[63] Misburg

Den 20-21sten May 1814.

1.
Du stilles Dach, von Rebenlaub umstrickt,
Du Wiesengrün, bekränzt mit schlanken Bäumen,
Du Hain, so reich an Liedern und an Träumen,
Wie fühl' ich mich von eurem Bild erquickt!
Wie aus dem Meer das blüh'nde Eiland blickt,
Um dessen Strand die wüsten Wogen schäumen,
So hebt ihr euch empor aus öden Räumen,
Mit jedem Reiz des Frühlings ausgeschmückt.
Was Holdes je der Zufall dort geboren,
Die Nachtigall, die bunten Schmetterlinge,
Der laue West, das duftende Gesträuch,
Das Alles hat sich euern Schutz erkohren,
Und liebend deckt mit mütterlicher Schwinge
Die Anmuth jetzt ihr neugeschaffnes Reich.
[64] 2.
Von alten Sängern hat man uns gesungen,
Die Steine selbst mit holdem Klang entzückt,
Und Wald und Höhn, dem festen Grund entrückt,
Mit süßer Macht in ihren Kreis gezwungen.
So ist auch euch ein Wunder hier gelungen;
Die Wüste steht mit Blumen jetzt geschmückt,
Und wo sich Dorn und Distel sonst verstrickt,
Ist eurer Hand ein Paradies entsprungen.
Und Keiner naht dem seligen Gebiet,
Den plötzlich nicht das Zauberband umwindet
Und hin zu euch in freud'ge Kreise zieht,
Bis aller Gram aus seiner Brust entschwindet,
Und süßgetäuscht das staunende Gemüth,
Was er verlor, verschönert wiederfindet.
3.
Wie flimmerst du durch diese Blätterhallen,
O Abendstern, so friedlich und so rein!
Wie freundlich weckt dein grün umkränzter Schein
Zum leisen Lied die holden Nachtigallen!
So durft' ich einst in deinem Schimmer wallen,
Holdsel'ge Lieb', im grünen Hoffnungshain,
So ließ auch ich von deiner süßen Pein,
Von deiner Lust manch zartes Lied erschallen.
Jetzt ist dein Stern mit Wolken ganz umhüllt,
Erblichen sind die glänzenden Gestalten,
Verwelkt das Laub in deinen duft'gen Hainen;
Doch tröstend läßt der sel'gen Tage Bild
Die Freundschaft hier mit anmuthvollem Walten
Noch einmal mir im frühsten Glanz erscheinen.
[65] 4.
Hier, wo so dicht zum stillen Blätterdach
Die Lindenzweig' am Fenster sich verweben,
Hier fällt ein Strahl auf mein verblühtes Leben
Und ruft mein Herz aus düstern Träumen wach.
Wohl wird hier noch im freundlichen Gemach,
Wo ihrer Hand Gebilde mich umgeben,
Der zarte Geist der holden Freundin schweben
Und mich umwehn mit leisem Flügelschlag.
Kann so der Freundin Spur mich hier beglücken,
So find' ich auch zu jenen fernen Höhen,
Zu Jener, die ich liebe, leicht die Bahn.
Wo sich vom Lenz die Fluren bräutlich schmücken,
Wo Sterne ziehn und Sonnen auferstehen,
Wo Liebe weht, da muß auch sie mir nahn.
5.
Wie singt es hier von süßen Nachtigallen!
Wie rauscht der Hain, der still das Dach umzieht!
Wie lieblich scheint, durch dieses Lustgebiet
Lebend'ge Freud' und sel'ge Ruh zu wallen!
Und drinnen hör' ich hell die Saiten schallen,
Von Geist und Lippe weht manch holdes Lied,
Von Blumen sind die grünen Wänd' umblüht,
Und zierlich schmückt manch zartes Bild die Hallen.
Und, halb verhüllt vom Schmuck des Friedens, glänzt
Manch kühn Geräth zur Jagdlust und zum Kriege,
Und Feindesraub, mit tapf'rer Hand errungen.
O edles Haus, wie bist du reich bekränzt!
Wie friedlich hat für Liebe, Kunst und Siege
Sich Palme, Myrt' und Lorbeer hier verschlungen!
[66] 6.
O nehmt mich auf in euren sel'gen Frieden!
O laßt bey euch nach mancher bittern Pein
Mein wundes Herz vergessen und verzeihn,
Was ihm das Loos genommen und beschieden!
Ach, ihr nur seyd mir freundlich noch hienieden!
Als mir das Glück den letzten Sonnenschein
Der Lust geraubt, da habt nur ihr allein
Den finstern Gast, den Kranken nicht gemieden!
Wie stehn doch Freud' und Schmerz sich sonst so fern!
Der heitre Sinn liebt lächelnde Gestalten
Und wählt zum Schmuck die reichsten Blüthen gern;
Nur ihr habt auch die welken lieb behalten;
Wohl wird durch euch ihr längsterloschner Stern
Von neuem sich zum freud'gen Glanz entfalten.
7.
Um die ich viel gefleht, gewagt, gestritten,
Die Liebe hat mich streng und kalt verbannt,
Und nie gefühlt, was ich für sie gelitten,
Was ich für sie vollendet, nie erkannt.
Doch die ich nie verdient durch That noch Bitten,
Zu der mein Herz sich nie getrieben fand,
Die Freundschaft kommt von selbst herangeschritten
Und beut mir hold die oft verschmähte Hand.
So meiden wir, vom falschen Wahn verblendet,
Das Glück, das treu auf unsern Spuren zieht,
Und folgen dem, das stolz sich von uns wendet;
Und fliehend stets und suchend, was entflieht,
Hat oft der Geist die kurze Bahn vollendet,
Noch eh' er fand, was ihm so nah geblüht.
[67] 8.
Noch fühl' ich lau des Lenzes Athem wehen,
Noch wölbt sich hier der Himmel blau und mild,
Noch seh' ich rings, von blüh'ndem Schmuck umhüllt,
Gebüsch und Hain in sel'ger Schönheit stehen.
So will ich jetzt auf immer von dir gehen,
Du friedlich Haus, du liebliches Gefild!
So will ich stets dein anmuthvolles Bild
In ferner Zeit vor meinem Geiste sehen!
Du, wo ich Ruh' und wo ich Freude fand,
Nicht läßt du arm den irren Pilger ziehen
Aus deinem Schooß in's lieblos fremde Land.
Du schmückst ihm hold mit süßen Fantasieen
Den öden Pfad, bis an des Grabes Rand
Die Dornen einst, worauf er ging, entblühen.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Poetisches Tagebuch. Misburg. Misburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-047B-8