Justus Georg Schottel
Teutsche Vers- oder Reimkunst

[Motto]

Non omnia apud priores meliora, sed nostra quoque ætas multa laudis & artium imitanda tulit posteris.

Zueignungsschrift

ZueignungsSchrift an die
Durchleuchtige und Hochgeborne Fůrstinn
und Frau / Frau Sophien Elisabeth /
Vermählte Hertzogin zu Braunschweig und Lüneburg / etc. Geborne von Meckelburg / Fürstinn zu Wenden / Gräffin zu Schwerin / Der Landen Stargard und Rostock Frauen:

Ihr Edle Princessin / deß Himmels Hertz und Wonne
Der Menschen Lust und Zier / der Tugend schöne Sonne /
Nemt gnadenwillig an / mit hochbegabter Hand
Von Teutscher Musen Zunfft ein schuldig-treues Pfand.
Es wil durchaus nicht mehr nur auff Parnassi Spitzen
Das sůsse Musen Volk in schöner Reihe sitzen:
Wie lokken sie zu uns durch Teutscher Sprache macht /
Vnd schmůcken sie durch Glůck mit höher Wörter Pracht.
Es fodert das Geschick auch unser neu beginnen /
Wir baun ein Ehrenschloß hier bey den Welfenzinnen /
Dort wo die Pegnitz kreucht / wo unser Asch gehaußt /
Und wo der Bober fleußt / und wo die Elbe saußt.
Reumt euren Helicon jhr schönen Castelinnen /
Besucht des Mannen-Land / und unsre Semaninnen:
Apollo richte recht / ob hie sey oder dort /
Ein besser Tugendplatz und schöner Ehrenort.
Verweilt Calliope? geneigt den frömden Landen
Eilt nur selb-Achte her / Eur Haubt ist schon verhanden
Die höchste Pieris / und schönste Charitiñ
Und Phebi liebstes Hertz ist diese Princessiñ.
Als erst der grosse GOtt / durch Glantz der Sonnenstrahlen /
Der Erden Angesicht lies künstlich übermahlen /
Da lachte die Natur / da sahe man mit lust
Den unterscheid / so war im tunkeln unbewust.
Noch jetzund / wan die Nacht mit den schwartzbraunen Decken
Das Erdreich überspreit / kan man ein Licht anstecken
Und jagen weg die Nacht / und sehen hell und klar
Was wegen Dunckelheit war schwartz und unsichtbar:
So geht es gleichfals auch in allen andren Sachen /
Die Sprachen und die Künst' hell / deutlich / klar zumachen /
Durch Strahlen der Vernunft / durch des Verstandes Licht /
Zugeben jedem Ding ein deutlich Angesicht.
Drüm / wem durch Himmelsgunst sein Geist also erleuchtet /
Und die Vernunft mit Saft Fruchtbringend ist befeuchtet /
Der thut wol / wan zu nutz Er solches Licht ansteckt /
Und unterm Scheffel es nicht setzet noch verdeckt:
Der Suchender / dem Gott ein Tugendlicht gegeben
Die Teutsche Sprache recht Kunstprächtig auszuheben /
Und richten in den Stand der vollenkommenheit /
Da Sie mit Glantze ruht / vom duncklen wol befreyt.
Drüm der Befreiendinn das Buch er wol zueiget /
Sein Wucherreich talent zu nutz' und dienste zeiget.
Geliebter Suchender / fahrt glücklich fort und schreibt
Wer Redlich / Teutsch / Gelahrt / Eur Freund und Gönner bleibt.

auch der Unverdrossene.

Ich bin ein Rauchgefäß voll guter Specereyen /
Gewidmet vor der Zeit zu Gottes Lob und Ehr. 1
Hinfürters angefüllt mit vieler Sprachenlehr /
Und mächtig jede Kunst bey uns recht einzuweihen.
Es hat in neuligkeit BEZALEEL 2 sich funden /
Der mich in Teutscher Sprach das erstemahl geschmückt
Und weil nach seinem Tod' ich blieb noch gar zerstückt /
Folgt AHALIAB 3 jhm mit gleichem Geist verbunden.
Sein meisterliche Hand hat mein Gefäß vollendet
Und mich durch Ringewerck verfast mit solchem Fug /
Daß nun darauff entbrent der süsseste Geruch /
Der durch das Wolckenzelt zur Engel-Chor auflendet.
Ein brünstig Angstgebett / ein Siegeslied voll Freuden /
Ein muntres Trostgesang / ein Lob und Danckgedicht /
Und was die Lieb zu Gott hier in die Höhe richt /
Erscheint durch den Geruch beflammt auf allen Seiten.
Mit gleicher Liebe wird der Himmel sich verbinden
Zu dem der auß der Erd so sucht was droben ist:
Ein unersterbend Lob Er jhm dadurch erkiest:
Hier ist und bleibet wahr; Wer suchet der wird finden.

Dem Suchenden zu Ehren
erfunden
Von
Dem Spielenden.

Fußnoten

1 Argumentum poeticæ est divinæ & humanæ sapientiæ apex, in quo Orpheus, Linus & Musæus, tottadenique illa prima Sapientiæ familia, aut invenit eam, aut constituit. Heinsius.

2 M. Opitz.

3 J.G. Schottelin.

Geehrter Suchender

Geehrter Suchender.

Den Entwurff der Teutschen Poesis / welchen er so wol anderen / als auch mir zu betrachten ůberschicket hat / achte ich von hoch-nützlicher Wichtigkeit: Und man ich Kraft unserer Gesellschaft bündlichen Vertrauens / und zwischen uns absonderlich geschlossenen Freundschaft / meine meinung davon frey heraus sagen sol / so bedünckt mich der Suchende habe im Teutschen numehr erfunden / wornach man vieleicht in anderen Sprachen vergeblich arbeiten wird. Ich wil erstlich sagen / Die gründliche und ungezweiffelte Maasforschung der Silben / durch welche unsere Ohren erst recht Poetisch / und solche / bishero unrichtige Richtere der Verse / Kunstverständig unterrichtet werden.

Die Frantzösischen / Italiäischen und Spanischen Poeten haben hierin noch zur zeit keine gewißheit /wie man auch aus jhren vornemsten Schriftten zubeobachten hat. Ronsart führet seinen verliebten Riesen(le Cyclope amoureux) also redend ein:


[Rand: Tom. 4. / fol. 100.]

∪ – – ∪ ∪ – ∪ –

Contre (für: contre) le mal d' amour

∪ – ∪ – ∪ – ∪

que tout les maux excede

∪ – ∪ – – ∪ – ∪ ∪ – ∪

L' artifice (für: L' artifice) n' invente

∪ – ∪ – ∪ – ∪

un plus present remede etc.


Derogleichen ist fast in allen der berühmten Frantzosen Gedichten zu finden. So schreibet auch Saint Amant an Damon: f. 129.


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Damon, ie languissois (für: languissois)

∪ – ∪ –

dans en sombre

– ∪ ∪ – ∪

(für: sombre) silence etc.


Malherbe und Colletet achten solche wieder jhre Aussprache lauffende misstimmung nicht als gefehlet und sagt hiervon Belleforest, Tom. VI. f. 77. on voit un nombre infiny' en France, lesquels sans avoir iamais gousté le mesure de vers, poetisant en leur langue, guidé du naturel. etc.

Die Italiäner sind hierinnen nicht achtsamer. Petracha setzet in dem 29. Senetto, f. 32.


∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪ – – ∪ – ∪ –

S' io credesse per (credesse per) morte essere

∪ – – ∪ ∪ – –

scarco (essere scarco)


Dante in seinem dritten Gesange von der Hölle f. 10.

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪

Per me si va nel eterno dolore (eterno) etc.


Die Spanier beobachten den Lang- und Kurtzlaut jhrer Wörter zwar genauer / vermissen aber doch mannichmahl die rechte Reimmaas / als Lope de Vega Carpio führet Anfriso f. 448. solcher gestalt singend ein:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – – ∪

Altos desseos de cantar etc. (für: altos)


Perez de Montalvan in seinem Buche / welches erLos Prodigios de amour nennet / setzet also f. 75.
No os lastime & amor que he de teneros

∪ – ∪ – ∪ – ∪

Porque despues etc. | für: Porque |


Derogleichen ist bey Monte Major, Boscan, Polo, Garcilasso de la Vega, und fast in allen Spanischen Poeten zufinden.

Ich wil nicht sagen / daß so berühmte Leute gefehlet haben / sonderen vielmehr glauben / Sie haben nur die anzahl der Silben (wie auch bey uns Teutschen die alten Meister-Sänger) und nicht die rechte Wortzeit oder den langen und kurtzen Thon in acht genommen: Daß aber solches gar nicht gnug / noch der Kunst / eigenschafft und gründen der wahren Poesis gemäß /bedarf gar keines andeutens. Der Suchender hat sein Gesuch alhie wol und mit Glück in Teutscher Sprache gethan / und die richtige Anweisung der Wortzeit /das ist / die Kunstmessige Erkennung und Abmessung aller Silben (derer viel 100000. seyn können) durch gewisse Kunstregulen in dem ersten Buche dieser Verskunst uns vorgestellet.

In dem anderen Buche hat ein Teutscher fast mit Verwunderung wahrzunehmen / daß nicht allein ůber viertzig / gantz reine unterschiedene Reimarten in unserer Muttersprache zu finden / sonderen auch durch richtige Anführung deroselben künnen wir nach aller Lust / so wol die Reimarten als die Reimmaassen wechselen / mengen / verschwesteren und verbrüderen / und also / so wol an menge als Lieblichkeit allerhand Reimarten / nicht sage ich keiner anderen Sprache etwas zuvorgeben / sonderen behalten hierin offenbarlich / und durch Ausspruch der Sonnenklaren Warheit den Vortritt und die Oberstelle: Wie dann auch hierzu nicht wenig hilft das jenige / was der Suchender in dem dritten Buche von der vielfältigen /und bißhero unbewusten lustigen lieblichen Enderungen der Versen nach derer Reimschlüssen / Reimungen und Sätzen / hervorgebracht hat. Wohin nur ein Sinnreicher Geist seine Gedancken und Einfälle lenket / begegnet jhm alhie mit gnüglichkeit unsere Teutsche Sprache / beut das Geschmükke / und Gezierde da / aufs mannigfaltigste unsere Erfindungen einzukleiden. Ein Sprachverständiger urtheile recht / wie weit die anderen Sprachen hierin unserer hochgelobten Mutter-Sprache gleichen werden. Ich setze zum Exempel / daß die Frantzosen zwar einen Versuch gethan haben / unseren lieblich-fliessenden Dactilischen arten nachzuahmen / aber unglüklich / wie zu sehen aus jhrem gemeinen Liedlein


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪

Bergere voyezcy la saison. etc.


– ∪ – ∪

Da sie doch sonsten sagen Bergere la saison.

Erheller demnach aus dieser des Suchenden neuergründeter Anführung / daß unsere Poesis viel weiter gerahten und zu gewisserem Stande gekommen / als vorerwehnter Sprachen befliessene / noch zur zeit in dem jhrigen es möcht haben: Ungeachtet jhnen von hochverstendigen Königen / Cardinälen Fürsten und Herren jederzeit die hülfliche Gnadenhand geboten worden; Welchen nemlich nicht unwissend / daß sie sterben müssen wie andere Menschen / Gott aber jhnen vor anderen Menschen die Mittel gegeben sich durch Gutthätigkeit gegen die Poeten unsterblich zumachen.

Denen mancherley Abwechselungen / Bindungen /von- und zusammen-setzungen der Reimarten ist nicht ein geringes Meisterstük zuzueignen: eine sondere Bewegung in unser Gemühte zu spielen / wie davonAristoteles und Iules de la Mesnardiere f. 415. ein mehrers beweislich anführen / und also vom Euripide, Sophocle, Seneca, Francesco de Rojas, Manzini, vorbesagtem Mesnediere und anderen verstendig gebrauchet worden.

Der liebliche Versthon belüstiget unsere Ohren; die Bescheidenheit der Sache (von Aristotele Poet. cap. 25 Eukrinea genant) den Verstand: Daher Scaliger von seinem Poeten erfodert / benebenst der Klugheit unerwarteter einfälle / die nachdrükliche / eingrifige und Sinnbeherschende Sůßigkeit der Wörter: In dem nemlich tapfere Gedanken aus der Sache selbst geschöpfet / und nicht bey den Haaren / wie wir zureden pflegẽ / herbey gezogen / die Redart rein und scheinlich / ohne unzeitige Härtligkeit selbst fliessend in das Gedicht geleitet werden sollen.

Dieser Fehler ist sonderlich zu bemerken wan die Vernennung (Metaphora) nicht fortgesetzet wird /wie beim Horatio:


Et malètor natos incudi reddere versûs.
Wan auf der Trexelbank der Vers ist gantz zergliedet
Hört man den Amboschall daß man jhn wieder schmiedet
Und Petrarcha spricht vom Virgilio und Cicerone:
Questì sono gli occhi della lingua nostra.

Die Augen unserer Zungen / bedünket mich sei wider den natürlichen verstand geredt / denn die Augẽ so wenig auf der Zungen / als auf den Versen nützen. So ist auch fast lächerlich / wan man eine betrübte und bestürtzte Person Kunstzierlich redend einfuhret /da doch die wahl der Wort bey solcher Person so wenig seyn kan / als der Gegenschein eines Bildniß /in einem trüben Wasser. Dieses aber und derogleichen Gehörte zu der Dichtkunst / davon zu ende des dritten Buches der Suchende alhier etwas vermeld; die Hofnung aber uns dennoch übrig bleibet / Teutschliebende gelahrte Gemühter werden auch hierin den Griechen / Lateinern / Spaniern und Franzosen / den Vortheil und Ruhm nicht lassen; sonderen / weil die Form der Verskunst / als der Grund dieses Gebeues /numehr wol angewiesen / mit rechter Meisterhand und Kunstgründiger Wolständlichkeit das volle Kunstgeben zu fernerem ende setzen. Uns hiemit beiderseits Göttlicher Obhut befehlend / verbleibt.


Nürenberg den 20. des Weinmonats / im Jahre 1644.

Des Suchenden

treuverbundener Freund Der Spielende.

Ad Clarissimum Virum Dn

Ad Clarissimum Virum Dn.
JUSTUM GEORGIUM SCHOTTELIUM, Fautorem & amicum integrum, aliquando in illustri JULIA Competitorem, & sexcennalem Convictorem aulicum.
Scottelius anagr. Cos & litus.

Germano Patriæ pandis mysteria linguæ,
Ore loqui discit, Te duce, Teutonico,
Iam numeros monstras, (majus!) conaminis æquas
Hellada, portento, vel decus Ausonium.
Hinc nova venturis surget Tibi gloria seclis;
Nostrum acues, illis, sed Tua litus erunt.

felicifl. ominis ergò & testanda

observantiæ f.

Abraham Marconnet.


Seht diesen / der das Meer Durchsuchend unverdrossen /
Der allerschönsten Perl nun endlich hat genossen;
Kunst gründig suchet' er / verlies das sichre Land /
Und trat hin in die See / bis er die Muschel fand.
Dem Perlen Fischer war das Wasser nicht zuwider /
Ob jhm vom Kälte gleich erstarreten die Glieder:
Itz ko t Er aus der See / trägt seiner Arbeit Lohn /
Die wunderschöne Perl zusamt der Ehrenkron.
Was nütz- und lieblich ist hat dieser hie ergriffen /
Dieweil der Himmel selbst jhm den Verstand geschliffen /
So daß Er numehr hat die Muschel aufgebracht /
Die unser Vaterland so hoch berühmet macht.
Die werthe Teutsche Sprach (O könt ichs jhm verdanken!)
Hat Er zu allererst in wol gebaute Schranken
Der Lehr und Kunst gesetzt; so / daß ein Teutscher Mann
Durch jhn / die Muttersprach grundrichtig schauet an.
Nun trit Er her aufs neu / als der aus diesen dingen
Noch einen schönen Schatz bedacht war herzubringen:
Die Muschel thut Er auf und zeiget uns den Glantz
Der außerlesnen Perl / die Kugelrund und gantz /
Ja vollenkommen ist. Das Hertz muß einem lachen
Wenn man nun sehen mag die lengst-erwünschte Sachen
Der edlen Poesie / der grossen Himmelskunst /
Die gleich den Perlen gibt Krafft / Ehre / Schönheit / Gunst /
Sie lies zwar vor der Zeit jhr Antlitz etwas blikken
Durch des Gekrönten 1 fleis / doch wolt' es sich nicht schikken
Zur Vollenkommenheit / aus magel ebner Bahn /
Auch war die Muschel nur ein wenig aufgethan:
Nun hat der Suchender durch Arbeit überwunden /
Und den begehrten Schatz / die theure Perl / gefunden
Die zeigt er uns mit Lust / wie man im Teutschen wol
In allem / nach der Zier und Kunst verfahren sol.
Glük zu Herr Suchender; jhr habt das Eis gebrochen /
Und numehr durch die Perl ein solches Loch gestochẽ /
Daß man sie fassen kan. Da kriegt jhr nun zu Lohn /
Der Menschen Preis und Dank / des Himmels Ehr' und Krohn.

Aus hertzlicher Liebe und Zuneigung ist

dieses seinem hoch geliebten vertrautem

Freunde zu ehren gesungen am 16.

Tage des Christmonats zu

Wedel an der Elbe

Von

Johan Risten.

Komm es ist die höchste Zeit /
Mein Freund! dan fast jeder schreibet
Jetzund Reime lang und breit /
Ungesuchet / wie jhn treibet
Der Sturmvolle Grillen Geist:
Keiner wil sich weisen lassen
Jeder wil sich das anmassen /
Daß er weder kan noch weist.
Auf und eile mit dem Buch /
Das uns lehret / wie im Dichten /
Durch dein findendes Gesuch
Wir uns klüglich sollen richten:
Hilf ab dem Gezänk und Streit /
Sonst wird unser Reimen-weben
Ein Gewäsch und Babbelgeben /
Komm es ist die höchste Zeit.

Seinem hochgeehrten Zerrn und Freunde zu
Bezeugung bestendigster Treu schreibt
dieses in Benfelden den 1.
Weinmonats 1644.
Hans-Michael Moscherosch.

Was hie der Mensche sucht / das pflegt er erst zu finden /
Dann / wann die Geisterlein des lebens hinverschwinden.
Die wahre Lebens Ehr / der Tugend rechten Lohn /
Trägt / wan das Leben aus / bestendig man davon.
Ich halte dennoch den glükseelig und gepriesen
Und gleichsam von der Gunst des Himmels an / gewiesen /
Wer dem was nützlich ist nachstrebet / wol nachtracht /
Und hoher Leute Lieb' und Ehr davon gebracht.
Das gute bleibet doch geliebet und geehret /
Ob jhm den Rükken schon der Neid hart oft zukehret:
Wer als ein Tugendfreund bey der Gelahrten Schaar
Ist angenehm / der schätzt den Neid nicht üm ein Haar.
Der Musen schönes Volk / den Lorbeerkrantz euch schenken
Und Eure Feder Sie an eine Seul aufhenken.
In das Gedechtnißhaus: Die Teutsche Jugend kan
Nach diesem recht verstehn / was jhr durch Witz gethan.
Den Kunst Lustgarten habt im Teutschen jhr gepflantzet /
Die Sprache durchgesucht / Kunstwunderlich umschatzet:
Das Ziel ist auf gestekt. Noch ferner fort: Es beut
Euch Glük und Witz die Hand: Das Vaterland sich freut.

Seinem liebwerthen Herren und Freunde
Glükwünschend übersend et dieses

Einbeck den 18. Novemb.
im Jahre 1644.
Henricus Becker.

Fußnoten

1 M. Opitz.

Der wachsame Schiffer / wenn vor sein lauffend Haus

Gefährlich bestürmet der Wellen Grimm und Graus /

Und Luft und Fahrt verschlagen /

Vol ängstiges Zweifels / vol Irrthums / voller Noth /

Ergreift er die Mittel / heist senken stracks das Loht /

Und in die tieffe tragen;

Hier mercket er fleissig wie weit die Schnure naß /

Er urtheilet vom Grunde: drauf nimt er den Compaß /

Läßt die Natur selbst richten

Im 1 künstlichem Wunder vergleichet Grund und Luft /

(So steigt er ins höchste straks aus der tiefstẽ Gruft /)

Darnach sein Schiff zu lichten /

Den Haven zu suchen: Die Segel lauffen wol /

Es fůgen die Winde / das Schiff geht wie es sol /

Die Sonn ist schön und heiter:

Er selber befriedigt nimt Cirkel und Papier /

Setzt Zieferen und Zeilen / beschreibts auch andern hier /

Und lehrt sie suchen weiter.

Herr Schöttel beschiffet das Teutsche Sprachen Meer /

Die Fahrten sind stürmig / die Strassen jrrig sehr /

Er kan sie richtig machen /

Es forschet und misset und bringt die Bahn hervor /

Itzt sucht Er im Grunde bald schwingt Er sich empor

Und findet hohe Sachen;

Er findet und bindet: Der Sprachkunst Pracht / Natur /

Hat Er uns erfunden / geleitet auch zur spuhr /

Itzt lehrt Er beides binden;

Er treibet sein Teutschland zum Haven aller Kunst /

Er füget jhn alles; viel grosser Leute Gunst /

Führt jhn mit vollen Winden;

Und sehet die Sonne der Teutschen Nimphen Pracht /

Was Glantzes und Ehren / Ihr Bild und Name macht /

Wer wird den Schein nicht kennen?

Ehr Teutschland / dis Liecht recht besih / was dir dabey

Dein Suchender findet und zeigt; du kanst nun frey

Den Weisenden jhn nennen.

Aus gebührender Freund und

Dienstschuldigkeit

beygestellet

Von

Samuel Hunden.

Fußnoten

1 Artificiosum Naturæ miraculum pixis Nautica Baud.

Erudito Lectori Salutem

Erudito Lectori Salutem.

Omnia nova, benevole lector, vadunt variâ famâ, & non rarò libellus exspectat funus aut vitam, non tam à merito, aut suo genio, quàm ab opinione hominum. Producimus iterum novam artis formam, ubi, quod speramus, ipsâ veritatis luce, linguæ Patriæ naturâ, & fulcro authoritatum nitimur. Defecata judicia & censuras Eruditorum non abnuimus, deprecamur tamen festinatas sententias eorum, quibus ideò perinde odium pravis & honestis, quia ipsorum opinioni alienum Eorum etiam, qui dum vetera aut externa extollunt, recentium Patriævè manent incuriosi. Si dicant, tenuem hîc nobis laborem; at forsan non in tenui, imò non tenuis ob materiæ pulcerrimæ necessitatem, nec in tenui igitur, ob vasta viarum & incognita recessuum: Quamvis non negem, satis eum tenuem ob ingenii tenuitatem. Nitimur tamen ad adtollendam inexhaustæ linguæ matricis Majestatem, ad asserendam ejusdem, tam frivolè & ridicule hactenus denegatam certitudinem, denique ad aperiendos acquirendarum ab eadem divitiarum fontes. Arbitramur in publicum impendi, quicquid ad veram nostræ linguæ culturam impenditur. Quicquid egregii linguæ nostræ accedit, reipublicæ accedit: Quicquid in illam confertur, idem in hanc. Hæc enim est, quæ crescit & assurgit Reipublicæ: Hæc est, quâ stante, quâ crescente & salvâ, effloruit & increvit Germaniæ tum libertas, tum majestas; quâ collapsa & tempta, simul vigor Patriæ virtutis atque libertatis acerrimæ gloria retrò sublabi incepit. Hæc nostra lingua nobis esto sedes quædam avitæ Virtutis, amabile pietatis theatrum, humanitatis Schola, gemma & dulce decus orbis Germanici. Nemo Eruditorum, aut qui seriem rerum gestarum cum mente aliqua penetravit, negabit, vel in omnibus imperiis auctu linguæ Patriæ, adolevisse res Patrias; illius lapsu, & has usque inclinatas. Europæ regna in exempla patent, de quibus copia dicendi nohis hoc loco concessa non est. Verum, quis ibit inficias, linguam Germanicam etiam ex ruinis eminere, & caput per rudera exigere? contortam eam & depravatam, contemptam & contusam, permixtam & servili contemtui habitam, Germana pectora jam dudum dolent, voto dudum resistunt, & voce & scripto juvant, & aliquid in magnam hanc parentem, pro ca conservanda, conferunt. Nec dedecet sanè, calido animo ad vires linguæ Patriæ asserendas propendisse, & quandam ingenii dotem, temporisvè furtum hûc contulisse, & eò tetricæ Minervæ particulam diei eripuisse. Ineptè prorsus & stultè nonnulli dicunt, ex usu discendam linguam nostram; quasi vero usus ille vulgaris, miser sanè & mille incertitudinibus fluctuans, idem sit cum linguæ cognitione verâ & analogicâ. Quod ædificiis fundamentum, navibus carina, arboribus radices, ipsi Reipublicæ leges, illud etiam est linguæ Matrici, certitudo ea, quæ fundamino Grammattico imprimis, tum etiam poetico & Rhetorico innititur. Inde oritur vera linguæ cognitio, quæ nunquam cum usu dissentit, sed est ipse usus, perfectus nimirum, verus & analogicus; ultetior putà & subtilior ex necessitate progressus, usûs necessitate & rati habitione suadente. Ita olim præparati animi Græcorum, ita præparati animi Latinorum, antequam artes & scientias sibi vernaculas fecerunt, aut facere posse, sperare potuerunt. Hæc fuit causa, quare Grammattici & Rhetores olim Romæ, Athenis & Constantinopoli in linguis vernaculis publicâ pensione constituti, imò in adipiscenda Comitiva Jure Consultis æqui parati sunt. Notum est, ante aliquot annos à Viris Eruditis linguæ Germanicæ robur tentatum: Scientiasque vernaculo ore audiri & doceri, & etiam in Academiis, incepisse eventu vero non usque adeo felici, neglectis nimirum, aut ignoratis, prætertisvè linguæ Germanicæ veris fundamentis. Auribus enim delicatis & parũ cognitione linguæ Germanicæ imbutis, monstrum apparet, & horrendum sonat vocabulum aliquod novum, ad artis sensum & ex fonte genuino desumptum: Cum tamen omnia plana, amabilia, veroque sensu penetrantia advenient ei, qui, visis linguæ fundamentis, id est, radicum verâ significatione intellecta, derivandi modis perspectis, multi variis, acutissimisque componendi artibus rectè perceptis, affert animum Genio, & significatui Teutisco faventem. Immensum illud scientiarum artificium reserari sine clave non poterit, clavis autem in linguis quænam est, præter veram fundamentorum notitiam? Risui autem & ludibrio se exponunt inepti illi, qui ex mensura misellæ & vulgaris cognitionis acerbè dijudicant linguam nostram, & egregium illud, magnumque artis opus, ad cæcæ ignorantiæ regulas conformant. Pergite ad Antyciras, & rectum mentis statum assumite vos osores: vos estis, qui supergredimini omnem mentem & prudentiam veterum Græcorum & Latinorum, illi sanè vera artis cultura linguam Patriam dignati sunt: vos arctatis ditissimam hanc linguam intra barbatum murmur & incertas formalitates, procul nimirum agentes, ut ab amore, ita à cognitione Vestræ linguæ. Utinam tempora Rudolphi, utinam tempora Maximiliani redifent, quibus amor, vigorque linguæ & simul salus Patriæ effloruit! Grata arridet Virtus per verba Germanica, sancta puritas iis inhabitat, simplex & intonans dignitas inest, clarescit inde acerrima Majorum libertas, nec possunt ea considerari sine tacito amore atque admiratione artificiosæ vetustatis, mirandæ brevitatis, purissimi roboris atque inhabitantis decoris. Existunt autem & florent quàm plurimi hodie, qui honori sibi ducunt, nescivisse & neglexisse linguæ nostræ & genium, & puritatem & fundamen: Exuentes sæpe cum amore linguæ patriæ, illam laudatam patriam mentem. Fatum autem, nisi fallor, clementius tande redibit; quicquid interim sit, aut erit, juvabit tamen, in recta artis via paulatim cum aliis præivisse, ad assequendum aliquando linguæ fastigium. Eat & allaboret simul, qui mente est tali; qui non, suas vias amet, jactetur in undoso mari & sua spicula jactet. Hæc tela, incassum volatica, nec sentio, nec, si sentiam, lædar. Qui publica 'aliqua fama sunt, aut utramque excipere debent aut nullam; satis autem, si melior præponderet. Sequentes anni erunt testes, & secutura ætas arbitra. Conscientia interim optimæ voluntatis tum felix, lectoremque ut judicium, non affectum, afferat, rogo. Et si modò aliquando per otium licuerit, exactiori opera fundamina linguæ Germanicæ, volente DEO, adstruemus. VVolferbyti XXVI. Januar. Anni 1645.


Die Authores und Poeten / welche in diesem Werklein angezogen / seind allemahl aus beygesetzten Namen zu sehen und zu erkennen: Weil aber diese neue Form der Verskunst / und so viel bißhero unbekante neue Reimarten / des Authoris Erklärung und behůlfliche Hand oftmahls erfodert haben / als sind die exempla, so der Author aus den seinigen hinbey gefůget / alle mahl mit diesem * unterzeichnet. Welches zu dienlicher Nachricht zuerinneren / gefellig gewesen; Der Leser wolle dasselbige / weil es nötig unvermeidlich war / übeler ausdeutung befreien / und mit sauberem Verstande eines oder anderes vergleichen und beurtheilen.

Erinnerung

Erinnerung.

Teutschliebender Leser / die Wortschreibung / oderortographia ist in diesem Büchlein / nach anweisung der unfehlbaren Einsilbigen Gründen unserer Muttersprache / beobachtet worden. Es ist sonsten mehr als bekant / daß man in Wortschreibung Teutscher Sprache / nicht allerdings einig / noch zur zeit / ist: Etzliche belieben den beliebten / Gesetzlosen / und nach eines jeden Einfällen geordneten Gebrauch; andere halten die aussprechliche Zusammensetzung der Silben für einen Grund / wornach die Schreibung / oder Beysammenfügung der Buchstaben zuordnen; Hinwieder andere / so wol auf die gantz-ungemeine Eigenschaft der Teutschen Sprache / als auf hochverstendige Achthabung der alten Griechen und Römer jhr absehen nehmend / halten fůr eine untriegliche Anleitung und Richtschnur / die grundfeste / richtige /durchgehende / Einsilbige Theilung aller Teutschen Wörter und Silben; Weil das gantze Kunstgeben der Teutschen Sprache auff Einsilbigen Stammen / Seulen und Stutzen beruhet. Dan alle Stammwörter sind Einsilbig / alle Haubtendungen der abgeleiteten sind Einsilbig / alle andere Endungen / was der Sprache nur jrgends zu- oder abgehen mag; sind Einsilbig; daß also eine wundersame Einsilbigkeit die gantze Sprache gründet / stammet / ordnet / pflantzet leitet / lehret und bereichet. Solche Einsilbige Wörter nun / und grundmessige ein silbige theilung derselben / müssen ja billich nicht zertheilet / verworren / verstümmelt /und unter sich zerstammet und zergliedert werden; Den eben aus dieser Unachtsamkeit enstehet die ungewisse / so mannigfaltige schreibung und theilung der Teutschen Wörter. Weil dan viel hochgelahrte / die numehr dem Vermögen und Gründen Teutscher Sprache / klüglich nachsinnen / diesen letzteren Schluß für richtig halten / als dem endlich die durchgehende Kraft und algemeine Beliebung verbleiben möchte /ist auch davon alhie nicht abgeschritten worden

Es wird gebeten / mit widrigem Urtheile / uns hierin zu frühezeitig nicht zu übereilen / sonderen vielmehr erst zuvernehmen / was vor grundmeßiger behaubtung dieser Richtigkeit / (welche durchgehend /lieblich / und eine Uhrsache sein kan / alle dem zweifelhaften Wesen und ungewisser Deuteley abzuhelfen) gelahrte Teutschliebende Männer in kurtzen öffentlich hervor geben und beweisen werden.

Inhalts Register

Index Rerum.
Oder kurtzer
Inhalts Register

Die Zahl bedeutet das Blat.

A.

Ageleitete Wörter 20. seqq.
Abschnitt / was er sey 74
Wie und wo er stat habe. 72. seq.
Abwallende Reimart 170. seq.
Abmessung was die sey 54
Achtsilbig-Langkurtze Verse 113
Achtsilbig-Kurtzlange Verse 138
Achtsilbig-Langgekůrtzte Verse 153
Achtsilbig-Gekurtzlange Verse. 163
Achtzeilige oder Achtversichte Reime 195
Andonicum genus im Teutschen 179
Alcaicum genus im Teutschen ibid.
Alexandrinische Verse 184
Anacreonticum genus im Teutschen 179
Anhangende Reime 302
D.

Dichtkunst 3
Doppelgängige Reime 222
Dreyständiger Reim 202
Dreyfölgiger Reim 202
Doppolkurtze Reimmaas 48
Doppellange Reimmaas 49
Dreygedoppelte Wörter 42
Dreysilbig Langkurtze Verse 104
Dreyzehnsilbig Langkurtze Verse 121
Dreysilbig Kurtzlange Verse 129
Dreyzehnsilbig Kurtzlange Verse. 143
Dreyzehnsilbig Langgekůrtzte Verse 157
Dreygeschrenkter Reim 203
E.

Eilfsilbig Langkurtze Verse 118
Einsilbige in Dactilischen 70
Einsilbige Wörter / haben die
mitlere Wortzeit. 32. seqq.
Ey / die Hauptendung 29
En / Silblein En / 17
Eilfsilbig Kurtzlange Verse 141
Eilfsilbig Langgekůrtzte Verse 157
Eilfsilbig Gekurtzlange Verse 164
Eilhebende Reimart 234
Elegiacum genus im Teutschen 179
Endschallende Reime 204
Endreime 224
F.

Fallender Reim 85
Falsche Reimung 94
Fragreime 253
Fůnfsilbig Langkurtze Verse 262
Funfzehnsilbig Langkurtze Verse. 122
Fůnfsilbig Kurtzlange Verse 133
Fůnfsilbig Langgekůrtzte 156
Fůnfsilbig Gekurtzlange 159
Fůnfzehnsilbig Gekurtzlange Verse 167
G.

Gedoppelte Zweisilbige 25
Geschlechtwörter 34. 35
Gekůrtzlange Reimmaas 49
Gekurtzlange Reimart 158
Gegentretende Reimart 176
Gemeine Reimart 188
Gesprächreime 263
Gleichschliessende Lieder 224
Gleichsetzende Lieder 227
H.

Heroicum genus im Teutschen 179
Heldenart 180
Hinterstrichle in / was es sey /
wie es zugebrauchen 79. seqq.
Hinkende Reime 246
I.

Irr Reim / Irr Gedicht 235
Klapp Reime 254
Klingende Reimwörter 175
Klingreime oder Klinggedicht 190
Kunstfůndige Reimgedicht 256
Kurtzlange Reimmaas 48
Kurtzlange Reimart. 133
Kurtzschliessende Reimart 172
L.

Lange Verse 181
Langgekůrtzte Reimart 147
Langkurtze Reimart 101
Langgekůrtzte Reimmaas 49
Langkurtze Reimmaas. 48
Langlaut ist lang 29
Was er sey 30
Lautwörter 37
Letterwechsel 240
Letzter Mitlauter in der Reimung 96
Lich / hat die mitlere Wortzeit 41. seq.
M.

Maasforschung 4
Mannlicher Reim ist unvernemlich 84
Meister Sänger 100
Mittelstrich kan im Abschnitte stat haben 31
N.

Neunsilbig Kurtzlange Verse 139
Neunsilbig Langkurtze Verse 140
Neunsilbig Gekurtzlange Verse 164
Neue Reimarten 179
Nohtfreiheit machet keine Regul 15. 18
O.

Oden 264
P.

Phaleucium genus im Teutschen. 175
Pindarische Ode. 250
R.

Reimarten / wie die getheilt 99
Reimkunst / was sie sey 1
Reimen ist das geringste in Versen 2. 59
Reimmaas / was sie sey 53
Reimfůgung / was die sey 53
Reimerey / Reimmachen der Alten 54. seqq.
Reim / was der sey 59
Reimglied / Glid. 60
Reimschluß endiget nicht allezeit
die Meinung 70
Reimung 83
Worin dieselbe bestehe 87
Reimwörter sind zweyerley Arten 83
Reimschluß / was der sey 183
Reim Reim 234
Reimwetzler 255
Rätzel Reim 259
Reihenlied 213
Reiner Reim / was er sey 97
Ringel Reim 210
S.

Sapphicum genus im Teutschen 178
Schiller Reim 236
Schlag Reim 238
Sechstine 246
Sechszeilige oder sechsversichte Reime. 194
Schnurrende Reime 82
Sechssilbig Langkurtze Verse 111
Sechs- und Siebenzehnsilbig Langkurtze. 124
Siebensilbig Langkurtze Verse 113
Sechs- und Siebensilbig Kurtzlange. 154
Sechs und Siebenzehnsilbig Kurtzlange 146
Siebensilbig Langgekůrtzte Verse 151
Sechssilbig gekurtzlange Verse 162
Sonnet. 190
Steigender Reim 84
Stumpfe Reimwort 100
Stachelreime. 257
V.

Verskunst / was sie sey 1. 3.
Unabsonderliche Vorwörter 12. 13
Unreiner Reim 117
Vorwörter / so Zweysilbig 30. seq. 35.
Viersilbig Langkurtze Verse 106
Vierzehnsilbig Langkurtze Verse 124
Viersilbig Kurtzlange Verse 130
Vier- und Funfzehnsilbig Kurtzlange 144
Viersilbig Langgekůrtzte Verse 158
Vierzehnsilbig Gekurtzlange Verse 166
Vierzeilige oder Vierversichte Reime 192
Vornlauf 230
Vorn Reim 232
W.

Wandelreim 235
Wechsel Lied 228
Wechselart 185
Weiblicher Reim ist unvernemlich 84
Widerkehr 195
Wiedertritt 200
Wiederschall / Widerhall 207
Wortklang in Teutschen Worten 43
Wortzeit / was sie sey 5. 6.
Wortgriflein. 259

Erstes Buch

Das 1. Capitel
1.
I.

Die VersKunst 1. ist eine Wissenschafft 2. recht und gewißmessiglich 3. die Verse oder Reime zu machen.

1. Das Wort Verßkunst / vermög der Teutschen Doppelung / zeiget an eine Kunstmessige gegründete Kundigkeit / die Verse oder Reime in Teutscher Sprache / nach Art der rechten Kunst / zu machen; Man kan auch wol und vernemlich Reimkunst sagen / welches Wort auch von anderen also beliebet und behalten worden. Dieweil aber das Reimen ein gar geringes / und in betracht deß überalbekanten Pöbelgebrauchs das allergeringschätzigste ist / So die Eigenschafft dieser Edelsten Kunst berühren mag / [1] Auch weil viele dem eusserlichen geschwinden Anblicke nach / frühzeitig meinen / daß wenig Kunst in den Reimen bestehen künne / und deßwegen eine Unnoht were / zu erlernung deroselben / Bücher zuschreiben oder durch zulesen / zu dem / weil underschiedliche Arten Teutscher Verse seyn / und noch ferner sein künnen / ohne einige Reimung / als die Sechstinen / reine Echoen /Reimwetzeler / etc. Uber diß / weil in arte Poetica linguæ Germanicæ nicht allein von dem Reimen oder Reimung (denn dasselbe nur ein Stücklein ist / und ein sonderbares Capittel machet) wird gehandelt /sondern von der gantzen Poetischen Kunst / die dann hin und wieder nach aller menge / Lehr und erklärungen erfodert / ohn betracht deß Reimens / welches wie erwehnt / nur ein Hinterstücke deß Teutschen Verses ist: Als ist gefällig gewesen / das Wort Verskunst oder Verschkunst pro appellatione artis Poeticæ dißmal / und noch zur zeit / zugleich wir zu behalten. Vers ist zwar lateinisch / aber nunmehr / krafft des bekanten gebrauchs / Teutsches schlags und Stadtsrechts fähig geworden.

2. Nicht daß diese angedeutete Wissenschafft oder Anleitung / an sich einen Poeten machen / und demselben die Kunst einer öpflen künne; Denn ein Poetischer Geist ist von sich selbst von Sinnreichen anmuhtigen Einfällen / voll Fewers / Steiget unnachfölgig / keckes unternehmens / flügelt sich mit Göttlicher Vernunfft / übertrifft die Altags-Erfindungen / und übersteiget das / was nur erlernet wird: Sondern dieses wird nur allhie durch die Wissenschafft verstanden / wie ein munters geistreiches Gemüth /[2] der seinen Gedancken die süssen Musen zu beleiterinnen beyfügen kan / jeden seinen Sinn begriff und jede erfindungen in teutsche Worte nach Poetischer Kunst / Zier vnd Art einkleiden / und also die Teutsche Hauptsprache Kunstgründig und grundrichtiglich /nach aller beliebender mannigfaltigkeit / auff Poetische weise / anwenden / auffsuchen und gebrauchen künne. Giebt demnach die Verskunst richtige Anweisung vnd Unterricht / wie jedes Poetisches Gedicht recht und wol zu ordnen / machet aber an sich keinen Poeten / eben wie die Baukunst an sich keinen Werckmeister machet / sondern jedes Gebäw gleichrichtig / wolfügend und festständig anzurichten / anweisung thut. In dem CLI. Gesprächspiele Herrn Harsdörffers wird folgendes vom wolerwehnten Aurore vermeldet: Die Edle Poeterey / spricht er / ist eine keusche Jungfrau / welche alle Unreinigkeit hasset /und anfangs sonderlich zu dem Gottesdienste gewiedmet gewesen / auch von denen Völckern / welche sonsten aller Wissenschafften und Künste unwissend gewesen. Nun wird sie zum öfftern / als eine gemeine Metze / zur Wollust und Uppigkeit gezogen. Es lesset sich aber offternante Poeterey füglich theilen in die Reim- und Dichtkunst: Jene die Reimkunst / lehret die Reden auff mancherley arten zierlich binden: diese /die Dichtkunst entweder die wahre Geschichte mit erdichteten Umständen außschmücken / oder künstlich verborgene Gleichnisse finden / oder dieses beides (Geschichte und Gedichte) auff den Schauplatz spielweis vorzustellen. Werden also ins gemein die Reime mit den Gedichten / die Gedichte aber nicht allezeit mit den [3] Reimen verknüffet: Und ist dieser beyden Stücke höchste Volkommenheit von nöhten denen /die Poeten sein wollen / etc.

3. Nach richtigen / durchgehenden / untrieglichen Gründen Teutscher Hauptsprache: Darin den / vermög der verwunderlichen Sprachnatur / eine sonderlich bewegliche anmutigkeit sich finden lässet / deren man bey jedem fehl- oder Abtritte / verlüstig wird. Wie dessen hie folgendes kurtze an- und beweisung verhoffentlich geschehen wird.

2.
II.

Die Verskunst wird nach dero Hauptstůcken abgetheilet in die Maaßforschung 2. und in die Reimfůgung 3.

2. Elementaria, quæ de ipsis carminum princicipiis tractat.
3. Versificatoria.
3.
III.

Die Maaßforschung ist das erste Theil / und gleichsam der Anfang und Grund der Verskunst / welche jhre zwey Haubttheile / nemlich die Wortzeit 2. und Reimmaaß 3. richtig untersuchet und erforschet.

2. Quantitas syllabarum.
3. Pedes.

Gleich wie die Sprachkunst richtiger weise muß abgetheilet uñ eingeschlossen sein in die Wortforschung / und in die Wortfügung / ebener massen kan die Verschkunst unterschieden werden / in die Maasforschung und Reimfůgung. [4] Denn in rechter Kündigkeit dieser bey der Haubttheile bestehet die Kunstmessige Wissenschafft / einen Verß oder Reim recht und untadelhafft nach den Worten zumachen. Eben wie nun kein Gebäw kan wol auffgeführt werden / es muß zuvor das Gestein und Gehölz / von verstendiger Meisterhand also zugerichtet und bequem gemacht worden seyn / damit der Bau an allen Orien wol eingeschlossen / fest gefüget / und mit gebührender thaurhaffter Anständlichkeit außgezieret werden könne; Also / ehe man zu der Reimfügung recht gelangen / und darbey einer untrieglichen gewißheit werden kan / wie nemlich / ůnd welcher gestalt / jeder Reim wol zu fůgen / zierlich zu ordnen / ansehnlich und untadelhafft zu vollenden: muß zuvor die Maasforschung wol durchsuchet und also bekand seyn /daß man wisse die rechte Maas und Ziel jedes Wortes und Reimes: deroselben jhre gebürende Stelle also zueigenend / damit die Reimfügung / oder das Kunstgeben nach rechten festen Gründen vorgestellet werde. Wil derwegen kürtzlich in diesem ersten Buche von der Maasforschung / nemlich von der Wortzeit und Reimmaas / als dero Hauptstůcken etwas handelen.

