729. Die Martinsgans.

Mündlich.


Der St. Martinstag war von den ältesten Zeiten her in Franken für Geistliche und Laien ein der Freude besonders geweihter Tag. Man kann ihn als einen allgemeinen Kirchweihtag in Franken ansehen; wenigstens ist höchst wahrscheinlich der erste und entfernteste Grund, warum [256] dieser Tag zur allgemeinen Freude in Franken bestimmt worden, was Lorenz Fries in seiner Würzburger Chronik bemerkt.

Unter den fünfundzwanzig Pfarreien, die König Karlmann dem Stifte Würzburg gegeben, sind vierzehn, also mehr als die Hälfte, sagt er, zu Ehren des heiligen Martinus geweiht worden. Da das Erzstift Mainz, unter welchem auch Würzburg stand, St. Martin zum Schutzheiligen hat, so glaubt Fries, daß St. Bonifazius, der erste Erzbischof von Mainz, jene vierzehn Pfarreien, bei deren Einweihung er persönlich zugegen war, zur Ehre dieses Schutzheiligen seiner Kirche geweiht habe.

Nebst jenem ersten und entfernteren Ursprunge dieser allgemeinen Landesfreude mag die damalige Lage der Geistlichkeit, und der Umstand, daß gerade um Martinstag der Herbst geendet, und man sich nun aller Gaben der ländlichen Natur erfreuen konnte, die verschiedenen Gebräuche bestimmt haben, welche zur Feier dieses allgemeinen Festes eingeführt wurden.

Da die Geistlichen Anfangs fast alle nach Art der Mönche zusammen in einem gemeinschaftlichen Klaustrum lebten, und zur Zeit des Advents sowohl, als bald nach Weihnachten bis Ostern fasteten, ward, wie Lorenz Fries nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, den gemeinen Konventsbrüdern, Kaplänen und Kirchnern, die sich sonst das Jahr über mit schlechter Kost begnügen mußten, erlaubt, vor Anfang des Advents, ehe sie in die Fasten traten, an einem Abende sich etwas gütlicher als sonst zu thun. Da nun St. Martinstag als der Tag eines vorzüglichen Schutzheiligen des Landes von Geistlichen und Weltlichen mit besonderer Freude und Fröhlichkeit begangen ward, verlegten sie solchen ihren »guten Muth« oder »Fastnacht« auf die St. Martinsnacht oder auf den nächsten Sonntag, wenn St. Martinstag auf einen Freitag oder Samstag fiel. Damit sie solches desto baß thun möchten, trugen ihnen die Laien Gänse, Kapaunen, Hühner und Enten zu. Etliche, die es besser meinten, verschrieben ihnen dieselben als eine jährliche Abgabe von ihren Gütern. Wohl stipulirten sich auch Geistliche von ihren eigenen Gütern, wenn sie dieselben als Lehen an Bauern oder Bürger abtraten, einen solchen jährlichen Zins. Diese Abgabe dauert noch immer unter den Namen Martinsgänse, Martinshühner und Fastnachtshühner fort. Den Geistlichen thaten es die Laien nach, und kaum war ein Haus, wo nicht auf St. Martinstag eine gebratene Gans oder ein Schweinsbraten verzehrt wurde. Man kostete dabei das erste Mal vom neuen Weine. Wie sich überhaupt die [257] Freude gerne mittheilt, so geschah es auch am St. Martinstage. An diesem Tage wurde zu Würzburg in vielen Häusern Wein an Arme aus religiöser Freigebigkeit ausgetheilt. Die Küster in den Stiftern erhielten von jedem Chorherrn und die Handwerksleute von ihren Kundschaften einen Krug Wein. Sogar ein öffentliches Schauspiel von sonderbarer Art gab man am Vorabende dieses Tages dem Volke zu Würzburg. Im Bruderhofe wurde ein Amphitheater errichtet. Am Vorabende von St. Martinstag nach der Vesper versammelten sich die Domherren auf den für sie zubereiteten Sitzen, dazu eine Menge Volkes. In diesem Circus, der mit Stroh belegt war, wurden zwei oder mehrere wilde Schweine auf einander gehetzt. Das Fleisch wurde dann theils unter die Vornehmern, theils unter das Volk vertheilt. Während dieses Schauspieles wurde den Domherrn Most präsentirt, und einer reichte dem andern den Becher.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Zweiter Band. 729. Die Martinsgans. 729. Die Martinsgans. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F493-B