Weihe des Alten

An einen jungen Dichter


Nimm den Becher zur Hand, den freudigen,
Freund vom Freunde nur dreist!
Dunkelgolden rollet der Wein
In des hellen Kristalles Blitzen;
Es schwebet zum Haupt auf
Duftiger Blume kühlendes Feuer.
Trinke hinunter die Glut,
So schwillet der Jugend Herz
Selig von Kraft und liebender Freude.
Ergreife kühnlich den Zauberbecher!
Du bist göttlicher Art,
Jugendlich heldengesinnt.
Sei du trunken nur stets,
Und spotte der Furcht,
Grün umlaubt von Frühling das Haar,
Ewiglich treu der goldenen Dichtkunst,
Wie es uns Deutschen geziemt.
Wer gekostet des heiligen Weins,
Dem entweichen die Schleier.
Wo der Freudige naht,
[307]
Hauchet Sommerwonne die Luft,
Lüstern öffnet die Rose den Kelch;
Der höchsten Gebilde
Heilige Schönheit schauet das Auge,
Rein der Hülle entstiegen.
Nackte Reize umspielt
Wollustschlagend das Meer
Allseliger Liebe.
Gerne sinkt er hinab,
Mit verschlungen im Meer;
Alles Leben ist sein,
Alle Wesen nur eins,
In heißer Freude verschlungen,
Von tiefer Sehnsucht durchdrungen,
Alles nur Lust und Begierde,
Schwellend von üppiger Schönheit
Innig umfangender Liebe;
In des heiligen Frühlinges Garten
Die Fülle der Rosen,
Jeder Rose entquollen
In neu erzeugten Gebilden
Das schöne Wunder des Leibes,
Liebliches Lebensgeheimnis.
Ahndest du, was dich durchdrang?
Du bist männlich und stark,
Erd' umfassend dein Herz.
Fühle nun auch den Tod
Kalten Zornes im Stein,
Schaue des Abgrunds ewige Greuel,
In der Tiefe untern Kammern
Die ungeheuersten Schrecken,
Grimmgefesselter Tiere
Alte Riesengebilde,
Ewig da wütend im Schmerz.
Steige mein Freund, in den Schacht
Kühn des Todes hinab!
Dunkel rieselt da unten
Heimlich der Liebesquell.
Da ist Sehnsucht und kindliche Trauer
Aus dem Herzen der Mutter,
Strebet ängstlich zu sterben,
[308]
Möchte in Liebe vergehn.
Selten nur dringet ein Strahl
Aus dem verborgenen Quell
Auf in das irdische Herz,
Das dann die Vergangenheit fühlt,
Wehmutzerrissen von wilder Betrübnis.
Schrecken bleibe dir fern!
Immer der Freude geweiht
Laß dich königlich kränzen,
Du bist König, mein Sohn.
Leben im Leben erzeugen,
Selber töten den Tod,
Solches vollbringet die Kunst!
Ich selber kann es nicht mehr.
Zwar es schlägt flammend noch immer das Herz;
Aber von außen
Härtet sich eisern die Brust.
Schnee umkränzt das Haupt, das gewaltige,
Es senket sich leise;
Des Himmels herrlicher Mantel,
Sternendurchwirktes Blau,
Lastet nieder den Alten.
Schlage denn du mein Lied,
Licht und Leben vermischt,
Nur ein feuriges Meer,
Erdumrauschende Woge!
Laß den Zauber erklingen,
Daß gebärend die Luft sich gestalte,
Kindlich umkränzend spielen
In Wunderformen die Sterne,
Alles Gewächse in Blüte entzündet,
Selbst der Felsen, der harte,
In trüber Erinnerung
Bebend innerlich weint,
Wütend das Tier sich zerstört,
Alles Nichtige sterbe,
Aus der Vergangenheit Schoß
Dunkle Sonnen erwachen.
Mutig vollführ' es als Held!
Mich entreißet der Sturmwind,
Ruhe nun balde ewiglich heiter
[309]
Auf dem strahlenden Thron,
Allen Heldengeistern vereint. –
Sei mir gegrüßt, mein Sohn!
Wenn ich den Leib dir nicht zeugte,
Hab' ich den Mut doch entflammt,
Dir hohe Sterne gezeigt,
Und allen Segen gespendet,
Drücke dich herzlich ans Herz,
Du mein Freund und mein Sohn!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Kunstgedichte. Weihe des Alten. Weihe des Alten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D61B-D