Das 2. Capittel
1.
I.

Die Wortzeit ist die Länge oder die Kůrtze / welche in rechtmässigem Außspruche der Teutschen Wörter [5] gehöret wird. Ich sage nach rechtmessigem Außspruche / nicht etwa wie einer nach seiner Einbildung / oder eigener mundart / oder zwingender Fügung des Reimens / das Wort außsprechen wil. Sonderen wie die unbeweglichen von der Natur / und von unaußdencklichem / unverenderlichem Gebrauche eingepflantzete Gründe / Teutscher Haubtsprache /uns den Außspruch der Wörter lehren und damit grundrichtiglich verfahren heissen. Wohnet demnach in jedem Teutschen Worte eine Zeit / das ist: Das eine gewißmessige Zeit in Außsprechung und Anhörung der Wörter erfordert werde / und daß die Silben der Wörter nicht mit gleicher Länge oder Kürtze auß vnserem Munde hervorbrechen / sonderen genau und wolanständlich / nach dem Geheiß jhrer Uhrankunfft vnd Eigenschafft / daher fliessen müssen.

Und solches erfordert nicht allein die Vollkommenheit einer Sprache / Sondern vornemlich die Poetische Art / weil dero liebliche Kunst Stimme nicht auß einem stets-gleichem / entweder langem oder kurtzem Gethöne / sonderen auß rechtmessiger künstlicher Durchwechselung des langen und kurtzen Thones entstehen muß / nicht anders wie eine liebliche Harmoni durch rechte Zusammenstimmung der niedrigen vnd hohen Gethönen sich finden lesset.

Die Wortzeit aber in Teutscher Sprache befind sich dreyerley / die längere / kůrtzere / mittlere wie solche auch bey den Griechen und Lateineren bekand sein.

2.
II.

Die kůrtzere Wortzeit ist der Laut des [6] Wortes / welcher in geschwinder kurtzer Zeit wird außgesprochen und daher felt; als

∪ ∪ ∪ ∪

gericht /erweisen / liebliche.


Trogaisch:
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Gottes Wille stehet feste /
Ist der erste bleibt der beste:
Jambisch:
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Nur Gottes Wille muß geschehen
Es mag auch / wie es gehet / gehen.
Anapestisch:
– – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
In diesem und jenem / in jedem und allen
Muß alles geschehen nach Gottes Gefallen.

In diesen anhergesetzten unterschiedlichen Reimarten ist offenbarlich zumercken / daß die mit (2.) gezeichnete Silben müssen kürtzer / als die vor oder nachstehende außgesprochen werden.

3.
III.

Die längere Wortzeit / ist derselbe Laut in dem Worte / welcher mit einem Gedehne vnd mehrer oder längerer Zeit / als das vor- oder nachstehende Worttheil muß außgesprochen werden. als:

– – –

Manner /gurden /Schaafes

– – – –

Hoffnung / gesehen / unzertrennet / ergrimmet


Trogaisch:
– ∪ – ∪ – ∪ –
Seelig-ruhig ist der Mann /
Der sich nach Gott richten kan:
Anapestisch:
– – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
O ruhig und selig ist dieser in allen /
Der lebet und handelt nach Gottes gefallen.
[7] Jambisch:
∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Stets růhig-seelig ist der Mann /
Wenn er sich nach Gott richten kan.

Also ist auch auß diesen Exempelweis anhergesetzten Reimarten zuersehen / daß die mit (–) gezeichnete Silben můssen mit mehrer Länge / als die vor / oder nachstehende außgesprochen werden.

4.
IV.

Die mittlere Wortzeit ist derselbe Laut / welcher nicht mit sothaner märcklicher Kůrtze oder Länge außgesprochẽ wird; und derowegen nach befindung der vor-oder nachgehende Wortzeit kan bald lang / bald kurtz gesetzet werden / als: Befordeniß / Ermessigung / Anwesenheit / etc. hie kan wol sagen auff Jambisch:


∪ – ∪ –

Und thutbeforderniß item:

∪ – ∪ –

Nicht ohnermessigung item:

∪ – ∪ –

Harr auffanwesenheit etc.


Gleichfals kan man allhie auch auff Dactylisch Recht setzen:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Günne beforderniß allen von Hertzen / item:
– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Wolle mit reiffer ermessigung achten / item:
– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Hoffet anwesenheit liebeste Freude. etc.

Auß diesen dreyen zum exempel anhergesetzten Wörtern Befoderniß / ermäßigung / Anwesenheit / [8] ist gleichfals zu sehen / daß dero letzte Silbe niß / ung /heit / lang und kurtz künne gebrauchet werden; und also vorgenante Mittel Wortzeit in Teutscher Sprache zu finden.

5.
V.

Es ist aber kein Wort 1 in Teutscher Hauptsprache welches nicht richtiger / grundmässiger / gewissester weise / eine / solcher ernanten Wortzeit oder Lautes in sich habe / und also geschickt zu gebundener Rede sey / oder werden künne. Dieses nun / nach rechten gründen zu beweisen / müssen wir die angeborne Eigenschafften / Kräfften und Vermögen Teutscher Sprache hervor suchen / und den Beweisthum also einrichten. Gleich wie jede Sprache / also wird auch unsere Muttersprache vollstendig abgetheilte in primitiva, derivata und composita in Stammwörter / abgeleitete und verdoppelte. Denn keine Wörter anders sein können / welche nicht zu einer obgenanter dreyer Haubtzahlen müssen gerechnet werden. Und wird unsere Teutsche Sprache fast genau / sonderlich und wol / vor anderen / also getheilte / und beruhet dero eigentliche gründliche Erkandniß / forderlichst und anfangs in nötiger unterscheidung der obgedachten Stammwörter / der abgeleiteten und der verdoppelten. Von welcher dann folgends / vnd zwar von jedem insonderheit meldung vnd anweisung geschehen soll /so viel unsers vorhabens davon nötig seyn wird / das ist / so viel betrifft / von der Wortzeit eines jeden teutschen Worts ordentlichen Bericht zu thun. Doch aber [9] wird zuvor dem teutschliebenden Leser / so sich dieser unserer anfuhr zu bedienen gewilliget / bekand seyn / oder doch seyn müssen / was Stammwörter /was Hauptendungen der abgeleiteten / und was und wie mannicherley arten der doppelung in Teutscher Sprache seyn / davon verhöffentlich gnugsame vermeldung so viel zum anfang nötig / in der Sprachkunst geschehen / welches anhero zu wiederholen gar zu lang fallen / und etwas ungehöriges seyn wůrde: Aldieweil die eigentlichen stücke der Sprachkunst von dem / was an sich zur Verskunst gehöret / müssen gesondert und jedes vor sich gesetzet seyn.

Fußnoten

1 Vide tamen Reg. 9, cap. 7. lib. 1. infrà.

Das 3. Capittel
Der Erste Lehrsatz
Der Erste Lehrsatz.

Alle zufälige Letteren in Teutscher Sprache seynd kurtz / Oder: alle zufällige Endungen der Teutschen Wörtter seyn kurtz / Das ist: erforderen einen kurtzen Laut im außreden.

[10] Omnes terminationes casuum, generum, temrum, modorum, etc. in lingua Germanica corripiuntur.

Was aber zufällige Letteren seyn / davon ist in der Sprach Kunst pag. 203. etwas vermeldet; Nemlich /welche in den Zahlendungen (casibus obliquis) abwandelungen (declinationibus) ånderungen (motionibus) Ergrösserungen (comparationibus) und Zeitwandelungen (conjunctionibus) gebrauchet werden /und dadurch man dieselbe alle unterscheiden kan /und sind folgende; e / er / es / em / en / et / est / ester /ete / etet / ere / erer / eren / este / estes / end / ende /ender / endes. So offt nun ein Teutsches Wort auff diese Endungs-Letteren außgehet / wie deren dann fast unzehlig viel Tausend seyn werden / als denn ist allezeit unfehlbarlich solche Endung kurtz / welches durchgehend algemein und wol zu märcken ist. Als:

∪ ∪ ∪ ∪

Groß / gröste / grosser / grosses / grossem /

∪ ∪∪ ∪∪ ∪∪

grossen / grosserer / grösseres / grössester /

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

Lieb / lieber / liebe / lieben / liebest / liebet /

∪∪ ∪ ∪ ∪∪ ∪∪ ∪

liebete / liebetest / liebetet / liebeten / geliebet etc.


Und also in allen unzahlbahr anderen.

∪ ∪ ∪

Die welche reines Hertzens sind

∪ ∪ ∪

Sich Gottes reichen Hülff' und Gaben

zu rühmen. Opitz. Ps. 64.


I.

Was wil man doch mit Worten
∪ ∪
Die Munder zehlen viel /
∪ ∪
Die Gott an allen Orten
Verrichtet sonder ziel;
∪ ∪
Kompt lasset uns ihn preisen
Lob Ehr und Danck erweisen /
[11]
Denn seine Güt' und Treu
Ist alle Morgen neu. Rist. 5. 7.

NB. Anmärckung.

Die zufälligen endungen in Teutscher Sprache můssen sich allezeit / wie bekand / von einem e anheben. Nun aber geschiehet es offt / auch ohn abbruch des wollautes / daß gedachtes e / im falle es in seiner endungsform noch einen oder mehr Buchstaben bey sich hat / außgelassen / vnd also zwo Silben in eine gezogen werden / als: Liebst / fůr: liebest: Schöns /fůr: schönes: Häusren fůr Häuseren / seligs / fůr: Seliges / etc. Dabey denn zumärcken / daß alsdenn solche gebrochne endung jhre kurtze Wortzeit verliere / und sich nach dem Laute der Silben / an die es gegeworffen / zu richten habe. als:


So wündsch' ich mir zu guter letzt

∪ –

Einseeligs Stůndlein wol zu sterben:

Daß mich für alles Creutz ergetzt

Und krönet mich zum Himmels Erben. etc.

– ∪ – ∪

Olieblichs / seeligs Stündelein /

Wie trag ich doch so groß Verlangen

Nach dir allein / bey Gott zu seyn. etc.


Rist. 5. 10.


Gottes Wort bleibt ewig stehn
Wenn auch alles wird vergehn.
für: bleibet / stehen / gehen.

Also setzet man: Schöns / hört / liebt / strebt / [12] gibst / nihmst / etc. für: Schönes / höret / liebet / strebet /giebest / nihmest / etc.

Ander Lehrsatz
Ander Lehrsatz:

Diese sechs unabsonderliche Vorwörter Be / ent / er /ge / ver / zer / seynd allezeit kurtz / als:

∪ ∪ ∪ ∪

begegnen /begier /entübrigen /entwachsen /

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

erfolen /erlassen /geflůgel /Gebrümm /verraten /

∪ ∪ ∪

verletzen /zergehen /zerstücken /

etc. und also in allen sehr vielen andern / welches durchgehend und algemein.

Inseparabiles hæ præpositiones, be / ent / er / ge /ver / zer / semper & ubique in lingua Germanicâ corripiuntur.


Laß dich die Liebentzünden

Nicht dievergänglich ist

Als die / so leicht zufinden

Im faulen Sünden-Mist /

Ach nein / diß ungeheur

Soll alle Weltverfluchen /

Wir Christen wollen suchen

Ein besser Liebes-feur.


2.


Ach stelle deinen Willen /

Nach Gottes Willen an /

Der deine Bitt'erfüllen

Und dicherhöhen kan.

Doch zeug es mit der that:

Dein Fleisch müstubezwingen /

Denn wirstu vollenbringen

Was Gottbefohlen hat.


Rist. 5. 3.

[13] ∪ ∪
Verschaff uns Hülff und Zuversicht
Denn Menschen-Beystand taug doch nicht.
Wir wollen ritterliche That
Verrichten bloß durch Gottes Raht:
Er selber wird zu rechter Zeit /
Sich für vns stellen in den Streit /
Er wird / damit wir nichterliegen
∪ ∪
Den Feindzertreten undbesiegen.

Op. Ps. 60.
Dritter Lehrsatz
Dritter Lehrsatz.

In allen zweysilbigen gedoppelten / wenn die letzte Silbe ein selbstendiges (substantivum) ist / alsdenn ist diese letzte Silbekurtz / ob schon viele mitlautende (consonantes) darin seyn / welches durchgehend und algemein ist. Als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Nohtwehr / Eckstein / Landstadt / Jahrmarckt /

– ∪ – ∪

Rahthauß / Nachtzeit / etc. Und nicht:

– ∪ – ∪ – ∪ – –

Nohtwehr / Eckstein / Landstat / Rahthauß /

etc. Und also in fast unzahlbar anderen.

In compositis Germanicis dißyllabis, quando utima syllaba est substantivum, tunc ea semper corripitur, & prior syllaba producitur.


– ∪

DieSchaarwacht sicher schlaffen. Bart.

– ∪

Und dessenSchlachtschwert nicht. Bart.

– ∪

DieWindmühl ietz umgehen. Bart.

– ∪

Der dasWelt Volck zwingt.

Op.


– ∪

UnserErbtheil hat. ib.

– ∪

Ein festerWohnplatz werden.

Rist. 4. 3.

Wir reisen nur mit eilen durch das leben.
– ∪
Worzu vns Gott dasZehrgeld hat gegeben.
Rist. 4. 6.

[14] Es müchte sich wol etzliche wenig mahl auch beym Opitio, finden / daß etwa wegen Nohturfft der Verses in solchen zweysilbigen gedoppelten / die erste kurtz /und die andere Silbe lang / Wider die Natur deß Wortes / und wider den Inhalt gegebener Regul / gesetzet weren: Solches aber / wie es ohn gefehr einer Poetischen Noht-freyheit / oder vielmehr dem vergönstigtem Mißbrauche / zuzuschreiben / also kan es weder einige Regul machen / noch die gantz richtige durchgehende Regul im geringesten schwechen.

Vierdter Lehrsatz
Vierdter Lehrsatz.

So offt aber die letzte Silbe in den gedoppelten ein beystendiges (adjectivum) ist / alsdenn ist sothanesadjectivum lang / und kan die erste Silbe kurtz gebrauchet werdẽ. Als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Frechmuht / Weltsinn / Sanfftmuht / Wegfahrt /

– ∪

Mannsucht etc. alhie ist die letzte Silbe annoch einsubstantivum oder selbstendiges / und also / Krafft vorgehender Regul / kurtz / aber wenn man nun saget

∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

frechmutig / sanfftmutig / Wegfertig /

∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Weltsinnig / Mannsüchtig / Arglistig /

∪ – ∪ ∪ – ∪

Weltkündig / Feldflüchtig


etc. alsdann muß die ernante Silbe / nemlich das adjectivum, lang werden / und kan man die vorderste Silbe also für eine kurtze gebrauchen.

In compositis Germanicis, quorum ultimum membrum, seu posterior pars est adjectivum, tunc illud adjectivum producitur, præcendes antem prima syllaba corripi potest.


[15] – ∪ – ∪

Frechmuth /Hochfahrt / Stoltz und Pracht

Kein gut Endente gebracht:

∪ – ∪

Hochfertig werden macht verhaßt /

∪ – ∪

Frechmutig sein ist schwere Last.*

∪ –

Kriegsüchtig sind nur die / so sich im bösen üben /

∪ –

Friedselig sind nur die / so Gott von Hertzen lieben.*

∪ –

Wahr ist es / daß der Sieg zwar durch blutrote schlacht

∪ –

Erlangt / den Haubtmañ nicht so gar glorwürdig macht.


Rol. furios.


NB. Anmerckung. I.


Wol aber ist in acht zu nehmen / daß / wann die zweysilbigen composita, welche in Teutscher Sprache lauter Trochæos machen / als:

– ∪ – ∪ – ∪

Windhund / Kunstwort / Zinßgut


etc. davon in dem dritten Lehrsatze kurtz zuvor ist erwehnung geschehen / wann dieselbe / sage ich / einige abfallende endung an sich nehmen / sie als dan die erste Silbe / kurtz und die mittelste Silbelang machen / und also jhre Wortzeit (propter adiectionem accidentalium literarum) gantz umkehren / als:


– ∪

TeutschesKunstwort kan auch wol /
Recht andeuten wie es sol.

Oder:
∪ – ∪
TeutscheKunstwörter die deuten recht / etc.

Item
– ∪
Ehr undZinßgut nehmen an:
Oder
∪ – ∪
VieleZinßgüter besitzen allein / etc.

[16] NB. Anmerckung. II.

Es hat dieser vierter Lehrsatz / nemlich / daß die erste Silb in solchen dreysilbigen compositis kurtz sey / auch stat in denselbigen gedoppelten dreysilbigen / da die letzten beyden Silben ein substantivum seyn / als

∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Geldmittel / Hülfmittel / Buchführer / Sauffteuffel /

∪ – ∪

Stadtstürmer /

etc.

Composita trisyllaba, quando ultimæ duæ syllabæ ex substantivo constant, tunc prima syllaba compositi potest corripi.


∪ – ∪

SchaffetHůlffMittel / verweilet euch nicht.


Item
∪ – ∪
VieleBlutsanger im Kriege sich finden.
Item
∪ – ∪
JederBuchtichter jhm wehlet sein beste / etc.
Fünffter Lehrsatz
Fünffter Lehrsatz.

Es ist fast bräuchlich in Teutscher Sprache / daß ein Silblein / en / künne / als gleichsam zwo zufällige Letteren / zu hinten die Zuwörter auff / lich / gehenget und angesetzet werden welches Silblein allemahl kurtz ist / und also gemeiniglich einen Dactylum machet / also saget man: gůtlichen verhören: kaufflichen zuschlagen: Eidlichen beschweren: Außtrůcklichen bedingen Reifflichen erwegen: Füglichen gebrauchen: [17] Feindlichen absagen: heimlichen entlauffen: Gerichtlichen belangen: Jährlichen entrichten: Wörtlichen schmähen: Redlichen Nachkommen: Sträfflichen verbieten: Nůtzlichen anwenden etc.

Dieses Silblein en / gehöret unlaugbar mit unter die zufälligẽ Letteren / welche ohn zweiffel allezeit nach rechtem Gebrauche můssen kurtz gesetzet seyn /davon zwar in dem ersten Lehrsatze ist gesaget worden: Es findet sich aber so wol beym Opitio, als anderen guten Poeten / daß die zufälligen Letteren unterweilen lang gesetzet seyn / welches dann nicht kan vermitten werden / wann man Dactylische Wörter zu Jambischen Reimarten gebrauchen wil. Aber es ist solches zu mårckem / vnd nicht leichtlich nach zuthun / sonderen vielmehr dahin zusehen / damit in einem Jambischen Reimgedichte lauter Jambi zu finden sein mögen. Wiewol doch der Unterscheid / welchen wir darunter von der Reimung gesetzt / nemlich daß dieselbe entweder rein oder unrein sey / auch alhie zubelieben / daß die Jambische Reimmaas entweder recht rein oder unrein sey: Die unreine Reimmaas / nemlich wann man eine kurtze Silbe lang setzet / sol billich so viel möglich vermitten werden / wo sie aber mit-unterläuffig zu finden / nicht als ein Lehrsatz oder Nachfolge / sonderen als eine Vergönstigung oder Ubersehung gehalten werden. Also findet sich in den Ps. Opitij / als:


∪ –

Von Seuglingen hat Er jhn lassen holen.

Ps. 78. v. 36.
∪ –
Daß jhr versuchendes gelůsten.
Ps. 106. v. 8.
∪ –
Denselbigen die jederzeit.
Ps. 70. v. 2.

[18] Item in den Hi lischen Liedern Herren Ristij:
∪ –
Diß Hi lische Geschenck.
∪ –
Gib heilige Gedancken.

Item
∪ –
Wie trag' ich ein so sehnliches verlangen.
4. 10. v. 15.
Die Erbarkeit ist tod / nur der ist ohne Sünde.
∪ –
Der Sündigen nicht kan.
Opit.
Sechster Lehrsatz
Sechster Lehrsatz.

Die zufälligen Endungs Letteren / davon im ersten Lehrsatze ist gesaget worden / behalten auch allemahl jhre angeborne kurtze Wortzeit / So offt sie bey verdoppelungen gebrauchet werden / welches auch allgemein und durchgehend als:

∪ ∪ ∪

Liebesfreund / Liebeskuß / Bücherfeind /

∪ ∪ ∪ ∪

Wassermann / Freudenfewr / Seelentrost / Todes


Angst / Und unzahlbar andere.

Quotiescunque terminationes casuum, generum etc. compositum aliquod ingredientur, toties etiam corripiuntur, juxta primæ Regulæ demonstrationem.


O grosser Menschen Freund / eh als du bist gebohren

O starcker Menschen Schutz nach dem Er war verlohren.

Opit.

Der HErr ist voll erbarmens im Gemüte /
Ist Gnadenreich voll über grosser Güte.
Op. Ps. 103.
Ein Daumen dickes Bret ist zwischen Tod vnd Leben.
Opit.
∪ ∪
Ergentz das Pferde / verwahrt das Tauben hauß.
Opit.
∪ ∪ ∪
Stralen krafft. Bilder werck / Eifersucht.
Op. Ps. 78.
[19]
Unter deiner Gnaden hand.
Rist. 4. 1.
Das ist ja das Gnaden liecht.
ib.
Ein Feind der Sünden gifft.
Rist. 4. 2.
Das wird zum Freuden leben.
ib.
Damit noch Tod noch Hellen noth.
Rist. 4. 4.
Siebender Lehrsatz
Siebender Lehrsatz.

Alle zweysilbige abgeleitete / das ist / alle Wörter / so außgehen auff Bar / er / en / ern / ig / heit / icht / inn /isch / lich / ling / niß / sal / sam / schafft / thum / lein / ung / keit / hafft / Dieselbe sind in solcher jhrer Endung kurtz / Als:

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

Ehrbar / Richter / Büchen / Steinern / frölig /

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

Klugheit Bergicht / Judinn / himlisch / billich

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

neuling / Trübnist / jrrsat / furchtsam / wirtschafft /

∪ ∪ ∪ ∪

jrrthum / Hoffnung / Männlein / Mannhafft /


etc.

Omnia derivata dißyllaba semper ultimam id est terminationem derivandi, corripiunt, primum syllabam autem producunt.


Wer ist wie du so mächtig /

∪ ∪ ∪

So Heilig / Schrecklig / Prächtig /

Rist. 2. 1.

– ∪ – ∪
Durch jhrewirckung wird getreweszeugniß geben.
Bartas.
– ∪
DerSatzung nach die du herfür gebracht /
Opitz. Psal 119. v. 3.
– ∪
Tritt auff deinZeugniß ein.
Op. Ps. 119. v. 50.
– ∪
SehrNärrisch ist ja der fürwahr
Der nicht betrachtet die Gefahr.
Rist.
– ∪
Diegrawsam sind und deinen Grimm bewahren.
Op. Ps. 119. v. 61.
– ∪
Wirdwohnhafft in der Hütten sein.
Op. Ps. 132.
[20]
Mein Geist ligt gar in Angst versencket /
– ∪
Das Hertz isteinsam abgekrencket.
Op. Ps. 143.

NB. Anmerckung. I.

So offt aber die zweysilbigen abgeleitete / jhre zuffällige Letteren an sich nehmen / als deñ wird die Haubtendung lang / welche zuvor kurtz war. als: ist

– ∪

lebhafft /


frisch vnd starck. Oder

∪ – ∪

lebhaffte


Bilder wir etc. Bart. Die

– ∪

Krönung


zieret dich. Oder; Die

∪ – ∪

Krönungen


zieren dich. Und mit

∪ –

grunechtem

Mooß etc. Bartas.

NB. Anmerckung. II.


Es ist aber wol zu beobachten / daß diese gesetzte vielnutzliche Regul nur alsdann statt hat / wann die abgeleiteten Wörter zweysilbig seyn / wie auß vorgesetzten Exempelen gnugsamlich abzunehmen: Wenn aber die abgeleiteten oder Derivata drey- oder viersilbig seyn / und die endnechste Silb / (penultima syllaba) im außreden kurtz felt / alsdenn hat die Haubtendung (ipsa terminatio derivationis) eine Mittelzeit /das ist kan / bald lang / bald kurtz gebrauchet werden; (davon druntẽ im fünfften Capittel mit mehrem) als:

– ∪ – ∪

Unmittelbar / Plauderer /

– ∪ – ∪

bettelhafft / gelegenheit /

– ∪ – ∪ – ∪ ∪

Königinn / Buhlerisch Artlichkeit /


doch bleiben die abgeleiteten / auff en / und eg / sich endigende allezeit in solcher Endung kurtz / ob schon[21] das Wort vielsilbig / unterweilen werden kunte / als.

∪ ∪ ∪ ∪ Henffen / Seiden / heutig / Barmhertzig / auffrichtig etc.

Achter Lehrsatz
Achter Lehrsatz.

Das Wörtlein / ge / welches in allen Zeitwörteren(verbis) die vergangene Zeiten und leidende Deutung formirt / ist allezeit und überal kurtz. als:

∪ ∪ ∪

Gehöret /gelobet /geruffen. etc.


Vocula ge / quæ omnia præterita tempora & totum Passivum in lingua Germanica format, semper corripitur.


∪ ∪ Der unsgeschaffen hat / viel gutes unsgeschencket / ∪ ∪ Der sich zu unsrem Heilgeneiget undgelencket So mild und gnädiglich / der seygelobt allzeit ∪ ∪ ∪ Bepriesen undgerühmt /geehrt in ewigkeit.*

Neundter Lehrsatz

Die unendigen Zeitwörter (modi infinitivi verborum) kůnnen allezeit vor sich nehmen das Wörtleln Zu /wenn sie die Bedeutung ůberkommen / so den Gerundiis und Supinis zugeeignet wird / dabey denn zumercken / daß selbiges Wörtlein / zu / als denn allezeit kurtz müsse gesetzet werden / als:

∪ ∪ ∪ ∪

Zulieben /zuloben. Beyzustehen. Vorzustehen /

abzugehen / etc.


Vocula zu / infinitivo proposita, semper corripitur: Sed quando, zu / est præpositio, producitur vid. observ. seqq.


Der Tag ward zugebracht mit diesem looßzuwerfen /

∪ ∪

Die Waffen und Gewehrzuputzen undzuschärffen.


Rol. furios.

[22]
Drüm wil ich einig und allein /
Bey Gottzubleiben embsig seyn.
Er hat daß ich nicht fallen sollen
Die rechte Hand mir geben wollen.
Du wirst mich auch durch deinen Raht
Begleiten / stets darauffzugehn.
Daß ich noch höher möge stehn.
Da wo es Ruhm und Ehre hat.
Op. Ps. 73.

NB. Anmerckung. I.

Denen Zeitwörteren / welche von / zu / angehen als zuziehen / contrahere, zu sprechen / zu reden / alloqui, etc. kan gleichwol vorernantes Wörtlein / zu /beygesetzt werden / alßdenn aber ist zu wissen / daß das vorderste / zu / die præpositio, oder das Vorwort also lang sey / das folgende zu / aber ist kurtz / Krafft dieses Lehrsatzes. als:

– ∪ – ∪ – ∪

Verheissetzuzusprechen. Gesinnetzuzuziehen etc.


Ist Gott wie wir bekennen
Der Anfang und das Ziel /
Das A vnd O zu nennen
Was zweiffeln wir denn viel /

Leib / Leben / Hertz und Muht.

– ∪

Allein Jhmzuzuwenden

Denn er wil uns ja senden

Sich selbst / das höchste Guht.

Rist. 5. 3.

– ∪
Man pfleget alles thun dem Glückezuzuschreiben
Auß einem falschen Wahn.

[23] NB. Anmerckung. II.

Wenn aber dieses / zu / wird gesetzet vor die gedoppelte / so von Be / ent / er / ge / ver / ver / sich anfangen / alsdann wird erwehntes Wörtlein / lang / auß ursach / weil diese 6. Vorwürter allzeit kurtz seyn /und vermög unserer Sprachnatur eine kurtze Silbe vor sich nehmen künnen in einen Worte: (denn wie es mit der doppelkürtze beschaffen / ist gesagt im fünfften Lehrsatze deß sechsten Capittels) als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪

zubereiten zuentgehen / zuerschleichen / zugewinnen / etc.


Das höchste Gut im Leben

– ∪

Dem Menschenzugewand /

Das Gott uns hat gegeben /

Ist Liebe nur genant;


Das höchste Guht ist Gott /

Dem solt du dich zukehren

– ∪

Allein jhnzuverehren /

Und nicht deß Satans Rott.


Rist. 5. 3.

So hat die Treu hier stets deß Schilts sich
– ∪
zuerfreuen /
So hat die Untreu auch sich stets davor zuscheuen.
Opit.
Das 4. Capittel
Erster Lehrsatz
[24] Erster Lehrsatz.

Alle gedoppelte zweysilbige Wörter haben jhre längere Wortzeit in der vordersten Silben / Als:

– – – –

Schamroht / Bauholtz /cktrit /Rohtstal /

– – – – –

Vorwort /fehlschuß /Zugang /Ankunfft /uhrsach /

Ertznarr / etc.


Omnia composita dissyllaba primam producunt.

– ∪

Durch liebesWerckzeug schnelle

Bartas.

– ∪

DerFreyherr war bereit. Rol furios.

– ∪

DerFeldmann weis das nicht.

Op.
– ∪
Lang einenWeitlauff halten.
Bartas.
– ∪ – ∪
Itz einenFußsteig jetz einFuhrwerck breit und gleich.
etc.
Bartas.
– ∪
Daß er soll seinErbguht sein.
Op. Ps. 135.
– ∪
Sie brechen gantz das schöneSchnitzwerck auß.
Opitz. Ps. 74.
– ∪
Wie Stoppel wan esSturmwind hat.
Op. Ps. 83.
– ∪
Gerechtigkeit und Recht muß als einGrundfuß stützẽ.
Op. Ps. 89.
– ∪
Und singen jhm einDancklied an.
Op. Ps. 106.
– ∪
DerSee-Zorn niederlegen.
Op. Ps. 107.

– ∪
DieSaatzeit.
Op. Ps. 107.

NB. Anmerkung.

Es werden aber auch alhie außgenommen die Vorwörter / Be / ent / er / ge / ver / zer / welche allezeit kurtz / ob sie schon in den zweisilbigen gedoppelten erste Silben machen / davon gesagt im vorigen Capittel im anderen Lehrsatze. Also saget [25] man

∪ – – ∪ – ∪

berůhmt / vnd nichtberühmt / entsetzt / vnd nicht

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

entsetzt / ergib / gefall / verzeuch / zerrinn. etc.


Nisi præpositiones, Be / ent / er / ge / ver / zer /primam syllabam faciunt, ea enim semper corripiuntur.

Ander Lehrsatz
Ander Lehrsatz.

So offt aber die zweysilbigen gedoppelten durch annehmung der zufälligen Letteren entweder drey- oder mehrsilbig werden / als dann ist die andere / oder mittelste Silbe lang / welche doch in vorgehender Regel kurtz war.

Composita dissyllaba, quoties literas accidentales recipiunt, atque ita trisyllaba fiunt, toties ipsa derivationis terminatio, quæ alias corripitur, produci potest, & sic syllaba media existit longa.


– ∪

Gottloß ist der Mensch und böß /

∪ – ∪

Gottlose Menschen leben jtz.


Alhie machet die entstehende zufällige Letter / E /daß die Wortzeit in dem Worte Gottlos verendert werde. Also auch:


– ∪

Sinnreich warest Naso du: Oder

∪ –

Sinnreicher Naso du. Item

– ∪

Wollust lieben schadet sehr. Oder

∪ – ∪

Wollüste lieben schadet sehr.

∪ –

Schnell dasZündpulver flieget.

Bartas.

– ∪

Und des Weinberges Safft herausser möge fliessen.

Bartas. [26]

Dritter Lehrsatz
Dritter Lehrsatz.

Alle eintzele Stamwörter / so offt sie jhre zufällige Letteren an sich nehmen / alsdenn sind sie / die Stamwörter / allemahl lang; die Endung aber / so durch die zufälligen Letteren entstehet / ist kurtz / davon zusehen der erste Lehrsatz im vorgehenden Capittel. Als:

– – – – – –

Häuser / Männer /Leibes / Hände /Liebest /hören /

Schlaget. etc.


Monosyllabica Vocabula, quoties literas accidentales recipiunt, id est, quoties quamcunque, terminationem generis, numeri, temporis etc. adsciscunt, toties vocabulum ipsum, seu literæ radicales producuntur.


– – – –

DieAugenmüssen auch weit in derhöhestehen /

– –

Sichfleissig ümzusehn / dem Ubel zuentgehen

– – –

DasalleStunden wacht vndfeyret niemals nicht:

Sie sind derSinnen Bild / der Spiegel und das Liecht /

Dabey dieLiebe pflegt jhr Fewer anzuzünden /

Der Weg durch den sie sich kan in das Hertze

finden:

– –

Siewerden durch den Wall derStirnen zugedeckt:

– –

DerWangenschönes Feld ligt üm sie hergestreckt.


Opit.

NB. Anmerckung:

Wenn aber von solchen Sta wörteren [27] die zufällige Letter / E / durch das hinterstrichlein wird abgeworffen / alsdenn kan solches Stamwort / vermög des ersten Lehrsatzes im folgenden Capittel / auch kurtz gebrauchet werden / als:


∪ – ∪ – ∪ –
Ich fange mit der Hand. Oder:
∪ – ∪ – ∪ – ∪
Fang' ich dich nicht mit Worten.
Dein' Hand ist starck und mächtig /
Dein Nahm ist groß und prächtig /
Dein' Herrligkeit und Zier
Die pranget für und für.
Erzehlet doch mit freuden
Sein' Ehr und Ruhm den Heyden
Was grosse Wunderthat
Sein' Hand verrichtet hat.
Rist. 5. 7.

Nach seiner Eigenschaffttrüb' allenthalben werde.
Bart.
Wann durchsAug' anders kan ein Urtheil sprechen auß.
Bart.
Könt' auch was bessers seyn an Freude / süß und Güte /
An Wonn' und Liebligkeit / als ein verliebt Gemühte.
Rol. fur.
Vierdter Lehrsatz
Vierdter Lehrsatz.

Alle Zeitwörter werden in jhrer vergangenen Zeitlang / und bleiben also lang in allen vergangenen Zeiten und in der gantzen leidenden Deutung / als:

– – –

Gehöret / geliebet / geritten. etc.


[28] Verba in perfectis omnibus & toto paßivo semper producuntur.

– – – – Gelobet und geliebt / gepriesen und geehrt / Sey Gott / mein süsser Gott / sein Lob sey fiets vermehrt.*

Funffter Lehrsatz
Fůnffter Lehrsatz.
Die abgeleiten auff / Ey / seynd in solcher Endung lang / als: Cantzley / Betteley etc.
Deriva in ey / exeuntia, terminationem illam producunt.
∪ –
Die Welt ist jtzo voll von Lügenkünstlerey
∪ –
Von Frevel Stoltz und Pracht und lauter Heucheley.

NB. Anmerckung.


In Dactylischen oder langgekůrtzten Reimarten müchte diese Endung auch wol zu zeiten kurtz kůnnen gebrauchet werden / als:

– ∪ ∪
Schmeicheley hasset ein Biederman billig.

Item

– ∪ ∪
Klůgeley stimmet die Seiten zu hoch.
Sechster Lehrsatz
Sechster Lehrsatz.

Der Langlaut ist und bleibt / in Teutscher Sprache allemahl lang: Der langlaut aber ist / wann der Laut in einer Länge mit [29] außgedehnter Stimme / und gleichsam mit einem Verzuge wird außgesprochen / und geschiehet mit verdoppelung dieser selblausenden / aa /ee / oo / als

– – –

Beer / Schaaff / Meer etc.

(vid. Sprachkunst pag. 201.)
Tonus, qui vocatur productus, meritò semper producitur.

Bißweilenleert er auß den Honigmacherinnen

Ihr wächsen Königreich / das sie mit klugen Sinnen

Sehr artlich aufgebaut / nimt auch zu rechter Zeit /

Den feisten Schaafen ab jhr dickes wollenkleid.

Opit.

Die Viertheil eines Beets gemach befeuchtet werden.

Bartas.
Das gantze zwitzerd Heer des Himmels / so von dir. etc.
Bartas.
Siebender Lehrsatz
Siebender Lehrsatz.

Diese Vorwörter / Gegen / Hinter / Halben / Nieder /Sonder / Uber / Unter / Wieder / Wider / Zwischen /sind ůberal in jhrer ersten Silben lang / als:

– – –

Gegensatz /hinterwerts / meinethalben /

– – – –

Niedergang /ubermuth /untergang /Wiederkehr /

– –

Widerstand /zwischenfall.


– ∪

Leg dich zwischen uns hienieder

– ∪

Morgen wollen wir dannwieder

– ∪

Wol auffstehnsonder noth

– ∪

Vber uns regieret Gott. etc.


[30] NB. Anmärckung. I.


Das Vorwort Empor / wird alhie außgenommen /dann es hat seine längere Wortzeit in der letzten Silbe / als:


∪ – Wer ohne Kunst wil steigen stetsempor / Thut wie ein Narr und unerfahrner Thor. Wie thut des Menschen Witz Unnutz herümmer schweben ∪ – Begierig ist er wol sich hochempor zuheben.


Siegsp. der Ewigkeit.

Achter Lehrsatz
Achter Lehrsatz.

Diese Wörter aber / Hinauß / Hinauff / Hinein / Hinnab / Hindurch / Hinzu / haben jhre lange Wortzeit auff der letzten Silbe / oder: müssen die erste Silb kurtz / die letzte aber lang machen.

Vocabula, Hinauß / hinauff / etc. primam corripere & ultimam producere solent.


∪ – ∪ –

Hinweg Hinweg schlag sie darnieder.

Opit.
∪ –
Drüm schau / O Menschhinauff und über dich
Nach dem was nicht den Augen zeiget sich.
Opit.
Die Menschen / wer sie jmmer seyn
∪ –
Die müssen all' ins Grabhinein.

Anhero gehören auch
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Herauß / Herauff / heran / herein / herab / etc.
[31]
Das 5. Capittel
Erster Lehrsatz
Erster Lehrsatz.

Alle einsüßige Wörter haben in gebundener Rede 2. die Mittlere Wortzeit / das ist / kůnnen bey des kurtz und lang / doch mit vernünfftlichen Unterscheide 3. gebrauchet werden.

Omnia monosyllaba in versu Germanico ancipitis quantitatis esse possunt.

2. Es wird hie gesagt in gebundener Rede / weil wir von der Reimkunst / und nicht von der Redekunst handelen: Dann in einer ungebundenen tapfferen dringenden Rede wird man die starck klingenden Stammwörter / so auff etwas sonderliches deuten / mit sonderbahrem Trucke vnd haltendem Laute außsprechen müssen: In einem Teutschen Verse aber kan man das Stamm Wort / es habe einen so starcken Thon / und so viele Letteren / als es wolle / dennoch wol zu einem kurtzen Laute machen; Sonderlich wann ein fliessender Buchstab oder Selblautender in folgender Silbe daran stosset.

Welches überal von guten Teutschen Poeten ist [32] geschehen / und hat auch Vermöge / der Sprachgründen geschehen künnen: wie folgens mit gnugsamen Exempel bewiesen.

3. Mit vernünfftlichem Unterscheide wird vermeldt / gehet solches dahin / daß die Freyheit der Mittleren Wortzeit in obgedachten einsilbigen Wörteren / nicht also mißgebrauchet werde / daß man zu offt / ohn unterscheid / und ohn alles auffmercken deß beywohnenden klanges / solche einsilbige Wörter mit menge bey einander bringe / und die Wortzeit darin / nach zwang eines abmessens / deutele und dringe: Denn solches ist unangenehm und erwehnter Freyheit ungemeß.


Folgende Verse sein Jambisch:

∪ – ∪ – ∪ – ∪
Arm bin ich ja zu nennen
Doch wil der HErr mich kennen /
Er denckt an seine Pflicht.
Du bist mein Schutz allein /
Mein Retter auß der Pein
O mein Gott säume nicht:

Op. Ps: 40.

Im folgenden aber sind die Reime Trogaisch / und also die einsilbigen / welche zuvor kurtz / werden hie lang & vice versa:


– ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Arm bin ich ja gar zu nennen
Doch wil Gott der Herr mich kennen
Er denckt stets an seine Pflicht.
Du bist mein Schutz nur allein
Mein Erretter auß der Pein
O mein Gott dich säume nicht.

[33] Diese Reime sind Trogaisch:


1.

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Zu dir mein Gott wil ich tretten /
Nur mit seufftzen / nur mit beten;
Dich mit Demuth halten fest /
Gott du nimmer mich verlest:

Hie werden sie Jambisch / und die einsilbigen Wörter / so im vorigen kurtz / werden hie lang / & vice versa:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Zu dir mein Gott wil ich hintreten
Nur mit dem seufftzen / mit dem beten /
Dich mit der Demuth halten fest.
Gott du ja nimmer mich verlest.

NB. Anmerckung.


Es wird von dieser algemeinen Regul außgenommen der einsilbige Langlaut / als: Beer / Meer /Schaaff / etc. davon im vorigen Capitel gesagt / denn solcher allemahl billich lang sein muß.

Anderer Lehrsatz
Anderer Lehrsatz.

Die einsilbigen Geschlechtwörter / Ein / der / die /das / dem / den / haben zwar vielmehr die kürtzere als mittlere Wortzeit in sich / werden auch gemeiniglich und wolständlich also / nemlich / kurtz / gebrauchet: Noch dennoch aber befind sichs offtmahls / daß sie lang genommen und gesetzet werden / [34] welches denn gleichfals auch der Außrede nicht allezeit und allerdings zuwider sein wird: Derowegen Lehrsatzweis davon zuschliessen / daß unsere Geschlechtwörter gemeiniglich und zierlich kurtz müssen gebrauchet werden; Zuweilen aber / und zwar selten kůnnen sie auch gesetzet und also zur Mittleren Wortzeit gebracht werden.

Articuli monosyllabici plerunque curripiuntur interdum tamen etiam possunt produci.


∪ ∪ Der Durst macht / daß man mußdas Wasser schmackhafft preisen ∪ ∪ Der Hunger aber macht uns angenehmdie Speisen: Den Frieden helt derselb' in keinen hohen werth So vondem Kriege nicht ist worden eh beschwert.

Rol. furios.

Was hie verborgen war / wird kommen andas Licht. Obdie Gewissen rein gewesen oder nicht. Siegsp. der Ewigkeit. ∪ ∪ Die also auffden Lauffder Welt recht achtung gebẽ Erlernender Natur hierauß gemesse leben / ∪ ∪ Sie bauen auffden Scheindes schnöden wessens nicht Das beydes nurdie Zeit gebiehret und zerbricht.


Opit.

Dritter Lehrsatz
Dritter Lehrsatz.

Die Vornenwörter / Ich / Du / Er / Wir / [35] Ihr / Sie /Sich / Uns / Euch / etc. kůnnen auch kurtz und lang gebrauchet werden / doch scheinet es artlicher und zierlicher zufliessen / wenn sie kurtz gesetzet seyn.

Pronomina, Ich / Du / Er / Wir / Ihr / Sie / Das /Euch / Der / etc. & produci & corripi possunt, aptius tamen corripiuntur.


1.
Gibuns des Leibes noht /
Die Kleidung und das Brot /
Durch deinen reichen Segen /
Da alles angelegen;
Sonst nützet kein begiessen /
Dein Wort HErr hilfftuns wol
Die Speise zu geniessen /
Souns erhalten sol.
2.
Ich wil mein lebenlang
Dir singen Lob und Danck /
– ∪
Daßdu mir hast beschehret
Vielmehr alsich begehret /
Ach Gott was werd'ich haben
Nach dieser bösen zeit /
Viel wunderschöne Gaben
Dort in der ewigkeit.

Rist. 5. 8.

