Gedichte zur Lucinde

Julius

O Lust, im Geist des Freundes sich vertiefen,
Gleich ihm zu werden, ihn wie sich zu sehen,
Was er je sein kann, wissen wie geschehen,
Die Welten klar geschaut, die in ihm schliefen!
So viel Geheimes wir ans Licht auch riefen,
Und achten nichts den Schmerz der geist'gen Wehen,
Sein Erstes kann wohl nie der Geist verstehen,
Schaut da verstummt in unerforschte Tiefen.
So schlägt die zarte Liebe selbst sich Wunden,
Der Freund auch scheint von fern uns nur zu nahen,
Das Schönste dennoch arm dem vollen Triebe:
Doch gleicht dem ersten Blick, den wir uns sahen,
Der andre, als der höchste Freund gefunden,
Das Licht des Einz'gen neu verklärt die Liebe.

[508] Julius

Wenn ich leise weiß und fühle,
Was ich fühlend doch nicht sage,
O so traue dem Gefühle
Daß ich weiß um deine Klage.
Wäre nicht der Scherz verwegen,
Würde leicht der Ernst verlegen.
Daß der gleiche Scherz dich heilte,
Der in Schmerzen uns zerteilte,
Soll zur Ruhe dich bewegen.
Wenn ich mit Gefühlen spiele,
Fühl' ich inn'ger als ich sage;
Darum traue dem Gefühle
Und ich lindre deine Klage.

Blanca

Willst du schweigen,
Fromm dich neigen,
Artig zeigen,
O so komm zum muntern Reigen.
Ist der Knabe dann ihr eigen,
Tanzt die Blanca mit dem Knaben,
Alles Süße soll er haben,
Will er dankbar sich bezeigen.

Sebastian

Die Nebel zerreißen, in Lüften und Fluren
Verkündet ein Chaos von Tönen die Wonne,
Und Blumen begrüßen die Augen der Sonne,
Wenn kindlich sich putzen die frohen Naturen.
Es zeigen sich fern schon flammende Spuren,
Daß stille Gewitter die Erde umschlossen.
Wenn Tränen der Wollust die Wolken vergossen,
Dann glänzen noch reiner die lichten Azuren:
So füllt uns das Schauspiel auf ewig die Sinne
Im freudigen Wechsel der blühenden Erde
Und locket uns freundlich mit schöner Gebärde,
Das Herz zu ergeben der ewigen Minne.
Nun weiß, wo er Mut zur Freude gewinne,
Der heilige Mensch in den heiligen Tänzen,
[509]
Wo Leben und Liebe sich selig umkränzen,
Daß selig das Herz ihm in Rhytmus zerrinne.

Johannes

Aus manchem Quell kommt wüst der Strom geschossen;
Doch muß, wo zum Gebilde sich entfaltet
Der Kern, Ein Blütenkelch der höchste sprossen.
Wird nicht der Leib von Einem Haupt verwaltet?
Nur Einer Sonne folgen all die Erden,
Und starren wird das Herz, was ihr zerspaltet.
Wie nur inmitten seiner Tiefe werden
Der Mensch zum Menschen kann und nur aus seinem
Selbsteignen Selbst mit Willkür sich gebärden,
Wie Liebe strebt nach einem ewig Einem
Dem treu das Herz, wo treu der Treue Stempel
Sich ewig weiht dem Einz'gen oder keinem;
Wie Einem Geist der Geist im innern Tempel
Nur ihm sich selbst entzündet vom Altare,
Vor dessen Schau das Schönste nur Exempel:
So ist der Eine Freund euch nur der wahre,
Der wie den Tönen Harmonie Cäcilie
Musik der Seel' erfindend offenbare.
Wie inn'ger noch der Bund als die Familie,
Wenn alle Geister leben in den Zweien,
Wo unverwelklich strahlt der Freundschaft Lilie,
Der Welten sich zu Hieroglyphen leihen.

