Deutsche Freiheit

Da lüpfe mir, heilige Freiheit,
Die klirrende Fessel am Arme,
Daß ich stürm' in die Saite,
Und singe dein Lob.
Aber, wo find' ich dich, heilige Freiheit,
O du, des Himmels Erstgeborne? –
Könnte Geschrei dich wecken, so schrie ich,
Daß die Sterne wankten.
[215]
Daß die Erd' unter mir dröhnte,
Daß gespaltene Felsen
Vor dein Heiligthum rollten
Und seine Pforte sprengten.
Konnten Thränen dich rühren;
Ach, du kämst zum Fesselbeladenen,
Dem schon neun schreckliche Jahre
Zährenfeu'r die Wange sengt.
Aber hier bist du nicht, wo Gallioten,
Wie Vieh an Karren gespannt,
Mit Ketten vorüberrasseln; –
Hier, Göttin, bist du nicht,
Wo die starre Verzweiflung
Am Eisengitter schwindelt;
Wo des Langgefangnen Flüche
Fürchterlich im Felsenbauche hallen.
Aber, wo bist du?
Gottes Vertraute, wo bist du?
Ach, daß du mir lüpftest die Fessel;
So säng' ich, Göttin, dein Lob.
Doch weinend, wie der Siechling singt,
Von der Gesundheit goldnen Gabe,
Wie der einsame Mann von der fernen Geliebten
So sing' ich, Göttin, dein Lob.
Hast du verlassen Germania's Hain,
Wo du unter dem Schilde des Monds
Auf Knochen erschlagener Römer
Deinen Thron erthürmtest?
Wo du mit deinem aufgesäugten Sohne
Hermann Winfelds Schlacht schlugst,
Und die Aeser der Freiheitshasser
Den Wölfen vorwarfst zum Fraße?
[216]
Laut auf muß ich weinen,
Denn ach, du weiltest in Deutschlands Hainen
Der seligen Jahre
Nur wenige.
Dich scheuchte ein scheußliches Ungeheu'r,
Schreckbarer, als des Nilus Thier,
Wenn es mit gestorbnen Fischen
Und faulenden Krebsen in den Schuppen
Ans Ufer springt und die Lüfte verpestet.
Ja so ein Ungeheuer
Entwand sich dem Nebelschlunde der Hölle,
Und entweihte Germania's Hain.
Zwei Drachenhäupter hatte das Unthier;
Eine Krone von Gold, und eine Mütze von Sammet
Schmückten die Köpfe
Der Gräu'lgestalt.
In Lachen von Blut und versprütztem Marke
Wälzte das Unthier sich,
Wie Mizraims Scheusal
Im Schlamme Nilus sich wälzt.
In dichtere Eichenschatten
Entflohen die Söhne Teuts,
Und ihre brüllende Klage
Scheuchte das Wild.
An den Eichenast hing die Telyn der Barde,
Lehnte sich an den Moosstamm und starb.
Da hauchte sein Geist in die Telyn,
Und sie schütterte Sterbgewinsel.
In finstern Pagoden thronte die Dummheit,
Der Gewaltthat erste Vertraute,
Lehrte Unsinn vor der gaffenden Menge,
Und an der Fessel dorrte des Weisen Arm.
[217]
Heilige Freiheit, verzeih es dem kühneren Frager:
Ist sie bald verströmt, die schreckliche Wolkennacht?
Vollendet Joseph im Harnisch,
Was Luther begann in der Kutte?
Ha, vielleicht ist sie da, göttliche Freiheit,
Die heilige Stunde deiner neuen Erscheinung!
Schon donnert in Thuiskons Hainen
Dein Feldgeschrei: Der Deutschen Bund!

Notes
Entstanden 1786. Erstdruck nicht ermittelt.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Deutsche Freiheit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-02CC-2