[207] Ansichten

Die Fröhliche

Wie frisch vom Regen mit erneuter Blüte
Die grünen Kinder blühen im Gefilde,
So spielt im heitern Licht die innre Güte,
Wenn süßer Rede Tau uns netzet milde,
Im bunten Glanze froh ein leicht Gemüte
Zum Scherze dichtet flüchtige Gebilde,
Wo Leichtsinn oft den leichten Sinn verschönet,
Der Witz sich zierlich selbst zum Schein verhöhnet.

Die Trauernde

Im Dunkel wohnt die hohe Glut verschlossen,
Und tiefer gräbt das Herz sich selbst die Wunde,
Das gern in Tränen wohl sein Blut vergossen,
So lang' es einsam weint, den Freund nicht funde.
Leid wird zur Freude unter Leidgenossen,
Wo man im Schmerz vernimmt der Gottheit Kunde,
Und trifft das Wort die Tiefe unsrer Trauer,
Die Wahrheit uns ergreift mit leisem Schauer.

Die Glückliche

Der Sommer glüht im Purpur der Granaten,
Und auch die kleinsten Blümchen schimmern golden,
Und wenn der Abend weht in grünen Saaten,
Wird alles sanft der gleiche Schein vergolden;
So kann auch Einen Sinn nur fühlend raten,
Die Seele in des Freundes Wort, dem holden.
Ein Sinn, der, wie die Worte schweben, bliebe:
Was ihr klagt oder scherzt, es ist nur Liebe.

Klage der Mutter

Ja in des Herzens Glut werd' ich vergehen.
Seit mir die Welt verschwunden,
Die holden Kindlein mir der Tod entwunden,
Will nirgends Kühlung wehen;
Von wo aus freudig strömten alle Flammen,
Da dringen nun die Schmerzen hin zusammen.
Zurückgetreten sind ins Herz die Fluten,
Und will die Freundin lindern,
Erregt ihr sanfter Hauch nur wild're Gluten,
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Und kann das Leid nicht mindern.
Ach, dürft' es einmal strömen frei ins Freie,
So ruht' ich bald im Schoß der ew'gen Treue.

Das Kind an die Mutter

Ich komme dich zu bitten,
Du liebe Liebe,
O laß dich grün umkränzen
Von deinem Kinde.
Weg mit dem dunklen Schleier,
Dann bist du schöner;
Und schau die süßen Blüten,
Wie glänzt es fröhlich!
Die Sonne scheint ja, Mutter!
Du kannst mir glauben,
Und willst du dich nicht kränzen,
So werd' ich traurig.
Sind deine Augen heiter,
So lacht das Grüne;
Sind deine Augen dunkel,
So stirbt die Blüte.

Die Unzufriedene

Es merket kaum die Leiden
Das leicht erfreute Auge;
Und ob auch Fremde horchen,
Mußt du dich stets im Dunkel einsam glauben.
Sie eilen schnell und weiter
Bewußtlos hin im Raube,
Mit leichtem Mut sich täuschend,
Zum Todesschlummer kaum geweckt vom Traume.
Und kehr' ich zu den Besten,
So muß ich tiefer trauern,
Wenn Edles so verdorben,
Als ob der Mensch nur zum Gemeinsten tauge.
Die Sorge zu zerstreuen,
Muß man wohl Schmerzen kaufen;
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Dem Leichtsinn es ergebend,
Das volle Herz durch leeren Schein berauschend.
O, Leben, leeres Leben!
So lange du auch dauerst,
Muß der im Zweifel kreisen,
Den du umschlossen hältst in engen Mauern.

Die Heitre

Rede heiter, denke milde,
Schwebe still im sanften Gleise,
Blühend nach der Blumen Weise;
Wie sie duften im Gefilde,
Lebe linde, liebe leise.

Die Eitle

Reizte Schönheit keinem eigen,
Wär' das Leben
Reizend schön, ein lieblich Streben.
Gebend raubt den schönen Schein
Dem, der eh' sie gab, sich sehnte,
Die ihm hingegeben wähnte,
Sein zu werden sei ihr Sein.
Keiner darf der Eine sein;
So kann schweben
Reizend schön der Liebe Streben.

Das Mädchen

Wenn mich einsam Lüfte fächeln,
Muß ich lächeln,
Wie ich kindisch tändelnd kose
Mit der Rose.
Wären nicht die neuen Schmerzen,
Möcht ich scherzen;
Könnt' ich, was ich ahnde, sagen,
Würd' ich klagen,
Und euch bange hoffend fragen:
Was verkünden meine Lose?
Tändl' ich gleich mit Scherz und Rose,
Muß ich lächelnd dennoch klagen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Ansichten. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D601-5