Ein klarer Spiegel jtzmir vor den Augen steht /
Drinmich und meinen Fehl seh' und mit geh zu Bett /
– ∪
Wieich auch jmmer kan / zum Endemich bereite /
Auffs kurtze Leben denck' und drinnen stetig streite.
Heut frühich war ein Kind / im nun bin worden alt /
[36]
Nicht lenger als ein Tag wehrt unsers Leibs Gestalt.etc.

Siegsp. der Ewigkeit.

NB. Anmerckung I.

Von den Wörtlein / Und / Als / Auch / ist gleiches zuhalten / nemlich daß sie zwar kurtz und lang kůnnen gebrauchet werden / wiewol sie doch eigentlich nur die kurtze Wortzeit in sich haben möchten.

Und / als / auch ancipitis sunt quantitatis, communiter tamen corripiuntur.


NB. Anmerckung. II.


Die Lautwörter / das ist / dieselbigen Wörter / dadurch man einen Laut / oder Thon außspricht (wie denn diese sonderbare Art und Eigenschafft unsere Teutsche Sprache hat / daß man den Thon etwa eines falles / Schusses / Schlages / Sprunges / Stoffes /Klanges / Stimme oder eines jeden anderen thuns mit einem zustimmenden Lautworte außreden kan / vid. Sprachkunst pag. 518. und 645.) dieselbige nun künnen nach Art jhres Haubthons / nach dem sie geformet werden / entweder lang oder kurtz in Verschen angewandt und gesetzt werden.

Vocabula sonum, aut vocem, aut simile quid imitantia, quorum usus in lingua Germanicâ est notissimus, modò produci [37] modi corripi possunt, pro ut sonus requirit.

Vierdter Lehrsatz
Vierdter Lehrsatz.

Die Haubtendungen der abgeleiteten seynd allezeit kurtz / so offt das abgeleitete Wort zweysilbig ist /davon droben im sechsten Lehrsatze deß dritten Capittels ist gesagt worden: So offt aber die abgeleiteten oder Derivata vielsilbig seyn / und die endnechste Silbe / (penultima syllaba) kurtz ist / so offt kan auch die Haubtendung entweder kurtz oder lang gesetzet werden. als:

– ∪ – ∪

Schläfferinn / Kümmernis /

– ∪ – ∪

Kummerhafft / Spielerisch / etc.


Derivata, si penultimam corripiunt, tunc ultimam syllabam, id est, ipsam derivandi terminationem simul producere aut corripere possunt.


∪ –

Ein tieffer Abgrund hier ist der Vergänglichkeit

∪ –

Verfinstert mit sich bringt er die vergessenheit.


Siegsp. der Zeit.

– ∪ ∪

SteteVergessenheit blendet die Leute

– ∪ ∪

HabenVergenglichkeit alle zur Beute.*

Mein Vermögen meine Sinnen

∪ –

Sind befreundt mit Eitelkeit

Künnen geistreich nichts beginnen /

∪ –

Wegen Hertzens Dunckelheit.


Oder


∪ ∪

Eitelkeit engstet und herrschet die Sinnen:

∪ ∪

Dunckelheit lesset kein hohes beginnen.*

[38] – ∪ –

Die Tugend ist der Pfeil derAdelichen Hertzen /

Verwund und heilt zugleich mit Honigsüssen

Schmertzen. Herr Harsdorff.

–∪ ∪

Dieses istAdelich Leben

Bleiben der Tugend ergeben.*


NB. Anmerckung.


So offt aber die end-nechste Silb / (penultima syllaba) in den vielsilbigen abgeleiteten nicht kurtz /sonderen vielmehr lang ist / als denn ist die Haubtendung allemahl kurtz / nach inhalt des sechsten Lehrsatzes im dritten Capittel / als:

– ∪ – ∪

Erlernung / Verseumung /

– ∪ – ∪

Erkentnis / Zerschlagung /

– ∪ – ∪

Bestallung / Bestendnis /

– ∪ – ∪

Gesellschaft / entzündlich. etc.


Derivata, si penultimam producunt, tunc ultimam, id est derivandi terminationem, corripiunt.
Fünffter Lehrsatz
Fünffter Lehrsatz.

Folgende Vorwörter kůnnen mit unterscheide 2. beydes lang und kurtz gebrauchet werden / Ab / an / auff / auß / bey / dar / durch / ein / fehl / fort / fůr / gen /her / hin / los / mit / mis / nach / ob / samt / ům / un /vol / vor / weg / wol / zu.

Præpositiones hæ, ab / an / etc. ancipitis sunt usûs.

2. Doch wird alhie gesagt mit unterscheide / das ist / wann die Vorwörter werden von jhrem Zeitworte gesondert / als: Abspringen / ich springe ab / loßschiessen / er [39] scheust loß / durchbrechen / du brichst durch / etc. Daß man alsdenn auff die nechste vorgehende Silbe / ob die kurtzfliessend sey / wol achten müsse /zum Exempel kan man wol Dactylisch oder langgekůrtzt sagen.


– ∪ ∪

Schiesset los / lasset die Büchsen erklingen.


Wenn man aber setzten wolte:


– ∪ ∪

Schießt bald los / lasset die Büchsen erklingen.


Alsdann kommet der Dactylus / oder die erste langgekürtzte Reimmaas gar hart und gezwungen.


Der Herr ist freundlich dem / der hertzlichauff

jhn bauet;

Er ist der Seelen Trost, dienach jhm fragt

und schauet /

Es ist ein köstlich dingin aller Noht und Pein

Vertrauenauff den Herrn und recht geduldig

seyn.


Opit.

Ich gedenck'an meinen Gott
∪ –
Nichtohn heulenin der Noht.
Ach! ich muß stetszu dir dringen
Und mein Elendvor dich bringen /
Meines Jammers ist so viel
Das mein Geist erliegen wil.
Op. Ps. 77.

∪ ∪
Ohn Gott ist niemand hierauff Erden /
Von dem ich kan ergetzet werden.
Op. Ps. 73.

Doch wartet nicht so lang / biß das der Todlos
schnellt /
Wie meistentheils geschicht / da alles stracks verfelt.
Siegsp. der Zeit.

Werbey dieser zeit wil klimmen
In die höhe / daß er frey /
Für des Teuffels List und grimmen
Samt der Menschen Boßheit sey:
[40]
Wer sein Leben sonder Schwert
Zubeschützen stets begehrt /
Ey der mußvor allen dingen
Sein Gebetgen Himmel schwingen.
Sechster Lehrsatz
Sechster Lehrsatz.

Lich / ist ein sonderliches reiches Wörtlein / dadurch sehr viele Zuwörter geformet werden (vid. Sprachkunst pag. 514. seqq.) davon nun zu mercken / daß selbiges Wörtlein die Mittlere Wortzeit habe / das ist / künne lang und kurtz gesetzet werden / als:

– ∪ ∪

Gnädiglich wollest o Vater erhören. Und:

– ∪ –

Erhör o Vater gnädiglich.

Vocula Lich / quâ formantur adverbia, est anceps.

Schlegt er jhm die grosse Güte

– ∪ –

Ewiglich auß dem Gemüte.


Op. Ps. 77.

– ∪ –
Ewiglich höret und ehret uns Gott:
Hoffet auff selben in Jammer und Noht.
– ∪ –
Der Wind fast grimmiglich.
Bart.

– ∪ ∪
Grimmiglich sauset und brauset der Wind.
– ∪ –
Gottjnniglich wil ich dich preisen
Und deinem Namen Ehr erweisen.
Op. Ps. 118.

– ∪ ∪
Jnniglich sollen wir allezeit preisen
Unseren Schöpffer / jhm Ehre beweisen.

NB. Anmerckung.

Wann aber in den vielsilbigen Zuwöteren die penultima syllaba, oder die end- nechste [41] Silb / lang ist /als denn muß dieses Wörtlein / Lich kurtz werden. als:


∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Bagänglich / Erbärmlich / Gesetzlich /


∪ – ∪ ∪ – ∪

Entzündlich / Zergänglich / etc.


Beten ist ein solches Liecht

Welches durch die Wolcken bricht

Wann ein Christ in tausend Plagen

∪ – ∪

Schiererbärmlich wil verzagen.


Rist 5. 1.

– ∪
Wer /schlieslich / schon an Wůrde sich erhöhet /
Doch aber nichts erkennet noch verstehet /
Und ist dem Vieh an Klugheit gleich und eben /
Der wird wie Vieh gerissen auß dem Leben.

Op. Ps. 49.
Siebender Lehrsatz
Siebender Lehrsatz.

Dieselben / so auß dreyen eintzelen Wörteren verdoppelt werden / scheinen in jeder Silbe die mittlere Wortzeit zuhaben / daß sie also nach belieben entweder kurtz oder lang möchten können gebrauchet werden.

Nomina ex tribus nominibus monosyllabicis composita, quamlibet syllabam vel producere, vel corripere possunt.


– ∪ –

DerLandhauptmann komt an.

Oder:
– ∪ –
Landhauptmann tretet an.
– ∪ –
DasSteinwildpret erjagt.
Oder:
∪ – –
Steinwildpret viel erjagt.
– ∪ –
EinHandwercksmann mit fleiß.
Oder:
∪ – ∪
Und derHandwercksmann treibt. etc.
[42] ∪ – ∪
Und dasGold bergwerck hat hierunter seinen Hand.
Opit.

NB. Anmerckung.

Bißhero ist nun gehandelt worden von der Wortzeit / noch were übrig etwas anzuführen von dem Wortklange / oder Thone / so bey Außsprechung Teutscher Worte verspüret wird. Denn es ist ein sonderliches Kunststücke in Teutschen Worten / daß sie gleichfals mit der jnnersten Natur eine Verwantschafft und einen solchen Thon / Krafft und ansehen haben / wie die Eigenschafft der dinge / derer Andeutungen sie sind /solches auffs bequemlichste erforderen mag / davon an einem anderen orte etwas mehrers ist erwehnet worden. Der Wortklang ist entweder scharff / gelinde / oder ein Mittelklang. Der scharffe Wortklang ist /wañ daß Wort gleichsam mit einem brechendem Thone / und härtlichem scharffen schalle uns zu Ohren gehet / als: Donneren / Brummen / Prasseln /Brausen / Knallen / Knirschen / Schreyen / Heulenetc. Der gelinde Wortklang ist / wann das Wort sanfftiglich wird außgesprochen / und mit einem fliessenden / stillen / lieblichem geleute uns zu ohren kommet / als: Liebe / Sůsse / Güte / Wasser / Schöneste. etc. Der Mittelklang ist / wann in einem Worte /die erforderte Schärffe und märckliche Gelindigkeit[43] nicht wird erspüret / sonderen es wird das Wort / vielmehr mit einem gemeinen Laute außgesprochen / und kan nach art des Verses und durch Hůlffe den beystehenden Wörter / bald zu dem scharffen / bald zu dem gelinden Thone gebracht / und damit vermenget werden etc. Und hierin bestehet keine geringe Anzeige eines Poetischen vermögens / daß der Wortklang also gestimmet / und die Worte in einem Reimgedichte also geordnet werden / das die poesis, als ein Nachklang der Natur jhre rechte Stimme / Thon / Zier und Anmuht habe.

Das 6. Capittel
1.

Die Reimmaas ist ein zahlbarer Begriff 2. gewisser Silben / wordurch die Reimarten 3. unterschieden /und die Reime abgemessen 4. werden.

2. Das Wort Reimmaas deutet dem eusserlichen Laut nach / klärlich und vornemlich an / das dadurch ein Maas und Weise / womit die Reime recht abgemessen und getheilet werden / zuverstehen sey. Wird demnach die Reimmaas alhie genant ein [44] Zahlbarer Begriff gewisser Silben / nemlich ein solcher Begriff /vorbildung oder abmessung / welche nach gewisser /entweder kurtzer oder länger Zahl / etzliche Silben ümscheust / in sich fasset und abmisset. Die Lateiner nennen jhre Reimmaassen Pedes, weil auch jhnen jhre Versche gewiß gängig müssen gleichsam daher lauffen / und so zureden / jhre gehörige Fuß-maas müssen wol in acht nehmen. Wir werdens ohn zweiffel in Teutscher Reimkunst nicht unvernemlich nennen können Reimmaas / weil dadurch / wie gesagt / die Reime werden gewißmessiger weise abgemessen / davon hernach völliger Bericht folget. Nach etzlicher Beliebung künne man es auch nennen Schritt oder Tritt.

3. Weil man alsbald bey anfänglicher anhörung oder lesung eines Reimes / den Unterscheid oder die Art desselben begreifft vnd weis auß vernehmung der Reimmaas; denn wie die erste und andere Reimmaas ist / also seynd in sothanem Reimgedichte auch die folgenden / gehet derowegen ein Reim langkurtzlich oder Trogaisch an / alsdenn ist der gantze Reim Trogaisch oder langkurtz / angesehen die Reimmaas nich / wie bey den Lateineren / als auch bey den Teutschen / zu wechselen und zu mengen seyn / nemlich in den reinen Haubt-Reimarten.

2. Die abmessung oder abtheilung des Reimes geschiehet nicht nach anzahl / und ordnung jeder Wörter / sonderen nach dem zahlbahrem begriffe gewisser Silben / nach anweisung der Reimmaas / dadurch also Kettenweis aneinander gefüget / und wegen solcher abmessenden Theilung dem Außspruche [45] nach / lieblich die Wörter verbrüdert werden. als:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

Kein Last–er ist–so groß–das Demuth nicht bedeckt /

Und kei-ner Tu-gend Lob–das Hoff–art nicht befleckt.


Herr Harsd.


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Lasset vns weinen und Trauren vertreiben

Klagen und-zagen sol-heute ver-bleiben;

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –

Klagen und-zagen ver-jaget jtz-und

Heute seyd lustig und machet es kunt.


Cæsius.


Doch ist wol zumercken / daß es nich übel klingt /sonderen vielmehr / Vermöge der Haubt Regulen Teutscher Sprachkunst vergönstiget sey und lieblich laute / wenn gantze Langkurtze / und Langgekürtzte Reime (Trogaisch und Dactalisch) nur nach jeden eintzelen Wörteren die Reimmaas haben / oder dadurch abgemessen werden: Denn weil allen Nenn-und Zeitwörter / so offt sie jhre zuffällige Letteren künnen an sich nehmen (quoties casus obliquos, tempora, genera etc. variant) langkurtz oder langgekürtzt / das ist Trochæi oder Dactyli werden /Item weil alle zweysilbige composita gleichfals Trochæi seyn / als ist die über grosse vielheit sothaner Trogaischen und Dactylischen Wörter leichtsam daher zuermessen. Wol vnd gut klinget derowegen:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ Stetes wollen stetes dencken / Stetes steigen / stetes lencken / Stetes wünschen stetes hoffen / Unser Hertze hat ge-troffen. etc.*

[46]
2.

Wiewol die Griechen und Römer in abmessung und Regulmessiger Theilung jhrer Versche / fast vielepedes oder Reimmaassen haben / nicht allein von zweyen und dreyen / sondern von vier / fůnff und sechs Silben / welche aber doch meistentheiles vielmehr nur dem Nahmen / als sonderbarem Nutzen nach bekant seyn: So erscheinet dennoch / daß in Teutscher Sprache unnötig sey / jenen hierin nachzugehen / und eine solche vielheit der Reimmaassen auffzubringen. Die grůndliche Betrachtung Teutscher Wörter / die natůrliche Anmuht / Wolstand und Wollaut der Reimen / und der bißher beliebte gute Gebrauch Teutscher Poeten beweisen und lehren uns dieses / daß wir nemlich alle und jede Reimarten wol ordnen / verfertigen und abmessen kůnnen durch Hůlffe der sechs Reimmaassen / als da ist / die.


Langkurtze– ∪Trochæus.
Kurtzlange∪ –Jambus.
Doppellange– –Spondæus.
Doppellkurtze∪ ∪Pyrrichius.
Langgekürtzte– ∪ ∪Dactylus.
Gekůrtztlange∪ ∪ –Anapæstus.
[47]
3.

Die Langkurtze Reimmaas ist ein zweysilbiger Begriff / oder helt zwo zahlbare Silben in sich / davon die forderste lang / die letzere kurtz seyn muß / als:

– ∪ – ∪ – ∪ Lieben / Freunde / Mannbar etc.

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ Liebstes Hertze / Schönste Zierde / Meine Wollust / meine Gierde / Meine keusche Freuden-wonne / Meine liebste schönste Sonne.

4.

Die kurtzlange Reimmaas ist ein zweysilbiger Begriff / oder helt in sich zwo Silben / davon die vorderste kurtz / und die letzere lang seyn muß. Als:


∪ – ∪ – ∪ – Geliebt / verseumt / bereit. ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – Die Demuth wird gelobt / geliebt / ∪ – ∪ – Wol dem der sie erkennt / verübt: ∪ – ∪ – Die Hoffart wird verhaßt / verlacht / ∪ – ∪ Wol dem der sie verwirfft / veracht.*

5.

Die doppelkurtze Reimmaas ist ein zweysilbiger Begriff / oder helt in sich zwo silben / welche alle beyde kurtz seyn müssen / als:

∪ ∪ ∪ ∪ ∪ ∪


Liebete / Mässige / forderen.

In Teutscher Sprache möchten sich keine eintzele[48] zweysilbige Wörter finden / welche beyde Silben kurtz hetten / sondern diese Doppelkurtzheit ist bey uns nur zu finden in den zufälligen Letteren / das ist /in terminationibus casuum, comparationum, generum, temporum. als:


∪∪ ∪∪ ∪∪
Lieb-eteHäus-erenFreud-iger
Lieb-etestHäus-ererFreud-ige
Lieb-etetGönn-ereFreud-iges.
Lieb-etenGonn-eren / etc.
6.

Die doppellange Reimmaas ist ein zweysilbiger Begriff / oder helt in sich zwo Silben / welche alle beyde lang seyn müssen. Als:

– – – – – –
Cantzley / Weltmeer / Schlachtschaaff.
7.

Die langgekürtzte Reimmaas ist ein dreysilbiger Begriff / oder helt in sich drey Silben / davon die erste lang / die beyden letzteren aber kurtz seyn müssen /als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪
Flüchtiger / grösseren / hörete / Schöneste / etc.

Diese Reimmaas künne auch nach etzlicher Beliebung genennet werden Langkůrtzender dreysilbiger. Ist eine liebliche / sich wolfügende Reimmaas im Teutschen / dazu sonderlich die Teutschen Worte sich finden lassen / doch aber wenn sie ungezwungen / und von rechter Meisterhand hervor gesuchet werden.

[49] Wir könten auch im Teutschen diese Reimmaas nennen die abspringende / weil auff die erste lange Silbe alsbald zwey kurtze abtritt oder absprünge geschehen.

8.

Die gekůrtzlange Reimmaas ist ein dreysilbiger begriff / oder helt in sich drey Silben / davon die ersten beyden kurtz / die letzte aber lang seyn muß / als:

∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –
Unbesorgt / ungesagt / unveracht. etc.

Doch kan in diesen gesagten Exempelen / das Vorwörtlein Un / auch lang gebrauchet werden als

– ∪ –

ungesagt / weil selbiges die Mittlere Wortzeit in sich helt. vid. Regul. 5. cap. 5. Die gekurtzlange Reimmaas oder der Anapæstus ist ein rechter ůmgekehrter Dactylus / derohalben unser Teutsches Runstwort / Langgekürtz-Gekürtzlang / nicht unvernehmlich / sonderen wolandeutend scheinet / mit den dinge selbst / dessen Deutungen sie seynd / übereinkommend: Es künne auch nach etzlicher Beliebung diese Reimmaas genennet werden / Auffspringende / dieweil gleichsam die letzte lange Silbe auffhüpffet oder auffspringet / nach dem die beyden vordersten geschwinde überhüpffet werden.

9.

Oberwehnte und erklärte sechs Reimmaassen seynd zu abmessung und Ordnung Teutscher Wörter gnugsam / wie vor gemeldt: Dabey aber zumercken / daß etzliche gedoppelte Teutsche Wörter zufinden / auch sonst zu formen und auffzubringen [50] seyn / welche nicht kůnnen ohn tadel zu Teutschen Reimen gebrauchet / noch durch richtige abmessung einer Reimmaas / hinnein gesetzet werden / als zum Exempel:

∪ – – ∪ ∪ – – ∪ ∪ – – ∪
Gelindmühtig / bereitfertig / Naturmessig /
∪ – ∪ – ∪ ∪ – – ∪
unwiedersetzlich / gekurtzlänglich / etc.

Es muß der Radix oder das Sta wort in diesen gedoppelten / als: Muht / fahrt / setz / lang / allezeit lang verbleiben / und kan mit nichten ohn abbruch des natürlichen Thons / und ohn Verletzung der fliessenden grundrichtigen Reimmessung kurtz außgesprochen / und deßwegen die folgende kurtze Silb /als / Ig / lich / lang gezogen werden. Gar unangenehm würde es lauten:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

Sey nur gelind mühtig und auch bereitwillig.

– ∪ – ∪

Alhie wird muhtig und willig so natürlicher Art langkurtz oder Trochæi seyn / zu kurtzlangen (Iambis) mit gewalt / und gantz unrecht gemacht. Also finden sich noch viel andere Wörter / als: Darstellungen / Erklärungen / Maasgebungen / etc. Welche auch zu teutschen Reimen wenig geschickt / und zwar zu Trogaischen und Jambischen Arten gar nicht tauglich seyn / zu Dactylischer oder langgekürtzter Art aber müchten diese so wol / als auch die vörigen / Bereitfertig / Gelindmühtig etc. Noch auff den nohtfall zun zeiten künnen angewandt und gebrauchet werden: Lautet derwegen unrecht:


∪ – ∪ – ∪ –

Du gibst Erklärungen.

[51] ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

Der Schad' ist jetz unwiederersetzlich etc.

Denn / En / und Lich / so sonst kurtz seyn / werden alhie lang zu sein gezwungen: In Dactylischem oder Langgekürtztem Verse aber möchte es etwas besser lauten / als:


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Gabest Erklärungen / welche wir loben.
Schad' ist unwidersetzlich geworden.
Bleibe bereitwillig gegen die Freunde.

Ende des ersten Buchs. [52]

Anderes Buch

Das 1. Capittel
1.

Das andere Haubttheil der Teutschen Reimkunst begreifft in sich die Reimfůgung: Die Reimfůgung aber ist / welche lehret jede Reime und Reimarten / nach rechter Kunstmessiger Ordnung auff allerhand weise zufügen und zusammen zusetzen / Und begreifft die Reimfůgung in sich die Abmessung / die Reimung und die Reimarten.

[53] Davon folgendes / grůndlicher und ordentlicher Bericht geschehen sol.

2.

Die Abmessung ist eine rechtmessige 2. Abtheilung des Reimes 2. oder Teutschen Verses / welche da geschiehet durch die Reimmassen.

2. Es wird in Teutscher Verskunst die Abmessung billig genennet eine rechtmessige abtheilung des Reimes / nemlich eine gleichrichtige / Kunstgründige und gewisse abtheilung / nicht weniger nach gewisser /richtiger Kunst zufassen und zuverstehen / als es ůblich und bekand in Grichischer und Lateinischer Sprache seyn mag.

Die alte Reimerey / und das uhralte Reimmachen der Teutschen / davon man noch eine und andere Nachricht und überbliebene Brocken / so ein / anderthalb / ja zwey tausend Jahr alt / behalten und auffzuweisen hat / solches ist meistentheils von unserer heutigen und richtigen Poesi weit entfernt / und rechter Kunst und gleichrichtigkeit unfähig; ist derowegen eine Unnoth / davon vieles auffzuglauben und auffzuführen: Denn weil es numehr ausser Gewonheit / ausser Kunst und vermögender Zierlichkeit der Sprache / als muß es auch billich / wie ein unnöhtiges / ausser Lehrsätzen und anmerckungen der Verskunst entsetzet seyn. Es ist aber dieses nicht zu leugnen / ob schon keine gründliche / richtige / Kunstmessige Wortordnung / Sonderen nur blößlich die beliebte grobe Reimung / oder vielmehr Reymerey / den alten Teutschen bekand gewesen / daß dennoch / ohne zweiffel auß dem kräfftigen / Sich anbietendem Vermögen [54] der unaußgeübten uneingerichteten Teutschen Sprache / zuweilen recht untadelhafte Reime mit untergelauffen seyn; Wie deren unterschiedlich viele / so es der heblichkeit / weren einzuführen. Zum Exempel auß dem alten Heldenbuche:


∪ – ∪ – ∪ – ∪


Eligas dem ward schwere
Da er die Red vernam /
Er sprach zum Lampartere
Der Streit muß vor sich gahn:
Wir wollen frölich hauen
Vnd laß dein Sorge seyn /
Ich hilff dir zur Jungfrauen
Komm' ich zur Porten ein. etc.

Diese Reime sind ohn tadel Jambisch oder Kurtzlange. Also singet Eck von Repkaw / in der Vorrede des alten Sachsenspiegels:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Ich zimmer als man sagt beym Wege
Des muß ich manchen Meister han /
Ich hab bereitet nütze Stege
Da mancher bey begint zu gahn.
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Ich kan zwar die Leute machen nicht
∪ – ∪ – ∪ –
Vernünfftig allgemein
Doch lehr ich sie des Rechtens pflicht
Mir helff es Gott der HErr allein.

Diese Reime sind alle recht und Jambisch / außgenommen die fünffte Zeil / so recht Trogaisch:
Also sind auch folgende auß Hans Sachsen genommen / nach Jambischer Art recht

Von Christo.
Ein Sohn vom Vater bist uns geben
Mit allen Gütern Gnad' und Leben /
Bist uns geschenckt in uns zuschweben.
[55] Item:
Ein Leiter Jacob man dich zeigt /
Durch dich man zu dem Vater steigt /
Der sich durch dich zu uns geneigt / etc.
Item auß dem Theurdanck.
Sprach zu jhm Edler Fürst und Herr /
Eur Ruhm und Ehr wird weit und ferr /
In frembder Nation erkant /
Eur freudig / thätig / Manlich Hand /
Dadurch jhr preiß habt eingelegt / etc.

In diesen nun / und etwa derogleichen Teutschen Reimen / ist die Reimmaas recht zufinden; Wiewol doch dieselbe rechte Reimmaas / und alles andere / so zur rechten Reimkunst / und außhebung der Sprache gehöret / den Reimendẽ Alten ist unbräuchlich / wie erwehnt / und unbekant gewesen. Wir setzen demnach numehr das alte Tichten und Reimmacherey bey seite / und nach dem unserer / so uhralten / hochherrrlichen Haubtsprache der gnädige Glückstern zu diesen letzten Zeiten erschienen / die Kunstbahn darin von vielen Gelehrten und verstendigen Leuten eröffnet / und auff eine solche Ehrenstaffel der Gewißheit dieselbe erhoben ist / von welcher sie viel andere mit jhrem lieblichen / trotzenden und unvergleichlichem Vermögen überschauen und überthönen kan; Als erhehlen wir auch billich die rechte Zier / und die liebliche gewisse Art des Reimens / versuchend also / verhoffentlich nicht vergebens / auch in diesem / so hochgepriesenem / überlieblichem und Kunstvollem Stücke /nemlich der Poesis, auch diese unsere Sprache in eine Kunstform gebürlichen einzuschiiessen.

2. Was von der Reimung der Wörter / so unterweilen / [56] ob zwar gar selten / bey den Lateineren und Griechen mag gebrauchet worden seyn / davon zu sehen Alstedius in Encyclop. lib. 26. cap. 3. seqq. Iul. scal. poet. lib. 2. c. 2. etc. oder wie sie die Frantzosen und Italiener auff genommen und beobachten /davon unter anderen / Claudius Fauchet, Ronsardus, Duretus, Torquatus Tassus etc. meldung nachrichtlichen thun; oder auch wie die Mönche vormals / so wol auff Teutsch / als nach der Teutschen art das Lateinische gelappet und gereimet / davon die alten Bücher voll seyn; oder auch / wie die uhralten Teutschen / die Barden / die Scalder und die Runen / das ist die alten Celtischen Poeten gereimet und abgemessen haben / davon Saxo Danicus, Olaus Magnus, Iohannes Magnus, und absonderlich D. Olaus V Vormius in seiner vor wenig Jahren außgefertigten Runica, oder Literatura Danica viele Sachen anführet / Solche und alle derogleichen Reimungen dienen nicht zu unserem Vorhaben / und gereichen nicht zu dessen nüztlichem Zwecke: Denn wir reden alhier von solcher Reimung / und der Reime abtheilung / so recht messig / Kunstgründig / lieblich / Steter gewißheit und auß den natürlichen Gründen und Quellen Teutscher Sprache erschöpffet und auffgebracht ist / und noch ferner Kunstrichtiglich zuerschöpffen und auffzubringen sey.

3.

Die Abmessung muß bey uns geschehen nach unseren Teutschen 2. Reimmaassen / und hat hierin die Lateinische oder Griechsche art gar nicht stat / noch einigen rechten Gebrauch.

[57] 2. Im allergeringsten nicht vermögen die Regulen /und die befindlichen Arten der frömden Sprachen einige richtige folge und Anweisung unserer Haubtsprache dareichen / nach welcher sie sich zu achten und zu formen hette:

Unsere Sprache ist gantz jhr eigen / allerseits nach dero rechtem Ursprunge rein und abgesondert von frömden / davon an anderem Orte ein mehrers ist gesaget worden. Und ist es in diesem Stücke gleichfals damit also bewandt / daß nemlich die abtheilung der Teutschen Reime nur nach Teutscher art / Natur und Eigenschafft geschehen muß / wann sonsten der rechte Teutsche Geist und angeborne Lieblichkeit sol unverlohren und unzerzwungen bleiben. Es ist zwar von etzlichen versuchet worden / die Teutschen Reime nach maasse und art der Lateiner zu messen und zu ordnen / aber wie solches unseren Sprachgründen ein unbekantes ist / und Teutschen Ohren widerig und Unpoetisch lautet / also wird und ist solche nachfolgerey von wenigen / ja von keinem recht beliebet und angenommen worden.

Es sind zwar unsere Wörter / gezwungener weise /auch wol etzlicher massen nach der Lateinischer Art zuordnen / Wie auß diesem Rätzel welches Clajus setzet / so lauter Hexametri sein sollen / abzunehmen.


– ∪ ∪ | – – | – – | – – | – – ∪ ∪ |

Ein Vogel | hoch schwe|bet der | nicht als | andere |

lebet
Nach keinm Thier strebet / sich in allen Winden erhebet
Vnd wenn die wůten muß er den fleissiger hůten /
Wechst in Feurs glüten / darff nicht als andere brüten /
Er zeucht nicht Jungen / der nie sein tage gesungen
Wird doch gedrungen / das offt mit Schalle geklungen /
[58] Er braucht kein Essen / wird von keinm Thire gefressen /
Kanst jhn nicht messen / weil er der ferne gesessen.

Derogleichen exempla seynd mehr beym Alstedio und Gesnero zufinden.

Also ist auch folgendes / zwar nach der Grichschen und Lateinischen abmessung zuverantworten / aber nicht wie erwehnt / nach Teutschen art recht auffzubringen.


Es seynd sonsten zwey Distica.


Der Glantz der Sonnen geht hoch über andere Sterne /
Das gegen jhrem Schein / dunckele Liechte sie seyn.
So gläntzt für andren Fürst / Ludwigs Krone so ferne /
Bey dem Gott ist wehrt / und der Apollo geehrt /
4.

Ein Reim / oder Teutscher Vers / ist eine Kunstmessige Ordnung der Wörter / vermittelst erforderter gewisser Reimmassen / mit gehörigem Reimlaute sich schliessend.

Vel: Rythmus consistit in versibus duobus, cujus non modò ultima verba (die Reimwörter) congruunt, sed cujus singulæ syllabæ certo numero & quantitate decurrunt, ita tamen, ne puritas sermonis usquam violentur, aut detertæ contorqueantur vocabula. Ob zwar das Reimen ein nothwendiges Stück des Teutschen Verses ist / so gar / daß er auch deshalben ein Reim genennet wird / So ist dennoch auß vor gesetzter Beschreibung des Reimes abzunehmen / daß darin mit nichten allein das Reimen / oder die Reimung anzusehen; Sonderen vornemlich die rechte Ordenung der Wörter / so geschehen muß [59] durch gewisse erforderte Reimmaassen / zubeobachten und hochmercklich zu betrachten sey: Kein Teutsches Vers machen kan ohn Reimen geschehen und hergegen kan auch kein Reim recht werden / es müssen alle Wörter darin nach erforderter richtigkeit der Reimmaassen / wolgeordnet werden.

5.

Es ist in abmessung eines Teutschen Verses oder Reimes haubtsachlich in acht zunehmen I. Die Glieder (Reimglieder / Regiones) und II. die Abschnitte. (Cæsuræ.)

6.

Die Glieder sind die theilbaren 2. Stücklein eines Verses / welche durch jede 3. Reimmaas getheilet und unter sich gesondert werden můssen.

2. Die Glieder oder Reimglieder sind also genant /weil dadurch jeder Reim / als ein Leib oder ein gantzes / Gliedweis getheilet und gesondert wird in seine ergäntzende Stücke oder Theile: Daß dahero im Reime mit nichten allein zuhinten die Reimung / sondern auch vornemlich die fůgliche und erforderte zusammenhengung der Glieder / oder Reimglieder muß betrachtet und in acht genommen seyn. Es werden aber 3. diese Glieder im Reime stets-gewisser weise unter sich gesondert und abgetheilet durch die Reimmaassen / also und dergestalt / daß eine jede Reimmaaß ein Glied abmisset: Wie vielsilbig darüm die Remmaassen seyn / von gleicher vielsilbigkeit müssen auch die Reimglieder seyn.

[60]
7.

Es můssen aber die Glieder oder Reimglieder fein wolständlich aneinander hengen / und den Leib des Reimes naturmessig / und Kunstfest zusammen fůgen / damit kein Mißglied daran etwas verunziere und Tadelhafft machen möge.

Wie aber nun solches allerseits recht zuerkennen und zu beurtheilen / davon wird hin und wieder in diesem Buche an gehörenden örteren gebandelt: In gemein nur ist dieses alhie zuwissen daß die Zusammenfůgung der Reim Glieder nach Teutscher Eigenschafft nicht eben nötige und stetige Theilungen der Wörter erfordere / sonderen es können sich entweder die Reimglieder mit jedem Worte wol endigen / oder kůnnen lauter einsilbige in sich haben / oder auch sich fein zumitten der Wörter abschneiden und dieselbige theilen / als im folgenden / worin lauter einsilbige Wörter:


Mein Trost | und Hülff | ist nur | mein Gott |
Mein schutz | und Schild | in Angst | und Noht: |
Er ist | der HErr | der hilfft | und tröst / |
Er ist | der HErr | der mich | erlöst. |*

Im folgenden aber hengen die Wörter zusammen /und werden durch die Reimmaassen getheilet / als:

[61]
Gerecht | er Leut | e Licht |
Verlesch | et nim | mer nicht |:
Die Hertz | ens fromm | en hab | en
Der Frewd | en reich | e Gab | en.

Op. Ps. 97.


Im folgenden aber machet jedes Wort eine Reimmaas / und bleiben also die Wörter durch die Abmessung unzertheilt / als:


Liebster | Herre / | frommer | Vater |
Milder | Geber | bester | Rahter / |
Wollest | nebenst | Gnaden | blicken |
Täglich | Hulffe | runter | schicken.
8.

Es ist dieses annoch zuerinnern / daß man die Abmessung / oder den Hinlauff der Reimglieder im außreden gar vernemlich müsse hören und gleichfliessend außreden können: Denn gemeiniglich eine Reimart in Teutscher Sprache hat jhre eintzige gewisse Reimmaas / nemlich von welcher Reimmaas ein Vers anfehet / von eben derselben muß der Vers und das gantze Gedichte abgemessen werden / denn in TeutscherPoesi nicht also / wie in anderen Sprachen die / pedes unter sich in einem Verse vermenget und durcheinander gesetzet werden. Also gehet der anfang Trogaisch oder Langkurtz an / als:


– ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Liebe nun wer nur zu lieben.


So müssen auch alle folgende Zeilen oder Verse von gleicher abmessung seyn. als:

Liebe nun wer nur zu lieben
Rechten Fug und Mittel hat /
Es ist keine solche That
[62]
Die verbotten ist zu üben /
Wann du nur bestrickt nicht bist
Von der Wollust hinterlist / etc.

Oder gehet der Anfang Jambisch oder kurtzlang an / als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Die Seele doch allein und bloß /

So müssen gleichfals alle folgende Zeilen oder Verse von eben dieser Reimmaas abgemessen werden / als:


Die Seele doch allein und bloß /
Fleucht / wenn sie wird des Cörpers los
Zum Himmel / da sie hergerüchret.
Was diesen schnöden Leib betrifft /
Wird nichts an jhm als Stanck und Gifft /
Wie schön er vormals war / gespüret. etc.

Oder gehet der Anfang Langgekurtz oder Dactylisch an / als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Eiserner Himmel / ey öffne die Riegel /

Alsdann müssen gleichfals die folgenden Zeilen oder Reime von gleicher Abmessung seyn / als:

Eiserner Himmel! O öffne die Riegel /
Trübes Gewölcke / verwebe dich doch /
Mitten / ja mitten brich Eiserner Joch /
Schweres betrucknis ey las doch den Zügel:
Feurige Berge fast über mich fallen /
Bleierne Felsen mich trücken so schwer /
Jammer und Hertzeleid häuffet sich mehr
Lasset mich unter den Dornen nur wallen *

Es ist aber wol zumercken / daß dasselbe / was alhie von ungeenderter Gleichheit der Reimmassen ist erwehnt / [63] [70]Stat habe in den Jambischen / Trogaischen /Dactylischen und Anapestischen Haubt Reimarten /Wenn sie nemlich rein und unvermenget seyn; Dann daß in den neuen auffgebrachten und ferner auffzubringenden Reimarten die Reimmaassen auch in einer Zeil verwechselt und untereinander gesetzet werden /solches ist ausser zweiffel / wie gründlichere Nachricht zubefinden im folgenden Neundten Capitel.

Er ist aber dieses nicht von nöhten / daß allezeit mit dem Reimschlusse auch die gantze Meinung und Spruchrede vollendet werde / sonderen dieselbe kan gar wol biß in den folgenden Reimschluß zuweilen erstrecket werden: Machet derohalben ein jeder Reimschluß / auch nicht den Schluß in jeder Meinung / wie davon die exempla hin und wieder zu finden seyn.

9.

In den Dactylischen und Anapestischen oder in den Langgekůrtzten und gekurtzlangen Versen stehet es zierlich / wann die Wörter durch die Reimmassen fein zertheilet und aneinander gehenget werden: Nicht aber lautet es so wol / wann jedes eintzeles Wort eine volle Reimmaas den gantzen Vers durch machet. Also stehen auch nicht / noch klingen wol die offtmahligen Einsilbigen Wörter in den Dactilischen Versen / weil dadurch der Dactylus etwas hart und gezwungen muß werden.

Darum lautet dieses auch nicht wol:


[70]
– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Welt und das Fleisch das wil ich jetz verachten
Gott den wil ich nur stets recht wol betrachten.

Viel besser lautet es wan diese zusammen hengen /als:

∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – –
Fleisches- und Gierde Lust soltu verachten
Himmellust / Gottes Genade betrachten.

Also lautet das folgende / worin jedes Wort eine Reimmaas machet / vielleicht nicht / so gar wol / als:


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Frölige liebliche lustige Sachen
Allezeit eitele Sterbliche machen.

Besser aber klinget es / wann die Wörter / durch die Reimmaassen fein zertheilet werden / als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Immer begehren die lustigen Sachen
Pfleget die Menschen nur eitel zu machen.
Das 2. Capittel
1.
I.

Der Abschnitt oder die Cæsur ist ein Abzug oder Stilstand im mitten des Verses / wenn man bey lesung oder abmessung des Reimes / ein wenig stille helt /gleichsam Athem holet / und also die Reimglieder durch den Abschnitt zierlich voneinander zeucht / als wenn man sagt:


[71]
Sein thun ist schlecht und Recht / | man siehet jhn nicht neiden
Noch an des Nechsten Noht / | die falschen Augen weiden.

Alhie schneidet sich der Vers zu mitten bey Recht und Noht ab / und muß daselbst ein wenig inne gehalten / und mit nichten der Vers in einem Thone und Athem hingelesen werde.

2.

Der Abschnit muß gebrauchet werden allein zu mitten des Reimes / und zwar nicht in allen und jeden Reimarten / sonderen nur in folgenden / nemlich:

I. In den Langkurtzen oder Trogaischen Reimarten / so acht- oder Neunsilbig seyn / muß sich der Abschnitt finden / und zwar alsbald nach dem ersten Gliede / als:


– ∪ – – ∪ – ∪ –
Alles geht | nach der tollen Welt
Niemand ist | welchem fast gefelt
Was doch Gott | uns geboten hat. etc.

Alhie ist der Abschnit / geht / ist / Gott / Woselbst bey Lesung muß etwas stille gehalten und gleichsam geathemet werden.

II. In den Kurtzlangen oder Jambischen Reimarten / so zehen- oder eilff-silbig seyn / muß sich der Abschnit mit dem anderẽ Reimgliede abziehen. als:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Du sagst es sey | der Spiegel voller List /
Und zeige dich | dir schöner als du bist /
Komm wilstu sehn / | daß er nicht liegen kan /
Und schaue dich | mit meinen Augen an.

Opit.


[72] Also auch in Eilffsilbigen:


Wir müssen fort | Gott hat es so beschlossen /
Die böse Welt | macht billich uns verdrossen /
Der Sünden Band | helt unsren Geist gefangen /
Der Himmel rufft | uns selber mit verlangen.

Rist 4. 6.


III. In den Langkurtzen oder Trogaischen Zehn-und Eilffsilbigen Reimarten muß sich der Abschnitt finden nach den beydē vordersten Reimgliederen / und also eine sonderliche Silb / nemlich die fůnffte machen / als:


– ∪ – ∪ – – ∪ – ∪ – ∪

Meiner Sünden Schuld | ist mir nun vergeben

Gott du bist allein | meines Lebens Leben

Wer ohn Gottes Huld | lebet der ist Tod:

Leben / Heil und Trost | ist allein mir Gott.


IV. In den kurtzlangen oder Jambischen Reimarten so zwölff- und dreyzehensilbig seyn / muß sich der Abschnitt mit dem dritten Gliede abziehen / als:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Wer seines Lebens Ziel | im Glücke nicht bedencket

Den hat die Sicherheit | in unglück eingesencket.


H. Harsdorf.

Item:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Der Tugend Ehren ob | laß deine Music seyn /
Es füllet das Gehör | und schallt ins Hertz hinein.

H. Harsdorf.

V. In den Langkurtzen oder Trogaischen [73] Reimarten so zwölff- und dreyzehensilbig seyn / muß sich der Abschnitt finden nach dem dritten Reimgliede / und also ein sonderliche Silbe / nemlich die siebende machen / als:


– ∪ – ∪ – ∪ – – ∪ – ∪ – ∪

JESu meiner Seelen Lust | laß mich dich anbeten

Laß mit treuen Hertzen Mich | in den Himmel treten

Laß doch deine Gnadenhand | fest er greiffen mich

Ich bin dein / ach sey du mein | Ewig-ewiglich.


VI. In den gar langen Versen / nemlich in den fůnffzehnsilbigen / so wol Jambischen / als Trogaischen / muß sich gleichfals zu mitten der Abschnitt finden / wie dasselbe folgendes zu ende des fůnfftten und sechsten Capittels zu sehen ist.

3.
Der Abschnitt aber muß allezeit einsilbig und lang sey / wie in vorgesetzten Exempeln zusehen.
4.

Es muß der Abschnitt allemahl entweder ein einsilbig Wort seyn / oder es muß sich ein mehr- oder vielsilbig Wort darinn / mit dem Abschnitte / endigen: als:


Zu viel ist eine Last / | zu wenig macht betrübt /

Wer zwischen beyden steht | den hat das Glůck geliebt.


H. Harsdorf.

Alhie findet sich der Abschnit in einsilbigen: in folgenden aber zu ende der mehrsilbigen.

[74]
Rom ist mein Vaterland | da bin ich reich gewesen
Vnd nun von dar verjagt / | jm Teutschen Land genesen.

