[211] Sebastian Bachs Apotheose

Nach einem Gemälde Cäciliens.


Du Macht des Klangs, empor auf Adlerschwingen
Hebt mich dein Flug; entflieh, du öde Nacht!
Zum Licht empor will ich begeistert dringen,
Im Busen ist die Flamme mir erwacht,
Und liebend soll mein Geist das Bild umschlingen,
Wovon der Klang die Kunde mir gebracht.
Kalt strahlt der Sonne Glanz auf ird'scher Welle,
Und droben nur vermählt sich Gluth und Helle.
Wer hat den Kranz der Harmonie gewunden,
Wo Blüthe sich an Blüthe wechselnd reiht?
Was sich geflohn ist friedlich hier verbunden,
Das Gleiche trennt der ernste Schritt der Zeit.
Durch Haß hat Lieb' und Liebe sich gefunden,
Und schöner glänzt die Freude durch das Leid,
Und nur gefühlt vom Geiste der Geweihten
Schwebt leis' ein Gott stillordnend durch die Saiten.
Kühn hat dein Geist den ew'gen Rath durchdrungen,
Enträthselt ist des Lebens dunkles Spiel,
Der Frevel trotzt, die Tugend liegt bezwungen,
Der Mensch verzagt, fest steht das ew'ge Ziel,
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Und stets verwebt geheimnißvoll verschlungen
Sich That und That, Gefühl sich und Gefühl.
Dem Schwachen nur scheint Ruh' und Streit verschieden:
Der große Geist erkennt im Kampf den Frieden.
Was wunderbar im ordnungslosen Reigen
Der bunten Welt dem Geist vorüberzieht,
Und was, verhüllt in ahnungsvolles Schweigen,
Im Feenreich der Phantasie entblüht,
Das Alles mußte deinem Blick sich zeigen
Und Bilder leihn dem schaffenden Gemüth,
Und friedlich ließ entzweiter Mächte Streben
Dein Genius harmonisch sich verweben.
Ach, jede Kraft, die in des Herzens Tiefen,
Vom dunklen Flor der Welt verschleiert, quillt,
Des ew'gen Stamms verborgne Hieroglyphen
Hat dein Gebot dem geist'gen Aug' enthüllt;
Dich führt' ein Gott, und deine Töne riefen
In's Leben auf des schönern Lebens Bild;
Gern folgt das Herz den magischen Gesetzen
Und staunt entzückt bei seinen eignen Schätzen.
Wildflatternd wallt hoch an des Himmels Räumen,
Vom Sturm gescheucht, die Wolke, schwarz und dicht,
Und wandelbar gleich wesenlosen Träumen
Schmiegt sie in's Band der sichern Form sich nicht:
Doch freundlich naht, mit Gold sie zu besäumen,
Der Nächtlichen das heil'ge Sonnenlicht,
Und, was den Blitz im dunklen Schooß verschlossen,
Schwebt jetzt daher, vom heitern Glanz umflossen.
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Doch näher kömmt's mit stillem Trotz gezogen;
Den Kranz des Lichts verschmäht die finstre Nacht;
Der Donner rollt, der Himmel bricht in Wogen,
Laut heult der Sturm das Siegeslied der Nacht:
Doch ruhig wölbt des Friedens heil'ger Bogen
Sich hell und hehr durchs dunkle Feld der Schlacht;
Mag unten auch der Aufruhr tobend stürmen,
Hoch lebt ein Gott, er wird die Seinen schirmen.
So weiß dein Geist lebendig zu entfalten,
Was räthselhaft den Busen wechselnd hebt;
Auf deinen Wink, gleich finstern Luftgestalten,
Vom Machtgebot der Willkühr rasch belebt,
Ziehn sie daher, die nächtlichen Gewalten,
Bei deren Nahn das bange Herz erbebt;
Doch dämmernd kränzt ein leiser Strahl der Milde
Den Uebermuth der trotzigen Gebilde.
Doch wenn auch rings die Wetter feindlich toben,
Wenn, aus dem Schlaf gewaltig aufgerafft,
Am Widerstand die Kräfte sich erproben,
Im wilden Streit empörter Leidenschaft;
Stets wird das Herz im rauhen Sturm erhoben,
Und mächt'ger fühlt im Kampfe sich die Kraft.
Was sterblich ist, mag wanken und verzagen:
Uns schützt der Gott, den wir im Busen tragen.
