133. Die Jungfrau und der Schatz.

1.

Einem Manne träumt zwei Nächte hinter einander, er werde viel Geld bekommen; in der dritten Nacht träumt es ihm wieder, und zugleich erscheint ihm eine weiße Jungfrau, welche ihn bittet mitzugehen und sie zu erlösen; er solle auch viel Geld haben, nur dürfe er sich nicht fürchten. Als er sich dazu bereit findet, führt sie ihn in einen Garten, worin ein großer schwarzer Mann mit einem Gebetbuche in der Hand steht und betet. [104] Eben will er nach dem Golde, welches neben dem schwarzen Manne liegt, greifen, da verwandelt sich dieser in einen großen schwarzen Hund, der thut, als wenn er ihn beißen wollte. Darüber geräth er in Angst und läuft weg; erhält aber von der weißen Jungfrau zuvor noch eine Ohrfeige. In der folgenden Nacht erscheint ihm die weiße Jungfrau abermals und bittet ihn mitzugehen, sie wolle ihn auch hin tragen, noch könne er sie erlösen, aber er dürfe sich nicht fürchten. Sie trägt ihn auch hin nach dem Garten und darin steht wieder neben dem Golde der schwarze Mann mit dem Gebetbuche und betet. Er will nach dem Golde greifen, aber aus dem schwarzen Manne wird wieder ein großer Hund, der thut, als wenn er ihn beißen wolle. Da schreit er laut auf: »o nein, der große Hund will mich beißen!« Sogleich ist der Hund verschwunden, aber auch das Geld ist fort. Da ruft die Jungfrau laut: »o weh, o weh, nun kann mich erst in hundert Jahren wieder einer erlösen!« und ist damit ebenfalls verschwunden.

2.

Auf dem Rehbache bei Delliehausen fährt Nachts zwischen 11 und 12 Uhr eine mit zwei Pferden bespannte Kutsche, worin sich große Schätze befinden. Die Kutsche ist von Gold; andere sagen, sie sei von Silber. Drei Nächte hinter einander kam eine weiße Jungfrau zum alten Hintze auf Hintzens Hofe in Delliehausen und forderte ihn auf in der dritten Nacht zwischen 11 und 12 Uhr dahin zu gehen und, wenn die Kutsche im vollen Trabe daher käme, ohne alle Furcht dazwischen zu springen und aus der Deichsel den Wagennagel herauszuziehen; dann würden die Pferde weglaufen, die Kutsche aber stehn bleiben: auf diese Weise würde sie erlöst, er aber solle alles, was darin sei, zum Lohne haben. Der Bauer fürchtete sich dennoch und ging nicht hin.

3.

Im Kolgenhagen hat sich Geld gesonnt. Einige Leute aus Lauenberg sehen dieß, gehen hin und wollen dasselbe ausgraben. Sie fangen damit an und haben auch schon den oberen Theil des Kessels, worin das Geld ist, losgegraben. Da kommt mit einem Male der Teufel in Riesengestalt, hat eine dicke Eiche im Arme und will dieselbe den Leuten über den Kopf werfen. Als die Schatzgräber das sehen, werden sie sehr bange und laufen weg. Der Teufel ist alsbald wieder verschwunden. Als jene auf den Henneckenberg gekommen sind, schauen sie zurück, da sehen [105] sie eine Jungfrau an dem Loche stehen, die schreit und weint; aus Furcht vor dem Teufel wagen sie sich aber nicht hin. Darauf verschwindet die Jungfrau. Später gehen sie in Begleitung mehrerer anderer hin zu der Stelle; von dem Loche, welches sie gegraben haben, ist aber keine Spur mehr zu sehen, sondern alles ist wieder so, wie es vorher gewesen war.


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 133. Die Jungfrau und der Schatz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BFE6-6