[177] [179]Erster Teil

[Tiefer sinket schon die Sonne]

Tiefer sinket schon die Sonne,
Und es atmet alles Ruhe,
Tages Arbeit ist vollendet,
Und die Kinder scherzen munter.
Grüner glänzt die grüne Erde,
Eh' die Sonne ganz versunken;
Milden Balsam hauchen leise
In die Lüfte nun die Blumen,
Der die Seeele zart berühret,
Wenn die Sinne selig trunken.
Kleine Vögel, ferne Menschen,
Berge himmelan geschwungen,
Und der große Silberstrom,
Der im Tale schlank gewunden;
Alles scheint dem Dichter redend,
Denn er hat den Sinn gefunden;
Und das All ein einzig Chor,
Manches Lied aus Einem Munde.

[179] Die Berge

Sieht uns der Blick gehoben,
So glaubt das Herz die Schwere zu besiegen,
Zu den Himmlischen oben
Will es dringen und fliegen.
Der Mensch, emporgeschwungen,
Glaubt schon, er sei durch die Wolken gedrungen.
Bald muß er staunend merken,
Wie ewig fest wir auf uns selbst begründet.
Es strebt in sichern Werken
Sein ganzes Tun, verbündet,
Vom Grunde nie zu wanken,
Er baut wie Felsen den Bau der Gedanken.
Und dann in neuen Freuden
Sieht er die kühnen Klippen spottend hangen;
Vergessend aller Leiden,
Fühlt er einzig Verlangen,
An dem Abgrund zu scherzen,
Denn hoher Mut schwillt ihm in hohem Herzen.

Die Vögel

Wie lieblich und fröhlich,
Zu schweben, zu singen;
Von glänzender Höhe
Zur Erde zu blicken!
Die Menschen sind töricht,
Sie können nicht fliegen;
Sie jammern in Nöten,
Wir flattern gen Himmel.
Der Jäger will töten,
Dem Früchte wir pickten;
Wir müssen ihn höhnen,
Und Beute gewinnen.

Der Knabe

Wenn ich nur ein Vöglein wäre,
Ach wie wollt ich lustig fliegen,
Alle Vögel weit besiegen.
[180]
Wenn ich so ein Vogel bin,
Darf ich alles, alles haschen,
Und die höchsten Kirschen naschen;
Fliege dann zur Mutter hin.
Ist sie bös' in ihrem Sinn,
Kann ich lieb mich an sie schmiegen,
Ihren Ernst gar bald besiegen.
Bunte Federn, leichte Flügel,
Dürft' ich in der Sonne schwingen,
Daß die Lüfte laut erklingen,
Weiß nichts mehr von Band und Zügel.
Wär ich über jene Hügel,
Ach dann wollt' ich lustig fliegen,
Alle Vögel weit besiegen.

Der Fluß

Wie rein Gesang sich windet
Durch wunderbarer Saitenspiele Rauschen,
Er selbst sich wieder findet,
Wie auch die Weisen tauschen,
Daß neu entzückt die Hörer ewig lauschen;
So fließet mir gediegen
Die Silbermasse, schlangengleich gewunden,
Durch Büsche, die sich wiegen,
Von Zauber süß gebunden,
Weil sie im Spiegel neu sich selbst gefunden;
Wo Hügel sich so gerne
Und helle Wolken leise schwankend zeigen,
Wenn fern schon matte Sterne
Aus blauer Tiefe steigen,
Der Sonne trunkne Augen abwärts neigen.
So schimmern alle Wesen
Den Umriß nach im kindlichen Gemüte,
Das zur Schönheit erlesen,
Durch milder Götter Güte,
In dem Krystall bewahrt die flücht'ge Blüte.

Der Hirt

Wenn ich still die Augen lenke
Auf die abendliche Stille,
[181]
Und nur denke, daß ich denke,
Will nicht ruhen mir der Wille,
Bis ich sie in Ruhe senke.
Weil noch mild der Mittag glühte,
Wollt' ich an der Quelle liegen,
Mich in süße Bilder wiegen;
Da kam Anmut ins Gemüte,
Alle Wehmut zu besiegen.
Wenn ich an das Bild gedenke,
Auf die abendliche Stille
Nun die stillen Augen lenke,
Will nicht ruhen mir der Wille,
Bis ich sie in Ruhe senke.

