[120] 8.

An Cäcilie, als sie einen Johannes gemalt hatte.

Virtus, recludens immeritis mori
Coelum, negata tentat iter via,
Coetusque vulgares et udam
Spernit humum fugiente penna.
Horat.

Du, deren Geist auf Farben und auf Tönen
Sich in das Reich der heil'gen Kunst erhob,
Um die der Strahl des unentweihten Schönen
Die Glorie der ew'gen Sehnsucht wob,
O, schweb' ihn fort den Flug, den du begonnen,
Bis zu dem Ziel, das deinem Streben lohnt,
Wo rein und frei im Glanze schön'rer Sonnen
Das Ideal auf goldnen Wolken thront:
Doch ich, um den im Kreise niedrer Sphären
Sich kalt das Band des öden Lebens schlingt,
Ich kann nur still das Göttliche verehren,
Das dein Gemüth in heil'ger Kraft vollbringt.
O dürft' auch ich in jenem Haine wallen,
Der seinen Flor um die Geweihten webt,
Zu welchem nie des Lebens Wogen schallen,
Wo ew'ger Thau im Blumenkelche bebt,
Wo zauberisch der Dämmrung kühle Hallen
Das linde Wehn der zarten Ruh' umschwebt.
[121]
O dürft' ich dort die kleinste Blüthe pflücken,
Nur in dem Duft der Schatten mich ergehn,
Nur an dem Hauch der Lüfte mich erquicken,
Die friedlich dort die heiße Brust umwehn!
O dort, wo du in zarten Liebesarmen,
Die Bilder hegst, die schmeichlerisch dir nahn,
Wo blühend sie an deiner Brust erwarmen
Und Farb' und Glanz durch deinen Hauch empfahn,
Dort möcht' ich still dich Heilige belauschen
Und, hell verklärt vom Glanze deiner Lust,
Mir für den Kampf der niegestillten Brust
Aus deinem Blick der Ruh' Begeistrung tauschen!
In wessen Herz die Kunst sich niederließ,
Der ist vom Sturm der rauhen Welt geschieden,
Ihm öffnet sich, durchwallt von süßem Frieden,
Im ew'gen Lenz ein stilles Paradies.
An ihm verliert der Staub die Herrscherrechte;
Vom eitlen Streit der Wünsche nicht geplagt
Mischt er sich stolz zum göttlichen Geschlechte,
Das frei gebeut, weil es dem Kampf entsagt.
In seiner Brust hat sich das All entfaltet,
Nicht in dem Schein, der Sinnentrug ihm lieh:
Nein, durch die Kraft der keuschen Phantasie
Zum Ideal der schönen Form gestaltet,
Von der Verklärung geist'gem Strahl umwaltet,
Und im Gewand der reinen Harmonie.
Kühn folgt sein Geist dem Glanz der ew'gen Klarheit,
Und in den Kreis des Schicksals nicht gebannt
Durchwandelt er, ein Bild der höhern Wahrheit,
Mit hellem Blick der ird'schen Träume Land.
Was Thoren oft formlose Dämmrung wähnen,
Das nur allein, das ist das wahre Licht.
[122]
Im kalten Schluß des finstern Grüblers nicht,
Nein, im Gefühl, im Glauben und im Sehnen
Enthüllt sich dir des Ew'gen Angesicht;
Der Geist, er forscht vergebens nach dem Schönen,
Wenn nicht das Herz dir laut im Busen spricht.
Im Traum enthüllt der Himmel sich der Seele:
Doch nimmer hebt der prüfende Verstand
Den trägen Blick in's unbewölkte Land;
Nur, daß der Fuß auf niedrer Bahn nicht fehle,
Wardeunsrer Nacht sein karges Licht gesandt.
O glaub' es mir, einst gab es schön're Stunden!
Wir lebten dort, wo jetzt der Traum nur lebt,
Zu einer Kraft war Geist und Herz verbunden,
In's Bildende das Ordnende verschwebt.
Doch als der Tag der Prüfung sich erneute,
Ward vom Gefühl der kält're Geist getrennt,
Daß schützend er im ew'gen Sturm und Streite
Auf dunklem Pfad die zart're Schwester leite,
Die nur die Ruh' der lichten Höhen kennt.
Doch senken oft aus jenem schönern Raume
Die früheren Gespielen sich herab,
Berühren still im körperlosen Traume
Das trübe Herz mit luft'gem Zauberstab,
Umziehn die Nacht mit hellem Purpursaume,
Und senden mild uns Strahlen in das Grab.
