193. Zauber und Gegenzauber.

1.

Ein Mädchen wollte nach der Licentstube gehn; auf dem Wege dahin ward aus einem Hause etwas über die Thür auf die Straße gegossen. Das Mädchen geht darüber hin und hat von Stund an ein lahmes Bein. Der Arzt wurde gebraucht, aber das wollte nicht helfen. Darauf ließ man den Scharfrichter aus Gandersheim kommen, und dieser versuchte nun seine Kunst. Er fing die Hexen in einen Sack ein, ließ dann Haselstöcke schneiden und schlug damit die Hexen im Sacke, wobei er die Worte sprach: »Wollt ihr den Leuten die Last und dem Mädchen die Qual abnehmen?« Die Hexen im Sacke miauten vor Angst und Pein, wie die Katzen. Aber das erste Mal hatte das doch noch nicht geholfen und er muste noch einmal kommen. Jetzt[173] fing er die Hexen wieder in den Sack ein und ging damit hinaus; in der Stube aber musten die Leute Thür und Fenster fest zuhalten. Er schlug nun wieder auf den Sack; die Hexen drangen mit aller Gewalt gegen die Thür, konnten aber nicht hineinkommen, weil diese fest zugehalten wurde. Darauf gab der Scharfrichter dem Mädchen etwas ein, in Folge dessen ihm lebendige Thiere, wie Eidechsen, abgingen. Diese musten in fließendem Wasser abgewaschen und auf Kohlen verbrannt werden, worauf das Mädchen genas. Der Scharfrichter hatte gesagt, nun wolle er noch dem Menschen, der das Behexen gethan hätte, ein Zeichen geben, woran man ihn erkennen könnte; da ist denn der Mann, der es gethan hatte, in der Scheuer herunter gefallen, hat einen Arm gebrochen und ist auch lahm geblieben.

2.

Als ich noch ein kleines Mädchen war, muste ich mich immer verstecken, wenn die alte Bökersche in unser Haus kam und wenn sie weg ging, schlug meine Mutter immer ein Kreuz hinterher, nahm dann den Besen und fegte die ganze Diele rein ab. Das geschah aber deshalb, weil die Bökersche eine Hexe war und viele Bosheiten ausübte: sie nahm den Ziegen die Milch, den Schweinen die Lust zum Fressen und hexte den Hühnern den Pips an. – Einmal aber ist sie schön weggekommen. Mein jüngster Bruder nemlich, der damals noch in der Wiege lag, schrie erbärmlich ganze Wochen lang, so daß wir alle glaubten, das Kind wäre sehr krank. Mein Vater schickte mehrmals nach dem Doctor. Dieser sagte, das wären Blähungen, wir sollten dem Kinde nur fleißig Rhabarber eingeben, dann würde es schon zu schreien aufhören. Da bin ich wohl nach der Apotheke gelaufen und habe Rhabarber geholt! Doch das Geld war weggeworfen, der Junge hörte nicht auf zu schreien, sondern wurde von Tage zu Tage schlimmer. Meine selige Mutter wurde ganz elend und wuste sich nicht zu rathen und zu helfen. Da kam einmal hinten aus der Altstadt eine kluge Frau zu uns, der meine Mutter ihre Noth klagte. Diese wuste gleich Rath, schloß die Stube zu, nahm den schreienden Jungen auf den Arm und sagte zu meiner Mutter, sie sollte doch einmal alle Betten aus der Wiege nehmen und das Bettstroh durchsuchen; es müste da was im Bettstroh stecken, was nicht dahin gehörte. – Meine Mutter that, wie die kluge Frau sagte, und zog bald ein Gebind verwirrtes Garn aus dem Bettstroh, wovon kein Mensch wuste, [174] wie es dahin gekommen war. – Nun muste meine Mutter das Bett wieder zurecht machen, die kluge Frau legte den Jungen wieder hinein, und von der Stunde an war er ganz still und schrie nur noch, wenn er etwas haben wollte. – »Jetzt wollen wir die Hexe, die dem Kinde den Schlaf nimmt, bald heraus haben«, sagte die kluge Frau, ließ von meiner Mutter Thüren und Fenster im ganzen Hause verschließen, ging dann mit dem Garn in der Hand in die Küche, setzte einen Kessel mit Wasser auf das Feuer und fing an das Garn zu kochen. Dieses hatte noch nicht lange in dem kochenden Wasser gelegen, als Jemand an unsere Hausthür pochte. Meine Mutter wollte hingehn und öffnen, doch die kluge Frau hielt sie am Arme fest und rief: »Bleibe Sie hier! macht Sie auf, so geht es uns allen nicht gut!« Meine Mutter gehorchte und half noch mehr Holz unter den Kessel legen. Da ward das Pochen immer stärker und dann schrie es durchs Schlüsselloch: »Nachbarin, mache Sie doch einmal auf, ich habe ihr ja etwas ganz Dringendes zu sagen!« Da merkte meine Mutter an der Stimme, daß es die Bökersche war, rührte sich deshalb nicht vom Platze, sondern warf noch immer mehr Holz unter den Kessel. In diesem schrie und pfiff es, als wenn lauter Heimchen drin wären. – Auf einmal hören wir hinten auf dem Hofe am Kammerfenster ein Kratzen und ein Gewinsel, und was ist es? Nichts anders als die Bökersche, die in ihrer Angst ins Kammerfenster steigen wollte und erbärmlich schrie: »Nachbarin, ich bitte Sie um Gotteswillen, nehme Sie doch nur einen Augenblick das Feuer unter dem Kessel weg! Ich muß ja sterben und verderben!« – »Stirb und verdirb in des Teufels Namen, du Hexe!« rief ihr meine Mutter zu und warf einen ganzen Arm voll Holz unter den Kessel. Da fiel die Bökersche auf den Mist, kroch auf allen Vieren zu Hause und war nach einigen Tagen todt. Am ganzen Körper aber hatte sie Brandblasen.

