814. Die Rosentreppe.

VonChr. Böhmer. – Wiederholung der öfters vorkommenden Sage: »Elisabeths Rosen.« S.Simrocks gesch. deutsche Sagen S. 528 A. 117.


Des Winters Stürme ziehen
Und jagen wild den Schnee,
Und weiße Flocken fliehen
Hernieder aus düstrer Höh'.
»So sattle mir die Mähre
Zum Jagen rasch, mein Knecht!«
Er sprach's, griff nach dem Speere
Der rauhe Graf Rupprecht.
Noch rief er an der Pforte
Der sanften Gemahlin rauh:
»Vergiß nicht meine Worte,
Du schmucke Edelfrau!
Nicht darf es fürder geschehen,
Daß, wie eine Bettlerin,
Ich dich muß irren sehen
Von Häusern her und hin!«
Dann eilt er kalt von hinnen
Hinaus ins Schneegefild,
Sieht nicht die Thränen rinnen,
Der Gattin bleiches Bild.
Sie blicket sinnend zum Himmel,
Zum trüben Raum empor;
Da dringt vom Hofe Getümmel
Herauf zu ihrem Ohr.
Die Knechte drunten toben
Und schelten wild und rauh,
Und zitternd ruft noch Oben
Eine abgezehrte Frau:
»Es liegt den ganzen Winter
Der Mann bis auf den Tod,
Es schreien die kleinen Kinder
Zu Hause jammernd um Brod.«
Der Gräfin Blicke beben
Voll tiefem Weh und Schmerz;
»O Gott, du magst ihm vergeben,
Der Jammer bricht mein Herz!«
Sie füllt nach ihrer Sitte
Ein Tuch mit Geld und Brod,
Und eilt mit schnellem Schritte
Ein Engel in Jammer und Noth.
Da stürmet zu der Stiege
Graf Rupprecht fluchend herauf,
Es flammen seine Züge:
»Wohin in raschem Lauf?«
Erschreckt fährt sie zurücke
Die Gräfin todtenbleich;
Da ruft er, Wuth im Blicke:
»Das Tuch da öffne gleich!«
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»Wie lange soll ich warten?« –
»Es sind ja Rosen – o Gott!«
»Ist's Frühling in deinem Garten?«
Ruft er mit Hohn und Spott!
Er reißt ihr die Schürz herunter
Der Gräfin so blaß wie der Tod
Und drinnen – o göttlich Wunder!
Blühn Rosen weiß und roth.
Sie hat das farbelose
Antlitz zum Gebet geneigt,
Selbst gleich der weißen Rose,
Von jähem Schrecken gebleicht.
Und erzählt dem Grafen in Treue
Wie Noth die Lüge erpreßt;
Der rief in tiefer Reue,
Das Auge von Thränen genäßt:
»O wohl ist Gottes Segen
Mit denen, die Segen verleihn;
So laß uns auf allen Wegen
In Zukunft Segen streun!«
Die Treppe ist lang verschwunden,
Wo einst das Wunder geschehn,
Doch hörst du von Mund zu Munde
Die alte Mähre gehn.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Zweiter Band. 814. Die Rosentreppe. 814. Die Rosentreppe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F068-F