg' euch dafür!« lachte er wieder.

»Miß Alexandrine«, fuhr er in ernstem, achtungsvollem Tone fort, »mit ihrer Freundin, der Tochter des innigsten Freundes unsers Käp'tän Murkys, Generals – wie heißt er nur? – berühmten Generals und Generalgouverneurs von einhalb Dutzend südamerikanischen Staaten und vormaligen spanischen Vizekönigreichen. Sind beide aus Frankreich, wo sie erzogen wurden, angekommen.«

»Miß Alexandrine angekommen?« riefen alle.

Und alle verstummten sie und schauten sich mit so seltsamen Blicken an. Sie schienen einander in der Seele lesen zu wollen! Es war etwas wie Eifersucht, das sich bereits verriet.

»Schaut euch doch nicht so an, Jungens, als ob ihr einander schon wieder an die Krägen wolltet; brachte sie euch deshalb nicht, die köstliche Botschaft. Nur keine Kämpfe, haben deren ohnedem genug. Take it cooly 5!« rief lachend der Präsident.

»Sind vorgestern zu New Orleans gelandet«, fuhr er frohlockend fort, »gestern von da abgegangen, heute Schlag drei Uhr im Paradiese angekommen. Ist nun ein wahres Paradies.«

»Im Paradiese!« seufzte es wieder aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

»Bin nur froh, daß das verdammte gelbe Fieber nicht mehr zu fürchten – hat sie wegen des heillosen Fiebers, das ihm, ihr wißt, Frau und vier Kinder gekostet, in Frankreich erziehen lassen, sie sechs Jahre nicht gesehen. War aber rührend zu schauen, wie sich die beiden in die Arme flogen. Komme jetzt, ihn zu entschuldigen, wenn es da noch einer Entschuldigung bedarf.«

Der gute Präsident war ganz weich geworden.

»Bedarf keiner, ist entschuldigt!« riefen alle.

»Vollkommen entschuldigt!« versicherten zuvorkommend Oakley und Bentley, »und bitten Euch, Präsident, einstweilen statt seiner unsere Apologie anzunehmen.«

»Seid nicht entschuldigt!« gellte es wie rasend aus dem Hintergrunde des Saales hervor.

»Verbieten es euch zu seufzen, wenn der Name einer Dame erwähnt wird, die so unendlich über euch erhaben.«

[237] »Was zum Henker haben wir denn da schon wieder? Ist denn der Teufel abermals los?« schrie das Präsidentchen, den Kreis der Freunde durchbrechend und mit einer Hast unter die Streitenden hineinsprengend, die eine vollkommene Kenntnis unseres Mississippicharakters verriet. Auch standen sie sich bereits gegenüber, gerüstet wie Kampfhähne, Dolche und Kugeln aus den Augen sprühend.

»Ah, Cracker, Meadow, seid Ihr's? Dachte ich's doch! Wo irgendeine Teufelei im Zuge, seid Ihr sicher nicht weit!«

»Keine Eurer Familiaritäten!« sprach Cracker vornehm. »Seid so gut, mischt Euch nicht in Dinge, die Euch nichts angehen.«

»Betrifft gentlemanische Affären, nicht Geldsäcke«, fügte mit ebensoviel Würde als souveräner Verachtung Meadow hinzu.

»Dann sind wir freilich nicht die Person, die da Sitz und Stimme hat«, versetzte lachend der Bankpräsident, »da wir uns jedoch einstweilen als den Herrn des Hauses betrachten, müssen wir schon so unbescheiden sein, uns in Eure gentlemanischen Affären zu mengen.«

»Betrachtet Euch als Herrn von was Ihr wollt, nur nicht als den unserer Affäre, oder es dürfte Euch schlimm gehen!« rief stolz Cracker.

»Auf die Gefahr hin, tapferer Oberst, wollen wir es wagen, uns in Eure Affäre zu mischen. Vorerst erlaubt die Frage, um was sich der Streit handelt?«

Es war aber jetzt etwas in dem Blicke des Mannes, das bei aller scherzhaften Laune doch wieder den tapfern Obersten zu imponieren schien.

»Wollen den Burschen da für seine Vermessenheit züchtigen«, ließ sich Cracker herab zu antworten.

Der Bursche, wie er genannt wurde, unser Texaser, spielte ganz ruhig mit seiner Reitpeitsche, die er von Zeit zu Zeit hob.

»Zweifle, daß der – Bursche Lust dazu hat«, versetzte mit ironischem Lächeln der Präsident, »scheint mir fremd hier, deshalb den hohen Schwung, den unser Mississippi-Ehrenreglement genommen, noch nicht zu kennen. Hat er denn gar so Schlimmes getan?«

»Hat sich in einer Gesellschaft eingedrängt, in die er nicht gehört!« schrie Meadow.

»Bei der Erwähnung einer Dame geseufzt, die unendlich über ihn erhaben ist!« Cracker.

»Was sagt Ihr dazu, Fremdling? Bekennt Ihr Euch schuldig [238] dieser schweren Vergehungen?« fragte mit komischem Schauder der Präsident.

»Schuldig!« versetzte lächelnd der Fremde.

»Da habt Ihr aber entsetzlich gesündigt«, versicherte ihn wieder der Präsident, »furchtbar! Wißt Ihr das nicht? Ja, wie gesagt. Ihr kennt den sublimen Schwung, den unser gentlemanischer Point d'honneur genommen, nun nicht. Leben zwar in einem freien Lande, aber möchte Euch nicht raten zu seufzen, 'pon honour nicht!«

»Sir!« schrien ungeduldig ein Dutzend Stimmen.

»Wollen Euch ersuchen, Eure Hausherrschaft nicht zu weit auszudehnen!« rief Cracker.

»Die Parteien hier, insofern sie auf den Namen und Charakter eines Gentleman Anspruch machen dürfen, ihre Affäre ausgleichen zu lassen!« wieder Bentley.

»Das heißt, sie Kugeln wechseln machen!« meinte ruhig der Bankpräsident. »Habt Ihr Lust?« wandte er sich an den Fremdling.

»Wenn es sein muß, warum nicht; obwohl, aufrichtig gesagt, ich eben keinen Grund sehe, mich mit jedem Tollkopfe da herumzuschlagen.«

»Sir!« schrie wütend Cracker.

»So Ihr ein Gentleman seid, werdet Ihr wissen!« Meadow.

»Stille, Cracker! Meadow! Verbitte mir diese Sprache hier, lege mein Veto ein.«

»Ihr legt Euer Veto ein?« schrien entrüstet Cracker und Meadow und Bentley und Oakley.

»Lege es ein!« versetzte der Bankpräsident, ruhig die Goldbüchse aus der Tasche ziehend und den beliebten Dulcissimus twisted 6 herausnehmend.

»Wer gibt Euch das Recht?« schrien nun alle.

»My money, Gentlemen!« versetzte der Bankpräsident trocken, »my money – money is power 7

»Euer Geld?« schrien sie verächtlich.

»Ei, mein Geld, Cracker und Meadow!« wiederholte der Präsident, ruhig ein Stück vom Dulcissimus lösend. »Bin so frei, Euch ins Gedächtnis zurückzurufen, daß Euch, Oberst Cracker, unser Kassier vor sechs Monaten, gerade drei Tage nach Eurem letzten Duelle [239] – eine sehr häßliche Geschichte, wißt Ihr – zehntausend Dollar, und Euch, Oberst Meadow, fünfzehntausend unter der Bedingung ausbezahlt, daß Ihr Euch in kein Duell, was immer der Grund, Veranlassung, Vorwand – einlasset oder darin assistiert, sekundiert, bis die ganze Summe auf Cent und Dollar abbezahlt.«

»Präsident!« schrie Oakley, »finde das ungenerös, ungentlemanisch, einen Vertrag, zwischen vier oder sechs Augen abgeschlossen, hier zu veröffentlichen.«

»Sehr ungenerös!« versicherte Bentley.

»Auf alle Fälle nicht schön!« ein Dutzend Obersten mehr.

»Nehmt Euch zu viel mit Eurem Gelde heraus, Präsident, will mich bedünken«, meinte der General, »Mississippi-Gentlemen in einer Ehrensache durch schnöde Geldrücksichten behindern zu wollen«, fügte er sehr mißbilligend hinzu.

»Unverzeihlich das, General!« meinte der Bankpräsident selbst.

»Wollen dem aber ein Ende machen; bürge für Cracker!« rief Oakley.

»Und ich für Meadow!« schrie Bentley.

»Bravo, Bentley! Oakley!« riefen hochherzig die einen.

»Gloriose Bursche!« beteuerten die andern.

»Gloriose!« apostrophierte sie der Bankpräsident. »Splendide«, versicherte er, den Quid in den Mund schiebend, »herrliche Bursche! Hätte meiner Seele den Glauben nicht in Israel erwartet! Superbe Bursche, wahre Virginier!«

Und so rufend, reichte er den beiden entzückt die Hand.

»Nehmt Ihr unsere Bürgschaft an?« fragten sie zaudernd.

»Stop, my men! – Sachte, sachte!« meinte wieder kühl der Bankpräsident, »seid edle Bursche, wahrhaft gloriose Bursche, echtes Virginier Kavalierblut, auch gute Bürgen, der eine dreimalhundert, der andere dreimalhundert und etwa fünfzigtausend wert – Dollars natürlich.«

»Wozu diese Klassifikation?« riefen wieder ungeduldig die beiden.

»Will euch gleich sagen, warum«, versetzte trocken der Präsident. »Seid Ehrenmänner, vollkommen respektable Bürgen, kann aber – eure Bürgschaft nicht annehmen.«

»Ihr könnt nicht? Ihr könnt nicht?« schrien sie nun wieder alle so entrüstet!

»Und warum könnt Ihr nicht?« überschrie sie zornig der General.

[240] »Das ist reiner Despotismus!« hoben wieder die einen an.

»Furchtbare Tyrannei!« die andern.

»Entsetzliche Tyrannei! Unerträglich!« fielen sie alle im Chorus ein.

»Aber«, rief Oakley, »er muß – wir bezahlen ihm seine fünfundzwanzigtausend Dollars.«

»Und senden ihn dann nach Coventry«, lachte Bentley.

»Könnt nicht, könnt nicht«, versetzte der Bankpräsident, ganz gemütlich die tobenden Aufrührer überschauend, »könnt nicht«, meinte er sehr zufrieden, »ist sehr rar jetzt, bar Geld; haben bar Geld gegeben – Dollars. Seid nicht imstande sie aufzubringen, wenn wir unser Veto einlegen.«

»Ihr seid ein Despot!« schrie wieder Oakley.

»Ein Tyrann!« Bentley und der General.

»Ganz richtig«, versetzte lächelnd der Bankpräsident, »ein furchtbarer Tyrann! Wußtet ihr das nicht? Bin ein Tyrann, ein Unmensch, und ihr seid so human, liebenswürdig, glaubt gar nicht, wie liebenswürdig!«

»Unausstehlich!« riefen sie wieder, »glauben, er treibt Scherz mit uns.«

»Behüte es! Ohne Komplimente!« lachte wieder der Bankpräsident, »will euch nur sagen, kommt mir just die Laune.«

»Wollen nichts von Euren Launen hören!« rief wieder stolz Bentley.

»Kann nicht helfen, hab' sie nun, diese Laune, weiß wohl, daß es eine üble Laune ist; aber laßt mich, nun nicht anders, meine Laune. Wißt ihr aber, daß das vorletzte Jahr über hundert Duelle, das letzte beinahe gleichviel vorgefallen?«

»Wohl, und was weiter? Was geht das Euch an?«

»Nichts weiter, als daß durch diese zweihundert Duelle – zweihundert Hoffnungen, Erwartungen, Existenzen, Freuden – von gerade zweihundert Vätern und Müttern, Geliebten geknickt, zweihundert Verzweiflungen, Trostlosigkeiten dafür eingekehrt.«

Er hielt inne. Alle schwiegen.

»Unsere ganze bürgerliche Gesellschaft aber vierhundert Jahre – in die Zeiten des einstmaligen Faustrechtes zurückgerückt worden.«

Wieder schwiegen sie.

»Gesetze halfen nichts, Prediger halfen nichts, die Tränen der Geliebten, der Mütter – halfen nichts. Nichts half.

Da taten wir uns, einige Tyrannen, Despoten, zusammen«, fuhr [241] der Bankpräsident im Stakkatotone fort, »beschlossen, dem hochritterlichen Mississippitreiben Einhalt zu tun.

Sehr tyrannisch fingen wir unser Komplott an, bildeten nämlich einen despotischen Verein, der sich verbindlich machte, keinem mehr Geld zu kreditieren, der nicht sein Ehrenwort gäbe, der ritterlichen Unterhaltung, Duellieren genannt, für die Zeit hindurch zu entsagen, wo er uns schuldete.

War freilich sehr tyrannisch von uns«, fuhr im spielenden Tone der Präsident fort, »sehr tyrannisch, einen so edlen Zeitvertreib behindern zu wollen, aber ließen uns leider nicht in unserer Tyrannei beirren. Und hatte diese Tyrannei die entsetzliche Folge, daß dieses Jahr nicht mehr als fünfzig Duelle gefochten wurden, und zwar vierzig in den ersten sechs Monaten, zehn in den letzten.

Brauchten aber in diesen letzten sechs Monaten mehrere unserer chevalereskesten, hochherzigsten Gentlemen wie zum Beispiel unsere tapferen Obersten Cracker und Meadow – Geld und wieder Geld.

Kreditierten ihnen, aber unter der Bedingung und nach mündlich und schriftlich gegebenem Ehrenworte, binnen der Zeit, wo sie uns schuldeten, kein Duell, was immer die Veranlassung, anzunehmen oder zu befördern.

Bin nun leider Präsident dieses despotischen, hartherzigen, tyrannischen Vereines, Gentlemen!« schloß mit einem recht fatalen Lächeln der Mann, »und kann daher, so leid es mir tut, eurem generösen Drange nicht nachgeben.

Seid sehr brave, generöse Bursche!« hob er wieder an.

»Und Ihr ein sehr querer Kauz!« fiel ihm lachend der General ein, seine Hand erfassend. »Hol Euch der Teufel, Präsidentchen!«

»Verdammt quer!« riefen die Lippen beißend Oakley und Bentley. »Hol Euch der Teufel, Präsidentchen!«

»Hol ihn der Henker!« riefen lachend alle, »er macht durch sein Geld mit uns, was er will.«

»Money is power, – wißt ihr das nicht? Jefferson meinte: Knowledge is power – heutzutage ist'smoney!« meinte lachend das Präsidentchen.

»Aber jetzt laßt uns doch auch den sogenannten Burschen näher besichtigen«, raunte kopfschüttelnd das Präsidentchen dem General zu, »hätte uns da beinahe in eine Quandary mit unsern besten Freunden gebracht. Wollen ihm denn doch auch auf den Zahn fühlen. [242] Auf alle Fälle ein querer Bursche. Steht euch da, beschaut uns vierundzwanzig Mississippi-Gentlemen, die« – er blickte scharf und flüchtig über sie hin – »ihre sieben Millionen Dollarchen wiegen, – gerade als ob wir neu geworbene Rekruten wären. Queres Chevalierchen!«

»Sehr quer!« versicherte der General.

Und sehr quer war er zu schauen, unser Texaser Chevalierchen, bald mit der Reitgerte spielend, dann so verzückt lächelnd, seufzend, wieder mit weit aufgerissenen Augen dem kaustischen Geldmanne horchend.

»Dürfen wir so frei sein zu fragen, wen die sogenannte Kajüte unseres Freundes Murky zu besitzen das Glück hat?« fragte mit zweideutigem Lächeln das Präsidentchen.

»Glaube, habe es doch schon gesagt, mehr als einmal gesagt«, versetzte wie aus einem Traume erwachend das Chevalierchen, »nenne mich Oberst Morse von Texas.«

»Oberst Morse von Texas?« lächelte das Präsidentchen, »vermute, dann kennt Ihr einen gewissen Edward Morse, der auch so etwas in Texas sein soll?«

»Vermute«, versetzte wieder der Texaser, »da ich das Glück oder Unglück habe, es selbst zu sein.«

»Habt Ihr?« lachte der Geldmann, »dann habt Ihr ja auch ein Onkelchen – und was sagte das Onkelchen«, fragte er weiter, »als Ihr es zuletzt sahet?«

Der junge Mann schaute den Fragenden einen Augenblick erstaunt an. Die Frage war so quer!

»Sir!« stotterte er.

»Was sagte er, als Ihr ihn zuletzt sahet? Wo saht Ihr ihn zuletzt, das Unclechen?«

»Das Unclechen?« rief der junge Mann, den Alten anstarrend.

Dieser veränderte keine Miene.

»Was sagte er, als er Euch eine Note, glaube, es war eine Hundertdollarnote –«

»Eine Hundertdollarnote!« rief der junge Mann. – »Meiner Seele! Ihr –«

»Nun, ich?«

»Ihr seid Uncle Duncan, oder der –«

[243] »Stop, Sir!« rief abwehrend Uncle Duncan, »was sagte er?«

»Er sagte, er sagte: Ned, take care of thy money; money is power 8! sagte er.«

»Ah, Ned!« rief jetzt der Uncle, »bist Ned, bist Ned. Gentlemen! ist Ned. Was meine Judith – wie die sich freuen wird! Willkommen, Ned!«

»Uncle Dan!« rief überrascht Ned.

»Uncle Dan! Uncle Daniel in der Löwengrube!« lachte dieser, »und du wußtest nicht, daß ich da bin?«

»Kein Wort, Unclechen!«

»Und kamst doch her?« fragte kopfschüttelnd das Unclechen.

Ned stockte verwirrt einen Augenblick, dann fiel er wie außer sich dem Onkel in die Arme. »Unclechen!«

»Stop, man!« schrie das Unclechen, »halt, Mann! da steckt etwas dahinter, bringst mir meine Tour in Unordnung. Bist unter den Texaser Freibeutern gewesen, sehe es wohl, hast da das Ungestüme gelernt.«

»Gentlemen!« wandte er sich an die zweifelhaft den Kopf schüttelnden, »Gentlemen! habe das Vergnügen, euch meines Schwagers – Supreme Judge Morses zu Washington Sohn – Oberst Morse aufzuführen.«

»Euren Neffen?« riefen sie verwundert.

Die Ankündigung schien den Sturm weniger stillen, als eine neue Richtung geben zu wollen; denn es erhob sich ein zweifelhaftes Gemurmel, dem wieder ein stürmischer Wortwechsel folgte.

Oakleys Stimme ließ sich über alle hören.

»Ihr seid es Euch, uns, dem Gentleman schuldig, Abbitte zu tun, Cracker!«

»Die wir nicht zu leisten gedenken«, rief wieder Cracker, »der Zweifel in bezug auf Oberst Morse ist nicht gehoben.«

»Er ist's, Ihr habt es mit mir zu tun, wenn Ihr nicht Genugtuung gebt!« schrie wieder Oakley.

»Und mit mir!« Bentley.

»Hang ye!« schrie der Bankpräsident ärgerlich, »ist denn der Satan gar nicht zu bändigen? Geht er noch immer umher, brüllend wie ein Löwe, suchend zu verschlingen? Sage euch, wer noch ein [244] Wort von Genugtuung hören läßt, muß es mit mir aufnehmen auf Lanze oder Pistolen, Kanonen oder Kartätschen.«

»Mit Euch auf Lanze oder Pistolen, Kanonen oder Kartätschen?« riefen lachend alle.

»By Jove! mit mir«, lachte der Bankpräsident, »oder glaubt ihr's nicht? Fürchtet euch nicht einmal vor mir? Sag' euch, habe auch Pulver gerochen.«

»Ihr, Bankpräsidentchen?«

»Ei, habe, auf Ehre! Habe, kein Scherz, Irrtum oder Zweifel. Habe Pulver, ganze Tonnen Pulver gerochen, Kartaunen-, Kartätschen- und Kanonen-, Bomben-und Haubitzenhagel ausgehalten, selbst gefeuert.«

»Aber nicht scharf geladen?«

»Scharf geladen, Boys!« jubelte der Bankpräsident, »scharf geladen, so scharf, daß die Leute links und rechts wie Kornähren sanken.«

»Das müßt Ihr erzählen!«

»Muß ich? Muß ich? Wohl, wenn ich muß, so will ich; zuvor muß aber Friede und Eintracht sein. Cracker und Meadow! Die Hand zur Versöhnung gereicht!«

»Oberst Cracker! Oberst Meadow!« rief es von allen Seiten.

»Wir können unsere Zweifel nicht zurücknehmen«, versetzte Meadow, »dieser Gentleman kann nicht Oberst Morse aus Texas sein.«

»Was zum Teufel soll er denn sein?« rief der Bankpräsident.

»Er kann General, aber nicht Oberst sein. Es gibt keinen Oberst Morse.«

»Das ist wahr«, versetzte lächelnd der Texaser, »denn der Oberst Morse ist General geworden.«

»Seid Ihr's wirklich?« rief überrascht der General.

»Bah! seit einem halben Jahre, hoffe jedoch, es wird in meinem halben Inkognito keine Beleidigung liegen.«

»Aber Oberst Cracker und Meadow hatten recht, wenn sie dich für verdächtig hielten, Ned!« schrie der Präsident, »du warst verdächtig, bist es, der Abbitte zu leisten hat.«

»Die ich auch zu leisten willig bin«, versetzte lächelnd der General, die Hand den beiden entgegenstreckend.

»Kuriose Leute ihr, punctiliose Leute, meiner Seele!« rief wieder der Präsident, »seid ärger als die –«

[245] »Nicht ärger als unser Bankpräsident!« riefen Cracker und Meadow.

»Meiner Seele nicht!« lachten alle.

»Ja, aber Eure Bomben und Kartätschen!« riefen wieder die einen.

»Und Kanonen und Kartaunen!« die andern.

»Die erlassen wir Euch nicht!« lachten alle.

»Wohl, so müssen wir uns denn fügen«, versetzte mitlachend der Präsident. »Phelim!« wandte er sich an diesen, »bist wieder einmal so benebelt, daß du gar nicht siehst, wie wir im Trockenen sitzen; vermute auch, hast den Auftrag deines Herrn ganz vergessen, ihn bei den Gentlemen zu entschuldigen.«

»Bei Jasus! nicht vergessen«, platzte der Irländer heraus, »nicht vergessen, bei St. Patrick! Ihnen gesagt, hinny, daß Käpt'n Murky im Paradiese.«

»Wohl, jetzt geh und sei ein guter Bursche und lasse die Punschbowle füllen. Wollen sie bis an den Rand voll haben und dann sagen, wie es kam, daß wir Pulver gerochen. Schickt sich gerade recht, die schönste Gelegenheit –«

»Bravo!« riefen alle.

»Ja, wollen euch sagen, wie es kam, daß der Käpt'n oder vielmehr ein Kapitän und ich, Pulver gerochen, sobald Phelim das Nasse gebracht.«

Phelim und einige seiner schwarzen Helfershelfer brachten nun das Nasse; die Gläser wurden gefüllt, angestoßen.

Alle setzten sich in gespannt fröhlicher Erwartung.

Fußnoten

1 In hohem Grade; Sea-Islands-Cotton, die Baumwolle der Küsteninseln von Georgien und Südkarolina gilt als die beste.

2 Eingangszoll.

3 Hinnies – statt honnies: Zuckersüße! Honige!

4 Your honour: Eure Ehre! Wohlehren!

5 Nehmt es kaltblütig auf!

6 Fein gesponnener, eigens präparierter Kautabak.

7 Geld ist Macht.

8 Ned, gib acht auf dein Geld; Geld ist Macht!

[246] Callao 1825

Der Präsident begann:

»Es war im Märzmonat achtzehnhundertfünfundzwanzig, daß wir uns – mehrere Amerikaner und Briten, meistens Schiffskapitäne, vor dem französischen Kaffeehause in Lima befanden, in einer Unterhaltung begriffen, die für mich wenigstens – wahrlich eben nicht sehr viel Unterhaltendes hatte.

Wenn ich euch sage, daß gerade zu dieser Zeit Callao von den Patrioten zu Wasser und zu Lande blockiert und wir mit spanischen Gütern nach dieser Festung bestimmt waren, werdet ihr euch vorläufig eine Idee von der Kurzweiligkeit dieser unserer Unterhaltung bilden können.

Wir waren nämlich im November des Jahres zuvor von Hause, das heißt Baltimore, nach Havanna abgegangen, hatten da unsere Ladung gelöscht, dafür eine andere, teils auf eigene, teils auf Rechnung der dasigen Regierung eingenommen und Havanna gerade am ersten Dezember, also acht Tage vor der berühmten Schlacht von Ayacucho, verlassen, deren Fama uns nun auch regelmäßig auf dem Fuße folgte, so daß wir ihr während unserer Fahrt um den südamerikanischen Kontinent herum richtig immer nur einige Tage den Vorsprung abgewannen, bis wir, auf der Höhe von Callao angekommen, von ihr und ihren erschütternden Folgen erreicht wurden, als es einzulenken bereits zu spät war.

Wir konnten gar keinen Hehl daraus machen, daß wir nach Callao wollten; unsere Kargos, darunter Zigarren, zwanzigtausend Dollar am Werte, für die Festung bestimmt, sprachen zu laut; aber ich zweifle auch, daß, selbst wenn wir es gekonnt hätten, mein Kapitän vom Versuche, das Blockadegeschwader zu durchbrechen, abzubringen gewesen wäre. Er hatte das Wagestück vier Jahre früher, als die Flotte der Patrioten von Cochrane, berüchtigten Andenkens, [247] kommandiert wurde, versucht, und es war ihm gelungen, was etwas sagen will, wenn man Cochrane kennt; und dann hatte er auch seine eigenen Yankee-Notionen – Notionen, die, wie ihr wisset, einmal in einem Yankeeschädel fixiert, absolut nicht mehr herauszubringen sind. Diese Notionen kalkulierten, den Fall Callaos auf alle Art und Weise, und es koste, was es wolle, aufzuhalten, ein Kalkulieren, das, so seltsam dieses auch klingen mag, nicht bloß meinem Kapitän, sondern auch übrigen Landsleuten gar gewaltig zusetzte. Wirklich schien ihnen der Fall dieser Festung mehr als selbst die Kondemnation ihrer Schiffe und Kargos am Herzen zu liegen. Aber diese an Republikanern – und was mehr sagen will, Amerikanern so seltsam erscheinende Sympathie zugunsten der Fortdauer einer despotischen Herrschaft wird wieder sehr begreiflich, wenn wir bedenken, daß mit dem Falle Callaos – des letzten festen Haltes Spaniens in Südamerika – der Kampf auf diesem Kontinente so gut als beendigt, unser Handel durch die Pazifikation nicht nur einen seiner einträglichsten, sondern auch interessantesten Zweige verlor. Ich sage interessantesten, denn es war gewiß bei vielen weniger der Gewinn – obwohl dieser einem Amerikaner nie gleichgültig ist – als vielmehr der Reiz der tausend mit diesem Handel verbundenen Gefahren und Abenteuer, die ihn unsern Bürgern und Seeleuten so teuer gemacht. Auch hatten wir ihn bisher ausschließend innegehabt, diesen gewinn- und abenteuerreichen Handel, zuerst, weil wir die nächsten, und dann, weil wir gerade im Besitze der Artikel waren, die die Patrioten sowohl als Spanier am meisten bedurften. Wie es von gescheiten Leuten zu erwarten, hatten wir diese Art Monopols auch auf eine Weise ausgebeutet, die eine Verlängerung des interessanten Status quo recht sehr wünschenswert erscheinen ließ. Wir hatten den Spaniern Mehl und Fleisch zugeführt, wenn die Spanier am hungrigsten und die Zufuhren mit größtem Risiko und folglich Gewinn verbunden waren, und wieder den Patrioten, wenn diese nichts mehr zu nagen hatten. Während der Blockade waren natürlich die Spanier des Sukkurses am meisten bedürftig, und es schien um so billiger, ihnen diesen zu bringen, als sie sehr gut bezahlten und die Ladungen noch vor dem Torschlusse an Mann zu bringen waren.

So war denn die Brigg Perseverance, Kapitän Ready, Superkargo meine werte Person, von den Patrioten – etwa vier bis fünf Meilen vor dem Eingange des Hafens lavierend oder vielmehr die [248] Gelegenheit zum Einschlüpfen ablauernd – angehalten, aufgebracht und sogleich auf eine Weise behandelt worden, die uns mehr als einen Fingerzeig gab, daß wir aus dieser Falle wohl schwerlich entschlüpfen dürften. Unsere persönliche Habe ward uns zwar gelassen, wir aber sogleich ans Land und so weiter nach Lima gebracht worden. Von der Brigg sowohl als dem Kargo hatten wir, seit wir sie verlassen, nichts mehr gehört. In letzterem war ich einigermaßen stark interessiert, insofern darin mein ganzes Betriebskapital, die Früchte zehnjähriger Kontordienste, staken; auch der Kapitän war zu einem Fünfteile beteiligt, an der Brigg zur Hälfte.

Für einen angehenden Kaufmann aber ist es wahrlich keine sehr angenehme Empfindung, seine Hoffnungsbarke und mit dieser sein ganzes in langjährigem Dienste zusammengescharrtes, mühsam errafftes und so gleichsam in seine Existenz verwachsenes oder doch diese begründen sollendes Anfangskapital gleich beim ersten Auslaufen – es war meine erste Unterneh mungsreise – scheitern und sich so auf der Sandbank zu sehen, um ihn herum eine Rotte Haifische, die nach ihm und seinem zweiten Selbst schnappen. In der Tat kamen mir die Patrioten damals so ziemlich wie diese häßlichen Vielfraße vor, und oft fühlte ich, als ob ich im Schlunde eines dieser Schnapphähne stäke. Ich haßte sie so herzlich, daß ich sie alle erwürgen, ihnen mit Lust hätte den Hals umdrehen können.

Nicht so wieder mein guter Kapitän. Er trug sein Schicksal mit leichter Achsel, schnitzelte, die Gleichmut selbst, an seinem Stocke oder Stöckchen, und wenn ein solches gerade nicht vorhanden, an Tischen, Bänken, Sofas oder was sich gerade vorfand, knirschte allenfalls, wenn die Rede auf die Brigg kam, mit den Zähnen, fuhr aber dann um so eifriger zu schneiden und zu schnitzeln fort. Er war überhaupt ein nichts weniger als redseliger Mann. Während unserer langen Seereise waren oft Wochen vergangen, während welcher er, die nötigsten Befehle ausgenommen, keine Silbe von sich hören gelassen. Auch sprach man ihn nicht gerne an, wenn man es vermeiden konnte. Die essigsauren Züge, die dunkeln, in einer trüben Wolke schwimmenden, wie trunkenen Augen, die fest zusammengekniffenen Lippen, die gerunzelte Stirn luden wenigstens nicht ein. Er hatte beim ersten Anblicke etwas so zurückstoßend Düsteres, als einem beinahe Bedenken einflößte, ihn anzureden. Bei dem ersten Laute jedoch, den man von ihm hörte, schwanden Bedenken und Scheu. Ein unbeschreiblicher [249] Zauber lag in jedem seiner Worte, wie Musik klang es von seinen Lippen, und selbst wenn sich seine Stimme während eines heftigen Sturmes zum Gebrülle erhob, hatte sie doch noch Wohllaut. Es war, als ob sie beruhigend, schmeichelnd den Orkan besänftigen, einlullen wolle. Jedesmal wenn er sprach, nahmen seine düstern gekniffenen Züge diesen sanft wohlwollenden Ausdruck an; auch wenn er irgendeine Gefälligkeit erwies, dann wurde der Ausdruck dieser Züge so klar, heiter, mit sich und aller Welt zufrieden! Es lächelte ordentlich aus dem sonst so finstern Gesichte; man konnte dem Manne nicht mehr gram sein, fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Darum liebten ihn aber auch alle, die ihn näher kannten, wie einen Bruder, und trotz Schweigsamkeit drängten sich alle in seine Gesellschaft. Oft beschwichtigte sein bloßer Eintritt die heftigsten Streitigkeiten. Rauh, wie natürlich Kapitäne zuweilen zu sein pflegen, weiß ich mich doch nie zu entsinnen, daß ihm einer je ein rauhes oder rohes Wort gesagt hätte. In der Tat hatte er keinen Feind unter seinen Mitkapitänen, wohl aber viele, die für ihn ihren letzten Dollar geopfert hätten.

Wir waren seit acht Jahren miteinander bekannt und insofern Freunde, als ein erster Kommis und Schiffskapitän, die in Diensten eines und desselben Hauses stehen Freunde sein können. Immer hatte ich ihn während dieser Zeit als die Loyalität und Treue selbst gekannt; doch haftete von früher her etwas wie ein dunkler Fleck auf seinem Seemannscharakter. Er war nämlich von dem Philadelphier Hause, dem er früher als Kapitän gedient und das ihn sehr jung und in wenigen Jahren vom Schiffsjungen zum Kapitän befördert, plötzlich entlassen worden. Die Ursache seiner Ungnade war nicht genau bekannt geworden. Er sollte sich auf einer Rückfahrt von Havanna ein Vergehen zuschulden haben kommen lassen, das nicht bloß das Schiff, das er kommandierte, sondern auch die Consignees sehr stark kompromittierte, ja ihm selbst den Zutritt nach Havanna verschloß. In der Tat durfte er sechs oder sieben Jahre nicht dahin.

