An seinen Freund

Im Herbst 1806


O Bruder meines Herzens,
Ich fühle dieses Schmerzens
Seelezerreißend Band;
Die angstvoll bittern Wehen,
Wie deine Augen sehen
Bluten das Vaterland;
Und unsers Frühlings Bette
Ruchlosen Raubes Stätte.
[383]
Wie still es hier auch scheinet,
Mein Herz doch innen weinet,
Schwebt nur um jenen Ort;
Und wie sich Lüfte rühren,
Kann ich ein Grausen spüren,
Ich ahnde all den Mord;
Je fern und fremd entrückter,
So schmerzenvoll gedrückter.
Und doch bleibt Trost noch offen,
Ein nächtlich leuchtend Hoffen
Stählt innen mir die Brust.
Zwar Freiheit nicht von Ketten,
Kein unerwartet Retten,
Und keine ird'sche Lust;
Wer aber Gott sei eigen,
Wird jetzt sich glorreich zeigen.
Die Tage kehren wieder,
Vom Vater zu uns nieder,
Des heil'gen Martertums;
So laß den Mut nicht sinken,
Folge den Gottes Winken,
Ledig des ird'schen Ruhms;
Quillt Himmels Lieb' im Herzen,
Zerrinnen all die Schmerzen.
Gedenke, wie vor Zeiten
Sich zarte Jungfraun weihten
Zu bitterm Tod und Qual.
Zerrissen und verachtet,
Ward nie ihr Blick umnachtet,
Nie schwankend ihre Wahl;
Im Blute noch gebadet
Lächeln sie lichtbegnadet.
Soll dann in Mannes Mute,
Zu dulden für das Gute,
Nicht keimen gleiche Kraft?
Schöner aus tiefen Wunden
Wird uns der Kranz gewunden,
Als schnellem Tod entrafft.
So laß uns duldend schweigen,
Geheim der Zukunft eigen.
[384]
Die drei so einst verbündet,
Der Freiheit Reich gegründet,
Strahlen in Ruhmes Glanz.
Arm waren sie die dreie,
Nur irdisch ihre Treue,
Doch ewig grünt ihr Kranz;
So laß uns zwei es gründen,
Den Gottesmut entzünden.
Das Siegel unsers Bundes
Im Schrein des Herzensgrundes,
Sei inniges Gebet;
Und die verborgne Handlung
Wo Gott in der Verwandlung
Sichtbar vor uns entsteht;
Sog je den Wein des Lebens
Ein Kranker wohl vergebens?
Es kettet unsre Einung
Der Glaub' an die Erscheinung
Der Gotteswiederkunft.
Die Heil'gen vor'ger Zeiten
Und die noch künftig streiten,
Sind Bürger einer Zunft;
Wo zwei in Gott beisammen,
Leuchten der Allmacht Flammen.
Als Bruder aufgenommen
Sei jeder uns willkommen,
Der einzig Gott nur liebt.
So wird der Bund sich mehren,
Lichtmauer uns umwehren,
Woran der Feind zerstiebt.
Aus Keimen, zart verschlossen,
Wird bald ein Weltall sprossen.
Allmächtig ist die Treue,
Und jedes göttlich Neue
Tritt langsam in die Zeit;
So duldend mußt' entfalten
Und himmlisch sich gestalten
Die erste Christenheit;
Aus einem Meer von Tränen
Stieg auf das Licht des Schönen.
[385]
Vielleicht, daß einst dies Dulden,
Durch unsers Gottes Hulden,
Sich wendet noch in Tod;
Daß wir noch glorreich sterben,
Folgend die Palm' erwerben
Dem himmlischen Gebot;
Wie jene freud'gen Scharen,
Die Gottes Helden waren.
Nicht da, wo wild vergossen,
In Strömen Blut geflossen,
Blüht nur der Heldensinn.
Die irdische Zerstörung,
Der grimmen Lust Betörung,
Wie brächte sie Gewinn?
Nur wer sich Gott ergeben,
Lebt recht ein Heldenleben.
Der Hölle selbst entstiegen
Ist jedes blut'ge Siegen,
So nicht für Gott geschieht;
Zum Kampf soll sich bereiten
Der Christ, für Gott zu streiten,
Bis der ihn zu sich zieht.
Des Mutes woll'n wir stehen,
Sollt' alles auch vergehen.

Notes
Erstdruck in: Friedrich Schlegels Gedichte, Berlin (Julius Eduard Hitzig) 1809.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. An seinen Freund. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D6FF-D