Personen.
- Georg Merklin.
- Eduard Jagisch, Oboespieler.
- Anna, seine Frau.
- Beider Sohn, acht Jahre alt.
- Ein Dienstmädchen. [838]
Studie in einem Aufzug
Personen.
Ja, nun wären wir zu Hause. Tritt ein, Georg, ich heiße dich willkommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich den Zufall preise, wie sehr ich mich freue ... Er legt Hut und Überzieher auf das Sofa. So. – Willst du nicht ablegen?
Ja, du hast recht, es ist etwas kühl. Aber natürlich, man heizt doch nicht mehr Ende April – nicht wahr? Willst du nicht Platz nehmen? Georg bleibt stehen. Nun, Georg, weiß du auch, wie lange es her ist? Mehr als elf Jahre ... jawohl, mehr als elf Jahre haben wir einander nicht gesehen. Und das Sonderbare ist, daß es gerade gestern elf Jahre waren.
Ja, ich weiß, daß es gerade der achtundzwanzigste April war. Denn der Abend, an dem wir das letzte Mal zusammen waren, ist mir gewissermaßen unvergeßlich geblieben und hat noch in der Erinnerung einen seltsamen Zauber.
Da geht nun eine so lange Zeit hin, in der man gar nichts voneinander gewußt hat – und nun trifft man einander zufällig auf der Straße. Und so hätte man vielleicht sein ganzes Leben in der gleichen Stadt leben können, ohne einander zu begegnen.
Aber ohne meine Schuld. Denn was mich anbelangt, so habe ich dich gesucht, habe nach dir geradezu geforscht – zum mindesten in den letzten drei Jahren, seit ich wieder aus [839] Amerika zurück bin. Es lag mir sehr daran, dich wieder zu finden.
Warum? Ich sehnte mich nach dir – jawohl! Begreifst du das nicht? Denke doch, wie viel wir in früherer Zeit miteinander verkehrten; besonders in der letzten Zeit meines Wiener Aufenthaltes. In meinem kleinen Zimmer in der Nußdorfer Straße war es, wo du uns dein Stück vorlasest ...
Ja, das find' ich auch. Darum bin ich so weit herausgezogen. Trotzdem es manchmal seine mißlichen Seiten hat, insbesondere wenn ich spät abends aus der Oper nach Hause fahren muß, bei schlechtem Wetter. Wenn es schön ist, geh' ich manchmal zu Fuß, auch im Winter. Es dauert doch nicht mehr als drei Viertelstunden. Und dafür ist man dann geradezu auf dem Lande. Es ist sogar ein kleiner Garten bei dem Haus; zwar dürfen wir ihn nicht betreten, aber es ist doch für das Kind von Vorteil, wenn es so den Kopf nur zum Küchenfenster hinauszustrecken braucht, um den Duft der Blumen ...
Nun, wie man's nimmt. Jedenfalls steht es fest, daß meine Frau soeben unsern Buben von der Schule abholt, und unser Bub' ist acht Jahre alt – jawohl.
Glücklich ... Ich würde nicht wagen, ein solches Wort so kühn hinauszuschmettern. Das ist vielleicht eine Art, Unheil heraufzubeschwören.
Wenn ich mich erinnere, was du damals für ein ängstlicher, [840] verschüchterter, ja man kann sagen, armseliger Bursche gewesen bist ...
Nun, ich habe eben das Gefühl, daß alles Unglück hinter mir liegt. Jetzt kommt nichts Böses mehr. Ich weiß es. – Nun ja, der Tod. Aber der kommt für uns alle. Ich denke nicht an ihn. Und übrigens, ich versichere dir, hat der Tod nichts Schreckliches mehr, wenn man einmal Weib und Kind hat, die einen beweinen werden. Ich weiß nicht, wie du über diese Dinge denkst.
Ich habe weder Weib noch Kind – stehe also dem Tod ohne Sympathie gegenüber. – Warum siehst du mich so an? Wie findest du, daß ich ausschaue?
Grau ... Nun, auch ich beginne – sieh nur, hier an den Schläfen. Und du bist ja beinahe zehn Jahre älter als ich.
Natürlich – Merlet! Ich kannt' ihn ja auch ... schneeweiß. Ich treff' ihn noch zuweilen, aber man kennt sich nicht mehr ... Ja, das Leben! – Er war ja auch an jenem Abend, an jenem unvergeßlichen Abend, in unserer Gesellschaft.
Grau sein beweist nichts. Auch die Jahre beweisen nichts. Gibt es nicht Menschen, die noch mit sechzig oder siebzig Jahren Väter werden – oder Feldzüge mitmachen? Kann man solche Leute alt nennen? Nein. Nur eines beweist, daß man alt ist – der Tod. Alt sind nicht die Hundertjährigen; alt sind, die morgen sterben müssen. Zum Fenster hinausweisend. Diese junge Dame ist uralt, wenn sie an der nächsten Ecke tot zusammenstürzt.
O, ich dachte, du erblickst meine Frau, sie muß nämlich jeden Augenblick kommen ... Nein, nein, sie ist es nicht.
Ich will dir eine Geschichte erzählen, die mir vor ein paar Jahren auf der Eisenbahn passiert ist. Es war früh um sechs, ein Wintermorgen. Mir gegenüber sitzt ein Mensch, lehnt in der Ecke und schlummert. Ich kenn' ihn nicht, ich hab' ihn nie gesehen, er interessiert mich nicht im allergeringsten. Plötzlich geht mir der Gedanke durch den Kopf: Stirb! Und mit diesem Gedanken seh' ich ihn eine geraume Weile an. Er schläft weiter und rührt sich nicht. Ich blicke wieder zum Fenster hinaus in die beschneite Landschaft, wie es meine Art ist, und vergesse den Kerl vollkommen. Wir kommen in Wien an. Ich erhebe mich, steige aus, der andere nicht. Der andere bleibt sitzen, regungslos. Ich rufe Leute herbei – man trägt ihn hinaus – er war tot ... tot. Die Ärzte nannten es Herzschlag.