H. Harsdorf. de lingua Latina.

Es stehet aber gantz heßlich und mißlautet / wenn man zu mitten des Worts wil abschneiden und in nen halten / und also den gantzen Reim verstümpelen und Radebrechen / als:


Die Tugend ist der best | e Schatz den ich hie habe

Sie ist die allergröß | est und Gottes Gabe.


Alhie werden die Wörter Beste und Größeste zumitten getheilet / welches gar nicht zuthun.
5.

Es ist aber zumercken / daß zu weilen wegen eines zierlichen sonderlichen Nachtrucks / Wenn entweder das ding vermengt wird / sich zusammen schleust /zusammen gehöret / etc. man alsdann den Abschnitt darnach und also forme / daß er sich gleichfals also einhenge und anschliesse / damit das ding desto lebhaffter vorgestellet werde.

Also sagt Herr Freinsheim recht und wol von dem schrecklichen Minen sprengen:


– – – Mit ungeheuren Knallen

Erheben Thürn' und Wäll' und in die Lůfften sprengen

In einem Augenblick' / und also Holtz und Stein /

und Blut und Rauch und Erd / und Kopff und Arm und Bein

und Spieß / und Schwert und Waff | en jämmerlichen mengen.


[75] Alhie vermenget sich der Abschnitt in Waffen mit dem folgenden Gliede / welches dieses Ortes wegen der erschrecklichen Augenblicklichẽ und Höllischen zusammenwerffung und wunderbarer Spreng- und Mengung der Dinge / eine sonderliche nachtrukende Zier hat.


Also setzet auch Ph. Cæsius.

Die Schu sind brauner Sa t / sehr artlich außgesticket
Vnd mit Galaunen eingefasset und geschmücket.

Alhie wird gleichfals nicht unrecht der Abschnitt ein mit folgendem Gliede in ein Wort gefasset /wegen des einfassenden Wortes und Dinges selbst.


Also auch wenn Herr Ristius 4. 10. sagt:

Ein Bräutigam | wenn Er die Liebste schauet
So wird sein Hertz den Freuden voll.
Wenn Jesus mein | er Seelen sich vertrauet /
Ach Gott wie ist mir den so wol!

Alhie wird der sonst nötige Abschnitt / nicht abgeschnitten / sondern henget sich in dem Worte Meiner an / daß also nicht unrecht angedeutet das feste unzertrenliche Vertrauen / und die wehrende Frolockung eines Christen wohin das schöne Lied zielet.

6.

Es stehet aber gar nicht im Verse / wenn der Abschnitt sich mit dem Ende seines Verses Reime / solche Verse werden auch bey den Lateineren Knuttel-Verse genant / als:


Iustitiæ cultor vitiorum strenuus ultor.
Ars manet, ars durat, Fortuna recedere carat.

[76] Dergleichen Verse in den Münchzeiten und bey hindansetzung der Lateinischen schönen Sprache sehr hoch seynd beliebet und auff die oberste Kunststelle gleichsam erhoben worden.

Also nun ist auch die Reimung / so der Abschnitt mit dem ende machet / Knuttelhardisch und untauglich / als wenn H. Opitz dieses auch also erinnert:


Ein gut Gewissen gibt auff böse Mäuler nicht
Wenn seiner Tugendlicht so klar hereiner bricht.

Item:

Auff güldnen Boden steht die recht erlernte Kunst
Man kan sie nicht ümsonst und bleibt nicht ohne Gunst.

Alhie machet die Reimung Licht-bricht: Sonst-Gunst / den gantzen Vers unanmuhtig und tadelhaft. Es klinget auch dieses übel und ist zuvermeiden /wenn nur der Abschnitt mit dem Ende des Verses eine Zustimmung deß Reimens oder verwanten Laut hat /also klinget nicht wol dieses:


Mein allerschönstes Hertz / süß ist dein Mündelein
Gleich wie der Honigseim und gehet lieblich ein.

Item:

Ergreiff mit beyder Faust gesuchte Lust und Freud
Die Sorge nur vertreib und alles bittre Leid.

Weil alhie Seim-ein / treib-leid sich halb reimet /als wird dadurch der Vers unlieblich: Denn es muß keine Reimung in Teutschen Versen / ohn die gebürende end-stehende sich finden. Doch ist hie nicht mitgemeinet die liebliche [77] art der Dactylischen oder Langgekůrtzten / denn daselbst kůnnẽ unterweilen die Wörter / ohn die endreimung / mit sonderlicher wolständlicher Lieblichkeit sich reimen / und mit sothaner Reimverwantschafft sich untereinander fortjagen / davon drunten meldung geschehen sol.

Also klinget dieses wol und artlich:


1.
Was strahlet / was pralet / was blitzen für Spitzen /
In diesem vortrefflichen Zimmer allhier?
Was: Sollen Poeten so sitzen und blitzen?
So gläntzen mit Kräntzen der ewigẽ Zier / etc.

Herr Cæsius.
7.

Der Mittelstrich kan auch gebrauchet werden zum Abschnitte: das ist: dieselben Wörter welche durch den Mittelstrich getheilet werden / kůnnen ihre Theilung und Trennung im Abschnitte unterweilen leiden und also zum Abschnitte gebrauchet werden.

Es ist aber von dem Mittelstriche / und dessen außführliche Vermeldung zusehen die Sprachkunst lib. 2. cap 19. wo selbst viel davon gesagt. Also werden diese Wörter durch den Mittelstrich getheilet:

Eine Erb Land und Handelstadt.
Ist Land-Stat ja Weltkündig.
Auß- ab- und einladen. Geist- und Göttlich. etc.

[78] Und dergleichen nach jhren / in ernantem Orte der Sprachkunst erwiesenen Gründen / welches wegen der Vielheit nicht alles anher zu schreiben: Sagt man derwegen in einem Verse recht:


Ist er so hoch begabt / und so ein grosser Mann

Der alles so gar schimpff und ernstlich machen kan.


Item


Das Lübeck eine Reichs- und grosse Handelstat.

Item:


Das Hertze sol auff Geist- und Göttlichs seyn gerichtet.

Item:


Hie ist dißmahl die Zu- und Abfuhr unbequem.

Alhie wird im Abschnitte getheilet Schimpfflich /Reichstat / Geistlich / Zufuhr.
8.

Es kan auch der Hinterstrich im Abschnitte gebrauchet werden: das ist: Es können die Wörter / welche durch das Hinterstrichlein ein E wegwerffen / gar wol zum Abschnitte gebrauchet werden.


Wer gerne lang' hie leben wil auff Erden
Der wil auch lang' und viel gequelet werden.

Rist. 4. 6.


In dieser Welt ist stet Uneinigkeit und kriegen
Doch folget stetem Streit' ein stetes nimmer Siegen.*
Und schliessen zu ein Aug' um nicht zu schauen an
Die That / drob wol der Höll' ein grauen kommen kan.

Bart.

[79]
9.

Es hat aber der Hinterstrich den Nahmẽ in Teutscher Sprache daher / weil er nirgends / als zu hinten des Wortes und zwar oben gesetzet wird / als komm' / ich lieb. Von dessen / des Hinterstriches / rechtem Gebrauche zu mercken / und zwar:

I. Das Hinterstrichlein deutet ein außgelassenes E an / und muß alsden gebrauchet / und oben an zu hinten des Wortes gezeignet werden / wan das folgende Wort von einem Selblautenden sich anfähet / als:


Ich komm' ach Gott mit klagen /
Ich seufftz' / ich wil gern sagen
Mein' Angst und grosse Noth. etc.

II. Wann aber das folgende Wort sich von einem H anhebet / alsdann kan erwehntes Hinterstrichlein auch wol gebrauchet / oder aber außgelassen / und der Buchstab E gesetzet werden / als:


Ich liebe hertzlich dich. Oder:
Ich lieb' Herr hertzlich dich. etc.
Wan jhre Hertzen eines seyn /
Und wann jhr' Hertzen eines seyn / etc.

III. Die Wörter aber so auff den Doppellaut / je außgehen / als knie / nie / sie / wie / hie / die / schrie /etc. kůnnen vermittelst des Hinterstrichleins das E nicht weg werffen / [80] ob schon ein Selblautender darauff im folgendem Worte sich findet / als:

Wie ist die erste Kunst noch nie uns angegangen.
Alhie kan es nicht stehen Wi' Di' Ni' ob schon ein Selblautender darauff folget.

IV. Die Wörter gleichfals so auff den Langlaut ee außgehen kůnnen das letzere E nicht vonsich werffen /noch das Mittelstrichlein annehmen / als:


Wann ich die wilde See und alles Land außdencke.


Item:


Das Feuer / Hagel / Schnee und Rauch
Die loben Gott in gleichen auch.

Op. Ps. 148.


Alhie kan man nicht sagen Se' Schne'.


V. Es kan auch dieses Hinterstrichlein zu hinten des gantzen Verses / Stelle und stat haben; aber alsdan muß der folgende Verß sich nothwendig von einem Selblautenden / oder von einem H anfangen /als:


Hilff daß ich hie im Glauben geh'
In steter Treu und liebe steh'
Hilff Herr den Lauff vollenden. etc.

VI. Es kan auch dieses Hinterstrichlein zu hinten eines gantzen Reimschlußes gebrauchet / und das E also außgelassen werden / alsdann aber muß der folgende Reimschluß von einem Selblautenden / oder H anfahen.

VII. Das Hinterstrichlein / weil es / wie [81] gesagt / zu hinten stehen muß / kan es seine stelle zumitten des Wortes nicht finden / weil dadurch das Teutsche Wort verhärtet / verlähmet und verdorben wird.

Man findet zwar solches bey guten Poeten etzliche mahl an solcher Stelle / aber dasselbe ist nur zumercken und gar nicht als eine gemeine Nachfolge anzunehmen / als:


Messia sey gegrüßt / Weg / Warheit und das Leben /

Gott's Warheit / Gott's Verstand / Gott selbst / Gott uns gegeben.


Opit.


Bald wird es angesteckt / ein'n Hagel außzugiessen.

Freinsh.


VIII. An die Gebietungs weisen / (Modos Imperativos) weil dieselbe nach rechtet natůrlicher Form einsilbig / und die Teutschen Stamwörter seyn / bedarff es nicht einiges Hinterstrichlein anzuhengen / und das außgelassene E / so eigentlich dahin nicht gehöret /anzuzeigen.

Es ist auch bey den alten Meistersingeren für einen Fehler gehalten / wann die Wörter sind gleichsam halbiert / zusammen gezogen und die Mitlautere außgelassen worden: Und haben sie dieses schnurrende Reime genennet / als gborn / glibt / müssn. etc. für geboren / geliebet / müssen. Herr Harsdörffer in dem CLI. Gesprächspiele.

[82]
Das 3. Capittel
1.

Die Reimung ist nicht minder / als sonst ein Haubtstůcke des Teutschen Verses / in rechte Obacht zunehmen: Denn ob wol die blosse Reimung an sich gar keine Kunst ist / noch einigen Vers allein machen kan; Noch dennoch muß dieselbe nicht allein jhre nothwendige Stelle / ja einen Haubtort in den Versen vertreten / sonderen es muß auch die Reimung den Außgang und gleichsam ein liebliches / sich wolschliessendes Ende den Teutschen Versen geben; Dann solches in Teutscher Sprache eine sonderliche angeborne Anmuhtigkeit und Bewegung in sich hat /und mit sich daher fůhret / wo sonst recht nach der Kunst mit der Reimung verfahren wird.

2.

Es ist aber anfänglich zu wissen / daß zweyerley Art Reimwörter in Teutscher Sprache zufinden seyn /nemlich Einsilbige und Zweysilbige. Die Einsilbigen Reimwörter / [83] das ist / So offt der Reim Einsilbiger weise außgesprochen wird / sind dieselbe / in welchen sich alsbald mit einem klingenden oder steigenden Thone der Reim endiget / als: was-das / Land-Rand /Mein-sein / etc. Und solche Einsilbige Reimung hat man dißhero / nur zur Nachfolge der Ausländer / genennet / einen Männlichen Reim / oder Männliche Reimung Rhythmum Masculinum: Welches den vielen nicht vernemlich gehörig / noch deutlich zu sein gedaucht; Dann ein Weiblicher Reim hergegen ist /welcher zweysilbig außgeredet wird / als: heben /geben. Hören-stören. Reiben-treiben etc. Warumb aber der Weiblicher zweysilbig / der Mannliche aber Einsilbig sey oder seyn solle / dessen weiß man keine sonderliche Uhrsache noch deutlichen Begriff. Wird derowegen recht nach Teutscher art und nach verständlicher / leichtvernehmlicher andeutung ein Reim getheilet in den Steigenden und Fallenden.

3.

Ein Steigender Reim ist / wan in Einsilbigem Thone der Reim gleichsam auffsteigend sich endiget / als sehr-mehr. Hertzschmertz. Licht-nicht. etc. Woselbest man höret / daß sich alsbald mit endigung des [84] Einsilbigen Reimlautes / auch der Reim mit einem auffsteigenden Gethöne endige. Als allezeit in dem folgenden / welches ist ein Trogaisches Liedlein genant


Ergebenheit Gottes:

1.
Liebster Gott / getreuster Freund
Bistu dennoch / ob schon seynd
Alle Menschen wider mich
Wie auch leider! selbsten ich.
2.
Wan mein Hertze / wie zerbrant /
Wird mit Klamren eingespant /
Und mein dencken Siñlos wird /
Und die Ruhe wird verirrt:
3.
Dennoch du Gott / du allein /
Scheust den Gnaden-Sonnenschein /
Sprichst mir freundlich-gnädig zu /
Trosthülff bistü Gott / ja du.
4.
Nun ich komme nah und fern
Gott ist Leit- und Glůckstern:
Gott mein' Hůlffe / Trost und Raht
Freude / Ruhe / Kunst und That. *
4.

Der fallende Reim ist / wann nach dem Reime allemahl eine noch anhengende Silbe [85] mit hinfelt / und muß derwegen bestehen in Zweysilbigen Wörteren /als schreiben / treiben / bleiben etc. Alhie ist der Reimlaut / eib / welcher gereimet wird durch schreib /treib / bleib / doch also / das die anhengende Silbe en / dabey bleibe / mit-hingehe / und hinfallend außgeredet werde / deshalben dañ nicht unvernemlich solche zweysilbige Reimung Fallend kan genennet werden. Wie denn in Teutscher Verskunst die Benennung des Reimes also / nemlich steigend oder hinfallend billig sol genennet werden. Im folgenden ist allezeit der Reimfallend / ist auch ein Trogaisches Liedelein zenant


Unglůckstrifft.

1.
Wolcken durch den Wind getrieben /
Hinvergehen / hinverstieben:
Durch den Sturm erregte Wellen /
sich darauff zur ruhe stellen.
2.
Nur der Mensch bey Leibes leben /
Muß in steter Unruh schweben /
Ist ein Unglück abgewichen /
Stets einanders komt gestrichen.
3.
Sonne gehet auff und nieder /
Frost auff hitze find sich wieder.
[86]
Stets die Nacht der Tag erreichet /
Dürres Land ein Regen weichet.
4.
Unser Unglück komt stets wieder
Grössers treibt das grosse nieder /
Ist ein arges abgewichen
argers komt heran gestrichen.
5.
Stetes plagen / stetes dencken /
Stetes trauren / stetes trencken /
Stetes wollen / nimmer haben
Trifftweis kommet hergetraben.
6.
Unser Streben / unser muhen /
Unser hin- und wieder ziehen /
Unsers Wůnschen / unsers wagen /
Muß / wie offt! den blossen schlagen.
7.
Unser Leben muß sich waltzen /
Alle Lust wird uns versaltzen:
Eine Stunde haben Freude /
Wuchert gantze Jahr voll Leide. *
5.

Die Reimung nun an sich / bestehet eigentlich und recht darin / wann der Reimlaut vornan die Mittlaurere (consonantes) verändert. Als wann man sagt: Land / Hand / Tant / Brand / etc. Alhie ist der Reimlaut /das ist / derselbe Laut so muß gereimet werden / [87] Ant /solcher Reimlaut ant nun / kan und muß gereimet werden durch Veränderung der vornstehenden Mittlautere / als kant / want / Rant / Schand / Plant etc. Item: in Zu ist der Reimlaut U / wenn solcher nun durch verenderte Mitlautere gebrauchet wird / alsdenn reimet sich zu / du / Schu / ruh / thu / Kuh / etc. Also wenn man sagt schreib / ist hierin der Reimlaut eib /Krafft nun besagter Erweisung / wird darauß bleib /reib / treib / scheib / Weib / Leib / etc. Und also durch und durch. Dabey gar wol zu desto leichterer Ersinnung der reimenden Wörter / dieses zumercken ist / daß man den Reimlaut etwa vorsich schreibe /oder wol im sinne behalte / und hernach das A / B / C / von anfang biß zu ende durch dencke / und wol acht habe / was fůr Mitlautere da kůnnen solchem Reimlaute zuvorn beygefůget werden: Solcher massen wird nicht leichtlich einem ein anhero gehörendes Wort entgehen / oder ungeformet bleiben können / als zum Exempel. Man lasse Acht den Reimlaut sein / und besinne sich besagter massen / dan wird man ohne můhe finden Acht / Bracht / Dacht / Facht / Fracht / Jacht /Kracht / Lacht / Macht / Nacht / Pracht / Schacht /Schlacht / Sacht / Tracht / wacht. [88] Item / Man nehme zum Reimlaute Alt / und durchgehe ordentlich gedachter weise die Buchstaben / dan findet sich Alt bald / falt / halt / kalt / galt / gestalt / lallt / prallt /rallt / schalt / schallt / Wald / wallt / stalt / etc. Und also durch und durch / darauß folget / daß sich rallen /prallen / Mertzen / Schmertzẽ / rennen / trennen / gar wol reimen / weil sie ja unlaugbarlich den rechten Reimlaut enderen; dan anders ist rall / ein anders ist prall / ein anders ist Mertz / ein anders Schmertz / ein anders Reñ / ein anders Treñ etc. Dieweil die Reimung wie Her Buchner sagt / nicht so sehr bestehet auff gleichheit der Buchstaben / als auff dẽ Laute selbst / der allein die Regul der Reimung ist. Darum so offt der Reimlaut / wie schon erwehnt / kan geendert werden durch Vorsatz anderer Buchstaben / So offt muß auch die Reimung gut und untadelhaft seyn. Und dieses hat nicht allein in Einsilbigen Wörteren /das ist in Steigenden Reimen / davon gesagt / seine durchgehende untriegliche Richtigkeit / sonderen auch in den zweysilbigen Wörteren / das ist / in den Fallenden Reimẽ / wan nur der rechte Reimlaut wol uñ genau wird in acht genommen / als. Singen / alhie ist der Reimlaut (daß ist der Laut so sich reimen muß ing / solcher nun muß bloß allein / [89] und nicht en / oder gen / im singen gereimet werden: Gibt sich auch also vermittelst erwehnter Anleitung leichtlich an die Hand /ingen / bringen / dingen / dringen / fingen / gingen /hingen / klingen / lingen / ringẽ / Singen / Springen /schwingen / schlingen / wringgen / zwingen etc. und also in anderen ferner.

6.

Es ist dieses auch nohtwendig zu mercken / Ob wol etzliche bißhero erinneret / daß viele Wörter / welche schon dem Buchstabe nach eine gantz gleiche Endung oder Reim-endung haben / dennoch aber nicht solten in Versen kůnnen gereimet werden; aldieweil sie etwa der Scherfe / Gelinde / oder Gethöne nach / nicht überal gleichlautend außgesprochen würden: Wie denn Opitz saget / daß sich nicht reimen künte ehren und nehren: Buchner aber / Glaßreime sich nicht mit naß:Cæsius meinet auch Nachreime sich nicht mit bach etc Aber sothaner Erinnerung von wolerwehnten Authoren ist bißhero noch nicht Lehrsatzweis erwiesen und bewehret worden; Nemlich / welche und wie viel Wörter / die dem Buchstabe und Reimlaute nach gleich seyn / im außreden solten ungleich und also zur Reimung unbequem seyn. Denn es scheinet fast ein gar unthünliches und vergebenes zu seyn / daß man richtig beweisen könne / welche und wie viel Wörter /wie auch / und an welchen örteren in Teutschlande /sothaner weise im außreden und geleute etwas ungleichlautend weren / zum eintzigen Exempel / wenn einer wissen wolte / wie [90] die Schlesiere / Meisnere /Oberländere / Nieder-Sachsen etc. doch außredeten Ehren / behren / fehren / lehren / mehren / sehren /nehren / kehren / weren / scheren / schweren / etc. Gewiß was dieser Per Eta / wird jener E außsprechen / und das dieser ä ein ander hinwieder ee: also daß in diesem / solcher massen / ein lauter ungewisses und gar zu genaues demselben entstehen wolte / So dem nachzusinnen / und einigen Grund durchgehender gewißheit zulegen versuchen möchte. Und ob schon die Meißnere / oder vielmehr etzliche deroselben nach jhrer Meinung / etwa jhren gewissen Ausspruch hetten / wie ohn zweiffel nicht zu leugnen / kan doch solches den anderen Teutschen zu keinem nachtheile oder einiger Irrung gereichen. In anderen Sprachen auch ist die Außrede nicht überal ebenlautend und gleiches Thones / solches aber / wan man sonst im Grunde recht einig und der Sprachen mechtig ist /wird nicht sonderlich geachtet / noch einiges tadels bezüchtiget. Die Meinung ist gar grundbrüchig und hinfällig / welche hievon etzliche also haben / daß sie hoffen dürfen / den Thon der Teutschen Wörter nach jhrer eingebildeten oder angemasseten Ausrede zu rechtfertigen oder zuverdamnen. Nach dem Grunde ist dieses / was schon gesetzt / richtig und wahr / daß /so offt der Reimlaut durch die vordersten Letteren wird verendert / daß so ofte auch eine gute Teutsche Reimung entstehe: Darüm denn kan man gar wol reimen aß / Glaß / Graß / naß / Paß / faß / saß etc. Weil der Reimlaut aß richtig verändert wird. Item: Ach /Bach / dach / nach / krach / fach / schach / etc. Weil Ach gleichfals besagter massen geendert wird. Etwa eine vermeinete [91] Härte oder Gelindigkeit wird weniger als nichtes zur Sache thun / denn was nach eines Meinung hart / würde nach jenes Gehörmaas gelind seyn /was diesem weich / würde dem andern hingegen scharff klingen / und so forthan. Und ob schon in einem und anderen der Unterscheid mercklich und bleiblich sein möchte / gibt sich dennoch deswegen keine wichtige Erheblichkeit an die hand / diesem fast weitleufftigen dinge / welches doch / Krafft der gegebenen Regel in seiner sicheren bleibenden durchgehenden richtigsten Gewißheit sein und bleiben kan /eine oder andere Ungewißheit und Laut-deuteley anzuwerfen. Es ist auch weder von Herrn Opitz noch anderen Teutschen Poeten / wie hin und wieder offenbarlich zusehen / dieses in acht genommen / und hat Herr Opitz klüglich dafür gehalten / in dem er selbsten saget / daß man durch die Reimung das wort an sich so schwer und ungewiß nicht machen müste.

7.

Weñ der Laut gleich ist / ob schon die Buchstaben nicht gentzlich ůberein stimmen / So mögen sie doch ohn alles Bedencken gereimet werden sagt Herr Buchner recht / als: Blůhen-ziehen: Lebet-gräbet: Gethön /stehn / etc. Dabey nun zumercken / daß die Kleinlaute ä / \ / ů / solcher massen meistentheils gebrauchet werden / weil sich derē knenlicher geschöbelter Außspruch in solcher Reimweise mit ö / e / ie / eh / i / ih /vergesellen [92] lesset. Kan nun aber diese Regul in Reimung der Wörter gelten / wie sie dan gilt / So muß vielmehr auch dasselbe / was in vorgehen dem Lehrsatze zu gewisser Erkentniß der reimenden Silben ist berůhret worden / Krafft und stat haben / aldieweil darin noch eine viel nähere Reim-Verwandschafft der Wörter zu spůren. Es reimet sich derowegen nach dieser Regul wol und recht folgende / als in H. Ristii Himlischen Liederen:


Finden-Stünden. Nehmen-zähmen. Speiet-streuet. Dir-für. Heeret-störet. Süß-Paradiß. Dienet-sühnet. Sey-scheu / etc.


Item: In Herrn Opitzen Psalmen


Ihn-hin. Ist-kiest. Drücken-blicken. Zeugen-steigen. Ziel-wil. Hin-zihn. Mir-für. für-zihr. Giessen-füssen. than-an. Freut-keit. Hast-fast. Noht-Gott. Raht-Stat. Gab-haab. Hůtten-wüten. Kömt-nimt / etc.


In den Gesängen vom Rasenden Rolande:


Thet-hett. Schreien-reuen. Sinnen-künnen. Blätter-Wetter. Riebe-Trübe. Wil-vil. Schier-Thür. Treu-sey. Lügen-gnügen. Thron-Sonn. Thal-stall. Recht-möcht. Müssen-fliessen. etc.


In dem neulich verteutschtem Bartas.


Hette-Röhte. Zierd-spůrt. Schmitten-wüten. Gleicht-kreucht. Dient-find / Zeit-heut. Grimm-üm. er-neer. Lust-küst. etc.


[93] In den Meister Gesängen wird diese Reimung genandt die Rührende / angesehen die Reimwörter nicht so gar rein und gleichlautend eintreffen / sonderen sich nur Reimstimmig rühren / doch also / daß es für eine zulässige Reimung behalten wird.

8.

Auß vorerwehntem Grunde des Reimlautes kan man die Mißbräuche und Fehlere / so bey machung derer Reime einzuschleichen pflegen / leichtlich ekennen und vermeiden. Als wenn man Wörter / die an Buchstaben und Endungen gantz gleich / doch aber unterschiedlicher Bedeutung seyn / und in einem Verse anders / als im anderen werden / dennoch aber zur Reimung gebrauchen wolte / als:


Wilstu sein der Weise
Und hast solche weise.

Item:

Du nimst es nicht in acht
Das du bist in der acht.
Item:

Wir müssen es doch wagen
Und sitzen auff den Wagen etc.

In diesen nun und dergleichen ist die rechte Reimung falsch / oder vielmehr ist gantz keine Reimung daselbst / Krafft des gesetzten gewissen Grundes /daß der Reimlaut / der alhie ist eis / acht / ag nicht wird durch abgewechselten Vorsatz der mitlautenden Letteren verändert / sonderen es bleibet eben derselbe Thon / derowegen es keine Reimung kan genant [94] werden. Die Frantzosen zwar / wie auch die Italiäner nehmen den Reimlaut nicht allezeit in acht / wie bekant. Solches aber gibt oder nimt der Teutschen Kunst und Reim-richtigkeit nichtes / Deñ wir jhnen nachzurennen keines weges angehalten. Es gehören auch zu dieser Regul die Abgeleiteten / oder derer Endungen /Lein / lich / keit / heit / die von etzlichen nicht recht als gebrauchet seyn / denn es reimet sich nicht / wenn man sagt:


Mein allerliebstes Jungfräwlein /
Schenkt mir eur treues Hertzelein.

Item:

Es ist voll Gall' und Bitterkeit
Und lauter Unbarmhertzigkeit.
Item:

Die Sach ist mir beforderlich
Nur du bist mir verhinderlich. etc.

Herr Augustus Bůchner erinnert dieses gleichfals /und saget / daß unsere Poesis desto volkommener sein könte / wan man sich solcher und derogleichen Nachfolgerungen entschlagen wůrde.

9.

Also bestehet auch in Fallenden Reimen dieses nicht /daß der mitlautende Buchstab zumitten des Reimlautes / in einen anderen / jhm verwanten mitlautenden Buchstab verendert werde / als in Breiten / allhie ist die hinfallende Reimlaut eiten / und das / t / ist der Mitlautende zumitten des Reimlautes: Dieses / t / nun / in eiten / kan man nicht reimen mit Leiden / weiden /etc. denn daselbst ist ein d zumitten des Reimlautes /und also das t verendert / welches deñ im ausreden einen austrůcklich-unterschiedenen [95] Thon / und also die Reimung unrecht und ungereimet machet. Also reimet sich auch gar nicht gerissen-Spitzen: Wagen-Sachem Streiffen-gleichen / etc. Und derogleichen /aus Uhrsache / weil der Fallende Reimlaut seine Mitlautende zumitten nicht behelt.

10.

In Steigendem Reime aber ist es nicht unzulässig /daß der letzte mitlautende Buchstab verändert werde in einen anderen / der jhm also gleich lautet / oder aber verdoppelt werde / also reimet sich recht / Land-Tand / Noht-Tod / Bis-Riß / wilt-gilt / danck-gang wol-soll / etc. Ob schon die letzte Letter d in t / und s in ß / g in ck / l in ll etc. verendert wird / denn der Laut / So alhie Einsilbig und Steigend ist / kan im Außspruche / weil sich der alsbald endigt und abzeucht / keinen Unterscheid noch Enderung mercken / und wird derohalben die Reimung guht / als:


Bin ich nicht denen hertzlich feind /

Die dir / Herr / nicht find wolgemeint.

Op. Ps. 139.


Ich wil dir al mein lebenlang

Von Hertzen sagen Preis und Danck.

Rist. 1. 1.


Also reimet sich auch in den Gesängen des rasenden Rolands:

Band-rant. was-laß. end-rent. feld-held. wol-voll. etc.


In dem verteutschten Bartas:


Stund-kunt. Gesang-Klanck. öhl-quell. Welt-stellt. Quitirt-wird. Hengt-krenckt. Schand-kant. kund-rund etc.

11.

Gleichfals kan auch dieses nicht stat haben in den[96] Fallenden Reimen / daß nemlich der eine Reimlaut zu mitten mehr mittlautende Buchstaben / als der ander habe / also reimet sich nicht recht kůnnẽ-sühnen / hatten-rahten / Stammes-lahmes / Schlemmen-nehmenetc. Denn weil alhie zu mitten des Reimlautes zwo Letteren als nn / tt / mm / sich finden / im Mitt-Reimworte aber nur eine solcher Letteren zu mitten bleibet / als folget / daß die Reimung in etwas falsch werde. So reimet sich auch ferner nicht Bläter-retter: Trennen-dehnen / rasen-hassen / lassen-blasen / tappen-wapen / Wonne-lohne / Stossen-Rosen etc. Wiewol doch solche und derogleichen Reimungen in vornehmen Authoren zu finden seyn: Ist aber ein solches vielmehr nur zu mercken / als überal nachzuthun:

12.

Ist demnach schließlich auß dem jenigen / was bißhero nebenst gebührlicher Erweisung angeführet worden / zuerinneren und Haubtsachlich zuwissen / daß der Reim oder vielmehr die Reimung sey entweder Rein oder Unrein: Ein reiner Reim ist wann der Reimlaut so wol nach der Schreibung / als nach der Ausrede richtig verbleibet / und nur durch die vorgesatzte Mitlautere verändert wird / als zũ Exempel: Siñ / woselbst der Reimlaut ist inn / wann man nun reimet Sinn / kinn / hin / Gewinn / Spinn / etc. Alsdann bleibet der Reimlaut allemahl richtig / so wol der Schreibung / als der Ausrede nach / und wird nur durch die vorstehende Mitlautere k / h / sp / w / etc. verendert. Also reimen sich rein diese: Ant / Hand / Land /Wand / Brand / Schand / Rand / Sand / fand / etc.[97] Item diese: Ein / mein / dein / sein / lein / kein / fein /Bein / Schein / etc. Item diese / eht / geht / weht /steht / dreht / fleht / schmeht / etc.

Ein unreiner Reim / oder eine unreine Reimung ist /wan der Reimlaut oder die Reimletteren nach der Schreibung nicht behalten werden / und doch dem Gehör gemeß kommen: oder aber / wan die Schreibung zwar gleich ist / die Ausrede aber ungleich eintrifft / und etwas mislautet / als zum Exempel: geht /woselbst der Reimlaut ist eht; Dieser Reimlaut eht nun / reimet sich mit weht / höht / seet / etc. Item / ehr / kan sich reimen mit wehr / leer / stör / gebär / etc. Item eben kan sich reimen mit heben / stäben / stöben / etc. Aber in diesem und derogleichen ist nicht eine Reine / sonderen eine unreine Reimung / weil unreiner weise / entweder dem Gehör oder der Schreibung nach / die Reimung sich findet: Welche unreine Reimung dann einem Poeten vergönnet und zulässig / so wol wegen mangel der Reinreimenden Wörter / als auch daß es gemeiner Werthabung vornehmer Poeten fähig / bißhero überal bräuchlich und auch dem Gehör nicht widerig ist. Doch aber daß man messiglich zuverfahren / und die Eigenschafften jeder Mundart zubeobachten sich befleissige.

[98]
Das 4. Capittel
1.

Die Reimarten aber / (wie das Wort klar lautet) zeigen an / von welcher Art / Wesen und Eigenschaft die Reime seyn / wie sie deñ auch zu desto besserer Erkentniß in drey Haubtordnungen kůnnen abgetheilet und recht gesondert werdẽ: nemlich nach den

1. Reimmaassen /
2. Nach den Reimschlüssen /
3. Nach dem Dinge oder Materi selbst /
[99] darin die Reime bestehen: Davon nun ferners sol gehandelt werden.
2.

1. Nach den Reimmaassen werden in Teutscher Sprache die Reime abgetheilet in vier Geschlechte / nemlich in Langkurtze / Kurtzlange / Langgkurtzte / Gekůrtzlange.

(Die Meistergesänge / derer in Teutscher Sprache von alten Zeiten her nicht wenig verhanden / haben auch zwar jhre sonderliche Nahmen und Arten / wiewol doch sonst nichts gewissers darin / als nur die Reimerey oder das Reimen / ist in acht genommen worden; Derohalben dann auch die Meister Sänger ertzliche Kunstwörter / zu anweisung des Reimens /unter sich auffgebracht und gebrauchet haben: Dan das metrum nennen sie das Gebänd: Rhythmum masculinum, oder die Steigende Reimung / nennen sie das Stumpfe Reimwort; Fæminum Rhythmum oder die Fallende Reimung nennen sie / das klingende Reimwort: Wann eine Silbe zu viel oder zu wenig ist / nennen sie es den Schillerenden Reim: Nehmen sonst die Zahl der Silben / und den Laut der Reimung gar wol /die rechte Maas aber der Wörter und des Verses / gar nicht in acht.)

[100]
Das 5. Capittel
1.

Folget derohalben das erste Reimgeschlecht / nach vorgesetzten vier Haupt-Ordnungẽ / nemlich die Langkurtzen Reime / das ist / dieselbigen Reime /welche durch und durch abgemessen werden / durch die Langkurtze Reimmaas – ∪: Dieses Reimgeschlecht nun / nemlich die Langkurtze oder Trogaische Reimart / begreifft in sich sechzehen unterschiedliche Arten / welche ordentlich also zuerkennen / daß sie

I. Bestehen künnen in zweysilbigen Verse / also daß jeder Vers / oder jede Zeile / nur durch eine Reimmaas vollendet wird / die Reimung aber ist allezeit Fallend / und heissen derowegen diese Reime.


Zweysilbig-Langkurtze.

als:


– ∪
Singet
Springet /
Lebet
Strebet etc.

[101] NB. Anmerckung.


Diese Zweysilbige Reimart wird schwerlich allein ein völliges Gedicht geben können / dieweil es nicht leichtfallen möchte / einen rechten vollen Sinn und Meinung zierlich dadurch und also kurtz auszudeuten: Wird derowegen diese art vielmehr zur Zwischensetzung gebrauchet / das ist / daß sie unter andere Reime in ein Reimgedicht gesetzet / dennoch aber darin für eine völlige Zeile und Landkurtzes Verslein gehalten werde. als im folgenden


Weihnacht-Liede.


Auff die Melodey / Wie schön leuchtet der Morgenstern / Darin in jedem Reimschlusse die Siebende und achte Reimzeilzweysilbig-Langkurtz seyn.

1.
O Fürstenkind auß David-Stamm'
O meiner Seelen Breutigam /
Mein Trost / mein Heil / mein Leben /
Wie sol ich ewig dancken dir
Daß du ins Elend kömst zu mir?
Was sol ich dir dan geben?
Es geht
Und steht
Ausser Leiden
Nur in Freuden
Was man siehet
Weil der Friedens Fürst einziehet.
[102] 2.
Ich selbsten bin der Freuden voll
Ich weiß nicht / was ich schencken sol /
Dem außerwehlten Kinde?
Ach! Hertzens-Kind nim immer hin /
Nim hin mein Hertze / Muht und Sinn /
Und mich mit Lieb' entzünde.
Schleuß dich
In mich
In mein Hertze
Das ich schertze
Ja dich küsse /
Dich auch ewig lieben müsse.
3.
Bleib / höchster Schatz / O mein Sapphier /
O mein Orion bleib bey mir /
Du Hoffnung der Verzagten;
Du Himmelstau befeuchte mich
Du schönstes Manna zeige dich
Den Armen und Verzagten.
Laß nicht
Dein Licht
Hier auff Erden
Dunckel werden
Laß den deinen
Hie dein Wort noch ferner scheinen.
H. Cæsius.

II. Bestehen die Langkurtzen in Dreysilbigen Versen / also das jedes Verslein / oder jede Zeile durch eine Reimmaas abgemessen wird / aber noch eine Silb komt hinzu / und [103] behelt die Hinterstelle: Und solche Silbe muß sich reimen / weil der Reim alhie muß allezeit Steigend seyn. Es heissen diese Reime


Dreysilbig-Langkurtze.

– ∪ –

als:

Alles ist
Trug und List /
In der Welt
Da nur Gelt
Eitelkeit /
Haß und Neid /
Da regiert
Und stoltziert
Jederman /
So nur kan
Haben macht: etc.*

NB. Anmerckung.

Diese Dreysilbige Reimart kan zuweilen allein ein völliges Gedicht machen / wie auß dem hergesetzten zusehen / oder kan zur zwischensetzung und Vermengung mit anderen angewandt werden / woselbst sie denn auch eine volle Zeil einnehmen / und ein Verslein vollenden muß als im folgenden Trogaischen Liede / woselbst allemahl die eine Reimung durch die Dreysilbig-Langkurtze Zeile gemachet wird.


[104] 1.
Menschen Freundschafft / Menschen lieben
Wil ich nicht
Sich in solchem Lieben üben
Stets anficht.
2.
Gunst verschwindet / Menschen sterben /
Liebe fleucht /
Freundschafft haben kan nicht erben /
Welt die treugt.
3.
Himmel lieben / Gott gefallen /
Engelehr
Dieser Freundschaft nur für allen
Ich begehr.
4.
Sich von Menschen Gunst entfernen
Ist die Kunst /
So entweichen / kan man lernen
Gottes Gunst.
5.
Freunde suchen auff der Erden
Ist nur Spott:
Suche recht bekant zu werden
Nur bey Gott*

Im folgenden / dessen anfang auß dem XCV. Gesprächspiele Herrn Harsdörffers anhero gesetzt / ist diese Dreysilbig-Langkurtze art noch etwas anders gesetzt / als.


[105] Lob des Sommers.

1.
Wann der Schwangren Erden Zier
Bricht herfür
Und bringet an des Tages Liecht
Was der Baur jhr hat vertraut
Und erbaut
Daß uns in der Stat gebricht. etc.

III. Bestehen die Langkurtzen in Viersilbigen Versen / also das zwo Langkurtze Reimmaassen jedes Verslein abmessen / das ist jedes Verslein hat zwey Glieder oder vier Silben / die Reimung ist aber allezeit Fallend und heissen diese Reime:


Viersilbig-Langkurtze.

– ∪ – ∪

Als:

Liebe Jugend
Solst die Tugend
Stets hoch ehren:
Sie ist mechtig /
Sie ist prächtig /
Sie kan mehren
Alles gute /
Das Gemühte
[106] Gantz vergötten:
Sie kan geben
Sie kan heben
Sie kan retten.*

NB. Anmerckung:

Diese Viersilbige Reimart / kan gleichfals entweder allein zu einem völligem Gedichte wol gebrauchet /oder auch zur Zwischensetzung unterweilen angewant werden. als


In folgender Ode /

Woselbst andere und Sechste Zeil

Viersilbig Langkurtz seyn.

1.
Weißheit sage wo du bist / wo dein reicher Quell auffsteiget
Und sich zeiget
Träncke mich mit deiner Fluht /
Höchstes Guth
Laß mich deinen Most durchsüssen /
Und geniessen
Deinen Zuckersüssen Wein etc.
H. Cæsius.

Viersilbig-Langkurtz /

1.
Liebet Friede / legt zun seiten
Haß und Streiten /
[107]
Als den Brunquell aller Pein.
Werdet nicht hierinnen müde /
Weil zum Friede
Wir von Gott beruffen seyn.
2.
Friede wünscht er allerwegen
Für den Segen;
Friede / den das höchste Guth
CHristus als er ist gestorben
Hat erworben
Durch sein Leyden / Todt und Blut.
3.
Friede leßt dich deinen Bissen
Recht geniessen /
Wie dein Hertze selbst begehrt.
Darüm soltu Frieden suchen
Krieg verfluchen /
Krieg verzehret / Friede nehrt
Herr Tscherning.

IV. Bestehen die Langkurtzen in fůnffsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder Reimzeile zwo Reimmaassen / das ist zwey Glieder / samt noch einer Silben in sich hat / diese überbleibende fůnfte Silbe muß sich allezeit reimen / und ist die Reimung Steigend. Es heissen aber diese Reime


[108] FünfSilbig-Langkurtze.

– ∪ – ∪ –

als:

Numehr ist die ziet
Voller Eitelkeit
Voller Angst und Noht:
Unrecht und Gewalt
Haben auffenthalt /
Tugend die ist todt / etc.*
Item:
Einer richtet recht /
Herren und den Knecht /
Einer höret zu
Stets was ich und du.
Fassen in den Sinn;
Ende samt beginn
Ist jhm all bekant /
GOtt ist er genant.*

NB. Anmerckung.

Diese Fůnfsilbige Reimart kan gleichfals entweder ein völliges Geticht wol und allein machen / oder auch kan sie zur zwischensetzung gebrauchet werden als:

Im folgenden / so der anfang ist des 81 Ps. Opitii /ist die 1 / 3 / 4 / 5 / Zeile Fünffsilbig Langkurtz:


1.
Lobet jederman
Gott der groß von Stercke:
Singt wer singen kan /
[109]
Jauchtzet Jacob Gott /
Der ein Schutz in Noht /
Rühmet seine Wercke. etc.

Im folgenden / so der anfang ist des 99. Ps. des Opitii / seynd die 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / und 6. Zeile Fünffsilbig / die beyden folgenden Verse aber allezeit Sechsilbig-Langkurtz. als:


Gott der herschet wol
Als dem König soll /
Drum erhebet gar
Aller Leute Schaar:
Auff den Cherubin
Breitet er sich hin /
Daß das Volck der Erden
Gantz bewegt muß werden / etc.

Im folgenden ist die 2. und 4. Zeil Fůnffsilbig-Langkurtz / als:

Laßt sich freuen
Beydes Land und Meer /
rühmt den Lewen
Der von Juda her
Hell und Tod geschlossen. etc.

Herr Tscherning.

V. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen Versen in Sechssilbigen Versen; also daß jeder Vers oder Reimzeile drey Glieder / oder drey Reimmaassen in sich [110] helt / die Reimung aber im letzten dritten Gliede ist allezeit Fallend: Und heissen diese Reime


Sechssilbig-Langkurtze

– ∪ – ∪ – ∪

als:

Hoffen und viel harren
Machet lauter Narren;
Wan man Hoffnung streuet
Auff das so gereuet /
Auff das so wir wollen /
Aber doch nicht sollen.*
Item:

Gottes Willen kennen /
Gottes-Kind mich nennen /
Hiernach wil ich streben /
Weil ich werde leben:
Ander' Eitelkeiten
Werfen von den Seiten /
Wil gehn Himmel dringen /
Ey es sol gelingen!

NB. Anmerckung.

Diese Sechssilbig-Langkurtze Art / kan gar wol entweder allein ein Reimgedichte vollenden / oder aber auch zu zwischensetzung mit angewant werden /als:

[111] Im folgenden so auß dem 33. Ps. des Opitii ist genommen / ist 5 / 6 / 8. und 9. Zeile Sechssilbig-Langkurtz / als:


1.
Das Leben wird durch Gott entsetzet
Daß wir nicht kommen in den Tod:
Wir werden lebendig ergetzet
Von jhm in schwerer Hungersnoth.
Unsre Seel und Sinnen
Stelten jhr Beginnen
Und jhr Thun GOtt ein:
Er wil bey uns schweben /
Er ist unsrem Leben
Schutz und Schild allein. etc.