Der Sturm entflieht, sanft nahn des Westes Schwingen,
Den Wahn beherrscht der kurze Augenblick,
Der Nebel schmilzt, und heitre Strahlen bringen
Den Genius der Ruhe dir zurück;
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Der Epheu wird das düstre Grab umschlingen,
Entschwunden reizt das feindliche Geschick,
Und frischer blüht, wie in des Thaues Kühle,
Der duft'ge Kranz der zarteren Gefühle.
Du holde Ros', im dunkeln Kelch gefangen,
Dir, Liebe, löst sein Wink das ird'sche Kleid;
Im lichten Glanz siehst du verschämt dich prangen,
Geschlichtet ist der Sehnsucht wilder Streit;
Die Wünsche ruhn, die schwellend in dir rangen,
Du wohnst im Licht und schaust die Seligkeit,
Und von dem Hauch des geist'gen Klangs umwoben,
Strebst du, gelabt vom eignen Duft, nach oben.
O Paradies der reinsten Phantasieen,
Du bist enthüllt, geweihtes Feenland!
Hell seh' ich dich und unverwelklich blühen,
Nicht sterblich ist dein luftiges Gewand;
Dein Aether schwimmt in ew'gen Harmonieen,
Die Dämmrung hat dein Himmel nie gekannt;
Kein ferner Strahl schmückt dich mit irrer Helle,
Du bist dir selbst des Lichtes ew'ge Quelle.
Rings säuselt Duft, und tausend Blüthen schmücken
Mit frischem Glanz den heil'gen Schattenhain.
O naht euch nicht die Lächelnden zu pflücken,
Denn gaukelnd flieht der bunte Zauberschein;
Die Blume soll mit Duft nur uns entzücken,
Und ewig soll die sel'ge Sehnsucht seyn,
Durch Zartsinn nur wird das Gefühl gefeiert;
Die Schönheit flieht, wenn sie der Wahn entschleiert.
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Geweihte Kunst, still will ich niederfallen,
Dein göttlich Bild mit frommem Sinn umfahn;
Dein Priester hat der Zukunft goldne Hallen,
Hat mir den Glanz des Himmels aufgethan;
Der Ton verschwebt, die Harmonien entwallen,
Unsterblich weilt des Herzens süßer Wahn,
Und nimmer raubt der rasche Tanz der Stunden,
Was heilig wir mit reinem Sinn empfunden.
Ha, welch ein Strahl erhellt die ird'schen Zonen!
Die Welt versinkt, ein dunkles Traumgesicht:
Hoch im Gewölk seh' ich die Tugend thronen;
Huld ist ihr Blick, ihr Kranz ist ew'ges Licht;
Aetherisch ruhn in ihrem Schooß die Kronen,
Die sie um's Haupt der kühnen Streiter flicht;
Im Zauberklang der wunderbaren Saiten
Hör' ich ihr Wort zu mir herniedergleiten.
Der fromme Sinn, der zu den ew'gen Höhen
Den scheuen Blick zu heben nicht gewagt,
Bewundert still, wie bei der Töne Wehen
Sein eigner Glanz belebend in ihm tagt.
Werth fühlt er sich zum Himmel aufzusehen,
Rein ist der Geist, wo Sünde sonst gezagt.
Das Heil'ge darf er gläubig jetzt umarmen;
Denn droben wohnt ein Vater voll Erbarmen.
O starker Muth, der mir den Geist beflügelt,
Der Glaube ruft, die Kette sinkt dahin,
Zum Thatenruhm ist mir das Thor entriegelt,
Die Ehre winkt, die hohe Königin,
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Und stürmisch eilt und frei und ungezügelt
Das rasche Herz zum köstlichen Gewinn;
Nicht will ich feig den schönen Tag verträumen,
Selbst meine Nacht soll noch mit Gold sich säumen.
Nie soll das Recht dies freie Herz verlassen,
Nie ihren Thron Gewalt in mir erbaun;
Was Haß verdient, das will ich muthig hassen,
Mit festem Blick dem Feind in's Auge schaun,
Das Herrliche will ich voll Lieb' umfassen,
Und wie auf Gott auf Menschenwerth vertraun,
Will kämpfen für das ew'ge Ziel und leiden,
Und ohne Schmerz, doch nicht vergessen, scheiden.