So unbestimmt auch diese Anklagen, so brauche ich Ihnen doch kaum zu sagen, daß sie in Philadelphia hinreichend waren, ihm alle bedeutenden Häuser um so mehr zu verschließen, als er bei seinem zurückhaltenden Wesen sich wieder um keinen Preis herabließ, irgendeine Aufklärung zu geben. Längere Zeit blieben auch alle seine Versuche, [250] eine neue Anstellung zu erlangen, fruchtlos; würden es auch, trotz seiner anerkannten Tüchtigkeit, wohl noch lange geblieben sein, wenn nicht der durch die unermüdlichen Anstrengungen Bolivars frisch angefachte Krieg dem südamerikanischen Handel auch einen frischen Aufschwung gegeben und so die in diesem Handel beteiligten Häuser gezwungen hätte, bei der Auswahl ihrer Kapitäne ein Auge zuzudrücken. So wurde er, obgleich nicht ohne einiges Widerstreben, von unserer Firma als Kapitän angestellt. Und wohl mochten wir uns zu dieser Anstellung Glück wünschen, denn wir verdankten ihr großenteils den Aufschwung, den unsere Geschäfte vor allen übrigen südamerikanischen Häusern Baltimores von dieser Stunde an nahmen. Seine früheren Prinzipale, als sie dies sahen, beeilten sich zwar, ihm wieder Vorschläge, und das sehr annehmbare, zu machen, aber er lehnte sie mit Unwillen ab. Auch war er nie dahin zu bringen, von dem Vorfalle oder Vergehen, der seinem Charakter als Kapitän einen so starken Flecken angehängt, auch nur eine Silbe zu erwähnen. Man bemerkte, wenn die Rede auf das erwähnte Haus kam, ein bitteres Hohnlächeln um seinen Mund spielen, zugleich aber wurde seine Miene so zurückschreckend finster, daß auch dem Neugierigsten die Lust zu weiteren Fragen verging.

Dieses dunkle Blatt in der Geschichte des Mannes, verbunden mit seiner Schweigsamkeit und seinem düstern, brütenden Wesen, verursachten mir, ich muß aufrichtig gestehen, während der Seereise oft seltsam unheimliche Gedanken.

Doch war er wieder das Muster eines Seemannes, ruhig, fest, entschieden, seine Matrosen mehr durch Winke als Worte leitend. Auf der Brigg herrschte die Stille einer Quäkerversammlung, selbst im höchsten Zorne entfuhren ihm keine Flüche oder Scheltworte; aber die zusammengekniffenen Lippen, die gerunzelte Stirn waren dann entsetzlich zu schauen! Der desperateste Matrose kroch wie ein Hund vor diesem Blicke weg. Jedoch hielten diese Gewitterwolken nie lange an, immer schwanden sie wieder in die gewöhnliche düstere Ruhe. Diese Ruhe habe ich selten an einem Manne so unerschütterlich gefunden. Während meiner achtjährigen Bekanntschaft hatte ich ihn auch kein einziges Mal von Leidenschaft hingerissen gesehen, die Gewitterwolke auf Stirn und Lippen ausgenommen, blieb er immer die personifizierte Gelassenheit, und selbst jetzt, wo sein ganzes mühsam erworbenes Haben auf dem Spiele stand, war auch nicht das [251] leiseste Anzeichen von Ungeduld an ihm zu verspüren. Wahr ist's, er schnitt und schnitzelte zuweilen heftiger denn gewöhnlich, aber das ist ein Zeitvertreib, der, wie Sie wissen, national ist und in dem ihm meine übrigen Landsleute nichts nachgaben.

Wahrlich! Wir Amerikaner sind nicht die Leute, uns durch irgendeine Quandary – eine Teufelei den Kopf verrücken zu lassen, und wenn ihn ja einer verliert, so setzen ihn die andern durch ihren imperturbablen Gleichmut gewiß wieder zurecht, vorausgesetzt, daß hinlänglich Dulcissimus twisted, Zigarren, Federmesser und Fülle von Stöcken, Bänken, Tischen oder sonstigem schneidbaren Materiale vorhanden. Ihr hättet nur sehen sollen, mit welcher Lust, welchem Eifer unsere Landsleute nicht nur Stöcke und Stöckchen zu Dutzenden, sondern auch Tische, Sessel, Sofalehnen, kurz alle nur erreichbaren Möbel im Kaffeehause zur Verzweiflung des Wirtes beschnitten; je härter das Holz, desto eifriger ihre Federmesser. Auch hatte jeder fürsorglich sein Schleifsteinchen, einen Zoll lang und breit, an dem er das stumpf gewordene Federmesser wieder schärfte; während wieder die vier Briten immer und ewig entweder brummten, sich und die Patrioten in die Hölle verwünschten oder – besoffen. Widerwärtig rohere, brutalere und doch wieder knechtischer gesinnte Menschen als diese Briten waren mir selten vorgekommen. Nach ihrem Treiben hätte man glauben sollen, das ganze pretiöse alte England müsse zugrunde gehen, so ihren lumpigen Kargos auch nur ein Haar gekrümmt würde. Ich hatte hier Gelegenheit, Vergleichungen anzustellen, und wahrlich, sie fielen nicht zum Vorteile John Bulls aus! Pshaw! John Bull spottet über Bruder Jonathans Dollarsucht, und allerdings suchen wir die Dollars. Es ist ein starker Splitter in unsern Augen, dieses immerwährende Dollarsuchen; nur steht John Bull mit dem Balken in den seinigen der Spott schlecht an. Gewiß suchen wir die Dollars und sind auch eifrig bemüht sie zu finden; aber wenn wir sie wieder verlieren, reißen wir uns deshalb doch nicht den Hals ab wie John Bull. Ich kenne wenigstens noch keinen respektablen Amerikaner, der sich wegen Dollarverlustes gehängt oder ertränkt hätte, wie es die Briten tagtäglich tun. Bei uns ist aber auch, John Bull mag dagegen sagen, was er will, der Mann noch etwas wert, apart von seinen Dollars, aber nicht bei ihm, wo er keinen Strohhalm mehr gilt als seine Guineen. Darum ist auch der echt englische Ausdruck ›er ist soundsoviel wert‹ bei uns in den [252] Seestädten steckengeblieben, im Lande hat er kein Glück gemacht. Gewiß hat der britische Charakter brillante Züge von Gerechtigkeit, Männlichkeit, Seelengröße und Stärke, aber auch häßliche, und darunter eine Gier nach Geld und Gut, die ihm diese Dinge nicht mehr als Mittel, nein, als höchste Lebenszwecke, ja als eine Art höherer Wesen betrachten läßt, die zu erlangen er auch das Desperateste nicht scheut. Der Brite dient des Goldes wegen Türken und Juden, Karlisten und Christinos, dem Himmel und der Hölle; wir nicht, wir nur – der Freiheit! Er würde euch das Goldstück erbarmungslos und mit eisernen Krallen aus den Eingeweiden herausreißen! Gott gnade dem armen Wichte, der pennylos das großmütige Großbritanien betritt! Bei uns finden Hunderttausende von europäischer Tyrannei Ausgestoßener noch immer einen Bissen Brotes! Sagt, was ihr wollt, im Charakter des Briten ist ein Zug von gefühlloser Härte, der noch immer an den norwegischen und normannischen Seeräuber mahnt; und so sehr er sich auch in den acht- oder neunhundert Jahren seines Auftretens auf der Weltbühne abpoliert, ganz verleugnet hat er sich nie, dieser Seeräubercharakter, wo er immer auftrat, sei es in Europa oder in Asien, in Ost-oder in Westindien.«

»Bravo!« riefen alle.

»Doch wir wollen«, fuhr der Präsident fort, »keine Physiognomie der britischen Geschichte, wir wollen bloß ein simples Bruchstück aus unserm und unsers Freundes Leben zum besten geben und kehren daher wieder zu unserm Kaffeehause und unsern quidkauenden, zigarrenrauchenden – vor allem aber Stöcke und Stöckchen schnitzelnden Kapitänen zurück. Der Wirt hatte endlich glücklich das Auskunftsmittel entdeckt, das, wie ihr wißt, auch in unsern Gerichts- und sonstigen Versammlungssälen mit ersprießlichem Erfolge in Anwendung gebracht worden: Er hatte nämlich eine ganze Fuhre von Stöcken herbeischaffen lassen, mit denen er Tische und Sessel, Sofas und alles, was nur Federmesser fürchten mußte, belegte, so daß meine guten Landsleute bloß zuzugreifen brauchten, was sie denn auch mit so vielem guten Willen taten, daß Kaffee- und Billardsaal und der Vorhof mehr Schreiner- oder Drechslerwerkstätten als einem Kaffeehause glichen.

Als geistige Würze zu diesem interessanten Zeitvertreibe dienten allenfalls die sogenannten Patrioten, die auf allen Plätzen, in allen Gassen umherstanden und lagen und uns vielen Spaß verursachten. [253] Es waren die zerlumptesten Bursche, die sich je señores soldados titulieren ließen – wahre Karikaturen, wie sie in ihrer funkelnagelneuen Freiheit umherstolperten und wieder sultansartig lagerten. Der eine hatte eine spanische Jacke, die er zu Ayacucho erbeutet, der andere eine amerikanische, die er von irgendeinem Matrosen erhandelt, ein dritter hatte keine Jacke, aber dafür eine gekürzte Mönchskutte, ein vierter einen Tschako, an dem der Deckel fehlte, ein fünfter paradierte barfuß in einer Mantille, ein sechster stak in einem galonierten Sammetrocke aus den Zeiten Philipps des Fünften her. Nur die sogenannten Volontärs waren besser uniformiert; die Offiziere jedoch hatten sich seit der erwähnten Entscheidungsschlacht auf das Pompöseste herausgeputzt, ihre Uniformen strotzten von Golde, und es gab Leutnants, die statt zweier Epauletten deren sechs und acht trugen, vorne, hinten, auf den Schultern, dem Rücken, und das keine kleinen, sondern Generalsepauletten.


Wie wir also saßen und standen – es war nach der Siesta – schnitzelnd, rauchend, Quids kauend und unserm Witz oder vielmehr Mißmut auf Kosten der Patrioten Luft machend – ging eine der Seitentüren des Kaffeehauses auf und ein Offizier trat heraus, der uns denn doch eine etwas bessere Idee von den guten Patrioten beibringen zu wollen schien. Es war ein Mann in den Dreißigen, sehr einfach, aber geschmackvoll uniformiert und von jenem anspruchslos einnehmenden Wesen, das dezidierte Naturen so gerne zur Schau tragen und das gegen die kriegerische Haltung seines jüngern, viel reicher uniformierten Begleiters scharf abstach, obwohl dieser im Range unter ihm stehen mußte, denn er ging einen Schritt hinter ihm her. Wie er an uns vorbeikam, erwiderte er unsere Verbeugungen mit einem kurzen, aber sehr verbindlichen Rucke an seinem dreieckigen Federhute und war auf dem Punkte, an uns vorüberzueilen.

Mein guter Kapitän stand einige Schritte seitwärts, unverdrossen an seinem zehnten oder zwölften Stocke schnitzelnd, als unsere Bewegungen ihn in dem Augenblicke aufschauen machten, wo der Offizier an ihm vorüberging. Dieser stutzte, zuckte, fixierte unsern Kapitän einige Sekunden, dann öffnete er die Arme und, mit freudeleuchtender Miene auf ihn zuspringend, drückte er ihn stürmisch an die Brust.

[254] Kapitän Ready!«

»Das ist mein Name!« versetzte ruhig der Kapitän.

»Kapitän Ready!« rief abermals der Offizier.

Der gute Kapitän stutzte, fixierte seinerseits den Offizier, aber sein zweifelhafter Blick verriet noch immer kein Erkennen.

»Kapitän Ready!« ruft der Offizier heftig, »kennt Ihr mich wirklich nicht mehr?«

»Nein!« versetzt der ihn noch immer zweifelhaft anstarrende Kapitän.

»Ihr kennt mich nicht? – Ihr kennt mich nicht?« rief beinahe vorwurfsvoll der Offizier, ihm etwas in die Ohren wispernd.

Jetzt schaut ihn der Kapitän einen Augenblick starr an, im nächsten werden seine Züge leuchtend vor Freude und Freundlichkeit, er erfaßt überrascht die Hand des Patrioten.

Ungestüm reißt ihn dieser wieder dem Kaffeehause zu, in dessen Innerem die beiden verschwinden.

Wir standen unterdessen, mannigfaltigen Vermutungen Raum gebend. Nach etwa einer Viertelstunde traten die beiden wieder heraus; der Offizier mit seinem reich uniformierten Begleiter gingen dem Regierungspalaste zu, der Kapitän schloß sich an uns an, dieselbe imperturbable Ruhe, die er immer war, auch sogleich wieder zu Stock und Federmesser greifend. Auf unsere Fragen, wer der Offizier sei, erfuhren wir bloß, daß er zum Belagerungsheere von Callao gehöre und einstmaliger Passagier des Kapitäns gewesen.

Dieser Bescheid wollte mir denn doch nicht ganz genügen, denn ich hatte die sämtlichen Patriotenhaufen in einen beinahe panischen Schrecken bei seiner Annäherung geraten sehen; auch schienen unsere englischen Kapitäne etwas Näheres von ihm zu wissen; sie kamen trotz des dicken Nebels, in dem sie schwebten, gar so kriechend heran, spitzten Augen und Ohren gar so scharf, wurden auf einmal so freundlich, selbst zu ihrem Grog, den sie vor dem Hause tranken, luden sie den guten Kapitän. Euer Brite ist nie widerwärtiger, als wenn er freundlich, zutraulich wird; die Selbstsucht, der krasseste Eigennutz grinst dann so ekelhaft aus seinen harten, brutalen Roastbeefzügen heraus! Mein Kapitän wandte ihnen, wie sie es verdienten, ohne ein Wort zu sagen, den Rücken.

Was wieder meine Landsleute betrifft, so kennt ihr unsere – nennt es, wie ihr wollt: Delikatesse, Insouciance oder Apathie. Sie [255] schienen mit der erhaltenen Auskunft vollkommen zufrieden. Schiffskapitäne, und zwar amerikanische mehr als die jeder andern Nation, sie sind gebildeter, besser unterrichtet, auch unsere Schiffe in der Regel besser gebaut und eingerichtet, verkehren nicht nur häufig mit den verschiedensten Personen und Charaktern, sie haben auch vielfältige Gelegenheit, interessante Bekanntschaften zu knüpfen, diesen Bekanntschaften – die nicht selten hoch über ihnen stehen – Dienste und Gefälligkeiten zu er weisen, die sie in wahre Protektorbeziehungen bringen. In gewisser Hinsicht können unsere Schiffskapitäne ganz füglich mit Schauspielern verglichen werden, die auch in der einen ihrer Lebenshälften Rollen spielen, die es ihnen schwer werden dürfte, in der andern fortzuführen. Der Kapitän zur See ist vom Kapitän zu Lande eine in der Regel himmelweit verschiedene Person. Zur See ein halber oder vielmehr ein ganzer König, der unumschränkt herrscht, dessen leisester Wink Befehl wird, der es ganz in seiner Gewalt hat, seinen Untergebenen nicht nur, sondern Schiffsgenossen überhaupt den Aufenthalt zum Himmel oder zur Hölle umzuschaffen, ist er zu Lande wieder häufig eine ziemlich unbedeutende Person, die es nicht einmal mit dem Kommis seines Consignee verderben darf. Andererseits wird wieder dem Passagier seine Seereise nicht selten zur Epoche machenden Begebenheit, die ihm die Hauptperson – den Kapitän, oft das ganze Leben hindurch nicht vergessen läßt, während diesem wieder der einzelne Kajütenpassagier längst über den Hunderten, die nach ihm seinen Platz eingenommen, aus dem Gedächtnisse geschwunden. Unsern Seekapitänen war daher aus eigener Erfahrung sowohl die überströmende Freude des Patrioten im Momente des Wiedersehens als die verhältnismäßig kühle Erwiderung von seiten des Kapitäns so ziemlich erklärlich. Es wurden einige Bemerkungen über südamerikanischen Enthusiasmus gewechselt, mehrere analoge Fälle erzählt und dann – fielen sie alle wieder in ihr früheres Geleise zurück.


Am folgenden Morgen saßen wir gerade über unserer Schokolade, als eine Ordonnanz, sehr nett uniformiert, in die Veranda kam und nach Kapitän Ready fragte. Der Kapitän stand ganz gelassen auf, trat einige Schritte seitwärts, hörte, nicht verdrossen, nicht unverdrossen, die Ordonnanz an und setzte sich dann wieder ruhig zu seiner Schokolade, die er ganz behaglich ausschlürfte oder vielmehr ausaß; [256] denn in Südamerika wird die Schokolade bekanntlich dick wie Brei aufgetragen. Erst nach einer geraumen Weile fragte er mich, wie gelegentlich, ob ich nicht zu einem Ausfluge mit ihm Lust hätte, der vielleicht ein paar Tage währen könnte.

Ich ließ mir das natürlich nicht zweimal sagen, denn die Stunden hingen mir wie Blei an den Füßen; und so packten wir uns denn einen Anzug in unsere Sattelfelleisen, nahmen unsere Fänger und Pistolen und verließen das Kaffeehaus, vor dem wir zu meiner nicht geringen Überraschung die berittene Ordonnanz mit zwei prachtvollen superb, aufgezäumten Spaniern fanden.

Meine Neugierde war wieder stark erwacht, denn die Pferde waren die schönsten, die ich in Peru gesehen; aber mit allen meinen Fragen vermochte ich nicht mehr aus meinem schweigsamen Freunde herauszubringen, als daß unser Ausflug zum Offizier von gestern ginge, daß dieser im Belagerungsheere angestellt und einst sein Passagier gewesen, – wer er aber und was er sei, wisse er nicht. Damit mußte ich mich nun einstweilen begnügen, obwohl die verlegen gewordene Miene des guten Kapitäns ein mehreres hinter dem Busche vermuten ließ.

Als wir Lima etwa eine Meile im Rücken hatten, kam ein starker Kanonendonner in der Richtung, die wir nahmen, herüber; etwa eine Meile weiter ein Zug von Wagen und Karren, auf denen Verwundete nach Lima transportiert wurden. Der Kanonendonner wurde stärker. Auch Haufen von Marodeurs, die durch Felder, Hecken und Gärten schwärmten, ließen sich blicken, zogen sich aber zurück, sowie sie die Ordonnanz erkannten. Die Begierde, den Kriegsschauplatz recht bald zu sehen, erwachte nun sehr lebhaft in mir.

Nicht, daß gerade ein besonders kriegerisch eisenfresserischer Appetit in mich gefahren wäre! Nein, von jenem sogenannten chevaleresken, oder besser zu sagen, tollen Geiste, der so manche plagt und treibt, sich wie Narren in anderer Leute Streit zu mengen und Fell und Knochen zu Markte zu bringen, habe ich, dem Himmel sei Dank, auch nicht das Leiseste je in mir verspürt. Ich war immer ein Mann des Friedens und Handels, der sich weder um Patrioten noch Spanier kümmerte, vorausgesetzt, daß sie ihm sein Mehl und Salzfleisch, vor allem aber die Zigarrenkisten unangefochten ließen; aber in der Quandary, in der wir staken, und immer und ewig von demselben horriblen Gedanken, ein Bettler zu sein, gemartert, würden mir Seeräuber [257] selbst nicht unwillkommen gewesen sein, wenn ich meine Galle und Verzweiflung an ihnen hätte auslassen können. Auch schien es mir wohl möglich, daß die Spanier aus der Festung ausfallen und ihre und unsere Freunde in den Stillen Ozean treiben könnten, ein Gedanke, der trotz seiner Absurdität mir sehr wahrscheinlich wurde, obwohl ich mich hütete, ihn dem Kapitän mitzuteilen.

Was nun diesen betraf, so war er von Hause aus mit einer Stoa gesegnet, die ihn Pulver und Blei als ganz gleichgültige Dinge betrachten ließ. Er hatte während seines vierzehnjährigen Seelebens und seiner Ein- und Ausfahrten aus den blockierten südamerikanischen Häfen, der Zwölf- und Sechzehnpfünder so viele um die Ohren sausen gehört, auch der Strauße mit Piraten so tüchtige bestanden, daß bei ihm von Furcht gar nicht mehr die Rede sein konnte, und wenn er ja eine hatte, so war es die, von seinem feurigen Spanier geworfen zu werden, auf dem er, wie alle unsere Seemänner ein herzlich schlechter Reiter, herumbaumelte, nicht unähnlich einem überladenen Schoner im Troge einer schweren und konträren See. Doch kamen wir noch so ziemlich glücklich davon.

Nachdem wir eine mäßige Anhöhe erreicht, erblickten wir auch links die braunen düstern Bastionen der Forts, rechts Bella Vista und darüber hinaus den sogenannten stillen, aber in der Tat verdammt stürmischen Ozean.

Bella Vista ist eigentlich nur ein Dorf, aber die Gebäude sind mehrenteils Villas, in denen die Großen Perus die Sommermonate zubringen, da der kühlenden Seeluft zu genießen. Obwohl ganz von den Kanonen der Festung beherrscht, sind Häuser und Villas wieder so solid aufgeführt, daß der General en chef selbst mit dem größten Teile des Belagerungsheeres da sein Hauptquartier aufgeschlagen.

Die Ordonnanz wies uns oder vielmehr dem Kapitän, der das Spanische geläufig sprach, soeben die verschiedenen Punkte, wo Batterien errichtet waren. Die letzte, die fertig geworden, aber ihr Feuer noch nicht eröffnet, lag keine dreihundert Schritte von der Festung, wurde aber noch durch vorstehende Häuser gedeckt, die jedoch, bereits unterminiert, nächstens fallen sollten.

Während die Ordonnanz die Batterien und den Gang der Belagerung, soviel sie davon verstand, beschrieb, wurden unsere Pferde, und besonders das des Kapitäns, das von einem Offizier hohen Ranges geritten worden sein mußte – denn es wollte immer nur vorwärts [258] –, sehr unruhig, und da, wie bemerkt, mein guter Kapitän wohl ein Schiff, aber kein Pferd zu regieren verstand, verlor es endlich die Geduld und brach mit ihm so wütend aus, daß die unsrigen, wir mochten zurückhalten und bändigen, soviel wir wollten, nachstürmten, wohin, wußte der Himmel, wir nicht.

Wir kamen in einem Ozeane von Staub und Rauchwolken zur Erde und umbrüllt von einem Kanonendonner, der diese aus ihren Grundfesten reißen zu müssen schien.

Unsere wild gewordenen Spanier hatten uns nämlich im Sturme dem Dorfe, und zwar gerade den der Festung zunächst gelegenen Häusern in dem Augenblicke zugerissen, wo diese mit einer dumpfen erderschütternden Explosion zusammensanken und den die Batterie just abgewartet hatte, um ihr Feuer auf die Festung zu eröffnen. Daß diese nicht zauderte, den Gruß mit Prozenten zurückzugeben, brauche ich euch wohl nicht zu sagen; und da auch die übrigen Batterien einfielen, so war das ein Gedonner, ein Gehagel von Kanonen, Kartätschen, Bomben und Haubitzen, als ob die Welt ganz und gar in Trümmer gehen sollte.

Die Pferde, mit uns zusammengesunken, hatten uns wie Mehlsäcke abgeworfen; die Ordonnanz war betäubt, ich halbtot, nur unser Kapitän schien die Sache ganz in der Ordnung zu finden, arbeitete sich ruhig unter seinem Spanier hervor, half mir und der der Sprache ganz beraubten Ordonnanz auf die Füße und fragte dann ganz gelassen, wo nur der Offizier zu treffen wäre.

Die Ruhe des Mannes war, um mich eines unserer Lieblingsausdrücke zu bedienen, in der Tat konsiderabel. Wohl an die dreißig Kugeln waren in die Mauer, hinter der uns unsere Tiere glücklicherweise abgeworfen, eingeschlagen, Steine kollerten auf allen Seiten herab – im Vorbeigehen sei es bemerkt, das Bruchstück war nicht mit Geld zu bezahlen, ohne dasselbe wären wir hier wohl all unserer Sorge und Verzweiflung wegen Kargo und Brigg ledig geworden – aber meinen guten Kapitän schien das alles nichts anzugehen. Er war nur ungeduldig über die Rauch- und Staubwolken, die aus den Batterien und den zusammengestürzten Häusern emporqualmten und uns in eine wahre ägyptische Finsternis versetzten, fragte wohl ein Dutzend der hin- und hereilenden Soldaten, keiner aber nahm sich die Zeit, ihn anzuhören, wenn sie auch hätten hören können.

Endlich hatten sich wenigstens die gröbsten Staubwolken verzogen, [259] auch die perplexe Ordonnanz sich einigermaßen orientiert, so deutete sie denn auf la batteria hin, der mich mein Freund auch ohne weiteres zuzog. Wir hatten noch keine zwanzig Schritte getan, als wir auch bereits auf eine Kanone stießen.

Alles war da, wie Sie sich leicht vorstellen mögen, lebendig. Die Batterie zählte dreißig Vierundzwanzig-und Sechsunddreißigpfünder, die mit einem Eifer, einem Mute bedient wurden, der meine Erwartungen von Patrioten-Bravour weit übertraf. In der Tat gab sich zuviel Bravour unter den Leutchen kund. Sie tanzten mehr um die Kanonen herum, als sie sich bewegten, und das mit einer Todesverachtung in Miene und Gebärden, die wie Trotz und Hohn aussahen. Sie hielten es nicht einmal der Mühe wert, die Kanonen von den Embouchuren während des Ladens zurückzuziehen, im Gegenteile, schoben diese noch immer hinaus und luden lachend die Spanier ein, doch besser zu treffen.

Es war, wir dürfen dies nicht vergessen, wenig über drei Monate nach dem glänzenden Siege von Ayacucho, einer der herrlichsten Waffentaten, die wohl je gefochten wurden und die denn begreiflicherweise auch die Truppen des Belagerungsheeres auf eine Weise elektrisierte, daß sie ordentlich dem Tode zutanzten, ja die Glücklichen zu beneiden schienen, die eine Kugel vor ihren Augen wegnahm.

So war von der Kanone, auf die wir zuerst stießen, bereits die Hälfte der Mannschaft weggeschossen; und wir waren kaum ein- und auf die Seite getreten – der Kapitän mir winkend, mich zu ducken –, als eine Kugel dem nächsten, der mir zur Seite stand, den Kopf mitnahm. Ich fühlte einen plötzlichen Luftstoß, der mich erstickt hätte, wäre ich glücklicherweise nicht seitwärts gestanden; zugleich schlug mir eine warme Masse ins Genick, Gesicht und auf den Kopf, die mich beinahe blind machte. Wie ich sie von mir wische, sehe ich den Mann kopflos zu meinen Füßen liegen. Das Grausen, das mich überfiel, könnt ihr euch unmöglich vorstellen! Es war zwar nicht das erstemal, daß ich ein Mitgeschöpf fallen gesehen, aber wohl das erstemal, daß mir sein Gehirn und Blut ins Gesicht spritzte. Mir wurde sterbensübel, die Knie schlotterten, das Blut schoß mir zum Herzen, der Kopf drehte sich mir im Kreisel, ich taumelte ohnmächtig an die Wand nieder.

Seltsam aber, der nächste, der fiel, brachte mich wieder zu mir. Er wirkte bei weitem nicht mehr so erschütternd auf mich ein; ein [260] starkes Herzklopfen überfiel mich zwar auch bei diesem noch, einiger Schwindel, aber bereits um vieles schwächer – der dritte, der bei der nächsten Kanone weggeschossen wurde, noch schwächer, so daß mit jedem Falle meine Furcht ab-, mein passiver Mut zunahm, bis er endlich zu einer Art Zuversicht wuchs, der, seltsam genug, etwas wie Schadenfreude beigemischt war. Wirklich fühlte ich bei jedem Falle ein Etwas, das mir wie eine Anwandlung von Schadenfreude vorkam, eine Art fixer Idee, die zugleich in mir auftauchte, ein gewisser Fatalismus, der mir zuflüsterte, daß das Schicksal soundso viele als Opfer erkoren und daß mit jedem, der fiele, auch meine Sicherheit zunähme, ich bald ganz gesichert sein würde.


Der Mensch ist doch ein seltsames Geschöpf, ob von Natur gut oder böse, will ich nicht entscheiden, aber ich glaube, die beiden Prinzipe halten sich so ziemlich die Waage, wenn nicht das letztere überwiegt.

Wunderbar jedoch, wie schnell selbst der nichts weniger als geborne Eisenfresser – denn der war ich, wie gesagt, nie – mutig werden kann. Die erste Kugel, die den Nachbar trifft, raubt Sinne und Bewußtsein, aber die zweite schon nicht mehr in dem Grade, oft bringt sie uns wieder zu Sinnen. Die dritte macht gleichgültig und die vierte ermutigt, bis wir endlich eine Stunde darauf dem Tode so kühl in das Auge sehen, als ob wir dazu geboren wären, was wir denn auch in Tat und Wahrheit sind. Eine halbe Stunde nach meinem Eintappen in die Batterie arbeitete ich an der Seite meines Kapitäns, zwar gebückt und geduckt, aber doch so ruhig, daß ich das Pfeifen der mir über den Kopf wegfliegenden Kugeln kaum mehr beachtete.

Wie ich jedoch – ein so ruhig friedliebender Bürger, als je Hauptbuch führte – zu diesem Artilleriedienste gebracht wurde, muß ich euch doch noch eines Ausführlicheren berichten.

Mein guter Kapitän hatte mich nämlich kaum in die Ecke der Batterie geschoben, mir bedeutend, den Kopf geduckt zu halten, als er sich auch aufmachte, um in echter Yankeeweise das Terrain zu rekognoszieren, was er denn in so unvergleichlich kühl ruhiger Fashion tat, hier einen Ruck gebend, dort einen nehmend, gerade als ob er da zu Hause wäre. Es war etwas ganz Charakteristisches in diesem seltsamen neugierigen Herumschlendern, Spekulieren. Erst[261] nachdem noch ein paar Artilleristen ins Gras gebissen, ging er determinierter zu Werke, nahm dem nächsten den Ladestock ab und befahl oder winkte vielmehr kurz gebietend einem andern, die Kanone zurückschieben zu helfen. Die Leute gehorchten, ohne eine Miene zu verziehen. Das Stück wurde zurückgeschoben, von ihm geladen, wieder vorgeschoben, gerichtet und abgeschossen. So bestimmt dezidiert war seine Art und Weise, daß keiner ein Wort einzuwenden wagte; ohne daß er den Mund auftat, alle gehorchten. Hier hatte ich wirklich Gelegenheit, mit Händen zu greifen, was Zuversicht und Selbstbewußtsein zu bewirken imstande sind. Als wäre die Batterie seit Jahren unter seinem Befehle gestanden, trat der gute Mann auf; keiner schien auch nur den leisesten Zweifel in seine Autorität zu setzen. Auch die nächsten Kanonen fügten sich bald unter seine Befehle. Es lag wirklich etwas unabweisbar Unwiderstehliches in dieser seiner ruhigen Keckheit, Zuversicht, das offenbar die schwächeren Geister allesamt beugte. Er kam mir wie einer jener Hinterwäldler vor, die auch ganzsans façon sich auf anderer Leute Land niederlassen und da zu Hause machen, unbekümmert, ob es gefalle oder nicht.

Diese von meinem Freunde gespielte Kommandantenrolle war es nun auch eigentlich, die mich allmählich ermutigte, kräftigte und endlich trieb, gleichfalls tätig zu werden. Man kann denn gewissermaßen in einer solchen Lage nicht untätig bleiben, ja der bloße Entschluß schon verursacht, daß einem die Courage wächst, so daß ich endlich selbst das Herz faßte, eine der Patronen aus dem Kasten herauszulangen, mich dabei freilich vorsichtiglich duckend, aber allmählich doch mehr und mehr den Kopf erhebend, bis ich ihn denn endlich so hoch trug als einer.

»Bravo!« riefen wieder alle.

»Seht ihr, so habe ich mir im letzten Patriotenkampfe gewissermaßen Lorbeeren erworben.

Etwa eine Stunde hatten wir wie Rosse gearbeitet«, – fuhr er fort –, »als das Feuer allmählich schwächer zu werden schien. Die meisten Kanonen waren unbrauchbar geworden, bloß noch ein halbes Dutzend, und zwar die unter unserm Kapitän stehenden, spielten noch fort, dank seinem unerschütterlichen Phlegma, das nach jedem Schusse immer erst das Geschützstück abkühlen ließ, wozu sich die andern in ihrem Eifer nur wenig oder gar nicht die Zeit nahmen. [262] Überhaupt, muß ich bemerken, waren die Patrioten trotz ihres fünfzehnjährigen harten Kämpfens mit den Spaniern immer nur noch sehr mittelmäßige Artilleristen, so wie denn die Artillerie überhaupt während dieses verhängnisvollen Kampfes bei weitem nicht die Rolle gespielt, die ihr in den Kriegen zivilisierterer Nationen sonst zugewiesen ist. Natürlich! Die Schlachten waren mehrenteils bloß durch die Infanterie oder Kavallerie geschlagen worden, und selbst in der von Ayacucho, die das Schicksal des ganzen spanischen Kontinentes entschied, waren auf beiden Seiten kaum ein halbes Dutzend leichter Geschütze im Feuer. Die Beschaffenheit des Landes, die ungeheuren Gebirge, Ströme, die Unfahrbarkeit selbst der Ebenen, der Pampas, ließen bei dem Mangel an Verbindungsstraßen und den häufig forcierten Märschen, die notwendig waren, den Feind durch einen unvorhergesehenen Schlag zu überraschen, die Anwendung dieser schwer zu transportierenden Zerstörungswaffe nur selten, und zwar viel seltener als in unserem Revolutionskampfe, zu. Auch bedingt bekanntlich der Artilleriedienst, soll er sich wirksam erweisen, einen Grad von mathematischem Wissen, den die Südamerikaner unter der elenden spanischen Regierung – die ihre ohnehin bornierten Geisteskräfte noch dazu mißbrauchte, ihre Völker ganz und gar zu verdummen – unmöglich erlangen konnten. Unterdessen verringert dieser Um- oder vielmehr Übelstand keinesweges das Verdienst der Patrioten, noch benimmt er dem Revolutionskampfe selbst etwas von seiner ungeheuren Wichtigkeit; im Gegenteile: so wie unsere Revolution, ohne Zweifel, das wichtigste Ereignis des letztverflossenen Jahrhunderts, erst eigentlich die Massen der Nationen, die Mittelklassen, zum Bewußtsein ihrer Rechte, zur Mündigkeit brachte, ja die Hauptquelle ward, aus der die französische sowie alle übrigen Revolutionen flossen und viele trotz aller Gegenbemühungen noch immer fließen müssen – so muß auch der spanische Freiheitskampf, obwohl bloßes Korollarium des unsrigen, doch noch sehr bedeutende Rückwirkungen sowohl auf das Mutterland als Europa überhaupt erzeugen, obwohl diese wieder bei weitem nicht von so universellem Einflusse sein dürften wie die unserer Revolution. Der spanisch-südamerikanische Charakter und Kontinent sind um vieles unzugänglicher, abgeschlossener, zurückstoßender; darum war auch in ihrem Revolutionskampfe von jener Sympathie, die für uns in der ganzen zivilisierten Welt und selbst unter unsern Todfeinden, den Briten, [263] erwachte, nur sehr wenig zu spüren; vorzüglich wohl auch deshalb, weil ihre Schilderhebung denn doch keine jener gloriosen Humanitätssonnen verherrlichten, die wie unsere Washington, Franklin, gleich groß als Menschen und Helden, Staatsmänner und Feldherren, Philosophen und Bürger, die Guten und Edlen aller Nationen elektrisierten und wohl elektrisieren werden, solange es Gute und Edle auf dieser Erde gibt!