Im folgenden ist die 1 / 2 / 4 und 5. Zeil Sechssilbig Langkurtz / als:

Sein wir zuverdencken
Wan wir uns nicht krencken?
Bringt dan Kummer etwas ein?
Nein / die Zeit verrauchet /
Wer sie jung nicht Brauchet
Wird die Schuld jhm selber seyn.

Herr Tscherning.

VI. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Sieben Silbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile drey Glieder oder Reimmaassen in sich helt / aber eine Silbe zuletzt als die Siebende ůberbleibe / welche sich auch allezeit muß reimen /[112] und muß die Reimung Steigend seyn. Und heissen diese Reime /


SiebenSilbig-Langkurtze

– ∪ – ∪ – ∪ –

als


Lauter Sünd und Eitelkeit
Wachsen jtzund mit der zeit
Wurtzelfest und unvermerckt /
Als mit Tugend sich besterckt:
Tugend wird ein blosser Schein /
Dero Thun heist böse seyn.*

VII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Achtsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile vier Glieder oder vier Reimmassen in sich helt / und sich damit endiget: Die Reimung aber ist hierin allezeit fallend. Und heissen diese Reime


AchtSilbig-Langkurtze.

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Höchster Gott ins Himmels Throne
Meiner gnädig doch verschone!
Richte meine Sündenzeiten
Nur nach den Barmhertzigkeiten /
Ach mein Gott doch nicht abwende /
Nicht entzeuch die Gnadenhände /
Leib vnd Seel verschmacht mir Armen
Ohn des Herren stets-erbarmen:
[113]
Gott! mich leit auff rechter Strassen
Gott! wolst nimmer mich verlassen.*

NB. Anmerckung. II.


Es künnen aber diese Achtsilbig-Langkurtze auch also wol und mit einer sonderlichen neuen Art geordnet und gemachet werden daß alsbald nach dem ersten Gliede der Abschnitt (nemlich auff der dritten Silbe) sich finde / und hergegen nach dem dritten Gliede annoch eine Silbe (nemlich die achte und letzte) ůberig uñ allein bleibe / welche sich dan allezeit reimen muß / die Reimung auch muß Steigend werden. als


– ∪ – | – ∪ – ∪ –

Schmeicheley | ist der Falschheit Tück /
Treues Herr | hasset Schmeichel-stück.

Item:

Ach mein Gott | gib du mir daß ich
Wer ich sey | recht erkenne mich.

VIII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Neunsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile vier Glieder oder Reimmaassen in sich helt / zu hinten aber noch eine / als die Neunde Silb an sich nimt / welche Silbe sich muß allezeit reimen /und ist die Reimung Steigend: Und heissen diese Reime


[114] Neunsilbig-Langkurtze.

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

als:


Alles was die Eitelkeit erwirbt /
Wie die Blum' und Rosenblat verdirbt.*

Item:

Lieber Mensche habe doch gedult
Was wir leiden / leiden wir auß schuld.*
Folgendes ist Herrn Buchneri / darin die beyden letzten Zeilen Neunsilbig-Langkurtz seyn.

Wann wir nun gescharret in die Erden /
Ohne Geist zu leichtem Staube werden /
Was hilfft aller pracht und grosser schein /
Wird es nicht ein Schatte worden seyn / etc.

NB. Anmerckung.

Es kůnnen auch diese Neunsilbig-Langkurtze gar wol und schiklich auff eine neue Art also gemacht und geordnet werden / daß die letzte oder Neundte Silbe zum Abschnitte gebrauchet / und an stat der dritten Silbe / alsbald nach dem ersten Gliede gesetzet werde: Die Reimung aber bleibet alsdenn Fallend. als:


– ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪

Tugend ist | die stets wil lieben
Tugend ist | drin ich mich wil üben.*
[115] Item:
Lieber Mensch | hie in diesem Leben
Soltu nur | nach dem Himmel streben.

IX. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Zehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile entweder ohne abschnitt / sich in einer feinen Folge habe fůnff Glieder oder Reimmaassen / und sich also mit dem letzten Gliede die Reimung Fallend ende / und heissen diese Reime


Zehnsilbig-Langkurtze ohne Abschnitt.

als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Nun O Herre wollest endlich kommen
Dieser Pein uns lassen seyn entnommen.*

Im folgenden sind allemahl in jedem Reimschlusse die beyden ersten Verse zehnsilbig-Langkurtz ohn Abschnitt / die beyden Letzten aber Neunsilbig-Langkurtz ohn abschnitt / ist auß dem Cæsio genommen.

als:


Nahe dich du güldnes Licht der Freuden /
Wiltu denn so bald von mir abscheiden?
Und mich lassen ohne Sonn und Licht
Weil die trauren-volle Nacht anbricht.
Siehe wie so schön die Sternen lachen /
Und du wilt dich schon von hinnen machẽ?
Schöne / du mein Früh- und Abendstern
Nahe dich und bleib nicht so fern.
[116]
Wenn gleich alle Sterne' am Himmel schienen /
Könten sie mir dennoch wenig dienen /
Du alleine bist mein bestes Licht /
Bey dem keine Sonne mir gebricht.

Oder aber es werden diese Zehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte also geordnet / daß derselbe sich nach dem anderen Gliede an stat der fůnften Silbe finden lasse: Und die ůbrige Silbe sich zu hinten / an stat der zehnden anhengen / und sich allezeit Steigend reimen můsse: Diese Reime heissen


Zehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte.

als.

– ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ –


Nun O Herre komm | laß ein ende seyn
Schauest du denn nicht | wie uns trückt die Pein?
Wie der grimme Krieg | jmmer mehr beschwert
Und uns numehr hat | Marck und Bein verzehrt.*

Item:

1.
Weil die Nacht vorbey / und ich nun gesund
Wieder auß der Ruh' auffgestanden hin
Such' ich recht hervor meines Hertzens grund /
Fewre bey mir auf Hertze / Muht und Sinn:
[117] 2.
Alles nur darüm / daß ich jnniglich
Nur dich / meinen Gott / preise / rühm' und danck
Aldieweil du ja so gar gnädiglich
Wol bewahret hast mich mein lebenlang. etc.*

X. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Eilffsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder Reimzeile in sich habe fůnf Glieder oder Reimmaassen /doch daß nach dem anderen Gliede der Abschnitt sich allemahl finde: Die Reimung aber ist allezeit Fallend /und heissen diese Reime:


Eilffsilbig-Langkurtze.

als:

– ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪


Weil der böse Krieg | Teutschland überzogen
Drüm ist alles Recht | lengst hinauß geflogen.*

Im folgenden sind allemahl die ersten beyden Zeilen Eilffsilbig-Langkurtz / als:

1.
1. Nun mein liebster Gott / Gott von ewigkeiten /
Eh die Welt gegründt / eh noch Stund' und Zeiten
Hastu schon zuvor gesehn
Wie es mit mir würde gehn.
[118]
2. Hast in Mutterleib mich so lang versencket.
Wunderbarlich mich speiset und getrencket /
Bis mir Adren / Fleisch / Gebein /
Recht durch dich formiret seyn.
3. Mich gebracht ans Licht / gnädig mir gegeben /
Sinn / Verstand / und Hertz / Augen / Ohren / Leben /
Mich bewahrt von jugend her
In gefahr und in Beschwer.
4. Noht und Ungelůck oft mich angesprenget /
Teuffel / Fleisch und Blut oft mich angestrenget /
Dennoch hastu zugewant /
Gott / mir deine Helfers Hand.
5. Ey was wil ich dan mich noch lange quelen /
Gott / der gnädig gibt hůlfe meiner Seelen /
Wird mir geben wie ich wol
Diesen Leib versorgen soll.*

XI. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Zwölfsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe fůnf Glieder / aber nach dem driten Gliede muß der Abschnit folgen / und die ůbrige Silbe sich zu hinten / an stat der zwölfften anhengen / [119] und sich allezeit Steigend reimen. Und heissen diese Reime:


Zwölfsilbig-Langkurtze.

als:

– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ –


Meine Sůnden grosse Last | drückt und reuet mich /
Drüm mein lieber frommer Gott | hilff mir gnädiglich;
Laß nur auß Barmhertzigkeit | deine Helfers-Hand
Wan Anfechtung mich ümringt mir sein zugewant.

Im folgenden ist die andere und dritte Reimzeile Zwölfsilbig-Langkurtz / als:


Alles sey dir Gott allein /
Alles was du jmmer thust sey auff Gott gericht /
Bistu erst von Gott' entfernt / alles dir gebricht /
Ohne Gott sol nichts seyn / etc.*

Im folgenden ist die erste und dritte Reimzeile Zwölffsilbig-Langkurtz / als:


Es komt durch Erfahrenheit / und ist grosse Kunst /
Sich in allen recht besinnens
Es ist auch ein Tugendstůck' und ein Himmelsgunst /
Stets sich wol vergnügen können. etc*

XII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Dreyzehnsilbigen Versen / also [120] daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe sechs Glieder oder Reimmaassen; aber nach dem dritten Gliede muß der Abschnitt sich finden: Die Reimung ist allezeit Fallend /und heissen diese Reime.


Dreyzehnsilbig-Langkurtze.

als:

– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪


Diese lose böse Welt | GOtt und Recht nicht achtet
Nur nach eiteler Gierde Lust | so verzweiffelt trachtet*

Im folgenden seynd allemahl in jedem Reim Schlusse die ersten beyden Zeilen Dreyzehnsilbig-Langkurtz als:


Sol ich Armer schweigen nun / oder soll ichs sagen /
Ach mein Seufftzen-volles Hertz zwinget mich zu klagen /
Ach wo ist mein Seelen-artz / ach wo ist er hin /
Sein Verzug alleine mir raubet Muht und Sinn.
Meine Zunge todtenblaß kaum sich (mehr erreget /
Ja der gantz geschwächte Puls nährlich nährlich schleget /
Meinem Hertzen ist sein Hertz fast benommen gar.
Alle Kraft ist auch hinweg / ich bin in gefahr:
Marck und Bein ist sterbekranck / weil ich gantz verblasset
Schwach und Lagerhaftig bin / und der Welt verhasset.
[121]
Weil kein Aug' in meinem Aug' und kein Hertze mehr
Selbst in meinem Hertzen ist / das mich krencket sehr.
Eile / weile nicht mein Heil / kom mich zu verbinden /
Und gedencke nicht der Schuld / laß mich Gnade finden /
Laß mich sein dein liebes Kind / hilff mir auß der Noht /
Ich verbleibe dir getreu / Gott / biß in den Tod.

Herr Cæsius.


XIII. Bestehen auch die Langkurtzen oder Trogaischen in Funfzehn- und Vierzehnsilbigen Versen /also erstlich / daß beydes der Steigende und Fallende Vers in sich funfzehn Silben habe: alsdenn ist der Abschnitt nach dem dritten Gliede / oder auff der siebenden Silbe / nemlich in den Fallenden: die Steigenden aber haben keinen Abschnitt / sonderen an dessen stat ein gantzes Glied oder Langkurtze Reimmaas / daß dieselben also unanstössig und eilig dahin lauffen und davõ eilen. Und nennet man diese Reime


Funfzehnsilbig-Langkurtze ohn Abschnitt /

in den Steigenden / als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


[122] Wer der Tugend sich ergiebet und auf Gottes Hülfe traut /
Hat auf Diamanten Gründen und auff Felsen fest gebaut.*

Wie auch folgende aus Herrn Clajo genommen:


Als der rechten Sonnenwagen durchgebrochen durch die Nacht /
Und der grosse Tag der Pfingsten war der lieben Schaar gebracht /
Lesset sich mit sausen hören eines grossen Sturmes Braus /
Salem zittert / es erschuttert üm und an der Jünger Haus /
Das bekante Zimmer glentzet / Flammen blitzen / Fewer hitzt /
Feuer wärmet jhre Hertzen / Feuer auf der Zungen sitzt etc.

Funfzehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte

ist den Fallenden / als

– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Und hergegen wer sich nur | wil auff Eitelkeiten gründen /
Dessen Hofnung muß dahin | wie ein Dampf und Rauch verschwinden.*

Item

Das geschlange Teufelsheer stürtzt sich in die Schwefelflüsse /
Lecket den vergiften Schwantz / beist die bockgefüsten Füße.
[123] Weil die Teuffel nun erlegt in das schwartze Gras gebissen /
Wird der Abzug außgeblasen / Michael leßt Salven schiessen / etc.

H. Clajus

Es ist aber hie zu mercken / daß auch die Steigenden können den Abschnitt nach dem dritten Gliede /oder auf derselben Silben haben / und alsdan seynd sie von vierzehn Silben / und haben eine Silb geringer / heißen


Vierzehnsilbig-Langkurtz /

– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪ –


GOtt ist unsres Lebens Heil | unsre feste Zuversicht
Unser Trost und unser Schutz | unser Stern und unser Liecht.*

XIV. Bestehen endlich die Langkurtzen oder Trogaischen in Sechs- und Siebenzehn-Silbigen Versen /also daß jeder Vers oder jede Reimzeile můsse in sich halten achte Gliede oder Reimmaaßen / welche ohne Abschnitt auff einander daher folgen / und heißen die Reime


Sechzehnsilbig-Langkurtze / als:

– ∪ – ∪ – ∪ –∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Wenn die jungen Leute wüsten / Alte bey den Kräfften blieben /
[124] Bitter' Armuht und der Mangel bliebe von uns abgetrieben.*

Wann aber ůber solche achte Glieder oder Reimmaaßen annoch eine Silb zuhinten ůber bleibet / alsdan heißen solche Reime


SiebenzehnSilbig-Langkurtze / als:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –


Tugend / Fried / Gerechtigkeit die werden entlich wieder kommen doch /
Wol erquicken fromme Leute / gantz zerbrechen Kriegs- und Unrechts Joch.*

Diese Sechs- und Siebenzehn Silbige Langkurtze / wie auch die Sechs- und Siebenzehnsilbigen Kurtzlange im folgenden Capittel / haben wegen jhrer gar zu weitlauffenden gedehnten auslänge / und wegen gar zu weiter Zurückweichung des Reimes / nicht eine gleiche Lieblichkeit und Wollaut mit den anderen vorgehenden etwas kürtzeren Trogaischen und Jambischen Reimarten: Wie sie denn auch der ungebundenen Rede fast ähnlich scheinen Wiewol sie doch nach Gelegenheit der Materi nicht unfüglich möchten etwa zugebrauchen seyn. Herr Büchner redet auch mit mehren alhie von und sagt unter anderen / daß gleich wie die Schönheit des Menschen zuforderst eine rechtmessige Länge und grösse erfodert / also wil selbige gleicher massen auch ein Vers haben; und wie wir die jenigen / so gar ungeheurer länge seyn / mehr mit Verwunderung / als lust anschauen / und sie fast für eine Ebentheuer und Mißgeburt halten / also haben auch derogleichen beschaffene gar zu lange Verse wenig anmuhts.

[125]
Das 6. Capittel
1.

Alhie folget nun ferner das andere Teutsche Reimgeschlecht nach vorgesetzten vier Haubtordnungen /nemlich die Kurtzlangen Reime / das ist / dieselbigen Reime / welche durch und durch abgemessen werden durch diese Kurtzlange Reimmaas ∪ –

Dieses Reimgeschlecht begreifft gleichfals / wie die vorhergehenden Langkurtzen / in sich Sechzehn unterschiedliche Arten. Davon nun in diesem Capittel ordentlich zu handelen / und seynd sie also recht und underschiedlich zuerkennen / daß Sie

I. Bestehen kůnnen in Zweysilbigen Versen / also das jedes Verslein / oder jede Reimzeile nur mit einem Gliede oder einer Reimmaas geendet werde /welche Reimung allezeit Steigend ist ist / und heissen diese Reime:

[126] Zweysilbig-Kurtzlange.

Als:

∪ –


Die Welt
Und Felt
Regiert
Und führe
Den Sinn
Dahin
Daß er
Numehr
Nichts acht
Betrach etc.

NB. Anmerckung.


Diese Zweysilbige Kurtzlange Reimart / wird schwerlich allein ein völliges Gedicht machen und recht vollenden können / denn es etwas schwer fallen möchte einen vollen Sinn also wolständlich außzudeutẽ: Derowegen diese Art vielmehr nur gebrauchet wird zur zwischensetzung / das ist / daß sie unter andere Reime in ein Reimgedichte gesetzet / dennoch aber darin fůr eine völlige Reimzeile oder Kurtzlanges Verslein gehalten werden / als im folgenden /darin die erste und letzte Reimzeile Zweysilbig Kurtzlang seyn.


[127] 1.
Die Welt
Samt jhrem blinden thun ist standlos ausgestelt /
Auf einen schwachen Fuß: Die Welt dahin verweht.
Vergeht.
2.
Die Lust
So man Weltgierig übt ist ein' unsaubre Wust /
Die endlich hin mit Reu und Eckel uns verschwint /
Zerrint.
3.
Nur Gott
Und dessen reines Wort / im leben nach dem Tod'
Uns frölig / selig macht; tregt aller Seeligkeit
Bereit.
4.
Ach Herr!
Nur dein Wort und nur du / ist stetig mein begehr:
Es sey / aus Lust zur ruh / weit von mir abgestellt
Die Welt.*

II. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Dreysilbigen Versen / also daß jedes Verslein / oder jede Reimzeile in sich habe ein Glied oder eine Reimmaas / samt einer Silbe / so hinten angehenget wird /die Reimung aber ist allezeit Fallend: Und heissen diese Reime


[128] Dreysilbig-Kurtzlange.

als:

∪ – ∪


Die Leute
So heute
Im leben /
Die streben
Nach Sünden /
Und finden
So rühret
Und führet
Zum sterben
Verderben / etc.*

NB. Anmerckung.


Diese Dreysilbig-kurtzlange Reimart kan vieleicht zu einem völligem Gedichte allein gebrauchet / und also kurtz angewant werden: Aber gemeiniglich muß sie nur zur Zwischensetzung angenommen / das ist /unter andere Reime gesetzet werden / doch also daß sie daselbst fůr einen völligen Vers gelitten ist / und eine Reimzeile mache / als im folgenden / woselbst die 4 / 5 / und 6. Zeile Dreysilbig-Kurtzlang ist.


1.
O Daphnis / nun mit Hauffen
Dein gutes Glück angeht /
[129]
Es hat getroffen
Dein hoffen
Dein Klagen
Dein Zagen
Gleich wie der Blitz entsteht.
2.
Du darffst hinfort nicht schweben
Auff grober wilder See /
Da grosse Wellen
Viel fellen
Kanst weiden
In Freuden
Mit Chloris in dem Klee. etc.

III. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Viersilbigen Versen / also daß jedes Verslein oder jede Reimzeile zwey Glieder oder zwo Reimmaassen habe / die Reimung aber ist allezeit Steigend / und heissen diese Reime


Viersilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ –


Die Nacht ist hin /
Erwach mein Sinn /
Und dancke Gott' /
Er hat ja dich
So gnädiglich
Bewahrt für Noth.
[130] Mein Gott und HErr
Hör mein Begehr:
Laß alle Pein /
All' Ungemach
Auch diesen Tag

Von mir weg seyn.*


Der kurtze Inhalt ůber alle Psalmen Davids im Herrn Vogelio, hebt sich allemahl mit zweyen Viersibig-Kurtzlangen Verslein an / darauff noch zwey Siebensilbig-Langkurtze folgen / als über den 6. Psalm.


Fůr Gottes Zorn
Sind wir verlohrn:
Aber Gottes Gütigkeit
Den / der Busse thut / erfreut;

über den 25. Ps.

Gott kan allein
Dein Helffer seyn:
Hoff auff jhn / bitt üm genad /
Bis er dich der Bürd' entlad. etc.

NB. Anmerckung.

Es kůnnen diese Viersilbig-Kurtzlange Reimen entweder ein Gedicht allein vollenden / oder aber künnen zur zwischensetzung auch gebrauchet werden / alsdenn sie eine volle Reimzeile machen / als im folgenden das 5. und 6. Verslein.


1.
Viel ärger ist des Geitzes Wust
Die Mutter aller Sůnden /
[131]
Ein Mammons-Knecht kan nirgends lust
Als nur im Geld' entpfinden.
O gůldner Thor
Du steigst empor
Daß du mit starckem Knallen
Zur Hellen mugest fallen.
Der Reichthumb treibt erst auß den Schweiß
Biß man jhn bringt zusammen /
Wann man jhn hat so macht er heiß;
Viel Gůter sind viel Flammen
Und muß er rein
Verlohren seyn /
So schafft er den Hertzen
Noch grösser Angst und Schmertzen.
Herr Ristius 5. 5.

In folgenden / so der 14. Ps. Opitii ist / muß dieses Viersilbiges Verslein jeden Reimschluß endigen / als:

1.
Der Narr beredt sein Hertz und gantzen Muht /
Es sey kein Gott. Es ist jhr thun und Wandel
Im grund verderbt / und abscheu ist jhr handel.
Gar keiner ist / der sich wol helt in hut /
Und gutes thut /
2.
Es schaut der Herr von seines Himmels Zelt
Ob Menschen auch von Sinnen und Verstande
Zu finden sind in etwan einem Lande /
Ob jemand ist / der noch auff Gott was helt
In aller welt. etc.

[132] IV. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Fůnfsilbigen Versen / also daß jedes Verslein oder jede Reimzeile zwey Glieder oder zwo Reimmaassen in sich habe / samt einer Silbe / so die fůnfte / und zuhinten angehenget wird: Die Reimung aber muß allezeit Fallend seyn / und heissen diese Reime


FünfSilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪


Ein Mensch der liebet /
Und stets aus ůbet
Der Tugend Schätze:
Dem wirds wol gehen
Wird feste stehen
Mit Ruhm zu letze.*

Item:


Gott hat mit Gnaden
Ohn allen Schaden
Sein Volck geleitet /
Das Er bereitet /
Es zuerlösen
Vom Drang' und bösen /
Aus Jammer-tagen
Hat ers getragen etc.

Herr Vogelius.


[133] Von der Music:


Mehr Lust für Ohren
Ist nicht gebohren;
Sie treibt von Hertzen
Verdruß vnd Schmertzen /
Kan Eifer dempfen
Gibt muth zu kämpfen /
Macht durch die Ohren
Uns neu geboren. etc.

Herr Tscherning.


NB. Anmerckung.


Es kůnnen auch diese Fünffsilbig-Kurtzlange Reime entweder allein ein gantzes Gedicht vollenden /oder auch zur zwischensetzung / nach allem belieben /gebrauchet werden.


V. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Sechssilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile sich mit dreyen Gliederen oder dreyen Reimmaassen endigen můsse: Die Reimung aber ist allezeit Steigend / und heissen diese Reime


Sechssilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Ich folge diesem schlecht
Was billig ist und recht.

Item:

[134]
Gott ist mein rechter Schutz
Mein Schild / mein Hort / mein Trutz.

NB. Anmerckung:

Diese Sechssilbig Kurtzlange Reimart / kan auch gar wol entweder allein ein Reimgedicht vollenden /oder aber auch zur zwischensetzung gebrauchet werden / wie im vorgesetztem Exempel zu sehen; also sind im folgenden die 2. und 3. Zeile allezeit Sechssilbig-Kurtzlang.


1.
Der Mensch muß jmmer kriegen.
Was noch das ärgste scheint
Ist selber er sein Feind /
Muß sich in sich besiegen.
2.
Er muß den Geitz der Ehren
Zorn / Rachgier / Haß und Neid /
Des Fleisches Obrigkeit
Biß auf den Tod versehren.
3.
Heb auff das alte Wesen /
Brich Lüsten alle Treu /
Ein Weg zur Buß' und reu /
Ist nie zu spat gewesen.

H. Tscherning.

VI. Bestehen die Kurtzlangen / oder Jambischen [135] in Siebensilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich halte drey Glieder oder drey Reimmassen / zu hinten aber eine Silbe / als die siebende /annoch an sich habe; Die Reimung aber ist allezeit Fallend / Bey den Griechen und Lateineren heisset diese Reimart Anacteonticum genus: Aber bey uns Teutschen heissen diese Reime


Siebensilbig Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –


In diesem bösen Leben
Sind viele nur ergeben
Den schnöden Eitelkeiten:
Man strebt an allen enden
Mit Füßen und mit Händen
Das recht zu überschreiten.*

Item:

1.
Die Sonn' ist untergangen /
Die Wangen sein verhangen
Mit Kohl-pechschwartzen Tüchern /
Ich sitze bey den Bůchern
Und schwitze / da mich frieret /
Bin stille da mich rühret
Der jnnerliche Schmertze /
Der Schmertze / der mein Hertze
[136]
Mein schwaches Hertze quälet /
Ja der mich fast entseelet. etc.

H. Cæsius.

Es sind im folgenden die 3. und 6. Zeile Siebensilbig Kurtzlang: ist gantz zufinden in dem CLI. Gesprächspiele. H. Harsdörfers /

1.
HERR mein getreuer Gott /
Der du aus mancher Noht
Mich gnädiglich geführet /
Mein Glück und Ungelück
Ja gar all Augenblick
Hat deine Macht regieret.

Im folgenden ist die 2. und 3. Zeile Sieben-Silbig-Kurtzlang.
1.
Das alte Jahr ist hin.
Ach selten doch die Plagen
Mit jhm sich auch zuschlagen
Und zu dem Türcken zihn.
2.
Das neue hebt sich an
Gott helffe / das auffs neue
Dis Land sich besser freue /
Als es bißher gethan etc.

Herr Tscherning.

VII. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in achtsilbigen Versen / also daß sich jeder Vers mit vier Gliederen schliessen muß / die Reimung aber ist allezeit Steigend: Und diese Art ist die allergebräuchlichste / [137] älteste / leichteste und bekanteste / auff welche weise fast alle der alten Reime gemachet seyn auch noch heute die Reimenschmiede lappen und klappen in dieser art gemeiniglich jmmer hin / nehmen aber dabey fast nichts / als die Reimerey in acht. Es heissen aber diese Reime.


Achtsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ –


Wer auff die Hülffe Gottes traut /
Hat eintzig-recht und fest gebaut.*

Item:

1.
Ich schicke meine Stimme hin
Zum Herren wie ich schuldig bin /
Den Herren der mir helffen kan
Fleh' ich mit meinem Ruffen an.
2.
Ich warf in meiner Angst und Pein
Die Sorgen gantz vor jhn allein /
Und habe mich bey ihm beklagt /
Wie hefftig mich die Noht geplagt.
3.
Ich ruff auf dich / mein Mund der spricht
Du Herr bist meine Zuversicht /
[138]
Mein Theil das einig mir beliebt /
So weit es jrgent Menschen giebt.

Op. Ps. 144.

VIII. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Neunsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe vier Glieder oder Reimmaassen / zuhinten aber eine Silbe / nemlich die neundte / annoch an sich nehme: Die Reimung ist allezeit Fallend / und heissen diese Reime


Neunsilbig-Kurtzlange.

Als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Wer will nach Gier und Lüsten streben /
Wie jedem Thier' hat gleiches Leben.*

Item:

Ohn Gott ist niemand hier auf Erden
Von dem ich kan ergetzet werden.*

In dem Siebenden Ps. des Opitii / seynd die 1 / 2 / 5 und 6. Zeile Neunsilbig Kurtzlang / als:
1.
Zu dir pfleg' ich in Angst und Grämen /
O HErr mein Gott / die Flucht zu nehmen /
So laß den denen mich entgehn
Die sehr begierig nach mir stehn:
Laß meine Seel jhn nicht umbringen
Und also grausam mich verschlingen
[139]
Als wie des Leuen Zorn verfehrt
Wan niemand ist der für mich wehrt.
5.
Der bösen Bosheit müsse schwinden /
Und wer gerecht / dein Heil entpfinden:
Dann dir ist Hertz und Nieren kund /
Du prüfest sie biß auff den grund.
Mein Schild ist Gott / der mich wil decken /
Und fromme Hertzen nicht leßt stecken. etc.

IX. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Zehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers sich schliesse und vollende mit fůnf Gliederen oder Reimmaassen: Doch muß das andere Glied / das ist die vierdte Silb / zugleich mit einem Abschnitte auffgehen / und daselbst im lesen etwas ingehalten werden: Die Reimung ist alhie allezeit Steigend / und heissen diese Reime bey den Frantzosen und sonsten Vers communs, bey uns nennet man sie


Zehnsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ –


Dis Leben ist | ein Meer / das Schiff ist Geld /
Wer Schifflos ist | ümsegelt nicht die Welt. *

Im folgenden so aus dem 41. Ps. des Opitii genommen / sind die Zeilen allemahl wechselweis Zehnsilbig-Kurtzlang / als:


[140]
O Selig ist / wer mit Bescheidenheit
Bedenckt des Krancken Leid /
Der Herr wird auch wan er ligt in der Pein
Sein Heil und Rettung seyn:
Der Herr wird selbst als Artz genädig jhn
Zum Leben rückwerts zihn:
Er sol auch stets weil er bewohnt das Land
Entpfinden guten Stand. etc.

X. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Eilffsilbigen / also daß jeder Vers in sich habe fůnf Glieder oder Reimmaassen / Es muß aber noch eine Silb / als die eilfte zu hinten angehenget werden / und ist die Reimung fallend: Der Abschnitt aber muß sich gleicher weise / wie die vorgehenden Zehnsilbigen /mit endigung des andern Gliedes finden lassen: Es heissen die Reime


Eilfsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Ein jeder Christ | kan Himmelschlüssel bringen /
Weil das Gebet | kan durch den Himmel dringen.*

Item auß Herrn Ristio / 4. 6.

Der Weg ist hart / den wir hie wandlen müßen /
Die Straß' ist tieff und kötig unsren Füeßen /
Da ist Gefahr / wohin man sich nur wendet /
Das best' ist dis / daß es so schnell sich endet.
[141] 2.
Ach Gott! es muß dis Leben uns verdriessen /
In welchem so viel Thränen von uns fliessen /
Daß Frewd' und Lust dem Schatten gleich verschwindet /
Und man nur Angst biß in die Grub entpfindet.

XI. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Zwölfsilbigen Versen / Also daß jeder Vers sich mit sechs Gliederen muß schliessen und endigen: Zumitten aber / das ist / zu ende des dritten Gliedes muß der Abschnitt sich finden / und daselbst im lesen ein wenig in- oder stil gehalten werden. Die Reimung ist allezeit Steigend / und ist diese art zu reimen / samt der folgenden dieselbe/ welche man Alexandrinisch /nach unser Reimkunst aber Helden-art nennet / und fast ůberal gemein und bräuchlich worden ist. Es heissen diese Reime nach unsrem Teutschen


Zwölfsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ –


Gehäuffte Quaal und Angst der fromme Mensche spürt
So bald er diese Welt mit einem Fusse rührt.
Alsbald er aber geht den Weg / den alle gehn /
So kan er erst in Ruh und gutem Friede stehn.

[142] Item:

Wil dir das Glůcke wol / halt maas in guter zeit:
Auf alzugrosse Lust / folgt gerne Traurigkeit.

Herr Tscherning.

XII. Bestehen die Kurtzlangen oder Jambischen in Dreyzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich helt sechs Glieder / zuhinten aber kommet eine Silb /als die dreyzehnde / annoch hinzu: Der Abschnitt muß sich mit dem ende des dritten Gliedes finden. Die Reimung ist allezeit Fallend / Und heissen diese Reime


Dreyzehnsilbig-Kurtzlange.

als:

∪ – ∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Die Tugend sich durch Neid und Widerstand hinbringet /
Gleich wie der Sonnen Licht durch Nebeldůnste dringet.*
Kein Unfall / keine Zeit wird rechte Liebe trennen:
Die Liebe / so zergeht / ist Liebe nicht zu nennen.

Herr Tscherning.


XIII. Bestehen auch die Jambischen oder Kurtzlangen in Funffzehn- und vierzehnsilbigen Versen / also daß der Abschnitt zu ende des vierdten Gliedes oder in der achten Silbe sich finden müsse: Und kůnnen so[143] wol die Fallende / als Steigende Reimung an sich nehmen / die von Fallender Endung seyn / seynd Funfzehnsilbig / die aber von Steigender / seynd Vierzehnsilbig; diese art Jambischer Verse ist etwas neu /davon auch Meldung thun Herr Buchner und HerrCæsius, und heissen diese Reime derowegen


Funfzehn Silbig-Kurtzlange mit Fallender Endung /als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Wo ist mein süsser Auffenthalt / wo ist er hingekommen?

Ach hat jhn dan der bittre Tod / so früh von mir genommen.


Vierzehn Silbig-Kurtzlange mit Steigender Endung /als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – | ∪ – ∪ – ∪ –


Die Tugend ist mein bester Freund / mein Schatz mein liebster Trost /
Untödlich bleibt sie / wan der Todt hat alles aufgelöst.

Folget ein Exempel / in welchem jeder Reimschluß beyderley art Reimung in sich hat / als:

Von der Ewigkeit.

Was ist dis für ein schweres Wort / das Marck und Bein verzehret?
Das selbsten der Beredsamkeit das sprechen hemmt und wehret.
[144] Vor dem die Welt erzittren muß / vor dem ich Tag und Nacht /
Wenn gleich kein einig Stern noch Licht am hohen Himmel wacht /
Gantz schlaffloß und voll Schrecken bin? das mir erregt viel Schmertzen /
Das durch sein langes Ewig-sein / ein Pfeil in meinem Hertzen /
Ein Wort von Stahl und Deamant / so Ewigkeit genennet /
Für dem der Himmel selbsten sich noch viel zu schwach erkennet /
Ein Wort so Hertz und Sinn erregt nach Unvergänglichkeit
Mit Feuriger Begier zustehn; ein end unendlich weit.
Es wird der Hellen schwartzer Schwall je mehr und mehr entzündet /
Das Fewer brennt und wird doch nicht die endschaft ausgegründet /
Es schmeckt nach lauter Ewigkeit / so nimmermehr zerrinnt.
Das dreygeschnautzte Höllenthier kein ende ja gewint.
Hingegen aber bleibet auch unendlich solche Wonne /
Die allen Frommen hat bereit die Seel- und Lebens- Sonne;
Drüm laß mich ja nur bůssen hie / laß leiden Angst und Spott /
Daß ich in Freuden ewig sey hernach bey dir / O Gott! Herr

Cæsius.

[145] XIV. Entlich bestehen die Jambischen oder Kurtzlangen in Sechszehn- und Siebenzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich halten muß acht Glieder /oder pedes jambicos, als dan heissen solche Reime


Sechszehnsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –


Ach dieses Leben ist nunmehr voll Ja er / Noht und Hertzeleid
Die Frewd' und alles frölig-sein ist gar verbant aus dieser Zeit. *

Wann aber über solche acht Iambicos Pedes oder Kurtzlange Reimmaassen annoch eine Silbe zuhinten übrig bleibet / und also die Reimung Fallend wird /alsdan heissen solche Reime


Siebenzehnsilbig-Kurtzlange

als:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪


Es wird ja endlich in der Welt der güldne Friede wiederkommen /
Damit sich freuen doch einmahl die Armen / guten und die frommen.*
[146]
Das 7. Capittel
1.

Nach dem in vörigen Capittelen von den Langkurtzen und Kurtzlangen Reimarten ist gnugsam gesagt worden / als folget nach unserer gesetzten Hauptordnung ferner das dritte Teutsche Reimgeschlecht / nemlich die Langgekürtzten Reime / das ist / dieselbige Reime welche abgemessen werden durch diese Langgekůrtzte Reimmaas – ∪ ∪: Dieses Reimgeschlecht ist eines von den Lieblichsten in Teutscher Sprache / nicht ohn Ruhm und Nutz endlich hervor gesucht / und richtig /nach eingepflantzeten natürlichen Gründen und Lieb-leichlichem Vermögen Teutscher Haubtsprache / von vornehmen Poeten / doch anfenglich von Herrn Augusto Buchnero, aufgebracht und heraus geschmücket. Dieses Reimgeschlecht der Langgekürtzten oder Dactilischen Reime / hat in sich achte unterschiedliche Arten / davon ordentlich Vermeldung geschehen soll. Und ist derohalben / damit sie unterschiedlich erkant werden / zuwissen / daß diese Langgekürtzten Reime

I. Bestehen in Viersilbigen Versen / also daß ein jeder Vers / oder jede Reimzeile sich [147] endige mit einem Gliede oder Langgekůrtztter Reimmaasse; Nur / daß eine Silb / als die vierdte hinten angesetzet / und also die Reimung Steigend gemachet werde. Es heissen diese Reime


Viersilbig-Langgekürtzte

als:

– ∪ ∪ –


GOtte vertraun:
Stetes anschaun
Dessen Befehl /
Machet die Seel
Ewig erfreut. *

NB. Anmerckung.


Es kůnnen diese Reime entweder allein ein Gedicht endigen und vollenden / oder sie künnen auch zur zwischensetzung schiklich und wol gebrauchet werdẽ / als im folgenden / darin wechselweis diese Viersilbig-Langgekürtzte zufinden / als:


1.
Wan wir zu der Welt werden erst geboren hier
Weinen wir nur:
Fragestu was sey diese gantze Lebenszeit?
Stetiges Leid.
Wan das Leben aus bringet mit sich dan der Tod
Schmertzen und Noht.
[148]
Drüm nichts bessers ist / als auf GOtt nur schaun
Ihme vertraun?
Leiden mit Gedult / richten seines Lebens Lauff
Himmel hinauf.*

Also wird in folgenden / so auf Sapphische Manier gesetzet / das vierdte Verslein allezeit viersilbig-Langgekürtzt / als:


Singet und klinget in Christlichen Landen /
CHristus ist heute von Todten erstanden /
CHristus hat heute den Teufel besigt /
Satan erligt.
Hertzog / du Hertze des Friedes / wilkommen!
Freude der Engel / Erlöser der Frommen /
Retter der Sterblichen / Tröster in Noht
Leben im Tod.

Herr Clajus.


II. Bestehen die Langkurtzen oder Dactilischen in Fůnf Silbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe zwo Reimmaassen / nemlich zu erst die Langgekůrtzte / und folgends drauff die Langkurtze / welche sich allezeit Fallend reimen muß: Und heissen diese Reime


Fünf Silbig-Langgekůrtzte

als:

– ∪ ∪ – ∪


Hitzig im Rahten
Seumig in Thaten
Pfleget zu krencken;
[149]
Alles beginnen
Solte durchsinnen
Lange bedenken. *
Löbliche Hirten
Grünen von Mirten /
Singet nun wieder /
Stimmet die Pfeiffen
Künstlich zuschleiffen
Löbliche Lieder. etc.

Schaffr.


NB. Anmerckung.


Diese Langgekürtzte Art / kan gleichfals entweder allein ein Reimgedicht vollenden / oder kan auch wol zur zwischensetzung fein angewent werden als im folgenden / so Herrn Buchneri ist / darinn die 1 / 2 / 4 /und 5. Zeil Langgekürtzt ist.


1.
Nichtige Freuden
Sollen wir meiden /
Die Seele bestritt
Wer sich nur letzet
Fleischlich ergetzet
Zur Erden gebükt.
2.
Waffnet die Sinne
Daß nicht gewinne
Die triegliche Lust /
[150]
Solte sie siegen
Und wir erliegen
Die Seel es uns kost. etc.

Im folgenden ist die 3. und 4. Zeil allemahl Fünfsilbig Langgekürtzt:
1.
Der traurige Winter ist gäntzlich verschwunden /
Es haben sich Blumen und Blüten gefunden /
Gehet zuschauen
Wiesen und Auen.
2.
Den Himmel und Erde laßt frölichen singen
Und Büchen und Eichen in Wäldern erklingen
CHristus der Krieger!
Höllen-besieger! etc.

H. Clajus.

III. Bestehen die Langgekůrtzeten oder Dactilischen in Siebensilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe zwo langgekůrtzete Reimmaassen / zu letzt aber noch eine Silbe / als die siebende / an sich nehme / welche sich allezeit Steigend reimen muß. Und heissen diese Reime


Sieben Silbig-Langgekürtzte

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ –


Rüntzel und saures Gesicht
Machet den Klugen Mann nicht;
[151]
Mancher von Jahren beschwert /
Andre die Narrheit nur lehrt.*

NB. Anmerckung.


Diese Siebensilbig-Langgekürtzte Reimart kan gleichfals entweder allein ein Reimgedicht vollenden /oder kan zur zwischensetzung wol angewant werden /wie aus folgendem zuersehen / so jedes Verslein mit zweyen Siebensilbig-Langgekürtzten Reimzeilen schleusset.


1.
Jeder muß sein-Hülfe haben
Und sich an ein andren laben:
Hůlfelos bleiben beschwert /
Hülfe recht haben vermehrt.
2.
Gelt wil der zu hülfe haben /
Jener sich an Lüsten laben /
Dieser auf Menschen nur schaut /
Und auff ein Augenblick baut.
3.
Welt wil eigne Hülfe haben
Fleisch wil sich am Fleische laben.
Irrdisches Wunsches Beginn
Zielet auf jrrdisches hin.
4.
Ich wil andre Hülffe haben /
Nicht an nichts und Schein mich laben /
[152]
Irrdisches helfen verswindt /
Steubet / verwehet / zerrint.
5.
Gottes Hülfe wil ich haben /
Mich an jhm versichert laben:
Gott vertrauen allein
Machet uns hůlfereich sein. *

(Dieses Liedlein wird sonsten genandt gleichsetzendes Lied / weil jedem Verslein von gleichen Reimwörteren sich anhebet / davon mit mehrem drunten im dritten Buche gesagt ist.)


IV. Bestehen die Langgekůrtzten oder Dactilischen in Achtsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich hat zwo Langgekůrtzte Reimmaassen / samt einer Langkurtzen Reimmaasse / welche denn allezeit ein Fallende Reimung machet / und heissen diese Reime:


Acht Silbig-Langgekürtze

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Lange zuvoren bedencken
Machet befreyet von krencken:
Wann seyn geschehen die Thaten.
Kommet zu spate das rahten. *

[153] NB. Anmerckung.


Diese Achtsilbig-Langgekürtzte Art / kan auch gar fůglich nach des Tichters Beliebung zur zwischensetzung gebrauchet werden; als im folgenden ist die 1. und 2. Reimzeile Achtsilbig Langgekürtzt / die 5. und 6. aber ist Siebensilbig Langekurtz:


CHristum den HErren anschauen
Ihme von Hertzen vertrauen /
Ihme sich geben /
Ihme nur leben /
Hertzliche Fröligkeit bringt
Ewig gewünschet gelingt. etc. *

Item / im folgenden ist dritte und letzte Reimzeile Achtsilbig-Langgekürtzt / als:


Nun dan / Nun / mein treuer HErr /
Endlich dich doch zu mir kehr
Wollest mich gnädig ůmarmen:
Ach ja / öfne wiedrüm mir
Deine sichre Gnaden-thür /
Wollest dich meiner erbarmen. etc. *

V. Bestehen die Langgekůrtzten oder Dactilischen Zehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe drey Langgekůrtzete Reimmaassen / samt einer Silbe / welche die Zehnde ist / und sich allemahl Steigend reimet. Und heissen diese Reime.


[154] Zehn Silbig-Langgekůrtzte

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –


Rechte Vergnügung die wohnet nicht hier /
Himmel erlabet der Seelen Begier. *

Im folgenden ist die 2 / 4 / und letzte Zeil Zehnsilbig-Langgekürtzt.

1.
Lasset uns / lasset uns schauen im Garten /
Mindren der gůldenen Tulipen zahl:
Wollen wir arme noch morgen erwarten /
Sterbliche sind wir doch alle zumahl /
Nicht seumet zugehen
Die Blumen entstehen /
Der Winter bald kömt;
Die Felder bereiffet
Die Wiesen zerschleiffet
2.
Ach Gott wie sind wir doch jmmer nicht weise /
Wie dz Geschlechte von Leimẽgemacht /
Daß wir nicht besser die letztere Reise /
Wie sichs gebührete nehmen in acht /
Ohn Sorgen zu leben
Den Lüsten ergeben
Da sind wir bemůht:
Was mag uns das werben?
Ein Ewiges Sterben
Welches die Seele zur Hellen nur ziehet.
[155] 3.
Lasset uns Liebeste / lasset uns lenken
Nicht nur wo Lust und wo Freude sich helt
Unsre Gedanken aufs Himlische schwenken
Wie so gar seelig ist / der nun die Welt /
Zu růkke gesetzet
Mit Gott sich ergetzet
Sich selbsten verleugt:
Der Erden obsieget /
In dem sich vergnüget /
Was nicht wie Nebel und Schatten uns treugt.

