Die Insel der Seelen

Am fernsten Strande kalter Celten,
Wo müder schon die Sonne schleicht,
Wo nur vorbei ein Frachtschiff selten,
Beschrie'n von heisern Möven, streicht,
Ist jetzt ein Kriegerheer gelagert
Mit Schild und Speer, im Römerkleid,
Klein Volk, verbrannt und abgemagert,
Doch aller Feinde Herr im Streit.
Hier tritt mit kahler Lorbeerstirne
Der Feldherr in ein Fischerhaus:
»Reicht mir vom Trank der wilden Birne
Und löscht den heißen Durst mir aus!«
Der greise Riese nickt und schüttelt
Vorerst am Herde leer das Netz;
Beut seinem Gast nun ein gerüttelt
Und schäumend Horn voll süßen Meths.
Der Kämpfer schlürft mit Athemzügen,
Er dämpft und reizt den Drang der Lust,
Und spült mit langsamem Vergnügen
Den Schlachtruf sich aus Kehl' und Brust.
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Das leere Horn wirft er zur Erde,
Doch gierig bleibt sein Aug' und wild;
Er spricht mit brennender Geberde:
»So wäre doch ein Durst gestillt!«
Der Alte frägt: »Was willst du weiter?
Wir geben gerne, recht und schlecht!
Du bist hier nicht im Thal der Streiter,
Du ruhst bei sanfterem Geschlecht!«
»Ihr Armen,« spottet jetzt der Fremde,
»Was ich begehre, liegt zu weit;
Ihr bringt es nicht, im Fischerhemde –
Mein Trachten heißt Unsterblichkeit!«
»Unsterblichkeit? willst du sie binden
An deiner Schlachten Tod und Not?
Unsterblichkeit, sie ist zu finden
Im Friedensland, bei'm Abendrot.
Dort stralet ew'gen Lebens Erbe,
Dort winkt der Seelen letzter Port.
Doch wer dort bleiben will, der sterbe,
Nur nach dem Tode lebt sich's dort!«
Des Römers bleiche Lippen beben:
»Ja doch, du gallisch Thorenherz!
Du träumest, deine Streiter schweben
Aus ihrem Blute himmelwärts!
Nein! wir sind Staub: wenn über'm Grabe
Mir die Cicade singend schwebt,
Krächzt über dir des Winters Rabe:
Doch stirbt dein Nam', und meiner lebt!«
Da streckt der Greise sich, herunter
Schaut er auf seinen stolzen Gast,
Und seine Hände haben munter
Das Ruder, das dort lehnt, gefaßt:
»Was soll ich's länger dir verbergen?
Wir Schiffer schau'n der Seelen Land.
Sie fodern uns, wir sind die Fergen
Und steuern sie zum Heimatstrand.«
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Den Andern überläuft ein Grausen,
Nur zeigt er nicht, was ihn bewegt:
»Sag' an, wo die Gespenster hausen!«
Spricht er, die Hand an's Haupt gelegt.
So blickt er liegend auf zum Fischer,
Der, auf das Ruder vorgebeugt,
Mit jedem kecken Worte frischer
Der Geister seltsam Reich bezeugt:
»Ferndrüben, wo die Sonne sinket,
Dort liegt ein Eiland, hinter Meer,
Mit golden grünen Triften winket
Sein Rand, mit Bäumen früchteschwer.
Der Himmel dort ist blau und lächelnd,
Kein Winter droht, kein Sonnenbrand,
Die Lüfte hauchen immer fächelnd;
Und doch ist's nur der Toten Land.
Nichts ist zu hören, nichts zu schauen,
Bevölkert wird es erst zu Nacht.
Doch, was dann waltet, macht kein Grauen,
Zum Leben ist der Tod erwacht.
Nun höre, wie wir Solches wissen,
Und was im Dienst der Seelen thun:
Oft Nachts im Schlaf an unsre Kissen
Ergeht ein Ruf, läßt uns nicht ruhn.
Vom Lager springen wir und lauschen,
Denn drunten wird es voll und laut,
Und viele tausend Stimmen rauschen
Von Menschen, die kein Auge schaut.
Und Schiffe liegen, hochgethürmte,
Statt unsrer Kähne, längs der Bucht,
Sie sind es, draus das Tosen stürmte,
Tief sinkt in's Wasser ihre Wucht.
Mit Mannschaft sind sie schwer befrachtet
Die ruft voll Ungeduld: »Herbei!«
Wir steigen ein, so tief es nachtet,
Sind ohne Furcht und rudern frei.
[218]
Das Schiff ist voll von Schattengästen,
Wir sehen nichts, wir hören viel;
Doch unsre Fahrt, sie geht zum besten,
Wie Falken fliegen wir zum Ziel.