Die Rose

Es lockte schöne Wärme,
Mich an das Licht zu wagen;
Da brannten wilde Gluten,
Das muß ich ewig klagen.
Ich konnte lange blühen
In milden heitern Tagen;
Nun muß ich frühe welken,
Dem Leben schon entsagen.
Es kam die Morgenröte,
Da ließ ich alles Zagen,
Und öffnete die Knospe,
Wo alle Reize lagen.
Ich konnte freundlich duften
Und meine Krone tragen;
Da ward zu heiß die Sonne,
Die muß ich drum verklagen.
»Was soll der milde Abend?«
Muß ich nun traurig fragen.
Er kann mich nicht mehr retten,
Die Schmerzen nicht verjagen.
Die Röte ist verblichen,
Bald wird mich Kälte nagen.
Mein kurzes junges Leben
Wollt' ich noch sterbend sagen.

[182] Der Schmetterling

Wie soll ich nicht tanzen?
Es macht keine Mühe;
Und reizende Farben
Schimmern hier im Grünen.
Immer schöner glänzen
Meine bunten Flügel,
Immer süßer hauchen
Alle kleinen Blüten.
Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.
Wie groß ist die Freude,
Sei's spät oder frühe,
Leichtsinnig zu schweben
Über Tal und Hügel.
Wenn der Abend säuselt
Seht ihr Wolken glühen;
Wenn die Lüfte golden,
Scheint die Wiese grüner.
Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.

Die Sonne

Mit lieblichem Bedauern
Sehnt sich der Mutter Auge, und muß trauern.
Noch einmal sie umfangend,
Vergehn die Kleinen, an den Blicken hangend;
Sie soll und muß sich trennen,
Nur eine Mutter kann solch Leid erkennen.
So ström' ich volle Farben,
Daß meine Lieben in der Nacht nicht darben;
Und fort vom ird'schen Bande
Will alles hin zu mir in sanftem Brande.
Ach dürft' ich mich erniedern,
Ihr kindlich Feuer dankbar zu erwidern!
Noch strömen bunte Fluten,
Und heller lodern nur die Lebensgluten;
Die Erde scheint zu rauschen,
Als strebte sie den Wohnsitz zu vertauschen. –
Nun muß ich dennoch scheiden,
Und euer Tändeln bis auf Morgen meiden!
[183]
So sauge, Mensch, denn trunken
Der großen Mutter letzte Liebesfunken!
Noch einmal will ich strahlen,
Und dann versinken in der Trennung Qualen.

Die Lüfte

Wie säuseln ach so linde!
Wir in den Blüten,
Und lindern heiße Liebe
In kühlen Düften.
Wenn Blumen süß erröten,
Beschämt sich neigen,
Berührten wir die schönen
In leichter Eile.
Wenn wir dann Scherze säuseln
Dem, der sich grämet,
So wird die leise Freude
Ihn bald beschämen.

Der Dichter

Was wünschen und was streben alle Sinnen? –
Sie möchten wieder in das All verschweben.
Was ist das höchste Ziel von allem Streben?
Es will der Mensch, wenn er verklärt, von hinnen.
Drum wollt ihr, sel'gen Götter! Dank gewinnen
Von dem, der hohem Dienste sich ergeben,
In heiliger Natur nur lebt sein Leben,
So laßt ihn schnell in leichten Duft zerrinnen.
Es schwebt die Seele gern auf süßen Tönen,
Und lauschet sinnend, was es wohl verkünde,
Ob auch die Gottheit schon den Wunsch gewähre.
Sie wünscht sich im Gesang so zu verschönen,
Daß ihren Leib das Flammenspiel entzünde,
Sie selbst in leisen Hauch sich bald verkläre.

[184] Zweiter Teil

[Als die Sonne nun versunken]

Als die Sonne nun versunken,
Blühet noch der Abend rot.
Lange schienen weit die Flammen,
Gegenüber stand der Mond;
Wie zwei Welten gegenüber,
Diese bleich und jene rot,
Mitten inne kleine Sterne,
An des Himmels Gürtel hoch;
Unten dann die große Erde,
Wo im tiefen Dunkel schon
Blumen duften, Bäume rauschen
Bei der Nachtigallen Ton.
Blaß wird jede schöne Glut
Und die Freude sinkt vom Thron;
Fern ist ganz des Tages Mutter,
Lichter scheint der bleiche Sohn.
An dem Schimmer freut der Mensch sich
Und ist auch im Dunkel froh.

