Die Puppe und die Dauerwurst
Ein soziales Drama

Personen

Personen.

    • Der Nachtwächter Johann, ein alter Esel.

    • Der Nachtwächter Jakob, auch ein alter Esel.

    • Die Puppe, ein Symbol.

    • Der geheimnisvolle grüne Herr.

[Stücktext]

Rechts eine weisse Wand – links eine weisse Wand – hinten eine weisse Wand!
Und in der Mitte der Bühne steht ein alter Tisch, der mit der Schmalseite nach vorne gerichtet ist, als einziges Möbel da.
Zu beiden Seiten des Tisches stehen die beiden Nachtwächter mit Horn, Hellebarde, Pelz und Pelzmütze – mit burlesker, dicknasiger Gesichtsmaske. Rechts Johann in dunkelblauem Pelz mit weissen Knöpfen, links Jakob in dunkelblauem Pelz mit gelben Knöpfen.
Die Nachtwächter ganz en profil starren die Gliederpuppe an, die auf dem Tische sitzt.
Die Puppe, deren Beine vorn runter baumeln, ist phantastisch mit Goldflitter, alten bunten Lappen, Papierkrone u.s.w. wie eine total verschrobne alte Dame aufgeputzt. Die Gesichtsmaske en profil nach rechts gewandt starrt den Nachtwächter Johann an. Die Rechte der Puppe hält gradaus nach vorn gestreckt eine riesig lange dunkelrote Dauerwurst. Den Körper der Puppe sieht das Publikum en face, sodass die ganze Figur ein bischen ägyptisch und jedenfalls sehr steif und starr wirkt.

[194]
JOHANN
nach langer Pause.
Nun sind's bald fünftausend Jahre, dass wir hier stehen und aufpassen. Fünf tausend Jährchen!
JAKOB.
Es sind wohl schon mehr!
JOHANN.
Schon mehr?
JAKOB.
Schon mehr!
JOHANN.
Aber die Dauerwurst wird doch noch gut sein – nicht wahr, Jakob?
JAKOB.

Die Dauerwurst ist noch gut, die hält sich ja fünf mal hundert sechs und dreissigtausend sieben hundert zwei und vierzig Jahre.

JOHANN.

Ja! Ja! Ja! fünf mal hundert sechs und dreissigtausend sieben hundert zwei und vierzig Jahre! Ja! Ja! Ja! Lange Zeit!


Wieder lange Pause! Dann schleicht aber der geheimnisvolle grüne Herr in grün karriertem Anzuge, mit grüner Kravatte und grünem Zylinder, der plötzlich hinten rechts auftaucht, in den Vordergrund und beschaut dort die Puppe nebst den Nachtwächtern mit seiner Lorgnette.
DER GRÜNE.
Meine Herren, ich sehe da eine Puppe.
JOHANN.
Herr, das ist keine Puppe.
DER GRÜNE.
So? Was denn?
JOHANN.
Eine Dame.
DER GRÜNE.

Gut: Also eine Dame! Doch die Dame hat eine Dauerwurst in der Hand. Diese Dauerwurst wird seltsamer Weise von Ihnen, meine Herren, offenbar nicht gegessen. Gestatten Sie – ich habe Hunger – ich werde


Will die Dauerwurst ergreifen, doch die beiden Nachtwächter halten dem Grünen die Hellebarden entgegen. Der Grüne taumelt erschrocken zurück.
DER GRÜNE
Zylinder putzend.

Meine Herren, mutig sind Sie ja. Indessen – was Sie hier eigentlich wollen, weiss ich nicht. Was machen Sie denn mit Ihrer Wurst?

JAKOB.
Wir stehen und passen auf, dass Niemand die Wurst wegnimmt.
DER GRÜNE.
Na – warum essen Sie denn nicht selber die Wurst auf?
[195]
JOHANN.
Wir müssen doch aufpassen.
DER GRÜNE.
Ach so!
JAKOB.
Was wollen Sie denn hier?
DER GRÜNE.
Die Wurst aufessen.
JOHANN UND JAKOB.
Das geht nicht!
DER GRÜNE
mit dem Finger an der Nase nachdenkend nach einer Weile zu Johann.
Wie heissen Sie?
JOHANN.
Ich bin der Nachtwächter Johann.
DER GRÜNE
auf Jakob weisend.
Und der da mit den vielen gelben Knöpfen?
JOHANN.
Jakob!
DER GRÜNE.
Auch Nachtwächter?

Die beiden Nachtwächter stossen gleichzeitig mit den Hellebarden heftig auf den Fussboden und schweigen.
DER GRÜNE
zu Johann.
Wissen Sie auch, Johann, warum Sie von der »Dame mit der Wurst« so beständig angestarrt werden?
JOHANN.
Na? Warum?
DER GRÜNE.

Mein sehr verehrter Herr Johann, die Dame liebt Sie! Auf Ehrenwort! Sie können sich fest darauf verlassen: das süsse Kind liebt nur ihren Johannes! Den Jakob da drüben liebt sie nicht.

JOHANN UND JAKOB.
Woher wissen Sie das?
DER GRÜNE.

Das sagen mir die Augen der jungen Dame. Wer wie Johann von seiner Dame angeschaut wird, der wird von seiner Dame geliebt!

JOHANN
vorsichtig.
Wissen Sie uns noch mehr von »unsrer« Dame zu erzählen.
DER GRÜNE.

