[22] Der letzte Wunsch

O ich weiß, beschränkt und nichtig
Ist des Menschen Sein und Thun;
Und wir schweifen in der Irre,
Und wir finden im Gewirre
Keine Stätt', um auszuruhn.
Traum nur bist auch du und Schatten,
Traum vom Schatten, süßes Weib!
Deine Leiden, deine Wonnen,
Waßerblasen gleich zerronnen,
Sind des Schicksals Zeitvertreib.
Aber sprich: sind unsre Herzen
Auch der Zeit, des Zufalls Spott?
Schwillt mein Busen nicht mit Beben
Mir von selbstgeschaffnem Leben?
Bin ich mir nicht selbst ein Gott?
Freilich wär's ein Spiel den Göttern,
Dieß, was allen Gram mir lohnt,
Was mich trotzen heißt den Wettern,
Mit dem Herzen zu zerschmettern,
Wo es stolz und muthig wohnt.
[23]
Doch so lang' es pocht, soll ringen
Nach dem Höchsten jeder Schlag.
Meinen heil'gen Kranz entblättern,
Meine Göttin mir entgöttern,
Welche Macht, die das vermag?
Sind dieß Wirbel rascher Flammen?
Taumel wilder Leidenschaft?
Nein, ich fühl' in diesem Streben
Inniges, geheimes Leben,
Seelenwürd' und Licht und Kraft.
Könnte je die Glut erlöschen,
Die auf deinem Altar flammt,
Göttin, o! so laß mich sterben,
Laß mich süßen Tod erwerben,
Eh' das Schicksal mich verdammt;
Mich verdammt zu ödem Leben,
Das dem Tode langsam weicht,
Freudenleer, in dumpfem Kummer,
Während sich des Grabes Schlummer
Kalt durch Mark und Nerven schleicht.
Laß vom Dasein mich genesen,
Sanftes Weib, an deiner Brust.
Wuth und Wonne wird mein Wesen
Auf im letzten Kuße lösen.
Ha! willkommen, Todeslust!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Der letzte Wunsch. Der letzte Wunsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D31D-0