179. Der Feilenhauer von Weißdorf.

Im Fichtelgebirge. – K. Zapf Wanderungen S. 34.


Zu Weißdorf wohnte vor Zeiten ein Mann, welcher in seiner Jugend das Feilenhauen erlernt hatte, später aber dieses Geschäft aufgab, und sich dem Geisterbannen widmete. Zu seiner Zeit waren die Gespenstererscheinungen an der Tagesordnung; kaum hatte Jemand, der nicht sonderlich gut angeschrieben stand, die Augen im Tode geschlossen, so war ein Wiederkommen so gut als entschieden. Noch vor dem Begräbnißtage fing in seinem Hause [182] ein Poltergeist an zu rumoren, der ganze Ortschaften in Bewegung setzte und jede Nacht eine andere Albernheit anrichtete. Wer nun genöthiget war, in dergleichen Nothfällen einen Helfersmann aufzusuchen, der nahm seine Zuflucht zu dem alten Feilenhauer. Dieser, ein langer, hagerer Mann, mit zerlumpten Kleidern und einen Ranzensack auf dem Rücken, zog von Ort zu Ort und leistete Hülfe. Sobald er irgendwo eintrat, wußte auch Jedermann, was seine Gegenwart zu bedeuten habe. Dann war der Feilenhauer ein Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, und die Schenke, wo er einzukehren pflegte, wurde an jenem Tage häufiger besucht. Gefürchtet war er von Jungen und Alten. Noch mehr aber, als die Menschen, hatten die Poltergeister vor dem Manne Respekt. Der ungestümste Dämon kam auf einen Wink des Feilenhauers demüthig herbei und kroch in den vorgehaltenen Ranzensack. Das gewöhnliche Schicksal der eingefangenen Gäste bestand darin, daß sie nach Waldstein verbannt wurden, um in dieser furchtbaren Einsamkeit Ordnung und Eingezogenheit zu lernen. Dort standen sie unter strenger Mannszucht. Wer von ihnen sich eines Vergehens schuldig machte, wurde exemplarisch bestraft. Doch um einigermassen die ewige Langeweile, der die Gefangenen anheimgefallen waren, zu mildern, erlaubte ihnen der Feilenhauer das Kartenspiel und verfertigte dazu selbst die eisernen Karten. Der einem Tische ähnliche Stein im Burghofe zu Waldstein, war der Platz, wo die Geistergesellschaft diesem Zeitvertreibe huldigte; die Spuren der eisernen Kartenblätter kann man auf demselben noch jetzt erkennen.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 179. Der Feilenhauer von Weißdorf. 179. Der Feilenhauer von Weißdorf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F0CD-B