9. Weihnachtslied

Am Weihnachtsabend in der Still'
Ein tiefer Schlaf mich überfiel
Mit Freuden ganz umflossen;
Mein' Seel' empfing viel Süßigkeit,
Vor Trost ich schier zerflossen.
Ich träumte wie ein Engel käm'
Und führte mich gen Bethlehem,
Ins jüd'sche Land gar ferne:
Ein Wunderding sich hier begab,
Hör' zu, dies von mir lerne.
In einen Stall ging ich hinein,
Darin ein Ochs und Eselein
Ihr Heu beim Kripplein aßen:
Ein frommer Mann, ein' Jungfrau zart
Bei ihnen kläglich saßen.
Die Jungfrau hat auf ihrem Schoß
Ein Kindelein ganz nackt und bloß,
Doch schien es als die Sonne:
Sein' Äuglein strömten Glanz umher
Gleichwie ein lichter Bronne.
Dies Kindlein ward der große Gott,
Der uns Bedrängten hilft aus Not,
Der alle Dinge machte;
Die Welt erkennt den Schöpfer nicht,
So gar sie ihn verachte.
In arme schlechte Windelein
Ihr Kind die Jungfrau wickelt ein,
Legt's in die Kripp' mit Neigen;
[453]
Dies ist der Thron, wo Gottes Sohn
Sein' Liebe wollt' bezeigen.
Hört weiter an, was ich euch sag':
Die Nacht ward licht, als wär' es Tag,
Viel Engel hört man singen;
Mit Harfen und mit Lautenklang
In hoher Luft erklingen.
Ein Engel sprach zur Hirtenschar:
Entsetzt euch nicht, nur Freud' fürwahr
Hört ihr aus meinem Munde;
Eu'r Heiland jetzt geboren ist,
Frisch auf zu dieser Stunde!
Alsbald die Hirten dies gehört,
Beschlossen sie auch ungestört
Gen Bethlehem zu reisen;
Das Kindlein dorten anzuschaun,
Ihm Liebe zu beweisen.
Sie zogen hin mit schneller Eil',
Der Weg war eine halbe Meil',
Bis sie zum Kripplein kamen;
Sieh da Maria fanden sie,
Joseph, das Kind zusammen.
Als sie daselbst gegangen ein,
Joseph hieß sie willkommen sein,
Dem sie erzeigten Ehre;
Da zeigten sie die Wunder an,
Dies freut die Mutter sehre.
Sie fielen nieder hin zur Erd',
Anbeteten den Heiland wert,
Für Freud' sie mußten weinen;
Dann opfern sie ihm Gaben auf,
Ein Lämmlein von den Kleinen.
Alsbald kehrten sie wieder um,
Es ward das Evangelium
Durch sie bekannt im Lande;
Es ihnen niemand glauben wollt',
Weß' Orts er war und Stande.
Dies ist's, was ich im Traum gesehn,
Doch ist's kein Traum, es ist geschehn,
[454]
Was ich als Traum erzählet;
Wahr und wahrhaftig dieses ist,
Nichts ist daran gefehlet.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. 9. Weihnachtslied. 9. Weihnachtslied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D830-9