So läßt das Herz von deinem Wink sich leiten,
Aus Kampf wird Ruh und aus dem Dunkel Tag.
Die Seele schwebt auf den gerührten Saiten,
Wohin du rufst folgt sie gefesselt nach,
Doch bandenlos wähnt sie umherzugleiten,
Emporgeschnellt durch eignen Flügelschlag,
Und aus sich selbst die wechselnden Gestalten
Der Phantasie lebendig zu entfalten.
Die Freude siegt! Ein lichter Rosenschleier
Webt gaukelnd sich um's blaue Himmelszelt;
Der Busen hebt im Drang der Lust sich freier,
Im Morgenlicht schwimmt die verjüngte Welt,
In jedem Blick glänzt ein verklärtes Feuer,
Hell ist der Geist und hoch das Herz geschwellt,
Und fortgerafft von stürmischem Entzücken
Will an sein Herz der Mensch den Menschen drücken.
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Doch so wie ernst der Dämmrung Flügel schweben,
Noch kränzt das Blau ein zarter Purpurschein,
Still naht die Ruh, und Halm und Blüthe beben,
Und säuselnd wogt bei ihrem Kuß der Hain;
Fern schwimmt am Fels der Strahlen letztes Leben,
Schon kettet sich der Träume bunter Reihn,
Und drüben hebt im funkelnden Gewande
Die duft'ge Nacht sich aus dem Schattenlande;
So windet sich in deinen Zaubertönen
Geweihter Ernst um der Entzückung Glanz;
Begeisternd naht die Hoheit sich dem Schönen,
Die Würde lenkt der Anmuth leisen Tanz;
Den zarten Arm schlingt um die Lust das Sehnen,
Der Wehmuth Thau glänzt in der Freude Kranz;
Still wird das Herz, und in der heil'gen Ferne
Schwebt vor dem Geist der Glanz der ew'gen Sterne.
Gewaltiger! bei dir fühlt der Gedanke,
Und sinnend denkt dein innerstes Gefühl;
Was Schwache spornt, das wählst du dir zur Schranke:
Wo Feige fliehn, da winkt dein hohes Ziel;
Wie auch der Sinn der flücht'gen Menge wanke,
Du lohnst dir selbst mit dem, was dir gefiel,
Und nicht verletzt von ungeweihtem Spotte
Nahst du auf kühner Bahn dich deinem Gotte.
Hört ihr im Dom das Festgeläut erschallen
Zum Himmel steigt der Andacht frommes Chor,
Erschütternd tönt die Orgel durch die Hallen,
Und gläubig schaut des Meister Blick empor,
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Und Alles ist rings auf die Knie gefallen,
Und offen steht des Himmels goldnes Thor;
Entsündigt schwingt vom heil'gen Klang der Saiten
Sich Alles auf zu ew'gen Seligkeiten.
Doch seinem Blick entstrahlt allmächt'ges Leben,
Bewundernd fühlt sein Geist die eigne Macht;
Gewaltiger rauscht der Begeistrung Schweben,
Verklärter glänzt die Flamme durch die Nacht,
Und rastlos ringt er fort mit kühnem Streben,
Bis siegend er das Göttliche vollbracht,
Und höher stets beginnt die Fluth zu schlagen,
Im Sturm der Lust will fast sein Herz verzagen.
Heil ihm, schon liegt das Irdische bezwungen;
Hell strahlt die Kunst des trüben Flors beraubt;
Wonach er rang, das hat er jetzt errungen,
Weil er an Gott, weil er an sich geglaubt;
Das Ideal hält bräutlich ihn umschlungen,
Der Glaube flicht den Lorbeer ihm um's Haupt;
Kühn strebt sein Geist das Dunkel zu verlassen;
Wer Gott geschaut, den kann die Welt nicht fassen.
Und sieh, da winkt, von goldnem Duft umwoben,
Cäcilia mit leisem Harfenton;
Was er geliebt das leitet ihn nach oben,
Wofür er kämpfte beut ihm jetzt den Lohn;
Schon ist sein Geist verklärt emporgehoben,
Schon kniet er hin vor des Allmächt'gen Thron;
Ein Strahl entsinkt sich um sein Haupt zu weben,
Ein Engel kniet, und alle Himmel beben!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Vermischte Gedichte. Sebastian Bachs Apotheose. Sebastian Bachs Apotheose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-04B2-A