Von der dreifachen Geburt unsers Herrn

Der die weite Welt erlösen
Von der Sünde soll, vom Bösen,
Von des ew'gen Todes Pfeil,
Welchen Gott uns zugeschworen –
Dreifach wird der Herr geboren,
Dreifach nahet unser Heil.
Von den heiligsten Gesichten
Laßt in Demuth euch berichten,
In dem Glauben, in der Treu.
Andrer mag euch Andres singen,
Ewig soll mein Lied erklingen
Von der wundervollen Drei.

1. Mitternacht

Es strahlt aus Nebelweiten
Ein ferner heil'ger Schein;
Zu Anfang aller Zeiten
War Gott, und Gott allein.
[222]
Da lag er auf den Tiefen,
Da schwebt er auf der Flut,
Die Geister alle schliefen,
Er war das höchste Gut.
Und wie aus dichter Hülle
Die Morgensonne steigt,
Hat seine Kraft, sein Wille
Den ew'gen Sohn gezeugt.
Das war das erste Werde,
Das war das erste Wort,
Das schuf hernach die Erde
Und schafft noch immer fort.
Geheimniß hocherhaben!
Mysterium groß und still!
Hochwürdigste der Gaben,
Die uns ergötzen will!
Gar vielfach angedeutet
Wird es in Gottes Haus,
Doch, was es ganz bedeutet,
Spricht keine Zunge aus.
Wer wagt es auszusprechen?
Wie faßt es Menschensinn?
Man sehnt sich nach den Bächen
Der ew'gen Liebe hin.

2. Morgenroth

Und als in ihrer Fülle
Die Zeit vollendet war,
Da trat es aus der Stille
Für Alle hold und klar.
Die Jungfrau hat empfangen
Ein Pfand vom heil'gen Geist,
Und ist, von Haus gegangen,
Gen Bethlehem gereist.
[223]
Die Jungfrau war erkoren,
Sie sah nicht nach dem Stern,
Die Jungfrau hat geboren
Den Heiland, unsern Herrn.
Das war die Nacht der Nächte,
Da schien die Liebesmacht,
Die sterblichem Geschlechte
Nun Gottes Bild gebracht.
Der Heiland ist geschritten
Segnend durch alle Welt,
Er hat gelehrt, gelitten,
Und sich sein Reich bestellt.
Der Heiland ist gestorben,
Ein reines Opferlamm,
Hat uns das Heil erworben
Am blut'gen Kreuzesstamm.
Dann stieg er in die Erde,
Dann stieg er wieder auf
Mit himmlischer Geberde,
Zum Vater ging sein Lauf.
Ihn gab die Nacht der Nächte,
Ihn gab das Weihnachtsfest,
Ihn, der nicht vom Geschlechte,
Das er erlöste, läßt.

3. Heller Tag. Sacrament

Drum heißt er ja der Heiland
Und ew'ger Trost und Rath,
Weil er noch stets, wie weiland,
Sich allen Sündern naht.
Mit seinem Geist und Gaben
Ist er noch immer hier,
Man kann ihn immer haben,
Er steht vor jeder Thür.
[224]
Den Gottes Magd geboren,
Den Gottes Magd gesäugt,
Er wird noch heut geboren
Und immerfort erzeugt.
In frommen Menschenherzen
Gewinnt er die Gestalt,
Zu Lust und auch zu Schmerzen
Mit himmlischer Gewalt.
Das ist das Pfand der Gnade,
Die uns der Herr geschenkt,
Die ew'ge Bundeslade,
In die er sich gesenkt.
Das ist das ew'ge Leben,
Das jeder haben kann,
Das liebend sich ergeben
Zur Speise Jedermann.
Das ist die dritte Weihnacht,
Nach der sein Jünger weint,
Das ist die schönste Weihnacht,
Wenn er in uns erscheint!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schenkendorf, Max von. Von der dreifachen Geburt unsers Herrn. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C354-2