Zufall? – Weißt du denn, wie viel Tag für Tag auf der Welt geschieht, weil es irgend jemand insgeheim wollte – oder auch nur leichtfertig aussprach? Ahnst du etwas von der geheimnisvollen Macht, die in schöpferischen Naturen steckt? – Ich begab mich zu einem Kommissär und teilte ihm den Sachverhalt mit. »Setzen Sie mich ins Gefängnis, Herr,« sagte ich, »denn offenbar bin ich es, der diesen Herrn ermordet hat. Dabei empfinde ich nicht die geringste Reue.« Aber der Kommissär setzte mich nicht ins Gefängnis – er sah mich so einfältig an wie du und entließ mich wieder.
Ja du bist es! Du bist der Alte! Georg, Georg! – Wo nur meine Frau heute, gerade heute so lange bleibt! Wie erstaunt wird sie sein ... Du kannst dir ja denken, daß ich häufig von dir gesprochen habe, Georg. Aber darf ich dir nicht eine Zigarre anbieten?
Danke, nein, danke; ich rauche nicht mehr. Ich habe mir diese überflüssigen Dinge abgewöhnt. Nein, nein, laß nur, ich würde es nicht mehr gut vertragen.
Wie du willst. Aber setz' dich wenigstens. Und sag' mir endlich, was du denn die ganze Zeit über gemacht hast. Ich kann es so gar nicht begreifen, daß man nichts mehr von dir gehört hat, daß du so gut wie –
Daß ich verschollen war. Nun ja, sprich's nur aus. Ich versichere dir, es tut gar nicht weh, verschollen zu sein. Und ich glaube nicht, daß Menschen meiner Art überhaupt etwas Besseres zustoßen kann.
[842]Aber ... damals schien es doch – wir erwarteten alle ... Du warst doch auf dem Wege, etwas Großes zu werden.
Wer sagt dir, daß ich es nicht geworden bin? Müssen es denn die andern merken? Wenn du heute deine Oboe verkauftest, oder wenn deine Finger und Lippen gelähmt würden, daß du nicht mehr blasen könntest – wärest du ein geringerer Virtuose als zuvor? Oder nimm an, du hättest keine Lust mehr und würfest sie einfach zum Fenster hinaus, deine Oboe, weil ihr Klang dir nicht genügte – wärst du dann kein Künstler mehr? Oder wärst du nicht vielmehr erst recht einer, wenn du's zum Fenster hinuntergeworfen hättest, das Instrument, das so ohnmächtig war im Vergleiche zu der göttlichen Musik in deinem Hirn?
Nun, ich habe sie zum Fenster hinuntergeworfen, meine Oboe. – Die Dummköpfe haben ausgeschrien: Es fällt ihm nichts ein! Ich lasse sie schreien. Dem wahren Künstler kann nie etwas einfallen, denn er hat alles in sich – er hat die innere Fülle. Das ist es, darauf kommt es an.
Es ist mir, wie wenn ich dich gestern zum letztenmal gehört hätte – wahrhaftig! Ich kann es nicht fassen, daß wir uns heute zum erstenmal wiedersehn, – seit jenem Abschiedsfest am 28. April.
Für mich war es eins. Ich hatte ja schon meinen Vertrag für Boston in der Tasche. Erinnerst du dich nicht mehr? Man trank auf meine Zukunft; du hieltest sogar eine Rede. Erinnerst du dich nicht? – Ah, was für ein Abend! Wie an einen Traum denk' ich an ihn zurück. Als wär' es überhaupt der erste Frühlingsabend, den ich erlebt habe. Wir saßen unter hohen Bäumen, an zwei langen Tischen, die man hatte zusammenrücken müssen. Auf den Tischen brannten Windlichter. Merlet, der Schneeweiße, saß da – dort Habicht, der junge Schauspieler mit den glühenden Augen – dort jene Geigenspielerin, die noch im selben Jahre starb. Und deine Geliebte ... von damals war ganz in weiß gekleidet, hatte dunkelrote Rosen im Haar – und später, als außer uns gar keine Leute mehr im Garten waren, lag sie zu deinen Füßen, den Kopf an dein Knie gelehnt. Sie hieß Irene.
Ja. Sie hieß Irene. – Übrigens erinnere ich mich sehr wohl, [843] daß du dich an jenem Abend auch eben nicht zu beklagen hattest.
Hast du sie wiedergesehen? Ich meine, ob du sie nach jenem Abend überhaupt noch einmal wiedergesehen hast?
Nein, nein, die andere. Die an deiner Seite saß. Die Blonde mit dem Kindergesicht. Hast du sie nicht wiedergesehen?
Diese Blonde? Nein. Ich hatte doch meinen Kontrakt in der Tasche, für Boston. Nach ein paar Wochen mußt' ich jedenfalls fort. Das hatt' ich ja unterschrieben. Was sollte mir da irgend eine Blonde mit einem Kindergesicht?
Ja, ich denke, daß sie befreundet waren, soweit Frauen das eben sein können. Sieht vor sich hin. Dann. Eduard ...
Ich weiß es ja. Wie oft hatt' ich dich seufzen gehört, daß du zum Glück nicht geschaffen, daß du bestimmt wärst, deine Jugend einsam und ungeliebt zu verbringen, weil du ein so verschüchterter und ängstlicher Bursch' warst.
Es hat seinen Grund, Eduard. Und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß uns das Schicksal nur deshalb noch einmal zusammengeführt hat, damit du die Wahrheit erfährst.
Ich vermute, daß dieser Abend bedeutungsvoller für dich war, als du ahnst. Ich glaube, daß du an diesem Abend [844] den Lebensmut in dich getrunken hast, von dem du auch heute noch erfüllt bist. Denn damals, gesteh es, hast du zum ersten Male empfunden, daß auch du imstande bist, Glück zu geben, Glück zu empfangen.
Wäre jene Stunde nicht gewesen, du wärst wohl dein Lebtag der verschüchterte, ängstliche Bursch geblieben, als den ich dich kannte. Vielleicht hättest du nicht einmal den Mut gefunden, um ein Weib zu werben.
Und wie kam dies alles? Wodurch ward diese außerordentliche Veränderung deines Wesen hervorgerufen? Dadurch, daß du glaubtest, das schöne Mädchen, das dich damals doch zum ersten Male sah, hätte sich auf den ersten Blick in dich verliebt.
