Der Hohlenstein 1

Hoch droben bei dem Dörflein Hart
Man noch ein Felsenloch gewahrt,
Es ist im tiefen Wald gelegen
Ab von den Feldern und den Wegen,
Es trennt der Stein sich in zwei Falten,
Als hätt' ihn Sturm und Blitz gespalten,
Er scheint für Fuchs und Eul' allein
Ein trüb unheimlich Haus zu sein.
Doch ist es bald dreihundert Jahr,
Da ward zum Fürstenschloß er gar;
Da stand in ihm, das Haupt gebückt,
Den Rücken an die Wand gedrückt,
Die Arme knapp in's Kreuz geschlagen,
Schon seit zwei Nächten und zwei Tagen
Ulrich der Herr vom ganzen Land,
Hatt' nichts, als diese Felsenwand.
Die Bündler hatten ihn vertrieben,
Sind auf den Fersen ihm geblieben:
Und hätt' ihn nicht der Felsenspalt,
Und der verwachsne Buchenwald
In seine dunkle Hut genommen,
Er wär' um's Leben auch gekommen.
So aber zogen mit Geschrei
Und wildem Fluchen sie vorbei.
Und als es nun den müden Fürsten
Begann zu hungern und zu dürsten,
Fing er zu klagen an und beten,
Ob ihn der Herr nicht gnug zertreten;
Hätt' es der schmale Raum erlaubt,
Er wär' gekniet mit bloßem Haupt.
[312]
Da rauscht es in den nahen Zweigen,
Zwei Männer sieht er niedersteigen.
Nicht Feinde sind es, wild erbost,
'S ist guter Unterthanen Trost;
Sie kommen nicht zu fahn, zu lauern,
Es sind vom alten Schlage Bauern,
Von denen Eberhard im Bart
Gerühmt die echte Landesart:
Daß ihrem Schoos allnacht ohn' Grauen
Sein fürstlich Haupt er wollt' vertrauen.
Wie die den Herzog hier erkunden,
Sie wissen nicht, wen sie gefunden,
In's Dörflein führen sie ihn gern
Als einen arm verirrten Herrn.
Sie kosen traulich mancherhande,
Wie's gute Sitt' im Schwabenlande,
Sie klagen von den harten Tagen,
Und wie das Land sei schwer geschlagen,
Der Herzog flüchtig und verbannt, –
Doch der wohl hätt's verdient um's Land!
Mit Steuern und mit wildem Jagen
Thät er es unaufhörlich plagen,
Bis endlich Gott der Herr ihn lehrt',
Daß ihm's nicht also ganz gehört.
Der Herzog, schamrot, sah zur Erden,
Er sprach: »Das soll schon anders werden!«
Sie aber sagen drauf mit Lachen:
»Er wird es doch nicht besser machen,
Und wenn er's in der Not verspricht,
Kommt er nur wieder, hält er's nicht.«
Derweil sind sie in's Dorf gekommen
Und haben ihn in's Haus genommen.
Er drückt und bückt sich durch die Thür,
Doch kommt ihm alles köstlich für;
Wie schmeckt die harte Bank ihm, hei!
Wie mundet ihm der schwarze Brei!
Er nimmt vom alten Schranke dort
Das neue, deutsche Bibelwort,
[313]
Er liest in Andacht die Propheten
Von Fürstenstraf' und Volkesnöten;
Und wie er drauf sich macht davon,
Spricht er: »Gott euch für jetzt belohn',
Daß ihr den Ulrich mochtet speisen,
Und ihm sein Regiment verweisen!«
Er eilt hinaus, sie glauben's kaum,
Und war es ihnen lang ein Traum;
Doch als das Land ward wiederbracht,
Sind sie gar fröhlich aufgewacht;
Mit Kriegsdienst, Steuern, bösen Frohnen
Hieß er das ganze Dorf verschonen,
Doch, ward der Türk' im Reich erblickt,
Da hat es Einen Mann geschickt,
Und gegen die Franzosen neulich,
Da schickt' es mehr als Einen treulich.
Also hat seit dreihundert Jahren
Das Dörflein Hart es wohl erfahren,
Daß es den Herzog auf der Flucht
Gerettet aus der Felsenschlucht.

Fußnoten

1 Bei Nürtingen, im nahen Angesichte der Alb.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Der Hohlenstein. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-06D2-3