Fantasie

Alte Töne tönen wieder,
Rasch entflieht das wilde Leben;
Jetzt der Sehnsucht hingegeben,
Wenn der Knabe einsam weint;
Dann zu hoher Lust vereint,
Wenn der Freuden Ziel gefunden;
Bald von leichtem Scherz umwunden,
In des Übermutes Fülle;
Zwischendrein die alte Stille,
Frisch lebendig was vergangen,
Alter Liebe angehangen,
Wie vergangen schon das Neue;
Schmerzen, die ich nimmer scheue,
Weil sie tiefre Lust erzeugen,
Kalte Fesseln, die mich beugen,
An der Jugendblüte nagen;
Laßt, o laßt mich alles sagen.
Weh, ach weh! ihr öden Mauern,
Wo die Blume ward gefunden,
Die mit Freuden mich umwunden;
Daß sie alle gleich verschwunden,
Muß ich trauern.
Frühen Leiden hingegeben,
Mußte Schönheit so verderben,
Süße Anmut welkend sterben;
Blühend noch muß Tod erwerben
All mein Leben.
Kam die Liebe zum Knaben gegangen.
Da die lang Ersehnte nun ihm nahte,
[158]
Weiß er kaum sein neues Glück zu wagen.
Freude, klare Freude gibt ihm alles;
In der Freude aber neu Verlangen,
Das die Freude oft zu Leide machte.
O dies Verlangen
Zu kühlen, an den Lippen festzuhangen,
Bis daß in süßer Lust der Sinn vergangen!
Und faßt dich einmal dieses tiefe Sehnen,
So darfst du nimmer wähnen, es zu füllen,
Und wollte dich umhüllen ganz die Liebe
Zu ihren schönen Freuden.
Laß uns fröhlich tändeln,
Laß uns Scherz ersinnen,
Mit blitzenden Augen,
Mit lieblichen Lippen.
O wie süß ist die Freude,
Mit der Liebe zu spielen,
Und eins mit dem andern
Zu tändeln wie Kinder!
Nur dich Hohe schmückt die Krone.
Lichtglanz muß dich golden zieren,
Rosenstrahlend triumphieren,
Herrin, auf des Herzens Throne!
Alles gab ich dir zum Lohne,
Alles für die heil'ge Freude,
Bis wir freudeflammend beide,
Beide sagten: Nun verschone!
Wenn ich unverstanden bliebe
Ohne Gegenstand mein Streben,
Keine Liebe mir gegeben,
Würd' ich dennoch innig lieben,
Um so inniger nur leben.
Was mein Sehnen lieblich wähnte,
Was ich liebesehnend meine
Ist so heiter, lind und reine,
Daß kein Sinn sich weiter sehnte,
Der gesehn dies einzig Eine.
Wenn ich fern von Freuden bliebe,
Ohne Gegenstand mein Streben,
Keine Liebe mir gegeben,
Würd' ich dennoch innig lieben
Und in heitern Freuden schweben.
[159]
Kühne Wogen, wildes Leben,
Laß den Strom nur immer brausen,
Frischen Sturm im Herzen sausen;
Wie der Adler durch die Lüfte,
Über Meere, über Klüfte,
Laß mich schweben, laß mich fliegen!
Alles kann der Mut besiegen,
Mut entsprungen hohem Glauben;
Keiner kann die Liebe rauben,
Wie auch wechseln die Gefühle
In dem irdischen Gewühle.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Erste Frühlingsgedichte. Fantasie. Fantasie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D8A6-3