H. Augustus Buchnerus. Aus dem Hohen Liede.

Darin die 2. und 4. Reimzeile auch Zehnsilbig-Langgekürtzt sein.

Lieben ist stärcker als tödtliche Schmertzen /
Brennet wie Feuer / wie Höllische Gluth /
Funkelt und Flammet und glüet im Hertzen /
Lieben ist stärker als Wasser uñ fluht / etc.

H. Cæsius.

VI. Bestehen die Langgekürtzten oder Dactilischen in EilfSilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe drey Langgekürtzte Reimmaassen und eine Langkurtze Reimmaas / welche zuhinten stehen / und die Reimung allemahl Fallend machet. Und heissen solche Reime


[156] EilfSilbig-Langgekürtzte

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Demuth die kröner erst vollig die Tugend /
Demuth die zieret das Alter und Jugend. *

Item:


Heute sol Freude die Stunde verjagen
Freude sol heute verjagen das klagen /
Heute sol Phebus und alle Göttinnen
Oden und schöne Gesänge beginnen:
Lustig erzeiget euch meine Gesellen /
Lasset uns Spieler und Geiger bestellen. etc.

H. Cæsius.


VII. Bestehen die Langgekůrtzten oder Dactilischen in Dreyzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe vier Langgekůrtzte Reimmaassen /samt einer Silben / welche zuhinten stehet / und Steigend sich muß reimen / heissen derhalben solche Reime.


Dreyzehn Silbig-Langgekůrtzte.

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –


Kommet das Ungelük häuffig vnd zörnig heran /
Setze gedultig und frölig die Gegenwehr an. *

VIII. Bestehen die Langgekůtzten oder Dactylischen in Vierzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich halten muß vier Langgekůrtzte Reimmaasse / samt einer Langkurtzen Reimmaasse / welche zu hinten stehen / [157] und die Reimung allemahl Fallend machen muß: Und heissen solche Reime


Vierzehn Silbig-Langekürtzte

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Grosse versamlete zeitliche Güter besitzen /
Machet gar ofte die Menschen im Hellenpfuel schwitzen.*

In der Pegnitzischen Schäferey pag. 43. ist ein Exempel dieser drey- und Vierzehnsilbig-Langgekürtzten Reimen zulesen.

Das 8. Capittel
1.

Das vierdte und letzte Reimgeschlecht / nach vorerwehnter Haubtordnung / folget nun alhier / nemlich die Gekurtzlangen oder Anapestischen Reime / das ist / dieselbigen Reime / welche abgemessen werden durch diese gekurtztlange Reimmaas ∪ ∪ –: Diese Reime haben grosse Verwandtschaft / ja sind fast gleich mit den Langekůrtzten oder Dactilischen / künnen auch leichtlich die einen in die anderen verändert werden / wenn nemlich zu den Langgekürtzten nur eine [158] Silb vorn angefüget / und also eine doppellange Reimmaas oder Trochæus den anfang machet / darauf denn die Gekurtzlangen oder Anapesten folgen / als wenn man sagt Langgekurtz:


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Eitelkeit lieben die Menschen zu viele

Hierauß wird eine Anapestische oder gekurtzlange Art / wenn / wie gesagt / eine Silbe vorn an gesetzet wird / als:

– – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪
Die Eitelkeit lieben die Menschen zu viele.

Dieses Gekurtzlange oder Anapestische Reimgeschlecht hat in sich Achte unterschiedliche Reimarten /dieselbe nun ordentlich anzuschauen / ist zu wissen / daß


I. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Fůnffsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile vorn eine Doppellange Reimmaas (welche Zweysilbig) und drauf eine Gekurtzlange (welche Dreysilbig) in sich habe: Die Reimung aber ist allezeit Steigend / Und heissen diese Reime


Fůnfsilbig-Gekürtzlange

als:

– ∪ ∪ –


Der Eitelkeit macht
Hat nunmehr gebracht
[159]
Der Christen gesetz
Zum leeren geschwetz:
Die feste Gebühr
So unsre Natur
Uns allen gelehrt /
Ist numehr verkehrt;
Gewonheit regiert
Und alle verführt
Weil selber wegschafft
Der Tugenden Krafft. etc.

NB. Anmerckung.


Dieses ist auch eines für alles bey jeder Gekurtzlangen Reimart zuerinneren / daß die vorderste Silbe beydes kan lang oder kurtz seyn / das ist / daß die erste oder vorderste Reimmaas in den Anapestischen sey entweder Doppellang / oder Kurtzlang / ein Trochæus oder Iambus: Zwar Doppellang müssen sie gemeiniglich / und laut vorgeschehener erwehnung sein / aber dieselben Wörterlein / so bey uns unfehlbar kurtz / als ge / er / be / ent / ver / zer / künnen auch ohn tadel zur ersten Silbe gebrauchet / und also ein Jambus daselbst beliebt werden / als:


Gewohnheit hat Pracht /
Verführet mit macht /
Bethöret die Leute /
Entsetzet das Recht /
Zertrüket zerschlegt
Die Tugenden heute. *

[160] NB. Anmerckung.


Diese Fünfsilbig-Gekurtzlange Reime / kůnnen entweder allein gar wol ein Gedicht vollenden und ausmachen / oder aber zur Zwischensetzung zierlich gebrauchet werden / als:


Der König Salamon:

O Freundinn / wie schöne wie lieblich bistu!
Ach höre mir zu:
Wie blinken und winken die schwärtzlichen Augen /
Sie können mein Hertze so artlich aussaugen /
Sie gleichen den Tauben an Zier
Und zihn mich zu dir.
Die Salamithin.

Ach siehe mein Liebster / wie schöne bistu!
Kom eilend herzu /
Es grünet das Bette von statlichen Sachen /
Die Balcken sein Cedern so Fůrstlich dich machen /
Cypressen die zieren das Dach
Dein herlich Gemach.

Phil. Cæsius.

Allhie ist die andere und letzte Reimzeile Fünffsilbig-Gekürtzlang / im folgenden aber ist die erste / andere / sechste und neunte Reimzeil

Fünfsilbig-Gekürtztlang / als:

Die Sulamithinn.

Mein Liebster ist mein /
Das weis ich allein /
[161]
Auch bleib ich sein eigen
Und wil mich erzeigen
Wie irgend die Freundinnen pflegen zu sein.
Mein Liebster ist mein /
Der unter den Rosen im grünen sich weidet /
Bis wieder der Schatten von hinnen abscheidet /
Wann völlig anbricht
Des Morgens das röhtliche Licht. etc.

Phil. Cæsius.

II. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Sechssilbigen Versen / also daß jeder Vers oder Reimzeile vorn die Zweysilbige Reimmaas hernach die Gekurtzlange ∪ ∪ – und endlich noch eine Silbe / als die sechste zu hinten habe: Die Reimung ist allezeit Fallend / und heissen diese Reime.


Sechssilbig-Gekurtzlange

als:

– ∪ ∪ –


Wer liebet Erbarmen
Und giebet den Armen /
Der leget die Gabe /
Die Güter und Habe
In Gottes Rentkammer. *

III. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Achtsilbigen Versen / also [162] daß jeder Vers vorn die zweysilbige Reimmaas – / und darauf noch zwo folgende Gekurtzlange oder Anapesten in sich halten muß: Die Reimung aber ist Steigend / und heissen die Reime


Achtsilbig-Gekurtzlange

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ –


Das Menschliche Leben geht hin /
Wol sterben ist unser Gewinn;
Wer aber hie ůbel abstirbt /
Ein ewiges Sterben erwirbt.*

Item

O stoltzer vereitelter Narr!
Noch länger in Sünden verharr /
Wann alles in Flammen vergeht
Wo lauffet die Wollust dan hin?
Ach lerne bald anderen Sinn /
Nur Gott und die Tugend besteht.*

IV. Bestehen die Gekůrtztlangen oder Anapestischen in Neunsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe vorn die Zweysilbige Reimmaas – / darauf folgen zwo Gekurtzlange oder Anapesten / zuhinten aber muß noch eine Silb /als die Neundte angehenget werden: Die Reimung ist Fallend / Und heissen diese Reime


[163] Neunsilbig-Gekurtzlange

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Die Blasen in eile verzischen /
Die Schlangen in eile hinwischen /
Die Winde mit eile hinbrausen /
Die Schiffe mit eile wegsausen:
Wir Menschen auch also bestehen /
In eile mit eile vergehen.*

V. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Eilfsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe vorn die zwosilbige Reimmaas – / darauff folgen drey Langgekůrtzte oder Anapesten: Die Reimung ist Steigend / und heissen diese Reime


Eilfsilbig-Gekürtztlange

als:

– ∪ ∪ | – ∪ ∪ | – ∪ ∪ | –


Wir Menschen wir schauen auf Leibes Gezier
Gott schauet auf Hertzen- und Seelen Begier.

Item:


Im folgenden seynd allemahl die beyden letzten Zeilen in jedem Reimschlusse Eilffsilbig-Gekurtzlang / als:


Die Blätter vom Wetter sehr lieblichen spielen /
Es nisten und pisten die Vögel im kühlen /
[164]
Es hertzet und schertzet das flůchtige Reh /
Es setzet und herzet durch Kräuter und Klee /
Es klirren und girren die Tauben im schatten /
Es wachen und lachen die Storche im matten /
Es zitschert und zwitschert der Spatzen jhr Dach /
Es krachtzet und ächtzet der Kraniche wach'.
Es schwirren und schmirren die Schwalben in Lůftē /
Es springen und klingen die Adler in Klüften.
Die Lerch trieriret jhr Tiretilier
Es binken die Finken den Buhlen alhier.
Die Frosche coaxen und wachsen in lachen /
Rekrekken mit Strekken sich lustiger machen /
Es kimmert und wimmert der Nachtigal Kind /
Es pfeiffet und schleiffet mit kůnstlichem Wind.

Herr Clajus.


VI. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Zwölfsilbigen Versen / also daß jeder Vers in sich habe vorn die Zwosilbige Reimmaas – /darauf folgen drey Gekurtzlange oder Anapesten / zu hinten aber ist annoch die Silbe / die zwölfte: Die Reimung ist Fallend und heissen diese Reime


[165] Zwölfsilbig-Gekurtzlange

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Wenn Tugend und Jugend mit Lüsten sich paaren /
So kommet und frommet die Weisheit vor Jahren.*

Item:

Es dru eln die tapfernen Drummel und Su en /
Es paukken die heiseren Paukken und brummen /
Es ludeln und dudeln die schliefenden Pfeiffen /
Schalmeien die Reihen und Spiele verschweiffen /
Trometen / Clareten Taratantara singen /
Es dröhnet und döhnet der Waffen erklingen /
Es siegen und fliegen die silbernen Fahnen /
Die Truppen die klopfen zur Freuden auffmahnē. etc.

Herr Claius.

VII. Bestehen die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Vierzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich halte / vorn die Zwosilbige Reimmaas – worauf dann vier Gekurtzlange oder Anapesten folgen / und heissen diese Reime


Vierzehn Silbig – Gekurtzlange

als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –


Das gute das fromme solst loben und rühmen allzeit
Dasselbe zu lernen / zu üben dich halten bereit. *

[166] VIII. Bestehen auch die Gekurtzlangen oder Anapestischen in Fůnfzehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich halte vorn die Zwosilbige Reimmaas – / worauf nacheinander vier Gekurtzlange oder Anapesten folgen / zu hinten aber annoch eine Silbe übrig bleiben muß / welche sich mit fallender Reimung endiget. Und heißen diese Reime


Fünfzehnsilbig-Gekurtzlang / als:

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪


Sich selbsten mit klugem bedachtem Verstande regieren /
Das lehret doch andere Leute sehr löblich anzuführen. *

(Diese beyde letzte vierzehnsilbig / und Funfzehnsilbig Gekurtzlange Reimarten / wie auch die beyden letzten im vorgehendem siebendem Capittel / nemlich die Dreizehn-und Vierzehnsilbig-Gekurtzlange Reimarten) sind in Teutschen etwas schwer zumachen / und scheinen auch /wegen jhrer gar zuweitlauffenden auslänge / nicht eine gleiche Lieblichkeit / mit den anderen etwas kůrtzeren Reimarten zu haben / oder zu erwekken.)


Zumerken ist / das eine Reimart zuweilen gar leicht in die andere zuveränderen sey / als die Jambischen oder Kurtzlange Verse künnen entweder mit vorsetzung oder abwerfung einer eintzigen Silbe zu Trogaischen oder Langkurtzen gemacht werden / zum Exempel:


[167] ∪ – ∪ – ∪ –

Gesundheit ohne Geld
Ist Kranckheit in der Welt.

Aus diesen Jambischen Versen werden leichtlich also Trogaisch:
– ∪ – ∪ – ∪ –

Die Gesundheit ohne Geld
Ist die Krankheit in der Welt.

Item:
∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

Für eine faule böse Schuld
Nim Haberstroh hin mit Gedult.

Aus diesen Achtsilbigen Jambischen werden leichtlich Siebensilbig Trogaische gemachet / als:
– ∪ – ∪ – ∪ –

Für die faule böse Schuld
Haberstroh nim mit gedult.

Gleichfals künnen aus den Dactylischen Versen gar leicht Anapestische / und hinwieder auß diesen / jene gemachet werden / zum Exempel:


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Pillen verschlukket man ohne zerkeuen /
Ohne nachdenken kan unrecht verdeuen.

Auß diesen Dactilischen oder Langgekůrtzten entstehē gar leicht Gekürtzlange oder Anapestische / also:


– – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Die Pillen verschlukket man ohne zerkeuen
Das unrecht kan ohne nachdenkẽ verdeuen.

Also aus diesen Anapestischen:
– – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Der Faulheit nachhengē mit stetem behagē /
Ist / werden zur Armuht mit Lůsten getragen:

Künnen mit abwerfung der vordersten Silben leichtlich Dactilische gemachet werden / als:
[168] – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Faulheit nachhengen mit stetem behagen
Pfleget zur Armuht mit Lůsten zutragen.

Ebener massen künnen aus diesen Trogaischen:
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Traun Geheimniß frömden Ohren
Macht die Freyheit halb verlohren.

Mit leichter mühe Jambische Verse gemachet werden /als:
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Geheimniß trauen frömden Ohren
Das macht die Freyheit halb verlohren.
Das 9. Capittel
1.
I.

Ist also in den vorgehenden Capittelen richtige anweisung geschehen von den vier Haubtgeschlechten der Reime / nemlich von den Langkurtzen / Kurtzlangen /Langgekůrtzten und Gekůrtzlangen. Diese vier Haubtreimarten entstehen aus unverenderlichen angebornen Eigenschaften und natürlichen Gründen der Teutschen Wörter / wie auch dero mannicherley Zufälle bey Doppelungen / Ableitungen / Zeitwandelungen. etc. Haben eine rechte eintreffende natürliche Verwantschafft / und bringen [169] mit sich eine anmuhtige leicht findende Wilfahrung gegen oberwehnte Reimarten. Und befindet sich also / das in Teutscher Sprache einem verstendigen nichts gezwungen / nichts gestökket oder geblökket übrig sein werde / sonderen die Kunstwege und richtige Bahnungen öfnen und geben sich einem Nachsuchenden also wolleitend und sanftführend an die hano / daß man auch bey Teutschem Odem / und auf Teutschem Grunde und Bodem zu der Berghöhe hinwandelen können möchte /wovon die Tugenden und Kůnste mit bekanten süsfliessenden Begrüssungen wollen geehret und zur stetswehrenden Bleibung erbeten seine

2.
II.

Das demnach außer vorermeldten vier Haubt-Reimarten / annoch unterschiedliche neue Reimartẽ zubefinden seyn / davon sol kurtze nachricht herbey gefüget werden. Es ist dieses eine liebliche Reimart / welche wechselweis / Langgekürtzte und Langkurtze Glieder(Dactylos und Trochæos) in sich helt / also daß allezeit auf eine Langgekůrtzte / eine Langkurtze Reimmaas folgen muß. Weil diese Reimart lustig und gleichsam hüpfweis dahin springet und hinwallet /künte man dieselbe (dann es ja in Teutscher Verskunst nötig / daß jedes seinen sonderbahren eigentlichen Namen habe) nennen die


Abwallende Reimart.


Welche da jmmer läuffig / und mit kurtzem und langem Schritte eines ůms ander abwallend wird / die vorstellung ist diese


[170]
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪
FRöliges muhtes Gotte vertrauen /
Inniglich Gottes Gnade beschauen /
Giebet das beste
Setzet uns feste. etc. *

Item:

1.
Gnädiger Vater sende viel Güte /
Feurige Sinne / helles Gemühte /
Feste Gedanken
Sonder abwanken.
2.
Gottesfurcht bleibe meine Begierde /
Himmellust meine Schönheit und Zierde /
Alles vergehet /
Fromm-sein bestehet. *

Item:
1.
Grausame Misgunst / Krone der schlangẽ /
Alle die Laster so du begangen /
Werden dir geben
Höllisches Leben.
2.
Tugend und Unschuld werden sich freuen /
Deine verlogne Diener sich scheuen /
Welche mit Schanden
Ligen in Banden.
3.
Göttliche Warheit krieget und sieget /
Redliches Hertz / dich billich vergnüget
[171]
Was ich geschrieben:
Neider verstieben.

Herr Rist.
3.
III.
Diese abwallende Reimart kan auch also geordnet werden:
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪

Davon Herr Clajus folgendes Exempel hat:

Singet und klinget süsser im Chore /
Flöten / Posaunen / růhren Pandore
Führen die Weisen höher zu höhen
Prächtig zugehen. etc.
4.
IV.

Es ist auch die folgende Reimart vielleicht nicht unangenehm / darin jeder Vers mit einer Langgekurtzten Reimmaas oder Dactylo sich endiget / welche sonsten in den Langgekürtzten Haubt-Reimarten unbräuchlich ist: weil jede Zeil oder Vers mit zweien kurtzen Silben allezeit zu ende laufft / und sich also eilkürtzend zusammen zeucht / kan man sie mit deutlichem Namen heissen


Die Kurtzschliessende Reimart dero vorstellung ist diese:

– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪
– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪
– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪
– ∪ ∪
1.
Ach mein lieber Gott / ach mein JEsulein!
Was kan jmmermehr dan wol süsser seyn /
[172]
Als dein' Augenlust deine Liebespein?
Sonnenschein!
2.
Grosser Menschen Freund hast von Ewigkeit
Dich gegeben / und unser Seelenleid
Weggenommen / gib die gewogenheit
Allezeit
3.
Das Wir lieben dich jetz und jmmerdar /
Wie du liebetest / eh' ein anfang war:
Dich sol loben mit macht die Christen Schaar
Alle Jahr. *

Ein anders auf diese kurtzschliessende Art / so Herr Ristius ůbersandt:

1.
Ach wen höret auf die Grausamkeit
Die das Teutsche Reich plaget diese zeit
Schauet alzumahl unser Vaterland
Ungewant:
2.
Wirst du lieber Herr / uns barmhertzig sein /
Und uns geben des Friedens Sonnenschein /
Ach so wollen wir jauchtzend preisen dich
ewiglich. etc.
Item

Fressen / Sauffen und alle Füllerey /
Liegen / Triegen und falsche Heucheley /
Helt man Sündenfrey / nehmen Tugendstand
Uberhand. etc.
[173]
5.
V.

Gleich wie die vorgehende Reimart sich jeder Zeil mit einer Langgekůrtzten Reimmaas oder Dactylo endiget / also hebet in folgender Reimart jeder Vers mit einer Langgekürtzten Reimmaas oder Dactilo sich an / dannenhero man dieselbige wegen der steten eiligen Anhebung nennen kan die


Eilhebende Reimart dero Vorstellung diese ist:

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪ – ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪ ∪ –
– ∪ ∪ – ∪ ∪ –
1.
Gůtiger Vater voll Genaden
Eile die Last mir abzuladen /
Welche mich heftig anficht /
Engstiget / quelet und sticht.
2.
Sende vom Himmel dein Erbarmen /
Wollest mit Gnaden mich ůmarmen:
Wollest erhören / O HErr /
Steigendes Hertzen begehr! *

Ein anders nach dieser Eilhebender Art:
3.
Schöneste Jungfrau / voll gefallen /
Voller gezier vor andren allen /
Schwester der Tugend und Zucht /
Nehmet jhr wieder die flucht? etc.
6.
VI.

In folgender neuen Reimart müssen in jedem Verse zwo Langkurtze und zwo Kurtzlange Reimmaassen[174] gegenständlich zusammen kommen / also daß zweyen Trochæis oder Langkurtzen / allemahl antworten zwey Iambi oder Kurtzlange Reimmaassen: Weil dan die Trochæi und Iambi von natur einander zu wieder sein / und in jeder Zeile alhie die Gegenstelle halten /künne man nicht unvernemlich Sie nennen


Die gegentretende Reimart.


Es muß aber der Gegenstand in der Ausrede vermercket / und dem Anhöret kennlich werden. Die Vorstellung ist diese.


– ∪ – ∪ ∪ – ∪ –

1.
Liebe / Liebe / verwirrte Kraft!
Gallenbitter und Honigsaft /
Bald erfreuest / betrůbest bald /
Bald die Schöneste / bald ungestalt.
2.
Liebe / Liebe / gesuchte Pein!
Leßt mich ohne Gedancken sein /
Bringst Gedancken ohne Sinn /
Treibest sanfte mich aus mir hin. *

Es kan sich diese gegentretende Reimart auch wol endigen mit einer Fallenden Reimung / also:

– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪
Bunter Früling verjungt die Zeiten /
Bringet wieder die Fröligkeiten.
Trautes Mädlein wir wollen eilen /
Jugend-Freude ja nicht verweilen. etc.
[175]
7.
VII.
Das Genus Phaleucium kan auch gar wol in Teutscher Sprache stat haben und aufgebracht werden /diese:

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Nun Gott / hertzlichen ich dir jetzund danke
Daß du gnädiglich wollen mich bewahren /
Daß kein Ungelük mir ist wiederfahren:
Ach hilf ferner auch / daß ich nimmer wanke
Von der Frömmigkeit rechten sichren Strassen:
Das mit Freuden und zittren ich dich ehre
Und mich allezeit nur zum Himmel kehre:
Auf dich HErr Gott wil ich mich verlassen.*

Oder etwas anders die Reimung versetzet / als:


1.
Du mein Vaterland / das du bist gewesen
Mit so mancherley Gaben angefüllet
Das der Himmel hat gleichsam auserlesen /
Hörch / wie grausamlich Mars in dir jetz brüllet /
Ach wenn seh' ich dich wiedrumb recht genesen.
2.
Ist dein' Herrligkeit denn so gar verschwunden /
Wie der flüchtige Dampf und Rauch vergehet;
Weil der Friede wird gantz nicht mehr gefunden
Und so manniches Kriegsheer in dir stehet /
So dich jåmmerlich queelen alle Stunden.

Herr Rist.

Diese Phaleutische Art kan auch also pasieren / daß die letzte Reimmaas ausgelassen werde / als:

– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪
Ob schon Ungelük lange bleibet
Und so ungewis ümher treibet /
[176]
Dennoch sollen wir auf Gott sehen /
Er wird gnädiglich bey uns stehen. *

Oder auch / daß die Reimung nur Steigend sey / also:

– ∪ – ∪ ∪ – ∪ –

1.
Nun sich Himmel und Erd' erfreut
In der lieblichen Frülings-zeit /
Nun die Vögelein stimmen an
Das die Menschen ergetzen kan /
2.
Nun die Flüsse so sanft und fein
Wieder schleichen ins Meer hinein /
Nun der Winter sich legt zur ruh
Und die Hitze nimt täglich zu. etc.

Herr Rist.

Man kan die Phaleutischen arten also gebrauchen / daß die Verse ohne Abteilung der Sätze oder Reimschlüsse immer hingesetzet werden / oder auch Reimschlůsse darin nach beliebter länge oder kůrtze gemachet und geformet werden.

8.
VIII.

Das Genus Sapphicum kan gleichfals in Teutscher Sprache gar wol gebrauchet uñ angeno en werdẽ /doch ist es von etzlichen mit schlechtem Glükke versucht worden / Die rechte Vorstellung ist diese:


– ∪ – – – ∪ ∪ – ∪ – ∪
– ∪ – – – ∪ ∪ – ∪ – ∪
– ∪ – – – ∪ ∪ – ∪ – ∪
– ∪ ∪ – ∪
Jetzt vermehret sich Ungelük und viel Jammer /
Böser Krieg uns schläget mit starckem Ha er:
Gott / den Krieg doch endlichen stürtze nieder /
Rette doch wieder.*

[177] Oder mit durchgehender gleicher Reimung / als:


1.
Liebster JEsu / Kindelein uns geboren /
Grosser Gott / von Ewigkeit uns erkohren /
Uns / die wir ja waren so gar verlohren /
Neige die Ohren:
2.
Laß uns jetz zur Wiegelein recht einkehren /
Deine Kripp' und Windelein recht verehren /
Unser Hertz von Eitelkeit gar ausleeren /
Böses abwehren.
3.
Grosses Liecht der Heiden und Christen Leute /
Unser Heil / uns bistu gebohren heute /
Bringest mit die Seligkeit uns zur Beute:
Laster außreute.*

Diese Sapphische Art möchte etwa in Teutscher Sprache eine Lieblichkeit finden / wan sie mit lebendigen Stimmen / wie auch Opitz erwehnet / und in Musicalische Instrumente gesungen würde: Welches die Sappho / von der diese Verse den Nahmen überkommen / auch also wird verrichtet haben / daß sie gantz verzükket / mit uneingeflochtenen fliegenden Haaren und lieblichem Anblikke der verbuhleten Augen in jhre Zitter oder Laute / mit liebreitzender Anmuhtigkeit / diese Verse wird gesungen haben. Welches / so es mit etwa einer bewegenden Nachfolge im Teutschen sol untersuchet werden / in sonderheit wol wird müssen / so wol im Verse / als in der Music / das dritte Glied / der Dactylus / und das anhangende Adonische Verslein / in acht genommen / und zierlich und leicht-fliessend gesetzet sein.

[178]
9.
IX.

Das Genus Heroicum der Lateiner kan man gleichfals mit Teutschen Worten vorstellen: wie auch das Genus Elegiacum, davon droben ist etwas angeführet worden; wie auch nit weniger das Genus Algaicum, gestaltsam etzliche exempla davon vorhanden sein / und leichtsam anzuführen weren / es ist aber der Wůrdigkeit nicht / und gar eine Unnoht. Unsere Sprache zwar ist füglich gnug / so wol zu diesen / als allen anderen / aber es dünket mich / daß die jenigen / welche sothane Lateinisirende genera aus angemaster neugierigkeit in Teutsche Worte zwingen / gar gleich sein: entweder denen / welche eine Fürstliche / allerseits mit ansehnlichem wolständlichem Schmukke und Zierde behengete Kleiderkammer vorbey gehen / und einen frömden lappgehässigen Bettlermantel ergreiffen; oder auch denen / welche keine beliebige Ergetzlichkeit in den Lustgarten und Schmaltzgruben des fruchtreichen schönen Egiptenlandes / sonderen vielmehr in dem Steinigten geschrundetem Arabia zusuchen pflegen. Sonsten aber haben wir im Teutschen an stat des generis Heroici die Heldenart; an stat desElegiaci die wechselart / davon im folgenden Buche mit mehrem. Das Anacreonticum genus ist unsere Fůnfsilbig-Kurtzlange Reimart / Das Adonicum genus aber ist unsere Fůnfsilbig-Langgekůrtzte Reimart / davon in den vorgehenden Capitteln ist gesagt worden. Daß also weder Lateiner noch Grieche einigen Vorzug / sonderen vielmehr das nachtreten haben / in betracht der lieblichen Mannigfaltigkeit und Menge unserer Teutschen Reimarten / zu deßen behüfigem Beweise / [179] man sich auff dis andere / und das folgende dritte Buch der Verskunst wil gezogen haben.

10.
X.

Es ermangelt auch ferner der Teutschẽ Sprache gar nicht / nach gewisser Maaße und zahlbarer Einschliessung gleichfals ferner allerhand vermengete Reimarten in grosser Menge aufzubringen: Doch haben wir eine volle Gnüglichkeit und mannigfaltige /Sich verenderende Fügligkeit / an den vier reinen Haubtreimarten / samt den neuen / bis anhero kürtzlich vorgestelleten. Es wird aber nichtes desto weniger unverbotten sein / die Teutsche Reimmassen annoch anderweit auf wolklingende weise / doch mit verstande / zumengen / und neue mehrere Reimarten zugebrauchen / wie dan derogleichen unterschiedlich vorhanden / als zur anzeige folgende:


∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪
Nun liebeste last uns gehen
Die Tulipan zubesehen. etc.

Item:

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ –
Edele Tugend schöneste Zier /
Liebe mich wieder bleibe bey mir. etc.
Item:

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
Gůldene Büchsen können durchdringen
Alles erbrechen / alles bezwingen. etc.
Item:

– ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪
Wiltu mit ruhe / wiltu mit ehren / deine zeit leben /
[180]
Soltu nach Demuht / soltu nach Tugend allezeit streben. etc.
Item:

– – ∪ ∪ – ∪ – ∪ ∪ –
Drey Einigkeit löblich lieblich gepreist /
Gott Vater / Messias / heiliger Geist / etc.

Herr Clajus.

Item, Diese gantz neue Art / so zurükke lauft:
– ∪ ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ –
– – ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ ∪
Schöneste gebieterinn / meine Pein
Wolt lassen endlich geendigt sein. etc.

Gleich wie aber die Teutschen Haubt Reimarten viel beweglicher / leichter und nach rechter Teutscher Art sein / also müssen jhnen diese und derogleichen neue Reimarten den vortritt nicht benehmen / noch gar zu oft oder überal hervorgesuchet werden: Es ist keine sonderliche Kunst / solche neue Arten zuordnen und etwas darin herzumachen / ob aber ein gleichwehrendes Lob daher zu erwarten / stehet zugefahr und Erfahrung desselben / der sich also dessen erkühnet.


Ende des Andern Buchs. [181]

Drittes Buch

Das 1. Capittel
1.

Ein Reimschluß ist eine solche Schließung / oder begreifft solche schliessende Reime / welche gewißmässiglich etzliche Reimzeile / entweder wenig oder viel / Lang oder Kurtz in sich halten: [182] Und muß ein jedes Reimgetichte in gewisse unterschiedliche Reimschlüsse abgetheilet werden. Weil man aber nicht allein die Reimschlůsse nach belieben / entweder auslängen /kürtzen / auf mannicherlei weise ümwechselen und verschrenken / sonderen auch viele Reimzeile vielfaltiglich ümsetzen und veränderen kan; als folget / daß auch unterschiedliche Arten der Reimgetichte dannenhero entstehen / nach dem / und auf weise und art die Reimschlüsse und die Reimzeile beliebet und gesetzet werden.

Hieraus nun entstehet die andere Haubtabtheilung der Reimarten / nemlich nach Ordnung der Reimschlüssen / und einrichtung der Reimzeilen / davon folgendes ordentlicher Bericht geschehen sol.

2.

Wan jeder Reimschluß in vier Zeilen und zweien Reimen bestehet / davon der eine Reim Steigend / der andere aber Fallend ist / die Verse aber zwölf- und dreizehnsilbig Kurtzlang sein / alsdann nennen wir sie


Die Heldenart.

also:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Ach Gott wie kanstu uns so gentzlich dan verlassen /
Und länger / als du pflegst / den harten Siñ zufassen?
Ists möglich / das dein Zorn noch weiter brennen kan?
Ach Gott! erbarme dich / und nim uns wieder an.
[183]
3.

Diese Verse werden sonst Alexandrinischen genennet / entweder von jhrem Erfinder / der ein Italiener sol gewesen sein / oder aber / weil des grossen Alexanders Thaten in solche Reimart sollen beschrieben sein. In Teutscher Verskunst werden diese Reime billig genant die Heldenart / weil sie bey uns an stat der Griechen und Römer Heroischen gebrauchet werden. Sonsten heisset man diese Art in gemein die Langen Verse / seind überall bräuchlich / erfoderen aber /wenn sie in jhre rechttapfere Zier sollen eingekleidet werden / den rechten Meister und Poeten. In der Anhaltischen Anleitung wird diese Heldenart also beschrieben


Die edelst' Art ist diß / so unser Teutscher übet:
Geht hurtig von der Faust und leichte Reime giebet:
Die andre / vierdte Silb und sechste lang muß sein /
Die Achte / zehnd' und zwölf / dermaassen sich auch zeigen /
Weil unsrem Ohrenmaas es klinget und ist eigen /
Ja mit der Deutlichkeit kommt recht überein.
4.

Es kan diese Heldenart entweder mit einer Fallenden /oder mit einer Steigenden Reimung angefangen werden: am bräuchlichsten aber ist es / daß die vorderste Reimung Fallend sey. Die Reimschlüssel künnen nach belieben des Tichters wiederholet / [184] und also das Reimgedicht verlenget werde. Folget ein Exempel der


Heldenart / sich anfahend mit Fallender Reimung:


Weil noch nicht Blut genug von Christen scheint zufliessen
Die Wilde Feuersbrunst des Krieges auszugiessen /
Der über Teutschland geht / so stekket Mars auch nicht
Den tollen Degen ein / er hauet und erstlich / etc.

Herr Tscherning.


Heldenart sich anfahend mit Steigender Reimung.


Wan ein berühmter Mensch / der auf der Erden lebt /
In dem Gerüchte her mit grossem Nahmẽ schwebt /
So mag es nie der Tod mit seiner Macht wegnehmen /
Des Himmels Satzung solt sich hierzu nicht bequemen / etc.

Siegspr. der Zeit.

Das 2. Capittel
1.

Wann der Reimschluß also wird geordnet / daß allezeit aufeinander / Zeilweis / die Fallenden und Steigenden Reime abgewechselt / oder ein üm den andren gesetzet [185] werden / also daß die erste Zeil mit der dritten / die andere aber mit der vierdten sich reime / alsdenn nennet man sie Elegien / weil sie etwas nach der Lateinischen Elegischen Art gemacht zu sein scheinen / in Teutscher Verskunst aber nennet man sie die


Wechsel Art also gesetzt:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Halt an und sei behertzt; Gedult kan überwinden
Ein unverzagter Mann an künsten sich erzeigt /
Wann Ungelük andren wil die feigẽ Hertzen binden /
Die Tugend höher hin bey jhren pressen steigt / etc.

Oder auch wol kürtzer / nach gemeiner art / (dan in den übrigen noch kürtzeren Versen verleurt die Wechselart jhrer Nahmen) also:


Zwar einer sagt dem andren schöne Sachen /
Doch Eitelkeit bewahrt des Hertzen grund:
Die Lippen lehrt man glatte Worte machen /
Dis denkt der Sinn / und jenes sagt der Mund.

Opit.

2.

Es scheinet daß diese Wechselart vornemlich in traurigen / irrenden und verwirreten Sachen zugebrauchen sey / weil sich der Reim darin fast lang zurük zeugt /gleichsam sich verleurt / und das Gedicht ümbschweiffend und irrend machet: Denn man drey gantze lange Reimzeile herlesen muß / ehe man einen[186] Reim abmerken oder jhm einbilden kan. Es künnen aber nicht allein die Kurtzlangen Verse / sonderen auch die Langkurtzen / Gekurtzlangen und Langgekürtzten zu der Wechselart gebrauchet werden / und alsdan lauft es geschwinde / und ist die Wechselart etwas lieblicher. Zum Exempel von Gekurtzlangen Versen:


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Um Salomons Bette stehn sechzig gerüstet

Von allen den stärksten aus seinem Geschlecht /

Mit Rüstung versehen wie einem gelüstet /

Ein jeder führt Lantzē uñ Schwerter mit recht etc.


Herr Cæsius.


Item aus Langkurtzen Versen.


Liebe die du mich lange zeit gekränket /
Täglich mir geschenkt selbst-gesuchte Pein /
Und durch bittre Lust Sinn und Geist gelenket
Du solst dennoch nicht meine Herrin sein. etc.
3.

Es kan die Reimung / in dieser Wechselart / nach belieben Fallend oder Steigend gewechselt / oder auch wol jene / oder diese allein sein / davon allemahl Exempel herzuführen / wie auch bey anderen derogleichen / nicht nöhtig gewesen / weil jeder nach gethaner Anweisung ihm dieselbe erwehlen und formen kan: Unser Werklein würde auch dadurch gar zu weitläuftig und lang werden.

[187]
Das 3. Capittel
1.

Wan jeder Reimschluß in vier Zeilen oder zweien Reimen bestehet / davon der eine Reim Fallend / der andere Steigend ist / die Verse aber Eilf- und Zehnsilbig seind / alsdan heissen sie Vers communus, in unser Teutschen Reimkunst die


Gemeine Art also geordnet:

∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Ach Gott mein Herr / wie werd' ich doch geplaget!
Von mancherley bekümmert und genaget;
Wo bleibet dan mein' Hofnung und mein Trost?
Laß mich / O Gott / doch endlich sein erlöst!
2.

Diese Reimart muß den Abschnitt zu ende des anderen Gliedes haben / davon droben gesagt worden: Die Anhaltische Einleitung beschreibt sie also:


Eilf- und Zehnsilbig sind / die man gemeine nennet;
Und in der vierdten wird jhr Abschnitt recht erkennet.

Es kan auch entweder die Fallende oder Steigende[188] Reimung den anfang machen/ nach dem es dem Tichter beliebt; Folget ein Exempel / sich anfahend von Fallender Reimung / mit anzeige des Abschnittes:


Wer Weltloß ist | hat diese Welt bezwungen:
Weltliebe hat | viel tausent hingetrungen
Zum Seelen Tod' | und schweren Ewigkeit /
Weltlieben ist | das gröste Seelenleid.
Reiß dich heraus | mein kühner Geist mit sprüngen /
Den Lügenern | zerbrich die Lasterzungen /
Des Fleisches Kraft | brich durch den frommen Sinn /
Des Unglücks Sturm | stoß durch Gedult nur hin. etc.

Anderes Exempel / sich anfahend mit Steigender Reimung:

O selig ist / wer in der bösen Raht
Zu gehn / den Fuß nie fortgesetzet hat /
Der auf den Weg der Sůnder nimmer stehet
Und sitzet nicht bey Spöttren / sondern gehet. etc.

Op. Ps. 1.

3.

Es künnen auch diese Reime von gemeiner Art also geordnet werden / daß sie jhren Abschnitt nicht zu ende des anderen / sonderen des dritten Gliedes haben / also:


Was in der Welt geschicht | hab ich erfahren
Durch übung schwerer Zeit | und sauren Jahren:
Und merke dieses / daß | nichts bessers sei
Als bleiben schlecht und recht | und Sündenfrey. etc.*
[189]
Das 4. Capittel
1.

Es entstehet das Klinggedicht (oder die Klingreime /So ein Klinggedicht oder Sonnet vorstellen) aus sonderlicher Verschrenkung und gegenklingender Reimung der Reimschlüssen: Nemlich ein Klinggedicht /oder vielmehr Klingreime oder Sonnet heisset man /wan vierzehn Verse oder Reim zeilen also zusammen gesetzet werden / daß der erste / vierdte / fünfte und achte Vers eine Reim-endung haben; hergegen auch der ander / dritte / sechste / und Siebende Vers gleichfals mit einer Reimendung ausgehen. Es gilt aber gleich / und stehet zu des Dichters Beliebung / ob sich das Sonnet oder die Klingreime von Steigender oder Fallender Endung anheben. In den übrigen sechs Versen aber ist der Poet frey / und mag dieselben schrenken / setzen und miteinander reimen / wie er wil / und es jhm belieblich ist. Züm bräuchlichsten aber ist es / daß der Neundte und Zehnde Vers einen Reim machen / der 11. und 14. auch einen / und dan der 12. und 13. wider einen / und also wird das Sonnet richtig vollendet. In der Anhaltischen Einleitung zur Reimkunst wird das Sonnet also beschrieben:


Die Klinggedichte sein von vierzehen vollen Zeilen /
Die man dermassen sol ausputzen und befeilen /
Wie auch ist vorgesagt. Im anfang findet man
[190]
Gesätze / deren zwey gleich folgen in acht Reien /
Darauf sich können wol die sechse so verneuen /
Wie man blos nach der Lust sie nur wil setzen an.
2.

Die Kling Reime künnen gleichfals / nach belieben des Poeten / entweder Langkurtz oder Kurtzlang; Langgekurtz oder Gekurtzlang / auch entweder rein oder unter sich vermenget sein: Imgleichen kan die Heldenart oder die gemeine Art dazu genommen werden / wie die Exempla überall befindlich sein. Wir wollen zur anzeige nur zwey anhero setzen: Folget derohalben


Kling Reime oder Sonnet

Von Kurtzlangen Versen nach der Heldenart.


Wollan du reicher Mann / magst deinen Reichthum haben:
Trag Kleider / welche sein verbremt mit Flammen-Gold
Und laß dir nur das Geld sein lieb / sein werth / sein hold;
Magst auch in Uppigkeit und eitler Wollust traben /
Und deinen Erdengeist an solchem Glükke laben.
Mein hoher Sinn ist weit von deinem Wunsch- und Geld
Und kehret nimmer ein ins Ungemachs Gezelt /
Er achtet nichts durchaus die gaben ohne gaben.
Was sol mir dieses doch / so mir genommen wird?
So mich ohn unterlaß mit Sorgẽ helt ümschrenket?
So sich nach windesluft / nach gunst uñ gnade lenket?
So mich zu aller Sünd' anreitzet und verführt?
[191]
Doch was? ich hab' es all': und noch wol etwas mehr:
Und fragstu / warüm? drüm / weil ich es nicht begehr.*

Anderes Sonnet oder Klingreime /

von Langgekürtzten und Gekurtzlangen unter sich vermengeten Versen.

Zerfliessender Spiegel und silberne Fluht /
Lege nun deine stoltzwallende Wellen /
Welche die Winde mit beben erschwellen /
Und wandere mächlich / mit minderem Muth:
Noch harret und starret die hastige Struht /
Weiset des Angesichts niedliche hellen.
Wellen der Ströme sich mögen gesellen
Mein Bilde hier dennoch im lauffen beruht
Bey hiesigem Lande
Im kieslichem Strande
Bestehets und geht:
Doch können die Strahlen
Mit nichten bemahlen
Die Menschliche Red'.

Also singet Kůnsteling im CLVII. Gesprächspiele Herrn Harsdörf.

Das 5. Capitel
1.

Wan ein Reimschluß also wird eingerichtet / daß er sich mit vier Versen oder [192] Reimzeilen endige; der erste und vierdte Vers aber sich reime / wie auch der andere und dritte / alsdenn nennet man solche Reime Quadrains, vier versichte / oder vielmehr Vierzeilige Reime: Darin man nach belieben die Heldenart / oder die gemeine Art / wie auch die Kurtzlange oder Langkurtze Reimart zugebrauchen hat: Die Reimung gleichfals kan nach gefälligkeit zu erst / oder zumitten Fallend oder Steigend sein. Der Teutsche Tugenspiegel Herrn Freinsheims ist von solcher Viezeiligen Reimart durch und durch beschrieben. Folgen zur anzeige.


Vierzeilige Reime

Von Heldenart / mit Fallender Reimung.


Gleich wie zu So erzeit der Donner mit dem Keile
Hier einen hohen Baum / dort einen Felsen bricht /
Und daß in einem Blik' ohn alle Müh verricht /
Mit eben solcher Sterk' und eben solcher Eile
Kommt aus dem hohlen Ertz ein schwerer Strahl geflogen /
Da wird den eben auch die Erde / samt der Luft
Mit Donner uñ mit Blitz erfüllet / und mit Duft
Und Nebel gantz bedeckt / mit Wolken überzogẽ / etc.

Herr Freinsheim / vom Geschůtz redend.

Vierzeilige Reime
Von Heldenart mit Steigender Reimung.

