Der sterbende Indianer an seinen Sohn

Ich sterbe, Sohn! Nimm diesen Kranz;
Von Christenhaaren flocht' ich ihn;
Statt Diamanten spielen drin
Erschlagner Christen Zähne. Sohn,
Ich sterbe arm; der Christen Geiz
Ließ mir dieß Stroh, worauf ich sterbe,
Und dort den Bogen – Ha, den Pfeil,
Der fliegt und singt und trifft und tödtet!
O Sohn, sieh deinen Vater an
Und schwöre, mir ihm gleich zu sein!
Sei kalt und keck und frei und gut,
Und hasse den, der seinen Gott
Entehrt! Dort unter jenem Baum
Ist ein Altar, dort bete an!
Des Cocusbaumes Wipfel säuselt
Dein Flehn zum Vater der Natur
Dem Himmel vor! Ich sterbe gern;
Nun wirft kein Sturm den Fischerkahn
Auf hohen Wogen hin und her.
Ein ew'ger Frühling blühet dort.
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Mein Weib, ach, deine Mutter reicht
Auf goldner Schal' mir Ananas.
Aus Christenschädeln trink' ich dort
Der Götter Wein! O Sachuset,
Der große Kapak winkt mir schon!
Leg' deine Hand auf meine Brust,
Und schwöre mir! Begrabe mich,
Wo deine Mutter liegt! Leb' wohl!

Notizen
Entstanden 1774. Erstdruck in: Deutsche Chronik, Augsburg (Stage) 1774.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Der sterbende Indianer an seinen Sohn. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-037C-0