Ende der Welt.

§. 1. Das Ahnen.

Es geht ein Ahnen durch die Völker von ihrem endlichen Schicksale, geheimnißvoll in seiner Quelle wie in dem Laufe, den es genommen durch die Jahrhunderte in Glück und Unglück. Wie der Mensch, zum Mann erwachsen, nicht mehr weiß, was gewesen ist in den Tagen seiner Kindheit, wo er noch an der Brust lag der liebenden, sorgenden Mutter, so weiß auch das Volk nichts mehr von dem Ausgang, den es genommen, von dem Anfang, aus dem es erwachsen. Und erst wenn der Mensch angelangt ist auf der Höhe der Bahn, die er zu durchmessen hat, auf der Scheide, von wo an der Weg abwärts führt, da weht es ihn an mit wehmüthigem Hauche, und er schaut öfter als in der [327] stürmenden Jugendzeit rückwärts und manche dunkle Erinnerung überkommt ihn von dem, was er als Kind vernommen, und mancher Blitz leuchtet ihm hinaus in die verhüllte Zukunft und an die Gränze, wo seinem irdischen Daseyn das Ziel gesteckt ist. So steht es auch mit dem Volke. Hat es den Hochpunkt erreicht der Lebenslinie, die ihm vorgezeichnet ist von dem Lenker der Weltgeschicke, so fühlt es nicht selten wieder in ähnlicher Weise, wie in seiner früheren Kindheit, wo es noch am Busen der mütterlichen Natur lag und seinem Ursprunge, seinem Gotte, näher stand, und was es dort gehört in prophetischen Worten, das tönt in losen Bruchstücken wieder in ihm, und es gedenkt nun mehr denn je der Zeit, die da kommen wird, um ihm zuzurufen: bis hieher und nicht weiter! Dieses Ahnen des Vergangenen wie des Kommenden ist ein befangenes, düsteres, denn es lautet auf das Ende, und es legt sich um so schwerer herein, je mehr der Druck auf dem Volke lastet, je abgeschiedener von der Welt es dahinlebt, je melancholischer sein Himmel, sein Boden ihm die Bilder widerstrahlt, die es in ihn hineingelebt hat.

So trägt sich auch das Volk der Oberpfalz mit solcher Ahnung von dem einstigen Untergange, nicht bloß seiner Individualität, sondern der ganzen bestehenden Ordnung der Welt, und lehnt sich damit hart an jene kostbaren Ueberlieferungen germanischer Heidenzeit, welche uns in der Edda erhalten sind. Ja, es genügt ihm nicht, hierüber nur Allgemeines zu berichten, es weiß selbst die Stätte zu benennen, auf eigenem [328] Grund und Boden, wo der Entscheid geliefert wird über die alte Zeit und eine neue beginnen soll, voll seligen Friedens.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Fünfzehntes Buch. Ende der Welt. 1. Das Ahnen. 1. Das Ahnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DB83-6