Ja. Es war eine abgekartete Sache. Die Kleine, die so zärtlich mit dir war, tat einfach, was ich wollte. Ihr wart die Puppen in meiner Hand. Ich lenkte die Drähte. Es war abgemacht, daß sie sich in dich verliebt stellen sollte. Denn du hattest mir immer leid getan, Eduard. Ich wollte in dir die Illusion eines Glücks erwecken, damit dich das wahre Glück bereit fände, wenn es einmal erschiene. Und so hab' ich – wie es Leuten meiner Art wohl gegeben sein mag – vielleicht noch tiefer gewirkt, als ich wollte. Ich habe dich zu einem andern Menschen gemacht. Und ich darf wohl sagen: es ist ein edleres Vergnügen, mit Lebendigen zu spielen, als Luftgestalten im poetischen Tanze herumwirbeln zu lassen.
Nun, ich will allerdings bemerken, daß ich nicht vorbereitet war. Du wirst die Güte haben, mich bei ihr wegen meiner Toilette zu entschuldigen.
Ist es denn möglich? Anna!Zu Eduard. Und dieser Mensch läßt mich meine ganze Geschichte zu Ende erzählen. So ein Pfiffikus ist aus diesem verschüchterten Burschen geworden. Ihr habt euch also geheiratet?
Ja, wie du siehst. Und nun stelle dir vor, wie wir uns auf diesen Augenblick gefreut, ja, wie wir ihn gewissermaßen herbeigesehnt haben. Ich, und Anna auch.
Du mußt nämlich wissen, daß wir seine Puppen waren. An seinen Drähten haben wir getanzt. Sie sind aber allmählich sehr lebendig geworden, deine Puppen; nicht wahr, Georg?
Keiner. Wir haben uns eben erlaubt, ihn nach einem alten Freund, nach einem gewissen Puppenspieler – Er lacht vergnügt. Es war übrigens ein Einfall meiner Frau.
[846]Also Bub', jetzt geh' hinein, bring' deine Sachen in Ordnung, wasch' dir die Hände; dann kannst du wieder hereinkommen.
Ja, Georg, dann kannst du wieder hereinkommen. – Georg. Wenn ein anderer so heißt wie wir selber, noch dazu so ein ganz kleines Individuum – das hat im Grunde was unbeschreiblich Komisches.
So sieht man sich also wieder. Setzen Sie sich doch. Wollen Sie nicht ablegen? Blick Eduards. Allerdings, es ist etwas kühl – wirklich, ich möchte mir am liebsten was umnehmen.
Ja, es ist kühl. Aber außerdem will ich ganz ehrlich gestehen: Ich bin im Arbeitsrock, darum will ich dieses Überkleid nicht ablegen. Ich hatte ja keine Ahnung, daß ich heute plötzlich als Besucher aufzutreten hätte. – Nein, Anna, wie Sie jung geblieben sind!
Denk nur den Zufall, Anna! Hier vor dem Hause! Nachdem man einen Menschen durch Jahre wie mit Lichtern gesucht hat! Ich gehe spazieren – oder vielmehr, ich komme aus der Probe, da erblick' ich ihn zehn Schritte vor mir – am Gang hab' ich ihn erkannt – und ruf' ihn an. Und er wendet sich um und will wieder seines Wegs gehen.
Oder wolltest mir wieder davon. Aber nein, das wäre denn doch zu arg; wenn man jemanden durch Jahre sucht –
Wo warst du? Ich bestehe darauf, daß ihr euch du sagt, wie früher. Ich bin sonst nicht eigensinnig, aber darauf besteh' ich.
[847]Ich weiß nicht. Ich habe lange nicht mehr von ihr gehört. Ich war weit herum. Ich bin sogar in Kalifornien gewesen und in Indien.
Dann hab' ich mich allmählich auf Europa beschränkt, und später sind meine Reisen immer kleiner geworden. Beschreibt mit der Hand eine Spirale. – Der Kreis immer enger. Jetzt mach' ich nur noch Wanderungen in der Umgebung Wiens. Aber das ändert nichts. Denn für mich bedeutet ein Spaziergang auf den Geländen da draußen mehr als für andere eine Fahrt um die Welt. Denn überall gibt es Menschen und Schicksale, wenn man versteht zu sehen und zu hören.
Wie man's nimmt. Ich finde auch Gesellschaft, wenn mir's gerade paßt. Ich habe auch Freunde und Freundinnen – für einen Tag. Und ein Tag ist lang, wenn man versteht zu leben. Ich bin wie Harun-al-Raschid, der unerkannt im Volke wandelt. Die Leute, mit denen ich da draußenGroße Geste. rede, ahnen nicht, wer ich bin; und wer von mir Abschied nimmt, weiß nicht, ob er mich wiederfindet. Es ist ein höchst interessantes Dasein.
Und wenn du nicht spazieren gehst, was fängst du denn dann an? Womit beschäftigst du dich eigentlich? Mit einem plötzlichen Entschlusse. Schreibst du denn noch?
Nichts weißt du! Es ist euch jedenfalls bekannt, daß man essen muß – wenigstens zuweilen. Nur aus diesem Grunde [848] mache ich gelegentlich kleine Arbeiten für ein Journal. Nicht unter meinem Namen natürlich. Ich könnte ebensogut Kohlen tragen oder Pfeifenrohre schnitzen. Womit ich ausdrücken will, daß diese Arbeit mit meiner Seele nichts zu tun hat, mir nichts von meiner inneren Freiheit raubt. Aber genug von mir! Genug! Pause. Blick zwischen Anna und Eduard. Es ist seltsam.
Wie ihr nun da in einem behaglichen Heim haust; die Lampe hängt überm Tisch; ein Kind wächst euch heran ... Das Dienstmädchen kommt herein. Eine Zofe bedient euch; wahrscheinlich seid ihr auch gegen Unfall und Feuersbrunst versichert –
Ist aber Ernst daraus geworden. Nicht wahr, Anna? Er nimmt Anna, die eben aufdeckt, um die Taille; sie wehrt leicht ab. Wundervoller Ernst.
Sag' das nicht, Eduard! – Wäre es nur meine Schuldigkeit gewesen, die hätt' ich auch damit getilgt, daß ich dir die Wahrheit eingestand.
Das eigentlich Interessante an der ganzen Sache ist, daß Anna früher eine Neigung für dich im Herzen trug.
Ein Scherz? das wäre nicht übel. Einen Blick Annas erwidernd. Ach, er soll alles wissen. Wir sind es ihm schuldig. In mancherlei Hinsicht. Jawohl, sie trug eine Neigung für dich im Herzen.