Der Weinberg. Lorenzo

»Gutes Mädchen, gutes Mädchen,
Laß mich brechen von den Trauben!
Prangen sollte wohl der Weinberg,
Wenn du mir ihn anvertrautest.
Fleißig bin ich, auch erfahren,
Viele Stäbe sollst du schauen,
Grade Stäbe, stark und niedlich;
So gewinnt die Rebe Raum,
Daß sie üppig wachsend blühe,
[510]
Stolz sich hebt von niederm Kraute,
Bis der Früchte Last sie beuget.
Weh mir, wenn die Fremde rauben!
Sorgsam will ich Senker pflanzen,
Tief den schönen Boden bauen.« –
Gütig sprach das edle Mädchen:
»Solchen Worten muß man glauben.
Hügel, Täler, Büsche, Wiesen
Geb' ich gleich und sah dich kaum.
Komm herein zur dunklen Laube
Glänzend winkt die volle Traube.« –
Sittsam drauf der holde Knabe:
»Ist es Wahrheit oder Traum nur?
Kirschen, Äpfel, auch Melonen
Find' ich hier auf grüner Auen,
Gib mir Kirschen, rote Kirschen!
Ach, wie durstet mir der Gaumen.«
»Stille Knabe, nimm und iß sie,
Magst sie selber zählen traun!
Äpfel kann ich zwei nur geben,
Aber glatt, du magst es glauben.«
Prüfend drauf der holde Knabe:
»Wunder, Wunder, welche Trauben!«
Kleine Erdbeern, süß Gewürze,
Und der Pfirsche zarten Pflaum,
Auch die schwellende Melone,
Alles wußf der Knab' zu brauchen,
Bleibt mit ihr in dunkler Laube,
Wo ihm glänzt die volle Traube.
Prangen mußte wohl der Weinberg,
Da sie den ihm anvertraute;
Fleißig war er und erfahren,
Schönen Boden treu zu bauen;
Hügel, Täler, Büsche, Wiesen
Blüten lachend seinem Auge;
Fester schlangen sich die Reben,
Stäbe hingen voll von Trauben.
War er müde von der Arbeit,
Labt' ihn der Melone Hauchen;
Volle Blumen, zarte Früchte
Gab das Mädchen ihm und Trauben.
Kommt herein zur dunklen Laube,
Glänzend winkt die volle Traube.

[511] Lorenzo

Mit schönen Kindern will wohl jeder scherzen.
Doch wollt ihr ihr euren Scherz zu ernsthaft geben,
So wird die leichte Schönheit leicht entschweben,
Und ihr der guten Kinder Gunst verscherzen
Wünscht ihr der höchsten Freude süße Schmerzen,
So müßt ihr nie gesättigt strebend leben,
Die Gabe hingegeben neu erheben,
Und kindlich tändeln mit den zarten Herzen.
Das Scherzen mit dem Scherz ist was sie suchen.
Man darf es ihnen wahrlich nicht verdenken;
Es hat der Ernst zu weit Besitz genommen.
Zwar soll der Mensch nur was er kann versuchen,
Doch sollten alle billig wir bedenken:
Aus einem Scherz ist aller Scherz gekommen.

Antwort

So ist der Rednerlippe Spott entflossen,
Daß wir unendlich am Geliebten hangen,
Den höchsten Rausch schon fühlen im Verlangen,
Der Lust nicht schnell entfliehn, wenn sie genossen?
Kennt ihr den hohen Ernst im Scherz verschlossen?
Versteht ihr das Erröten junger Wangen?
Oft muß die Frau an dessen Brust ja bangen,
Für den sie gern die Seele hingegossen.
Zerflossen ist der Geist im süßen Feuer,
Doch gleicht die reine Lust der weißen Lilie,
Scheut nicht den Blick der göttlichen Aurora;
Die Erde wird zum Garten der Familie,
In Liebe alles Leben schön und teuer,
Die kühnsten Freuden dann des Himmels Flora.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte zur Lucinde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D669-C