Dann muß die Brust ihr Innerstes ergießen,
Und tröstend ward die Kunst ihr zugesandt,
Mit Farb' und Ton den holden Freund zu grüßen,
Den sie schon einst im schönern Licht gekannt.
Der Ton entquillt, Begeistrung mischt die Farben,
Aetherisch blühn im freundlichen Gedicht
Die Blüthen, die im Hauch der Erde starben,
Das ird'sche Bild umschwebt ein ew'ges Licht! –
[123]
Die Herzen nur der Milden und der Reinen
Umflicht die Kunst mit ihrem schönsten Kranz;
Nie wird das Lamm mit Tigern sich vereinen,
Ein trüber Hauch verhüllt des Spiegels Glanz.
Wie im Kristall der klaren Wiesenquelle
Das zarte Bild der Lilie sich wiegt,
Jetzt sanft bewegt vom Tanz der leisen Welle,
Und ruhig jetzt von stiller Fluth umschmiegt,
So wohne stets im unentweihten Herzen
Die Grazie, des Künstlers schönstes Ziel,
Bald mild gerührt von Freuden und von Schmerzen
Und bald versenkt in friedliches Gefühl.
Ihr Athem lehrt die Schönheit erst empfinden,
Die herrschend sonst nur als Gesetz gebeut;
Sie naht sich ihr mit holder Freundlichkeit,
Den Flammenkranz mit Rosen zu durchwinden,
Vor dessen Glanz des Staubes Blick sich scheut.
Wie um den Fels mit grünendem Gewande
Der Epheu schwebt und Trotz zur Milde schafft,
So fesselt sie mit leisem Zauberbande
Den Uebermuth der ungestümen Kraft.
Den Löwen lehrt sie unter Blumen rasten,
Zum Frühlingshauch schmilzt sie den Herbstorkan,
Versöhnet mild die Kräfte, die sich haßten,
Und läßt dem Traum die Wirklichkeit sich nahn.
Zur Lieb' erhebt sie der Bewundrung Zagen,
Läßt ruhiger, wenn überströmend Glück
Den Geist berauscht, das Herz im Busen schlagen
Und hellt, wenn er in Thränen schwimmt, den Blick.
Du süßer Schmerz, der wie ein duft'ger Schleier,
Der um den Kreis des reinen Mondes schwebt,
Geheimnißvoll der Sehnsucht Traum umwebt,
[124]
Und leis' und mild des Busens reges Feuer
Zu lindern nur, doch nicht zu löschen strebt,
O Wehmuth, sey dem zarten Sinn willkommen!
Aus deiner Thrän' ist wie ein Traumgebild
Das Dämmerlicht der Schwärmerei entglommen,
Worin die Brust ihr Köstlichstes enthüllt.
Wie linder Thau aus abendlichen Lüften
Die Rose netzt, so senkst du dich in's Herz;
Die Rose wird im Thauglanz süßer düften,
Und selig fühlt die Seele sich im Schmerz.
Du leitest uns in's dunkle Reich der Sage;
Still naht das Bild der längst entschwundnen Tage,
Wie Harfenklang, der durch die Dämmrung hallt,
Und leis' entblüht ein inniges Verlangen,
Im frühern Bild das schön're zu umfangen,
Und freundlich siegt des Traumes Allgewalt.
Auf dein Gebot strömt aus den goldnen Saiten
Harmonischer in's weich're Herz der Klang;
Das Beß're, was des Lebens Fluth verschlang,
Das fühlt der Geist der dunklen Nacht entgleiten,
Und weinend schwebt ein Engel im Gesang.
Die Farben lehrst du liebend sich verbinden,
Und Zartheit haucht dein Athem auf's Gebild;
Laut wird das Herz dem Herzen sich verkünden,
Sein schönster Traum, er ist dem Aug' enthüllt;
Und von dem Reiz der Lichtgestalt umwunden
Wird stolz der Geist sich seiner Kraft bewußt,
Und ruft entzückt im Wahn der heil'gen Lust:
Die Götter sind der niedern Welt entschwunden:
Doch aus sich selbst schafft sie die reine Brust!
O Phantasie, du ewig reges Feuer,
Das wandelbar in bunten Flammen wallt,
[125]
Du Wunderquell im Reich der Abenteuer,
Wie mal' ich dich, du gaukelnde Gestalt,
Die wechseln sich um alles Daseyn windet,
Duftreiche Kost in jeder Blume findet,
Aus jeder Blüth' ein luft'ges Schiff sich baut
Und jedem Hauch der Laune sich vertraut?
Jetzt waltest du im leisen Zaubertanze
Durch Wies' und Hain, ein bräutlich zartes Bild;
Mit Rosen ist des Kleides Schooß gefüllt,
Die Locke spielt entflatternd mit dem Kranze,
Der deine Stirn mit mit farb'gem Glanz verhüllt.