Etwas dergleichen wird es wohl gewesen sein. Sonst hätt' ich mich zu der ganzen Komödie kaum hergegeben.
Unangenehm? Mir? Du bist aber komisch. Ja, merkst du denn nicht, daß ich soeben den größten Triumph meines Daseins erlebe?
Es ist nichts mehr zu erzählen. Lächelnd. Die Sache ist mir mißglückt, wie du weißt. Du wurdest durchaus nicht eifersüchtig. Und so war es eben zu Ende.
Es mußte wohl zu Ende sein, da die letzte Hoffnung versagte. Nicht wahr? Da mußt' ich mich natürlich abfinden.
Das hab' ich für meinen Teil immer behauptet. Es war eher eine Art Freundschaft, die sie für dich hegte, Mitgefühl, wenn man so sagen darf. Und darum lag ihr daran, dich wieder auf den rechten Weg zu bringen.
Sie war doch gewissermaßen mit Schuld daran, daß du damals nach deinem ersten Erfolg deine geregelte Existenz aufgabst ...
Sie hat an mich geglaubt! Sie hat an mich geglaubt. Sie [850] hat nicht gewollt, daß ich meine freie Seele in die Bande eines täglichen Berufes schlüge.
Ich hätte dich so gern in Sicherheit und Ruhe gewünscht und ich fürchtete, daß du dergleichen bei Irene nicht finden würdest.
Jedenfalls war ich überzeugt, es wäre zu deinem Besten, wenn du nicht mit ihr zusammenbliebst. Mir war sogar manchmal, als fühltest du selbst –
Als fühltest du selbst, daß nicht Irene – – Darum habe ich damals in ... der Komödie mitgetan. An jenem Abend schien mir sogar in irgend einem Augenblick, als gelänge das Spiel ... Du sahst mich zuweilen so seltsam an ...
Wie du sonst nur Irene anzuschauen pflegtest ... Und an den Tagen, die nun folgten, habe ich mir allerlei dummes Zeug eingebildet. Ich habe gewissermaßen auf dich gewartet. Mir war, als müßtest du ... als ... Pause. Aber du bist nicht gekommen. Und nachdem ich ein paar Tage vergeblich gewartet hatte, wurde es mir endlich klar. Alles. Alles. Und ich habe mich sehr geschämt. Nicht nur für mich; auch für ihn. Für Eduard. Ja wirklich, bis in die tiefste Seele hab ich mich geschämt – für uns beide. Mir war so weh. Am liebsten wär' ich –
Ja, das hat sie mir auch damals gesagt, Georg. Und auf den Knien ist sie vor mir gelegen ... Das heißt, ich hab' sie natürlich gleich aufgehoben ... und hat mir das Ganze gestanden, alles. Ja, viel mehr, als du selber wußtest. Und in meinen Armen hat sie sich ausgeweint.
Ja. Und so wurde es auch wieder gut. Es dauerte gar nicht so lang. Es war doch ganz gut, dacht' ich bald, daß er nicht gekommen ist.
[851]Und sie schrieb mir Briefe, als ich drüben in Amerika war. Ah, und was für Briefe! Alle hab' ich aufbewahrt. Wir lesen sie auch zuweilen wieder. In dem Fach dort liegen sie. Und dann, nach einiger Zeit nahm sie ein Billett und ging zu Schiff und kam zu mir nach Boston. Ja, Georg, hier steht ein Wesen, das mir nach Amerika nachgereist ist, so sehr hat sie mich – geliebt. Pause.
Wenn ich bedenke, es hätte mir passieren können, ein geordneter Hausvater zu werden, wie du – unter einer Hängelampe zu sitzen und eine Zofe in Diensten zu haben ... Nein, laßt uns alle froh sein, daß ich damals nicht gekommen bin. Nein, ich bin nicht dazu geboren, an einem weißgedeckten Tisch zu speisen.
Nein – ich bitte sehr – laßt das. Ich wünsche nicht, in meiner Lebensführung gestört zu werden. Ich bin nicht mehr jung genug, um langjährige Gewohnheiten abzulegen.
Ich bin gewöhnt – ob ihr nun darüber lächelt oder nicht – mein Diner, wann es mir beliebt, im Freien, während des Spazierengehens, zu mir zu nehmen – und trage es daher der Bequemlichkeit halber meist in der Tasche bei mir.
Geduld, mein Junge. Gleich wird sie da sein. Und da ich euch auch nicht in euren Gewohnheiten zu stören wünsche, werdet ihr mir erlauben, mich ergebenst zu empfehlen.
Es ist möglich, aber nicht gewiß. Wir wollen es dem Zufall überlassen. Ich lebe nach keinem Programm. Und wenn ihr etwa meine Wohnung erfahrt – ich gebe nichts auf Formalitäten, ich erwarte keinen Gegenbesuch.
Ja, aber wenn du auch nicht besucht werden willst, mein lieber Freund – nimm's mir nicht übel auf – es wäre ja möglich, daß ... ich habe nämlich gewisse Verbindungen – am Ende könnt' ich dir in irgend welcher Weise dienlich sein.
Es duldet dich wohl nicht, daß du mich so frei und unbeschränkt leben siehst? Ich soll wohl ein Tropf werden wie damals, da die Dummköpfe etwas von mir hielten? Aber die Zeiten haben sich geändert. Als ich arm war, konnt' ich euch geben, was ich besaß – heute bin ich zu reich, um ein Verschwender zu sein.
Ich denke ja nicht an eine Anstellung im gewöhnlichen Sinne. Aber es wäre ja möglich, daß du bei einiger Ruhe, bei einigem Fleiß auf die leichteste Weise, ja ohne deinen Willen zu Ruhm und zu Reichtum kämest.
Ruhm? – Zehn Jahre – tausend Jahre – zehntausend? Sag' mir, in welchem Jahr die Unsterblichkeit anfängt, und ich will um meinen Ruhm besorgt sein. – Reichtum? – Zehn Gulden – tausend – eine Million? – Sag' mir, um wie viel die Welt zu kaufen ist, und ich will mich um Reichtum bemühen. Vorläufig ist mir der Unterschied zwischen Armut und Reichtum, zwischen Dunkelheit und Ruhm zu gering, als daß es sich mir lohnte, einen Finger darum zu rühren. Laß mich spazieren gehn, Freund, und mit Menschen spielen. Das ist das einzige, was eines Menschen meiner Art würdig ist. Lebt wohl, meine Lieben, ich freue mich, euch wiedergesehen zu haben. Zu dem Kleinen. Adieu – Georg – Adieu! Zu den anderen. Wer weiß, wozu dieser kleine Junge einmal berufen ist. Und wenn man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht an jenem Abend den Einfall gehabt hätte ... Ihr müßt es ihm erzählen, wenn er einmal groß genug ist, um es zu verstehen.