Doch, revenons à nos moutons, kehren wir zu unserem Kapitän, der gerade geladen und gerichtet, um noch einmal abzufeuern, als – der Offizier von gestern, von mehreren Adjutanten und Stabsoffizieren begleitet, an uns herantrat. Er war öfters in der Batterie gewesen, hatte sich bei jeder Kanone aufgehalten, bei der einen ermuntert, der andern getadelt, einer dritten selbst Hand angelegt, bei der unsrigen war er immer vergnügt die Hände reibend stehengeblieben. Auch jetzt tat er es, und wie er die Hände so reibend jeder Bewegung des Kapitäns aufmerksam und bewundernd folgte, sah ich wohl, daß er einer der Generale der Patriotenarmee sein müsse.

Der Kapitän schoß jetzt los, und wie der Rauch verflog, sah man die gegenüberliegende Bastion wanken und dann in den Festungsgraben sinken. Der Fall wurde durch ein freudiges Hurra begrüßt, zwanzig Offiziere sprangen auf einmal vor, der unsrige der erste.

Die Szene hättet ihr nun sehen sollen!

Dem Kapitän an den Hals fliegen, ihn im Sturme umarmen, ihn ebenso stürmisch und im Fluge dem nächsten der Offiziere in die Arme werfen, dieser einem dritten, einem vierten: das war das Werk eines Augenblicks. Wie ein Ball flog mein imperturbabler Capitano und selbst ich durch ihre Hände, wie ein Lauffeuer gingen wir herum. Sie waren wie toll, närrisch geworden, geradezu liebetoll, rasend. Die Kugeln schlugen noch immer links und rechts in die Batterie ein, eine riß auch einen armen Teufel von Ordonnanz mitten entzwei, aber das genierte sie nicht, ihr Enthusiasmus wurde immer wilder. Es war etwas so Exotisches, so südlich Tropisches, wahrhaft Südamerikanisches in diesem Impromptu! Über uns die pfeifenden Kugeln, unter uns der blutschlüpfrige Boden, um uns Tote und Verwundete und Trümmer und Zerstörung aller Art, und wir aus den Armen eines Schwarzbartes in die eines andern fliegend! Mir verging Sehen und Hören, nur das lebendige Gefühl blieb mir, daß wir in Südamerika, in einem Patriotenlager waren. Diese Patrioten [264] lieben so entsetzlich, überströmen so augenblicklich! – sie kamen mir ordentlich furchtbar vor. Ich glaubte mich in irgendeinem Moslemlager, in einer der Tausendundeine-Nacht-Szenen, die ich während meiner Fahrt gelesen. Wie ich zur Besinnung kam, waren alle verschwunden.«

»Kapitän, was war das? Ich begreife nicht!« redete ich den Freund an.

»Ah, haben die Bastion herabgeschossen! – haben, haben –«, meinte mein Kapitän.

»Ja, aber was wollten sie nur? Ich glaube, die Leute hat der Sonnenstich verrückt. Wo sind sie alle hin?«

»Wahrscheinlich auf ihre Posten!« versetzte wieder mein unerschütterlicher Kapitän, den Schweiß von der Stirn wischend und sich zugleich anschickend, die Batterie eines Nähern zu besehen. Unsererseits hatte nämlich das Feuer gänzlich aufgehört; auch das feindliche hatte nachgelassen und ließ sich nur noch in langen Zwischenräumen hören. Wir warteten einige Minuten, bis es gänzlich schwieg, und begannen dann, durch die Batterie zu streifen. Sie bot, wie ihr euch leicht denken könnt, gerade keinen sehr erquicklichen Anblick dar, es gehörten starke Nerven dazu, hier Fassung zu behalten. Wir schritten über zerschossene Munitionskasten, in denen statt der Kugeln Hände, Füße, Rümpfe, zerschmetterte Hirnschädel lagen; auch die Erdwälle waren hie und da mit solchen grausigen Arabesken garniert. Es konnte einem übel wer den. Und doch waren in der ganzen Batterie nicht über hundert gefallen; aber Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder, mit Bomben und Haubitzen versetzt, machen grausig Werk, und die Batterie war auch nicht zum besten angelegt. Die Patrioten standen im Fortifikationswesen natürlich noch weiter als selbst im Artilleriedienste zurück, und das feindliche Feuer hatte deshalb bedeutenden Schaden getan. Mehr denn die Hälfte der Kanonen war unbrauchbar geworden, einige zersprungen, andern die Lafetten weggeschossen. Andererseits hatte unser Feuer der Festung, soviel sich jetzt abnehmen ließ, eben nicht sehr großen Schaden zugefügt; die Bastion war allerdings in Trümmern und bot eine Bresche dar, die ein tüchtiges Regiment, von einer gut bedienten Artillerie gehörig unterstützt, wohl in die Festung bringen konnte; aber daran schien man – obwohl mit den brauchbaren Kanonen noch immer etwas zu machen gewesen wäre – nicht mehr zu denken. Der größte [265] Teil der Offiziere hatte, offenbar mit dem Resultate höchlich zufrieden, bereits die Batterie verlassen; die zurückgebliebenen waren bloß noch damit beschäftigt, die Toten und Verwundeten wegschaffen zu lassen, ohne sich weiter um Kanonen, Lafetten oder Batterie zu bekümmern. Selbst mir, dem nichts weniger als Kriegsmanne, kam dies denn doch ein bißchen sonderbar vor! So gewaltige Anstrengungen, so bedeutende Aufopferungen von Arbeit, Menschenleben, und gleich darauf eine Unbekümmertheit, ja Leichtsinn, der nichts weniger als klug oder militärisch ließ! Auch mein guter Kapitän schüttelte auf eine Weise den Kopf, die einige Unzufriedenheit – wenn nicht mit der Bravour unserer neuen Alliierten, diese konnte unmöglich größer sein, doch mit ihrer Kriegsklugheit verriet. Es war geradezu Leichtsinn, ja Indolenz, was hier zum Vorschein kam! Aber so sind sie nun schon einmal, diese Südamerikaner, im Kriege sowie im Frieden heißblütig, stürmisch, der verzweifeltsten, der unerhörtesten Kämpfe, Anstrengungen fähig! In ewigen Extremen überfliegen sie euch die Anden, ertragen Hunger und Durst, Hitze und Kälte, überwinden Gefahren, gegen die Napoleons Zug nach Italien bloßes Kinderspiel; überraschen den Feind, besiegen, vernichten ihn; aber legen sich dann, statt ihren Sieg zu verfolgen, ruhig zu ihrer Siesta und lassen sich vom ersten besten Nachzüglerhaufen wieder die Früchte ihres Sieges entreißen! Ein wahres Glück für sie, daß ihre Feinde, die Spanier, mit denselben liebenswürdigen Schwachheiten gesegnet waren. Wären ihre Gegner Amerikaner oder Briten gewesen, ihr Kampf dürfte wohl einen andern Ausgang genommen haben!


Wir hatten die Batterie besichtigt und waren gerade auf dem Punkte, sie zu verlassen, um auch die übrigen zu sehen, als unsere Ordonnanz gerannt kam und uns die Weisung brachte, sogleich im Hauptquartier zu erscheinen.

Wir gingen also dem Hauptquartier zu.

Auf dem Wege dahin sahen wir die Eigentümlichkeiten der Patriotenkrieger noch etwas näher, denn da, wie ich oben bemerkt, ein großer Teil des Belagerungsheeres teils in den Villas, teils in den Gärten lagerte und biwakierte, hatten wir die schönste Gelegenheit, sie auf unserm Spaziergange gewissermaßen im Neglige zu sehen. Und schönere, kriegerischer aussehende Truppen versichere ich nie gesehen zu haben als diese Patrioten. Es waren nicht mehr die Marodeurs, [266] die sich zu Lima umhertrieben; im Gegenteile, ausgesucht, trefflich und selbst reich uniformiert, boten sie Gruppen dar, die kein Maler schöner, pittoresker wünschen konnte. Diese dunkelbronzierten Salvator-Rosa-Gesichter, mit ihren schwarzen Bärten, ihren schwärzeren, glühenden Augen, diese lässigen und doch wieder so dezidierten, gleichsam a-tempo-Bewegungen, dieses chevalereske Auftreten haben keine anderen Truppen in dem Grade, selbst die Krieger der französischen Kaiserzeit nicht! Man muß sie biwakieren gesehen haben, es ist das Malerischste, was es geben kann! Der zerlumpteste Patriot, der kaum seine Blößen decken kann, wirft sich en héros zur Erde, wird wirklich pittoresk, wenn er sich lagert! Er hat eine so eigene Art, seine Lumpen zu drapieren! Nichts Gesuchtes, Künstliches, ein natürlich angeborener Takt! Ein Ruck, und der zerlumpte Mantel fällt mit einer Grazie um ihn, die einem anderen kein Königsmantel verleihen, kein Schauspieler bei uns erreichen könnte! Sie lieben aber auch das Liegen und verliegen wohl weit den größeren Teil ihres Lebens, als sie stehen oder sitzen. Könnten sie liegend arbeiten, ich glaube, sie würden auch etwas mehr arbeiten; aber da sie stehen oder sitzen müßten, taugen sie dazu nur wenig oder gar nicht. Das sahen wir in der Art und Weise, wie sie ihre Arbeiten trieben. Kaum einer putzte seine Waffen, aber mehrere mußten denn doch kochen, waschen; das taten sie, jedoch in einer Manier, die uns so quer erschien, daß wir, die Augen weit öffnend, stehenblieben. Während zum Beispiel die Hände kochten oder wuschen, schienen die übrigen Teile des Körpers, der Leib, die Füße, besonders aber der Kopf, weit erhaben über diese knechtischen Verrichtungen, nur widerspenstig gezwungen, sich zum Bleiben zu verstehen, mit einer Art Verachtung die Bewegungen der Hände zuzulassen. Sie waren wirklich drollig zu schauen, diese Patrioten, etwa wie ein britisch radikaler Lord Chamberlain, der seinem Souverän das Waschbecken oder Handtuch zu reichen bemüßigt, mit einer Art Hohn sich dazu versteht!

Sind kuriose Leute, diese Patrioten, aber ihr Wahlspruch lautet auch: Kriegen, Liegen und Lieben.


Wir kamen endlich vor einer noblen Villa an, die der davorstehende Wachtposten als Hauptquartier des Generals en chef des Belagerungsheeres bezeichnete, drängten uns durch Haufen von Ordonnanzen, [267] Adjutanten, Stabs- und Oberoffiziere und wurden einer Art Mayordomo übergeben, der uns in ein Gemach zu ebener Erde führte, wo wir unsere Felleisen fanden, die uns allerdings sehr nötig waren; denn berußt, geschwärzt, blutig, zerrissen, sahen wir mehr Banditen als friedlich ruhigen Bürgern dieser unserer Vereinten Staaten ähnlich.

Der Hausoffizier mahnte uns, mit unserer Toilette zu eilen, da aufgetragen werden sollte, sobald Se. Exzellenz der Kommandierende aus den Batterien zurückkommen würden.

Wir eilten demnach und waren noch nicht ganz fertig, als der Hausmagnat abermals kam, uns vor Se. Exzellenz zu bringen.

Wir traten in einen Saal, in dem wir eine gedeckte Tafel und wohl an die sechzig Offiziere fanden, darunter auch diejenigen, mit denen wir bereits in der Batterie so stürmische Waffenbrüderschaft geschlossen. Ohne auch nur einen Augenblick auf unsern Empfang von Seite des Hausherrn – hier natürlich keine geringere Person als die Exzellenz – zu warten, sprangen sie mit einem »buen venido, Capitanos«, auf uns zu, umarmten uns abermals, warfen uns dann ihren Mitoffizieren zu, gerade als ob kein Hausherr oder General en chef vorhanden gewesen wäre. Das wäre nun bei uns als eine Unmanier erschienen, deren sich kein Bootsmann, viel weniger ein Korps Offiziere hätte zuschulden kommen lassen; hier fiel es jedoch nicht nur nicht auf, es erschien ganz in der Ordnung.

Diese Südamerikaner haben wieder eine Art und Weise, solche Dinge zu tun, die eben, weil sie, ohne berechnet zu sein, rein dem Sturme der Empfindungen entsprudelt, nicht nur nichts Unschickliches, Ungezogenes, im Gegenteile einen liebenswürdig feurig chevaleresken sans-façon-Anstrich hat und ihnen wieder sehr gut zu ihren Flammenaugen, ihren brünetten Olivengesichtern, ihren rabenschwarzen Bärten läßt. In der Regel jedoch ist der Südamerikaner nichts weniger als stürmisch oder mutwillig burschikos, im Gegenteile eher formell, solenn. Man sieht es ihrem Wesen, allen ihren Bewegungen ab, daß sie Abkömmlinge der gravitätisch stolzen Spanier, sich ihrer Abkunft von diesen Spaniern vollkommen bewußt sind; nicht der heutigen, von bigotten Pfaffen und Regenten debauchierten – nein der ritterlichen Spanier des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, an deren Taten sie sich gerne spiegeln – und an die sie es lieben ihre Gegenwart anzuknüpfen, wie alle jene[268] Völker, die durch geistlichen oder weltlichen Despotismus oder beide zugleich aus einer geschichtlich hohen Vorzeit in eine traurig tiefe Gegenwart herabgesunken sind.

Der Zeitpunkt aber, in den unsere Bekanntschaft mit ihnen fiel, war denn auch wohl geeignet, Gemüter, von Natur so empfänglich für das Große und Hohe, enthusiastisch zu stimmen!

Es war ein Zeitpunkt, wie er glücklichen Nationen in ihrem Leben nur einmal, unglücklichen nie erscheint, der Zeitpunkt der Befreiung von einem furchtbaren – Körper und Geist gleich erdrückenden, gefangenhaltenden Joche! Dieser Zeitpunkt war aber dem ganzen spanischen Amerika wie ein Meteor gekommen. Der Kühnste hatte noch vier Monate vorher gezweifelt, der Tapferste verzweifelt. Wie durch ein Wunder war, wo Niederlage gewiß schien, ein glänzender Sieg erfochten worden, ein Sieg, der die Niederlage des Feindes auf allen Punkten so rasch, unaufhaltbar nach sich zog, daß buchstäblich das ganze spanische Südamerika in einem einzigen Siegesrausch aufjauchzte! Was für unser Land die Gefangennehmung Lord Cornwallis', das war für Südamerika die Schlacht von Ayacucho! Das ganze ungeheure Land von Panama bis an den Amazonenstrom erwachte durch diese zu neuem Leben, zu neuem Dasein! In der Tat, ein ganz neues Leben, Dasein, das man gesehen haben muß, um es zu begreifen! Öffentliche und Privatfeindschaften, Eifersucht und Streit waren wie in Lethes Strome begraben; brüderlich umfingen sich Millionen und abermals Millionen; über die Anden, die Kordilleren reichten sie sich die Hand; Kolumbia eilte Peru zu Hilfe, um den gemeinschaftlichen Feind vertreiben zu helfen, Buenos Aires den La-Plata-Staaten: überall die großartigsten Gesinnungen, die herrlichsten Taten!

Wahrlich, ein großer Moment, ein herrlicher für den Menschenfreund, dem es vergönnt ist, eine solche Wiedergeburt und Auferstehung eines ganzen Volkes mitzufeiern! Es verschwindet in solchem Momente alles Niedrige, Gemeine so gänzlich, die edelsten, die hochherzigsten Gefühle treten so stark, gewaltig hervor, treiben, drängen alles Unwürdige so tief in den Hintergrund zurück! Der elendeste Sklave wird in solchen Momenten zum Helden!

Ich gestehe euch, mir erschienen die Patrioten an diesem Tage in einem Lichte, so glänzend, daß der Nimbus mich noch jetzt zu ihren Gunsten befangen hält.

[269] Nie glaubte ich herrlichere Männer gesehen zu haben, und sie waren es auch in der Tat in diesen Tagen! Aus den ersten Familien des Landes – viele Sprossen geschichtlicher Häuser, hatten alle in blutigen Schlachten gefochten, sich Lorbeeren errungen, die ihnen um so schöner ließen, als das Bewußtsein, Großes geleistet zu haben, ihnen wieder eine unbeschreiblich zartsinnige Bescheidenheit verlieh.

Wohl zeigte sich damals der südamerikanische Charakter in seinem schönsten Lichte, und nie, weder früher noch später, hatte ich liebenswürdigere, ritterlichere und doch wieder bescheidenere, anmutigere Helden gesehen. Seit diesem Tage sind mir die Südamerikaner teuer, und ich verzweifle nicht an einer glänzenden Zukunft, so traurig auch die Gegenwart aussieht!


Die Tafel war, wie sie sich bei einem General en chef erwarten ließ, der eine Armee kommandierte, welche eine Hafenfestung belagerte. Die edelsten französischen und spanischen Weine flossen in Strömen, die ausgesuchtesten Gerichte waren im Überflusse vorhanden, aber obwohl wir den Champagner aus Biergläsern tranken, war doch nicht die geringste Spur von Trunkenheit zu bemerken.

In dieser Beziehung dürften wir von den Patrioten noch einiges zu lernen haben!

Der erste Toast, der ausgebracht wurde, galt: Bolivar!

Der zweite: Sucre!

Der dritte: der Schlacht von Ayacucho!

Der vierte: der Verbrüderung Kolumbias und Perus!

Der fünfte: Hualero!

Das war also unser Offizier von gestern, wie wir jetzt erst ausfanden, der General en chef des Belagerungsheeres.

Er stand auf, hob sein Glas und sprach nicht ohne heftige Bewegung:

»Señores! Amigos! Daß Sie Ihren Waffenbruder in Ihrer Mitte haben, daß er seine Dienste, sein Blut dem Vaterlande weihen darf, das verdanken Sie diesem unserm teuern alten Freunde und neuen Waffenbruder, den ich Ihrer Freundschaft und Bruderliebe als sehr würdig empfehle!«

Wie er jetzt den Kapitän zu sich emporriß, ihm stürmisch um den Hals flog, wie dem eisernen, imperturbablen Seemanne die Tränen in die Augen traten, er mit zitternden Lippen bloß die zwei Worte [270] zu stammeln vermochte: »Amigo sempre!« – das mußte man gesehen haben.

Das ganze Offizierskorps umschlang die beiden.

Noch den folgenden Tag verblieben wir im Lager, am nächstfolgenden ritten wir nach Lima zurück, wo der Kapitän in die Wohnung seines Freundes, des Generals, ziehen mußte.

Von seiner Gattin, die ihrem Manne auch nach Lima gefolgt, sowie von dem General selbst vernahm ich denn den Ursprung der seltenen Freundschaft zwischen einem der ausgezeichnetsten Patriotenheerführer und meinem schweigsamen Brigg-Kapitän.

Es war der dunkle Fleck in seinem Seemannscharakter.

Ich wünschte, die Worte des edlen Ehepaares mit demselben Feuer, derselben edlen, glühend poetischen Sprache geben zu können, in der sie mir gegeben waren!

[271] Havanna 1816

Tausendachthundertundsechzehn! – Tausendachthundertundsechzehn! Jawohl wird Südamerika deiner gedenken in heiteren und trüben Tagen, denn du lehrtest es zu Gott beten, indem du das Jammermaß der Verzweiflung bis an den Rand fülltest! Aber sollten je unheilvolle Tage wieder hereinbrechen, so wirst du auch als zwar düster leuchtender, aber tröstender Pharus vor ihm stehen, den Mutlosesten, den Verzweifelnden aufrichtend! Denn der Gott, der Südamerika auf diese lange Nacht Tag werden ließ, wahrlich, er kann es nimmermehr verlassen!


Es war aber im Spätjahre, am 19. November dieses für Südamerika so gräßlichen Jahres, mehrere Monate nach der unglückseligen Schlacht von Cachiri, die mit den vorhergegangenen gleich unglücklichen von Puerta, Araguita, Alto de Tanumba so entsetzliches Elend über einen halben Weltteil gebracht, daß ein junger, dürftig gekleideter Mann seine Wohnung in Calle Agostino zu Havanna verließ und sich eiligen Schrittes dem Hafen zu stahl.

Es war noch dunkel, die Sonne noch nicht aus dem Atlantischen Ozean heraufgestiegen, aber, obwohl der Calle mehrere Straßen von dem Hafen ablag, er auch fremd schien, schlüpfte er doch Gassen und Gäßchen mit jenem Instinkte hindurch, mit dem ein gejagtes Tier seinen Feinden zu entgehen sucht. Als er diesem endlich nahe gekommen, stahl sich ein zweiter gleich eilig hinter einem Lager von Kaffeesäcken und Rotholz hervor, fixierte ihn einen Augenblick scharf und dann, seine Hand ergreifend zog er ihn dem soeben verlassenen Verstecke wieder zu.

Hier hielten die beiden in ängstlicher Erwartung leise einander zuflüsternd, mit den Augen in die trüben, dunklen Nebelschichten hineinbohrend, [272] in denen Stadt und Hafen und die Tausende von Häusern und Schiffen gehüllt lagen.

Bei jedem Laute, der aus den Nebelschichten hervordrang, schraken sie zusammen – der erwachende Tag, wie er sich allmählich im lauter werdenden Leben verkündigte, schien sie mit Schrecken zu erfüllen, ihnen den Atem zu benehmen.

Etwa eine halbe Viertelstunde waren sie so gestanden, als regelmäßige Ruderschläge das Herannahen eines Bootes verkündeten, das auch wirklich bald darauf unter dem Nebelvorhange hervor und dem Hafendamme zuschoß. Noch ehe es an der steinernen Treppe hielt, deutete der eine der Männer auf den am Bootsruder Sitzenden, drückte dem andern die Hand und verschwand hinter Kaffeesäcken und Rotholze.

Im Boote waren drei Männer, offenbar Seeleute, von denen zwei Matrosen, der dritte ihr Offizier schien. Er sprach, als das Boot an der Treppe des Hafendammes hielt, einige Worte zu den Bootsleuten und stieg dann die Treppe hinauf. Noch einen Blick warf er dem wieder unter der Nebelschicht verschwindenden Boote nach und dann wandte er sich der Stadt zu.

Wenige Schritte brachten ihn dicht ans Rotholzlager, hinter welchem der Fremdling geborgen stand, der jetzt hastig hervor – und auf ihn zutrat. Die erste Bewegung des Seemannes war natürlich nach seiner Waffe, denn er war in Havanna und der Tag noch nicht angebrochen; ein zweiter Blick jedoch machte ihn den Dolch wieder ruhig in den Ärmel zurückschieben. Der junge Mensch schien nichts weniger als meuchelmörderisch gestimmt. Seine Kleidung war abgetragen, selbst geflickt, seine Miene verriet Trostlosigkeit, die Züge waren zwar jugendlich, selbst edel, aber gramerfüllt. Kummer und Entbehrungen sprachen aus seinem ganzen gebeugten Wesen, das aber ursprünglich sehr viel Stolzes gehabt haben mochte. Mit bebender Stimme fragte er, ob er der Kapitän des Schoners von Philadelphia sei, der nächstens abzusegeln im Begriffe stände.

Der Seemann schaute den jungen Menschen einen Augenblick forschend an und versetzte dann, er sei Kapitän eines Schoners, der auf dem Punkte stehe, die Anker zu lichten.

Des jungen Mannes Augen blitzten. Mit zwischen Furcht und Hoffnung schwankendem Tone fragte er wieder, ob er nicht Passage für sich, eine erwachsene Person und zwei Kinder finden könnte.

[273] Abermals maß ihn der Seemann, und zwar schärfer. Der junge Mensch hatte ein Etwas, das Seekapitänen in der Regel nicht sehr zu gefallen pflegt, etwas abenteuerlich Zerstörtes, Zerrissenes, abgesehen von seiner Kleidung. Bescheiden, ja demütig, wie seine Worte klangen, hatten sie jenen gewissen, gebieterischen Nachhall, der seltsam, ja grell mit seiner ärmlichen Kleidung, seiner Ängstlichkeit kontrastierte. Während ihm die Lippen zitterten, blitzte wieder aus den Augen ein Mut, eine Unbändigkeit, die etwas Gewalttätiges verrieten.

Der Seemann schüttelte den Kopf.

Der junge Mensch schnappte nach Atem, die Sprache schien ihm zu versagen; er zog einen ziemlich vollen Beutel aus seinem Busen.

Er wolle vorausbezahlen, alles vorausbezahlen.

Der Kapitän stutzte. Der Widerspruch zwischen dem vollen Beutel und dem kläglichen Äußern war zu schreiend! Er schüttelte den Kopf stärker.

Jetzt starrte ihn der junge Mensch mit einem Ausdrucke so düsterer Verzweiflung an, die Lippen zuckten ihm so krampfhaft, der Atem stockte so gänzlich!

Der Kapitän wurde augenscheinlich betroffen.

»Junger Mann!« fragte er spanisch, »was wollt Ihr eigentlich in Philadelphia, Ihr seid kein Handelsmann?«

»Ich will nach Philadelphia«, würgte dieser heraus, »will für die Passage bezahlen. Hier ist Geld, hier ist mein Paß; Ihr seid Kapitän, was wollt Ihr mehr?«

Die Worte waren so heftig gesprochen, die Züge des jungen Menschen hatten einen so verzweifelnden, schmerzhaften Ausdruck angenommen, daß der Kapitän immer mehr und mehr den Kopf schüttelte.

Er schaute ihn mit einem langen, durchbohrenden Blicke an und war im Begriffe zu gehen.

Der junge Mann schnappte nach Atem, hielt ihn mit krampfhaft zuckender Hand zurück.

»Nehmt mich um Gottes willen mit, und meine arme Frau und meine armen Kinder, Kapitän!«

»Frau und Kinder?« sprach plötzlich mit weicherer Stimme der Kapitän, »habt Ihr Weib und Kinder?«

Weib und Kinder berühren die Eisenseele des Amerikaners immer an der tiefsten, zartesten Seite!

[274] »Weib und Kinder!« stöhnte in Verzweiflung der junge Mensch.

»Ihr habt doch nichts verbrochen, wollt nicht etwa dem Gesetze entfliehen?« fragte wieder schärfer der Kapitän.

»So möge mir Gott helfen, ich habe nichts verbrochen!« versetzte die Hand erhebend der junge Mann.

Einen Augenblick stand der Kapitän sinnend, dann sprach er:

»In diesem Falle will ich Euch als Passagier mitnehmen. Behaltet Euer Geld, bis Ihr an Bord seid. In einer Stunde längstens gehe ich.«

Der junge Mensch antwortete nicht, aber wie einer, der wieder Hoffnung schöpft, eine entsetzliche Angst überstanden hat, holte er tiefen Atem, schaute den Kapitän, dann den Himmel an und sprang davon.


Kapitän Ready, Meister des Schoners »The speedy Tom«, hatte seine Ladung gelöscht, seine Geschäfte abgetan und würde auch bereits die Havanna verlassen haben, wenn nicht ein stürmischer Nordwester ihn zurückgehalten hätte. Dieser jedoch hatte sich an demselben Morgen gelegt, und er wollte bloß noch einmal nach seinem Gasthofe sehen, um auch die etwas stark angelaufene Rechnung zu löschen, noch ein und das andere Vergessene nachzuholen und dann zurückzukehren. Sein Schoner lag ganz segelfertig. Es war ein in Baltimore gebauter Schoner, womit ich alles gesagt zu haben glaube, – eines jener Fahrzeuge, um die uns die Welt mit Recht beneidet und um die wir auch wirklich zu beneiden wären, wenn es keine Squalls gäbe; aber diese Squalls qualifizieren wieder die Baltimore-Tugenden, denn sie schlagen euch bei nahe ebenso leicht während eines solchen Windstoßes um, als irgendeine lockere weibliche Tugend nur umschlagen kann. Aber flüchtig sind sie, das muß man gestehen; auch bieten sie im geringstmöglichen Raume wohl die größtmögliche Bequemlichkeit sowie Leichtigkeit dar, vom Verdecke herab in die See zu kollern. Ich war einige Male nahe daran – und einmal auch darin; glücklicherweise war gerade Windstille, der Sturm vorüber. Doch zu unserm ›Speedy Tom‹ zurückzukehren, so konnten sich in seiner Nußschale von Kajüte vier bis fünf Personen so ziemlich behaglich einrichten, und daß sie gerade keine anderen Passagiere hatte, schien den jungen Kapitän willfährig gestimmt zu haben, obwohl [275] er sich zu seiner verdächtigen Akquisition eben nicht Glück wünschen mochte. Unterdessen war die Aufnahme auf alle Fälle so ziemlich durch den Paß gerechtfertigt; zwar konnte dieser auch falsch sein, aber das ging nicht ihn, das ging die Hafenpolizei an. Wollte er nach dem Lebenslaufe jedes seiner Passagiere inquirieren, konnte er ebensowohl seine Kajüte vernageln. Dieses mochten allenfalls die Gründe sein, die den jungen Seemann bewogen, obwohl ihm die Heimlichkeit, die Angst des Fremden offenbar nicht gefielen, er auch leicht in eine Kollision mit den Hafenbehörden kommen konnte, für die ihm seine Schiffseigentümer nur wenig danken würden. Doch er war jung, entschlossen und obwohl seiner Pflicht als Kapitän haarscharf getreu, doch auch wieder Mensch. Der blasse Fremdling schien eine Saite in ihm berührt zu haben, die stark vibrierte. Etwas sprach zu seinen Gunsten; was es war, wußte er nicht, aber sein tiefstes Gemüt fühlte sich von dieser Stimme bewegt.

Ohne sich übrigens den Kopf zu zerbrechen, nahm er sein Frühstück ein, tat noch ab, was abzutun, und kehrte dann zu seinem Schoner zurück.

Wie er die Strickleiter hinauf auf das Verdeck sich schwang, kam ihm bereits der Fremde entgegen. In die Kajüte eingetreten, führte er ihm eine junge Dame auf, deren blasse Schönheit, verbunden mit dem höchsten Adel in Blick, Wort und Bewegung, wohl den seltsamsten Kontrast gegenüber dem halb zerlumpten jungen Menschen darbot. Die Dame war mit ihren zwei seraphartigen Kindern zwar einfach, aber in sehr feine Stoffe gekleidet. Doch auch hier zeigten sich Widersprüche. Auf einem der Koffer lag ein dürftiger Oberrock, den sie soeben abgelegt haben mußte; die zwei Kinder hatten gleichfalls zwei solche ärmliche Hülsen abgelegt. Unser Kapitän schüttelte etwas finster den Kopf; die Grazie der Dame jedoch, der Flötenton, der so zitternd, so duldsam ergeben aus der Brust heraufkam, durch die Perlenzähne, die schönen Lippen so bittend klang, schien die Wolke, die sich auf der Stirn des jungen Seemannes niedergelassen, wieder zu verscheuchen.

Er lud sie artig ein, sich in der Kajüte zu Hause zu machen, und bestieg dann die Treppe zum Verdeck.

Wenige Minuten darauf verriet das »heave ho yeo« der Matrosen, daß der Anker aufgezogen, und darauf das stärkere Schwanken, daß dieser empor und der Schoner in Bewegung sei.

[276] Die Sonne war aus dem Ozean heraufgestiegen, aus dem zerstiebenden Nebelschleier traten im Hintergrunde die Häusermassen von Havanna, im Vordergrunde die zahllosen Schiffe und rechts der düstere Koloß des Molo hervor, dessen drohenden Kanonenluken sich der Schoner nun mehr und mehr näherte. In atemloser Spannung, die starren Blicke auf das Fort gerichtet, standen die beiden Eheleute an der Kajütentreppe, mit der einen Hand das Seil der Treppe, mit der andern sich umschlungen haltend.

Auf den Nordwester war wie gewöhnlich eine kurze Windstille mit leichten Windstößen aus Südwest eingetreten, die die Ausfahrt des Schoners bisher begünstigt. Er stand jetzt dem Fort gegenüber.

Starre und atemlos, Totenblässe auf den Gesichtern, hielten sich noch immer die beiden Eheleute, in sprachloser Angst den Molo anstarrend. Es war da keine Bewegung zu verspüren. Die Wachen gingen ihren Automaten schritt auf und ab. Alles schien wie ausgestorben.

Aber jetzt öffnete sich auf einmal ein Pförtchen, zunächst dem Damme, ein Offizier trat eilig heraus, sechs Soldaten mit blitzenden Gewehren folgten. Vier Männer, die in einem Boote am Fuße der Dammtreppe lagen, sprangen auf – die Soldaten ein; zugleich wurde dem Schoner ein Signal zu halten gegeben. Das Boot flog wie von Fittichen getragen auf diesen zu.

»Jesu Maria y José!« stöhnte die Dame, »Madre de Dio!« der Mann.

