[201] Die Erhörung

Romanze.


Schöne Fatme! schöne Fatme!
Drunten in des Vaters Garten
Blühen sieben Mandelbäume:
Willst du nicht der Blüthen warten?
In der Mandelbäume jedem
Sitzt ein Paar von Nachtigallen:
Willst du kommen, willst du lauschen,
Wie die süßen Lieder hallen?
In der Mandelbäume Schatten
Sprudelt eine Wasserquelle:
Willst die warme Nacht nicht ruhen
An dem Brunnen kühl und helle?
Schon so viele Monden wandl' ich
Alle Nächte hier, du Spröde,
Und du kommst nicht an dein Fenster,
Giebst mir weder Gruß noch Rede.
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Sieh, ich weiß die Schlich' und Gänge,
Lange lag ich auf der Lauer.
Drüben bei dem Dornenhügel
Ueberklettr' ich leicht die Mauer.
»Böser Sänger! böser Sänger!
Störst mich so in meinem Schlafe.
Leise! leise! daß die Mutter
Nicht erwach' und mich bestrafe.
Böser Sänger! böser Sänger!
Muß ich so hinunter schleichen,
Muß den Thau mit zarten Füßen,
Armes Kind! vom Rasen streichen.
Nur behutsam, guter Abdul,
Nur behutsam spring die Mauer!
Wenn du fällst und dich verwundest,
Ach, du giebst mir Noth und Trauer.«

Notes
Entstanden 1792. Erstdruck in: Göttinger Musenalmanach 1792.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Die Erhörung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D19E-F