Auf Düften scheint dein leichter Fuß zu schweben,
Es singt der Hain, melodisch rinnt der Bach,
Bunt eilen Bien' und Schmetterling dir nach,
Den Blumen zu, die deinen Pfad umweben,
Phantastisch schmückt bei deinem Blick das Leben
Mit buntem Glanz, mit Rosen sich der Tag.
Doch du entfliehst, und hoch zum Himmelsbogen
Stürmst du empor; du winkst der düstern Nacht,
Und langsam kömmt's und schwarz herangezogen,
Die Wolke trotzt in wetterschwangern Wogen
Rings um dich her, ein grauses Kleid der Schlacht.
Von Blitzen flammt roth um das Haupt die Krone,
Gluth ist dein Schwert, der Donner dein Gespann,
Dem Schild entstarrt verderblich die Gorgone,
Und jauchzend heult der Sturmwind dir voran.
O fessle sie, die Luftgestalt, o schlinge
Mit leisem Zwang das zarte Liebesband,
Geweihte Kunst, um ihre kühne Schwinge
Und leite sie mit mütterlicher Hand,
Daß züchtig stets und keusch sie dir erscheine,
Und, fern vom Trotz der raschen Leidenschaft,
[126]
Als zarte Braut dem Schönen sich vereine,
Im Reize kühn und reizend in der Kraft.
Ach, es ist süß das Schöne nur zu sehen,
An Allem, was im Seyn vorüberfliegt,
Den zarten Glanz des Ew'gen zu erspähen,
Der liebend sich um alle Bilder schmiegt.
Ach, es ist süß das Rauhe zu verschönen,
Ein mild'res Licht dem Grellen zu verleihn,
An wahren Reiz das Auge zu gewöhnen,
Im Geiste groß, im Herzen keusch zu seyn.
Ein sanfter Hauch der Zartheit und der Milde
Stiehlt mit der Kunst sich still ins Herz hinein;
Tief fühlt der Geist die Flecken der Gebilde:
Doch schneller wird die Seele zum Verzeihn.
So zeigt uns jetzt mit dämmerndem Gefieder
Das Morgenroth die unbelebte Flur:
Doch freundlich thaut es seine Rosen nieder,
Und Blüthenglanz umhüllt des Winters Spur.
In Schlummer sinkt das ruhelose Streben,
Das Leidenschaft in unsrer Brust genährt;
Nur fromme Ruh' ist der Begeistrung werth,
Und freundlich muß des Geistes Fittig schweben,
Der Wirklichkeit uns zum Gefühl verklärt.
Kein wilder Haß darf uns im Busen walten,
Kein rauher Sturm in seinen Tiefen wehn,
Nicht ird'sche Furcht das Herz gefangen halten,
Kein finstrer Geist den Wink der Liebe schmähn.
Die Kunst erweckt ein ätherreines Feuer,
Ihr höchster Glanz stets bleibt er klar und mild;
Wenn sie auch oft in Träume sich verhüllt,
Ihr kühnster Traum ist stets der Wahrheit Schleier:
[127]
Doch Trug nur sind die luft'gen Ungeheuer,
Womit die Brust Leidenschaft erfüllt.
O sieh es an, das Bild, das du gestaltet,
Dem um die Stirn, im Auge frei und klar
Begeisterung mit mächt'gem Fittig waltet,
Den Jünger, der des Meisters Liebling war.
Den Mund umschwebt ein seliges Verlangen,
Nicht dieser Welt gehört sein trunkner Blick,
Verklärung glänzt im Morgenroth der Wangen,
Und er besiegt das irdische Geschick.
Schon hat sein Geist zum Ew'gen sich erhoben;
Dort wandelt er, wo seine Sehnsucht lebt,
Ach, Alles, was er liebt, es wohnt dort oben,
Und, was er liebt, er hat es jetzt erstrebt.
Doch ist ihm auch das Göttliche beschieden,
Mit stillem Sinn trägt er die heil'ge Lust,
Und freundlich schwebt, gehüllt in zarten Frieden,
Ein sel'ger Geist um die entzückte Brust.
So muß mit Ruh' die Flamme sich verbinden
Und Trunkenheit durch Zartsinn sich erhöhn;
Begeisterung lehrt Ewiges dich finden,
Doch zarte Ruh' lehrt Ew'ges dich verstehn.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Episteln. 8. [Du, deren Geist auf Farben und auf Tönen]. 8. [Du, deren Geist auf Farben und auf Tönen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-05C0-2