Auf einen Wink des Kapitäns fiel das große Segel. Ruhig, unbewegt schaute er dem heraneilenden Boote entgegen, aus dem eine Minute darauf der Offizier samt den Soldaten an Bord stieg.

Der Offizier war jung, aber seine Miene charakteristisch spanisch, ernst und streng. Mit kurzen Worten befahl er dem Kapitän, seine Schiffspapiere vorzuweisen, seine Mannschaft sowie Passagiere vorzuführen.

Ehe der Kapitän ging, die ersten zu holen, befahl er seinem Leutnant, die andern vorzurufen. Zurückgekehrt überreichte er, ohne ein Wort zu sagen, dem Offizier die Papiere.

Dieser überflog sie, musterte einen der Matrosen nach dem andern, schaute dann erwartend in der Richtung hin, wo die Passagiere herkommen mußten. Sie kamen, der junge Mensch ein Kind im Arme, die Frau das andere.

[277] Ob er wisse, donnerte der Offizier plötzlich den Kapitän an, daß er einen Staatsverbrecher an Bord seines Schoners habe; wie er sich so etwas unterfangen könne!

»Jesu Maria y José!« stöhnte abermals die Frau, und dann sank sie ohnmächtig zusammen.

Eine tiefe Stille, die nur durch das Gekreisch der Kinder unterbrochen wurde, trat ein. Soldaten und Matrosen schlugen erschüttert die Augen zu Boden. Der Offizier war vorgesprungen, um dem jungen Staatsverbrecher beizustehen, der, das eine Kind in seinem Arme, nur mit Mühe die sinkende Frau mit dem andern aufzufangen und zu halten imstande war. Nicht ohne Delikatesse nahm er ihm die Kinder ab, es so dem Manne möglich machend, die Frau auf das Verdeck niederzulassen.

»Ich bedaure, Señor, aber Sie müssen zurück.«

Die Worte waren in einem bewegten, ja ehrfurchtsvollen, aber bestimmten Tone gesprochen, der junge Mensch jedoch hörte sie nicht – wie ein Geistesabwesender kniete er neben der Frau, ihr die Schläfe reibend.

Der Kapitän nahm unterdessen ein Stück Kautabak, schnitt davon ein Quid ab, steckte ihn in den Mund, und ebenso mechanisch den Paß entfaltend, hielt er ihn dem Offizier hin, der aber unwillig den unempfindlichen Amerikaner zurückwinkte, selbst empört, wie es schien. Es war aber auch etwas Empörendes in dieser Gefühllosigkeit eines jungen, kaum fünfundzwanzigjährigen Mannes! Freilich war er Kapitän im Dienste eines Handelshauses, dem alles daran gelegen sein mußte, den Verdacht abzuwälzen, als stehe er im Einverständnisse mit dem Flüchtlinge; der Schoner lag keine fünfhundert Fuß von dem Fort, ein bloßer Wink des Offiziers, und er mußte zurück, um vielleicht einer scharfen Untersuchung, einer schweren Strafe zu verfallen. Aber diese eisige Ruhe bei einer so erschütternden Szene, sie verriet doch ein gar zu fühlloses Herz, die impassablen Züge ein für jedes edlere Gefühl erstorbenes Gemüt! Nicht doch! Wir täuschen uns. So haarscharf sich die gewöhnliche Seele in ihrem äußeren Spiegel, dem Gesichte, abzeichnet, die kräftige, starke hat der Rinden, die den edlen Kern bedecken, viele und rauhe! Ein leichtes, wie konvulsivisches Zucken begann jetzt in dem eisernen Gesichte des Kapitäns zu spielen, das keiner bemerkte als sein Leutnant, der an ihn herantrat und dem er einige Worte in die Ohren wisperte. Dann [278] ging er abermals auf den Offizier zu und lud ihn ein, einige Erfrischungen in der Kajüte zu nehmen.

Es ist dies, wie ihr wisset, die gewöhnliche Courtoisie, die Kapitäne visitierenden Hafenoffizieren stets erweisen und die auch der Spanier annahm.

In der Kajüte schien unser Kapitän mit einem Male ein ganz veränderter Mann geworden zu sein. Mit einer Zuvorkommenheit, die niemand bei ihm gesucht hätte und die auch gewiß niemand so glücklich affichieren kann als der Yankee, wenn es ihm darum zu tun ist, einem guten Freunde sawder 1, wie er zu sagen pflegt, in die Augen zu streuen, war er auf einmal die Beweglichkeit, die Bonhommie selbst geworden. Während der Steward den Tisch mit Boston Crackers, Mandeln und Oliven besetzte, entkorkte er eine Madeirabouteille und war dabei zugleich so sehr beflissen, dem Offizier seine Unschuld an dem ganzen Vorfalle darzustellen, daß dieser, der den Madeira versucht, ihn tröstend versicherte, der Paß sei zwar falsch, für einen andern ausgestellt, aber er solle sich beruhigen, der Madeira sei echt, der Staatsgefangene aber ein Mann von größter Wichtigkeit, den noch erwischt zu haben er sich Glück wünschen dürfe.

Die Spanier lieben ein Glas Madeira, besonders wenn rein-ölichte Oliven die Grundlage bilden. Der Offizier schien sich ganz behaglich in der Kajüte zu fühlen. Unterdessen befahl er doch, das Gepäck des Staatsgefangenen, und zwar unverzüglich, in das Boot zu bringen.

Der Kapitän, nachdem er artig um Vergebung gebeten, ihn allein lassen zu müssen, eilte, dem Befehle Folge zu leisten.

Während er die Kajütentreppe hinaufstieg, schwankte ihm der unglückliche Staatsgefangene entgegen. Seine Gesichtsfarbe war blau geworden wie die eines Gehängten, die Züge ins Gräßliche verzerrt; das eine Kind hielt sich an seinem rechten Schenkel geklammert, die Frau, mehr tot als lebendig, hing an seinem Nacken; die Dienerin, eine junge Indianerin, trug das zweite noch saugende Kind. Unser Kapitän mochte bereits solcher Szenen mehrere in seinem bewegten Seeleben gesehen haben, aber diese hatte doch etwas Eigentümliches, Erschütterndes. Der stille Adel der Frau, die verzweifelnde Zerrissenheit des Mannes führten eine eigene Sprache, die wohl die stärksten Nerven erschüttern konnte. Wie er jetzt heran schwankte, loderte [279] ein so gräßliches Feuer in seinen Augen, die Gesichtsmuskeln, die Lippen zuckten so konvulsivisch! Die Zähne klapperten ihm, als wäre er vom Fieberfroste befallen; dazu haschte und tappte er wie wahnsinnig unter seinen Rockärmel nach dem Griffe eines Dolches!

Sie schien nicht mehr den Lebenden anzugehören, aber selbst in ihrer erstarrten Bewußtlosigkeit war sie unsäglich reizend!

Der Kapitän erfaßte die Hand des Unglücklichen und versuchte ihn zu trösten.

»Hättet Ihr mir doch nur einen Tag früher Eure Lage entdeckt, ich würde für Hilfe gesorgt haben, denn Tyrannei ist mir so wie jedem Amerikaner unter allen Umständen verhaßt; aber hier ist Hilfe beinahe unmöglich, die Order des Offiziers bestimmt; die Kanonen des Forts können uns in wenigen Sekunden in Grund bohren. Ich bedaure Euch, aber Hilfe, wie gesagt –«

Der Unglückliche ließ ihn nicht ausreden. Er faßte seine Hand, preßte sie wie ein Ertrinkender, stöhnte, versuchte es zu reden, vermochte es aber nicht. Endlich brachte er schluchzend und gebrochen heraus:

»Hört, Kapitän, ich bin geborner Kolumbier, Offizier in der Patriotenarmee, wurde kriegsgefangen in der unglücklichen Schlacht von Cachiri, von da mit meinen Unglücksgefährten nach der Havanna abgeführt. Meiner Frau und Kindern wurde erlaubt, mir zu folgen, um – eine der ersten Familien Kolumbiens ganz in Gewalt zu haben. Vier Monate lag ich in einem der entsetzlichsten Kerker, Seekrebse und Ratten und giftiges Ungeziefer aller Art waren meine einzigen Gesellschafter. Bloß meiner starken Konstitution verdanke ich es, daß ich noch lebe. Von siebenhundert meiner Unglücksgefährten sind alle bis auf einige wenige Opfer der spanischen Grausamkeit geworden. Ein vollständiges Gerippe, holte man mich vor vierzehn Tagen aus meinem Kerker hervor, quartierte mich in die Stadt ein, um mich wieder zu einigen Kräften zu bringen und dann – abermals lebendig einzumauern. Bereits ist der Befehl gegeben, mich in die vorige grausame Haft zurückzubringen. Daß ich in dieser keine acht Tage mehr aushalten kann, davon bin ich so gewiß, als daß ein Gott im Himmel ist. Ein Freund, der ungeachtet der großen Gefahr sich unserer Lage erbarmte, hat uns einen Paß und Geld verschafft, mich an Euch angewiesen. Der Paß gehörte einem am Gelben Fieber verstorbenen Spanier; mit ihm und durch [280] Euch hoffte ich Rettung. In Euch beruht meine, meiner armen Frau, meiner Kinder einzige Hoffnung, Leben oder Tod! Gebt Ihr mich auf, so ist mir dieser gewiß, aber ich schwöre es Euch: ehe ich mich zurückbringen und abermals einmauern lasse zu Leiden, deren Gräßlichkeit ich nicht beschreiben kann, bin ich fest entschlossen zu sterben. Nein, nun und nimmermehr lasse ich mich zurückliefern in die Hand des entsetzlichen Spaniers.

Armes Weib! Arme Kinder! Armes Vaterland!«

Der Kapitän, ohne eine Miene zu verziehen, stand, an seinem Kautabak schneidend, fuhr dann mit der Hand über die Stirn und trat rasch auf das Verdeck. Den Matrosen befahl er, die Koffer und Portemanteaux der Familie auf das Verdeck – aber nicht in das Boot zu bringen; dann prüfte er Himmel und Wetter und wisperte angelegentlich mit dem Leutnant. Noch raunte er dem Steward zu, den Soldaten und Bootsleuten ein paar Bouteillen Rum zu reichen, und stieg dann die Kajütentreppe hinab. Wie er diese betrat, murmelte er, ohne den Patrioten anzusehen, die Worte: »Vertraut auf ihn, der dann hilft, wenn die Not am größten ist!«

Kaum hatte er diese Worte gemurmelt, als der Spanier aus der Kajüte heraussprang, und wie er den Staatsgefangenen erblickte, diesem finster rief, sogleich ins Boot hinabzusteigen. Aber der Kapitän trat vor und bat, doch zu erlauben, daß sein unglücklicher Passagier noch ein Glas – einen Valettrunk nähme. Er sei Soldat und er als Kapitän auch ein halber, und er sei überzeugt, daß der tapfere und großmütige Spanier, und jeder Spanier sei tapfer und großmütig, ihn nicht zwingen werde, einen Unglücklichen ungastlich von seinem Verdecke zu lassen.

Der junge Offizier war kein harter Mann, er nickte beifällig, trat selbst zur Treppe, und die Hand bietend, geleitete er den Kolumbier diese herab in die Kajüte ein.

Die beiden nahmen am kleinen Kajütentische Platz. Der Kapitän brachte eine frische Bouteille, und zwar Xeres, der denn so vortrefflich war, daß des Spaniers Augen beim ersten Glase bereits funkelten. Die Unterhaltung wurde trotz der tödlichen Spannung des Kolumbiers immer lebhafter. Der Kapitän sprach das Spanische geläufig und überließ sich einer Suada, die niemand in dem trockenen, düstern jungen Manne gesucht hätte. So verging eine Viertel-, vielleicht eine halbe Stunde.

[281] Auf einmal erhielt der Schoner einen Stoß, der die Gläser zum Schwanken und Fallen brachte.

Der Spanier sprang zornig auf.

»Kapitän, der Schoner segelt!«

»Ganz natürlich!« versetzte ruhig der Kapitän; »Ihr werdet doch nicht erwarten, Señor, daß wir bei der herrlichsten Brise, die je einem Schoner blies, ruhig liegenbleiben werden?«

Ohne ein Wort zu erwidern, sprang der Offizier der Kajütentür zu, die Treppe hinauf, warf einen Blick auf den Molo.

Das Fort lag gute zwei Meilen im Rücken.

Der Spanier wurde wütend.

»Soldaten!« schrie er, »sogleich ergreift den Staatsgefangenen und Kapitän. Verrat ist hier im Spiele. Ihr, Steuermann, wendet um!«

Und Verrat war wirklich im Spiele, denn so verräterisch waren die Segel angezogen worden, daß weder die ruhig forttrinkenden Soldaten noch Bootsleute es gemerkt hatten. Erst die Ankunft des Offiziers hatte sie aufmerksam gemacht.

Der Kapitän blieb jedoch ganz ruhig.

»Verrat!« versetzte er ernst, »Gott sei Dank, wir sind Amerikaner und haben also nichts zu verraten, keine Treue zu brechen; was aber diesen Staatsgefangenen betrifft, so bleibt er hier.«

»Hier!« schnaubte der Spanier. »Wir wollen Euch zeigen, Ihr verräterischer –«

»Hier!« versetzte ruhig der Kapitän. »Gebt Euch keine unnötige Mühe, Señor! Die Musketen Eurer Soldaten sind, wie Ihr seht, in unsern Händen, meine sechs Matrosen mit Fängern und Pistolen wohlversehen. Wir acht nehmen es sehr gut mit Euch zehn auf. Bei der ersten Bewegung schießen wir Euch nieder.«

Der Offizier ward sprachlos, wie er jetzt um sich schaute. Die Musketen seiner Soldaten lagen in einem Haufen, von zwei bewaffneten Matrosen bewacht.

»Ihr würdet es wagen?« schrie er. Der Zorn ließ ihn nicht ausreden.

»Ich würde ohne weiteres, hoffe aber, Ihr werdet mich nicht dazu zwingen; auch ist es ganz und gar nicht vonnöten. Ihr bleibt noch für einige wenige Stunden mein Gast, und dann fahrt Ihr in Eurem tüchtigen Boote zurück und habt gegen einen vielleicht monatlichen [282] Arrest das Bewußtsein, einen edlen Feind von Tod und Verzweiflung gerettet zu haben.«

Alles das war ruhig, ernst, aber zugleich auch so scharf und bestimmt gesprochen, als den Spanier zucken machte.

»Maestro! Maestro!« sprach er, »ich hoffe, Ihr treibt Scherz!«

»Sind keine sehr scherzhaften Leute, wir Amerikaner!« versetzte gelassen der Kapitän.

»Wißt Ihr, daß Ihr Euch eines todeswürdigen Verbrechens schuldig macht?« schrie wieder der Spanier.

»Wäre ich ein Spanier, ja, als Amerikaner nein«, versetzte wieder ruhig der Kapitän, den Finger mit einem eigentümlich launigen Rucke in einen Kübel Seewassers tunkend, den der Steward soeben an der Schiffswand heraufgezogen.

»Wir sind auf der See, auf amerikanischer See, und Ihr wisset wohl, daß wir Amerikaner auch auf dieser die Herren – und zu stolz sind, uns von irgendeiner Nation, welche immer sie sei, Gesetze vorschreiben zu lassen. Nehmt Verstand an und seid menschlich!« fügte er freundlicher hinzu, »dieser Patriot da hat nichts verbrochen, im Gegenteile seine Schuldigkeit getan, getan, was unsere Washingtons, Putnam, Greene und Tausende unserer Revolutionshelden auch taten – für sein Vaterland, die Freiheit gefochten; und Ihr, statt ihn – den unglücklichen Gefangenen – menschlich zu behandeln, habt ihn zur Leiche gemartert! Seht ihn Euch an und sagt, ob ich nicht härter als Stein sein müßte, wollte ich ihn abermals Euren Klauen überliefern. Er soll nicht zurück!«

Der Offizier knirschte mit den Zähnen, gab aber die Hoffnung offenbar noch nicht auf. Zwar war an Widerstand nicht zu denken, die Musketen seiner Leute waren in der Gewalt der Amerikaner, die, Pistolen in den Händen und Fänger in den Zähnen, davorstanden. Die Soldaten selbst schien der Rum nichts weniger als zum Fechten begeistert zu haben; die Bootsleute waren Neger, und also von Hause aus kampfunfähig; aber mehrere Regierungs- oder Revenue Cutters 2 waren in nicht sehr großer Entfernung zu sehen. Gelang es ihm, auch nur einem derselben ein Zeichen zu geben, so mußte der Schoner angehalten, aufgebracht werden. Er sah ängstlich in der Richtung hin, in der soeben eine bewaffnete Sloop 3 dem Hafen zuschwankte.

[283] Der Kapitän schien seine Gedanken zu erraten.

»Señor, wie gesagt, Ihr müßt uns schon die Ehre antun, noch ein leichtes Gabelfrühstück mit uns zu nehmen. Das Mittagsmahl dürftet Ihr wohl zur See zubringen, aber zum Souper mögt Ihr wieder zu Hause sein.«

Und mit diesen Worten reichte er ihm artig die Hand, die der Spanier, gute Miene zum bösen Spiel machend, wohl annehmen mußte, denn die Züge des Amerikaners hatten nun einen Ernst angenommen, der verriet, daß er in der Tat nichts weniger als scherzhaft aufgelegt sei. Die beiden Gatten aber stießen einen unartikulierten Schrei aus, und dann sanken sie einander in die Arme. Zu reden, zu danken vermochten sie nicht, das Herz war ihnen zu voll. Schluchzend hingen sie einander am Halse, sich so krampfhaft umschlingend, als wollten sie sich nimmermehr trennen lassen, dann lachten sie wieder wie wahnsinnig auf – murmelten wieder, stierten auf das gräßliche Havanna, den entsetzlichen Molo zurück!

Allmählich traten die endlosen Massen der Hafenstadt, das verworrene Chaos der Segel, Taue und Schiffe, der Molo selbst in den Hintergrund, ein glänzend lichter Streifen begann zwischen ihnen und der Stadt sich aufzurollen, anfangs nicht größer als ein lichtblaues Silberband, rasch jedoch in die Länge und Breite wachsend; Gatte und Gattin verfolgten in namenlosem Entzücken sein schnelles Wachstum. Wie ihr trunken verklärter Blick an dem zum Seespiegel gewordenen Streifen hing, schien es ihnen, als wüchse er vom Himmel herab, als sende ihn dieser, begünstige ihre Rettung! Er begünstigte sie auch sichtbar. Immer mehr schwanden Stadt und Hafen, bereits waren die Masten der Schiffe nicht mehr sichtbar, nur die Wimpel flatterten noch wie Seevögel am entfernten Horizont. Der Schoner flog vor der stärker werdenden südwestlichen Brise seine zehn Knoten dahin.

O diese Empfindungen, diese Gefühle!

Im Rausche empfanden sie keines der irdischen Bedürfnisse, nicht Hunger, nicht Durst. Erst als die Stimme des Spaniers sich auf der Kajütentreppe hören ließ, kamen sie wieder zu sich.


Das Gabelfrühstück mochte ihm wohl sehr gut gemundet haben, denn er war ungemein redselig geworden. Noch auf der Treppe [284] versicherte er lachend dem Kapitän, daß ihn der Ausflug freue und das Vergnügen, die Bekanntschaft eines Yankee-Amerikaners gemacht zu haben, ihm teuer bleiben werde, da er sie leicht mit ein paar Monat Arrest im Staatsgefängnisse, vielleicht noch schwerer büßen dürfte; dafür hoffe er jedoch, falls er einst im wechselnden Kriegsglück in eine ähnliche Lage geraten sollte, auch einen Yankee zu finden, ihm aus der Klemme zu helfen.

Frank und offen entgegnete ihm wieder der Kapitän. Wer ihn jetzt sah, diesen Kapitän, würde ihn nicht mehr erkannt haben. Die finster impassablen, ja feindseligen Züge waren heiter geworden, hatten eine zuversichtlich klare Fassung angenommen, das Bewußtsein, die Welt mit einer edlen Tat bereichert zu haben, hatte ihn offenbar in seinen eigenen Augen gehoben. Wie er jetzt Arm in Arm mit dem Spanier auf das Verdeck heraustrat, erschien er dem Ehepaar mehr denn schön – ein Held, ein Gott!

Der Schoner war gute zwanzig Meilen von Havanna, der Molo kaum mehr zu sehen. Es war Zeit zu scheiden, denn eingeholt zu werden durfte er nicht mehr befürchten; längeres Zurückhalten aber konnte dem Offizier und seinen Leuten gefahrbringend werden. Er eilte, ihn und die Soldaten ins Boot zu schaffen.

Ehe dieser den Schoner verließ, umarmte er noch mals den Kapitän. Eine Minute darauf flog das Boot dem Hafen zu.

Der Schoner aber eilte auf den Fittichen der Windsbraut der Heimat zu, in der er nach eilf Tagen anlangte. Die Gatten stiegen im Hause des Kapitäns ab, dessen liebliche junge Gattin – er war seit sieben Jahren verheiratet – sie wie alte Freunde aufnahm.

Estoval – so hieß der Kolumbier nach seinem Passe – und seine Gattin nahmen die Einladung ihres Retters und Beschützers um so lieber an, als ihr Auftreten unter eigenem Namen für sie mit einiger Gefahr, für den Kapitän aber mit Unannehmlichkeiten verbunden sein konnte. Philadelphia, eine von ruhigen, ehrsamen Quäkern, Gelehrten und Handelsleuten bewohnte kreuzbrave, aber etwas engherzige, spießbürgerliche Stadt, von jeher Revolten und Revolutionen abhold, war begreiflicherweise auch auf die Patrioten nie sehr gut zu sprechen gewesen, denn sie hatte durch die häufigen Wechsel des Kriegsglücks bedeutende Einbußen, und zwar gerade durch sie, erlitten. Nun sie auf allen Seiten unterlagen, kam auch die Verachtung hinzu, nicht zu erwähnen, daß die spanische Ambassade [285] in der aristokratischen Clique der Stadt einen sehr starken Anhang hatte, der allerdings gefährlich werden konnte. Die Flüchtlinge hielten es daher geraten, sich still und inkognito um so mehr zu verhalten, als auch ihre Geldressourcen sehr beschränkt waren, der volle Beutel aufgespart werden mußte, um die Heimkehr möglich zu machen.

Diese erfolgte drei Monate darauf, wo ein Freund des Kapitäns es übernahm, die Familie nach Marguerite zu bringen, damals dem Vereinigungspunkte der Patrioten, von wo aus sie bekanntlich unter Bolivar abermals ihre Operationen gegen die Spanier, und zwar mit glücklicherem Erfolge, begannen.

Erst auf der Heimreise fiel es den beiden Gatten bei, daß sie ja von ihrem Retter nicht einmal nach ihrem eigentlichen Namen befragt worden waren. In der Tat hatte dieser nie gefragt, und da sie sich immer nur bei ihrem Taufnamen genannt hatten, so waren sie wirklich inkognito geschieden.

Dem Kapitän hatte unterdessen die gute Saat keine guten Früchte gebracht. Ja, wäre der Gerettete ein sogenannter Loyaler, gleichviel ob Brite, Franzose oder Spanier, gewesen, die guten Philadelphia würden in Ekstase ausgebrochen sein über die edle, entschlossene, ritterliche Tat: aber einen Rebellen, einen Patrioten dem Gesetze, der wohlverdienten Strafe zu entziehen und zugleich Schiff, Kargo und, was mehr, die Respektabilität des Hauses, wie man es nannte, so bloßzugeben, das konnte nicht verziehen werden, verdiente Ahndung. Die Firma war zum Teile quäkerisch, und quäkerisch ahndete sie auch. Zwar unternahm sie nichts öffentlich, aber sie sorgte um so mehr dafür, es nachzutragen, da auch die Consignees in Havanna einige Unannehmlichkeiten von der Geschichte hatten. Der Kapitän wurde mit einem sehr zweideutigen Wohlverhaltenszeugnisse entlassen und so ein Schatten auf seinen Charakter geworfen, der ihm wohl für immer geblieben sein dürfte, wenn ihn nicht, wie gesagt, der Wechsel des Kriegsglücks wieder begünstigt hätte. Aber doch hatte er lange zu kämpfen, ehe er den üblen Eindruck verwischte.


Jahre waren unterdessen verstrichen. Kolumbia hatte seine Unabhängigkeit errungen, Bolivar seinen berühmten forcierten Marsch, der die Vereinigung der spanischen Streitkräfte verhindern sollte, unternommen; Hualero war von Caracas aus mit einem zweiten [286] Heere nach Peru abgegangen. Aber während er in Panama ein- und das Kap Hoorn auf seinem Wege nach Lima umschiffte, hatte Sucre die Spanier bei Ayacucho angegriffen, geschlagen und gefangengenommen, so die Unabhängigkeit Perus und mit dieser die des ganzen spanischen Amerikas sichernd. So war denn kein Feind mehr vorhanden als der in der Festung Callao eingeschlossene. Diese Festung, bekanntlich vier Jahre zuvor von Martin und Cochrane blockiert und erobert, war durch Verräterei in die Hände der Spanier zurückgefallen, und General Hualero, nun mit seiner Armee im Hafen vor Lima angekommen, wurde sie zu belagern beordert.

Eben hatte er sie zu Lande eingeschlossen, als der Kapitän erschien, um ihr Lebensmittel und die einem Spanier so unentbehrlichen Zigarren zuzuführen. So brachte das Schicksal Schützling und Beschützer in wahrhaft gegenfüßlerischer Laune abermals zusammen, den armseligen Flüchtling als General en chef einer für Südamerika sehr bedeutenden Armee, den Yankee als einen rat-, schifflosen Kapitän. Aber weder der eine noch der andere verleugnete seinen Charakter, beide bewiesen sich gleich ehrenhaft. Der Patriot hatte im Stolze des über Tausende Gebietenden – nicht den Wohltäter vergessen, der Kapitän im Unglück – nicht den Mann. Noch immer stand er als Mann dem berühmten Heerführer gegenüber, und auch kein Zug, keine Gebärde, keine Bewegung verriet, daß er aus seiner Rolle oder vielmehr aus seiner Natur gefallen. Für mich aber war es einer der erquicklichsten Momente, die beiden so verschieden temperierten und doch in der Hauptsache so gleichgestimmten Charaktere zu beobachten. Sie genossen sich drei volle Wochen, nach Verlauf welcher sie schieden.

Daß nun die Klemme, in der wir mit Kargo und Schiff staken, einen sehr brillanten Ausgang nahm, brauche ich wohl kaum mehr zu sagen. Noch waren wir nicht drei Tage in Lima, als der Kapitän Schiff und Kargo mit Ausnahme des spanischen Eigentums zurückerhielt. Dieses ward natürlich konfisziert und von der Regierung in Beschlag genommen, aber der General en chef ersteigerte es und präsentierte die sämtlichen Zigarrenkisten dem Kapitän, während er zugleich eine Art Auktion veranstaltete, in der, wie Sie wohl denken mögen, diese köstlichen Glimmstengel auf eine brillante Weise losgeschlagen wurden.

Der Kapitän erntete reine dreißigtausend Dollar, die er in Gold [287] mit nach Hause brachte. Die Brigg selbst mit dem losgegebenen Kargo wurde von der Regierung für ihre Flotte angekauft. Wir verließen nach drei Wochen Lima in einer ganz andern Stimmung, als wir es betraten. Nicht, daß mein guter Kapitän auch nur um ein Jota lauter oder fröhlicher geworden wäre, selbst die noch immer reizende Gattin des Generals vermochte ihm kaum ein Lächeln abzugewinnen, aber man achtete, liebte nun diese Finsternis, diese gerunzelte Stirn, diese trüben Wolken; sie waren bloß die Schleier, die den heitern Tag, den reinen Äther, den läutern, probehaltigen Geist verhüllten. Wir hatten den reichen, köstlichen Kern hinter der rauhen Schale gefunden.


Der Präsident hatte geendet.

Eine lange Pause trat ein.

»Und dieser Kapitän Ready? Sagt an, Präsident, dieser Kapitän Ready?« brach endlich Oberst Oakley aus.

»Ist ein Yankee!« versetzte ruhig der Präsident.

»Duncan! Ihr seid auch so ein halber Kishogue vor den irisch richterlichen Lords. Es ist Käpt'n Murky, ist er's nicht?« fiel General Burnslow ein.

»Vielleicht ist er's, Burnslow!« warf Duncan hin.

»Dann, Gentlemen!« rief der General mit Emphase, »dann schlage ich vor, unserm wackern Kapitän als Merkmal unserer Achtung und Anerkennung –«

»Und?« schaltete spöttisch der Präsident ein.

»Macht mich nicht irre!« rief ärgerlich der General, »als Merkmal unserer Achtung und Anerkennung und unserer Würdigung seines ritterlich seemännischen Benehmens – ein öffentliches Diner zu votieren.«

»Mit vierundzwanzig Toasten und Schüsseln und halb so vielen Dutzend Bouteillen, nicht wahr?« meinte trocken der Bankpräsident, »protestiere im Namen meines Freundes dagegen. Würde sich wahrlich nicht zweimal bei Euch bedanken, wenn Ihr ihm da mit Euren Madeiras und Schildkrötenpasteten und Eurer Würdigung und Anerkennung als Postskript kämet. Verdürbe ihm nur Euer Senf sein Diner. Weiß sich und seine Tat schon selbst zu würdigen, zu fetieren, sowie denn solche Taten auch sich schon von selbst genießen, [288] fetieren, fetend getoastet aber allen ihren Hautgout verlieren, ungenießbar werden.«

»Seid ja auf einmal ein außerordentlicher Freund stiller, zarter Genüsse geworden«, spottete der General.

»Hat aber recht, General Burnslow, vollkommen recht!« nahm der Supreme Judge das Wort. »Glaube nicht, daß hier ein öffentliches Diner à propos wäre. Mir wenigstens, wenn mir das Schicksal eine so herrliche Blüte in meinen trocken juridisch kriminalistischen Lebenskranz gewunden hätte, könnte nichts Ärgeres begegnen als eine solche Popularisierung oder vielmehr Theatralisierung.«

»Seid denn doch über die Maßen zartfühlend, Ihr Yankees!« spottete wieder der General.

»Wie Ihr es nehmen wollt, General Burnslow!« entgegnete halb im Scherz, halb im Ernste der Supreme Judge. »Unser Yankeetum ist zwar ein trockener Boden, bringt aber doch so duftende Blüten, so herrliche Früchte hervor wie irgendeiner. Es ist in unserm Yankeetum ein stiller, tiefer Sinn, den Ihr Southrons ein Brüten, Grübeln nennt, ein ewiges Auf-Dollar-spekulieren, weil unsere Stirn gerunzelt erscheint. Und doch, wenn es zum Ausschlage kommt – sag' Euch – will der chevaleresken Tat unsers teuren Murky nicht zu nahe treten, aber das getraue ich mir doch zu verbürgen, daß es unter unsern Yankee-Kapitänen noch Hunderte gibt, die sich keinen Augenblick bedenken würden, an seiner Stelle das gleiche zu tun.«

»Ohne Zweifel!« rief es von mehreren Seiten.

»Allen Respekt vor der Yankee-Ritterlichkeit!« lachten wieder andere.

»Seid doch so gut, laßt uns Southrons auch noch ein bißchen übrig!« spotteten wieder dritte.

»Nicht nur das«, meinte lachend der Präsident, »sondern wir Yankees beugen uns auch alle, nicht wahr, Judge, in tiefster Demut, anerkennen unser Zurückstehen, euer Übergewicht in diesem Punkte, und zwar so vollkommen, daß ich moralisch überzeugt bin, ein Southron im Falle unsers Käpt'n Murky und vor dem Molo zu Havanna würde nicht nur den Spanier mit seinen Musquetaires, sondern auch den Molo mit seinen hundert Kanonen, wenn nicht Havanna selbst, zum Kampfe herausgefordert haben.«

»Geht zum Henker!« riefen lachend die Southrons.

Der Präsident lachte herzlich mit.

[289] »Seid und bleibt heißblütige, heißköpfige Southrons!« fuhr er in seiner kaustisch trockenen Manier fort, »seid und bleibt Southrons, die, wenn ihrer vierundzwanzig zusammenkommen, auch richtig sechs Erdbeben, zwölf Gewitter, vierundzwanzig Blitze und sechsunddreißig Donnerschläge mitbringen.«

»Geht zum Teufel!« lachten wieder alle. »Gute Nacht! Wollen gehen, sonst bekommen wir noch ein Dutzend Pillen mehr mit auf den Weg.«

»Gute Nacht!« riefen sie alle.

»Gute Nacht!« rief ihnen lachend der Präsident nach, »und vergeßt nicht, daß ihr heute über acht Tage meine Gäste seid!«

Fußnoten

1 Verbindliche Redensarten, Schmeicheleien.

2 Zollkutter.

3 Schaluppe.

[290] Sehr seltsam!

»Da gehen sie, die Sprudelköpfe!« brummte er ihnen nach, »feurig wie kochende Vulkane, zündbar wie achtzehnjährige Cadixer Señoritas, großmütig wie eure Ritter von der Tafelrunde und stolz wie Luzifers; aber überhaupt und insbesondere die gloriosesten, nobelsten Bursche, die es geben kann. Soll mir nun John Bull in seinem ganzen alten England zwei Jungens aufweisen wie dieser Oakley und Bentley! Herrliche Jungens! Nur noch alle Vierteljahrhunderte einen Krieg von zwei bis drei Jahren, wie der von Anno zwölf, ihr Mütchen an John Bull zu kühlen, und sie wären die ersten Gentlemen der Welt! So aber tritt ihr Übermut denn doch ein wenig zu ungeregelt lästig bei jeder Gelegenheit hervor – der lange Frieden tut ihnen und uns nicht gut. Ah, dieser Oakley! Bin ordentlich verliebt in ihn; wollte, Alexandrine wäre es, oder in Bentley! Weiß selbst nicht, welchen von beiden ich lieber habe. Wäre mir der kleine Finger von Oakley oder Bentley lieber als der ganze M–y. Gar ein süßes, geschniegeltes Fischbeinmännchen, dieser M–y! Tänzelt um sie herum, hängt an ihr wie eine Klette.«

»Er ist des Todes, wenn er es wagt!« unterbrach ihn hier eine heftige Stimme.