Sonst fährt sich's vierundzwanzig Stunden:
Nur eine Stund' in solcher Nacht.
Schiff wird um Schiff bald angebunden,
Und jetzt entleeret sich die Fracht.
Auch wir entschwingen uns zum Strande,
Wie haucht und saus't es um uns her!
Und nun erst von dem Insellande
Herbeiwogt's, fast ein zweites Meer
Da ist ein unsichtbares Grüßen,
Da wird ein Freudenruf gehört,
Von Küssen rauscht, von zärtlich süßen,
Die Luft, die sonst kein Athem stört.
Ein sehnlich, wonnevoll Umarmen,
Und doch von Leibern keine Spur,
Ein innig Brust an Brust Erwarmen –
Wir spüren's nicht, wir wissen's nur.
Vernehmlich tönen theure Namen,
Der Gatte ruft dem Gatten zu,
Der Vater Kindern, welche kamen,
Der Freund dem Freunde: bist es du?
Und Handschlag und der Liebe Flüstern,
So heiter, so voll Seligkeit,
Daß, fährt die Nacht gleich fort zu düstern,
Uns heller Tag däucht weit und breit.
Dann mahnt ein Ruf uns, heim zu fahren,
Und schnell sind wir zu Schiff davon,
Und eh' wir Morgenschein gewahren,
Sind wir in unsrem Hafen schon.
Hoch auf der Meeresfläche trieben
Die Schiffe leer und unbeschwert,
Und länger sind sie nie geblieben,
Als diese Geisternacht gewährt.
[219]
Und glaubst du jetzt an's Land der Seelen,
Und hoffst du jetzt Unsterblichkeit?«
Da springt der Römer auf, daß stählen
Durch's Hüttchen klirrt sein Panzerkleid.
»Auf, alter Charon, fort zum Kahne,
Schon morgen ziehn wir drüben ein,
Ich schwang von je die Siegesfahne,
Sei auch der Seelen Insel mein!«
Entsetzen schüttelt Bart und Locken
Dem Fischer bei dem frechen Wort,
Doch dem Gewaltigen erschrocken
Gehorcht er, und sie gehn an Bord;
Sie fahren hin die Nacht, den Morgen,
Den ganzen Tag, den Abend auch,
Im Sternenlicht sind sie geborgen,
Zur Küste treibt sie rascher Hauch.
Doch mit der Brandung letzten Wellen
Schlägt noch der Wind nach Westen um,
Erwacht beginnt der Sturm zu schwellen,
Die Lüfte heulen, bisher stumm.
Der Zorn des Windes wühlt im Laube
Der Uferbäume, nieder weht
Ein schwarzer Wolkenbruch von Staube,
Und wirbelnd sich der Nachen dreht.
Zurückgejagt, zurückgerissen
Vom Geisterstrande fliegt der Held,
In blitzdurchzückten Finsternissen
Furcht er das öde Wasserfeld.
So, wie vom Seelenheer geschlagen,
Steigt er am andern Ufer aus,
Und schnelle Schritte flüchtig tragen
Den Schweigenden in's Fischerhaus.
Trompeten mahnen: mit dem Lager
Bricht auf der Feldherr von dem Strand.
Am Ufer stockt er, blaß und hager,
Den Blick noch einmal meerentsandt:
[220]
»Ich weiß, du bist mir nicht gegeben,
Holdselig Jenseits, Himmelsglück!
Mein Brief ist ausgestellt an's Leben,
In diese Welt kehr' ich zurück!
Verschließt mir immerhin, ihr Obern,
Der Seligen Elysium;
Die Erde will ich mir erobern,
Der Völker Nacken tret ich krumm!
Ein Diadem soll mich umschlingen,
Von aller Meere Perlen voll!
Mein Ruf will so die Welt durchdringen,
Daß euer Himmel dröhnen soll!«
Er spricht's, und fliegt durch's Land der Celten,
Als jagt' ihn noch der Sturm im Kahn,
Hört hinter sich die Donner schelten,
Doch Götterfurcht gilt ihm für Wahn.
»Um Herrschaft ist kein Fluch zu scheuen,
Gefallen ist der Würfel schon!«
Er gibt die Losung seinen Treuen
Und schreitet durch den Rubikon.
Nun stürzt er Consuln und Tribunen,
Zerreißt der Freundschaft heilig Band,
Und Speere wirft er, wie Harpunen,
In seinen Leib dem Vaterland.
Die Krone Roms glaubt er gefunden,
Die ihm den kahlen Scheitel deckt –
Und liegt mit dreiundzwanzig Wunden
Am Boden blutig ausgestreckt.

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 2. Geschichtliche und halbgeschichtliche Sagen. Die Insel der Seelen. Die Insel der Seelen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-083C-9