[135] 2. Auf Hahns Tod

(2. Mai 1790.)


Da senken sie den Mann ins Grab,
Der uns mit treuem Hirtenstab
Ganz nach dem Geist der Gottesschrift
Geweidet auf gesunder Trift.
Wir aber stehen bang und schwer
Um dieses Hirten Leiche her;
Denn, ach, wir irren nun verwaist
Und missen unsers Führers Geist.
Vor seiner Seele stand das Bild
Des treuen Hirten groß und mild,
Der seiner Herrlichkeit gewiß
Sein Leben für die Schafe ließ.
Auch unser Hahn hat Tag und Nacht
Für seiner Heerde Heil gewacht,
Und selbst sein Leben nie gescheut
Für seiner Schafe Seligkeit.
Er sprach mit väterlichem Sinn:
Kommt, Kindlein, kommt zu Jesu hin;
Er ist der Weg, sonst keiner mehr,
Die Wahrheit und das Leben Er.
Dem Sünder ging er sorglich nach.
Wie liebevoll er mit ihm sprach!
Er zeigt' ihm Leben und Gericht
Und macht' ihm fest des Christen Pflicht.
Und riß er dann mit hohem Muth
Die Sünder aus der Höllenglut,
So freute sich der Menschenfreund,
Daß er vor Freude oft geweint.
Sein Herz war ganz von Lieb' erfüllt,
Von Liebe, die aus Christus quillt,
Voll Einfalt, an Erbarmen reich,
Dem Herzen des Johannes gleich.
[136]
Wer war demüthiger, als er?
Sein großer Geist blickt' weit umher,
Sah hoch und tief, sah lang und breit,
Und blieb doch voll Bescheidenheit.
Den Trauernden hat er erquickt,
Den Sterbenden der Welt entrückt;
Denn unsers Hirten Rechte wies
Den Sterbenden ins Paradies.
Schon Mancher steht vor Gottes Thron
Und fleht für ihn um großen Lohn,
Weil er, ach, schon dem Abgrund nah
Durch Hahn des Himmels Pforte sah.
Du starbst so sanft, wie du gelebt,
Vom Todesangriff unerbebt
Sprachst du mit sanfter Stimme Ton:
Mein neues Leben fühl' ich schon.
So nimm den Dank, verklärter Hahn,
Von deinen Echterdingern an.
Dem späten Enkel sagen wir
Noch viel, du theurer Mann, von dir.
Wir weinen alle tief bewegt,
Daß eine Zähr' die andre schlägt.
Tief fühlen wir in unsrer Brust
Den unaussprechlichen Verlust.
Du leuchtest nun im Himmelreich,
Den schönsten Sternen Gottes gleich;
Wir aber wallen noch hinan
Auf dieses Lebens Dornenbahn.
Es sei dein Geist uns immer nah,
Er stärk' uns hier, er stärk' uns da,
Daß unser Geist, von dir beseelt,
Die Himmelsstraße nicht verfehlt.
[137]
Dich aber, Gott, preist unsre Pflicht
Für unsers Lehrers Unterricht.
O gib uns solche Lehrer mehr
Voll Salbung und so treu wie er!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Politisches und Zeitgeschichtliches. Schwäbisches. Zwei Gedichte Schubarts auf Ph. Matth. Hahn. 2. Auf Hahns Tod. 2. Auf Hahns Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-01FB-F