»Was, zum Henker, haben wir denn da schon wie der? Ist denn heute gar keine Ruhe mehr! Immer nur Mord und Totschlag und Kugeln und Pistolen? Wer, im Namen des gesunden Menschenverstandes! Ned, bist du es? Um's Himmels willen! Was soll es nur wieder? Wer tat dir etwas, daß er gleich des Todes sein soll?«

»Wer immer es wagt!« versetzte zornig Ned.

»Wer immer es wagt?« meinte verwundert der Onkel, »was wagt?«

»Seine Augen zu ihr zu erheben!«

»Zu ihr? Zu welcher ihr?« fragte mit einer wahren Schafsmiene der Onkel.

[291] »Bitt' Euch, Onkel, bitte Euch recht sehr, nicht in diesem Tone von einer Dame zu reden, von einer Dame. Sag' Euch, zerreißt mir ordentlich die Ohren, dieser Mißton!«

»Mißton? zerreißt dir die Ohren?« unterbrach ihn der Onkel. »Willst du wohl so gut sein, Ned«, meinte er gähnend, »deine Rede etwas weniger pythonisch, orakulär einzurichten? Wen meinst du denn eigentlich mit deiner Dame, deinem Mißton?«

»Wen ich meine?« rief heftig Ned, »wen ich meine?« seufzte er verzückt, »wen meine ich, als die Herrliche, die Göttliche! Ah, Alexandrine!«

»Alexandrine!« rief der Uncle, »Alexandrine? Was von ihr? Wie kamst du auf sie? Was weißt du von ihr? Hast sie ja in deinem Leben nicht gesehen, kennst sie nicht einmal?«

»Ich sie nicht kennen?« rief der sehr unwillige Ned, »ich sie nicht kennen, die unvergleichlich Herrliche, in der mir erst Licht und Leben –!« frohlockte er schwärmerisch.

»Und so weiter!« unterbrach ihn spöttisch der Onkel. »Würde Tropen und Figuren lassen, wenn ich du wäre, in schlichtem Englisch oder Amerikanisch reden, denn es ist spät oder vielmehr früh und Zeit zum Schlafengehen. Du kennst sie also? Ah, sie war es denn, sie war es, der die Seufzer galten, die uns bei einem Haare einander auch in die Haare gebracht hätten? Und woher kennst du sie, wenn ich zu fragen so frei sein darf?«

»Ich habe die Ehre, Miß Alexandrine von Paris her zu kennen!« versetzte ehrerbietig der Neffe.

»Von Paris?« rief kopfschüttelnd der Onkel, »von Paris? So warst du also in Paris? Aber ich dachte, du hättest dich die ganze Zeit in Texas umhergetrieben? Habe deshalb auch nach Texas geschrieben und durch deinen Vater schreiben lassen. Hast du unsere Briefe nicht erhalten?«

»Nein, ich war die letzten sechs Monate von Hause abwesend, drei Monate in Aufträgen meines Landes und unserer Regierung zu Paris.«

»Von Hause abwesend, drei Monate in Aufträgen deines Landes in Paris?« spottete der Uncle. »Und war unter den Aufträgen deines pretiösen Landes und deiner pretiöseren Regierung auch der – ich weiß in der Tat nicht, wie ich es nennen soll?«

[292] »Nennt es, wie Ihr wollt, Onkel!« fiel ihm ernst, beinahe streng der Neffe ein. »Nennt es, wie Ihr wollt, nur nennt nichts, was dem Bevollmächtigten seiner Regierung zu hören nicht geziemt. Spottet, soviel Ihr wollt, nur spottet nicht über eine Regierung und Männer, deren hohen Geist Ihr nicht kennt, nicht zu ermessen imstande seid. Überlaßt das Euren gepriesenen Sprudelköpfen, wie Ihr sie nennt, die ich aber mit Eurer Erlaubnis etwa mit Ausnahme Oakleys, Bentleys und einiger weniger Hohl- und Schafsköpfe nenne. Überlaßt es ihnen, über Taten und Männer zu spotten, die Achsel zu zucken, die über sie weit zu erhaben sind, als daß sie diese mit Baumwollen und Sklaven angefüllten Gehirnschädel zu würdigen fähig wären. Überlaßt es uns, uns und unsere Taten vor der Welt zu rechtfertigen.«

Der junge Mann war, trotz der Mühe, die er sich gab, gelassen zu bleiben, nicht wenig heftig geworden, nicht so der Onkel, der ganz ruhig erwiderte:

»Oh, das tue ich ja! Behüte mich der Himmel, Eurer Texaser Ehre nahezutreten! Allen Respekt vor deinen Texaser großen Geistern, Helden! Aber wollen für einstweilen diese Helden und Geister beiseite lassen und zu Dingen übergehen, die uns näherliegen. Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich muß Euch ersuchen, mir die Beantwortung dieser Frage zu erlassen, denn sie ist unzart!« bedeutete ihm der Neffe.

»Auf alle Fälle ist sie es, aber das ist nicht meine Schuld, finde sicherlich keine sehr große Zartheit darin – sich in Liebesverhältnisse mit der Tochter ohne Vorwissen des Vaters einzulassen!«

»Da haben wir wieder verschiedene Ansichten, Onkel!« versetzte ebenso spöttisch der Neffe. »Ich wieder sehe nichts Unzartes in einer Neigung, ja, wenn Ihr nichts dagegen habt, Liebe, wenn diese Neigung Liebe – aber laßt uns schweigen, Onkel! Ich sehe, daß wir von ganz entgegengesetzten Ansichten ausgehen. Wir Texaser sind weder Geldmänner noch Onkels – bloße Naturmenschen, aber menschliche Menschen.«

»Freut mich, das zu hören«, spottete wieder der Onkel, »freut mich sehr, zweifle auch nicht, daß Ihr menschliche Menschen seid, Naturmenschen, liberale Menschen, ganz und gar nicht so engherzig wie wir hierzulande. Habt es bereits bewiesen. Ist aber nur fatal, mein lieber Texaser General, daß du jetzt in unserm Lande bist, wo wir [293] leider so bornierte, unmenschliche Menschen, Geldmänner und Uncles – das heißt, ganz und gar nicht geneigt sind, uns unsere Töchter und Dollars so mir nichts, dir nichts wegkapern zu lassen. Sind so unmenschlich, auch ein Wörtchen dazu zu sagen.«

»Mister Duncan!« rief gereizt der Neffe.

»Laß uns, wenn's beliebt, weniger militärisch kategorisch imperativ in unserem Zweigespräche sein«, bedeutete ihm der Uncle, »denn du weißt, daß ich mich nicht schieße, hilft also dein tapferer Ton nichts. Und dann ist's spät, nahe an vier. Selbst der Mond will zu Bette, sieh nur.«

Er deutete bei diesen Worten auf den Mond, der sich stark den westlichen Wäldern Louisianas zuneigte.

»Ich habe«, hob er etwas ernster wieder an, »einige Ursache, zu fragen, einiges Recht und Interesse, verstehst du, da ich in Verhältnissen zu dem Vater der Erkiesten deines Herzens stehe, die ich nicht um zehn Söhne und zwanzig Neffen gestört wissen wollte. Es ist bei mir nicht bloß Delikatesse, es ist Pflicht, mußt du wissen, mein liebwerter General! Willst du daher so gefällig sein, mir zuerst zu sagen, wo und wann du Miß Alexandrine zuerst kennenlerntest?«

»Zu Paris im Salon unsers oder vielmehr Eures Gesandten, des Generals C–ß, gerade vor acht Wochen drei Tagen.«

»Sehr pünktlich, in der Zeitrechnung wenigstens, das muß ich sagen!« spottete der Onkel. »Und saht Ihr Euch öfters?«

»Zweimal, das erstemal, als wir einander vom Minister-General aufgeführt wurden, und dann – dann – bei ihrem Abschiedsbesuche.«

»Und nicht öfter? Dann mußt du Zeit und Gelegenheit wahrlich als General wahrgenommen haben – als eine Art Cäsar: Veni, vidi, vici 1. Du siehst, habe mein Salem-Latein noch nicht ganz vergessen. Aber bei Euch Soldaten ist ja love at first sight 2 herkömmlich. Hoffe jedoch, die süßen Regungen werden nicht gegenseitig erwacht sein? Hoffe es um Alexandrinens willen; oder kamet Ihr während dieses zweimaligen Zusammentreffens doch bereits auf das süße Thema? Wäre das ja schnell!«

»Euer herzloser Spott verdient eigentlich keine Antwort«, fiel ihm mit verbissenem Grimme der General ein, »aber ich will Euch [294] antworten, weil, um es frei herauszusagen, ich mich viel zu sehr achte, als daß ich dem Schwestermanne meiner teuren Mutter seinen schnöden und gefühllosen Hohn zurückgeben könnte. Aber in der Tat, Mister Duncan, weiß ich nicht, was Euch berechtigt, in diesem Tone zu mir zu sprechen? Ich glaube, unsere Unterhaltung dürfte hier am besten abgebrochen werden.«

Und so sagend, trat er kurz und stolz zurück; der Onkel hielt ihn jedoch.

»Will Euch sagen, General«, versetzte dieser schärfer, »will Euch sagen, was mich berechtigt, in diesem Tone zu Euch zu sprechen. Halte mich zu diesem Tone berechtigt, nicht deswegen, weil ich der Schwager Eures Vaters, sondern weil ich der Freund, der Partner, ja gleichsam der Bruder des Mannes bin, dessen Tochter in ihr väterliches Haus zu folgen, ich möchte sagen zu verfolgen. Ihr so kühn seid; weil ich diesem Mann, dem edelsten, dem treusten, zartfühlendsten Freunde, den ich auf der weiten Welt besitze, um keinen Preis zu nahe treten ließe, nicht von meinem Vater, nicht von meinem Sohne zu nahe treten ließe, weil der bloße Schein einer Undelikatesse Undankbarkeit wäre. Undelikat aber würde es in hohem Grade sein, dein Liebesverhältnis zu seiner einzigen Tochter, mit der er wahrscheinlich ganz andere Absichten hat, zu begünstigen. Undelikat muß ich es nennen, General, sich in einem Hause betreten zu lassen, von dem Euch wahrer Zartsinn entfernt haben sollte. Undelikat nenne ich, so mit der Liebe gleichsam zur Türe, ins Haus hineinzufallen, diese Liebe durch Ausrufungen, Seufzer, Streit zu proklamieren. Das nenne ich undelikat, General, und es empört mich, einen Neffen zu finden, ihn in einem Hause installiert zu sehen, in dem er niemanden kennt; denn du kanntest niemanden, wußtest ja nicht einmal, daß ich in Natchez – mit dem Vater der Tochter in freundschaftlichen Beziehungen stehe!«

Des Generals Brust hob sich während der Vorwürfe des Uncles hörbar, die Zähne klapperten ihm.

»Uncle!« brach er endlich in dumpfer Verzweiflung aus.

»Sag mir, wußtest du in der Tat nicht, daß ich mich in Natchez niedergelassen?«

»Ich hatte wohl gehört, daß Ihr Euch im Südwesten aufhaltet – aber wo, wußte ich nicht!« stammelte der Neffe.

»Und bist ihr doch gefolgt?«

[295] »Ich würde ihr in die Hölle gefolgt sein.«

»Sehr schmeichelhaft für sie, nur nicht ganz so für uns. Sie hat dir also Hoffnung gegeben, denn sonst wäre ja dein Folgen Verfolgen?«

»Hoffnung!« murmelte der junge Mann, »Hoffnung!« seufzte er. »Ah, Uncle! Ihr habt nie geliebt; laßt uns schweigen!«

»Jawohl, Ned, hab ich geliebt«, versetzte hastig und plötzlich weich der Uncle, »jawohl hab' ich geliebt, und eben weil ich geliebt habe, kommt mir dein Benehmen so gar unzart vor. Ließe sich viel über das Kapitel sagen, könnte dir dein Vater sagen. Weißt freilich nichts davon, bist seit zehn Jahren auf der Universität und Abenteuern gewesen, – habe aber meine Judith treu, lange und zärtlich geliebt, schier um sie wie Jakob um seine Rahel dienen müssen. Wollte deine Familie, besonders dein Vater absolut nichts von der Mesalliance mit dem Yankee-Kommis, wie sie mich nannten, wissen. Mußten zuletzt noch nach Pennsylvanien hinüber, uns da trauen lassen, durfte sich dann volle sechs Jahre nicht im Hause ihrer Eltern blicken lassen, die arme Judith. Hat viel gelitten, der Tränen bittere vergossen. Erst als ich von Callao, wo mir und Murky der Glücksstern aufging, zurückkam, erst da sah man uns mit freundlicheren Augen an. Freilich wurden wir dann die besten Freunde, sind es noch, wünschen die Bande noch enger zu knüpfen, haben dir auch deshalb nach Texas nachgeschrieben, dachten, du würdest, des ewigen Herumziehens, Revolutionierens müde, dich nach einem ruhigen Herde umsehen wollen. Dachten, du und Eleanor – weißt ja, dein kleines Weibchen Eleanor – sollte es nicht sagen, ist meine Tochter, aber ein herziges Mädchen, die Eleanor!

Du hast also unsere Briefe mit ihrem Bilde nicht erhalten?«

»Bild? Ich verstehe Euch nicht!« rief wie träumend Ned.

»Wohl, wohl! Hoffe, werden uns noch verstehen!« meinte begütigend der Onkel. »Warst immer ein Brausewind, hoffe aber, wird dir Eleanor schon den Kopf zurechtsetzen!«

»Ich verstehe Euch in der Tat nicht, Onkel!« versetzte dringlicher der Neffe, »soviel ich aber verstehe, so muß ich – so schwer mir auch dieses fällt – nein, Onkel! Um keinen Preis wollte ich Euch auch nur einen Augenblick täuschen. Meinen herzlichen Dank für Eure gütigen Gesinnungen, aber –«

»Aber wenn du Alexandrine bloß zweimal sahst, wenn sie dir keine [296] Hoffnung gab«, rief wieder ungeduldig der Onkel, »was willst du nur? Oder hat sie dir doch Hoffnung, Aufmunterung gegeben?«

»Er hat nicht geliebt!« murmelte Ned in sich hinein. »Was nennt er Aufmunterung, Hoffnung? Den seelenvollen Blick, der leuchtend, strahlend, zündend das himmlische Antlitz – Euch selbst verklärt – wechselseitig in den Himmel verzückt, mit namenloser Wonne durchzuckt – nennt er das Hoffnung, Aufmunterung? – Vielleicht ist's, vielleicht nicht! Seltsam, bis jetzt leuchtete es mir, glänzend, strahlend! Auf einmal aber ist mir's, als ob es schwände, das ganze nichts als Täuschung wäre! Täuschung?« fragte er sich, »Täuschung? Nein, es ist nicht Täuschung – ich habe sie empfunden, tief empfunden, die selige, köstliche Wonne! Nur hätte ich sie nicht aussprechen – durch Sprache nicht entheiligen sollen! Acht Wochen habe ich sie in mir getragen, diese Blüten, diese Frühlingsschauer, die meine Liebe befruchtet – aber aussprechen hätte ich sie nicht sollen!«

Und wie der Neffe so geistesabwesend in sich hinein murmelte, lauschte der Uncle so ängstlich! Den Kopf vorgestreckt, hielt er das Ohr hin, um ja keines der Worte zu verlieren.

»Hoffnung!« murmelte wieder Ned, den Blick auf den Mond gerichtet, der jetzt die Spitzen der westlichen Wälder des jenseitigen Louisianas berührte, »Hoffnung! Vielleicht keine – aber – die Empfindung! Die sollen sie mir nicht rauben, ich will zehren daran, schwelgen – alle Tage meines Lebens, – ich will, ich will! Ah, diese Empfindung! Trieb sie mich ihr nicht sechstausend Meilen nach, über Land und See nach? Fühlte ich, hörte ich, sah ich etwas anderes als sie? Wie harmlos war ich, ehe ich sie sah – wie ganz anders alles, seit ich sie sah! Frankreich, Paris, Texas selbst ist mir verhaßt, zum Ekel geworden! Wäre Texas – der Thron Frankreichs der Preis meines längeren Bleibens gewesen, ich hätte nicht bleiben können – ihr nach, nach Havre müssen!«

»Ned! Ned!« rief ängstlich der Onkel, »was soll das alles? Du sprichst wie ein Geistesabwesender – mit wem sprichst du! Was sagst du vom Throne Frankreichs? Havre?«

Ned fuhr wild auf. »Was ich sagte? Was ich sagte? Wer seid Ihr? – Bah, Uncle Dan, es läßt sich mit ihm nicht reden, er hat nie geliebt!«

»Und ich sage dir, ich habe«, fiel hitzig der Uncle ein, »aber vernünftiger und nicht wie ein Fieberkranker, Mondsüchtiger!«

[297] »Oh, sehr vernünftig, sehr vernünftig!« lachte Ned bitter. »Verschont mich um Gottes willen mit Eurer vernünftigen Liebe!«

»Wohl, will dich verschonen; aber was sagtest du von Havre? Was ist's mit Havre? Etwas Neues von Havre? Baumwolle vielleicht aufgeschlagen?«

»Baumwolle aufgeschlagen?« rief Ned wild. »O Alexandrine! Und diese Baumwollenseelen sind es, die über dein und mein Schicksal entscheiden sollen?«

»Du wirst mich noch böse machen, Ned!« grollte der Uncle, »laß die Baumwollenseelen, kennst sie nicht, und sag', was es mit Havre ist!«

»Mit Havre? mit Havre? Mußte ich nicht nach Havre?« grollte wieder Ned.

»Und warum mußtest du nach Havre?«

»Warum ich nach Havre mußte?« fuhr ungeduldig Ned auf »Leuchtete mir nicht die Hoffnung, sie würde sich in einem New Yorker Paket einschiffen? Oh, sie ging in einem New Orleanser Segler, auf dem mir Passage verweigert wurde!« fügte er traurig hinzu.

»Natürlich!« meinte wieder der Onkel, »der ›Neptun‹ gehört ihrem Vater und mir, und der Kapitän war von uns angewiesen, keine Passagiere als sie, Señorita Theresia und ihr Gefolge aufzunehmen.«

»Und gehörte M–y auch zu ihrem Gefolge?« fragte bitter der Neffe. »Oh, hätte ich diesen M–y nur erwürgen können!«

»Danke schönstens!« spottete wieder der Uncle. »Steht sein Vater seit mehr als zehn Jahren mit uns in freundschaftlicher Verbindung, waren in Handelsverhältnissen, ehe er nach Paris übersiedelte. Doch weiter!«

»Weiter!« stockte der Neffe. »Weiter eilte ich auf den ›Poland‹, dessen Kapitän, dem wackern Anthony, ich noch ein Plätzchen in seinem eigenen Staatszimmer abnötigte. War das ganze Schiff voll. Aber segelten noch an demselben Tage ab, wäre nicht zurückgeblieben, und wenn ich auf dem Verdecke hätte bleiben müssen. Ah, begünstigte der Himmel selbst unsere Fahrt, waren am zwanzigsten Tage in New York.«

»Sehr gute Fahrt das, aber weiter!« meinte der Onkel.

»Den Tag nach meiner Ankunft in New York segelte das New-Orleanser [298] Paket ab; ich bestieg es – am achtzehnten darauf betrat ich die Levee von New Orleans.«

»Und da?« fragte der Uncle.

»Wie ich den Fuß auf das Land setze«, rief begeistert Ned, »war mir auf einmal so seltsam, so wohl und weh, ein so heiliger, frommer Schauer kam über mich!«

»Sehr begreiflich das in New Orleans. Ist ein so frommer, heiliger Ort! Sehr begreiflich da die heiligen Schauer!«

»Ich fühlte ihre Nähe«, fuhr, den Spott überhörend, Ned fort, »es war mir, als ob ihr süßer Atem mir entgegen wehte. Und siehe da, wie ich berauscht um mich schaue, kommt sie mir entgegen, die schönste im schönen Kranze!«

»Etwas weniger poetisch, wenn du so gut sein willst, Ned!« meinte wieder der Uncle.

»Sie kam auf den Fluß zu, in der Richtung, wo die Dampfschiffe liegen. Wohl fünfhundert Schritte von mir schwebte sie oberhalb vorbei, aber auf fünftausend hätte ich sie erkannt.«

»Gehören dazu gute Augen, zweifle, ob indianische das leisten würden.«

»Das Auge der Liebe sieht scharf!« rief schwärmerisch Ned, »Ihr habt nie geliebt, Onkel! Genug, sie war es, sie ging mit mehreren Gentlemen und Damen auf eines der Dampfschiffe. Die Neger, die mit Koffern und Kisten vor- und nacheilten, ließen keinen Zweifel, sie reiste ab. Und es zog mich nun mit solcher unwiderstehlichen Gewalt ihr nach! Ich vergaß alles, Diener, Gepäck, Schiff – alles. Ich mußte ihr nach! Ich rannte die Levee hinan, der Stelle zu, wo sie verschwunden, über die Bretter, die zu den Dampfschiffen lagen.

Aber es lagen ihrer mehr denn vierzig da, eine ganze Flotte von Dampfern!« seufzte er wieder im trostlosen Tone. »Welches barg den köstlichen Schatz? Von vielen tönten die Glocken zur Abfahrt. Ich springe auf das erste, stürze die Treppe in die Kajüte hinab, sehe die Tür des Damensalons offen – o Schmerz! Sie war nicht da. Wieder renne ich hinaus, springe vom Schiffsgeländer weg auf das nächste.«

»Hättest da leicht einen Fehlsprung tun können«, meinte mißbilligend der Uncle, »las erst gestern, wie ein Gentleman durch einen solchen Sprung in die Ewigkeit sprang; fiel in den Mississippi.«

»Wie ich in die Kajüte dieses Dampfers einstürze, läutet die Schiffsglocke [299] zum zweiten und letzten Male – die Tür der Damenkajüte ist aber geschlossen. Das läßt mich vermuten, daß sie den köstlichen Schatz berge. Während ich, zu fragen, ungeduldig nach der Stewardeß renne, gerät der Dampfer in Bewegung, schwingt herum. Die Türe geht auf, ach! mein Himmel war nicht da.«

»Ja, den wirst du freilich nicht auf unsern Mississippidampfern finden!« bemerkte wieder trocken der Uncle.

»Er ward mir zur Hölle, zur wahren Hölle«, fuhr Ned auf, »aber eines tröstete mich, das Dampfschiff, das sie trug, ging so wie das meinige stromaufwärts. Wenn nur das meinige nicht hinten blieb, ich sie nicht verlor! Die Angst, die mich jetzt befiel, diese zu beschreiben! Ich fürchtete wahnsinnig zu werden. Endlich wettete ich hundert Dollar mit dem Kapitän, daß er hinter den sechs Dampfern, die mit uns abfuhren, zurückbleiben würde. Er nahm zwei aus, mit den übrigen vier ging er sie ein.«

»Sag' mir doch, wie heißt dieser pretiöse Kapitän? Wollen ihm das Handwerk bald legen!« fiel hier der Uncle ein.

»Ah, er hielt sich wacker, sehr wacker, der Brave! Einzig zwei der sechs kamen uns vor, aber wir behielten sie doch im Auge, und sie fuhren am folgenden Tage keine halbe Stunde vor uns im Hafen von Natchez ein. Wie wir einfuhren, erscheint auch, wie ein Stern am heitern Himmel, sie – sie, die mein alles ist und bleiben wird. Sie verließ soeben den Dampfer, schwebte Unter-Natchez zu. Unter-Natchez, dieser Ort der Greuel, erschien mir in dem Augenblicke ein Himmel. Oh, was hätte ich darum gegeben, da zu sein!«

»Ned! Ned!« schaltete der Onkel ein, »bist trotz deiner Generalschaft ein großer Narr!«

Ned fuhr, das Kompliment überhörend, fort:

»Aber eine lange, furchtbar lange Viertelstunde verging, ehe es mir gegönnt war, den Boden zu betreten. Endlich, endlich! Noch war sie zu sehen, aber bereits oben auf der Höhe des Bluffs.

Ich rannte, ich flog. Ehe ich die Windungen der Anhöhe hinanrenne, ist sie verschwunden. Alles, was ich sehe, ist ein Wagen, der um die Ecke herum durch die Stadt rollt.«

»Weiter, weiter, Ned!« gähnte der Uncle, »ist Zeit zum Schlafengehen, vier Uhr!«

»Ah, Uncle! Ihr habt nicht geliebt!« seufzte Ned.

[300] »Laß mich zufrieden mit deinem ›nicht geliebt haben‹, verrückt war ich nicht so wie du! Man möchte aus der Haut fahren. Das gehört by Jove in den Kalender! Doch weiter, wie kamst du hieher?«

»Wie ich hieher kam? Wie ich hieher kam? Weiß selbst nicht recht, wie ich hieher kam!« versetzte der Neffe. »Ja, richtig, wie ich den Wagen fortrollen sehe, springe ich dem nächsten Gasthofe zu, rufe nach dem Wirte.«

»Paterson? War bei mir«, fiel der Uncle ein, »brachte mir die saubere Neuigkeit, schüttelte den Kopf. Und wohl mochte er; hält dich für einen Verrückten, Abenteurer oder gar Sporting-Gentleman, der Reißaus genommen.«

»Sporting-Gentleman! Was ist das?«

»Ein Spieler von Profession und Räuber und Mörder aus Liebhaberei oder bei Gelegenheit. Hatten vor ein paar Jahren in Walnuthill ein ganzes Nest dieser Gentry, bis wir ein halbes Dutzend hängten und so Kehraus machten. Doch weiter, weiter! Was hattest, wolltest du mit Paterson?«

»Ein Pferd, ein Pferd! Mein Königreich, meinen Himmel für ein Pferd!«

»Lästre nicht, junger Mann!« fiel streng der Onkel ein.

»Ein Pferd wollte ich!« wiederholte dieser, »und er schaut mich an, schüttelt den Kopf. Ich reiße meine Brieftasche heraus, halte ihm einige Hundert-Dollar-Noten vor die Nase. Er schaut mich noch kopfschüttelnder an, frägt nach meinem Namen, ich nenne mich.«

»War, wie gesagt, bei mir, denn kennen uns von Baltimore her. Wunderte mich nicht wenig, wie er mir die Geschichte erzählt und daß der Verrückte oder sonst etwas – sich für Oberst Morse von Texas ausgebe. War das auch eigentlich die Ursache, warum ich herabkam. Dachte mir wohl, daß da etwas Apartes im Spiele sein müsse, beschrieb dich als so ungestüm, drohend!«

»Wer wird nicht ungestüm sein«, fiel heftig der Neffe ein, »wenn der Himmel auf dem Wurfe steht? Ich hätte den Publicaner erwürgen mögen, wie er kopfschüttelnd, grinsend vor mir stand, mich von allen Seiten beschaute. Ich frage, ob er nicht einen Wagen gesehen? Ja! sagt er, fährt soeben die Südstraße zum St. Catharine hinab.

Endlich ist das Pferd gesattelt, ich springe darauf, jage die Südstraße hinab. Eine halbe Meile vor mir sehe ich richtig den Wagen. [301] Ich ihm auf Leben und Tod nach. Er fährt aber rasend schnell. Ein paar Meilen hatte ich zu jagen, ehe ich ihn erreiche. Wie ich ihn endlich erreiche, finde ich mich umringt von mehreren hundert Damen und Gentlemen zu Pferde und in Wagen. Ich war auf Eurer Rennbahn, inmitten Eures Wettrennens.«

»Der St. Catharine-Rennbahn, wußtest du das nicht? Ist die erste Rennbahn am Mississippi, unsere Wettrennen die ersten im Süden.«

»Ich sah es, aber auch, daß der Wagen sie nicht enthielt. Die Damen, die ausgestiegen, waren mir fremd.«

»Und wie kamst du hieher in Käpt'n Murkys Kajüte?«

»Weiß es selbst nicht recht, weiß nur, daß ich in der Eile – der Verwirrung, nach Käpt'n Murky fragte, so erfuhr, daß seine Pflanzung in der Nähe – kaum drei Meilen von der Rennbahn abliege, daß mehrere Gentlemen sich da das Rendezvous gegeben, zum Diner geladen hatten. Wurde versichert, daß ich gleichfalls sehr willkommen sein würde; ja man drang in mich – den Unbekannten – mit zu kommen. So kam ich denn, halb widerstrebend, halb verlangend.«

»Wohl, wohl!« sprach nun um vieles milder der Onkel, »das sieht denn doch wieder so arg nicht aus, als ich befürchtete; ist zwar mehr als Tollheit dabei, wahre Liebesraserei, aber ist Liebesraserei von Amors Zeiten her blind, hast folglich ein Privilegium. Das wollen wir dir auch gerne ins Haben schreiben, nur mußt du auch wieder das Sollen nicht vergessen.«

»Das Sollen?«

»Das Sollen, Ned! Das, was du, ich will nicht sagen dem texasischen General ... denn der wiegt bei uns, wie du leicht begreifen magst, nicht sehr schwer, etwas anderes wäre es, wenn du amerikanischer oder englischer General wärest – aber was du dir als Gentleman schuldig bist. Auf das dürfen wir nicht vergessen, Ned!« mahnte der Onkel. »Dein Liebesrausch war heftig, sehr heftig, aber solche heftige Räusche vergehen auch in der Regel wieder um so bälder.«

»Nie, nie!« seufzte Ned.

»Wollen sehen, Ned!« versetzte der Onkel, »wollen jetzt schlafen gehen. Kannst hier schlafen, obwohl ich es unter den Umständen lieber gesehen hätte, wenn du im Gasthofe geblieben wärest.«

»Ich fühle das Unzarte meines Hierbleibens«, versetzte Ned, »und darum –«

[302] »Ohne Zweifel liegt etwas Unzartes darin«, meinte wieder der Onkel, »da es jedoch auf die Art und Weise kam, hat es wieder etwas, ich möchte sagen, Zartes. Nur mußt du beizeiten hinauf nach Natchez. Hier darf dich niemand finden; es sähe aus wie abgekartetes Spiel.«

»Ich begreife!« murmelte Ned.

»Du kannst ein paar Stunden ausschlafen, aber dann mußt du, wie gesagt, hinauf nach Natchez. Paterson will ich ein paar Worte sagen lassen. Heute dürfte ich wohl wenig Zeit mehr haben, aber morgen wollen wir weiter von der Sache reden. Läßt sich noch alles recht gut ausgleichen. Wirst sehen, wenn du ausgeschlafen, werden dir die Dinge ganz anders erscheinen.«

Ned schüttelte den Kopf.

»Weiß nicht, Onkel, kam hieher mit so seltsam bewegtem, freudigem Herzen, so voll Hoffnung, aber nun –«

»Wohl, und nun?« fragte der Onkel.

»Aber nun fühle ich so trostlos, so verzagt!« murmelte Ned. »Nur eines wünschte ich von ihren Lippen zu hören, und dann –«

»Und dann?«

»Dann Himmel oder Hölle, Seligkeit oder Verdammnis!«

»Sachte, sachte, Mann! Laß vor allem die ›sie‹ aus dem Spiele!« mahnte wieder der Uncle. »Leben hier nicht in Texas, wo sich Liebschaften über Nacht abmachen und zu Heiraten werden. Lassen sich nicht übers Knie brechen, derlei Affären, denn haben andere Leute auch noch ein Wörtchen dareinzureden, verstehst du? Handelt sich hier um eine Affäre von drei-bis viermalhunderttausend Dollar!«

»Wie meint Ihr das, Onkel?«

»Wie ich das meine? Sehr natürlich meine ich es. Sie bekommt zum wenigsten dreimalhunderttausend Dollar mit, ist sein einziges Kind!«

»Aber Governor Caß sagte mir, sie sei die Tochter eines unserer Kauffahrerkapitäne!« entgegnete beklommen Ned.

»Wohl, und so ist sie. Er war Kapitän, hat noch immer Anteil an einigen Schiffen, ist aber seit mehr denn zehn Jahren auch Pflanzer.«

»O Schmerz!« seufzte Ned.

»War arm, so wie ich, steht aber jetzt, Gott sei Dank, in seinen eigenen Schuhen so wie ich.«

»Schmerz! Schmerz!« seufzte Ned.

[303] »Kann ihr, ohne sich zu entblößen«, fuhr, das Schmerz, Schmerz überhörend, der Onkel fort, »dreimalhunderttausend Dollar mitgeben. Ist in jeder Hinsicht eine der brillantesten Partien, einer der glänzendsten Preise, der manchem Herzklopfen verursachen, manchen magnetisch anziehen – abstoßen wird. Zieht bereits von Paris an, ist ihr M-y von Paris, von New Orleans Bluffs herauf gefolgt. Oakley und Bentley werden auch nicht säumen, sich in die Schranken zu stellen; sind beide jung, reich, aus den ersten Familien. Welche Hoffnung hast du solchen Prätendenten gegenüber?«

»Die Hoffnung«, versetzte mit Würde der Neffe, »daß Miß Alexandrine wenigstens – den armen Texaser General nicht nach dem schnöden Maßstabe von dreihundert Sklaven und fünfhundert Baumwollenballen messen wird.«

Die letzteren Worte waren wieder sehr bitter gesprochen.

»Sei vernünftig, Ned!« mahnte der Uncle, »und nimm nicht als Beleidigung, wo keine gemeint ist. Ich bin dein Onkel und halte es für Pflicht, dir die Augen zu öffnen; willst du sie aber mit Gewalt verschließen, je nun, meinethalben; leben in einem freien Lande!«

Ned stierte den in den Wäldern Louisianas versunkenen Mond an.