[185] Der Wanderer

Wie deutlich des Mondes Licht
Zu mir spricht,
Mich beseelend zu der Reise:
»Folge treu dem alten Gleise,
Wähle keine Heimat nicht.
Ew'ge Plage
Bringen sonst die schweren Tage;
Fort zu andern
Sollst du wechseln, sollst du wandern,
Leicht entfliehend jeder Klage.«
Sanfte Ebb' und hohe Flut,
Tief im Mut,
Wandr' ich so im Dunkel weiter,
Steige mutig, singe heiter,
Und die Welt erscheint mir gut.
Alles reine
Seh' ich mild im Widerscheine,
Nichts verworren
In des Tages Glut verdorren:
Froh umgeben, doch alleine.

Der Mond

Es streben alle Kräfte,
So matt sie sind, zur Erde doch zu wirken.
In den ew'gen Bezirken
Der schönen Welt ist das nur mein Geschäfte;
Das muß ohnmächtig immer ich versuchen,
Und traurig dem beschränkten Lose fluchen.
Seht ihr mich milde glänzen,
Und warme Sommernächte schön erhellen,
Wo leise Freudewellen
Der Erde Kinder kühlen nach den Tänzen;
Sind's Sonnengeister nur, die sanfter spielen.
Mein eignes Wesen könnt ihr so nicht fühlen.
Doch wenn ich seltsam scheine,
Aus dunkeln Wolken ängstlich vorgeschlichen;
Dann ist die Hüll' entwichen,
Es merkt der Mensch mit Schaudern, was ich meine.
So zeigen Geister sich, um euch zu wecken,
Und lassen ahnden die verborgnen Schrecken.

[186] Zwei Nachtigallen

Die Erste

Sieh, es steigt zum dunkeln Throne
Schon die Nacht im blauen Mantel;
Und so ströme volle Wogen
Liebeslust in heißer Klage.
Die Zweite

Was die Worte nimmer sagten,
Was in tiefem Herzen wohnet;
Das ertöne im Gesange,
Das verschöne sich im Chore!
Die Erste

Lange war die Brust verschlossen,
Und mir fremd die süßen Gaben.
Was ich wußte, war nur Hoffen,
Bis der Liebe Ruf mir schallte.
Die Zweite

Wenn der Liebe Ruf uns fasset,
Blüht ein Sternengürtel oben;
Wenn die Kindheit uns verlassen,
Wird es plötzlich lichter Morgen.
Die Erste

Selig war ich ganz geworden,
Kühl gelindert das Verlangen,
Als inmitten solcher Wonne
Neu die alten Schmerzen kamen.
Die Zweite

Nur die Ew'gen dort im Glanze
Sind befreit vom dunkeln Lose,
Daß wo Freuden sich entfalten,
Neue Trauer mitgekommen.
[187] Die Erste

In der Trauer blühen Rosen.
Seit die Brust im Schmerz gebadet,
Der aus hoher Lust geflossen,
Kann ich in Gesängen klagen.
Die Zweite

Süße Weihung treuen Gatten,
Wenn sie gleichen Schmerz gesogen!
Was kein Irdischer erraten,
Finden sie im gleichen Tode.
Beide

Es verschönet sich im Chore
Liebesglut in heißer Klage;
Was die Sonne nimmer sagte,
Klagt die Nacht auf dunklem Throne.

Das Mädchen

Wie so innig, möcht ich sagen,
Sich der Meine mir ergibt,
Um zu lindern meine Klagen,
Daß er nicht so innig liebt.
Will ich's sagen, so entschwebt es;
Wären Töne mir verliehen,
Flöss' es hin in Harmonien,
Denn in jenen Tönen lebt es.
Nur die Nachtigall kann sagen,
Wie er innig sich mir gibt,
Um zu lindern meine Klagen,
Daß er nicht so innig liebt.

Der Wasserfall

Wenn langsam Welle sich an Welle schließet,
Im breiten Bette fließet still das Leben,
Wird jeder Wunsch verschweben in den einen:
Nichts soll des Daseins reinen Fluß dir stören.
Läßt du dein Herz betören durch die Liebe,
[188]
So werden alle Triebe, losgelassen,
Der Kraft in vollen Massen sich entladen,
Daß unten tief sich baden die Gefühle,
Im buntesten Gewühle wilder rauschen,
Bis ferne Männer lauschen, und voll Bangen
Das nah zu sehn verlangen, was mit Grausen
Die Seel' erfüllt im Sausen solcher Wogen,
Die manchen schon betrogen, und nicht ruhten,
Bis tiefer in die Fluten ew'ger Leiden
Verschlungen sie die beiden, die vereinet
Im Silberschaum den süßen Tod beweinet.