Nun denn, wenn ihr mir durchaus etwas anbieten wollt, so erlaubt mir, meinem jugendlichen Namensvetter einen Kuß auf die Stirn zu geben. Er hebt ihn in die Höhe und küßt ihn. Nach einer Pause. Vielleicht bedarf dieser etwas rührsame Einfall der Erklärung. Nun, ich habe keinen Anlaß, euch zu verhehlen, daß ich auch einmal eine Frau hatte.
Meine Frau ist von mir später fortgegangen, und der Bub', den sie mir zurückgelassen ... Absichtlich kalt. ist gestorben. Ja. Ersehet daraus, meine Freunde: – das Schicksal wünscht nicht, daß ich durch Alltagssorgen an den Boden geschmiedet werde. Menschen meiner Art müssen frei sein, wenn sie sich ausleben sollen. Lebt wohl.
Puppenspiel in einem Akt
Personen.
Gib sie mir. Du nimmst mir's wohl nicht übel, daß ich neue seidene Taschentücher auf die Reise mitnehme.
Gewiß. Oder wolltest du, daß dein Liebster sich auf Reisen wie ein Handwerksbursche trägt? ... So reich' sie mir doch her, die Krause. Sophie bringt sie ihm langsam. – Er deutet auf die Krause. Ist dies nicht wieder eine Träne?
Nun, nun ... Gutmütig; er berührt die Krause leicht mit den Lippen. Nun siehst du wohl, daß ich dir nicht böse bin. Aber sei nur endlich ruhig. Gib dich drein, Kind. Beschäftigt. Es ist ja nicht auf ewig.
Vielleicht früher ... vielleicht auch ein wenig später ... [856] Am Ende erst, wenn die Pfirsiche reif sind – was weiß ich! Jedenfalls komme ich wieder, wenn ich nur am Leben bleibe – und das hoff' ich.
Werben? ... Ich denke nicht daran. Hab' gar keine Lust, mich herumzuschlagen. Das ist meine Sache nicht.
Wenn du erst fort bist! Ich hab' wohl vernommen, wie sie zu locken verstehen, mit List und Tücke! – Und dein Vetter Cassian, von dem du mir so viel erzählst, der ist ja auch Soldat.
Der tapfere Cassian – ja, mit dem ist es ein ander Ding. Der schlug schon, als er dreizehn Jahr alt war, zwei Räuber tot ... O, dem ist ein menschliches Leben nicht mehr wert als einer Mücke Dasein. Das ist einer!
Cassian! ... Das ist ein Held! Ich wette, über kurz oder lang wird er Oberst, General ... Feldmarschall ... Ei, wenn ich Cassian wäre, ich hätte mir längst ein Herzogtum erobert. Bald werden wir ja irgend was der Art hören, das ist gewiß ... Freilich, der tapfere Cassian! – Ich aber bin ein friedlicher Gesell und blase meine Flöte.
Mit den tausend Dukaten käm' ich weit. Die lumpigen tausend Dukaten, die ich den Studenten hier abgewann! Das Bettelvolk hier in der Stadt!
Was weiß ich denn von dir? Erst im Herbst bist du in unsere Stadt gekommen, und am Weihnachtstag hast du mich zum erstenmal geküßt.
[857]Martin! ... Und von den schönen Frauen, die im Herbst hier das Ballett tanzten, hast du keine geküßt?
Bist du nicht alle Abend im Theater gewesen? Hast du nicht gewartet spät nachts, bis sie nach Hause gingen – an der kleinen Tür auf dem Rathausplatz?
Wie ich sie vor mir sehe! Gleich zuckenden Schlangen im Schnee ringelten ihr die schwarzen Locken über die Schultern. Alle, die sie sahen, waren toll vor Entzücken. Und der Erbprinz warf ihr rote Rosen hinunter auf die Bühne ... O, ich weiß es noch! Und später auf der Straße warteten Hunderte; und als sie kam, den Strauß in der Hand, jubelten alle laut, und sie lächelte, und blickte um sich und streute Blumen unter die Menge ... Und du, ja du ... du! du bücktest dich und jagtest nach einer und hobst sie vom Boden auf und verwahrtest sie – ich hab's wohl gesehen! – an deiner Brust.
Er wirft einen flüchtigen Blick nach Sophie, ob sie's gesehen. Nun, was soll's? Sie ist fort, ich habe nichts mehr von ihr gehört.
Denke, Martin, daß sie alle falsch sind, die heimatlos durch die Welt ziehen ... so schön sie auch tanzen oder singen mögen. Und denk', es wär ein Unglück auch für dich, Martin, wenn du mich vergäßest!
Wie oft noch die törichte Frage? Weil mich irgendwas forttreibt ... Das strömende Blut in mir ... der blühende Frühling draußen ... Was Neues will ich sehen – Menschen – Städte! ... Mich ärgern die Wände hier – die Mauern engen mich ... kein Lied mehr will mir über die Lippen ... Hin und her; sieht den unruhigen Blick Sophiens auf sich gerichtet. 's ist so was Dummes um die letzte Stunde vor dem Abschied! ... Mußt du nicht nach Hause, Sophie? – es wird spät.
Traulich wär's wohl. Aber es ist nichts zu essen da. Frau Brigitte ist fort seit heut nachmittag, und mein Diener kommt erst, wenn's Zeit ist, den Sack auf die Post zu tragen.
Ja, ich bin es ... Woher dringt diese Stimme? ... Es ist meines Vetters Martin Stimme, die aus dem Dunkel zu mir schallt ... Sei mir gegrüßt, Vetter Martin! ... Und einen guten Abend dem schönen Fräulein.
Mach' Licht, Sophie, mach' Licht! Auf daß du den Gespielen meiner Jugend, meines Vaterbruders Sohn, den tapfern Cassian von Angesicht zu Angesicht erblickest!
So mußt du nun für drei sorgen, Sophie. Beeil' dich ein wenig – du weißt, wir haben nicht viel Zeit ... Kaltes Fleisch, Backwerk, Orangen und Datteln – wie du sagtest.