»Sie ist Käpt'n Murkys einziges Kind, seine Freude, sein Trost. Er hat keine Kosten gespart, ihr die glänzendste Erziehung zu geben, sie für die höchsten Kreise der Gesellschaft zu bilden. Kannst du nun wohl mit etwas wie gesundem Menschenverstände erwarten, daß er sie dir da unter deine Texas-Freibeuter mitgeben werde?«

»Uncle!« rief aufprallend Ned.

»Nimm nur die Dinge, wie sie sind«, mahnte wieder der Onkel, »täusche dich nicht, sieh nicht bloß mit eigenen, sondern auch fremden Augen, setze dich in die Lage des Vaters. Was würdest du als Vater sagen, wenn einer mit solchen Zumutungen käme? Sie nach Texas senden, hieße ja gerade, die Perlen vor die Schweine werfen; er gibt sie dir gewiß nicht nach Texas mit, hier aber hast du kein Vermögen, denn dein Vater lebt noch – und hat fünf Kinder; von deinem Weibe aber wirst du dich doch nicht ernähren lassen wollen, dazu, hoffe ich, hast du zuviel Selbstgefühl?«

»Ich habe mir in Texas so viel erworben, daß ich unabhängig, ja glänzend leben kann!« versetzte der General.

»Ja, aber wird sie dir dahin folgen? Sie, die für die glänzenden Zirkel Washingtons, New Yorks oder Paris' gebildet ist, sie, die [304] einen Baron M–y, einen unserer reichsten Louisianasöhne, jede Stunde wählen kann?«

Der General stöhnte.

»Nimm mir's nicht übel, Ned!« fuhr dringlicher der Onkel fort, »aber ich finde in deiner Liebe und noch mehr dem Ungestüm, dem du dich überlassen, etwas wahrhaft unliebsam Undelikates. Weil du dir in Texas gefällst, soll ein zartes, im Luxus, in allen Bequemlichkeiten des Lebens auferzogenes Geschöpf, das du zweimal gesehen, dir ohne weiteres dahin in die Wildnis folgen!«

»Onkel!« stöhnte Ned, »um Gottes willen, Onkel! Ihr zerreißt mir das Herz!«

»Das will ich nicht, nur dir die Augen öffnen, dich zum Bewußtsein dessen bringen, was du dir, dem Gegenstande deiner Liebe schuldig bist.«

»Uncle!« würgte mit hohler Stimme Ned heraus, »Ihr habt recht, von diesem Gesichtspunkte aus sah ich nicht; jetzt sehe ich, Ihr habt recht!«

Und so sagend erfaßte er mit beiden Händen so krampfhaft die Säule der Galerie.

»Wohl, freut mich, wenn du zur Besinnung kommst, einsiehst, was du dir und ihr schuldig bist. Tröste dich aber, Liebe hat noch kein Herz, außer in Romanen, gebrochen. Gibt noch andere ebenso schöne, reiche Mädchen. Eleanor, sollte es nicht sagen, aber sie ist ein braves, wackeres Mädchen; und haben uns, dein Vater und ich, darauf versessen, ein Paar aus euch zu machen. Waret schon vor zehn Jahren einander bestimmt, war ja immer dein kleines Weib. Und sie hat dich, weiß es, gerne, würde dir nach Texas folgen, wenn du ja absolut wieder dahin willst.«

Der Neffe preßte die Säule der Galerie krampfhaft, gab aber keine Antwort.

»Wenn du aber, wie wir hoffen, des ewigen Fechtens und Revolutionierens müde und gesonnen bist, solid zu werden, bekommt sie ein paarmal hunderttausend Dollar, so daß du mit deiner Praxis als Jurist standesgemäß leben kannst. Wird hier zum Beispiel viel Geld von Juristen gewonnen, bringt es ein guter Jurist in fünf bis zehn Jahren zum Pflanzer. Hast darum lauter junge Juristen, selbst unsere obersten Richter, Kanzler sind lauter junge Leute, aber sobald[305] sie ein fünfzig-, sechzigtausend Dollarchen gesammelt, werden sie Pflanzer, so unsere Mediziner, Prediger.«

Der junge Mann gab noch immer keine Antwort.

»Wollen das aber morgen oder übermorgen weiter besprechen«, fuhr der Onkel fort, »gehst jetzt auf ein vier, fünf Stunden zu Bette und dann hinauf nach Natchez. Darf dich Murky hier nicht treffen, Alexandrine schon gar nicht, sähe das, weißt du wohl, sehr quer aus. Will's ihm aber sagen, daß du hier warst.

Ziehen nächstens herab, die Alexandrine und Señorita Theresia«, hob er wieder an, »und sowie sie gezogen, ziehst du zu mir; – morgen. – Nächste Woche erwarte ich Eleanor zurück.«

»Morgen«, versetzte plötzlich sich aufrichtend Ned, »bin ich in New Orleans, nächste Woche auf meinem Wege nach Frankreich.«

»Du wolltest?« rief erschrocken der Onkel.

»Ja, Onkel!« sprach mit hohler, aber fester Stimme Ned, »Ihr habt mir die Augen geöffnet, ich sehe, fernere Schritte wären hier undelikat; denn nach Texas kann sie mir nicht folgen, von Texas aber zu lassen, wäre Charakterlosigkeit. Mein Entschluß ist gefaßt. Das Herz wird mir bluten, blutet bereits, wird wahrscheinlich verbluten, aber Ihr habt recht. Rücksichtslos, unzart darf, will ich nicht sein, nicht einmal scheinen. Oh! es war«, seufzte er, »ein köstlicher – köstlicher Rausch, Traum; aber – ah, Uncle! Ihr könnt das nicht fühlen, denn Ihr habt nie geliebt; doch danke ich Euch, daß Ihr mir die Augen geöffnet.

Herzlichen Dank«, fuhr er mit brechender Stimme fort, »herzlichen Dank, auch für Eure gütige Gesinnung, was Eleanor betrifft – die gute, liebe Eleanor! Sie wird glücklich sein, ich zweifle nicht. Innigen Dank, Onkel, aber ich kann nicht! Liebe läßt sich nicht wie Wechsel übertragen. Ah, Uncle! der Kopf wird mir so schwindlig! Ist's das lange Nachtschwärmen?« Wie er so sprach, taumelte er besinnungslos an das Geländer der Galerie an.

»Ned, Ned!« rief in großer Angst der Uncle. »Ned, um's Himmels willen, Ned? Fasse dich, sei doch ein Mann! Es kann alles noch gut werden. Komm, ich will dich zu Bette bringen lassen, selbst bringen. Schlafe ein paar Stunden aus, und hast du ausgeschlafen, so glaube mir –«

»Keinen Augenblick länger hier!« fiel ihm Ned ein, »keinen Augenblick; [306] mir ist bereits leichter. Lebt wohl, Uncle! Verzeiht, wenn ich Euch beleidigt. Wollt Ihr mir einen Gefallen tun, so laßt mein Pferd satteln.«

»Ned! Du wirst doch nicht?« rief der Onkel, »es wäre Wahnsinn!«

»Gott weiß, was es ist!« stöhnte Ned, »aber ich sage Euch, ich befürchte wahnsinnig zu werden; Gott behüte mich davor! Laßt mich aber – laßt mir mein Pferd satteln; wenn Ihr es nicht tut, gehe ich zu Fuße.Fare well, Onkel!«

»Ned!« schrie der Onkel außer sich.

Ned riß sich mit Gewalt vom Onkel los.

»Fare well, Onkel! Es muß geschieden sein!«

»Muß es?« fragte eine dritte Stimme, und zugleich trat ein Mann vor, der den jungen General scharf in die Augen faßte.

Dieser starrte ihn außer sich an.

»Ich bin Käpt'n Murky«, sprach der Mann, »werdet Ihr auch meine Bitte zurückweisen? Ich bitte Euch, zu bleiben.«

»Käpt'n Murky!« rief erschüttert der Neffe.

»Murky!« schrie der Onkel, »Murky! Ihr seid es? Um Himmels willen, was soll das? Wie kommt Ihr hieher?«

»Ah, Duncan! Es ist doch gut, daß mir in den Sinn kam, sogleich Vorbereitungen zu ihrem Empfange zu treffen!«

»Aber das alles ließe sich ja morgen tun! Murky, Murky! Was ficht Euch nur an?«

»Morgen wäre es zu spät, eine halbe Stunde später wäre es schon zu spät gewesen. Duncan – Duncan! seid Ihr denn immer noch so hart wie Eure Dollars?«

Der Vorwurf schien dem Onkel schwer aufs Herz zu fallen; er sprang erschüttert auf Murky zu.

»Hart, sagt Ihr, Murky, hart? War ich's, Ned? Wohl, so will ich nun weicher sein, hörst du, Ned? Will weicher sein, denn Murky will es; aber bleibe, Ned, es wäre Wahnsinn!«

Ned stand, mit sich kämpfend. »Wahnsinn!« murmelte er, »Wahnsinn! Und ist's nicht Wahnsinn zu bleiben, wenn Bleiben –?«

»Der Wahnsinn, der zwei Monate währt«, versetzte mild der Kapitän, »gibt schöne Hoffnung fürs ganze Leben. Bleibt, General! Euer Wahnsinn ist ein edler!«

Der General gab keine Antwort, aber krampfhaft drückte er die Hand des Kapitäns.

Fußnoten

1 Ich kam, ich sah, ich siegte.

2 Liebe auf den ersten Blick.

[307] Ein Morgen im Paradiese

Ein entzückender Morgen! Die Phantasie kann ihn nicht schöner träumen! Das lichtblaue Himmelsgezelt, den jungen Frühling verkündend, die Strahlen der blaßgoldenen Sonne, mild kosend die frischen Lüfte durchzitternd – die Atmosphäre wie erbebend unter dem Erguß dieser himmlischen Strahlen! Und dann die tiefen Schlagschatten, und daneben die herrlichen Lichtströme der tausend Blumen und Blüten – und die duftenden Orangegrotten und Zitronengebüsche – und im Hintergrunde die königliche, ewig grünende Magnolie und die zierliche Pride of China 1 – und weiter rechts hin die einzelnen Zinnen und Kuppeln des aristokratischen Natchez, und tiefer herab die zerrissenen grünen Wälle und Parapets des Forts Rosalie, und ringsherum eine Flora und Blüten und Düfte! Ein wahres Paradies, von einem der zartsinnigsten Gemüter gehegt und gepflegt – der Garten, als wäre er durch Regenbogenstrahlen gezogen, die wunderliebliche Cottage wie in einem Blumenkelche gebettet! Blumen und Blüten ranken die Galerie, die Mauer hinan, geleiten die Treppe, in den Saal, die Gemächer hinein!

Aus diesen rief die bekannte, aber nicht mehr kaustisch klingende Stimme des Onkels heraus: »Ich kann sie nirgends finden, sie müssen nach Natchez hineingegangen sein.«

Ein tiefer Seufzer antwortete von der Galerie zurück.

»Oh, sie werden wohl nicht verlorengegangen sein. Willst du nicht eintreten und ein Glas Rheinwein und Sodawasser nehmen?«

»Danke Euch, Onkel! Ich will lieber Euer Paradies besehen.«

»Dann will ich dein Wegweiser sein.«

[308] Sie gingen – durch Anflüge von knospenden Chinabäumen und Lauben von Cape Jessamine und Laurea Mundi und Gehege der schottischen Rose und der nördlichen Flowerpotpflanze, und der zartblühenden Washitaweide und Teebäume und Gruppen von Lilacs und Papaws und Magnolien. Ein wunderliebliches Wäldchen von Orange- und Zitronenbäumen schloß das reizende Labyrinth.

»Ein wahres Paradies, Onkel!« sprach der Neffe.

»Ist artig«, versetzte der Onkel, »Catharine hat Geschmack bewiesen; hättest es aber vor zwei Jahren sehen sollen!«

»Erst vor zwei Jahren habt Ihr es angelegt?«

»Angelegt ist es schon länger, nur in schlechtem Geschmack, auch war es vernachlässigt.«

Hier schlug, aus dem Orange- und Zitronenwäldchen springend, ein Windspiel an, worauf der Onkel rief: »Da sind sie!«

Und jetzt hob sich plötzlich die Brust des jungen Mannes, und errötend und erblassend und zitternd und zagend begann es ihm um die Augen so trübe zu werden! Es schien sich alles um ihn herum zu drehen, er nicht zu sehen, nicht zu hören.

Zwei Personen waren aus dem Gebüsche getreten, ein ältlicher Mann und eine junge Dame. Der Mann mochte ein Fünfziger, vielleicht älter sein, denn die Haare waren stark ergraut, die Gesichtszüge noch stärker durchfurcht. Diese Gesichtszüge fielen peinlich auf. Die finster dunkeln, wie im Folterschmerze aufwärts und gegeneinander gezwängten Augen, die hufeisenartige tiefe Runzel über dem Nasenknorpel, die gekniffenen Lippen, verliehen ihm etwas so fatal Zerrissenes, so daß man sich wirklich mit einem Gefühl von Pein von diesem wie gemarterten Gesichte abwandte. Ein grellerer und wieder lieblicherer Kontrast ließ sich wohl nicht denken als er und – sie! Als wäre sie soeben dem schönsten der Blumenkelche entstiegen, glänzte, blühte alles im höchsten Liebesreize an ihr, die Züge von regelmäßiger Schönheit, die Augen von tief reiner Bläue, die Gestalt von klassischem Ebenmaße. Ein wahrer Genuß war es, in dieses Gesicht zu schauen, denn beim ersten Blicke in diesen Spiegel sah man eine schöne, herrliche Seele. Es konnte nicht täuschen, dieses idealschöne Gesicht! Zwar schien es etwas kalt zu sein. Wirklich galt auch Alexandrine Murky für kalt; wenigen jungen Damen waren während ihrer kurzen Erscheinung in den Salons der Pariser beau monde so zahlreiche Huldigungen zuteil geworden – spurlos [309] waren sie jedoch alle an ihr vorübergegangen; aber Kälte sprach doch nicht aus diesen tiefblauen, von langen seidenen Wimpern beschatteten Augen, eher inniges, tiefes, poetisches Gefühl. Ah, sie war eine jener seltenen Erscheinungen, die mit einem festen, ja energischen Sinne die zarteste Gemütlichkeit, mit einem heitern, klaren Verstande jene zarte, schmiegsame Weiblichkeit paaren, die so unwiderstehlich anziehen, in Fesseln schlagen! Ein Blick, ein Lächeln, und ihr ganzes Wesen leuchtete im rosigsten Sonnenschein auf, eine Bewegung, und man hätte anbetend vor ihr niedersinken mögen!

Offenbar war sie aber jetzt überrascht; in dem ersten Momente zuckte, schrak sie beinahe zusammen, starrte ihn erbleichend wie einen vom Himmel Gefallenen an; allmählich aber erholte sie sich, ein zartes Rot trat an die Stelle der Scheu, wurde zur holdesten Überraschung. Sie sprach jedoch nicht, auch er nicht; denn auch er war erbleicht, seine Brust hob sich krampfhaft, die Lippen zuckten ihm; ihr Erblassen schien ihm in die Seele hineingeschnitten zu haben.

Der Onkel unterbrach endlich die einigermaßen peinliche Pause.

»Erlauben Sie, Miß Murky«, sprach er achtungsvoll, »Ihnen meinen Neffen, General Morse, aufzuführen!«

Jetzt schlug sie die Augen auf.

»Ich habe das Vergnügen, General Morse bereits –« und dann stockte sie so anmutig!

»Miß Murky war –«, stockte wieder der General.

Und jetzt wagte auch er, den Blick zu ihr zu erheben; abermals jedoch versagte ihm die Sprache, und statt zu reden, zupfte er an seiner Reitpeitsche.

Und so standen sie wohl zwei Minuten verblüfft, die Augen zur Erde geschlagen, wechselsweise errötend, erblassend, bis der Kapitän und der Onkel seitwärts tretend sie allein ließen.

Da erst schienen sich die erstarrten Lippen zu lösen.

»Ich hatte nicht gehofft – erwartet«, verbesserte sie sich, »Sie hier am Mississippi zu sehen, General Morse!«

»Werden Sie meine Kühnheit verzeihen, teuerste Miß Murky, daß ich es wagte –«, stammelte er.

»Mister Duncan also Ihr Onkel?« versetzte sie ausweichend, »nicht wahr, ein liebliches Plätzchen, ein wonniges. Sie sehen es zum ersten Male?«

»Es ist ein Paradies!« sprach er leise.

[310] »Im Lande der Blüten und Blumen, wie Chateaubriand so schön sagt.«

»Ja, jetzt ist's das Land der Blüten und Blumen, jetzt, jetzt!« stammelte er.

»Ich habe der Gärten viele und schöne in Frankreich gesehen«, hob sie wieder nach einer kurzen Pause an, »aber keinen so wahrhaft genial – so heiter – so ganz im Einklänge mit der Natur des Landes gleichsam hervorgezauberten.«

»Und doch sagt man, unsere Southrons haben keinen Sinn für Gartenkultur«, bemerkte er etwas kühner.

»Hier haben Sie aber den Gegenbeweis; wollen Sie ihn nicht näher sehen?«

»Aber Alexandrine!« mahnte der Vater herüber, »General Morse ist von der Kajüte heraufgekommen, und also fünf Meilen geritten; vielleicht ist er ermüdet, zieht es vor, einige Erfrischungen zu nehmen.«

»Oh, was das betrifft, Kapitän Murky«, versetzte plötzlich lachend der General, »so sind wir in Texas gewohnt, größere Touren zu machen, ehe wir an Erfrischungen denken dürfen. Wenn Sie es erlauben, Käpt'n Murky, wollen wir den Garten besehen.«

Und wie er so sprach, richtete er sich auch bereits zuversichtlicher auf. Die Einrede des Kapitäns war für ihn sehr à propos gekommen.

»Diese herrlichen Blumenparterres und Kränze«, hob sie wieder an, »und diese Orangenwäldchen, wie viel reizender, natürlicher als die künstlichen Alleen und Parterres selbst zu Versailles!«

»Hier erscheinen sie wie der Hand der Natur entsprossen«, fiel er ein; »in Versailles ist's Kunst, mühsam erzwungene Kunst, die überall hervortritt. Eine solche mühsame Kunst aber hat wieder etwas Peinliches. Mir kommen da die in Reihe und Glied aufgestellten Orangenpatriarchen wie eine Art vegetierender Grenadiere oder Leibgardisten vor, hier aber! Wie lieblich, üppig hier diese Laurea Mundi und unsere Flowerpot-Pflanze; im Norden und Frankreich verkümmern sie in Fayencetöpfen, hier schießen sie über zehn Fuß in die Höhe!«

»Und die Cape Jessamine«, fiel sie wieder ein, »wie herrlich, und die Althea!«

»Und der dunkelgrüne Lebensbaum!«

[311] »Und«, rief sie vorschwebend und sich graziös herabneigend, »diese Amaryllis und die Purpur-Magnolia!«

»Und die arabische Jessamine«, fiel er, ihr zur Seite, ein, »und hier das Verbenum und die hehre Aloe!«

»Und da der breitblättrige Yarrah!«

Und nach diesem botanischen Erguß sahen sie sich so traulich an!

»Hier der seltene Guavabaum, von dem es nur einen im Staate geben soll, der Früchte bringt!« hob sie wieder an.

»Oh, berühren Sie ihn«, bat er, »auch dieser wird Früchte bringen!«

»Glauben Sie?« fragte sie lächelnd, »ich nicht, meine Hand ist keine Feenhand!«

»Jawohl ist sie es, ich fühle ihren Zauber, fühle ihn!« seufzte er.

»Ah, siehe da, General Morse kann auch schmeicheln. Haben Sie das in Texas oder in Paris gelernt?«

»Gelernt? Miß Murky!« sprach er im Tone des sanftesten Vorwurfes.

»Kommt, Kinder!« rief der Onkel herüber, »komm, Alexandrine!« der Vater. »Setze doch den Hut auf!«

»Den Hut, Papa!« lächelte mit unnachahmlicher Grazie, ein Tuch über das Köpfchen werfend, Alexandrine.

Der General schaute sie entzückt an.

»Du siehst wie unsere alte Josepha aus!« meinte der Papa.

»Und ich sage nichts«, flüsterte ihr der General zu, »sonst heiße ich abermals Schmeichler!«

»Dafür sollen Sie eine schottische Rose haben!« erwiderte sie mit holdem Lächeln. »Das haben wir in unserem Lande vor dem belle France voraus, Rosen zu Ende Februars!«

»Müssen sie nicht im Paradiese blühen, in der Nähe der Engel?«

»Ich nehme sie wieder zurück!« drohte sie.

Der General haschte aber nach ihr und barg sie im Busen.

Und jetzt waren sie einander schon um vieles nähergerückt; schon hatten, wie sie durch Blumenbeete und Orangengrotten, Lilacs und die Pride of China wandelten, ihre Blicke etwas Sicheres, Bewußtes, Heiteres, Seliges, zwar die seinigen weniger als die ihrigen. Er ging noch immer wie träumend, seinen eigenen Augen nicht trauend; denn nach dieser Stunde hatte er seit zwei Monaten gezittert, zwei Monate gehofft und gefürchtet, sie hatte ihn wechselsweise mit seligen [312] Vorahnungen und düsterer Verzweiflung erfüllt, denn fiel sie unglücklich aus, dann war sein Leben ohne Hoffnung, ohne Reiz, ein blankes graues Blatt, auf das sich nichts mehr schreiben ließ. Und ihr erster Blick, ihr Erbleichen drang ihm furchtbar in die Seele, machte ihm das Blut erstarren, in den Adern stocken; dann aber das Erröten, das Lächeln, und wie ihr Auge so seelenvoll auf ihm ruhte, gleichsam in dem seinigen ratend, lesend, was ihn wohl sechstausend Meilen hergebracht! Dieser Blick, oh, er hatte wieder selige Hoffnung gegeben, jawohl, selige Hoffnung! Er schwamm jetzt in Seligkeit, wußte nicht, ob er wache oder träume, ob er in Texas, Frankreich oder am Mississippi war. Die Nähe des kaustischen, spöttischen Onkels, des finsteren Vaters hielten ihn allein zurück, er wäre sonst anbetend vor ihr auf die Knie niedergefallen.

Die beiden waren jetzt herangetreten, ihn in die Cottage zum Luncheon einzuladen. Er verwünschte Cottage und Luncheon.

»Ich will aber kein Luncheon!« murmelte er trotzig.

»Oh, gehen Sie, gehen Sie, General!« lachte sie, »es wird Ihnen gut tun. Papa zudem liebt das Luncheon!«

»Aber ich wollte lieber bleiben!«

»Dann müssen Sie allein bleiben, denn auch ich will – gehen.«

Jetzt sprang er freudig vor.

Fußnoten

1 Pride of China, des Schattens und der Zierde wegen im Staate Mississippi gepflanzt, gedeiht so außerordentlich, daß eine einzige Beere, den Winter hindurch mit Erde bedeckt, im Sommer zu einem vier bis fünf Fuß hohen Baume aufschießt, in vier bis fünf Jahren zum starken Baume wird, der seine Äste und Zweige über Häuser hinbreitet.

[313] Selige Stunden

»Wir haben Geschäfte in der Stadt, lieber Ned!« sprach nach aufgehobenem Luncheon der Onkel, »und dürften wohl vor drei Uhr nicht zurück sein, hoffentlich aber wirst du dich nicht sehr langweilen?«

Der Neffe murmelte etwas zwischen den Zähnen, allein Alexandrine war eingetreten, und über ihrem Anblick war der ewig spottende Onkel vergessen. Sie hatte sich dem nachdenklich in der Fenstervertiefung stehenden Vater genähert und seine Hand ergriffen und geküßt. Wie er ihr das auf der Stirn gescheitelte Haar sanft streichelte, wurden die finstern Züge doch in etwas heller, und wie sie so heller wurden, trat auch die Familienähnlichkeit, trotz der auffallenden Verschiedenheit der Gesichter, stark hervor. So finster, menschenfeindlich beinahe seine Züge, so hell sonnig und von Zärtlichkeit überströmend wieder die ihrigen, so hatten sie doch etwas gemeinschaftlich. Es war die Tiefe des Gemütes, die an beiden gleich stark hervortrat. Aber ihm schien diese Gemütstiefe – im Konflikte mit der bösen Welt in sich selbst zurückgedrängt und gepreßt – etwas zwiespaltig Zerstörtes eingedrückt zu haben, während an ihr wieder die freundlicheren Berührungen derselben Welt, wie die Schauer der durch Sonnenstrahlen aufgehellten Aprilwolke, in lauter Regenbogenfarben widerschienen. Er mußte ihr soeben etwas Liebes gesagt haben, denn sie lächelte mit naiver Schalkhaftigkeit und lispelte:

»Wenn er sich unterhalten läßt, Vater! Weißt du, nicht gar zu langweilig ist!« sprach sie etwas lauter.

Hier schien der General aus seinen Träumen aufzuwachen. Er sah sie mit leuchtenden Augen an.

»Wo bist du, Ned, in Texas oder in Frankreich?« fragte wieder der spottende Onkel.

[314] »Wahrscheinlich in beiden«, antwortete statt Neds die lachende Alexandrine, »im Paradiese ist er schwerlich, hat er es doch kaum eines Blickes gewürdigt!«

»Das kommt wahrscheinlich daher, Miß Alexandrine, weil er ein lieberes Paradies vor Augen hat.«

»Jetzt ist's Zeit, daß Sie gehen, Bankpräsidentchen! Wenn so personifizierte Hauptbücher wie Sie, lieber Geldmann, zärtlich werden, ist immer einige Gefahr. Kommen Sie, General, wir wollen Ihnen das Innere des Paradieses zeigen.«

Und graziös ihm zunickend, schwebte sie voran, und er, wie elektrisiert, schoß ihr nach.

Es war zwar nicht viel zu zeigen, denn die Cottage enthielt, nebst Drawing-Room und Speisesaal, kaum ein Dutzend Zimmer und Kabinette, aber diese waren wirklich allerliebst.

Wie alle unsere Geldmänner, deren Handelsspekulationen über die vier oder gar fünf Weltteile reichen, hatte auch unser Bankpräsident dafür gesorgt, einige der Blüten und Früchte dieses Welthandels in seinem Paradiese sichtbar werden zu lassen. Es waren chinesische Spielereien und ostindische Tapeten, Dresdener und Sevreslampen, englische Sessel und Sofas, türkische Ottomanen und österreichische Musikschränke da. So war der Salon, von dessen Decke eine Sevreslampe herabhing, sehr reich an kostbaren englischen Sesseln und Sofas, Mosaiktischen und kunstreich ausgelegten Schränken, der Speisesaal wieder klassisch einfach nebst dem Wiener Musikschranke bloß mit Mittel- und Seitentischen möbliert, aber diese letzteren mit einem kostbar silbernen Tafelservice beladen. An den Speisesaal wieder stieß eine mit Jalousien geschlossene Galerie, die zum Konservatorium diente, in dem einige hundert sehr seltene Gewächse und Blumen im besten Geschmacke aufgestellt waren. Das Ganze endete in einem Kabinette, das selbst einen Geldmann zur Weltweisheit gestimmt haben könnte. Es war durch einen vorspringenden runden, turmartigen Erker gebildet und einfach, aber sehr niedlich mit einer Ottomane, einem Mosaiktischchen, einem sogenannten Sleepy-Hollow und einem Bücherschranke möbliert. Die Aussicht war entzückend, denn das Auge beherrschte die Ebene auf Meilen herum. Nordwärts hatte man das in Blumen und Blüten wie gebettete Natchez, westwärts hoben sich die grünen, zerrissenen Erdwälle und Parapets des Forts Rosalie in die Lüfte, weiter hinab [315] sah man durch die zum Teil noch blätterlosen Bäume einen Teil des Mississippispiegels herüberglänzen.

Von diesem Fort lag eine halbvollendete Zeichnung auf dem Mosaiktischchen.

»Ist dieses Plätzchen nicht allerliebst?« fragte sie, eine der Gardinen aufziehend.

»Herrlich!« versetzte er.

»Gewiß lieblich! Sehen Sie nur, wie wunderlieblich Natchez von hier aus erscheint, und noch schöner das romantische Fort Rosalie! Es war ein sehr glücklicher Gedanke von Catharine, dieses Kabinett an ihrem Konservatorium anzubringen. Sie muß einen sehr reinen Geschmack besitzen? Wie sehne ich mich, sie wiederzusehen, sie soll sehr schön sein!«

Des Generals Blicke schweiften in der Ferne.

»Sie wird mit ihrer Mutter in einigen Tagen erwartet, und da Ihr Onkel darauf besteht, daß wir ihm unterdessen haushalten, so müssen wir uns wohl fügen«, setzte sie lächelnd hinzu, »obwohl ich mich sehr nach meiner lieben Kajüte sehne.«

»Sie ist ein Paradies!«

»Nein, das ist sie nicht«, lachte sie, »im Gegenteile; aber ich würde sie nicht so lieben, wenn sie anders wäre. Meine süßesten Kindesfreuden sind so innig mit allem da verwoben, um keinen Preis wollte ich sie anders haben.«

Jetzt hing sein Auge wieder in sprachlosem Entzücken auf ihr.

»Hier habe ich mir«, sprach sie wieder, »eine recht liebe Aufgabe gesetzt, das Fort Rosalie für meine Freundin Gabriele de Mont Brissac aufzunehmen; sie ist jedoch etwas schwer, diese Aufgabe.«

»Aber genial aufgefaßt«, rief er, das Blatt aufnehmend, »Standpunkt sowohl als Vor- und Hintergrund einzig. Eine herrliche Zeichnung – aber ein sehr melancholisches Sujet!«

»Sehr«, versetzte sie, »aber ich liebe des Melancholische.«

»Sie? Und sind doch immer heiter?«

»Immer heiter.«

»Und doch lieben Sie das Melancholische?«

»Ja, wenn es von einem Chateaubriand dargestellt wird. Sie wissen, Fort Rosalie ist der Schauplatz seines ›Natchez‹.«

»Es ist viel Poetisches in diesem Romane, aber der Schauplatz ist es doch noch mehr und die einfache Geschichte noch weit mehr.«

[316] »Kennen Sie sie?«

»Doktor Powell hat sie ausgemittelt, soviel sich nämlich aus den sparsamen Quellen ausmitteln ließ. Es ist das tragischste Schicksal, das je über ein Volk hereinbrach.«

»Oh, erzählen Sie doch, ich will sie als Text beilegen.«

»Tun Sie das nicht«, bat er sanft, »die Franzosen erscheinen in dieser Geschichtsskizze nichts weniger als vorteilhaft; der Zusammenstoß einer entmenschten Zivilisation mit unverdorbener Natur tritt in ihr schauderhaft hervor.«

»Dann darf ich freilich nicht, denn Gabriele glüht für die Ehre und den Ruhm ihrer Nation so wie ich für den der meinigen. Sind Sie ein guter Amerikaner?« fragte sie lebhaft.

»Ganz Amerikaner!« versetzte er feurig.

»Aber«, warf sie forschend ein, »ich höre. Sie wollen sich trennen von uns – der Union?«

»Kann sich trennen, was Natur und Blut und Erziehung vereinen?«

»Sie sagen recht. Ah, unsere Union – es ist doch nur eine Union!«

»Nur eine Union!«

Nach diesen Worten schauten sie sich voll Selbstgefühl an; sie hatten abermals eine Scheidewand niedergebrochen. Ihre Blicke hatten jetzt etwas heimisch vaterländisch Trauliches. Sie betrachteten einander, als wären sie seit Jahren vertraut.

»Jetzt«, sprach sie im anmutig geschäftigen Tone, »will ich nur ein kurzes Viertelstündchen meiner süßen Gabriele widmen, und Sie, nicht wahr, General, Sie lesen unterdessen oder studieren oder klassifizieren draußen Blumen?«

Ihre Worte klangen so lieblich, traulich, offen!

»Lieber lesen!« entgegnete er.

»Warum lieber?«

»Dann darf ich in Ihrer Nähe sein.«

»Schon wieder eine Schmeichelei!«

»Schmeichelei?« fragte er mit sanfter, vorwurfsvoller Stimme, »Schmeichelei nennen Sie das, was mich sechstausend Meilen herzog, nachzog? – Ah!« seufzte er, »nennen Sie es lieber Wahnsinn, denn meine Hoffnung – ist sie nicht Wahnsinn?«

Sie sann einen Augenblick nach.

»Wir wollen«, rief sie ausweichend, »jetzt fleißig sein. Meine süße [317] Gabriele ahnet etwas von einer Überraschung, und Sie wissen, wenn eine Überraschung zu lange auf sich warten läßt, ist sie keine Überraschung mehr. Lesen Sie unterdessen Walter Scott oder Bulwer. Seine ›Alice‹ hat mich während der Überfahrt recht angesprochen.«

»Auch ich habe sie gelesen«, fiel er ein, »wie gefällt sie Ihnen?«

»Einige Charaktere sind sehr zart gedacht, aber andere scheinen mir wieder affektiert, englisch affektiert, was noch weniger gut läßt als französische Affektation. Dann prunkt er auch gar zu viel mit seinem gelehrten Wissen.«

»Nur sein ›Pelham‹ ist ganz gut, alle seine anderen Romane sind es nur halb«, fiel er wieder ein, »er prunkt, wie Sie sagen, gar zu sehr mit seinem Wissen, es übersehend, daß man bei einem Gentleman dieses Wissen voraussetzt. Er kommt mir beladen, bepackt mit lauter Gelehrsamkeit – erdrückt vor. Wie ganz anders Walter Scott, der ohnstreitig ebenso gelehrt, wenn nicht gelehrter war, der aber seine Gelehrsamkeit zu meistern verstand! Welcher seiner Romane gefällt Ihnen am besten?«

»Die Braut von Lammermoor.«

»Ja, das ist sein Meisterstück, darin hat er eine poetische Tiefe entwickelt, wie sie selbst in Shakespeare nicht stärker hervortritt. Jeder seiner Charaktere ist in diesem Romane ein Meisterstück, selbst die Leichenweiber. Welch eine schauderhafte Unterhaltung, die dieser Leichenweiber!«

»Schauderhaft!« rief sie.