Gott wendet oftermals viel Unheils von uns ab
Wenn wir durch Demuht bald vor seinem Zorne kommen /
[193]
Die wolverdiente Straff wir alsdan weggenommen /
Weil er sich gütig zeigt mit seiner Gnadengab:
Anhaltische Einleit.

Andere Vierzeilige Reime
Von gemeiner Art mit Fallender Reimung.

Gott pfleget stets die Eitelkeit zu hassen /
Kein Hofart auch Er von uns haben wil /
Es soll für uns dis sein das rechte Ziel
Daß in Gedult und Demuht wir uns fassen.

Anhaltische Einleit.
2.

Wird aber der Reimschluß also eingerichtet und geordnet / daß er sich mit sechs Versen oder Reimzeilen endige; Der erste und vierdte Vers sich reime / wie auch der andere und dritte / die letzten beiden aber als der fünfte und sechste Vers machen jhre eigene Reimung / alsdan nennet man Reime Sixains; Sechszeilige oder Sechsversichte: Sind überal mit den vorgehenden Vierzeiligen gleich / nur daß noch zwey Verse / als der fünfte und sechste hinzu kommen. Die Reimart / wie auch die anhebende Reimung ist alhie nach belieben zuerwehlen. Folget zur anzeige


Sechzeilige Reime

Von gemeiner Art:


Die Freundlichkeit gleich wie zu Lehne gehet
[194]
Von Fürsten her / und jhnen ists ein' Ehr /
Im fall sie sich derselben mehr und mehr
Gebrauchen recht. Sehr wol und Fürstlich stehet
Geliebet sein. Die Macht oft übel thut /
Leutseligkeit schaft nichtes als was guht.

Anhaltis. Anleit.

3.

Wan der Reimschluß aber also wird eingerichtet und geordnet / daß er sich mit acht Versen oder Reimzeilen endege: Die Reime aber also gesetzet werden /daß sich der erste / dritte und fünfte Vers reime / wie auch gleichfals der andere vierdte und sechste: Die übrigen zwey aber / als der siebende und achte Vers künnen sich / nach belieben / Steigend oder Fallend reimen / alsdan nennet man sie Achtzeilige oder Achtversichte / Huictains. Folgen zur anzeige


Achtzeilige Reime


Wann durch Freygebigkeit die Fürsten Freund erwerben
So grosse Treue man bey denen dan nicht findt
Als wan jhr guter ruff und Tugend ohn entferben /
Die Tugendhaften auch in jhre Freundschaft bind:
Geschenke manche Leut' in jhrem thun verderben /
Und die Vergeltung oft in einẽ Hui verschwindt:
Die einen zu dem Glük' alleine Liebe tragen /
Die andren die Person der Tugend wil behagen.

Anhaltis. Anleit.

[195]
Das 6. Capittel
1.

Es ist dieses keine unanmuhtige Reimart / so man nennet Wiederkehr / in welcher die Verse durch und durch von einerlei Reimwörteren sein / also daß das gantze Gedichte sich muß reimen / oder nur eine Reimung ist. Es folgen aber die Reimwörter / so viel man derer haben und gebrauchen will / auf einander; Von dem letzten Reimworte aber kehret das Gedichte widder zurükke / wiederholet ordentlich und Staffel- und Zeilweis die ersten Reimwörter / also daß eben so viel Reimzeilen in dem Rüklauffe oder Wiederkehre des Gedichtes / und zwar nach ördentlicher Anzahl seyn můssen / als gewesen in dem ersten Ablauffe der Reimwörter. Die Wiederkehrung hebet sich derhalben allezeit zumitten des Gedichtes an / und hat gleiche anzahl Verse / so wol obenwerts als untenwerts zu rechnen. Die Wiederkehre auch künnen lang oder kurtz gemachet / und eine beliebige anzahl der Reimwörter darzu erwehlet werden: Doch müssen der reimenden Wörter zum wenigsten drey / und also von sechs Versen das Wiederkehr werden. Die Reimarten künnen hierzu nach beliebter Freiheit des Poeten gebrauchet werden.

[196]
2.

Dieses aber ist sönderlich in acht zunehmen / daß die erste Meinung / erster Vorschlag / oder was man sonst als eine Frage / Erzehlung / etc. vorzubringen hat / nicht weiter gehe / biß auf die Wiederkehrung /das ist bis zu mitten des Gedichtes / so lange nemlich die ausgelesenen Reimwörter aufeinander folgen: So bald aber die Reimwörter wiederkehren und rükweis gleichsam wieder hinauf steigen / alsdan muß auch die Beantwortung und Gegenrede sich anfahen / und mit eben den Reimwörteren gleichsam gegensetzlich antworten; in der letzten Reimzeile aber einen sonderlichen Spruch oder nachtrükliche Meinung haben /folget zur anzeige ein


Wiederkehr von vier Reimwörteren


1. Alle Welt ist Sorgen voll.
2. Niemand sorget wie er soll /
3. Jeder wünscht ein eignes wol /
4. (So zu reden) Sorgen toll.

Widerkehr


4/ Armer Mensch bist Sinnen toll
3. Leib und Seel hats nimmer wol /
2. Bis du lernest wie man sol
1. Recht sein Himmels-Sorgen voll.*

Anderes

Wiederkehr auf eines guten Freundes

Hochzeit:


1. Ist jetzt dan zeit / daß jhr euch Paarweis laßet sehen /
2. Vnd wolt / ohn zweiung zwei / für einẽ Mann bestehẽ?
3. Jetz / da der Krieg von sich leßt Feur und Wüte gehen /
4. Vnd da der Winterwind das Feld muß überwehen?
[197] 5. Das Göttlein nicht so wol vermag dz Hertzen-Nehẽ /
6. Der Bienē Stachel kan nicht löchren machend blehen:
7. Der Hüner Mañ gesperrt / mag nit so freudig krehen /
8. Der Wetterhahn sehr kirrt und muß sich ofters drehẽ /
9. Den Ofen jedermann muß streichlen / lieben / flehen?
10. Herr Breutigam / das ist vieleicht nicht wol geschehen.
10. Ei doch was einmahl ist geschehen / bleibt geschehen /
9. Ihr / anderweit erhitzt bedürft kein Ofen-flehen:
8. Es mag nach Windesgang der Wetterhahn sich drehen;
7. Laßt euren Hüner Mann zu haus nur sicher krehen /
6. Vnd dz der Bienen Spies was gutes macht aufblehẽ.
5. Man sagt / durch Göttleins kunst / gescheh' ein Hertzennehen /
4. Wenn man die Seufftzer lest durch keuschen Wechsel wehen.
3. Laßt diesen Krieg nur fort in seinem Gange gehen /
2. Vnd laßt es also wol und ofte bey euch stehen /
1. Daß jhr zu rechter zeit ein kleines jhr möcht sehen.
3.

Künstlich aber scheinet es / wan aus einem Letterwechsel des Wiederkehr kan genommen oder sonst ein Kunst Stukke dabey gebrauchet werden. Zur anzeige wollen wir anhero setzen ein Wiederkehr / so auf den 10. Aprilis, als auf den hochfeierlichen Geburtstag des Durchl. Hochgeb. Fůrsten und Herrn /Herrn Augusti Hertzogen zu Braunschw. und Lüneb.etc. S.F. Gn. ist überreichet worden / da dan aus diesen Worten:


Der Zehnder Tag des jetzigen Monates Aprilis

per anagramma oder Letterwechsel komt ein voller Vers:


Laß diesen Ostertag / hie Zeit sampt Neid zerdringen.

[198] Aus dessen anleitung entstanden folgendes

Widerkehr


1. Wan erst die Majenzeit leßt durch die Erde dringen
2. Die Blumenschöne Zier; der Ostertag lest singen
3. Von Freud' und vieler Lust; die Nachtigal leßt klingẽ
4. Die lieblich-scharfe Sti . Wan uns pflegt zu gelingẽ
5. Wan unser Wunsch ersiñt / so muß dz Hertze springen /
6. Der Freudengeist sich weg ins Feld der Wollust schwingen.
7. Wann unser Hofnung blüht / dann pflegt sie uns zu bringen
8. Der Fröligkeiten Frucht: Wann auch verschwestert giengen
9. Fried und Gerechtigkeit / und wolten sich ümschlingen
10. Mit Liebesband' einmahl: Gewiß von solchẽ dingen
11. Lies sich die Vnlust gantz ohn zwang zur Lust bezwingen /
12. und das / was unglůk heißt / vom guten überringen:
13. Doch wollen wir jetz nicht üm ein gewisses dingen.
13. Dann wenn man alle Lust nach Wunsch nur wil bedingen /
12. So pflegt sie schlüpferig sich von uns auszuringen.
11. Ein Freudentag ist hier / der durch die Feyr sol zwingen
10. Die Vnlust zu der Lust / von lauter guten dingen
9. Kan man auf diesen Tag ein Tugendbůndlein schlingẽ.
8. Ja wan die Kräfte straks wie meine Wůnsche giengẽ /
7. Man müste / eh man stirbt / unsterblichkeit noch bringen
6. Dem Helde / der sich hoch kan über Tugend schwingen /
5. Mit hoher Geistes krafft der Menschlichkeit vorspringen:
4. Dem muß es mit der zeit (verbleiche Neid) gelingen /
3. Sein Tugendschönster Ruhm die Teutsche Welt durchklingen
2. Wir wollen noch zu Gott auf diesen Tag oft singen:
1. Laß diesen Ostertag hie Zeit sampt Neid zerdringen.*
[199]
4.

Der Widertritt ist ein kurtzes Widerkehr / wan nemlich nur zwei Reimwörter Gegentritt halten und alsbald wiederkehren: Wan aber mehr / als zwey Reimwörter / gebrauchet werden / ist schon der Tritt aus /und wird ein gang / und also ein Widerkehr daraus. Folget zur anzeige ein


Widertritt oder Gegentritt.

1. Schön ist der Wald und grůnes Feld:
2. Was sol mir Ehre / Gold und Geld?
2. Viel Müh' ist da / wo ist viel Geld /
1. Viel besser ist mir Wald und Feld.
1. Wir Schäfer leben ohne Leid /
2. Wo Ehre wohnt / regieret Neid.
2. Je grösser Guht / je grösser Neid /
1. Wir bleiben frölich ohne Leid.
1. Laß stehlen / Morden / wer da kan /
2. Laß sein / wer wil / ein Sorgen Mann /
2. Ein solcher Mann ist ein UnMann /
1. Der nur so eitle Sorgen kan. etc. *

Anderer Wiedertritt.

1.
Endlich thut das Ungelük
Einen Gang und einen Rük:
Einen Gang und einen Rük
Endlich thut das Ungelük.
[200] 2.
Endlich ko t des Tagesschein
Nach dem langen dunkel sein:
Endlich nach dem dunkel-sein
Folget heller Tagesschein.
3.
Endlich preßt man guten Wein /
Wan die Trauben reiffe sein:
Wan die Trauben reiffe sein /
Preßt man endlich guten Wein.
4.
Endlich bringt der Dornenstrauch
Ja die schönsten Rosen auch:
Schöne Rosen wachsen auch
Endlich aus dem Dornenstrauch.
5.
Endlich folgt auff Krieg und Streit /
Friede samt Gerechtigkeit:
Ach das Fried / Gerechtigkeit
Folgen soll auf Krieg und Streit!
6.
Endlich man die Tugend kröhnt
Und das Laster schimpflich höhnt:
Laster endlich wird verhöhnt /
Rechte Tugend wolbekröhnt. etc. *
[201]
Das 7. Capittel
2.

Ein dreygeschrenkter Reim gehöret fast zur Wechselart / davon zuvor gesagt / nur daß die Reimung verdreifaltiget / und also dreymahl Wechselweis ümsetzet und verschrenket wird. Folgen zur anzeige


Dreigeschrenkte Reime

genant

Trotz durch Gedult.


Dort von Osten / dort von Westen
Mich ůmringt der Widerstand /
Wann ichs mein' am aller besten
Trift mich erst die Unglükshand;
Noch dennoch ich wil ausfesten /
Ich will einen Eisren Band
Mit Gedult ůms Hertze schlagen /
Ich wil einen Strählern Schild
[203]
Stets zu meiner Brustwehr tragen.
Unglůk / sey nur wůt und wild
Ich wils dennoch mit dir wagen /
Dich zertrennen / da / was gilt?
Magst zu schärffen nur beginnen
Deine Pfeile mehr und mehr /
Und mit Kräften und mit Sinnen
Rüsten aus dein Höllen Heer /
Ich wil doch die Schlacht gewinnen /
Wan Gedult gibt Schild und Wehr.*

Andere

Dreigeschrenkte Reime.


Die Rachsucht reitzt zur Ungedult /
Und lesset die Vernunft verwehen:
In lauter grimmig- sein sich hullt
Und leßt den Zorn ohn Zügel gehen /
Bis sie der Rache Lust erfüllt
Und gierig kan den Schaden sehen.
Mein Hertz / nicht also sei gesinnt /
Ob du schon bist ohn schuld verletzet:
Wer sich zu rächen selbst beginnt
Dem HErren Zeit und Maaße setzet.
Gott rächet recht / jhm nichts zerrint /
Ihm stell es heim. Er dich ergetzet. *
Das 8. Capittel
1.

Ein endschallender Reim ist / wan derselbe entweder zu ende des Verses / oder jedes [204] Reimschlusses endschallend wird einmahl / zweymahl oder dreymahl. Nemlich daß auf das Reimwort / ein oder mehr Reimwörter eintzelweis folgen / welche doch eine schikliche / deutliche meinung haben / Zur anzeige folgen


Endschallende Reime.

1.
Ob schon Wiederstand und so schwere Noht
Täglich mich anficht / doch will ich auf Gott
Recht von Hertzen grund unabsetzlich schauen /
Schauen / trauen / bauen.
2.
Ich wil meine Seel fassen mit Gedult:
Wer wol harren kan der hat Gottes Huld?
Ach Herr wie du wilst / wil ich gerne leben /
Leben / heben / streben.
3.
Loser Sündenschein / der Welt Eitelkeit /
Wil mit kůhner Hand werfen ich zur seit':
Ich wil in mein Hertz Lastersucht nicht fassen /
Nicht-fassen / lassen / hassen.
4.
Meinen Liebeslust solstu Gott nur sein /
Ach was kan ich mehr! Schau ins Hertz hinein /
So mit stiller Brunst sich zu Gott wil schwingen /
Schwingen / dringen / bringen. *

[205] Andere Endschallende Reime.

1.
O Gott der du hast diese Nacht
Mich so gnädiglich bewacht /
Dein Lob will ich machen kund
Kund / aus grund mit Mund.
2.
Laß mir deine Gnadenhand
Diesen Tag sein zugewandt
Und verleih mir rechte huld /
Huld / Gedult / Unschuld.
3.
Daß ich diesen gantzen Tag
Dir zu ehren leben mag /
Gott allein sey du mein Sinn
Sinn / beginn / Gewinn. *
2.

Folgende endschallende Reime haben nur einmahl in jeden Verse den Endschall / welche Herr Harsdörfer /dem Lope de Vega nachahmend nicht unglüklich also gesetzet:


Es hat das höchste Glük / Tük'
Und fallende Strik':
Ihr baut der Pöbel Schaar Altar
In grosser gefahr.
Wer das was jhn betrübt / liebt /
Und böses verůbt /
[206]
Der hasset mehr und mehr Ehr'
Und heilsame Lehr.

Es künnen diese Reime nach verständiger Beliebung noch ferner verendert / und anderweit endschallend gemachet werden: Wie denn auch die Echonischen arten /wie sie etzliche nennen / anhero gehören: Es seind aber so wol diese / als jene / von dem rechten reinen Echo unterschieden / davon im folgenden Capittel.

Das 9. Capittel
1.

Ein rechtes Echo oder reiner Wiederhall ist / welcher also gegenschallend und wiederhallend antworten muß / daß keine Enderung der Letteren / vielweniger des Gethönes vermerket werde. Dan der Wiederhall oder Echo / als die natürliche Gegenprallung und das ebenlautende zurükschallen der Stimme / welche in den Gehöltzen / Bergen / Gründen / auch in ebenen örteren zuweilen angehöret wird / von der man sagt


Sie lebe sonder Leib / und höre sonder Ohren /
Sie rede sonder Mund / werd' in der Luft gebohren.

H. Harsd.


Dieselbe ist nicht anders / als das letzte Wiedergethön der Stimme oder Wörter / und an sich von den Reimen gantz unterschieden: Derhalben ist es kein Echo wan man setzet: Ohren-hören. Muh-Kuh. [207] Sparen-fahren / etc. sonderen blosse Reime. Und ist demnach ein anders ein Reines Echo / und ein anders ein Reimendes Echo. Ein reines Echo ist / woselbst der gantz unveränderte Wiederhallantwortet / welches auch võ rechter natürlicher Anmuht und Lieblichkeit ist: Ein reimendes Echo ist / wan der Wiederschall vielmehr reimend als gleichthönend / und von den Reimen wenig oder gar nicht unterschieden ist. Folget zur anzeige ein


Reines Echo oder Wiederhall.


Auf Echo und sprich mir nach
Was folgt auf der Kriegessach?
Echo. Ach.

Ach und Weh ist nicht voll Güte /
Was wechst aus des Kriegesblůte:
Echo. Wüte.

Kriegeswůte kan aus leeren /
Wie entkomt man den Beschweren.
Echo. Wehren.

Krieg bleibt in der Welt erhoben
Wer kan wehren seinen Toben?
Echo. Oben.

Daß ein von der Götter Geschlecht
Aus dem Himmel Mittel brecht!
Echo. Recht.

Recht ja Recht sol wieder schweben
Sich mit Fried zusammen kleben
Echo. Leben.

Fried und Recht die künnen geben
Rechten Nutzen / rechtes Leben.
Echo. Eben.

Wollust die auß Kriegen kömt
Wie ein Rauch dahin verschwind:
Echo. Wind.

Niemand spinnt bey Kriegen Seiden /
Worin kan der Krieg uns kleiden?
Echo. Leiden. *
[208]
2.

Zumerken ist / daß diese Wörter Narren-harren. Blüte-wüte. Paaren-haaren. Sinn-hin / und derogleichen gar wol in einem reinen Echo gelten und stehen können: Dan der Laut / Thon / Hall und Schall / wird vernemlich nicht geendert durch vorsetzung das H. oder W. Sonderen weil das Echo ein Wiedergeruff und Gegengethön ist / scheinet wegen des Nachklanges und Nachpralles / solche fliessende hauchung mit durchlauffen möchte. Mehrere exempla sind hin und wieder zufinden.

Das 10. Capittel
1.

Die Ringel Reime seind / welche gleichen anfgang und gleichen ausgang haben / also daß sich der Reimschluß mit eben den Worten / mit welchen er sich anhebet / schließen muß: Und gleich wie in einem Umgange eines runden Kreisses oder Ringes / man eben zu dem anfange wiederkommet / also auch wandert das Reimgedichtlein / bis es zu ende gleichsam hinwieder seinen antrift. Folget zur anzeige


[209] Ringel Reim von zwo Zeilen.

Glük-Unglük hat die zeit / gefaßt steh und bereit
Wans Glůke lacht / dieweil Glük-Unglük hat die zeit.
Ringel Reim von vier Zeilen.

Das alte hinvergeht / wer sicher hie wil leben
Der mus in Unschuld stets der Frömmigkeit nachstreben:
Ohn Gottesfurcht gar kein erschaffnes hie besteht /
Die Welt ist Eitelkeit / das eitle hinvergeht.*
Ringel Ode / aus H. Cæsio.

Ade du Gift der zeit / du eitele Liebes lust /
Die mir / ach blinde Welt / vor diesem war bewust /
Die mein Gemüth und Sinnen
Bezaubert albereit
Nur Thorheit zubeginnen
Ade du Gift der Zeit. etc.
2.

Es ist auch eine sonderlich Art der Ringel Reime /welche / in dreyzehn Versen bestehend / nur mit zweien Reimungen herumb lauft / widerholet aber jhren anfang eins zumitten / und eins zu ende / also den Reimring oder Kreis wieder zuschliessend. Zur anzeige


[210]
Es geht rund ům.
Ein Trunk schmekt auf den Schinken /
Die rechte faßt das Glaß / und mit der linken
Führ' ich dẽ Schlag / uñ singe Hochdeutsch drein /
Ob ich schon jtz muß mit Holländisch sein.
Nun setz' ich an / wil nach der reihe trinken /
Weil uns annoch die güldnen Sternlein winken:
Nun schlagt die Laut' und blaset mit den Zinken /
Was ficht uns an die algemeine Pein?
Es geht rund ům.
Das Glas ist aus / nun las ichs wieder sinken;
Hab ichs vollbracht / so laß' ich mich bedünken /
Sie lebe noch von unsrem klaren Wein.
Wol! Nachbar laß dir wieder schenken ein.
Auf Rosemund Gesundheit soltu trinken.
Es geht rund ům.

Herr Cæsius.

3.

Es ist auch dieses noch eine neue Art Ringelreime /die sich also ringsüm schliessen müssen / daß die beiden ersten Verse in jedem Reimschlusse sich zu ende wiederfinden / und also das Gedicht einringen und bezirken. Zur anzeige folgen


Umgehende Ringelreime

1.
Was ist doch besser als die Nacht /
Die Nacht die alles sicher macht:
Die uns begräbt bis auf den Tag
Macht sterben alles Ungemach:
[211]
Der müden Arbeit Enderinn
Und aller Sorgen Medicin:
Was ist doch besser als die Nacht /
Die Nacht / die alles sicher macht?
2.
Was ist doch lieber als die Nacht
Die Nacht die alles süsser macht?
Die Nacht die kühne Buhlerinn
Verräht der Junfern keuschen Sinn;
Wer Diebstal in der Liebe sucht
Dem gibt die sichre Nacht zuflucht.
Was ist wol lieber als die Nacht /
Die sicher / süsser alles macht?
3.
Was ist wol besser als die Nacht /
Die Nacht / die alles ärger macht?
Die Nacht die voller Lügen ist /
Voll mörderischer Hinderlist /
Voll Diebstal / Ehbruch Hurerey /
Die Nacht / die sich nennt Lasterfrey.
Drüm was ist böser als die Nacht /
Die Nacht die alles ärger macht.
4.
Was ist so traurig als die Nacht /
Die Nacht die alles traurig macht?
Misgönnt den Himmel und das Licht /
Und nimt der Welt jhr Angesicht /
Macht alle dinge Nahmen loß /
Und macht den Menschen Sinnebloß /
[212]
Was ist so traurig als die Nacht /
Die ärger / traurig alles macht.*
4.

Man kan die Ringelreime auch also ordnen / daß nicht eben die gantzen Zeilen / sondren nur die Reimung zu anfang und zu ende wiederhohlet werde / zur anzeige


Wan der Früling steht in blüte /
Schleust den Baum in grünes Kleid /
Und die Blum in Zierlichkeit /
Gibt sonst andre seine Güte /
Dieses bald wechset / bald welket es wieder /
Wechselweis stehet auf / gehet bald nieder /
Augenlust und kurtze Güte /
Bringet solche Frülings Blüte. etc.
5.

In der Pegnitzischen Schäferey p. 37. sind die ümgehenden Ringel Reime noch auf eine andere Art geordnet / also daß ein Reimschluß den anderen mit gleicher Reimung antworten / und die Verse wie in einem tantze herum geführet werden / derohalben es auch daselbst Strefon nennet ein


Reihenlied / also:

Ihr Pegnitz-Najaden verziehet zu giessen /
Und eilet die Doppelgepaarten zu grüssen /
Bezirket den Reihen
Mit Jauchtzen und Schreien:
[213]
Wir sehen Euch gläntzen
Bekrönet mit Kräntzen /
Zu ehren den zweihen
Beginnet zu springen /
Wir Wollen ein fröliges Liedelein singen
2.
Verweilet jr Nimpfen / und lasset nicht schiessen /
Das helle / das schnelle / das schlupfernde fliessen /
Wir wollen uns freuen /
Kein Ungelük scheuen /
In unseren Grentzen
Auch ohne den Lentzen /
Violen herstreuen /
Uns wird es gelingen
Wir wollen das Reihenlied Wolkenanschwingen.
Das 11. Capittel
1.

Bilder Reime nennet man welche eine Gestalt oder abbildung eines dinges / als eines Eies / Seulen /Creutzes / Bechers / Hertzens / Flügels und derogleichen Formen und vorstellen / und also geordnet und eingeschlossen sein / daß die Reimarten nach erforderter Form des abzubildenden dinges gebrauchet /und unter sich nach gebührender Stelle vermenget werden. Folgen zur anzeige


[214]

Bilder Reime

Ein Ey abbildend / von Jambischen Versen.
Behend
Das Ende
Bey jedem Ding
Klein / groß / gering
Gar unverhoft sich find
Das eitle weg verschwindt /
Wer auf Gott uñ auf Tugend traut
Der hat auf festen Grund gebaut
Was Tugend gibt / Was Gott beschert
Bleibt unverdorben / unverwehrt /
Darum ich nur GOtt liebe
In Tugend mich stets ůbe
All Eitelkeiten
Werf ich zu seiten
Behende
Ihr ende.

[215]
Thurn Seule von Dactilischen
Versen:
Gotte vertraun
Himmel anschaun
Laster verlassen
Sůndenlust hassen
Fliehen der Eitelkeit Gier /
Lieben der Tugenden Zier
Lůste des Fleisches betrůben /
Heiliger Sinne stets ůben
Solches mir rechte vergnügūg bringt
Solches mir ewig-ergetzlich gelingt
Frölich ich liebe bey allen beginnen
Himmel / Gott Tugend mit heiligen Siñen
Sůsseste Tugend / uñ liebester treuester Gott
Haltet bei diesen begiñen mich bis in dẽ Tod.*
[216]
Eine Piramide oder Thurn Seule

Von Lauter Trogaischen oder Langkurtzen Versen /darin vierzehn Arten der Trogaischen Reimen begriffen sein.


*

|

1. Mein Gott 1.

Viel Noht

2. Vngelük 2.

Böse Tůk

3. Falscher Leute 3.

Trüken heute

4. Fromme Leute sehr 4.

Reissen nimmermehr

5. Recht und Tugend nieder / 5.

Hundertfeltig wieder

6. Wechset Sůnd' uñ Laster auf 6.

Bosheit ko t in schwāg uñ lauf

7. Vnd dis alles muß so toben 7.

Weil der böse Krieg schwebt obẽ.

8. Alles was der böse Krieg erdenkt 8.

Stets dẽ Friedē uñ die Tugend krenkt

9. Ach drum wollest Gott uns Menschẽ gebẽ 9.

Daß wir lernen nach dem Frieden streben /

10. Daß wir lernē recht dein Gebot volbringē 10.

Als denn wird es uns recht und wol gelingen.

11. Wenn die tugēd uñ der Fried kluglich uns regiert 11.

Alsdenn alles in der Welt herrlich steht geziert.

12. Wann der lose böse Krieg oberherrschung führet 12.

Alles Gute alles Heil sich gar bald verliehret.

13. Nichtes kā in diser Welt thaurhaft werdẽ aufgebaut 13.

Wo 8 Baumañ sonstē nit Gott uñ Recht alzeit anschaut

14. Ei die Spiesse sollē noch zu Pflugschaarẽ alle werdẽ 14

Liebe / Recht / Gerechtigkeit sollen wohnẽ nur auf Erden.

Creutz von Trogaischen.
[217]
Gar viel Schmertzẽ
Ich im Hertzen
Stets entpfinde /
Meine Sůnde
Truken täglich mich / weil ich nicht kan leben
Wie die Seel wil: Weil ich nicht kan streben
Recht mit Emsigkeit nach des Hi els willen /
Muß ohn Willen oft Leibeswillen stillen /
Auf Gott trauen /
Auf jhn schauen /
Sei stets mir
Höchste Gier:
Seine Gůte
Mein Gemůte
Stets erfůlle
Stets ůmhůlle:
Er mich Armen
Mit erbarmen
Stets erquikke /
Denn ich schikke
Mein Begehren
Nach dem Herrẽ. *
[218]
Pocal von Dactilischen und Anapestischen.
Jugend
Und Tugend
Steht artig zusa en /
Jugend
Und Tugend
In eifrigen Flammen /
Leider gar selten man findt
Itzo zu unseren Zeiten entzündt.
Můssiggang / Laster und eitele Sachen
Itzo an Tugend- und Kůnstestat wachen.
Lesset sich einer zur Tugend schon an /
Folget dem guten und findet die Bahn;
Wird er geneidet in allen
Kan keinem gefallen /
Kůnste vergehen /
Laster entstehen /
Bis alles vergeht
Was stichet und schmeht /
Das unsrige vollend zerrint
Und steubet wie Wellen und Wind.
Achtestu dieses / so bistu ja Blind.
[219]
Das 12. Capittel
1.

Die Trittreime seynd / welche also eingerichtet und gefüget werden / daß die Meinung darin muß wechselweis ümtreten / oder darin trittweis die eine Meinung auf die andere also folgen / damit die folgende Meinung / oder die Wörter in dem Nachtritte ordentlich den Wörteren in dem Vortritte antworten / ünd also eine völlige Meinung zusammen gebracht werde. Es können diese Trittreime also gemacht werden / daß Sie etweder in zweien / oder in dreien / oder entlich auch in vier Abtritten bestehen; Weiter aber kan man nicht wol in solchen Reimen hinnaus treten / noch die trittweis zusammenhengende Meinung lenger hinaus bauen. Folgen zur anzeige


Trittreime.

Von zweien Tritten / der erste wird mit A / der ander mit B / gezeichnet.


A. Der Leib: A das Geld und Guht: A der Seelen Seeligkeit:
A. Verstand: A und das Gerücht: A der Tugend schönes Kleid:
B wird schwach: B wird aufgezehrt: B wird hingegeben gantz:
[220]
B wird unverstand: B wird bös: B verleuret seinen Glantz. *

Trit Reime. auf vorige art von zweien Tritten.

Die faulheit / völleren / was gaile Leute schreiben /
Die Augenlust / die Red' / und der Geselschaft treiben
Wirf weg / vermeide stets / das lege von dir hin /
Verblende / höre nit / entfern von deinem Sinn. *
Trittreime von vier Tritten gezeiget mit a.b.c.d.

a. Der Tod: a Die Höll': a und Lieb: b ins Grab: b Qvaal: süsse Schmertzen:
c. Versetzet: c bringt: c erregt: d den Leib: die Seel: d im Hertzen.
Andere auf vörige art:

Das Hertz / der Leib / die Seel / brennt / schwindet / fürchtet auch /
Für Liebe / Tod / die Höll / wie Gluht / wie Schnee / wie Rauch.

H. Cæsius.
andere Trittreime aus einem Freuden Spiele:

Grünet / blühet / wachset / gebet /
Steiget / bleibet / ruhet / lebet /
Herrlich' / prächtig / räumig / voll /
Fürstlich / mächtig / sånftlich / woll. *
2.

Die doppelgängigen Reime seind / wan der Reim in jeder Strophe doppelgehet; die Strophe aber muß in sechs Versen oder Zeilen bestehen / also daß in der ersten / andern / vierdten und fünften Zeile / [221] eintreffende Reimwörter sich finden; die dritte und sechste Zeile des ersten Reimschlusses oder Strophe aber müssen mit der 3. und 6. Zeilen der folgenden Strophen sich gleichfals reimen / und also jhren Reimgang (nebest vorerwehnten Doppel Reimen) von einer Strophe in die andere verlegenen. Folgen nur anzeige


Doppelgängige Reime.

1.
Weil diese Nacht
Ist nun gebracht
Zum Tagesschein /
Der Engel acht
Uns hat bewacht
Für Noht und Pein:
2.
Drum sollen wir
Gott danken dir:
Laß ferner sein
Die Wächter hier
Uns für und für
Die Engelein. etc. *
3.

Es stehet auch frei in diesen Doppelgängigen Reimen / die 3. und 6. Zeil jeder Strophen allein zu reimen /und auf die 3. und 6. in folgender Strophe nicht zu sehen / und also nun den rechten Doppel Reim (dahero sie auch den Nahmen haben) zubeobachten. Folget zur anzeige / an seinen hochwerthen und hochgeliebten Herrn Harsdörfern haltende solche


[222] Doppelgängige Reime

1.
Mein Freund weil der Sonnenwagen
Sich gewendet / herzutragen
Unser Welt ein neues Jahr:
Altes Krenken / altes Zagen /
Altes Trauren / altes Klagen
Alter Unfried und Gefahr /
2.
Sey uns alles abgestorben /
Mit der alten Zeit verdorben;
Neue Lust gibt neue zeit:
Neuer Ruhm sey dir erworben.
Neid kreucht zu den Meuchelkorben
Scheuend unsre Redlichkeit.
3.
Hie mein deines Hertz aufs neue /
Hie die Hand und feste Treue /
Was sol uns Herr Klügelgekk?
Trotz / und schleich' er an ohn scheue /
Er sol riechen / nicht ohn reue
Seinen faulen Eseldrekk. *

Je kürtzer Reimarten man zu diesen Versen erwehlet / je mehr Lieblichkeit sie haben möchten / weil sie alsdan die Vernehmung des Doppelganges deutlicher machen.

[223]
Das 13. Capittel
1.

Es ist eine sonderliche / gantz bräuchliche Art der Lieder / welche jeden Reimschluß gleichschliessend enden / das ist / welche zu ausgang eines jeden Reimschlusses mit einem gleichen / allezeit wiederholetem Reime sich schliessen und endigen / daher man solche Gedichte nennet gleichschliessende Lieder: Die Reime aber / welche sich allemahl zu ende jedes Reimschlusses wieder finden / nennet man Endreime oder Absang. Es ist aber zuwissen daß die Endreime künnen /nach Beliebung / von jeder Reimart gemachet werden / und dürfen nicht eben mit den Versen im Haubtliede überein kommen: zu dem künnen die End Reime entweder Zweyversicht / Dreyversicht oder Vierversicht sein: Wiewol sie gemeiniglich nur Zweyversicht oder Zweizeilig seynd. Die Exempla sind beym Opitz /Harsdörffern / Risten / Vogelio und Cæsio zu finden /alles auszuschreiben fellet uns zu lang. Folget zur anzeige ein


[224] Gleichschliessendes Lied.

Welches uns vorbildet mit Grausen und Schrekken die Höllische Finsterniß.


1. So müsset jhr dan alzumahl /
Ihr bösgesinnten Sündenleute /
Ihr / Todes- und des Teuffels Beute /
Gestürtzt sein in die Höllenquaal /
Da Finsterniß und Dunkelheit
Euch ůberfelt in Ewigkeit.
2. Qualm / als von Pech' und Schweffel geht;
Rauch / schwärtzer noch als schwartze Wolcken;
Dampf aus den grundlosen Kolken:
So ist Licht / das üm Euch steht:
Die schrecklich-wůste Dunkelheit
Eur Licht / Eur Haus in Ewigkeit.
3. Ein Hellennebel voller Feur
Mit heissem Peche überstreuet /
Das Flokkweis den Schwefel speiet /
Und schwartzes Gift bleßt ungeheur:
So ist der Ort der Dunkelheit
Da jhr nun seid in Ewigkeit.
4. Das Hellenfeur glintzt ohne Licht /
Es fladert auf mit schwartzen Flammen /
Die sich oft Streimen weis zusammen
Verwikelen / und scheinen nicht.
So ist die Gluht / voll Dunkelheit /
Da jhr in schwitzt in Ewigkeit.
5. Den allerschönsten Gottesglantz /
Den schaut jhr nicht zu keinen zeiten /
Ihr bleibet hin in Ewigkeiten
Vernebelt und verdunkelt gantz:
[225]
Eur Sonnenliecht ist Dunkelheit /
So euch aufgeht in Ewigkeit.
6. Hebt die verdamten Augen auf /
Und seht ein schwartzes Höllen-schüttlen /
Geschmoltzen Bley und Schwefel-brüddlen /
Dampf / Funken / Qualm ům Euch vollauf:
So ist die Nacht der Dunkelheit /
Die Euch ůmgibt in Ewigkeit.
7. Der Sonnen-Monden-Sternen Schein
Durchstrahlen nicht die Höllenschrunde /
Es müssen diese Martergründe
Von dunklen Feur' erfüllet sein:
So zwinget sich die Dunkelheit /
Durch Leib und Seel in Ewigkeit.
8. O weh so müßt jhr alzumahl /
Ihr bösgesinnten Sündenleute /
Ihr Todes und des Teuffels Beute
Gestürtzt sein in die Hellenquaal /
In grosse Quaal / in Dunkelheit /
O weh! O weh! in Ewigkeit. *

Alhie ist die Endreimung Dunkelheit / Ewigkeit /dabey zuerinneren / daß es frey stehe / entweder gantze unverenderte Reimzeilen / oder nur die Endreimung zubehalten: Opitz hat in dem Liede / Wol dem der weit von hohen Dingen: Wie auch in den Zehnde von den Pierinnen etc. gantze zeilen unverendert zu Endreimen gebrauchet: Hiebey aber hat ein jeder nach beliebter Erfindung zuerfahren.

[226]
Das 14. Capittel
1.

Eben wie die vorgehenden gleichschliessenden Lieder jeden Reimschluß mit gleicher Endreimung schliessen / also müssen hergegen die gleichsetzenden Lieder jeden Reimschluß mit einer gleichen Reimung / oder gleichen Reimzeilen anfahen: Werden genennet gleichsetzende / weil sie den Ansatz oder Anfang in jedem Reimschlusse gleich setzen und ordnen / wie zu sehen aus folgendem / woselbst Bauen-schauen in allen Strophen den Ansatz oder Anfang machen.


Gleichsetzendes Lied.


1. Lerne Mensch dein Leben bauen /
Und auf ein gewisses trauen:
Ohne Grund kein Bau besteht /
Fehl-vertrauen bald vergeht.
2. Wilstu in dem Sand' aufbauen /
Ungewisser Hofnung trauen?
Sand zerwehet durch den Wind /
Eitle Hofnung hinverschwind.
3. Wilstu dem Meer' aufbauen
Und auf Fleisches Lüste trauen?
[227]
Bau zergehet durch den Sturm /
Fleisch ertödt und frißt der Wurm
4. Wüstu hoch auf Bergen bauen /
Nur der Ehr und Hochheit trauen?
Hohes rührt der Donner Schall /
Hoher Stand hat hohen Fall.
5. Wilst auf Stroh und Stoppelen bauen /
Nur den eitelkeiten trauen?
Stroh im huy zerweht / verbrennt /
Eitelkeit hat schelles end.
6. Solst auf einen Felsen bauen /
Unbewegtem Grunde trauen /
Laß Wind / Hagel / Regen gehn /
Fels bleibt unerschüttert stehn.
7. Nun so lerne grundfest bauen /
Gott wolgemuht vertrauen:
Gott muß nur der Fels dir sein
Tugendfleiß dein Wohnhäuslein.*
2.

Ein Wechsellied ist / worin die gantzen Reimschlüsse wechselweis / oder eins üms ander gleichschliessend oder von gleicher Reimung seynd; Welches dan nicht unthůnlich / und nach erfoderung und art des dinges /so zu beschreiben und mit Reimen anzudeuten / nicht übelständlich noch unlieblich sein möchte. Folget zur Anzeige ein


Wechsellied.

1.
Ach was sol ein Mensch doch schaffen /
Ja ein Mensch / ein schwaches Thier /
[228]
Der nichts hat / denn für und für
Nur der Eitelkeiten Waffen?
2.
Uns ümschleußt mit Eisrem Klammer
Böse Gier der Eitelkeit /
Stetes Trauren / stetes Leid /
Unglük / Elend / Noht und Jammer.
3.
Ei was wilstu Narr den schaffen /
Schwaches / mattes dummes Thier /
Dich selbst wůrgend für und für
Mit der Eitelkeiten Waffen.
4.
Gott schlegt mit des Zornes Hammer
Schwulst und Gier der Eitelkeit;
Uns umwikkelt stetes Leid /
So verpaart mit Noht und Jammer.
5.
Ach was sol ich armer schaffen /
Unverstendig wie ein Thier?
Ach ich bin nur fůr und fůr
Angefeind und doch ohn Waffen.
6.
So geh in des Hertzenskammer
Weit entfernt von Eitelkeit /
Alles das sey dir nur Freud /
Was die Welt nennet Noht und Jammer.
7.
Das heißt rechte Hülfe schaffen.
Das heißt nicht mehr sein ein Thier /
Das heißt haben für und für
Tugendwehr und Geistes Waffen.*

[229] Alhie bleiben durch und durch nach obangedeuteter Wechselung der Reimwörter Schaffen-Waffen: Thier-für: Kammer-Jammer: Keit-leid. Stehet auch hierin eines jeden beliebiger Erfindung frey die Besserung /Mehrung und Enderung.

Das 15. Capittel
1.

Einen Vornlauff nennet man dieselbige Reime / in welchen die vordersten Letteren / wan sie zusammen gelesen werden / ein sonderlich Wort / oder Nahmen /oder Meinung machen / darauf das Gedicht / oder dessen Inhalt muß gerichtet und damit verwant sein. Es geschiehet aber der Vornlauf auf zweyerley weise; Erstlich / wan entweder nach Ordnung der Verse / der erste Buchstab einer jeden Zeil / von oben bis unten /wird zusammen gesetzet und gelesen; oder aber wan nur der vorderste Buchstab jedes Reimschlusses oder Strophen wird zusammen gelesen: Zum anderen geschiehet der Vornlauff / wan die anfänglichen Buchstaben aller Worter / so in dem Verse auf einander folgen / künnen zusammen gesetzet und gelesen werden. Es kan auch ein Vornlauff entweder oben- oder unterwerts / nach des Dichters Beliebung / sich anfangen. Folget zur anzeige

[230] Vornlauff

Darin die vordersten Buchstaben / JEsus / aus deuten.


I n der Welt einer ist allein /
E iner wird in dem Himmel sein
S o nur bleibt mein Wunsch und Begier'
V nd mein Trost und der Seelen Zier /
S eelig ist der jhn findt alhier.*

Anderes Vornlauff

So unterwerts zusammen gelesen wird.


S o ich leben soll wil ich stets mich üben /
V nd mit deinem Wort' / O mein lieber Gott /
T rachten stets nach dem / was seyn dein Gebot:
S o ich sterben soll / wil ich doch dich lieben /
I n dem Weltgezirk' ist doch nicht zufinden
R uh' und Sicherheit: Stetes Creutz und Noht
H ier alzeit regiert / bis uns frißt der Tod:
C reutz und Tod und Noht durch Gott kan verschwinden.*

Vornlauff

Darin die ersten Letteren aller Wörter in dem vordersten Verse gelesen werden / komt daraus Liebe.


Löwen-Igels Esels-Beeren-Elefantenkopf / †
In der Narrenpfanne wol gebraten und gesottẽ /
Aufgefressen / machet grosse Zunft und tolle rotten /
Da der klügste deñoch ist ein armer Gek uñ Tropf.*

(† Das ist / die vordersten Letteren von diesen Thiernahmen. Es künnen die Vornläuffe nach belieben gelenget / verkürtzet / von oben / von unten / von vorn [231] oder von hinten gelesen werden. Exempel allezeit herbeyzufügen wird unserem Werklein zulang.)

2.

Ein Vorn Reim ist / wan der Reim seine natürliche Hinterstelle verlesset / und sich allein zuvorn des Verses in jedem ersten Worte findet: Möchte aber keine sönderliche Lieblichkeit haben / weil der sonst unverenderliche natürliche Reimstand verlassen wird. Folget zur anzeige.


Vorn Reime

Glůk sich wandelt tausendmahl /
Tůck uns ofters heimlich sticht;
Noht besucht uns gar zu viel /
Tod schleicht auf dem Füssen nach /
Leben zeigt uns / daß wir stets
Schweben nur in steter Angst.*
Vorn Reime

Woselbst der Reim Langgekurtz wird:
Nimmermehr lesset mein Flehen ja nach /
Immermehr bleibestu zornig mein Schatz:
Nährerinn meiner Beliebnuß und Gier /
Wehrerinn meiner Gentessung und Lust /
Neige doch deine stoltz-starrende Sinne
Zeige doch endliches freundliches Hertze. etc.
Das 16. Capittel
1.