Mit deinem Degen aufgespießt. Laß es mich lieber selbst sagen, sonst könnt' es ein übles Ende nehmen. Und das wäre dumm, denn ich wünsche, gut Freund mit dir zu bleiben. Gib mir die Hand.
Laß dich betrachten. Du hast dich verändert. Dein schüchtern frommes Wesen ist fort ... die Stadt hat dich gebildet, wie es scheint. Gehst du noch zur Kirche?
Prächtig! prächtig! ... Was ist dir widerfahren? Hast du dem Schah von Persien die Krone vom Nachttisch gestohlen? ... fährst du morgen in einem vergoldeten Gespann mit sechs weißen Pferden nach Hinterindien? ... hast du den Erzbischof von Bamberg vergiftet und ist man dir auf der Spur? ... reisest du auf die Löwenjagd nach Afrika? ... hat dich der Sultan in seinen Harem geladen? ... oder bist du am Ende der Kerl, der neulich auf der Landstraße zwischen Worms und Mainz die Kutsche überfiel, darin die schöne Gräfin von Wespich und ihre schöne Tochter saßen? ... bist du's am Ende, der den Kutscher an einen Baum hing und den beiden Damen die Kinder machte, die vorgestern zur gleichen Stunde auf die Welt gekommen sind?
Ah – ich hab' es geahnt: das Mädchen, das uns Datteln und Orangen holt, ist eine verkleidete Prinzessin.
Wetter, es gibt einen, der den Cassian neugierig machen kann ... und der eine ist mein kleiner Vetter Martin!
So höre! ... Er nimmt aus seinem Wams eine Blume. Die da ist von einer, die ich noch nicht einmal gesprochen habe, und die ich liebe wie ein Toller. Im Herbst war sie hier in der Stadt und hat getanzt – sie heißt Eleonora Lambriani ... Er schwankt.
Die in Fontainebleau nachts im Schloßpark vor dem König von Frankreich und seinen Offizieren ohne Schleier tanzte –?
Die den Grafen von Leigang zum Fenster in den Hof hinunterwarf, daß die Hunde auf ihn stürzten und ihm ein Ohr abfraßen –?
Die einmal schwor, neunundneunzig Nächte lang jede Nacht einen andern Liebhaber zu beglücken, von denen keiner was Geringeres sein durfte als ein Fürst, – die ihren Schwur hielt und sich in der hundertsten einen Savoyardenknaben mit seinem Leierkasten ins Schlafgemach holte –?
Ja, sie ist's, sie ist's! die Elende, Herrlichste, Schönste! Und ich will sie – ich muß sie haben! Und dann sterben!
Willst du? Hm ... Es könnte sein, daß du sie für einen Groschen kriegst; – es ist aber auch möglich, daß sie zehntausend Dukaten fordert für einen Kuß auf die Fingerspitzen. Es ist möglich, daß sie auf deinen ersten begehrenden Blick ihr Hemde mitten entzweireißt – es kann aber auch sein, daß sie dich gegen tausend Türken schickt, bevor sie dir erlaubt, ihr die Schuhschnalle aufzusprengen.
In Homburg. Dort tanzt sie bei den Festlichkeiten, die anläßlich der Monarchenzusammenkunft stattfinden. Und morgen früh bin ich dort.
Sollte dir nicht bekannt sein, daß in Homburg zu den Festtagen alle Spieler Europas zusammenströmen? ... Wer sich mit mir einläßt, dessen Reichtum ist mein. Ein Tag ist lang, wenn man Glück hat. Und abends begeb' ich mich ins Theater, setze mich ans Proszenium, sehe Eleonore tanzen, [862] und nachher warte ich vor ihrer Tür, lege ihr meinen Reichtum, mein Herz und mein Leben zu Füßen.
Deine Phantasie lahmt zu früh. Um ein Uhr nachts will ich mit ihr auf deinem Grabe ein Menuett tanzen und der Kaiser von China soll von einem Luftballon aus zuschauen.
Du hast recht, dich über mich lustig zu machen, Cassian, denn du kennst nur meine Hoffnungen und Wünsche, nicht aber meine Kraft und Kunst. Du weißt nicht, daß ich gewinnen muß.
Natürlich. Zuerst spielte ich mit mir selbst. Als ich meiner Sache gewiß war, lud ich mir Freunde ein, Studenten wie ich, einer brachte den andern, alle verloren, und heut ist in meinen Taschen das ganze Geld der Stadt. Es ist nicht eben viel, tausend Dukaten, aber es reicht zu Ausstattung, Reise und erstem Einsatz.
Vortrefflich. Nimmt den Becher zur Hand. Aber was ist's mit dem schönen Fräulein, das uns das Essen holt?
Das arme Kind! – Du weißt ja, Cassian, als ich im Herbst von dir Abschied nahm, du zum Regiment einrücktest und ich die Universität bezog, war ich ein unschuldiger Knabe, hatte noch keines Mädchens Mund geküßt, keinem Liebe geschworen. Durft' ich Eleonoren so gegenübertreten? ... Ich wagt' es nicht! In Sophiens Armen hab' ich küssen gelernt, ihr schwor ich die Eide, die Mädchen gerne hören. Den Glühenden, Eifersüchtigen, Zärtlichen hab' ich gespielt und weiß, aus einem Weib zu machen, was ich will. Eine letzte Probe steht noch aus, daß ich mich sieghaft und stark genug fühle, um vor der Angebeteten nicht zu zittern. Eh' ich die Stadt verlasse, will ich ihr sagen, daß ich sie niemals wiedersehe; und du sollst Zeuge sein, wie sie eilends zu diesem Fenster hinfliegt, um sich hinabzustürzen.
[863]Gnädiges Fräulein, hier sehen Sie einen, der in diesem Augenblick so arm ist wie eine Kirchenmaus ...
Es scheint so ... Ich danke. Auf Ihr Wohl, mein Fräulein ... Auf dein Wohl, Vetter Martin ... Wer mir das gestern prophezeit hätte, daß ich heute an einem gedeckten Tisch im Freundeskreise sitzen sollte ... Ei, was Sie für ein hübsches Häubchen haben, Fräulein!
Ich wohne ja so nah. Ich lief auf einen Augenblick in meine Kammer – man muß sich doch ein wenig anständig herrichten, wenn der Liebste so vornehmen Besuch bekommt.