Er nahm jetzt den Roman auf, während sie sich in den Sleepy Hollow niederließ und die Reißfeder ergriff. Einige Minuten las er, aber dann schweiften seine Blicke wieder zu ihr hinüber, auch die ihrigen irrten vom Fort herüber auf die Ottomane. Zuletzt warf er den klassischen Roman ungestüm auf die Ottomane, trat auf den Zehenspitzen hinter ihren Sessel und schaute ihr über die Achsel in die Zeichnung.

Jetzt war an kein Zeichnen mehr zu denken. Sie wandte graziös das Köpfchen, und dann begannen sie zu plaudern; sie von ihrer Kindheit, von ihrem teuren Vater, von dem erzählend ihr die Tränen in die Augen traten, und dann wurde sie wieder heiter und erzählte von Theresen, ihren Freundinnen in der Abtei, und dann mußte er erzählen von seiner Kindheit, seinen Kriegsabenteuern. Und während er erzählte, horchte sie und horchte, und ihre Blicke ruhten bald ängstlich, [318] wieder zärtlich, wieder hoffend, wieder vertrauend, ja stolz auf ihm.

Das Weib liebt es, dem kräftigen Manne zuzuhören, ihr zartes, schmiegsames Gemüt windet sich gern an seiner Kraft hinan, gleich der schwankenden Weinrebe, die sich am kräftigen Eichenstamme emporzieht.

Sie horchte noch immer. Die Stunden waren ihnen wie Minuten verstrichen. Der Kapitän, der Onkel waren zurückgekehrt – eingetreten. Der General erzählte fort, denn sie hatten ihm gewinkt fortzufahren.

Endlich unterbrach ihn der Kapitän:

»Es ist dieser. Ihr Bob, ein gräßlicher Charakter, und es ist entsetzlich, wenn wir bedenken, daß unsere Zivilisation solche Charaktere erzeugen kann; aber doch ist es wieder wohltuend, die Ableitungskanäle zu sehen, die die Vorsehung unserem Volke eröffnet. Wirklich tröstet es mich wieder, wenn ich sehe, wie selbst ein so scheußliches Bruchstück unserer bürgerlichen Gesellschaft von der gütigen Vorsehung in eine noch unverkünstelte Natur und Zustände geleitet, geläutert und gebessert, segenbringend für die Menschheit werden kann.«

»Und ich finde, teurer Murky«, unterbrach ihn der Onkel, »daß unsere Gäste jeden Augenblick kommen können und daß wir alle zum Diner noch keine Toilette gemacht haben. Darum wollen wir nun Bob Bob sein lassen, was meinst du?«

Der Kapitän nickte stumm, und alle trennten sich, um Toilette zu machen.

[319] Das Diner

Die Tafelgesellschaft bestand, nebst den vier Freunden, bloß noch aus dem Bankdirektor, dem Besitzer einer benachbarten Pflanzung – der früher Korvettenkapitän gewesen, seit mehreren Jahren aber seine Kommission in die Hände des Staates zurückgegeben und dafür Pflanzer geworden, und seiner Frau. Die Wahl der Gäste war sonach eine recht glückliche, auch bewies sie nebstbei, daß Uncle Dan trotz kalter Spottsucht warm geliebt haben mußte, denn passender für Ned konnte er kaum gewählt haben: der Bankdirektor dachte an nichts als Madeiras und Lafittes, der Seekapitän war viel zu frank und frei, um second thoughts 1 Raum zu geben, und so konnte er ungestört seines Glückes genießen, wenn ihn nur der Onkel in Ruhe ließ. Aber seit Kapitän Murky selbst so entschieden Partei für ihn genommen, war er auch ihm sichtlich ans Herz gewachsen, obwohl er sich auch jetzt nicht ganz überwinden konnte, dann und wann einen Seitenhieb auszuteilen: der Junge, wie er den Neffen nannte, benahm sich für einen General denn doch gar zu quer, die Nachwehen des Sturmes, der seit zwei Monaten in ihm, schlugen noch gar zu ungestüm über Bord heran, was einem vernünftigen Mädchen wie Alexandrine denn doch unmöglich gefallen konnte.

Vielleicht irrte er aber, der sonst so scharf sehende Onkel, denn die zartfühlende Jungfrau weiß sehr wohl zwischen angeborener – oder zur zweiten Natur gewordener Leidenschaftlichkeit und wieder der zarten Aufgeregtheit eines sonst gelassen männlichen Sinnes zu unterscheiden; und es war denn doch ein großer Unterschied zwischen dem wilden Ungestüm eines tollen Brausekopfes und der interessanten Verkehrtheit unsers jungen Generals, der über dem Glück, an ihrer [320] Seite zu sitzen, so anmutig sich und andere vergaß, daß er zu seiner Suppe Gabel und Messer nahm, mit denen er wahrscheinlich eifrig zerlegt haben würde, wenn ihm nicht Alexandrine den Löffel unterschoben hätte. Sie geriet, die Wahrheit zu gestehen, in einige Verlegenheit über diese seine Zerstreuung, besonders als ihr Vater sein Glas hob, um mit ihm Madeira zu trinken, und er zum Senffläschchen griff, aber diese Verlegenheit hatte etwas so eigentümlich Süßes! Wie ihr seelenvoller Blick auf ihm haftete, ihn zu mahnen schien, ja doch keine Blöße mehr zu geben, wurde im holden Bewußtsein, selbst eine Blöße gegeben zu haben, dieser Blick so verwirrt, sie schlug so errötend die Augen auf den Teller! Er wußte offenbar nicht sogleich, was das Ganze zu bedeuten habe, aber allmählich begannen ihm doch die Augen zu leuchten, plötzlich wurde sein ganzes Wesen so verklärt! Er hätte vor ihr auf die Knie niedersinken mögen.

Der Korvettenkapitän erzählte unterdessen von einer Hirschjagd, der er den Tag zuvor beigewohnt und bei der ihm, dem abgehärteten Seemann und Jäger, etwas zugestoßen, das er kaum möglich gedacht hätte. Hinter einem Baume aufgestellt, habe er, sein Gewehr schußfertig im Arme, auf das Rotwild gelauert, das lange auf sich warten lassen, endlich aber durch das Gebell der Hunde angekündigt durch das Dickicht brach. Plötzlich sah er jedoch statt eines Hirsches deren zwei, und zwar den letzten in ungeheurem Satze an ihn heranspringen. So übermannend habe dieser Anblick auf ihn eingewirkt, daß er, zitternd an allen Gliedern, nicht abzudrücken vermocht.

Er wandte sich hierauf mit der Frage an den General, ob Rotwild auch in Texas häufig sei?

»Sehr häufig!« war die kurze Antwort.

»Ob er ein Liebhaber von der Jagd sei?«

»Nicht sehr!« versetzte noch kürzer der General.

»Schade!« meinte der Seemann, »wir haben hier eine noch ziemlich gute Jagd, besonders im nördlichen Teile des Staates, und ich würde es mir zum Vergnügen rechnen –«

»Wenn Sie doch gehen sollten«, flüsterte ihm mutwillig Alexandrine zu, »so bitte ich, ja Papa und Ihren Onkel daheim zu lassen. Auf alle Fälle ist es bei der Geistesabwesenheit gewisser Leute rätlich.«

[321] »Ich fühle berauscht!« murmelte er ihr wie aus dem Schlafe erwachend zu.

»Der Onkel sieht herüber!« mahnte sie.

Die Drohung mit dem Onkel schien ihn wieder nüchtern zu stimmen, wenigstens versuchte er es, sich zusammenzunehmen, der Unterhaltung Geschmack abzugewinnen, was ihm unter andern Umständen nicht so leicht geworden sein dürfte, denn sie war einigermaßen trivial. Der Bankdirektor phantasierte über das Thema einer neu erfundenen Austernpastete, der die so weit und breit gerühmte Straßburger Gänseleberpastete nicht die Schuhriemen aufzulösen würdig sein sollte.

»Austern-, Gänseleberpasteten und Schuhriemen!« murmelte der General Alexandrinen zu, »welche interessante Zusammenstellung!«

»Ich bin wieder eine so ganz gewöhnliche Seele«, versetzte sie heiter, »daß ich diese Zusammenstellung nicht so ganz uninteressant finde, vorausgesetzt, daß sie jemanden glücklich macht.«

Sie sprach die Worte in nichts weniger als verweisendem, vielmehr einem gefälligen, anspruchslosen Tone, und in demselben Tone ging sie auch in die Unterhaltung ein, hörte die weitschweifige Aufzählung der Ingredienzien einer solchen Austernpastete mit einer so sichtlichen Teilnahme an, wußte mit so zarter Sympathie für die Schwachheit des alten Gourmands seine Blößen zu decken, daß die triviale Unterhaltung allmählich einen Reiz gewann, der sie zuletzt brillant darstellte. Es war ein so eigentümlicher Zauber, den sie allem zu erteilen wußte, die prosaischste Unterhaltung bekam, sowie sie nur mit einer Bemerkung daran teilnahm, etwas von jener Geistesfrische, Helle, in der sich ihr eigenes Wesen so lauter und rein spiegelte.

Sie schien in der Tat zum Repräsentieren wie geboren, und es lag in der Art und Weise, wie sie die Stuhlherrin repräsentierte, etwas so hinreißend Brillantes! Und wenn dann ihr Blick auf dem Vater weilte und ihm liebend in die Seele drang, trat auch wieder der ungeheure Reichtum dieses Gemütes so klar und deutlich hervor! Sie mußte ihn wohl über alles lieben, diesen Vater, er ihr alles sein, denn ihre Mutter war ihr bereits im achten Jahre gestorben und sie so ganz an den Vater angewiesen. Mit diesem hatte sie vier Jahre gelebt, ehe sie noch nach Frankreich überging. So hatten sich ihre Jugendverhältnisse sehr glücklich gestellt. Des Vaters herrliches Bild, sein hoher Lebensernst, sein für alles Edle glühender Eifer – in ihr[322] jugendliches Gemüt versenkt, war der leichte Sinn der Töchter Frankreichs nicht imstande gewesen, die edle Amerikanerin zu sehr zu verflüchtigen; nur die Frische, die sprudelnden Lebensgeister, die sonnige Helle hauchte er ihr gleichsam an.

Sie war wirklich ein seltenes Mädchen, und wie sie sich jetzt mit der Gattin des Kapitäns von der Tafel erhob, um in das Drawing room überzugehen, ward auf allen Gesichtern eine gewisse Leere, etwas wie Trostlosigkeit bemerkbar, die besonders an unserm General kläglich hervortrat. Er stand auf, schwankte hin und her – in seiner Geistesabwesenheit würde er wahrscheinlich zum Fenster hinausgesprungen sein, wenn nicht der Onkel endlich von der Tür gewichen wäre. Es trieb ihn hinaus ins Freie, er mußte sich sammeln, denn zu heftig war der Sturm seiner Empfindungen. Er fühlte wie berauscht, das Blut strömte ihm fiebrisch durch die Adern!

Töne weckten ihn plötzlich aus seinen Phantasien. Er horchte. Nur sie vermochte solche Töne hervorzubringen. Er sprang auf das Landhaus zu; in wenigen Sekunden stand er an ihrer Seite.

Sie sang mit Begleitung des Pianoforte das Lied:Tell me not of hoarded gold 2.

»Wunderschön!« rief er.

»General Morse! Sie sind es?« rief sie überrascht.

»Ich bin es!«

»Ich glaubte Sie draußen in den Irrgängen herum schwärmend!«

»Ihre Stimme rief mich!«

»Lieben Sie Musik?«

»Über alles!«

»Singen Sie?«

»Ich brumme!«

Sie schlug Rossinis »Mohr von Venedig« auf. Den gefangenen Mexikaner, der ihm Unterricht im Singen und der spanischen Gitarre gegeben, im Herzen segnend, sang er mit ihr. Seine ganze Seele lag in seinem Gesänge. Alexandrine war verwirrt, die Frau des Kapitäns erhob sich, sah verlegen zum Fenster hinaus.

Jetzt bat sie ihn, etwas allein zu singen.

Er ergriff die Gitarre und sang:


[323]
Deep in my soul that tender secret dwells,
Lonely and lost to light for evermore –
Save when to thine my heart responsive swells,
Then trembles into silence as before,
Then trembles into silence as before.
There, in its centre a sepulchral lamp,
Burns the slow flame – eternal – but unseen –
Which not the darkness of despair can damp,
Though vain its ray – as it had never been.
Remember me – Oh! pass not thou my grave
Without one thought, whose relics there recline;
The only pang my bosom dare not brave,
Must be to find forgetfullness in thine.
My fondest – faintest – latest accents hear –
Grief for the dead, not virtue can reprove;
Then give me all I ever asked – a tear!
The first – last – sole reward of so much love 3!

Sie erhob sich mit abgewandtem Gesicht. Eine Träne perlte ihr aus den schönen Augen.

Fußnoten

1 Hintergedanken.

2 Sing mir nicht von Schätzen Goldes.

3 In meiner Seele ein Geheimnis ruht,

Stumm und verborgen ist's für ewige Zeit,

Doch spricht zu dir mein Herz in Liebesglut,

Bebt es wie einst in meiner Einsamkeit.

In tiefer Grabeskammer brennt ein Licht,

Für ewig brennt's, doch keiner sieht den Schein,

Selbst hoffnungsloses Dunkel dämpft es nicht,

Mag auch sein stiller Glanz vergeblich sein.

O du! Geh nicht an meinem Grab vorbei,

Ohne zu denken: ach, er schlummert hier.

Die einzige Angst reißt mir das Herz entzwei.

Ich könnte einst vergessen sein von dir.

Mein innigstes, mein letztes Fleh'n hör an! –

Gram um den Toten, wer verargt das schon –

Schenk eine Träne mir, nichts weiter dann,

Für soviel Liebe – erster – einziger Lohn!

[324] Der Abend

Endlich waren die Gäste gegangen und er allein mit Alexandrinen. Allein mit Alexandrinen! Welch eine unaussprechliche Seligkeit lag nicht schon in dem bloßen Gedanken! Das höchste Ziel seiner sehnlichsten Wünsche, nach dem ihm Herz und Pulse seit Monaten geschlagen – eine Stunde, nein, keine Stunde, nur eine Minute, um sich ihr zu Füßen zu werfen, ihr seine unsägliche Liebe zu bekennen – war endlich erreicht; Vater und Onkel waren gleichfalls fort, die Freunde zur Gartenpforte, vielleicht weiterzubegleiten, sie beide ganz allein, der Augenblick so günstig! Der stille, üppig reiche, wie zur Liebe geschaffene Saal, die dunkelhelle magische Beleuchtung, in der die klassischen Formen des herrlichen Wesens so zauberhaft hervortraten! Nie war sie ihm so unsäglich reizend erschienen. Welche unaussprechliche Grazie in jeder ihrer Bewegungen, welche Musik der Sprache, als sie ihre Gäste verabschiedete, welche Würde und doch wieder Natürlichkeit, Anspruchslosigkeit! Es hatte ihn gedrängt, mehr als einmal getrieben, sich trotz Marinekapitän und spottendem Onkel zu ihren Füßen zu werfen, kaum daß er imstande gewesen, sich zurückzuhalten. Und jetzt! – Sein Herz pochte, sein Gehirn brannte, sein Blut kochte fieberisch in den Adern, aber die Zunge klebte ihm wie am Gaumen, die Glieder schienen ihm ihren Dienst zu versagen. Er versuchte es, zu reden, sich vor ihr auf die Knie niederzuwerfen, es war ihm nicht möglich, es hielt ihn wie mit unsichtbaren Banden gefangen. Jede seiner Bewegungen war so ungelenk, gezwungen, eine Beklemmung über ihn gekommen, wie er sie nie gefühlt, nicht im Getümmel der Schlacht, nicht im Gewirre der Pariser Salons! Er vermochte es kaum, den Blick zu ihr zu erheben.

Sie wieder schien seine seltsame Verwirrung nicht zu bemerken, war so unbefangen geschäftig! Doch horchte sie jetzt.

[325] Durch die teilweise offenen Fenster rauschte das Gemurmel der Wellen des Mississippi herüber, vom Springbrunnen vor der Villa klatschten die niederfallenden Wasserstrahlen herein.

Sie trat zu einem der Fenster, sah wonnig hinaus und wandte sich dann zu ihm:

»Haben Sie auch so herrliche Abende in Texas?«

»Was ließe sich mit einem solchen Abende vergleichen!« rief er.

Und wie berauscht von ihrem Anblicke an ihre Seite eilend, taumelte er wieder zurück, warf sich auf eine Ottomane, stand wieder auf, näherte sich ihr wieder!

»Miß Alexandrine!« rief er endlich.

»General Morse!« antwortete sie.

»Ich bin – ich bin –!«

»Was sind Sie?«

»O ich fühle – ich wollte, daß –«

»Sehen Sie nur, Papa kommt, er wirft Kußhändchen. Papa! wir kommen, Papa!«

»Nimm aber den Hut, Alexandrine!« rief dieser aus dem Garten herauf, »es ist kühl.«

Den Hut nahm sie nicht, aber dafür haschte sie ein Tuch von der Ottomane auf, das sie mit so naiver Grazie um das idealische Köpfchen wand, daß er wieder entzückt ausrief:

»O Alexandrine! Sie werden mich noch wahnsinnig machen!«

Sie hörte ihn aber nicht, sondern griff nach dem Schal und bat ihn zu kommen, um den Papa nicht warten zu lassen. –


Ein wunderlieblicher Abend! Noch funkelte tief im Westen das Purpurrot der untergegangenen Sonne, das höher hinauf in das lichtere Karmoisin verschmelzend, zu beiden Seiten dunkelgrüne und goldgelbe und lichtblaue Delphine schwimmen ließ, während hoch oben die lichtgesprenkelten Wölkchen gleich zahllosen Mackerels sich in des Schöpfers unendlichem Luftmeere herumtrieben.

»Ein entzückender Abend!« rief Alexandrine dem Papa zu.

»Aber doch kühl, mein Kind!« meinte der kopfschüttelnde Papa, »ich fühle wirklich kühl!«

»Nur eine Viertelstunde!« bat sie.

»Wohl, eine Viertelstunde, aber nicht länger, denn die Nachtluft ist gefährlich. Ich will euch im Hause erwarten.«

[326] »Papa!« rief sie, »wenn du gehst, dann gehen wir auch.«

Die Worte schienen dem General tief ins Herz zu schneiden; er zuckte zusammen.

»Wollt ihr mich mit Gewalt hier haben?« fragte mild der Papa.

»Papa!« rief sie vorwurfsvoll, beide Hände um seinen Hals schlingend.

Er küßte sie zärtlich auf Stirn und Wangen, während der arme General so beklommen zur Seite stand. Es war ihm wieder, als ob seine schönsten Hoffnungsstrahlen erbleichten; er fühlte so verlassen, überflüssig!

Aber jetzt wandte sich der Vater zu ihm, und in demselben Augenblicke reichte ihm die Tochter so traulich den Arm, und diese stille Sprache tat seinem Herzen wieder so wohl!

»Vater!« flüsterte Alexandrine, »wie bist du so gut, so mild, Vater!«

»Gut können wir zu jeder Stunde unsers Lebens sein, sollten es wenigstens sein, mild aber können wir nicht immer sein, dürfen es auch nicht immer sein, liebes Kind! Zur milden Stimmung gehört die Abendstunde. Diese Abendstunde, General«, er wandte sich jetzt zugleich an diesen, »übte schon in meiner Kindheit einen ungemeinen Einfluß auf mich. Wenn ich den ganzen Tag hindurch hart war oder es sein mußte, zwang mich der Abend, weich zu werden. Schon als Matrosenjunge, umhergetost von Sturm und Wogen, wenn ich des Abends im Mastkorbe der untergehenden Sonne nachsah, kamen mir bessere Gefühle, meine Mutter, unser silbergrauer Prediger traten vor meine Phantasie.«

»Auch mir ging es so«, fiel andächtig der General ein, »es ist die Stunde, in der sich schützende Engel nähern, das sündige Getriebe der Welt ruht, die Stimme der Höheren tönt in uns wider, durchdringt uns im Gesäusel der Lüfte, im Gemurmel der Wogen.«

»Horch!« rief hier Alexandrine.

»Es ist das Tosen der Mississippiwogen«, sprach der Vater, »der Nebel senkt sich und mahnt uns, daß es Zeit ist, unter Dach zu gehen.«

Sie gingen – Arm in Arm. Im Saale angekommen, nahmen sie Platz auf zwei zusammengerückten Sofas.

Der Kapitän war sehr gütig, seine Sprache mild väterlich. Diese Sprache hatte etwas eigentümlich Sanftes, der Ton seiner tiefen [327] Baßstimme etwas weiblich Melodisches. Selten hatte er so viel wie an diesem Abende gesprochen. Der General gewann offenbar eine Zuversicht, die er zuvor nicht hatte. Vielleicht trug der Umstand dazu bei, daß das Halbdunkel des Saales die peinlichen Züge des Vaters der Geliebten weniger deutlich erscheinen ließ. Bisher wenigstens war dem jungen Manne, sooft er in dieses Gesicht gesehen, das Wort auf der Zunge kleben geblieben. Jetzt sprach er heiter, offen, ging vertraulich in seine Privatverhältnisse ein; der Kapitän hörte ihn mit Teilnahme an. Die letzte Scheidewand, die etwa die beiden noch trennte, brach sichtbar nieder; sie begannen sich zu schätzen. Alexandrine lauschte selig wie ein Kind. Offenbar erfüllte die Achtung, die die beiden Geliebten sich zollten, ihr Herz mit Wonne.

Eine Stunde war so nach der andern verstrichen; im anstoßenden Speisesaale ward das leichte Nachtessen aufgetragen. Die Diener meldeten, daß die Pferde gesattelt ständen, aber der Bankpräsident war noch immer nicht zurück. Der Kapitän begann etwas unruhig über das lange Ausbleiben des Freundes zu werden.

»Es ist Zeit, daß ich gehe«, sprach er, sich vom Sofa erhebend, »aber allein dürfen wir dich doch auch nicht lassen, Alexandrine?«

Das Herz des Generals schlug wieder höher bei diesen Worten. Würde ihm das Glück so sehr lächeln, mit der Angebeteten die Nacht unter einem Dache zuzubringen? Er zitterte vor dem wonnevollen Gedanken.

»O du kannst mich immer allein lassen, Vater, wenn du das allein nennst, in einer Cottage zu sein, in der fünfzehn dienstbare Geister mit uns sind. Ich kann ja bloß meine Betsy oder Margaret rufen.«

»Wie du willst, liebes Kind!« versetzte gleichmütig der Vater, »nur muß ich jetzt fort. Aber es könnte ja auch unser Freund, der General, einstweilen als dein Beschützer bei dir bleiben? Ich finde schon den Weg allein nach der Kajüte zurück.«

»Um keinen Preis, um keinen Preis darfst du allein hinab. Nicht wahr, General! Sie lassen Papa nicht allein zurück?«

Es war etwas ängstlich Heftiges, beinahe Wildes in ihrem Tone; dazu schaute sie den General so erschrocken, ängstlich an.

»Sie werden doch Papa nicht allein gehen lassen?« fragte sie wieder.

»Um keinen Preis!« rief er in schmerzlichem Tone, »um keinen [328] Preis! Sie erlauben, Kapitän Murky!« setzte er erblassend hinzu, »daß ich Sie nach Ihrer Pflanzung zurückbegleite?«

Jetzt lohnte ihn wieder ein herzlich seelenvoller Blick. Er aber schlug die Augen nieder.

»Wir wollen«, sprach der Kapitän, »noch eine Viertelstunde warten, vielleicht kommt Duncan. Aber morgen, vergiß nicht, Alexandrine, mußt du zeitlich in die Kajüte hinab, wenn du deine Zimmer eingerichtet haben willst, wie du willst, und nicht, wie andere Leute wollen.«

»Du kommst aber doch, mich abzuholen, Papa?«

»Ich kann nicht, Alexandrine! Aber General Morse wird so gut sein.«

»General Morse?« fragte überrascht und sanft errötend Alexandrine.

General Morse aber faßte, noch mehr überrascht, die Hand des Kapitäns und drückte sie an die Lippen.

»Wohl, wenn ein General sich so weit herablassen will, der Tochter eines armen Seekapitäns diese Ehre zu erweisen«, sprach sie schalkhaft, »müssen wir uns wohl fügen, nur sind wir dann doch so frei, uns vorläufig auszubitten, Se. Tapferkeit mögen auch ein bißchen amüsant sein; heute wenigstens, wo waren Sie?«

»Im Paradiese!« sprach der eintretende Onkel.

»O mein allerliebstes Gold- oder vielmehr Geldmännchen!« lachte sie, »wissen Sie, daß ich Ihnen ein kleines Kapitel über Ihr langes Ausbleiben lesen muß?«

»Wenn Sie mir ein recht schönes lesen«, lachte der Goldmann, »so verspreche ich Ihnen dafür etwas.«

Er hielt einen Brief empor.

»Ein Brief von Theresen?«

»So ist's, eine Epistel oder vielmehr ein dicht beschriebener Bogen. Señorita Hualero schreibt mir, daß sie erst in acht Tagen zurückkommen werde. Es muß ihr bei unsern Louisiana-Dons außerordentlich gut gefallen.«

»Nun gute Nacht, Papa! Und auch Ihnen, tapferer General!«

Er haschte nach ihrer Hand, sie zu küssen; sie aber hatte bereits beide um den Hals des Vaters geschlungen.

[329] Die Fahrt und die Kajüte

Die Glocke hatte halb nach acht geschlagen, als der General die Galerie der Cottage betrat. Der Onkel war nicht mehr zu Hause, aber Miß Murky war es. Er ließ sich anmelden, wurde angenommen und trat ein. Wie er die eine Salontüre öffnete, schwebte sie ihm durch die andere entgegen, heiter wie der junge Maitag, blühend wie die soeben entfaltete Rose.

»Sie sind früh!« sprach sie, ihm mit holder Freundlichkeit die Hand zum Willkommen reichend.

Er ergriff sie und drückte sie entzückt an die Lippen.

»Es ist recht artig, daß Sie eilen, eine einsame Maid zu trösten. Ich bin ganz verlassen, auch Ihr Onkel ist bereits fort.«

Er stand in ihren Anblick wie verloren. So majestätisch und wieder kindlich graziös war sie Königin und Kind zugleich!

»Warum reden Sie nicht?« fragte sie mit einer Stimme, die wie Silberglöckchen tönte, »Sie sind blaß, hatten Sie eine böse Nacht?«

»Eine sehr glückliche!«

»Wieso?«

»Ich verbrachte sie in Ihrer Nähe.«

»Sie waren nicht in der Kajüte?« rief sie betroffen.

»Doch, doch. Ich begleitete nicht nur Kapitän Murky zur Kajüte, sondern ging auch in mein Schlafzimmer, versuchte es, zu schlafen. Wer hätte aber nach einem solchen Tage schlafen können! So warf ich mich denn aufs Pferd, um mein Paradies zu bewachen.«

»Ihren Onkel haben Sie sich auf alle Fälle verbunden; da wir denn aber doch nicht mehr in den gefährlichen Zeiten leben, wo häßliche Riesen arme Jungfrauen rauben, so hätten Sie schlafen sollen. Papa wird erschrocken sein, wenn er Sie nicht gefunden hat. Er hält viel auf Sie.«

[330] »Worauf ich stolzer bin – stolzer! Die Achtung Kapitän Murkys ist mir teurer als die irgendeines Menschen.«

»Oh, er ist der beste, der zärtlichste Vater!«

»Der glücklichste!«

»Es soll auch meine einzige Aufgabe sein, so wie es gewiß meine heiligste Pflicht ist, ihn dazu zu machen!« versetzte sie mit tiefer Rührung.

»Aber wir dürfen«, fuhr sie nach einer kurzen Pause wieder in etwas lebhafterem Tone fort, »ihn nicht zu lange auf uns warten lassen. Ihr Verschwinden wird ihn gewiß ängstigen, denn die Nachtluft ist hierzulande sehr gefährlich. Sie haben doch gefrühstückt? Nicht? Bless me! Welche Unvorsichtigkeit! Geschwind müssen Sie noch zuvor etwas nehmen.«

»Nein, nein, wir wollen fort!« protestierte er.

Es half jedoch nichts, sie eilte zur Klingelschnur, zog diese.

»Eile, Betsy«, rief sie der eintretenden Kammerzofe entgegen, »und bringe heißes Wasser zu Tee! Oder ziehen Sie Kaffee vor?«

»Was Sie wollen.«

»Wir haben bereits gefrühstückt. Ihr Onkel mußte zeitlich nach Natchez hinein, und ich wollte mich auch nicht unbereit finden lassen. Sie sehen, ich bin es nicht.«

»Betsy, bist du da?« rief sie geschäftig der eintretenden Kammerzofe entgegen. »Nun kommen Sie, der Tee wird Ihnen gewiß gut tun. Sie hätten nicht nachtschwärmen sollen. Tun Sie das ja nicht mehr, versprechen Sie es.«

»Ich verspreche es.«

»Wohl, dafür sollen Sie eine Tasse Tee haben, oder vielmehr zwei«, verhieß sie drollig. »Zwei müssen Sie mir nehmen.«

»Von Ihrer Hand nehme ich alles.«

»Auch das Böse?«

»Selbst Gift.«

»Oh, Sie sind gar zu gefügig. Zu gefügig aber müssen Sie wieder nicht sein. Sind Sie es?«

»Sind Sie es?«

»Nicht immer«, sprach sie schalkhaft das Köpfchen wiegend, »jetzt müssen Sie es aber sein und die Tasse austrinken, während ich auf einen Augenblick gehe, um meine Wagentoilette zu vollenden. Ich bin den Augenblick wieder da.«

[331] »Vergessen Sie mir aber nicht, den Tee auszutrinken«, rief sie neckend noch in der Türe, »wollen Sie?«

»Ich muß ja.«

Sie verschwand, und er, ihr nachstarrend, vergaß richtig Tee und Versprechen.

»Haben Sie ausgetrunken?« fragte sie bei ihrem Eintritte lächelnd, mit dem Finger drohend.

»Die Tasse, die von Miß Murky eingeschenkt, ist noch immer halb voll«, plapperte die über sein Stillschweigen wahrscheinlich etwas pikante Kammerzofe.

»O der ewigen Zerstreuung!« schmollte sie, »nun trinken Sie, und zur Strafe sollten Sie eigentlich eine dritte nehmen.«

»Wer würde sich diese Strafe nicht gefallen lassen!« lachte er, die Tasse leerend und ihr dann überreichend.

»Ruhig!« mahnte sie wieder matronlich, als er mit der Tasse zugleich ihre Hand zu erfassen strebte. »Ruhig, sonst verschütten wir, und es ist ein böses Vorzeichen, zu verschütten.«

»Sind Sie abergläubisch?«

»Wie Sie fragen!« versetzte sie lachend. »In der Abtei erzogen und nicht abergläubisch sein! Alle waren wir es, wahrsagten, ließen uns wahrsagen, Theresia, Gabriele; so mußte ich mich denn wohl fügen, obwohl mein protestantischer Sinn ein bißchen dagegen rebellierte.«

Sie war wieder so mutwillig! Betsy und Margaret, die noch an Hut und Mantel und Halskragen und Locken ordneten, hatten Mühe, sie ruhig zu erhalten. Mit trunkenen Blicken hing er an ihr.

»Nun wollen wir aber denn doch gehen, denn Papa wird warten, und wir dürfen ihn nicht warten lassen. Aber austrinken müssen Sie zuvor.«

»Muß ich?«

»Tun Sie es, der Tee heitert immer auf, und Sie bedürfen der Aufheiterung, denn einigermaßen kommen Sie mir vor, als ob –«

»Als ob?«

»Sie nicht ganz bei Troste wären!« spottete sie.

Der Spott war aber wieder mit einem so schalkhaft zärtlichen Blicke gewürzt, daß er aufsprang und ihr wahrscheinlich um den Hals gefallen sein würde, wenn er sich nicht noch zu rechter Zeit besonnen hätte.

[332] »Sie werden mich noch um den Verstand bringen!« rief er wie außer sich.

»So?« fragte sie mit komischem Ernste. »So? Wirkt also meine Nähe so gefahrbringend, dann sollte ich ja billig anstehen, Ihnen im Wagen noch näher zu kommen. Und in der Tat, wenn Papa Sie mir nicht zum Beschützer auf dieser Fahrt gegeben hätte? Er hat Sie recht gerne, Papa.«

»Und seine Tochter?«

»Will sehen, inwieweit Sie sein Vertrauen rechtfertigen. Geben Sie aber acht, mein tapferer General! Die Pferde Ihres Onkels scheinen mir auch zur Schwärmerei geneigt, ein bißchen wild.«

Das waren sie nun in der Tat, aber es versprach auch, den Reiz der Fahrt zu erhöhen. Eine solche Fahrt aber ist überhaupt schon geeignet, Liebende in günstige Beziehungen zu bringen. Bereits das Erfassen der Zügel gibt dem Manne einen gewissen Halt, der, so schwankend er ist, ihn schon zum Bewußtsein dessen bringt, was er als Gentleman seiner Dame schuldig ist, während sie sich wieder im Gefühl des Schutzbedürfnisses näher an ihn anschmiegt. Der sechsundzwanzigjährige General besaß aber auch den seltenen Takt, ihr seinen Schutz auf die möglichst zarte Weise angedeihen zu lassen. Er wußte nicht bloß wie jeder Gentleman gut – er verstand es auch, mit Gefühl, wenn wir so sagen dürfen, zu fahren, mit jener gewissen hinreißenden Kaprice, die gleichsam den Impulsen eines empfänglichen Gemütes nachgebend da rasch den Zügel schießen läßt, wo alltägliche Gegenstände das Auge beleidigen, wieder lässig weilt, wo interessante Punkte vortreten.