[232] Die Zwischen Reime seynd / wan nicht allein die Reimung in natürlicher Hinterstelle der Verse findet /sonderen wan auch zugleich zumittẽ der Verse / eine gleichfals durchgehende rechte Reimung verhanden ist / also daß man bey Lesung oder Anhörung / so wol den Zwischen Reim / als den rechten Hinter Reim /vernehmen kan. Folgen zur anzeige.


Zwischen Reime

Da sich zumieten die 1 und 3 / wie auch die 2 und 4 Zeil reimen / zuhinten aber die 1 und 4 / wie auch die 2 und 3.


Ich wil von Hertzengrund dir / O mein Gott / Lobsingen
Weil du mein Lebenlang viel gutes mir geschenkt /
Es sey mein Sinn / mein Mund bereit / gegesti t gelenkt /
Nur steten Ruhm und Dank dir / höchster Gott / zubringen.*

Zwischen Reime

Worin allezeit die Zwischensetzung und der rechte Hinter Reim mit ůmwechselung gehöret werden.


Treuer Gott / Herr von Ewigkeiten
Der du mich auch ja hast erschaffen /
Und aus Noht und aus trůben zeiten
Gnädiglich und mit starken Waffen
Hast geführt; Ach was soll ich bringen /
Was sols sein / daß ich dir sol schreiben /
Dir gebürt / Ehre / Dank-Lobsingen /
Du allein / solst mein Wunschziel bleiben.*
[233]
2.

Ein Reim Reim ist / wan die Reinwörter wegen gar zu gleicher Reinwörter sich nicht reimen / sonderen werden lauter Reimlautungen ohne Reimung: In welchẽ als dan etwas künstliches sein möchte / wan das eine gleiche Reimwort ein æquivocum, oder gleichbenahmtes ist und sich zur Reimung fügen kan. Zur anzeige folgen


Reim Reime

Tugend nim stets wol in acht /
Laster treib weg in die acht /
Gottes Wort mit fleis betracht
Und nach dessen Willen tracht:
Diese viere können recht
Lehren dich ein solches Recht /
Daß du nicht seist Erdenbrecht /
Sondren Diet und Engelbrecht.*
Andere Reim Reime

Der tolle Tugendhaß / der Lasterseuche Macht /
Die haben es nunmehr gesamter Hand gemacht
Daß man die Freudenlust aus Teutschland hat gebracht
Die Treu und Relichkeit gewaltsam ümgebracht.
Sey redlich / treu und fromm / und mach dich aus / was gilt /
Ob solches in der Welt jetz einen Heller gilt?
Man steiget jetzund hoch / wan Falschheit gibt den Schild /
Und man mit Widerstand' auff guht und fromsein schilt.
[234]
3.

Ein Irr Reim oder Irr Gedicht ist / worin die Reimung jrrig lauffet / oder also herüm jrret / daß sie sich kaum ein- oder gar keinmahl antreffen und finden / wiewol doch die gehörige Anzahl der Reimwörter darin befindlich / aber verjrret und verreimet ist. Folge zur anzeige


Irrgedicht oder Irr Reime


Wir armen Menschen hie im Leben
Wir jrren hier und dort herüm /
Durch Glück und Unglük mancherley:
Wir suchen ob wo Ruhe sey
In dieser trüben Zeit zufinden;
Wir werden jmmer mehr und mehr
Bald in die läng' und in die krůmm'
Und hie und dort herümgeschmiessen.
Wer hie nach steter Ruh wil streben /
Weil eine Kett aus Sande binden:
Man wird vom Winde weggerissen
Wir schweben in dem wüsten Meer'. *
4.

Ein Wandel Reim ist / wan eintzele Reimzeilen ohne Reimung jmmer hinwandelen / derer Anzahl man nach beliebung erwehlen kan / welche aber von dem letzten Reimworte wieder anfangen / und die Reimung also ördentlich wieder hinauf wandelen kan. Ist mit dem Wiederkehre und Gegentritte eintreffend /doch hat der Wandel Reim viele unterschiedene Reimungen. Folget zur anzeige ein Wandelgedicht oder


[235] Wandel Reim

Weil du mein getreuer Gott
Meine gantze Lebenszeit /
Hast so gütig gnädiglich /
Mich behůtet und bewahrt
Durch der Engel starke Schaar;
Hertzlich dank' ich dir jetzund.
Bittend dich mit Hertz und Mund /
Wollest auch dis neue Jahr
Auf der trüben Lebensfahrt
Leiten und beschützen mich /
Für Gewalt der Eitelkeit /
Für Betrübniß / Angst und Noht.*
Ein ander Wandelgedicht

Du süsseste Freundinn / du schöneste Tugend /
Lieblich dein Nahme /
Gantz Königlich / herrlich und prächtig dein Wesen
Du Göttliches können /
Der Göttinnen Krohne;
Ey nim zum Sohne /
Ey wollest mir gönnen
Durch deine Gewogenheit recht zugenesen.
Du schöneste Dame
Ich liebe dich beides im Alter und Jugend. *
Das 17. Capitel
[236] 1.

Die Schiller Reime seind / wan allemahl in jedem Reimschlusse eine Reimziel oder Vers übrig ist / welcher sich mit keinem anderen reimet und also gleichsam allein ausstehet / keinen Reimgesellen antreffen kan / verlassen wird / die Wache versehen und also allein schilleren muß. In den Meister gesängen werden diese Reime auch also genandt / nemlich Schillerende oder Waisenwörter / welche ohne gehülfe Reimlos gelassen werden. Beim Virgilio ist es auch zubefinden / daß er etliche Verse unvollendet gelassen hat. Folgen zur anzeige


Schiller Reime:

Darin der erste Vers schillert / Reimlos ist / und verwaiset wird.


1. O Dafnis nun mit hauffen
Dein gutes Glük angeht /
Es hat getroffen
Dein hoffen /
Dein klagen
Dein zagen /
Gleich wie der Blitz entsteht /
2. Du darffst hinfort nicht schweben
Auf trüber wilder See
Da grosse Wellen
Viel fellen
Kanst weiden
In Freuden
Mit Gloris in dem Klee. etc.

[237] Schiller Reime

Woselbst der andere Vers Reimlos ist.


1. Klüglich tunnen schweigen /
Das ist grosse Kunst;
Noch sich balde neigen
Wan man etwas spürt /
So uns wo berührt.
2. Schweigen nimmer schadet /
Schweigen ist sehr guht /
Reden oft beladet /
Reden viel erwekt
Oft in Unglük stekt. etc. *

Schiller Reime

Worin der dritte Vers schillert.


1. Nunmehr in der Christenwelt
Ist die Tugend recht verstelt /
Gleisset nur von falscher Schminke:
Laster thut ein jedermann
Wer es nur beschönen kan.
2. Tugend trägt ein armes Kleid
Wird verstossen weit und breit /
Nur der Nahm jhr übrig bleibet:
Laster brüstet / rüstet sich /
Trabet / rauschet stoltziglich. etc.*
2.

Die hinkenden Reime seind / in welchen ein Theil oder Stück des Pedis, oder der Reimmaas / mangelt und ausgelassen wird / also daß / wan einer solche Reime herlißt und ausspricht / er an dem Orte / wo der Vers wegen des zerstummelten pedis hinket /einen Bruch und Stu elung anstossend entfindet /[238] welcher Ort mit diesem Zwischen strichlein–bezeichnet wird. Folget ein Exempel aus Herrn Cæsio, darin der 2/4 und 9. Vers einen Bruch leidet und hinkend sind.


Hinkende Reime.


1. Was lebet und schwebet / das liebet und übel
Die bitter versüsseste Liebes–Pein /
Was lieget und flieget / was sitzet und stiebet /
Muß alles der Liebe leibeigen–sein.
Die stoltzen die müssen
Die Boltzen beküssen
Die Venus gemacht.
Die flüchtigen fühlen
Am ersten das spielen
Der mächtigen Pfeile die stoltze–Pracht.
2. Die Wälder und Felder die Wiesen erkiesen /
Das hitzige Feuer der Lieb–aus zwang;
Was sonsten sich sturrisch und murrisch erwiesen /
Das liget für liebe gefehrlich–krank.
Die Reben ůmfangen
Mit süssem Verlangen
Die Ulmen mit lust /
Dem gülden Getümmel
Der Sternen am Himmel
Ist eben die Liebesmacht auch be–wust. etc.
Das 18. Capitel
[239] 1.

Ein Letterwechsel oder anagramma ist / wan die Letteren in einem / oder mehr Wörteren ümgesetzet und verwechselt werden / also daß da heraus ein gantz anderes Wort / oder gantz andere meinung entstehen müsse. Von sonderlicher Kunst ist / wan der Letterwechsel einen gantzen Vers oder Reim vorbilden kan. Es můssen aber nicht leichtlich etzliche Buchstaben ausgelassen / oder hinzu gesetzet / oder verändert werden / doch wan die Meinung nachdenklich und anmuhtig wird / kan man auch alhier / einer kleiner übersehung wegen / ohn fehler verfahren. Die Letter H / weil dieselbe nur ein hauch / kan ohn tadel ausgelassen / wie auch das W in uu / oder zwey uu in w /wie auch kein c / und c in k zuweilen verändert werden. Die Verdoppelung der mitlautenden / tt / ll / mm / nn / ff etc. ob sie wol auß ursache / auf den Nothfall mit gultig ist / muß dennoch / so viel möglich / vermitten werden. Unsere Teutsche Wörter lassen auch in diesem Stükke keine anderen Sprache den Ruhm oder Vortheil / ungeachtet was etzliche davon (welche unsere fast urergründliche Sprache nach ihrer armseeligen Kundigkeit abmessen) anzüglich erwehnen wollen. Zur anzeige wollen wir etzliche Exempla herbey fůgen / die Erklärung Lobreime aber seind wegen der Vielheit und Länge übergangen / werden aber jhre bequemere Stelle wol antreffen.


1.
Vereinigtes Römisch-Teutsches Reich.
Durch Letterwechsel
So es trew einig / schirmet es sich recht.
[240] 2.
Uñser HErr JEsus Christus
Durch Letterwechsel
Wirst unßer Herscher sein.
3.
Uñser Römischer Keyser
Durch Letterwechsel
Sey Schirmer uns erkoren.
4.
Ferdinand der Dritte / unser erwähllter
Römischer Teutscher Kayser uñd
Ertzheertzog von Osterrejchh. etc.
Durch Letterwechsel
Dieser groser Herr / ein Hertz des Herren /
kan entlich das Teutsche Reich vor
Mordt wol retten / in waren
Fried setzen.
5.
Das gesambste hochlöbliche Haus Braunschweig und Lůneburgh etc.
Durch Letterwechsel
Bleib / blůhe / wachs / als hochberůmt und reich an Tugend / hast so gnug.
6.
Christian Ludowig / Heertzog zu Braunschweig und Lůneburgk etcet.
Durch Letterwechsel
Schutz und Schatz der wahren Tugent / lobwůrdig wegen Gerechtigkeit.
[241] 7.
Rudolfus Augustus Heertzog zu Braunschweig uñdtt Lůneburg etcætera
Durch Letterwechsel
Rechter Tugēt Freund wist ewig obwachsen zu lob /
zu gut des Vaterlands.
8.
Ludevvicuß Fůrst von Anhalt ect.
Durch Letterwechsel
Du Lust / ja Wolfart uns Teutschen
9.
Die höchstlöbliche und růhmlichste Fruchtbringende Gesellschafft.
Durch Letterwechsel
Gleich dem Friedenberge / schafft uns Teutschen herlich Lob und hohes Licht.
10.
Das Fůrstenthumb Anhallt.
Durch Letterwechsel
Blüh standfest / alt an Ruhm.
11.
Der alten Teutschen wahre Freyheit.
Durch Letterwechsel
Hal ist ferne / erweichet und eraltet.
12.
Heutiger Krieg der blinden Christen Leutlein.
Durch Letterwechsel
[242] Bringet vyel Heilischer Gůter den Kinderen.
13.
Die armseelige Dienstbarrigkeit des Hoflebens.
Durch Letterwechsel
Komt als die gleißende Begräbniß der Freiheit.

(Diese und derogleichen seind mehr verhanden / wie auch die Letterwechsel eines einigen Wortes / davon mit mehren Herr Harsdorf in dem dritten Theile der Gespräch spiele handelt / dienet nur zur anzeige denen / welche jhr Vrtheil ůber vnsere Teutsche Wörter bishero nicht wolbehöbelt haben. Einem jeden aber ist die Nachfolge nicht verliehen / und bemühet derselbe sich nur vergebens / welcher die rechten Griffe hier zu nicht verstehet.

2.

Wan ein Letterwechsel mit angehengten Versen erkläret wird / alsdan muß er Buchstablich in die Reime mit gebracht und eingeschlossen sein / damit desto andeutlicher und ausführlicher die Meinung und Inhalt vernommen werde: Wie etwa zur anzeige im folgenden Letterwechsel und beygesetzten Reimen zusehen:


Sophie Elisabet Hertzogin zu Braunschweig und Lůneburch.

Durch Letterwechsel

Gantz voller Schöne / wie ein hůbpsch reiches Abbilt zur Tugend.


[243] Erklärung


Hör Mahler trit herzu / last deine Küste sehen /
Und du Bildhauer auch / und die jhr ümzugehen
Pflegt nur mit Himmellust / jhr Brüder der Natur
Ihr / der Poeten Volk / besitzend' alle Chur:
Zihlt Witz und Sinn dahin / wie sämtlich jhr abschilden /
Und mit volkommenheit der Künste möcht abbilden /
Ein allerschönstes Bild / den Abriß aller Zier /
Die Tugend liebste Ruh / der Freundlichkeit begier.
Gantz fleissig sucht hervor / was schön / was hoch mag heissen.
Was zu behuf des Ruhms mag gläntzen und mag gleissen /
Daß recht volkommen sey / durch eures wissens macht
Die allerschönste Zier und Tugendreichste Pracht.
Doch hört / so jhr nicht künnt / das höchste recht erreichen /
Noch die Volkommenheit nach würd wol außstreichen /
So jhr nicht seid geschickt zu bilden just und gantz /
Der Schönheit schönsten Blitz / der Tugend schönsten Glantz.
Komt laßt euch zeigen was / komt hie und lernet faßen
Das Muster aller Kunst (die Venus muß erblaßen)
[244]
Fůr dieser Schönheit Lob / die Nimphen scheuen sich /
Die Tugend schauet an jhr Bild volkommiglich
Kommt nehmet ab ein Bild von den Volkommenheiten /
Lernt hie den Abriß erst von den unsterblichkeiten
Schaut der Natur Triumpf schaut Unsre Heertzoginn
Komt schauet die mehr als berühmte halb Göttin:
Die Liechreichst' Aue der Milchrosen-schönen Wangen /
Das doppel-Sonnenlicht; Nicht Phebus mag so prangen
In seinem güldnen Feur / nicht Cinthia so blenkt /
Wenn sie den vollen lauff nach jhrem Bruder lenet.
Nicht lies die Juno selbst die Majestet so spüren:
Nicht Sappho / wan sie lies die krausen Haar flattiren
Nicht Orpheus / wan er zwang der wilden Löwen Grimm /
Gab so verzükten Schall und Engelsüsse Stimm.
Nicht der Pandore Haubt kunt Venus zubereiten /
Mit so huldreicher Lust / mit solchen Lieblichkeiten:
Nicht die Diana selbst hat mitten in dem Sreitt
Solch' ein Heldenzier und wol anständlichkeit.
Princeßin so seid jhr / gantz voller Tugend-Schöne/
Der Musen Ruhestat / der Keuschheit Edle Krone /
[245]
Wie ein hüsch Reichs Abbild zur Tugend. Darüm wir
Euch höchlich rühmen als den Schauplatz aller Zier /
Drüm Mahler hör / und du Bilhauer deßengleichen /
Du Redner / du Poet / wolt jhr herausser streichen
Ein allerschönstes Bild und Tugendschönsten Sinn /
Ihr treft es just und recht / wählt unsre Hertzoginn.
Das 19. Capitel
1.

Die Sechstine nennet man / wan die Verse nach jhren Reimmaassen vnd Abschnitten zwar völlig und untadelhaft gemacht / aber gans ungereimet gesetzet / und zwar also geordnet sein / daß der erste Reimschluß in sechs Zeilẽ oder Versen bestehe / welche sich aber nicht reimen / sonderen das letzte Wort in dem letzten Verse / muß in dem folgenden Reimschlusse das erste bleiben / und das letzte Wort der ersten Versen in dem ersten Reimschlusse / muß in des anderen Reimschlusses anderem Verse das letzte werden / und also ordentlich immerfort: Dan allemahl muß das letzte Wort in jedem Reimschlusse / in dem ersten Verse des [246] folgenden Reimschlusses sich finden / bis die sechs Wörter / so zur Sechsstine gebrauchet werden /durch abgewechselte Sechs Reimschlüsse jhren umlauff vollendet haben. Der siebende Reimschluß / als ein Nachklang wird halbiert / weil in jedem Verse zwey Sechsstinische Wörter ördentlich gesetzet werden. H. Opitz hat ein Exempel in der Hercinia / wie auch Herr Cæsius. Wir setzen zur anzeige eine


Glükwünschend-Sechstine

So auf den hochfeyerlichen Geburts Tag


Des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Augusti / Heertzogen zu Braunschweig und Lůneburg etc. als S.F. Gn. denselben mit guter gewünschter Leibes-Gesundheit eben zum 66. mahle hinter sich gelegt / zum ersten mahle aber in dero Haubt Festung Wolfenbüttel denselben in gnaden begehen lassen / S.F. Gn. unterthenig überreichet worden. Dabey aber zu wissen daß aus dem Namen


Fůrst Augustus Heertzog zu Braunschweig unnd Lüneburgk. etce.

Durch Letterwechsel sich finde

Gewünscht Glük wird Er nach Verzug groß bawen /fest besitzen.


(Auß diesem Letterwechsel sind die Sechsstinischen Wörter genommen / nemlich Verzug / Glůk /bawen / besitzen / fest / gewůnscht / wie zu sehen) in folgender

[247] Sechstine.

1.
1. Es wikkelt sich gar oft und spielet mit verzug
2. Eh sich zu eigen gibt ein hochgewünschtes glük:
3. Man muß mit Meisterhand / und mühsamlich aufbauen
4. Eh man sein eigen Haus versichert kan besitzen:
5. Nur wan man wol geharrt / gebaut / getrauet fest /
6. Dan folgt die Nießung recht gantz eigen und gewünscht.
2.
6. Die Oster Sonne kommmt und strahlet uns gewünscht /
1. Blikt lieblich-klar / und scheint viel schöner nach verzug /
2. Bringt den Geburts Tag her und drin ein hohes Glük /
3. Ein langes hohes Glük / so wil der Himmel bauen /
4. Und unser Fürst und Herr ruhm würdigst soll besitzen /
5. Und die Sta reiche Seul Hochfürstlich gründen fest.
3.
5. Hochweiser Fürsten-Held / jhr habt so wol uñ fest /
6. Ihr habt klugmutiglich / jhr habt so hoch gewünscht /
1. Durch ungebahnten Weg / durch eil und durch verzug
2. Gegründet und erbaut des Vaterlandes Glük:
3. Wir wollen Land und Hertz mit treu und lieb ümbauen /
4. Und lassen das mit lust und nach geboht besitzen.
[248] 4.
4.Gott schenkt zu diesem Jahr das Stammhauß zubesitzen
5. Und Stammet unsren Wunsch / jhn pflantzend wol und fest /
6. Weil den Gebuhrts Tag eins / mit freuden / so gewünscht /
1. In dieser Welpenstat / nach langem hinverzug /
2. Der Landes Vaters Sehn / und in jhm unser Glük /
3. Gott wird jhn und sein Hauß / und uns durch jhn aufbauen.
5.
3. Fried / Treu / Gerechtigkeit soll bey uns Wohnung bauen /
4. Die Tugend jhren Trohn / so sehr verwüstt besitzen:
5. Die wahre Gottesfurcht sich Stammen tief und fest /
6. Die Frommen jhren Stand auch finden wolgewünscht /
1. Die Bösheit nach verdienst gestraffet ohn verzug /
2. Auf Gott / auf Fried / auf Recht / soll stehen unser Glük.
6.
2. Nun / Gott schik Unglük weg / Send gnädig rechtes Glük /
3. Strek aus die Gnadenhand noch lange zeit zu.
4. Das Jahr voll Glůk und Lust / das unser Fürst besitzen
5. Und stets geniessen soll: Gott / bau die Festung fest
6. Und schleus den Himmel auf / streu Segen aus gewünscht /
1. Send Gnadenblikke her zu uns / Herr ohn verzug.
[249] Nachklang der Sechstine.
Nun es sey kein Verzug / der Tag ist hie gewünscht;
Augustus stehet fest: Er soll die Ruh besitzen
Die wir mit wünschen baun / und Gott beschert mit Glük.
Das 20. Capittel
Das Zwantzigste Capittel.
Von der Pindarischen Ode.

Die Pindarische Ode nennet man / wan der ersten Strophen / oder dem ersten Reimschlusse (welchen man ordnen / längen und kürtzen kan nach belieben) folgen muß eine andere gantz gleiche Strofe oder Reimschluß: Die dritte Strofe / oder der dritte Reimschluß aber ist den beiden ersten / weder nach den Versen / noch Reimungen gleich / sonderen bleibet frey / und nach des Dichters gefallen einzurichten: Diese drey Reimschlüsse heissen sonst Strophe, antistrophe und Epodos, bey uns / Satz / Gegensatz und Nachklang. Es künnen aber diese Strofen ein / zwey oder mehrmahl wiederholet werden / müssen alsdan aber die wiederholeten mit den ersten / an Zeilen und Reimarten gleich werden. Etzliche exempla sind hiervon bey Teutschen Poeten zu finden / wir wollen zur anzeige anhero setzen eine


[250] Pindarische Ode

Welche Heertzogen Augusto etc. als S.F. Gn. dero Haubt Festung bezogen / ist überreichet worden.

Strofe oder Satz.

Edle Burg / berühmtes Büttel /
Hochbelobtes Welpenhaus /
Heb dein stoltzes Haubt heraus:
Reis jetz ab / und von dir schüttel
Deinen eingelegten Zügel /
Stahl- und Eisenstarke Riegel /
Zeig dein blank-beschmutztes Maul /
Deine grůne Erden-Mauren
Laß fein trotzig-sicher lauren /
Sey einmahl auß Hofart faul:
Schau nun üm dich weit und lang
Du bist alt / neu / frey und frank.
Anti Strofe oder Gegensatz.

Hohe Festung / wolgelegen /
Unsers Landes Trotzen Stein /
Wer hat müssen dan der sein
Unter Welpen / unter Degen /
Der dich zwingend hat gebogen
Und in dich mit sich gezogen?
Paustestu mit vollem Rachen
Donner / Blitz / und Hagel aus /
Den besteht ein Todes Straus
Der sich nur an dich wil machen
Tapfer-Körisch bleibstu stehn /
Last es / wie es gehet / gehn.
[251] Epodos oder Nachklang.

Nicht blitzen der Büchsen nicht Spitzen der Degen
Kunten dich legen /
Das sausen und brausen der Donner Canonen
Muste dein schonen;
Das Thönen und Drönen von Krieges-getümmel
Stiege gen Himmel
Das Gewässer dich ůmfloß /
Wall und Häuser übergoß /
Jederman doch bey dir saß
Fast im Wasser ohne naß:
Nichtes von diesen zerstůrmenden Sachen
Kunt dich zur freudigen Welpen Stat machen.
II. Strofe oder Satz.

Endlich auf ihr Bacęninnen /
Wo jhr in den Grüften klagt /
Wo jhr von viel Jammer sagt /
Wo jhr ruhet auf den Zinnen /
Schöne Nimfen ko t zum Reihen
Welpenburg wir woln einweihen:
Bringet mit euch Ehrenpreis /
Friedelar und frische Rosen /
Lilien / Tulpen und Zeitlosen /
Menget alles Handvolweis;
Flechtet einen Ehrenkrantz /
Stellet Euch zum Göttertantz.
II. Antistrofe oder Gegensatz.

Fürst Augustus kommt gefahren
Freud und Glük begleitet jhn;
Göttervölklein eilet hin
Und ümringt jhn mit viel Paaren /
[252]
Blasser Neidhart laß dich quikken /
Neides pein muß dich erstikken.
Fürst Augustus / Friedens Held /
Der den Mars mit seinen Schaaren /
Und den Neid mit schlangen Haaren
Unter sich durch Kraft gestelt /
Kraft die jhm der Himmel bringt
Und aus Friedensquellen springt.
II. Epodos oder Nachklang.

Drüm menget Zeitlosen und Rosen zusammen /
Tulipen Flammen
Die Någelein / Lilien / Friedelar schneidet /
Eisenkraut meidet:
Bestreuet das Land und erfreuet die Leute
Immer und heute.
Kriegeswölke soll verwehn /
Friedensröthin eins aufgehn:
Wachsthum / Recht / Gerechtigkeit /
Bey uns blůhn mit Lust und Freud:
Dieses uns Heertzog Augustus soll geben /
Welcher Hochfürstlich und glüklich sol leben
Das 21. Capittel
[253] 1.

Die Klappreime sind / wan sich der Anfang des Verses mit dem ende reimet / und hinwieder das ende mit dem anfange des folgenden Verses / daß also gleichsam die Wörter auf einander klappen / wan sie hergelesen oder angehöret werden Folget zur Anzeige ein


Klappreim.

Mein lieber Mensch / laß Gott dein wünschen sein.
Dein Weg und Steg sich richte Himmel ein.
Andere Klappreime.

Haben denn die fromen wol dran sie sich hie laben?
Traben doch die bösen hoch / sich mit lust ümgrabẽ:
Schlecht und einsam in der Welt lebt ein Gottes Knecht:
Schlegt schon Noht und Tod ihm zu / er hat Gottes Recht.*
2.

Anhangende Reime werden genant auch in den Meistergesängen / wan der folgende Vers eben mit der letzten Silbe oder letzen Worte des vorgehenden Reimes sich anfahet. Zur Anzeige folgen


Anhangende Reime.

Ihr Menschen bringt nur Unschuld her /
Hergegen Sůnd nicht herrschen mehr. etc.
[254] Item:

Im Leben hilft uns Gott /
Gott hilft uns auch im Tod'. etc.
In dem Alter lobt man Tugend /
Tugend lobt man bey der Jugend. etc.
3.

Ein Reimwetzler / oder Reimschleiffer ist / wan die aufeinander folgende Reimwörter nicht allerdings Reimrichtig / oder zur rechten Reimung stimmig sein / sonderen wanderen mit einem zustimmenden Reimlaute jmmer hin / und zwar so lange / bis ein guter reiner Reim daraus gewetzet und geschlieffen wird / welcher sich zu ende finden muß. Nach gelegenheit der Materi kan dieses Reimgedicht nicht unfüglich gebrauchet werden. Folget zur anzeige ein


Reimwetzler.

Wil sich nicht reimen denn dein Reim?
Begnag den Finger und den Daum /
Zerkratz den Kopf / es komt der Laun /
Es wechst im sitzen dir der Stain /
Zerkratz die Zähn' und sprütze Schleim /
Nichts wil sich finden angenehm:
Du armer Gek / bleib nur daheim /
Du machest keinen guten Reim. *
Anderer Reimwetzeler.

In der Welt herrscht die unbeständigkeit /
Wie der Wind / so des Menschen thun verweht /
[255]
Niemand hat hie die rühig-sichre Stet /
Ungewiß / falsch / verrucht / verleumdrisch / schnöd /
Bleibt die Welt / der hat in den Sand geseet
Wer jhr traut: dessen thun hie fest besteht
Wer mit Gott auf den Tugendwegen geht.*
4.

Einen Schlagreim nennet man denselben / welcher in einem eintzelen Worte bestehen kan / wan nemlich die gantze Reimzeil durch ein Wort vollendet wird /Zur anzeige folget ein


Schlagreim.


Eigen Richterschaft
Billig wird gestraft. etc.
Erfahrenheit
Der alten Kleid /
Bescheidenheit
Gehorsamkeit
Ziert junge Leut. etc.
Das 22. Capitel
1.

Ein Kunstfůndiges Reimgedichtlein ist / welches kurtz / sonderliches nachtrukes und Deines bewegenden ausgangs ist: Bestehet gemeiniglich [256] in einem Reimschlusse / der sich dan also schliessen oder endigen muß / daß eine sonderbahre Kunstfündigkeit und merklicher / dringender / unverhofter Ausspruch sich zuletzt finde / das Gedichtlein schliesse / und des Lesers Gemüht und Verwunderung vergnüge. In Griechischer und Lateinischer Sprache nennet man dieselbe Epigrammata, im Kunstfundige / weil allezeit zu ende eines solchen Reimgedichtleins sich ein Kunstgriflein / oder sonderlicher künstlicher Nachdruck muß finden / dadurch den gleichsam des Lesers Lust und genehmhabung angetroffen / erregt und gefunden wird. Es künnen diese Reime von allerhand arten nach belieben gemachet werden / erforderen aber jhren Meister. Folget zur geringen anzeige.


Kunstfůndiger Reim.


Wan dich dein rechtes Aug' hie ärgert / solstus reissen
Heraus / und werffen weg; hat Christus selbst geheissen:
Doch lieber Gott / wer ist / der thut was dir gefelt?
Und wans gescheh / so würd einäugig sein die Welt.*

Item:


Du wilst ein hohes Glük: hoch wil dein kühner Geist /
Dein armes Hoffen ist zu hoch aus dir gereist:
Ei denk ein hoher Baum pflegt unfruchtbar zu sein /
Ein hoher Berg ist ja voll Felsen / Schnee und Stein. *
2.

Die Stachelreime oder Spottverse sind / [257] darin etwa ein Laster / Gestalt / Gewohnheit / Stand / Misbrauch etc. eines / oder vieler / wird angezüpft / anzüglich abgebildet und mit sonderlichẽ Schimpfe also wird vorgestellet / daß im letzten Verse der letzte Stachel sich můsse gemeiniglich finden lassen: Ihre rechte art bestehet in einer spitzfündigen Kürtze / haben mit den Kunstfündigẽ zwar nahe verwantschaft / nur daß sie mehr Spott- und Stachelweis / und Schimpfspitziger gemachet sein. Folgen zur anzeige


Stachelreime oder Spottverse.


Schau mich recht an; mich dünkt / ich soll dich kennen;
Ich habe dich / wo mir recht / hören nennen:
Ey hab' ich dan den Nahmen so verlohren?
Ja recht / es wer Hans mit den langen Ohren.*
Item:
Ist der Ochsentreiber hier?
Hüte dich geh nicht zu weit:
Die Gefahr sich nähert dir /
Denn es ist die Schlachte-zeit.

Item: Fůnfzehnsilbig Langkurtze.


Reich bistu uñ schön uñ groß / treflich kanstu courtisirē /

Allerwegen lestu auch die verliebten Minen syüren:

Deñoch alles Jungfern volk dich zuliebē stets vergist /

Warum? darum weil man nicht rohes Schwein- und Kalbfleisch frist *


Item:

Vertraue dich der See / dem Frauenzimmer nicht /
Dieweil kein Glas / so bald als jhre Gunst zerbricht.
Kein Weib ist guht / und ist ja eines oder zwey /
So weiß ich nicht wie guht auß bösen worden sey.

Hercin.
[258] Item:

Du machst dich unsichtbar / das ist daher zusehen /
Weil du kanst ungescheut bey jedem Hunde gehen:
Die Hunde pflegen ja die Hasen wegzubeissen /
Wehrst du nicht unsichtbar sie würden dich zerreissen.*
3.

Ein Rätzelreim ist ein Reimgedichtlein / darin eine dunkele Frage zuerrahten oder zuersinnen wird vorgestellet / und kan nach belieben auf allerhand art gesetzet und angebracht werden.

Ein Wortgrifflein ist auch zwar an sich ein Rätzelreim / gehet aber und deutet nur dahin / daß aus einem Worte / wan selbiges entweder wird rükweis gelesen /oder vorn / oder zumitten / oder zu ende verkürtzt /oder vermehrt / oder verschrenkt / gantz unterschiedliche Andeutungen und Meinungen entstehen und sich finden laßen können / welches aber doch mit anderen ümschreibenden Wörteren angezeiget und bedeutet wird. Also daß der Unterscheid eines Rätzel Reimes und Wörtgriffleins eigentlich darin bestehet / daß des Rätzelreimes dunkele Andeutung auf einen Sinn und volle Meinung; des Wortgriffleins Andeutung aber /auf ein Wort oder eine oder mehr Silben oder Letteren gerichtet sey: Folget zur anzeige


Rätzel Reim.


Nur Eisen / Stahl und Rost / muß ich zur Speis' aufessen /
Und dennoch werd' ich selbst von diesen aufgefressen:
[259]
Den Trank / so mir geschenkt / den sauf' ich tropfenweis /
Und was ich andre lehr' ich selber gar nicht weis.

(Wetzstein.)

Item

Wan jemand meint / ich sey entfernt und weit entwichen /
So bin ich bald bey jhm / komm' unverhoft geschlichen:
Ich bin stets ungewiß und kennet mich niemand /
Und bin doch stets gewiß und überall bekant.
(Tod)

Item:

Mein Antlitz gläntzet gantz / mein Rach' auch offen stehet /
Gantz Eisren ist die Zung / die donnert / wann sie gehet /
Freywillig thu ich nichts / man muß mich schlagen wol
Wan ich dir sonst mein Ambt und Dienst verrichten soll.
(Klokke)

Item:

Ich bin steif / rund und lang / dem Frauenvolke wehrt /
Ein jede Kammermagd des Morgens mein begehrt.
(Stechnadel)

Wortgrifflein.
Fedren ohne f reden

Man bringt kein Wort von mir / ich werde den verwunt / 2.
Wan ich mein Haubt verlier / 3. so red ich zu der stund.
2. Gespalten oder geritzt muß die Feder sein
3. Nemlich die erste Letter. F.

Weinen ein W.

Von weinen neñt man mich der ich in frewdē steh /
Wer mein zuviel gebraucht dem werd' ich oft ein W.

[260] Bonen-Loben.

Wan du die Bonnen-tracht wilst machen angenehm /
Das mittel vor dem Saltz 2. an stat des N bequem.

2. Das mittel oder die mittelste Letter von dem Wörtlein Saltz ist ein L / welches an statt des N / Loben aus Bonnen machet: Mehrers ist in den Gesprächspielen zufinden.

Das 23. Capittel
1.

Die Fragreime sind / darin man fraget / und alsbald drauf antwortet / entweder in einer Zeile / oder in einer oder mehr folgenden. Je öfter und deutlicher man aber die Frage kan anbringen und nachdenklich beantworten / je besser es in dieser Reimart lauten möchte. Folget zur anzeige


Fragreim.

Davon Frag und Antwort jeder Reimzeile ist.


Was ist der Welt bezirk? ein Klumpf der Eitelkeitẽ /
Was ist des Eitlen Kleid? der Mensch / die Lust / die Zeiten.
[261]
Was ist Zeit / Mensch und Lust? Rauch / nichts / ein steter Tod.
Was bleibet / was erfreut? Nur Tugend und nur Gott.*

Frag Reim


Darin Frag und Antwort in jedem Reime ist.


Was ist das Glük / hör / sag mir das?
Wind / Blitz / Dampf / Klang / nichts Gras und Glas.
Wie kan das sein das gute Glük?
Weil Glükes Güt' ist falsche Tük.
Ist Glük nicht stärker als ein Leu?
Hat Wolfesart und Schlangentreu. etc.*.

Frag Reim

Darin Frage und Antwort in jedem Reimschlusse ist:


1. Wie komts / Cupido redet nicht
Wan er doch alles wol ausricht?
Die Liebeslust und Liebespein
Die wil alzeit verschwiegen sein.
2. Er ist ja blind / wie kan sein Pfeil
So richtig treffen in der Eil?
Ob schon die Lieb star-stokblind /
Sie dennoch jhre Strasse findt.
3. Warüm ist er denn nakt und blos
Und fleucht herüm so kleiderlos?
Je blösser nur die Liebe steht /
Je frischer sie zu Waffen geht.
[262]
4. Er ist ja klein und ohne Sterk
Ist es mit jhm nicht Kinderwerk?
Wer liebe treibt und treiben wil /
Treibt Affenwerk und Kinderspiel.
5. Ist er denn alt viel tausent Jahr
Und bleibet dennoch wie er war?
Die Liebe geht den alten Gang
Wens noch wehrt tausend Jahre lang. etc.*
2.

Ein Zahl Reim ist / darin eine gewisse Jahrzahl eingeschlossen und verfasset ist. Kan solche Zahl auff dreyerley weise aus Teutschen Wörtern fůglich gebracht werden; entweder daß man der Lateiner M / D / C / L / X / V / I / nach bekanter Zahl-deutung gelten lasse: Oder die Teutsche art gebrauche / daß nemlich A / E / I / O / U / W / S / gelten müsse 10. 1. 5. 100. 1000. 500. 50. davon etwas in der Sprachkunst p. 205. erwehnt wordẽ: Oder aber / dz nach art der Hebreer / in dem Teutschen jeder mitlautender Buchstab seine Ziefer andeute / davon Herr Harsdörfer in dem CXLVII. Gesprächspiele mit mehrem zuvernehmen ist.

3.

Die Gespräch Reime seind / darin zwo / drey / vier oder mehr Personen / als welche Unterredung pflegen und sich nach beliebiger Erfindung besprechen /denen denn eine kurtze oder lange Rede / ein halber oder gantzer Reim / eine gantze oder getheilte Reimzeil / ein oder mehr Wörter / wie es sich fügen wil / zugeeignet werden. Es felt dieses Ortes zulang /alles mit Exempelen vorzustellen / es können dieselbe zum theil ersehen werden in den Hercinia / Arcadia /Gesprächspielen / Pegnitzischen Schäferey und anderen.

[263]
4.

Die Oden / sind die Lieder/ Gesänge oder Gedichte /derer Anstellung / Ordnung / Einrichtung / und Verschrenkung schlechter dinges frey und nach beliebung zuerwehlen ist. Dan es künnen die Reimschlüsse in 4 / 5 / 6 / 7 / 8 / 9 / 10 und mehr Zeilen bestehen künnen auch dieselbe unter sich gemenget / die Kurtzlangen / Langkurtzen / Langgekürtzten und gekürtzlangen nach gefälligkeit erwehlet / verkürtzet /ůmgeordnet / bald allein und rein / bald verpaaret und vermenget eingerichtet werden / doch gleichwol daß man den neugierigen Mißbrauche nicht zuviel gleube / und eigenem Vermögen getraue / sonderen / vielmehr beyden gebräuchlichsten / reimen und von guten Poeten angenommen arten lieber verbleibe; denn nicht die erwehlte Reimart / sonderen die Kunst in denselben zeigt den Meister. Sonsten aber kan die Zahl der geordneten Teutschen Oden auch fast unzahlbar über etzliche Tausend seyn / in betracht der so vielfaltigen unterschiedenen / so wol kurtzen als langen Reimarten / (davon im anderen Buche gesagt worden) damit man nach gefälliger Freiheit anheben / mittelen und endigen kan.

Kurtzer Beschluß und Erinnerung

Bishieher / woselbst das aufgestekte Ziel etwa von ferne wir erblikken / und den vorgenommenen Bau zum anfang eingefüget haben / seynd wir durch Göttliche Leitung gekommen; Es were aber alhie annoch ein grosses nötiges Nebengebäu aufzurichten / welches gebührlich anzufuhren / wegen mangel der zeit und ablegung [264] täglicher Gescheften keine Gelegenheit übrig geblieben. Mit Haubtsachlicher Erwehnung aber wil ich andeuten was etwa alhie noch übrig verblieben / und das vierdte Buch zur Verskunst hette einnehmen künnen. In vörigen Bücheren ist gnugsamlich von den Teutschen Reimarten / so wol wie sie nach den Reimschlüssen / als nach den Reimmaassen zuerkennen / zubetrachten und zumachen sein gesagt: Nun aber were nach aller lenge übrig / wie die Reimarten nach der Materi selbst / davon sie handelen /unter sich zutheilen / nach rechter Eigenschaft zubetrachten und zuverfertigen sein. Dann die Matery / wo von ein Poet handelt / bestehet / in solchem betrachte / entweder in Traurhändelen oder in Lusthändelen /oder in Mittelhändelen / oder in Lob- und Lasterhändelen. Zu denenselbigen / welche in Traurhändelen bestehen / könten gerechnet werden die Grabschriften / Todtenlieder / Traurspiele / oder Tragædien, Jammerklage / Trostschriften / Klaglieder und derogleichen. Zu denen Reimarten welche in Lusthändelen bestehen gehören die Brautlieder / Hochzeitgedichte /Reisewůnsche / Geburtlieder / Trunklieder / Freudenspiele oder Comœdien, Triumpflieder und derogleichen. Zu den Mittelhändelen gehöreten etwa die Sinnbilder oder Emblemata, Mittelspiele oder Tragico-Comedien / Rätzele etc. Zu denselben / welche in Lob und Lasterhändelen bestehen / gehörten die Danklieder / Lobpsalmen / Lobgedichte / Freudengejauchtze /Spottverse / Lasterschriften etc. Diese nun und derogleichen erforderte eine weieleuftige Ausführung und völligen Tractat / wenn man im [265] Teutschen davon richtig handelen und gründliche anweisung thun wolte /Als zum Exempel / wie bey uns / und nach jetziger Art und Eigenschaft Teutscher Sprache die Comedien und Tragedien zuverfertigen und anzurichten / was recht zu der Sinnbildlehre gehöre / wie mit vergönstigung in Brautliederen etc. zuschertzen / und dergleichen / samt beygefügten nachfolgbaren Exempelen /daran es noch zur zeit in unserem Teutschen oft mangelen / und man dieselbe mit verlohrner Mühe suchen würde: Sonsten hat der hochberühmter Held Iulius Scaliger aufs aller subtileste / weitleuftigste und gründlichste Bericht gethan / wie in diesen erwehnten und allen anderen Stůkken der Poetischen Kunst /man sich recht verhalten und anweisen lassen künne: Woraus dan einer / der etwas uns Teutschen hiervon in der Muttersprache lehren wolte / die Nachrichtung in vielen entlehnen kan: Wiewol wir doch in einem und anderen / sonderlich in Freuden- und Traurspielen / nicht eben nach der Griechen und Lateiner Gesetzen / sonderen vielmehr nach unseren und itzigen Arten und Weisen solche Spiele zuverfertigen / uns einzurichten haben möchten: Davon vielleicht fernere Nachrichtung / weil eines und anderes Freudenspiel ins künftige möchte heraus gegeben werden / geschehen soll.

Also were dieses ortes Weitleuftiger auszuführen /der rechte Nahme eines Poeten / Seine Ankunft von Altersher / von seinem Zwekke und Ziele / wohin ein Sinnreicher Poet mit lust und nutz zukommen embsig sein soll / von seiner Rede / dero Eigenschaft und Anleitung dazu: Von seiner Erfindung / was recht einen Poeten mache / und derogleichen / welches [266] alles / wie erwehnt / zu Dichtkunst gehörend / einen weitleuftigen Bericht erfodert / von anderen zum theil auch schon in unserem Teutschen geschehen / und die Hofnung ůbrig ist / es dermaleins von einem munterem gelahrten Geiste ferner und völlig geschehen /und denen / so dieser Wissenschaft in Teutscher Sprache nachzugehen begierig / mit einem behülflichem Mittel gewilfahret werde. Ich wil alhie schliessen /mich mit dem wenigen / was hie / wiewol alles in der eile und auf der flucht verrichtet / růhig deswegen vergnůgen / weil mein Gewissen dieser süssen befriedigung mich versichert / daß alles / es sey auch so gering und kleinschätzig wie es wolle / was alhie / und sonsten / nach geringem Vermögen gethan / nur aus diesem redlichen Vorsatze geschehe / daß unsere so hochherrliche Teutsche Muttersprache / zu aufnahm der Teutschen Jugend / beliebung der Tugend / des guten und der Ehre Gottes / möchte je mehr recht gründlich bekant / wegen der unerschöpflichen Kunstquellen geehrt / dero Süssigkeit mit lust eingetröpflet / und wohin man die Gedanken und Beliebung wendet / nach Anweisung rechter Kunst und grundmessiger Gewißheit gefunden und angeschauet werden.


ENDE. [267]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schottelius, Justus Georg. Theoretische Schrift. Teutsche Vers- oder Reimkunst. Teutsche Vers- oder Reimkunst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-FFD6-E