3.

Der Besitzer eines großen Ackerhofes in Drüber hatte zwölf milchende Kühe, hätte also Butter die Hülle und die Fülle davon bekommen müssen. Statt dessen hatte er aber gar keine; denn niemals wollte es Butter geben, und wenn auch noch so lange gebuttert wurde. Endlich gingen die Leute zum Scharfrichter und fragten den um die Ursache. Dieser sagte, »an den Kühen wäre etwas gethan«, sie sollten nur Rahm abnehmen,[175] diesen in die Pfanne thun und so aufs Feuer setzen und braten: dabei müsten sie aber alle Thüren und Fenster sorgfältig zumachen und niemand ins Haus lassen. Dieß geschah auch ganz so. Der Mann und die Frau wollten nicht dabei sein, sondern gingen vorher aus dem Hause zu ihren Verwandten. Die Knechte und die Mägde aber machten das ganze Haus fest zu und setzten dann den Rahm aufs Feuer, wobei sie das Holz nicht sparten. Nach einer kleinen Weile kam die Frau, welche das Behexen gethan hatte, vor das Haus, rief ganz ängstlich und verlangte eingelassen zu werden. Als aber nicht aufgemacht wurde, sprang sie wie unsinnig an den Fenstern in die Höhe, um so ins Haus zu kommen, doch vergeblich. Mittlerweile hatte sich der Großknecht mit einer Peitsche versehen und damit durch die Stallthür hinaus geschlichen. Dieser sprach zu der Hexe: »nun wissen wir, wer den Rahm behext hat!« und peitschte sie unbarmherzig, so daß sie halbtodt liegen blieb. Von der Zeit an bekam der Bauer von dem Rahm auch wieder Butter.

4.

Einem Manne in Wulften starb ein Pferd, ohne daß er erfahren konnte, wie es zuging. Der Abdecker, dem er das klagte, sagte ihm, daß ohne Zweifel eine Hexe den Tod des Pferdes bewirkt habe; aber er wolle schon herausbringen, welche es sei. Als er hierauf das Pferd abdeckte, murmelte er bei seinem Geschäfte immerfort, bis die Hexe an den Zaun kam. Da warf er Lunge und Leber des todten Pferdes dem Bauern hin und wies darauf hin, ohne ein Wort dabei zu sprechen. Der Bauer wuste nicht, was er damit anfangen sollte; die Hexe ging darauf wieder fort. Nachher sagte der Abdecker zu dem Bauern »Hättest du die Lunge und Leber des Pferdes mit einem Bindfaden durchzogen und in den Rauch gehängt, so wäre der Hexe allmählich das Herz vertrocknet.«


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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 193. Zauber und Gegenzauber. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BFBB-8