Und was schmeckt, nicht minder. Ich schwöre, daß die Trüffelpastete, die ich beim Herzog von Andalusien zum Frühstück aß, eine lächerliche Bettlerkost war gegen diese!
Das ist kaum möglich ... Wahrhaftig, es ist ein ganz bescheidenes Wirtshaus, aus dem die Pastete kommt, und der Koch ist aus dem Städtchen wohl nie herausgekommen ... nicht wahr, Sophie?
Du irrst, Martin. Da ich doch schon zu Hause war, bin [864] ich gleich über den Markt gelaufen, in den Gasthof zum wallfahrenden Kamel – dort haben sie jetzt einen Koch, den der Großherzog von Parma zum Land hinausgejagt hat, weil er so gut kochte, daß die Prinzessin ihn durchaus heiraten wollte.
Es lebe der Großherzog, die Prinzessin und das wallfahrende Kamel ... und Sie mein Fräulein! Sie trinken.
Daran ist in der Stadt kein Mangel. Dabei sind sie so wohlfeil als irgendwo. Die Flasche dreizehn Groschen – nicht wahr, Sophie?
Nein, Martin. Dies ist der beste Wein, den sie im wallfahrenden Kamel haben. Die Flasche kostet einen Dukaten.
Nein. Ich ließ das goldene Armband zum Pfand, das du mir neulich schenktest ... Sollt' ich nicht, weil wir doch so vornehmen Besuch haben ...?
Mein Durst ist gut, der Wein ist besser – aber Ihre Freundlichkeit, Fräulein, ist besser als Durst und Wein. Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Hand küsse, Fräulein.
Nennen Sie mich doch nicht »Fräulein« – ich müßte mich schämen. Meine Mutter ist eine arme Witfrau, und mein Vater war zu seinen Lebzeiten ein bürgerlicher Schmied.
Das mögen Sie einem einreden, der weniger von der Welt und von den Weibern versteht ... Ihr Vater war kein Schmied.
Wir wollen nicht daran zweifeln, Fräulein, daß Ihre Mutter nach ihrem besten Wissen tugendhaft gewesen; aber schwören will ich, daß sie sich, während sie Euch unter dem Herzen trug, an der heidnischen Göttin Venus selbst verschaut hat, die ihr wohl im Traum erschienen sein mag. Solches widerfährt den ehrbarsten Frauen; ich selber war zu dem Traum einer vornehmen Dame geladen, der ein Mohrenfürst erschien und die ein kohlrabenschwarzes Mägdelein auf die Welt brachte!Glocken.
Den Nachtisch! Die Stunde drängt! ... Wie? nichts mehr da? Ei, Sophie, so hast du trotz aller Sorgsamkeit doch etwas vergessen!
[865]Dafür war er auch bestimmt. Der Bürgermeister empfängt heute den Fürsten von Dessau, der sich auf der Durchreise zum Kriegslager hier aufhält ...
Oder hab' ich dir mehr Schmuck gegeben, als ich mich erinnere, daß du imstande warst, diesen Aufsatz zu bezahlen?
Sie haben über alle Maßen edel und gastfreundlich gehandelt, Fräulein. Aber ich schwöre, wenn diese Früchte eben aus dem heißen Sizilien kommen, wenn der, der sie pflückte, an Sonnenstich zugrunde ging, der, der sie nach Deutschland brachte, an Heimweh verstarb und Bürgermeister und Fürst vor Kränkung darüber wahnsinnig werden, daß sie auf einen solchen Nachtisch verzichten müssen, – der freche Italiener hat sie sich doch tausendfach überzahlen lassen, und er soll es mir büßen, eh' ich die Stadt verlasse ... Nun aber wollen wir's uns schmecken lassen.
Es ist nicht so einfach zu berichten. Ich komme aus einer Schlacht, wo mir zwei Pferde unterm Leib und drei Mützen [866] vom Schädel weggeschossen wurden. Des Fernern komm' ich aus der Gefangenschaft, wo etliche brave Kameraden verhungert und von Ratten aufgefressen worden sind. Ferner vom Richtplatz, wo sieben an meiner Seite füsiliert und ich mit ihnen für tot in eine Grube geworfen wurde, obwohl alle Kugeln an mir vorbeigepfiffen waren. Ferner aus den Krallen eines Geiers, der mich für Aas hielt wie die andern, die sich an meiner Seite bereit machten zu verwesen, und der mich aus Bergeshöhe auf die Erde herunterfallen ließ, – glücklicherweise auf einen Heuschober. Ferner aus einem Wald, wo mich ein paar Kaufleute für ein Gespenst ansahen und mir in ihrem Schrecken allerlei gutes Zeug und Bargeld zurückließen. Ferner aus einem gar lustigen Haus, wo Kroatinnen und Tscherkessinnen und Spanierinnen meinethalb mit den Dolchen aufeinander losgingen, und ihre Galans mich umbringen wollten, ... so daß ich durch den Rauchfang aufs Dach flüchtete und fünf Stockwerke heruntersprang, ... kurz und gut: ich komme aus so viel Abenteuern, daß ein anderer mehr Mühe hätte, sie zu erfinden, als es mir gemacht hat, sie zu überstehen.
Seltsam! ... Und aus den tausend Fährlichkeiten bist du entkommen – ei, hattest du Glück! – ohne Wunden?!
Was soll ich ferner hier? Ich denke, eine flinke Marketenderin ist in Kriegszeiten überall gut aufgenommen.
Ist dir die Zeit lang? – Komm, Vetter, auch ich liebe nicht leere Viertelstunden ... Heh, noch ein Spielchen!
Oho! da hat mir ein reicher Vetter einen Dukaten geliehen, mit dem werd' ich wohl anfangen dürfen, was mir beliebt.
Meiner Seel', das darfst du. Und es soll mir ein Vergnügen sein, dir nebst diesem Dukaten auch Wams, Strümpfe, Degen und Hemd abzunehmen.
Ein trauriger Einsatz, – ein jämmerlicher Einsatz! – Ich schüttle. – Zwölf! Nun ist der Spaß wohl zu Ende.
Kümmre dich nicht! ... Hier ist mein Reisesack wohl gepackt; es ist mehr darin, als du ahnst. Sie würfeln. Elf!
Genug? ... Noch einmal ... Der Diener wird gleich hier sein ... einmal noch, es kann nicht so fortgehen!