Na gewiss doch! Aber dann muss ich erst auf den Tisch klettern, auf dem Tisch werden Sie von mir noch ganz andere Dinge hören.

JAKOB.
So? Was Sie sagen! Andere Dinge? Was für Dinge?
DER GRÜNE.

Nun – ich werde Ihnen mitteilen, was die Dame träumt. Sehen Sie denn nicht, dass sie träumt? Nee? Aber ich bitte Sie!


Johann und Jakob sehen sich die Puppe an und
nicken. Der [196] Grüne steigt von hinten auf den Tisch rauf und nähert vorsichtig, während er sich auf ein Knie niederlässt, sein rechtes Ohr dem Munde der Puppe.
DER GRÜNE.

Hört! Hört! Er beugt sich im Folgenden öfters wieder zum Munde der Puppe hinab. Jetzt hör und seh ich ganz genau – ganz genau – was im Innern der alten Puppe vorgeht. Weich. Träume – weithin leuchtende lachende Träume – durchbeben hier diese holde Frau, die von Euch, Ihr holden Nachtwächter, geliebt wird. Sie, diese schöne Dame – träumt jetzt von silbernem Mondenschein, von goldenen Sternen und weichen warmen Lüften. Und sie sitzt dabei am Rande des düsteren Waldes, und neben ihr sitzen sieben kleine Lämmlein – die denken an Nichts. Eure holde Dame dagegen, deren Gedanken ich jetzt errate – nein – deren Gedanken ich fühle – – die schaut in die Nebel der Wiese und sieht da kleine Männchen tanzen – wirklich tanzen! Ach, sie tanzen und reden immerzu – lauter Redner! Und die Nacht ist milde. Und die Rosen duften. Und die Käfer zirpen. Die Myrthen blühen. Die hohen Bäume schwanken. Die Kypressen rauschen sehnsuchtsvoll. Und die Quellen der Ewig-Durstigen flüstern wie unschuldige Kinder. Und – und – und die Nachtigallen schlagen. Doch die Männchen auf der Wiese tanzen und reden noch immer. Feurig. Aber – aber – da läuft plötzlich ein grosser Löwe übers Feld – sieht die Männchen tanzen – hört sie reden – und – was tut der Löwe? Oh, Ihr guten Staats-Nachtwächter, er frisst die Männchen, die so viel tanzen und so viel reden, im Handumdrehen auf – so schnell wie ein Obdachloser im Winter ein Gericht brauner Pilze verschlingt. Erschütternd. Da muss Eure Frau natürlich weinen – schrecklich weinen – und ihre sieben Lämmlein weinen mit. Gross und ruhig. Indessen – jetzt sieht sie – ja sie sieht ihn wirklich – ihn – den ordentlichen tapferen Staats-Nachtwächter Johann, der eigentlich im mer neben uns steht. Der Johann nimmt wacker seinen alten Spiess und spiesset den gefrässigen Löwen dran auf, geht danach ruhig durch den friedlichen Nachttau der Wiese ins nächste Dorf, allwo er den toten Löwen zu verkaufen gedenkt. Nach [197] aufmerksamerem Horchen sehr weich. Währenddem sitzt die holde Frau am Waldesrande mit ihren sieben Lämmlein und – und – und dichtet »das Lied vom braven Johann«. Hans, ich sage Dir – oh, glaube mir! – bei meinem Barte! – sie liebt Dich – und zwar – mit jener Inbrunst, die man »wahre Liebe« nennt. Des Weibes Lieben war ja stets so rätselvoll. Warum liebt sie den Johann und nicht den viel schöneren Jakob? Wisst Ihr's nicht? So hört – warum: weil Johann tapfer und weil Jakob feige ist.

JOHANN.
Er ist schöner?
JAKOB.
Ich bin feige? Nicht im Traum!
DER GRÜNE.

Ja wohl! Du bist feige! Sonst würdest Du den Johann totstechen. Tapfre Männer stechen stets ihre Nebenbuhler tot. Weisst Du das nicht?

JAKOB.
Nun denn! – Komm, Johann! – Ich will Dich totstechen!
JOHANN.
Mich willst Du totstechen?
JAKOB.
Die Pflicht ruft! Das Vaterland ist in Gefahr!
JOHANN.
Wirklich? Das ist was Andres!
DER GRÜNE.

Ihr müsst miteinander kämpfen und Euch gegenseitig die Hellebarden in die Brust zu stossen trachten. Das wird mir riesige Freude bereiten. Doch vor dem Kampfe stosst noch Mal in Euer Horn! Ich hoffe, es wird zum letzen Male sein!


Johann und Jakob tuten, kämpfen mutig und stossen sich gegenseitig die Hellebarden durch den Leib.
Wie die beiden Nachtwächter dumpf röchelnd vor der Puppe zusammenbrechen, greift der Grüne nach der Dauerwurst, schwingt sie triumphierend durch die Lüfte und stösst mit dem rechten Fuss der Puppe ins Kreuz, dass sie vom Tisch runter auf die toten Nachtwächter rauffällt.
Drei Mal schreit der Grüne »Hurrah«! und beisst gierig, nachdem er den Mund noch weiter als beim
Hurrahschreien aufgesperrt, in die alte Dauerwurst rein.
Vorhang!
[198]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Drama. Revolutionäre Theaterbibliothek. Band V. Die Puppe und die Dauerwurst. Die Puppe und die Dauerwurst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C167-4