Die Blumen

Die schönen Farben dürfen nicht mehr glänzen,
Man darf den süßen Putz nicht mehr entfalten.
Wie ziemt' es auch zu solchen hohen Tänzen,
Wo Sterne heilig walten,
Die das Azur umkränzen,
Und nimmer wohl veralten?
Wenn sich des Himmels Blumen herrlich zeigen,
So muß der Erde Kinderglanz ja schweigen.
Das Eine kann uns auch die Nacht nicht rauben,
Daß wir in Düften unser Sein verkünden;
Muß jungen Blüten noch die Lust erlauben,
Wo sie in dunklen Gründen
Und schön geflochtnen Lauben
So innig sich verbünden,
Die Luft mit süßerm Wohlgeruch zu füllen,
Je dichter sie sich selbst in Schatten hüllen.
Vergeblich strebt der Mensch mit schlauem Sinne,
Von welcher Blume wohl der Duft, zu fühlen,
Daß jeder Blume Geist sein Geist gewinne!
Wo holde Lüfte spielen,
Daß jeder Hauch zerrinne,
Umflossen von Gefühlen
Vergißt er bald, von welcher Lust er trinket,
Wenn er berauscht in Balsamfluten sinket.

[189] Der Sänger

Nimmer wird das Leid geendet,
Dem die Lieder nur gefallen,
Die von ferne leise hallen,
Wo es gern sie hingesendet,
Daß sie wieder zu ihm wallen.
Will mich Gegenwart umfangen,
Schöne Liebe gleich erhören,
Liebe Schönheit sich betören,
Muß ich Fernes doch verlangen,
Und nur auf das Echo hören.
So wird nie mein Sinn gewendet,
Wenn er hört die Lieder schallen,
Die von ferne leise hallen,
Wo er gern sie hingesendet,
Daß sie wieder zu ihm wallen.

Die Sterne

Du staunest, o Mensch, was heilig wir strahlen?
O folgtest du nur den himmlischen Winken,
Vernähmest du besser, was freundlich wir blinken,
Wie wären verschwunden die irdischen Qualen!
Dann flösse die Liebe aus ewigen Schalen,
Es atmeten alle in reinen Azuren,
Das lichtblaue Meer umschwebte die Fluren,
Es funkelten Stern' auf den heimischen Talen.
Aus göttlicher Quelle sind alle genommen,
Ist jegliches Wesen nicht Eines im Chore?
Nun sind ja geöffnet die himmlischen Tore,
Was soll denn das bange Verzagen noch frommen?
O wäret ihr schon zur Tiefe geklommen,
So sähet das Haupt ihr von Sternen umflogen
Und spielend ums Herz die kindlichen Wogen,
Zu denen die Stürme des Lebens nicht kommen.

Die Gebüsche

Es wehet kühl und leise
Die Luft durch dunkle Auen,
Und nur der Himmel lächelt
[190]
Aus tausend hellen Augen.
Es regt nur Eine Seele
Sich in der Meere Brausen,
Und in den leisen Worten,
Die durch die Blätter rauschen.
So tönt in Welle Welle,
Wo Geister heimlich trauren;
So folgen Worte Worten,
Wo Geister Leben hauchen.
Durch alle Töne tönet
Im bunten Erdentraume
Ein leiser Ton gezogen,
Für den, der heimlich lauschet.

Der Dichter

Der schwarze Mantel will sich dichter falten,
Die freundlichen Gespräche sind verschollen;
Wo allen Wesen tief Gesang entquollen,
Da muß die stumme Einsamkeit nun walten.
Es darf den großen Flug das Herz entfalten,
Und Fantasie nicht mehr der Täuschung zollen;
Was farbig prangt, muß bald ins Dunkel rollen,
Nur unsichtbares Licht kann nie veralten.
Willkommen, heil'ge Nacht, in deinen Schauern!
Es strahlt in dir des Lichtes Licht dem Frommen,
Führt ihn ins große All aus engen Mauern;
Er ist ins Innre der Natur gekommen,
Und kann um ird'schen Glanz nun nicht mehr trauern,
Weil schon die Binde ihm vom Haupt genommen.

Notes
Erstdruck in: Musenalmanach für das Jahr 1802, hg. von A.W. Schlegel und Ludwig Tieck, Tübingen (Cotta) 1802.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Abendröte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D60D-D