Martin! ... Ich verschenk' mich selber. Setzt sich Cassian auf den Schoß und umarmt ihn. Cassian lacht.
Nicht übel! Das hast du gut gemacht ... noch sieben oder acht Jahre, und du wärst ein gefährlicher Gegner – wenn auch nicht für mich.Sticht ihm ins Herz.
Wie war ihr Name? ... Eleonora Lambriani ... Es wäre der Mühe wert, sich noch einen Tag Urlaub nehmen ...
Ja, Elende, Elende! daß du's nur weißt! ... Eleonora ... hier die Blume ... ich hab' sie aufbewahrt ... es ist dieselbe ... nimm du sie, Vetter Cassian ... bring' sie ihr ... ich lasse sie grüßen ...
Höchst Wundersames hat sich ereignet. Der springende Herr hat das springende Fräulein in der Luft aufgefangen und beide sind wohlbehalten unten angelangt ...
He! wird's bald? Bedienter! den Reisesack! rasch! Ich will die Post nicht versäumen! Und habe vorher noch einem frechen Italiener einen Degenstich zwischen die Rippen zu versetzen.
Gib mir die Flöte, eh' du gehst ... Ich danke dir ... Warte! ... Auf dem Weg zur Post zieh' die Glocke auf dem Kreuzweg Numero siebzehn ...
Es ist bitter, allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde vorher noch geliebt, wohlhabend und der herrlichsten Hoffnungen voll war. Wahrlich, es ist ein übler Spaß, und ich bin eigentlich gar nicht gelaunt, Flöte zu spielen.Läßt sie fallen und stirbt.
Burleske in einem Akt
Personen.
Meine Herren! Hier ist zu sehn das preisgekrönte allerneueste Figurentheater oder auch Marionettentheater genannt – ein Theater, welches fürderhin jeglichen Theaterbesuch [873] endgültig überflüssig zu machen geneigt und anvertraut ist. Denn eine Betrachtung oder selbst Besichtigung des Theaterzettels beweist, daß hier für jegliches dramatisches Bedürfnis des geehrten Publikums in vollem Maße gesorgt und vertreten ist. – Auf diesem Theater tritt auf kein geringerer als der Herzog von Lawin, eine hochfürstliche und elegant gekleidete Persönlichkeit sowie seine rechtmäßige Gemahlin, ein hochmodernes Weib in Sensationstoilette, und noch nicht genug, haben wir vorrätig den Helden dieses Stückes, alsdann denjenigen, dem die ganze Handlung passieren tut, sowie dessen Freunderln, von denen der eine traurig, hingegen der andere kreuzfidel zu sein die Ehre hat. Damit nicht genug, tritt Fräulein Liesl auf, ein süßes Mödchen, um die sich mancherlei dröhen und begeben dürfte, und noch nicht genug, erscheint ihr leiblicher Vater, ein düsterer Kanzelist, ihr Bräutigam, auch Verlobter genannt, und eine Figur von überlegenem Verstand und schwarzem Vollbart, Räsoneur betitelt. Noch nicht genug, beteiligen sich an der heutigen Vorstellung zwei Herren, welche das Mäul zu halten haben und daher vom Dichter als stumm benannt werden. Damit nicht genug, haben wir vorrätig einen Ringkämpfer mit Orden und Riesenkraft, ein totes Mödchen, einen livrierten Bedienten, welcher die Türen aufzustößen hat, und das Neueste, was wir erst kriegt haben, einen Tod als Wurstel oder Wurstel als Tod, wodurch das Schauerliche dieses Dramas getilgt werden möchte und dürfte. Ferner zu bemerken: alle diese Herrschaften reden in Versen, welche gereimt sind, wodurch das Banner der Poesie hochgehalten und keineswegs verleugnet wird. – – Herreinspaziert, meine Herren und Damen! Sofort beginnt eine neue Vorstellung, welche sofort beginnt.
Weidling am Bach! ... Zu seinen Freunden. Könnts ihr euch erinnern? Da sind wir ja einmal draußen gewesen und haben Backhendl'n 'gessen.
Was hat denn der für eine Maske? ... Den müßt' ich kennen! ... Das ist aber eine arge Geschmacklosigkeit!
Ich hab' Ihnen g'sagt, Sie sollen die Figur hinausschmeißen. Noch heut vormittags hab' ich's Ihnen g'sagt.
Merken Sie nicht, wie die Leut' unruhig werden? ... Jetzt stellen Sie sich nur vor, wenn die noch hungrig wären!
Wie können Sie das sagen! Der Ringkämpfer ist uns doch im letzten Moment eingefallen; der gehört doch gar nicht dazu.
Wer hat keine Ahnung? ... Recht haben sie ... Man muß sich nicht alles bieten lassen! Wenn ich nicht so gebildet wäre, möcht' ich auch pfeifen!
Jetzt stellen Sie sich vor, man hätt' den Leuten nichts zu essen gegeben ... da hätt' man Sie schon längst erschlagen.
Ich hab's Ihnen g'sagt: Wenn der Schluß ernst wird, hilft's Ihnen nicht mehr, daß der Anfang ein Blödsinn war.
Ihre Puppen haben keine Disziplin, schaffen Sie Ordnung! Oder ich zünd' Ihnen Ihre Bude persönlich an!
Meine Herren! Alsdann, wenn sich das Wesen der Aufklärung im Hintergrund des Säkulums abspiegelt und die Kunst ihre Früchte trägt, bitte ich ergebenst ins Auge zu fassen, daß die Bühne das Abbild des Erdentreibens, auch Spiegel der Welt genannt, das Traurige nicht minder als das Lustige in ihr Bereich zu ziehen vorgibt, wohin auch unser Dichter, poeta vates, hinauszusegeln die Belustigung hat.
[891]Bitte sehr, ich weiß, was sich gehört. Sie kommen aus einem fünfaktigen Trauerspiel – ich nur aus einer dreiaktigen Komödie – also nach Ihnen.
Sie sollen doch wenigstens dafür sorgen, daß sich keine Figuren aus anderen Stücken in Ihr Wirtshaus setzen, während meines aufgeführt wird.
Ich lasse mich nicht um den Schluß betrügen! ... Zum Parkett. Es ist ja evident, dem Dichter ist kein Schluß eingefallen – der Skandal ist arrangiert!