Die Umgebung von Natchez ist reich an Abwechselungen. Nun grandios, ja sublim durch ein Bruchstück des hehren Urwaldes oder den zeitweilig hervortretenden Wasserspiegel des majestätischen Vaters der Ströme, in der nächsten Wendung wieder idyllisch durch eine deliziöse Villa, die in Chinabäumen und Magnolien und Orangen und Zitronenbäumen Versteckens zu spielen scheint, wird sie plötzlich prosaisch, ja gemein durch eine Cottonpflanzung, deren meilenweite Baumwollenstauden mit den häßlichen Einfriedigungen wie spanische Reiter in die Augen starren. Sie flogen abwechselnd durch Gassen von Cottonfeldern, wieder weilten sie im Schatten eines Fragmentes der Urwälder, bewunderten hier die seltene Färbung einer Blüte, eines Blattes, dort die hundertvierzig Fuß [333] hohe Krone eines Cottonbaumes; dann tranken ihre Blicke aus dem goldglänzenden Spiegel des Mississippi, wieder weilte ihre Phantasie bei den Bildern der edlen Natchez, deren einstmalige Sitze am Catharineflusse sie durchfuhren. Vor einer Villa hielten sie, weil sie Ähnlichkeit mit der ihrer Freundin Gabriele, vor einer andern, weil sie ihn an seinen Landsitz in Texas, den er von einem edlen Spanier an sich gekauft, erinnerte. Während er ihr die Pracht der Baumgruppen, die milden Lüfte Texas', sie ihm die Herrlichkeiten der Schweiz, des südlichen Frankreichs schilderte, verriet sich in jedem Worte, jeder Bemerkung die edle männliche, die zart weibliche Seele – der seltenste Einklang. Sie schienen sich die Gedanken von den Lippen zu nehmen. Nun scherzend, plaudernd, lachend, stand ihnen wieder im nächsten Augenblicke eine Träne im Auge. Wie Kinder trieben sie es. Spielend wie Kinder kamen sie an der langen Allee von Chinabäumen an, an der sie vorbeigefahren sein würden – so hatten sie in ihrem Glücke alles um sich her vergessen, wenn nicht der Diener, der sie zu Pferde begleitet, vor ihr gehalten hätte.

Da erst – als sie einfuhren, kamen sie zu sich. Anfangs ließ er rasch die Allee hineintraben, dann langsamer, denn sie war still geworden. Eine Träne perlte in den schönen Augen, wie das väterliche Haus vortrat. Sie hatte es zwar schon mehrere Male seit ihrer Zurückkunft gesehen, und zwar während der Abwesenheit des Gastes ihres Vaters, der wichtiger Geschäfte halber und um seinen Dienern und Gepäcke nachzusehen, in New Orleans gewesen; die Tränen konnten also nicht die der Überraschung sein. Vielleicht galten sie einer süßen Erinnerung, vielleicht einer sonstig wehmütigen Empfindung, die sie aber jedenfalls stark zu ergreifen schien, denn sie kamen zahlreicher; die Blicke, mit denen sie das Vaterhaus betrachtete, waren die einer Scheidenden. Doch ermannte sie sich, und den wunderlieblichen Kopf schüttelnd, lächelte sie in drolliger Wehmut:

»Bin ich doch eigen, mich durch den Anblick unsers alten Hauses, das ich doch erst kürzlich gesehen, zu Tränen hinreißen zu lassen!

Aber es ist ein liebes, liebes Haus!« sprach sie leise und weich.

»Ein liebes, liebes Haus!« fiel er zärtlich ein.

»Ich würde mit Schmerzen daraus scheiden!«

»Würden Sie?« fragte er beklommen.

»Gewiß! Es ist mir sehr teuer!«

»Es ist ein Paradies!«

[334] Das war es nun freilich nicht, eher glich es der altestamentarischen Arche oder auch einem schwedischen oder holländischen Vierundsiebziger – denn wie ein solcher war es aus Balken und Brettern zusammengezimmert; auch die entsprechende Länge und Breite hatte es: hundertundsechzig bei sechzig, Schnabel spitz, Stirn rund, obwohl einige Divinationsgabe dazu gehörte, die Form oder vielmehr Unform auszumitteln; das Türmchen mit der Glocke ließ gar so quer, und mit den weitläufigen Galerien, die um das ganze Haus herumliefen, und durch das vorspringende Dach gebildet, statt der Außenwände Jalousien hatten, über und über mit seltenen Schlingpflanzen verwoben, glich es wieder mehr einem enormen vegetabilischen Auswuchse denn Arche, Vierundsiebziger oder Herrenhause. Aber lieblich mußte es sich trotz Bizarrerie in diesen Räumen wohnen, vorausgesetzt, daß ein wenig aufgeräumt wurde; in einigen Galerien – die westliche und südliche waren geschlossen – sah es ein bißchen bunt aus. Alles lag und hing und stand und lief hier durcheinander, Sattel und Zäume und Jagdtaschen und Jagdflinten und Sporen und Brogans und Mäntel und Kapotten, und Waschtische und Becken und Kannen und Hängematten. In einer dieser letzteren wiegte sich ein Trio von Katzen, während gleich darunter ein ci-devant Champagnerkorb stand, in dem ein halbes Dutzend junger Hunde winselten. Ein Paar nobler Rassepferde streckte die schlanken Hälse über das Geländer der Galerie einem Armsessel zu, auf dem sich eine gewaltige Zibetkatze philosophischen Betrachtungen überließ, während ein paar Schritte weiter – Jagdhunde und Hühnerhunde und Dachshunde und Neufundlandhunde an einer Brut schwarzer Wechselbalge herumzerrten, die nacheinander über einen Rasenplatz hergesprungen kamen, auf dem noch einige Dutzende wie Frösche auf allen vieren ausgespreitet – wahrscheinlich zum Trocknen in der Sonne lagen, nachdem sie zuvor ihren Reinigungsprozeß ausgestanden. Dieser Prozeß ging originell genug vor einer der größeren Hütten, die vermutlich zum Spital diente, vor sich. Vor der Hütte standen zwei bejahrte Negerinnen, von denen die erste mit Bürste bewaffnet einen der schwarzen Schreihälse nach dem andern aus dem Fenster herausholte und in die ihr zur Seite stehende Badewanne ganz wie ein Ferkel eintauchte, und nachdem sie ihn tüchtig durchgerieben, an die zweite abtrat, die ihm denselben Liebesdienst mit einer Wolldecke antat, worauf sie ihn dann zum [335] gänzlichen Abtrocknen in der Sonne auf den Rasen hinbreitete, von dem er schließlich in das Wollröckchen befördert wurde.

Weiter zurück lagen die Wirtschaftsgebäude, und an diese schloß sich das in einem Walde von Chinabäumen begrabene Negerdorf an, das so ruhig dalag, daß es sich bloß durch die bläulichen Rauchsäulen, die durch die blühenden Bäume emporkräuselten, verriet; aber ungemein lieblich ließ sich aus den dahinterliegenden Cottonfeldern ein fröhlicher Gesang hören, dessen munterer Schwung an die Matrosen mahnte, wenn sie wohlgemut die Anker lichten.

Das Ganze bot ein eigentümliches Gemälde dar, bei dem offenbar seemännische Disziplin, vielleicht auch Laune den Pinsel geführt haben mußte; aber neben den harten Strichen zogen sich wieder so weiche, milde Züge durch das Gemälde hin, der Grundton erschien so patriarchalisch väterlich, daß man um keinen Preis einen Pinselstrich daraus vermißt haben würde!


»Ja, es ist ein Paradies!« rief in stillem Entzücken der General, der nun mit der reizenden Gebieterin vor dem Rasenplatze angekommen. »Es ist weit mehr Paradies als das Uncle Duncans, es hat etwas so alttestamentarisch Patriarchalisches!«

»Es ist natürlich«, versetzte ruhig Miß Murky, »und das spricht das Gemüt an. Es ist wunderbar«, fuhr sie bewegter fort, »welch ein offenes, helles Auge Papa für das Natürliche, Wahre hat. Alles Unnatürliche, Unwahre widersteht ihm.«

»Das ist immer so bei wahrhaft edlen Menschen. Dieser Sinn unterscheidet sie von den herzlosen, die sich jeder Form anschmiegen.«

»Papa kann das nicht, und deshalb steht er auch so einsam.«

»Nennen Sie das einsam stehen, Miß Murky, geliebt zu sein wie er?«

»Er ist innig geliebt von so vielen, geachtet, ja verehrt von mehreren, aber doch steht er einsam«, versetzte sie sinnend.

»Wissen Sie, Miß Murky«, fiel er, der Unterhaltung zart eine andere Wendung gebend, ein, »was ich jetzt wünschte?«

»Was?«

»Daß einige unserer abolitionistischen französischen Freunde da wären, dieses herrliche, patriarchalische Gemälde zu sehen.«

»Warum?«

[336] »Sie würden von ihren antisklavischen, ich möchte sagen, antisozialen Ideen zurückkommen. Wie oft wurde mir nicht die Sklaverei, die empörende Behandlung unserer Sklaven vorgeworfen!«

»Ich habe nie einen solchen Vorwurf gehört«, versetzte wieder ruhig sie, »aber wenn ich auch hätte, er würde mich kaum bewogen haben, mir über diesen Punkt den Kopf zu zerbrechen. Wir haben sie einmal, diese Sklaverei, und selbst wenn sie ein Übel wäre, würde ich eher zu versöhnen, zu vermitteln, als dagegen zu kämpfen suchen.«

Er schaute sie erwartend an.

»Uns Weibern steht das Ankämpfen gegen bürgerliche oder politische Verhältnisse nicht wohl an, unsere Rolle ist eine versöhnende.«

»Sie haben recht!« versetzte er. –

Der Wagen hielt nun. Der General sprang aus und half ihr absteigen. In dem Augenblicke gingen die Jalousien der südlichen Galerie auf, und Kapitän Murky trat heraus. Wie die beiden Liebenden ihm entgegeneilten, die dargebotene Hand erfaßten, weilten seine Blicke forschend auf ihr. Die Spuren der Tränen waren nicht ganz verwischt.

»Alexandrine!« sprach er in liebevollem, besorgtem Tone.

»Vater!« erwiderte sie etwas betroffen.

Der Vater schaute noch einen Augenblick sie, dann den General an. Die innige Harmonie, die zwischen beiden aufleuchtete, schien ihn wieder zu beruhigen.

»Meine teure Alexandrine! fühlst du ganz wohl – glücklich?«

»Ganz wohl und glücklich!« versetzte sie, und abermals perlte ihr eine Träne aus den Augen.

»Und Sie, General?«

Der General erfaßte die Hand des Kapitäns und drückte sie an die Lippen.

»Eigentlich, mein lieber General«, sprach nach einer kurzen Pause der Kapitän, »sollte ich Sie ein bißchen ausschelten wegen Ihrer gestrigen oder heutigen Desertion.«

»Ich habe es schon getan, Papa!«

Und sie lächelte, während die Träne noch perlte, entzückt den Vater, wieder den General an.

»Du hast recht getan, Alexandrine, und mir die Mühe erspart. Du weißt, ich tue es nicht gerne. Aber lassen Sie sich es gesagt sein, [337] tun Sie es nicht ein zweites Mal, unsere Nachtluft läßt nicht mit sich scherzen.«

»Ich will es nicht mehr tun.«

Er nickte freundlich, und Arm in Arm gingen sie der Galerie zu deren sämtliche Jalousien mittlerweile aufgerollt waren.

Diese bot freilich einen ganz andern Anblick dar als die westliche und nördliche. Zwar war auch hierin noch nicht alles in Ordnung; Blumentöpfe und Ottomanen und Sessel standen noch nicht an ihrem rechten Platze, konnten aber leicht darauf gebracht werden.

»Ich habe die Anordnung dieser Galerie ganz dir überlassen wollen, so wie des Drawing room«, hob wieder der Kapitän an. »Da hat dir Freund Duncan die Anfänge zu einem kleinen Konservatorium gesendet«, fuhr er fort, auf mehrere Reihen von seltenen Pflanzen und Blumen in zierlichen Fayencetöpfen deutend. »Bist du nicht froh?«

Sie hatte aber bereits die holden Kinder Floras begrüßt, war von Blume zu Blume geeilt.

»Er ist ein lieber, lieber Mann!« rief sie.

»Ein sehr guter Gedanke!« fiel der General ein.

»Das soll nun meine erste Unterhaltung sein«, rief wieder sie, »die Blumen und Pflanzen zu ordnen.«

»Darf ich helfen?« fragte eifrig der General.

»Wir wollen sie zusammen ordnen«, beruhigte sie ihn.

»Zuvor mußt du aber noch das Drawing room sehen. Es sind Leute da, die auf deine Befehle harren.«

»Auf meine?« rief sie verwundert.

»Auf wessen sonst? Bist du nicht die Frau vom Hause, die Herrin, der wir uns alle fügen müssen?«

»Wie du nur so sagen kannst, Papa?«

»Ganz im Ernste, Alexandrine, sag' ich's, ganz im Ernste!« versicherte der Papa. »Aber jetzt, liebes Kind! schau einen Augenblick hinüber; auch in deinem Schlafkabinette ist noch ein und das andere zu ordnen, und, wie gesagt, im Drawing room warten die Leute auf dich.«

»Willst du nicht mitkommen, Papa, mich mit deinem Rate zu unterstützen?«

»General Morse wird so gut sein«, versetzte freundlich der Vater, [338] »ich will unterdessen in die Apotheke, um für Josepha eine Arznei zu bereiten 1. Sie ist krank.«

»Wie, die arme Josepha krank?«

»Seit vorgestern«, versetzte der Vater, »es geht ihr aber besser, ich war soeben bei ihr. Ich wollte dir gestern nichts davon sagen, sie war schlimm daran. Ich würde sie sehr ungerne verlieren.«

»Darf ich mit dir, sie zu besuchen?«

»Wenn du willst.«

»Und ich auch?« fragte der General.

»Wenn Sie wollen.«

Und während nun der Kapitän in die Hausapotheke ging, eilten die beiden dem Drawing room zu. Zuvor warf sie aber noch einen Blick in ihr Schlafkabinett, in das er jedoch, obwohl es an die Galerie anstieß, nicht zugelassen wurde. Dafür wies sie ihn ins Drawing room, welches zwar ursprünglich ziemlich kajütenmäßig ausgesehen haben mußte, denn die Wände waren mit Louisiana-Kirschholze, die Dielen mit andern einheimischen Holzarten parketiert, was allerdings ein etwas schweres, nordisches Aussehen verlieh; aber ein paar in die Balkenwände neu eingeschnittene Flügeltüren, die in die Galerie hinausführten, versprachen, diesem Übelstande recht gefällig abzuhelfen. Sie waren von ihr angegeben worden, und sie war recht begierig zu sehen, wie sich die bereits eingesetzten Türpfosten ausnehmen würden. Aber während sie einen Blick in ihr Kabinett geworfen, hatten Phelim und die ganze Schar schwarzer und weißer Angehörigen ihre Anwesenheit ausgemittelt, und alle kamen gesprungen, um die teure Missus zu sehen. Phelim tanzte mit einem Rundsprunge auf sie zu, die andern erfaßten, da er ihre beiden Hände bereits im Besitz hatte, sie am Kleide, um dieses wenigstens zu küssen. Es war ein Jubel, ein Frohlocken, dem man es wohl ansah, daß er aus dem Herzen kam. Sie wies keine der Huldigungen, so ungestüm sie auch waren, zurück, empfing alle mit hinreißender[339] Güte; und doch war wieder etwas so wahrhaft Ladymäßiges in dieser Güte, daß Schwarze und Weiße allmählich wieder zu sich kamen, ja der rotnasige Phelim dem General bei Jasus und bei St. Patrick zuschwor, sie sei die erste Lady, und keine zweite gäbe es, weder in Irland noch anderswo, und wer es nicht glaube, der solle verdammt sein.

Und jetzt wandte sie sich wieder, um den Arbeitern nachzusehen, hier Winke zu geben, dort Zufriedenheit auszudrücken! Gerade hielt sie mit ihrem Begleiter vor dem Fenstergesimse, als der Kapitän eintrat.

»Papa!« rief sie lebhaft, »höre nur, du weißt, diese Arabesken hier wollte ich vergoldet haben, und siehe, wie jetzt der General einen Blick auf sie wirft, findet er, daß sie vergoldet sein müssen. Ist das nicht artig?«

»Sehr artig!« versetzte gemütlich der Kapitän. »Aber jetzt wollen wir zu Josephen, wenn ihr es zufrieden seid.«

»Gewiß!« fielen die beiden ein.

»Bei Jasus! einen Augenblick Geduld, Hinnies!« schrie hier Phelim, »Phöbe und Psyche haben Kinderwäsche, will nur zuvor sehen, ob sie fertig sind.«

»Sei so gut!« ermunterte sie ihn.

Er sprang fort, kam aber sogleich mit der Nachricht zurück, daß sie fertig und der Weg nun offen sei.


Das Negerdorf war ein anderer reizender Zug in diesem südlichen Gemälde, der Hintergrund gleichsam, der aber erst dem Vordergrunde seine eigentümlich patriarchalische Betonung verlieh. Es bestand aus zwei Reihen von Hütten; jede dieser Hütten hatte einen Chinabaum vor der Tür, in dessen Doppelgrün 2 das Häuschen wie begraben lag. Die meisten hatten so wie das Herrenhaus kleine Galerien, auf denen hie und da die Patriarchen des schwarzen Völkchens saßen, ihren 'bacca rauchend, während die Mütterchen, ihnen vorplappernd, Gemüse putzten oder sonstige leichte Arbeiten verrichteten. Sowie aber die drei, gefolgt von Phelim und sämtlichen Kindern, am Eingange des Dorfes anlangten, erhoben sich auch alle die oncles [340] und aunties 3, warfen Pfeifen und Gemüse weg und brachen auf, um den lieben Massa und Missus zu begrüßen.

Es war wirklich rührend zu schauen, mit welcher Hast, welchem liebenden Verlangen die achtzig- und neunzigjährigen Alten herbeitrippelten und mit welcher Güte, Zärtlichkeit sie alle empfing, diesen streichelte, jenen beschenkte, einen dritten tröstete, einer vierten abzuhelfen versprach. Der Kapitän schien ganz vergessen, keiner und keine beachtete ihn. Sie ließen ihn ungehindert der Hütte Josephens zugehen, in der er schon eine geraume Weile war, ehe Alexandrine ihn vermißte. Jetzt eilte sie ihm mit ihrem Schatten, dem General, nach.

Wie sie in die Tür eintrat, kreischte auch die Kranke vor Freude auf und wollte ihre teure Missus, nur die teure Missus, die sie als Kind gewiegt, auf den Armen getragen, nochmals in die Arme schließen.

Man hat im Norden keinen Begriff von der Liebe und Zärtlichkeit, mit der unsere Schwarzen an ihren Herren und Frauen, diese wieder an ihren Angehörigen hängen; es ist wohl das liebevollste Band, das Abhängige und Unabhängige heutzutage umschließt, denn es ist von Kindheit an in die Naturen eingewoben. Hier allein herrscht noch etwas von jenem alttestamentarischen Verhältnisse, das leider heutzutage verschwunden, nur in den Lettern der heiligen Bücher noch erscheint.

Der junge General fühlte so bewegt, daß er es nicht länger auszuhalten vermochte. Tränen kamen ihm in die Augen, er trat erschüttert zurück, eilte, Tränen und sich zu verbergen.

Hinter der Hütte erhob sich schützend eine Pride of China, ihr blütenreiches Gezweige über das Dach hinbreitend. Auf die Bank, die unter dem Baume angebracht war, warf er sich hin, um über die Szenen der letzten zwei Tage, sein unsägliches Glück, den unendlichen Reichtum ihrer Güte, Milde, und was wir milk of human kindness 4 nennen, ungestört Freudentränen Lauf zu lassen. Er wußte sich nicht mehr zu fassen, er mußte seinem vor Freude und Wehmut gepreßten[341] Herzen Luft machen. Er hielt sich beide Hände vor das Gesicht, um ungehindert ausweinen zu können.

Eine zarte dritte zog ihm diese weg. Sie, in ihrem schönsten Liebreize Engel und Grazie zugleich, stand vor ihm, sah ihn zärtlich an, sprach aber nicht; nur schlug ihr Busen bewegter.

Unwillkürlich glitt er von der Bank herab auf die Knie, die er umfaßte; aber eine Weile vermochte er kein Wort hervorzubringen.

»Alexandrine!« schluchzte er endlich; »Alexandrine! Herrliche! Engelgleiche! Ich kann es nicht länger verbergen, ich muß reden, es würde mich erwürgen. Seit ich Sie zum ersten Male in Paris sah, seit dieser Zeit öffneten sich mir die Tore des Paradieses.«

Sie sprach nicht.

»Ich liebte, ich liebte Sie beim ersten Anblick, jetzt, jetzt bete ich Sie an. Ich kann nicht ohne Sie leben. Ich bin Ihrer nicht würdig, ich weiß es; aber, so helfe mir Gott! ich kann nicht ohne Sie sein.«

Sie ließ sich auf der Bank ihm zur Seite nieder, sprach aber noch immer nicht, nur der Busen hob sich stärker.

»Sie reden nicht? Sie schweigen? Sie verstoßen mich?« schluchzte er. »Hat Sie mein kühnes Geständnis beleidigt?«

Er ergriff die Hand, preßte sie an die Lippen. Wie er sie so preßte, fühlte er den leisen Widerdruck.

»Alexandrine!« rief er plötzlich mit leuchtenden Augen.

Sie schwieg noch immer; aber jetzt kam eine Träne, eine zweite – dritte; der Engelskopf senkte sich ihm auf Nacken und Brust.

Er umschlang sie, wagte es, einen Kuß auf die Korallenlippen zu drücken.

Sie hatte die Augen geschlossen, er fühlte aber den erwidernden Druck der Lippen.

Jetzt sprang er auf, an ihre Seite.

»Alexandrine!« flehte er, »Alexandrine!«

»Edward!« versetzte sie.

»Wollen Sie, wollen Sie«, flehte er, »mein sein?«

»Dein sein!« flüsterte sie.

Eine Weile saßen sie sprachlos, im Gefühle ihres Glückes schauten sie einander mit trunkenen, schwimmenden Blicken an, dann erhoben sie sich, um den Vater zu suchen.

Fußnoten

1 In der Regel haben Pflanzungen nicht nur Hausapotheken, sondern die größeren auch eigene Ärzte. Von den weniger bedeutenden vereinigen sich gewöhnlich mehrere, um einen Arzt ausschließlich für sich und ihre Sklaven zu unterhalten. Dasselbe ist der Fall mit Predigern. Auf jeder größeren Pflanzung befindet sich eine Hauskapelle, in der der Hausgottesdienst gehalten wird. Wenn kein Prediger da ist, verrichtet der Hausherr, im Falle er Mitglied der Episkopalkirche ist, den Gottesdienst. Auf den Pflanzungen, die sich in der Nähe einer Stadt befinden, erhalten die Neger an Sonntagen ihre Pässe, um den Gottesdienst in der Stadt zu besuchen. Häufig tritt der Fall ein, daß Prediger zehn und zwanzig Meilen herbeigeschafft werden, um die Leichenpredigt für einen abgeschiedenen Schwarzen zu halten.

2 Der Pride of China hat ein doppeltes Grün, ein lichtes und ein dunkles. Die Blätter, die sich in Gestalt winziger Parasole an den Zweigen ansetzen, wachsen nämlich den ganzen Sommer hindurch nach und geben so dem ohnedem herrlichen Baume eine eigentümliche Frische.

3 Die Schwarzen beiderlei Geschlechts unter vierzig Jahren werden durchgängig in den Vereinten Staatenboys oder girls, Buben, Mädchen, die Alten wiederaunties, oncles, Tantchen, Onkelchen angeredet, eine Anrede, die immer im zärtlich liebevollen Tone gegeben und angenommen wird.

4 Milch menschlicher Güte.

[342] Das Paradies der Liebe

Und wie sie sich nun so eilig, hastig um die Hütte herum der Tür zuzogen und vor dieser wieder wie zagend hielten und mit klopfendem Herzen die Klinke zugleich erfaßten und dann wieder fahren ließen und die Blicke scheu zur Erde senkten, dann abermals die Hände hoben und an den Drücker legten, wogte ihr der Busen, zitterten ihm alle Glieder so fieberisch! Sie waren zu schauen wie zwei Kinder, die soeben von einer verpönten Näscherei verscheucht der Strafe entgegenrennen.

Jetzt aber dem Impulse, der sie getrieben, nachgebend, legten sie nochmals die Finger an die Klinke, drückten diese und die Tür auf, schauten in die Stube hinein. Kein Vater, kein Kapitän Murky war mehr da, die alte Josepha schlummerte ruhig.

Wie erleichtert schöpften sie zugleich Atem, schauten einander an, ihre Hände verschlangen sich.

»Edward!« lispelte sie, »sieh nur, wie du jetzt wieder glühst und wie bleich du zuvor warst 1

»Und geradeso war es mit dir, teure Alexandrine!«

»Weißt du?« lispelte Alexandrine, »ich fürchtete, in diesem Augenblick Papa zu sprechen.«

»Und so ich«, versetzte er.

»Aber warum?« fragte sie naiv, »Papa ist doch so gut, er liebt uns beide so sehr.«

»Glaubst du, Alexandrine?«

»O gewiß!«

»Ich weiß mich nicht zu fassen, ich fühle wie im Traume. Zuweilen [343] kommt es mir vor, als ob mein Glück noch immer nicht möglich, als ob das Ganze ein bloßer Traum wäre.«

»Und ganz so fühle ich. Sieh nur, ich zittere an allen Gliedern.«

»Und so tue ich.«

»Was ist das?« fragte sie naiv.

»Liebe, Süße!«

»Es muß wohl Liebe sein«, sprach sie leise und verschämt die Augen zu Boden schlagend, »denn ich fühlte so nie zuvor.«

»Ah, du liebtest aber auch nicht wie ich. Seit ich dich zuerst sah, war die Welt für mich keine Welt mehr, du warst mir die Welt. Sinne, Verstand, Herz – alles war hin. Blind verließ ich Paris; ich sah nichts, hörte nichts, dachte an nichts als dich.«

»Und so tat ich, ich dachte an nichts als –«

»Dich.«

»Dich.«

»Aber ich liebte doch mehr!« rief er zärtlich.

»Nein, ich liebte mehr!« wieder sie.

Und jetzt stritten sie, wer mehr liebte, und er und wieder sie wollte mehr geliebt haben, und er wies ihr nach, wie er mehr geliebt, und sie wieder hörte ihn so entzückt an.

»Mein Edward!« lispelte sie mit ihrer süßen Glockenstimme, die Augen verschämt zu ihm aufschlagend.

»Meine Alexandrine!«

»Ich fühle so glücklich! So glücklich! Ich kann es nicht aussprechen.«

»Und so kann ich nicht. Ich fühle, als ob das Herz mir zerspringen müßte. Es droht mir zu zerspringen.«

»Gerade so ist's mir«, lispelte sie wieder.

»Ah, weißt du noch, wie du im Salon General Caß' neben dem besternten Edelmanne standest?«

»Es war der Marquis Mont Brissac, der Vater Gabrielens; du fielst ihm auf. Er fragte mich nachher, wer der ausgezeichnete junge Mann wäre. Und weißt du, daß ich ihn recht lieb dafür hatte?«

»Ja, aber weißt du, daß ich sehr eifersüchtig auf ihn war?« versetzte er wieder, »er ließ dich so gar nicht aus den Augen.«

»Natürlich, er war mein Kavalier, denn Marigny konnte nicht kommen.«

»Ja, aber er folgte dir so ängstlich auf allen Schritten.«

[344] »Tat er's?« lächelte sie, »ich bemerkte es nicht. Ich sah nur die Komtesse, die dich so gar nicht aus den Augen ließ.«

»Tat sie? Ich bemerkte es nicht, aber Marigny, der junge Marigny – oh, ich war doch so wütend auf ihn.«

»Warst du?« lachte sie wieder. »Der gute Marigny! Er ist so furchtsam, seinen eigenen Schatten fürchtet er. Jede Welle, die über Bord schlug, machte ihn erbleichen. Er ist doch gar zu furchtsam. Weißt du, ich liebe Mut am Manne.«

»Und ich Zartheit am Weibe. Wer gleicht aber dir an Zartheit, Schönheit, Seelengüte? Aber weißt du, ich habe sie recht gerne, diese altadeligen Franzosen.«

»Auch ich«, fiel sie ein, »und das ist doch seltsam, sie sind doch so streng royalistisch.«

»Und wir streng republikanisch; aber die Extreme berühren sich immer am liebsten.«

Und ohne es zu wissen, saßen sie nun wieder auf der heimlichen Holzbank hinter der Hütte unter dem Chinabaume. Redbirds und Mockingbirds jubelten oben in den Blüten, aber sie hörten sie nicht, sahen sie nicht. Sie hatten nur Augen, Ohren füreinander.

»Alexandrine!« hob er wieder an, »ich liebe dich, liebe dich so unendlich, so unsäglich.«

»Ah, du kannst nicht mehr lieben als ich«, versetzte sie zärtlich.

»Jawohl! jawohl!«

»Ja nein! ja nein!« bejahte und verneinte sie wieder.

Und so stritten sie sich, wer mehr liebte, und sagten sich's zehnmal, zwanzigmal, fünfzigmal. Jedesmal hörten sie es mit neuem Entzücken. Sie wurden zuletzt so mutwillig, sie küßten sich die Hände, die Fingerspitzen. Er pries die Schönheit ihrer Hände, sie wollte die seinigen schöner finden. Er verglich ihre Augen mit dem tiefblauen Himmel, sie die seinigen mit dem zarten Dufte des indianischen Sommers.

Sie sprangen auf, um Papa zu suchen, vergaßen aber unter lauter Getändel den lieben Papa. Sie waren durch das Negerdorf gegangen, sie wußten es nicht, vor dem Quartiere, wie das Herrenhaus genannt wird, vorbeigekommen, auch das wußten sie nicht, in den Garten getreten, den sahen sie nicht, denn er war, die Wahrheit zu gestehen, mehr Wildnis als Garten; Phelim, unter dessen Aufsicht er stand, hatte in einige der schönsten Parterres seine geliebten [345] irischen Kartoffeln gepflanzt. Doch gab es noch einige schöne Partien, ein Wäldchen von Orangen- und Zitronenbäumen, Grotten mit Rasenbänken und andern Bänken. Auf eine derselben setzten sie sich, um sich abermals und abermals zu sagen, wie unendlich sie sich liebten, und dann tanzten sie wieder zugleich auf, um Blumen zu pflücken und sich zu beschenken, und als er die Rose, die sie ihm den Tag zuvor geschenkt, aus seinem Busen und dem grünen Seidenpapier zog, in dem er sie aufbewahrt, haschte sie darnach und bat ihn, die verwelkte doch wegzuwerfen; er aber versicherte sie, daß sie, solange er lebe, nicht von seinem Herzen kommen, in Gold gefaßt, zunächst diesem ihren Platz haben sollte. Und sie hüpfte nun wieder zu einem der Blumenbeete und pflückte ihm einen Strauß, und er ihr einen, und dann setzten sie sich, und sie bekränzte ihn und er sie. Und während sie sich so bekränzten, mußte er ihr wieder erzählen aus seinem Leben, sich ausfragen lassen – Liebe ist argwöhnisch – und darüber verging eine Stunde, und eine zweite – dritte; die Mittagsglocke läutete, sie hörten sie aber nicht, der Vater stand ihnen zur Seite, sie sahen ihn nicht. –

Auf einmal verfiel sie in ein tiefes Sinnen.

»Weißt du, Edward!« rief sie plötzlich lebhaft, »heute kann ich nicht ins Paradies hinauf, unmöglich. Ich weiß nicht, aber heute könnte ich deinem spottenden Onkel nicht unter das Auge treten. Du mußt heute allein hinauf, teurer Edward! Ich kann nicht, ich muß mich fassen, das Glück ist zu groß!«

»Zu groß!« rief er wie berauscht, »aber warum muß ich«, seine Stimme zitterte, »warum muß ich dich verlassen?«

»Oh, du mußt, tue es, süßer Edward!« bat sie, ihn mit ihren schönsten Blumen bekränzend, »tu es. Ich will, ich muß mit Papa reden, mich ihm offenbaren, an seinem Busen meine Freudentränen weinen.«

»Aber wir wollten es ja zusammen tun, wir wollten es ja schon tun.«

»Ja, aber weißt du, ich war doch – ich fühlte so – so. Es war doch gut, daß er nicht in Josephens Hütte war; aber jetzt müssen wir gleich zu ihm.«

»Gleich wollen wir!« rief er etwas langsamer, aber wie er so rief, hielt er sie wieder mit beiden Armen umschlungen, ließ sie nicht vom Platze.

[346] »Wir müssen, Edward! Zu Papa; sieh, der Papa ist so wohlwollend, gut!«

»Gott segne ihn!« sprach gerührt Edward.

»Gott segne ihn!« fiel sie ein.

»Gott segne ihn!« riefen sie beide, die Hände faltend.

»Gott segne auch euch, Kinder!« sprach hier mit einer Träne im Auge der Papa. »Gott segne euch und beschütze euch! Und liebt euch und bleibt euch getreu!«

»Vater!« riefen die beiden zugleich, sich vor dem Vater auf die Knie werfend.

»Kinder!« rief der Vater, die Hände auf sie legend, »Gott segne euch, und liebt euch, wie Er alle seine Kinder liebt, und bleibt solche Kinder!«

Die Kinder schluchzten, der Vater hob sie zu sich empor, drückte sie an seine Brust.

Weder heute, noch den folgenden Tag gingen sie ins Paradies zurück; die Kajüte war ihnen zum Paradiese geworden.

Fußnoten

1 Es ist wohl kaum nötig zu bemerken, daß der Genius der englischen Sprache kein Du oder Sie zuläßt und daß der Verfasser, wenn er seine Personen sich mit Du oder Sie anreden läßt, bloß dem der deutschen Sprachweise huldigt.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Sealsfield, Charles. Der Kapitän. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-09F0-9